Süße Erpressung im Inselparadies

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Hochzeit aus Rache? Luis Casillas hat einen ebenso perfiden wie verführerischen Plan, es seinem betrügerischen Freund heimzuzahlen: Er entführt dessen Schwester Chloe auf seine weiße Jacht, mit Kurs auf eine Privatinsel. Hier soll Chloe ihm ihr Ja-Wort geben! Die plötzliche Erkenntnis in ihren Augen, als sie seinen Plan durchschaut, bereitet ihm tiefe Befriedigung. Aber niemals darf sie erfahren, dass ihn viel mehr als Rache bewegt: Aus der kleinen Schwester seines Feindes ist eine betörende Schönheit geworden, die er glühend begehrt … "Oh, ich verfüge über außerordentlich menschliche Bedürfnisse, Bonita …", murmelte Luis. "Und du wirst bald Gelegenheit bekommen, das selbst herauszufinden."


  • Erscheinungstag 18.12.2018
  • Bandnummer 2366
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710606
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Luis Casillas starrte auf sein Handydisplay. „Sí?“

„Luis?“

„Sí.“

„Hier ist Chloe.“

Seine Miene verfinsterte sich. „Chloe … Chloe Guillem?“ Die Frau, die ihn seit zwei Monaten mied, als hätte er eine ansteckende Krankheit.

Oui, ich brauche deine Hilfe. Mein Wagen ist auf der Strecke nach Sierra de Guadarrama liegen geblieben …“

„Was tust du da?“

„Fahren … wenigstens so lange die Karre funktioniert hat.“

„Hast du keine Pannenhilfe gerufen?“

„Die können nicht vor zwei Stunden bei mir sein, und mein Handy-Akku ist gleich leer. Bitte, hilf mir! Ich fühle mich hier nicht sicher.“

Luis schaute auf seine Armbanduhr und fluchte unterdrückt. Er wurde auf der Gala seines Zwillingsbruders erwartet, die in einer halben Stunde beginnen sollte. „Kannst du nicht jemand anderen anrufen?“ Chloe arbeitete für seine Ballett-Company in Madrid. In den letzten zwölf Monaten hatte die lebhafte Französin in seiner Heimatstadt immerhin eine Menge Freunde gefunden.

„Du bist am dichtesten dran. Bitte, Luis! Komm und hol mich …“ Ihre Stimme wurde immer dünner. „Ich … ich fürchte mich.“

Maldito! Luis presste die Kiefer zusammen und kämpfte mit sich. Diese Gala war unglaublich wichtig.

Vor zehn Jahren hatten er und sein Bruder eine provinzielle Ballett-Schule erworben, in der ihre Mutter, eine berühmte Primaballerina, ihre ersten Trainingsjahre absolvierte. Zunächst hatten sie das Institut in Compania de Ballet de Casillas umbenannt und sich darum bemüht, die weltbesten Tänzer und Choreographen zu verpflichten. Um ihnen das perfekte Podium bieten zu können, starteten sie vor drei Jahren umfangreiche Renovierungen und Erweiterungen, die aus der bröckelnden Pracht ein State-of-Art-Theatre mit hochmodernen Trainingsmöglichkeiten machen sollte. Und dieser aufwendige Prozess stand kurz vor der Vollendung.

Deshalb war geplant, betuchten Sponsoren und einflussreichen Förderern der schönen Künste dieses ehrgeizige Projekt vorzustellen, um den Namen im internationalen Ballett-Himmel zu verankern. Europas Elite und die wichtigsten Pressevertreter belagerten bereits das Hotel, wo die Gala stattfinden würde.

Er musste dort erscheinen! Und zwar so schnell wie möglich.

„Wo bist du genau?“

„Kommst du …?“

Es war der zitternde Hoffnungsfunke in ihrer Stimme, der den Ausschlag gab. Sie besaß die süßeste und verführerischste Stimme, die er je gehört hatte. Nicht affektiert, sondern melodiös und so samtweich, dass sie einem unter die Haut ging.

Er konnte sie unmöglich allein dort in den Bergen lassen. „, ich komme und hole dich, du musst mir nur genau sagen, wo du bist.“

„Ich schicke dir die Koordinaten, aber dann muss ich mein Handy ausmachen. Der Akku ist fast leer.“

„Nein, lass es an“, befahl Luis. „Hast du etwas, womit du dich im Notfall verteidigen kannst?“

„Ich … ich weiß nicht …“

„Such dir irgendetwas Schweres oder Spitzes und sei wachsam. Jetzt schick mir deine Koordinaten, ich bin auf dem Weg.“

„Merci, Luis. Merci beaucoup.“

„Ich bin so schnell wie möglich bei dir“, versprach er, schon auf dem Weg in seine Tiefgarage, wo er sich hinter das Steuer seines schnellsten Wagens schwang und Chloes übermittelten Standort ins Navi eingab. Sobald das geschehen war, trat er aufs Gaspedal und schoss kurz darauf an der Mercedes-Stretch-Limousine vorbei, in der sein Fahrer auf ihn wartete.

Das Navi hatte bereits die Route von seinem Heim im Norden Madrids aus berechnet und teilte ihm mit, dass er die Strecke, sofern er sich an die Geschwindigkeitsbeschränkungen hielt, in einer Stunde bewältigt haben würde.

Zum Glück war der Verkehr an einem Samstagabend nicht besonders dicht, sodass Luis davon ausging, dreißig, maximal vierzig Minuten zu brauchen.

In bewohnten Gebieten fuhr er grundsätzlich nicht schneller als erlaubt, aber die Versuchung, auf freier Strecke ordentlich Gas zu geben, war nahezu unwiderstehlich. Heute, mit dem Bild der in den spanischen Bergen gestrandeten Chloe vor Augen, ließ er weit weniger Rücksicht walten und kümmerte sich auch nicht um das wütende Hupkonzert, das er immer wieder hinter sich auslöste.

Chloe Guillem. Aus einem fröhlichen, um Aufmerksamkeit heischenden Kind war eine lebensfrohe, attraktive Frau geworden. Hinreißend traf es noch besser.

Es hatte allerdings eine Weile gedauert, bis ihm das aufgefallen war.

Bis dahin war sie nur eine Freundin der Familie, von der er über fünf Jahre nichts gehört hatte.

Bis ihn völlig unverhofft ihr Anruf erreichte.

Bonjour, Luis“, hatte sie sich in diesem unwiderstehlichen französischen Singsang gemeldet, der sofort die alte Vertrautheit herstellte. „Hier spricht die kleine Schwester deines besten Freundes, um dich an die guten alten Zeiten zu erinnern und hoffentlich einen Job von dir zu ergattern.“

Er war in herzhaftes Lachen ausgebrochen und nach einem kurzen Gespräch, in dem sie ihm ihre aktuellen Eckdaten auflistete, gab er ihr Namen und Nummer der Chef-Kostümbildnerin der Compania de Ballet de Casillas. Er hatte ihr erklärt, dass er selbst niemand einstelle, war aber durchaus beeindruckt gewesen von ihrer Entwicklung: Eine Ausbildung als Kostümdesignerin beim Royal Ballet in London, gefolgt von zwei Jahren beim Ballett der Pariser Oper.

„Dir gehört doch die Ballett-Company, oder?“, vergewisserte sie sich.

„Mir und Javier. Aber unser Haupt-Business ist die Immobilien- und Baubranche. Vom Ballett oder den Kostümen unserer Tänzer verstehen wir beide nichts.“

„Ich kann ausgezeichnete Referenzen vorweisen“, sagte sie selbstbewusst.

„Gut für dich, wir engagieren nämlich nur die Besten.“

„Wirst du wenigstens ein gutes Wort für mich einlegen?“

„Nein, aber wenn du erwähnst, dass deine Mutter die persönliche Kostüm-Designerin von Clara Casillas war, sollte das reichen. Gesetzt den Fall, du bist wirklich so gut, wie du behauptest.“

„Das bin ich!“

„Dann wirst du Maria auch überzeugen“, hatte er lachend geantwortet.

Danach verschwendete er keinen weiteren Gedanken an das Gespräch, bis sechs Monate später im alten Theatergebäude ein Meeting auf Führungsebene stattfand, um den bevorstehenden Umzug der Company zu besprechen.

Wie aus dem Nichts tauchte an jenem Tag eine langbeinige Gazelle auf und fiel ihm mit strahlendem Lächeln um den Hals. Es war Chloe, die ihm begeistert erzählte, wie glücklich sie hier in Madrid sei. Natürlich hatte er sich gefreut, ein Gesicht aus Kindertagen wiederzusehen, war aber zu eingespannt gewesen, um weitere Notiz von der kleinen Schwester eines alten Freundes zu nehmen.

Als er und sein Zwillingsbruder Javier vor zehn Jahren ihr eher mageres Erbe von Casillas Ventures zusammengelegt hatten, um die Ballett-Company zu kaufen, beschlossen sie, dass bei jedem zukünftigen Gemeinschaftsprojekt einer von ihnen den Frontmann spielen sollte. Das würde, vor allem in Verhandlungen mit Bauunternehmen und Lieferanten, alles einfacher gestalten.

Was das neue Ballett-Theater betraf, hatte er diese Rolle übernommen.

Da sie es im Gedenken an ihre Mutter ausbauten, lag es Luis sehr am Herzen, sodass er sich weit mehr einbrachte als bei anderen Projekten. Die Welt sollte den Namen Casillas wieder lesen und in den Mund nehmen können, ohne dabei gleich an das tragische Ende der berühmten Primaballerina denken zu müssen, die durch die Hände des eigenen Gatten starb.

Je näher das Theater seiner Vollendung entgegenstrebte, desto größer und umfangreicher gestalteten sich Arbeits- und Zeitaufwand.

Kurioserweise lief er, seit jenem ersten zufälligen Zusammentreffen, gefühlt jedes Mal Chloe in die Arme, sobald er das alte Theater betrat. Sie schien ständig in Eile und durchgehend guter Laune zu sein. Entweder winkte sie ihm mit einem Kostümteil zu, das sie überm Arm trug, schenkte ihm ein Lächeln oder wechselte ein paar eher belanglose Worte mit ihm. Und jedes Mal färbten sich ihre Wangen dunkelrot, was ihn ebenso amüsierte wie irritierte, aber nicht weiter beschäftigte, bis …

Ja, bis er Monate später an einem Coffee-Shop vorbeiging und wie angewurzelt stehen blieb, als er eine Schönheit mit rabenschwarzem Haar lebhaft gestikulierend innerhalb einer Gruppe von Freunden oder Bekannten agieren sah. Inzwischen hatte ein warmer Frühling seine Heimatstadt aufleben lassen, und das luftige, ärmellose Kleid, das sie trug, ließ viel milchweiße zarte Haut sehen, die im geradezu dramatischen Kontrast zu dem dunklen Haar stand, das in weichen Wellen über ihre Schultern herabfiel.

Luis wäre weitergegangen, wenn er sie nicht auf Anhieb erkannt hätte.

Er konnte es nicht fassen. Wieso war ihm das vorher nie aufgefallen? Chloe Guillem leuchtete von innen heraus. Es war, als strahle die Sonne aus jeder einzelnen Pore, gepaart mit purem Sex. Und ihr Lächeln war einfach atemberaubend.

Sie musste gefühlt haben, dass er sie anstarrte, wandte den Kopf, und ihn traf die volle Wucht ihres Lächelns … in Regionen, die er nie mit der Jugendfreundin in Verbindung gebracht hätte. In den fünfunddreißig Jahren seines Lebens hatte Luis kein so ungehemmtes Lustgefühl verspürt wie in diesem Moment.

Noch am selben Tag hatte er Chloe zum Dinner ausgeführt. Es wurde der lustigste und anregendste Abend, an den er sich erinnern konnte. Chloe war witzig, selbstironisch und geradezu überschäumend fröhlich. Er brauchte nur die Augen zu schließen, um ihr sexy Lachen zu hören.

Por Dios! Sie war geballter Sex auf zwei Beinen. Er hatte nicht den Blick abwenden können und wie ein Süchtiger alles in sich aufgesogen, jedes Wort, jede noch so kleine Geste. Wie hatte ihm das alles bisher entgehen können? Unfassbar, wie blind er gewesen war!

Und die Anziehung war gegenseitig, daran gab es keinen Zweifel.

Luis wusste es sofort, wenn eine Frau etwas von ihm wollte, und Chloes Körpersprache ließ keinen Raum für Interpretationen. Doch als sie das Restaurant verließen, lehnte sie sein durchsichtiges Angebot von einem Schlummertrunk ab und rief sich ein Taxi.

„Wenn schon keinen Drink, wie wäre es mit einem Gute-Nacht-Kuss?“, fragte er, bevor sie ihm entkommen konnte. Dabei umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen und rieb spielerisch ihre Nasenspitzen aneinander. Ihr frischer Duft hüllte ihn ein und erinnerte ihn an Erdbeeren mit Schlagsahne.

Ihre Blicke tauchten ineinander, doch der herausfordernde Schimmer, der ihn den ganzen Abend über zum Flirten animiert hatte, war verschwunden, die weichen Lippen fest zusammengepresst.

„Dann beim nächsten Date, Bonita“, flüsterte er und inhalierte ein letztes Mal ihren betörenden Duft.

Das zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht, das ihm zu Herzen ging. Chloe trat einen Schritt zurück und nickte. „Ja, nächstes Mal.“

„Dann darf ich dich küssen?“

Das Lächeln wurde breiter, und die himmelblauen Augen funkelten erneut. „Ja, dann darfst du mich küssen.“

Aber es hatte kein nächstes Mal gegeben, und damit auch keinen Kuss.

Schuld daran war ihr Bruder …

Chloe sagte das geplante Date ab und ignorierte seine Anrufe. Wenn Luis in der Ballett-Company erschien, senkte sie den Kopf und ging ihm aus dem Weg. Seit annähernd zwei Monaten hatten sie kein Wort mehr gewechselt.

Warum er jetzt in halsbrecherischem Tempo über die kurvigen Straßen jagte und seinen Hals riskierte, um jemand zu retten, der ihn ohne Erklärung einfach fallen gelassen hatte, wusste er selbst nicht.

Innerhalb von fünfundvierzig Minuten erreichte er die Stelle, die ihm sein Navi angegeben hatte. Eine begrünte Aussichtsplattform, auf der Tagesausflügler gern grillten oder das spektakuläre Panorama genossen.

Allerdings gab es keine Spur von Chloe, und auch ein liegen gebliebenes Auto war nirgendwo zu sehen.

Luis griff nach dem Handy auf dem Beifahrersitz. Im Stress hatte er ganz vergessen, den Klingelton anzustellen, und als er jetzt aufs Display schaute, zählte er drei verpasste Anrufe von seinem Bruder.

Er versuchte Chloe zu erreichen, landete aber gleich bei der Mailbox. Fluchend stieg er aus, um nach ihr zu suchen, und rief dabei seinen Bruder zurück.

Der meldete sich beim ersten Klingelton. „Maldita sea! Wo bist du?“

„Frag nicht. Ich bin so schnell wie möglich da.“

„Und ich hänge hier in Florenz fest!“

„Was?“ Javier sollte, wie er selbst, längst auf der Gala in Madrid sein.

„Mein Flieger kann aus technischen Gründen nicht starten. Dabei hat er heute Morgen alle Sicherheitschecks bestanden. Irgendetwas stimmt hier nicht.“

Luis beendete das Telefonat und spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Auch ihn beschlich plötzlich das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Javier saß in Florenz fest und vermutete Sabotage, und er selbst durchstreifte im Dinnerjackett die Sierra de Guadarrama, auf der Suche nach einer Jungfrau in Nöten, die sich in Luft aufgelöst zu haben schien.

Mit grimmiger Miene checkte er erneut die Koordinaten. Dies war definitiv der richtige Platz – aber wo, zum Teufel, steckte Chloe? Und warum verstärkte sich dieses schleichende Unbehagen von Sekunde zu Sekunde?

Chloe Guillem suchte sich einen Platz in der First-Class-Lounge auf dem Madrid-Barajas-Airport und fischte ihr Handy aus der Reisetasche.

Sechs Anrufe und sieben Textnachrichten, alle von derselben Nummer. Sie löschte die Nachrichten, ohne sie gelesen zu haben, und verfasste eine eigene an ihren Bruder. Als ihr das Glas Champagner serviert wurde, das sie beim Betreten der Lounge geordert hatte, trank sie einen großen Schluck und dann noch einen.

In diesem Moment klingelte ihr Handy erneut.

Genervt schaltete sie es auf stumm und legte es zur Seite. Zwei Minuten später vibrierte es so heftig, dass es auf der Tischplatte tanzte.

Eine neue Sprachmail. Ihr Bauchgefühl verbot ihr aufs Schärfste, sie anzuhören, trotzdem drückte sie auf Play.

Luis Casillas’ dunkle ironische Stimme schallte an ihr Ohr. „Buenas Tardes, Chloe. Ich hoffe, du bist in Sicherheit, wo auch immer du dich befindest, und nicht in Händen einer marodierenden Jugendbande. Obwohl du es dir wahrscheinlich wünschen wirst, wenn ich dich erst aufgespürt habe. Denn dann …“ Er lachte boshaft. „Dann wirst du dir wünschen, mir nie begegnet zu sein. Schlaf gut, Bonita …

Bonita.

Als er sie das erste Mal so nannte, hatte sie geglaubt, nie wieder aufhören können zu lächeln. Jetzt musste sie ihre Tränen krampfhaft herunterschlucken. Denn er war sie nicht wert, dieser hinterhältige Bastard!

Dem Himmel sei Dank, dass sie genügend Verstand besessen hatte, seiner Einladung auf einen Schlummertrunk zu widerstehen.

Chloe stürzte den Rest ihres Champagners hinunter und schnitt eine Grimasse. Von wegen Verstand! Angst war das, sonst nichts.

Ihr Date mit Luis hatte ihr zumindest ein bisschen Lebensfreude und Wohlbefinden zurückgegeben – eben das, war sie seit ihren Kindertagen vermisste, als sie noch unbeschwert herumgetollt und auf Bäume geklettert waren, ohne zu ahnen, wie grausam das Schicksal zuschlagen und alles verändern kann. Und Luis war mit diesen frühen Erinnerungen untrennbar verbunden.

War sie nicht irgendwie schon immer in ihn verliebt gewesen?

Und nach ihrem Wiedersehen musste sie erst sichergehen, dass er sie nicht nur als eine flüchtige Eroberung betrachtete, ehe sie einen Schritt weiterging. So schwer es war, ihm zu widerstehen, sie wollte ihm vertrauen können. Und sie wollte seinen Respekt.

Als sie nach ihrem Date so dicht voreinander standen, er seine Nase an ihrer rieb, und sie nur einen Hauch von einem leidenschaftlichen Kuss entfernt waren, drohte sie schwach zu werden.

Vielleicht lag es ja daran, dass sie sich Luis die ganze Zeit über nackt vorgestellt hatte, was zweifellos den erotischen Träumen der vorherigen Nacht geschuldet war. Und der Erkenntnis, dass ihre eigene, zurückgehaltene Sexualität sich allein bei diesem Mann Bahn brechen würde, der in frühen Teenagertagen ihr Herz gestohlen hatte und es seitdem fest in Händen hielt, ohne es zu wissen.

Wie naiv und verblendet sie gewesen war!

Luis respektierte weder sie noch ihren Bruder, dessen bedingungsloses Vertrauen er brutal enttäuscht und verhöhnt hatte. Und damit auch sie und ihre tote Mutter. Er war genauso erbärmlich wie ihr verantwortungsloser Vater … nein, sogar noch viel schlimmer!

Natürlich wusste Chloe, dass sein Zwillingsbruder ebenso schuldig war wie er, aber Javier hatte sie wenigstens nicht bei der Beerdigung ihrer Mutter noch in den Arm genommen, ihr scheinheilig Trost gespendet und versprochen, eines Tages würde alles wieder gut sein.

So hatte sie Luis in Erinnerung gehabt: witzig, geistreich, sexy, abenteuerlustig und überschäumend lebensfroh. Der einzige Mann, der je ihre weibliche Aufmerksamkeit hatte wecken können. Der einzige Mann, von dem sie mit ihren fünfundzwanzig Jahren je geträumt hatte.

Aber damit war es vorbei. Was immer ihr Bruder Benjamin ihm als Strafe für seinen Verrat zugedacht hatte, für sie konnte es nicht schnell genug passieren …

Chloe seufzte, sah auf die Anzeigetafel, die über Ankünfte und Abflüge informierte, und stellte fest, dass ihr Flug bereits aufgerufen war und sie an Bord gehen konnte.

Hastig sammelte sie ihre Utensilien zusammen und machte sich auf den Weg. Jetzt, da sie wusste, wozu Luis Casillas tatsächlich fähig war, konnte sie nicht schnell genug vor ihm fliehen.

Ihr Herzschlag beruhigte sich erst, als sie sich auf ihrem Sitz in der ersten Klasse anschnallte. Ihr Bruder hatte ihn für sie gebucht und bezahlt. Chloe schaute aus dem Fenster auf das immer kleiner werdende Madrid unter sich. Sollte Luis sich ruhig die Augen nach ihr ausgucken. Er würde schnell feststellen, dass er nach der berühmten Nadel im Heuhaufen suchte.

Lucaya, ein traumhafter Vorort auf den Grand Bahamas, erschien Chloe zunehmend wie das Paradies. Ihr Bruder hatte für sie ein Strandhaus innerhalb eines Luxusresorts gemietet, wo sich um alles gekümmert wurde und sie selbst nur noch daran denken musste, ihre Sonnencreme aufzutragen.

Die ersten sechs Tage verbrachte sie mit Faulenzen am Pool und frischte ihre Social-Media-Feeds auf. Dabei schwanden nach und nach Nervosität und ein beginnender Verfolgungswahn. Angesichts der exklusiven Klientel garantierte ihr dieser komfortable Schlupfwinkel auch ein Höchstmaß an Sicherheit, sollte Luis ihr wider Erwarten doch noch auf die Spur kommen.

Wobei Chloe bezweifelte, dass er momentan auch nur einen Gedanken an sie verschwendete. Dafür verschlang sie jede Schlagzeile und noch so kleine Notiz, die irgendwie mit dem betrügerischen Brüderpaar zusammenhing, schwankend zwischen Herzschmerz und Schadenfreude.

Eins stand jedenfalls fest: So weit hätte es gar nicht erst kommen dürfen!

Luis und Javier hätten einfach nur das Richtige tun und ihrem Bruder das Geld zurückgeben müssen, das sie ihm abgeluchst hatten – die ganzen zweihundertfünfundzwanzig Millionen Euro …

Vor sieben Jahren, ausgerechnet an dem Tag, als sie und ihr Bruder erfuhren, dass die Krebserkrankung ihrer Mutter unheilbar sei, bat Luis ihren Bruder um dringende finanzielle Hilfe, die er ihm als lukrative Investition verkaufte.

Die Casillas-Zwillinge hatten eine beträchtliche Summe auf die Option zum Erwerb eines Grundstücks in Paris gezahlt, um dort einen Wolkenkratzer zu errichten, der alles andere überragen sollte. Der Landbesitzer bestand plötzlich auf sofortige Zahlung der Gesamtsumme und ließ ihnen eine Frist bis Mitternacht, da sonst ein interessierter Konkurrent den Zuschlag bekommen würde.

Die Casillas-Brüder verfügten über kein derartiges Budget, Benjamin schon.

Er händigte ihnen einen Betrag aus, der zwanzig Prozent des Gesamtvolumens ausmachte … eine wahrhaft horrende Summe.

Das Mont Blanc Centrum, wie das gigantische Bauwerk benannt wurde, erforderte sieben Jahre Bauzeit. Vor zwei Monaten erhielt Benjamin eine Kopie der Endabrechnung und musste feststellen, dass er aufs Übelste hintergangen worden war. Der Vertrag, den er unter dem Eindruck der Erkrankung seiner Mutter flüchtig überflogen hatte, war noch einmal geändert worden, ehe er ihn unterzeichnete.

Anstatt der versprochenen zwanzig Prozent, standen ihm plötzlich nur fünf Prozent des Profits zu.

Er konnte es nicht fassen, dass seine ältesten und engsten Freunde ihn derart skrupellos über den Tisch zogen. Sie hatten seine mentale Schwäche ausgenutzt und sein Vertrauen brutal missbraucht. Als sie das dreist abstritten, zerrte Benjamin sie vor Gericht. Dort bekamen sie nicht nur recht, sondern verpassten ihm per Verfügung auch noch einen verbalen Maulkorb, der es ihm untersagte, sie als das zu bezeichnen, was sie waren: dreiste Betrüger, die ihre gemeinsame Vergangenheit verraten und damit kostbare Kindheitserinnerungen für immer zerstört hatten.

Chloe war fassungslos gewesen, dass sich Luis so herzlos zeigte. Sein Zwillingsbruder Javier war für seine Gefühlskälte bekannt, aber Luis …

Momentan erging sich die Klatschpresse in wilden Spekulationen. Eine heiße Schlagzeile wurde bereits von der nächsten Skandal-Headline abgelöst, noch ehe sie erkaltet war. Dass Benjamin die Verlobte seines jetzigen Intimfeindes Javier von einer Gala entführt und nur Tage später selbst geheiratet hatte, war natürlich ein gefundenes Fressen für die sensationslüsternen Paparazzi.

Einer findigen amerikanischen Journalistin war es gelungen, die Unterlassungsverfügung gegen Benjamin auszugraben, und sie scheute sich nicht, das Dokument zu veröffentlichen, was die Casillas-Brüder in ein zweifelhaftes Licht rückte.

Und? Sollten sie doch zusehen, wie sie damit fertig wurden! Chloe schulterte ihre geräumige Strandtasche und schlüpfte in schillernde Flip-Flops. Sie war hier auf den Bahamas sicher vor ihnen, ebenso wie ihr Bruder und Freya in seinem wunderschönen Chateau in der Provence.

Es war erst das dritte Mal seit ihrer Ankunft vor einer Woche, dass Chloe ihr friedliches Refugium verließ. Und das auch nur, um sich in der Morgensonne auf den fünfzehnminütigen Fußmarsch zum Port Lucaya zu machen, von wo aus das versprochene Insel-Hopping auf der Jacht des Ressorteigners starten sollte.

Sie hatte die Einladung erst am Abend zuvor bekommen, weil einer der exklusiven Stammgäste, denen diese Exkursionen vorbehalten waren, wegen einer plötzlichen Erkrankung ausfiel. Chloe, die mehr als genug Horrorstorys über junge Frauen und millionenschwere Fremde auf Luxusjachten gehört hatte, sagte nur zu, weil eine Frau die Fremdenführerin auf der Tour spielte.

Sie freute sich sogar über die Abwechslung zu ihrem beschaulichen Strandleben im Ressort. Zumal sie es nicht gewohnt war, auf der faulen Haut zu liegen. Irgendwie war sie immer beschäftigt und liebte es, von Leuten umgeben zu sein. Allein mit ihren Gedanken zu sein, die sich ständig im Kreis drehten, bekam ihr einfach nicht. Es machte sie schwermütig und zappelig zugleich.

Der Hafen war nicht schwer zu finden, die prachtvollen, schillernden Jachten in der schmalen Bucht eine fantastische Werbekulisse, zumal sie genau gegenüber dem berühmtberüchtigten Port Lucaya Marketplace lag. Die vor Farben und Leben förmlich vibrierende Touristenfalle zauberte Chloe ein Lächeln aufs Gesicht, und sie beschloss, gleich morgen noch einmal herzukommen, um dort herumzustöbern.

Dann wandte sie sich wieder den Jachten zu, schattete die Augen mit der Hand gegen die Sonne ab und hielt nach dem Bootsnamen Marietta Ausschau. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung, als sie ihn an der größten und luxuriösesten Jacht entdeckte. Nicht ganz ein Kreuzfahrtschiff, aber allemal groß genug, um Dutzende von exklusiven Gästen zu beherbergen.

Aber wo waren die anderen Passagiere?

Der Metallsteg war ausgelegt worden, doch zu sehen und zu hören war nichts an Bord. So unspektakulär hatte sie sich einen All-Inklusive-Insel-Hopping-Trip dann doch nicht vorgestellt, weshalb Chloe auch zögerte, die Gangway zu betreten.

Bis jemand am oberen Ende erschien, der aussah, als könne er so etwas wie der Schiffsführer sein. „Guten Morgen“, begrüßte er sie mit einem zuvorkommenden Lächeln. „Mademoiselle Guillem?“

Chloe nickte.

„Ich bin Kapitän Andrew Brand. Ich werde Sie an Deck begleiten und Sie dabei mit unseren Sicherheitsvorschriften vertraut machen, wenn es Ihnen recht ist.“

Erleichtert und mit wachsender Begeisterung folgte sie ihm auf die Luxusjacht, wobei ihr Lächeln angesichts eines Swimmingpools mit angrenzender Bar immer breiter wurde. Daneben gab es sogar noch einen Whirlpool und eine finnische Sauna. Auf dem darüber liegenden geschlossenen Deck, das Kapitän Brand als unsere Sky Lounge bezeichnete, überließ er sie einer reizenden jungen Stewardess, die ihr einen Drink aus Mangosaft und Rum in einer ausgehöhlten Kokosnuss anbot, den Chloe begeistert entgegennahm.

Mit einem wohligen Seufzer machte sie es sich auf der hufeisenförmigen Ledercouch bequem. Die umlaufende Fensterfront bot einen fantastischen Blick übers schillernde Meer. Wie lange sie wohl unterwegs waren? Auf jeden Fall würde ein Blick in den Sternenhimmel über dem mondbeschienenen Wasser dieses Highlight noch toppen …

Autor

Michelle Smart
Michelle Smart ist ihrer eigenen Aussage zufolge ein kaffeesüchtiger Bücherwurm! Sie hat einen ganz abwechslungsreichen Büchergeschmack, sie liest zum Beispiel Stephen King und Karin Slaughters Werke ebenso gerne wie die von Marian Keyes und Jilly Cooper. Im ländlichen Northamptonshire, mitten in England, leben ihr Mann, ihre beiden Kinder und sie...
Mehr erfahren