Tausendundeine Nacht mit Dir

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Scheich Rafiq befreit Belle aus den Händen ihrer Entführer und bringt sie in seinem märchenhaften Palast in Sicherheit. Auf den ersten Blick ist die schöne Archäologin fasziniert von dem attraktiven Herrscher des exotischen Inselreichs, kann sich seiner erotischen Ausstrahlung nicht entziehen. Doch so sehr es zwischen ihr und Rafiq knistert, auf eine romantische Liebeserklärung wartet die heiß verliebte Belle vergebens. Stattdessen verlangt Rafiq plötzlich, dass sie ihn heiratet. Eine reine Vernunftehe, weil die Sitten seines Landes es so verlangen ...


  • Erscheinungstag 10.09.2007
  • Bandnummer 1782
  • ISBN / Artikelnummer 9783862957996
  • Seitenanzahl 192
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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Annie West

1. KAPITEL

Verzweifelt konzentrierte Belle sich darauf, nicht in Panik auszubrechen.

Der Boden, auf dem sie lag, war hart und rau. Sie wünschte, sie würde mehr tragen als den dünnen Badeanzug. Das Schaben der eisernen Fesseln an Hand- und Fußgelenken ließ sich aushalten, wenn sie still lag und sich nicht zu viel bewegte.

Dennoch … den bitteren Geschmack von Angst auf der Zunge konnte sie nicht loswerden. Auch nicht die brutalen Bilder, die unablässig vor ihrem geistigen Auge abliefen.

Zitternd sah sie zu Duncan. Ihr Kollege war blass, doch immerhin schlief er. Sie hatte sein verletztes Bein geschient und abgebunden, so gut es ihr möglich gewesen war. Wenigstens war es ihr gelungen, die Blutungen zu stoppen. Mehr konnte Belle nicht für ihn tun.

Beten vielleicht.

In den letzten dreißig Stunden hatte sie kaum etwas anderes getan. Seit ihre Entführer sie auf diesem gottverlassenen Inselflecken in dieser halb verfallenen Holzhütte zurückgelassen hatten.

Gestern war sie auf Erkundung gegangen, auf der Suche nach irgendetwas, das ihnen helfen könnte, von hier zu entkommen. Wäre sie in der Lage gewesen, aufrecht zu gehen, hätte sie diese Insel innerhalb von fünf Minuten umrundet. Ein kahles Atoll, ein paar Palmen und diese Hütte, mehr gab es hier nicht. Absolut nichts.

Belle warf einen Blick zu der Wasserflasche, die die Entführer ihnen dagelassen hatten. Der Inhalt war erschreckend geschwunden. Seit Sonnenaufgang hatte sie nichts mehr getrunken, Duncan brauchte das Wasser nötiger als sie. Die Zunge klebte ihr am Gaumen. Waren sie hier ausgesetzt worden, um zu sterben? Ihr leerer Magen rumorte laut bei dem Gedanken.

Das alles ergab überhaupt keinen Sinn. Nicht die brutalen Kerle, die sie von Bord des Forschungsschiffes entführt hatten, nicht, dass man sie hier zurückgelassen hatte. Duncan und sie waren nicht gerade die typischen Entführungsopfer, keiner von ihnen war reich oder mächtig. Bei der Erforschung des gesunkenen Handelsschiffes aus dem ersten Jahrhundert hatten sie sehr genau darauf geachtet, die hiesigen Sitten und Moralvorstellungen nicht zu verletzen. Jeder in Q’aroum war freundlich und hilfreich zu ihnen gewesen.

Belle kaute an ihrer Lippe und blinzelte die aufsteigenden Tränen fort. Nein, sie würde nicht in Panik ausbrechen, nur weil die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Meeresarchäologen eher verdursten als gerettet würden, relativ hoch war. Das Arabische Meer war groß, und diese Insel war sicher nicht einmal auf einer Karte verzeichnet.

Sie zwang sich, an zu Hause zu denken, an ihre Familie in Australien. Falls sie gerettet wurden, würden ihre Mutter und ihre Schwester sie mit offenen Armen empfangen. Nein, nicht falls. Wenn.

Belle presste die Handballen auf die brennenden Augen. Sie hatte keine Minute geschlafen, die Erschöpfung verlangte ihren Tribut. Das Zittern hörte auch nicht auf, ließ sich einfach nicht kontrollieren.

Mit schwerem Herzen legte sie sich auf die Holzbohlen zurück. Selbst wenn sie keinen Schlaf finden würde, sie musste sich ausruhen. Sie brauchte ihre Kraft.

Das Heulen des Windes weckte sie auf. Die Hütte ächzte im Sturm.

Belle öffnete die Augen und wusste sofort, wo sie sich befand. Und dass sie nicht mehr allein in der Hütte waren.

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, der Atem stockte ihr, als sie einen Mann über Duncan gebeugt sah. Eine Taschenlampe stand auf dem Boden und warf gespenstisches Licht auf das zernarbte Gesicht des Mannes. Er hatte graues Haar, ein Gewehr hing über seiner Schulter, und auf dem Boden neben seinem Stiefel lag ein großer Krummdolch, das Äquivalent eines Bärentöters.

Der Mann streckte die Hand nach Duncans Hals aus. Belle wurde klar, dass sie schnell handeln musste. In seinem Zustand war ihr Kollege unfähig, sich zu wehren.

Ihre steifen Muskeln begehrten gequält auf, als sie sich bewegte. Vorsichtig tastete sie nach dem Dolch und bekam den Griff zu fassen. Der Dolch war schwer, das tödliche Gewicht lag bleiern in ihrer Hand.

Der Eindringling fasste Duncan an die Kehle, und in diesem Moment rappelte Belle sich auf die Knie auf. Die Bewegung, so ungelenk und steif sie war, überrumpelte den Mann. Belle hielt ihm die Schneide des Dolchs an die Kehle.

„Wenn Sie sich rühren, sind Sie tot.“ Ihre Stimme klang rau und heiser.

Einen Moment herrschte absolute Stille. Dann umklammerte plötzlich eine Hand Belles Finger und drückte unerbittlich zu.

„Langsam, kleine Wildkatze“, hörte sie eine tiefe Stimme aus den Schatten. „Wir sind hier, um zu helfen.“

Belle drehte den Kopf, um in funkelnde Augen zu sehen. Jetzt spürte sie auch die Körperwärme des anderen Mannes. Wer immer dieser Mann war, ihn umgab eine Aura von Macht, die sie erschauern ließ.

Der Druck seiner Finger verstärkte sich. Vor Schmerz schrie sie leise auf, der Dolch entglitt ihr, und sofort ließ der Mann ihre Hand los und nahm den Dolch auf. Das Blut schoss zurück in die tauben Finger, Belle biss sich auf die Lippe und zog die Hand an ihre Brust, Tränen von Schmerz, Angst und Frustration in den Augen.

„Es ist alles in Ordnung, Miss Winters“, sagte er. „Wir sind hier, um Sie zu retten.“

Retten! Erschöpft ließ sie sich zurückfallen. Konnte das wahr sein?

Eine warme Hand legte sich auf ihren Arm. „Halten Sie durch, solange wir uns um Ihren Freund kümmern?“

Sie nickte schwach. „Ja, sicher.“

Der Mann sagte etwas in Arabisch zu seinem Begleiter, der noch immer neben Duncan hockte. Jetzt wurde Belle auch klar, dass er nur nach dem Puls hatte fühlen wollen. Unendliche Erleichterung durchflutete sie. Wer immer diese Fremden waren, sie waren tatsächlich zu ihrer Rettung gekommen.

„Hier, trinken Sie.“ Der, der der Anführer zu sein schien, hielt ihr eine Wasserflasche an den Mund. Gierig fasste sie mit beiden Händen danach und trank. Kühles klares Wasser rann ihre trockene Kehle hinunter.

„Nicht zu hastig. Wenn Sie zu viel trinken, wird Ihnen übel.“

Natürlich hatte er recht. Aber sie hatte unendlichen Durst. Und weil er die Flasche festhielt, war es ihr gar nicht möglich, mehr zu trinken.

„Genug“, erklang seine Stimme an ihrem Ohr.

Hätte sie Kraft gehabt, sie hätte sich beschwert. Doch der Angriff auf seinen Begleiter hatte ihre restliche Energie verbraucht. Sie schwankte im Sitzen, und der Fremde griff sofort nach ihren Schultern, um sie zu stützen.

„Tut mir leid“, murmelte sie. „Ich glaube, mein Gleichgewicht funktioniert im Moment nicht besonders gut.“

„Es ist ein Wunder, dass Sie überhaupt bei Bewusstsein sind.“ Seine Stimme klang rau, doch seine Hände waren sanft. „Kommen Sie her.“ Er zog sie an sich, hob sie mühelos auf seine Arme, und für einen kurzen Moment nahm sie Wärme und Stärke und den Duft von Sonne und Salz und Mann wahr, bevor er sie auf eine Decke legte. „Bleiben Sie liegen, solange wir nach Mr. MacDonald sehen.“

„Sie wissen, wie wir heißen?“, brachte sie hervor.

„Es kommt nicht oft vor, dass in Q’aroum jemand entführt wird, erst recht keine Ausländer. Natürlich wissen wir, wer Sie sind. Seit Ihr Bootsmann die Entführung gemeldet hat, wird zu Wasser und zu Lande nach Ihnen gesucht.“

Er strich ihr das verschwitzte Haar aus der Stirn, und Belle schloss die Lider. Lächerlich, aber diese fürsorgliche Geste trieb ihr die Tränen in die Augen.

„Ruhen Sie sich aus“, sagte er noch, bevor er von ihr wegtrat.

Alles tat ihr weh, in ihrem Kopf hämmerte es, ihre Kehle brannte vor Durst, und sie wusste, sie war am Ende ihrer Kräfte. Doch diese rauen, warmen Hände, die sie bei den Schultern gehalten hatten, flößten ihr wieder Hoffnung ein. Hoffnung und Zuversicht. Sie rief sich die Stimme des Mannes in Erinnerung – tief und samten. Diese Stimme war ihr durch und durch gegangen, hatte etwas an ihrer Weiblichkeit berührt, trotz der prekären Lage, in der sie sich befand.

Wenn das alles nur eine Halluzination kurz vor dem Tod war, dann würde sie in Frieden ins Jenseits hinübergleiten.

Sie musste wohl eingenickt sein, denn als sie die Augen wieder aufschlug, beleuchtete eine zweite Taschenlampe den engen Raum. Der Wind hatte aufgefrischt, Palmwedel schlugen auf das Dach der Hütte. Die Männer verarzteten Duncan und legten ihm geschickt einen Verband an, im Licht konnte Belle erkennen, dass sie beide eine Art Tarnuniform und klobige Stiefel trugen. Soldaten? Oder Söldner? Im Moment war Belle das gleich, solange sie und Duncan nur gerettet wurden. Der Mann mit den grauen Haaren trat jetzt ein Stück beiseite und gab den Blick auf den Anführer frei.

Belle stockte der Atem. Ein Pirat war zu ihrer Rettung geeilt!

Das musste die Erschöpfung sein, die ihr einen Streich spielte! Sie blinzelte, aber das Bild schwand nicht.

Sein schwarzes Haar war glatt zurückgekämmt, er hatte das Gesicht eines Kämpfers – harte, entschlossene Züge. Obwohl er grimmig dreinschaute, besaß er das atemberaubendste Gesicht, das Belle je gesehen hatte: eine gerade Nase, ein markantes Kinn, tiefe Falten, die sich an seinen Mundwinkeln eingegraben hatten. Jeder Zentimeter zeigte Entschlossenheit … außer der volle Mund, der sinnliche Freuden verhieß.

Das Licht der Lampe fing sich in einem schweren goldenen Ohrring, als der Mann sich jetzt bewegte. Und Belle erkannte auch, dass er die Haare zu einem langen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Nein, er war ganz bestimmt kein Militär.

Abrupt hob er den Kopf und ertappte sie bei ihrer ungenierten Musterung. Für einen langen Moment starrten sie einander an. Lange genug, dass Belle glaubte, einen wissenden Ausdruck in seinen Augen zu erkennen.

Er sah sie an wie ein Freibeuter auf Raubzug.

In diesem Moment sagte er etwas zu seinem Begleiter, der sich sofort anschickte, ihr zu trinken zu geben. Sie war froh, dass der Anführer den Blick abwandte. Sie stützte sich auf einen Ellbogen auf und trank langsam, ermuntert von dem Mann mit dem zernarbten Gesicht.

Himmel, sie musste geschwächter sein, als sie angenommen hatte! Einer ihrer Retter glich der typischen Figur aus einem Gangsterfilm, und der andere hätte ihrer Meinung nach einem Märchen aus Tausenundeiner Nacht entsprungen sein können.

Sie gab die Wasserflasche zurück und ließ den Kopf wieder auf die Decke sinken, mit dem beruhigenden Gedanken, dass sie in ein paar Stunden schon im Scheichtum Q’aroum zurück sein und die modernste medizinische Versorgung erhalten würde.

Die beiden Männer packten den Erste-Hilfe-Kasten zusammen, Duncan war nicht aufgewacht.

„Wie geht es ihm?“ Das verräterische Zittern in ihrer Stimme ließ den Freibeuter den Blick auf sie richten.

„Ein komplizierter Bruch“, kam die Antwort. „Er hat viel Blut verloren. Doch im Krankenhaus sollte er sich bald erholen.“ Er kniff nachdenklich die Augen zusammen. „Bei ihm sind keine Zeichen von Dehydration zu erkennen. Sie haben sich gut um ihn gekümmert.“

Um sich selbst allerdings weniger, schien sein Blick zu sagen. Aber was hätte sie denn tun sollen? Duncan da so einfach liegen und verdursten lassen?

„Schläft er, oder ist er bewusstlos?“, erkundigte sie sich. Sie hatten ihm das Bein verbunden, das musste doch sehr schmerzhaft gewesen sein.

„Wir haben Ihrem Kollegen ein starkes Schmerzmittel gegeben, das setzt ihn wohl für eine Weile schachmatt. Es ist besser für ihn, wenn er den Transport nicht mitbekommt.“

Belle nickte. Trotzdem würde sie erleichtert sein, Duncan wieder bei Bewusstsein zu sehen. Seit zwei Tagen war er immer nur für kurze Zeit aus dem Dämmerzustand aufgewacht.

Mit schweren Lidern beobachtete sie, wie die beiden Männer auf Arabisch irgendetwas diskutierten. Der Ältere, der mit der Narbe, zeigte auf Duncan, während der Wind immer stärker an der verfallenen Hütte rüttelte. Dann schien die Beratung zu Ende zu sein, der Jüngere sagte etwas in entschiedenem Ton, und beide Männer drehten sich zu der Tür.

Sie arbeiteten zusammen, der Ältere methodisch, der Jüngere mit kraftvollen, geschmeidigen Bewegungen. Es dauerte nur wenige Minuten, und die Tür war aus den Angeln gehoben. Ohne auf den wirbelnden Sand zu achten, der durch die Öffnung hereinwehte, legten sie die Tür neben Duncan auf dem Boden ab.

Natürlich, das war die Trage für ihn. Es wurde Zeit, dass sie sich bereit machte. Mühsam versuchte Belle, sich aufzurichten. Sie verzog das Gesicht, als die Fußfesseln über ihre wunde Haut schabten. Bis sie auf den Knien lag, war sie atemlos. Der Schmerz in Hand- und Fußgelenken war unerträglich.

„Was tun Sie da?“ Die tiefe Stimme klang gefährlich leise und jagte Belle einen Schauer über den Rücken. Sie sah auf und fand den Piraten direkt vor sich stehen, den vollen Mund zu einer dünnen Linie zusammengepresst, die Stirn gerunzelt.

„Ich stehe auf, damit wir gehen können. Was denn sonst?“

„Nein, noch nicht.“

„Aber ich …“

„Wir werden Mr. MacDonald zu zweit zum Boot tragen müssen. Ich kann ihn nicht tragen und mich gleichzeitig um Sie kümmern.“

„Um mich braucht sich niemand zu kümmern!“ Sie würde es allein bis zu diesem Schiff schaffen, sie wollte nichts anderes, als so schnell wie möglich von diesem gottverlassenen Felsen wegkommen! Nach dem, was sie hinter sich hatte, würde der Weg zum Strand ein Sonntagsspaziergang werden. Bevor sie dieses Gefängnis hier nicht verlassen hatte, würde sie sich nicht in Sicherheit fühlen.

Er hockte sich vor sie hin, so nah, dass sie seine Körperwärme spürte. Sein Rücken verdeckte das Licht der Taschenlampe, deshalb konnte sie sein Gesicht nicht genau erkennen, aber sie fühlte seinen Atem auf ihren Wangen, und sein Duft stieg ihr in die Nase.

Irgendwo tief in ihrem Innern rührte sich etwas.

„Sie sind verletzt, Miss Winters“, sagte er geduldig. Nun, fast geduldig. „Sie haben alles getan, was Ihnen in Ihrer Lage möglich war. Lassen Sie uns den Rest übernehmen.“

Es machte durchaus Sinn. Selbst für jemanden, der so verzweifelt von hier wegkommen wollte wie sie. Also nickte sie stumm.

„Gut.“ Er griff nach der Decke und wickelte sie ihr um die Schultern, als Schutz gegen die wirbelnden Sandkörner. Belle zuckte zusammen, als sie den Stoff an den aufgerissenen Hautstellen fühlte.

„Ich lasse Ihnen eine Taschenlampe hier.“ An der Tür drehte er sich um. „Ich komme gleich zurück.“

Damit verschwanden die beiden Männer mit Duncan auf der Trage in die tosende Dunkelheit.

Allein in der Hütte, hatte Belle Zeit sich zu fragen, wer die beiden sein mochten. Oder besser, wer er war. Der Mann, dessen Stimme einer Liebkosung gleichkam. Wäre da nicht dieser Hauch eines Akzents, könnte man ihn für einen Engländer halten. Einen Engländer aus gutem Hause. Doch seinem Äußeren nach zu urteilen war er eindeutig Araber.

Nicht, dass man Q’aroum als typisch arabischen Staat bezeichnen konnte. Stolz auf die Unabhängigkeit bedacht, war der Inselstaat im Arabischen Meer seit Jahrhunderten Freibeutern und Abenteurern aus dem Mittleren Osten, Afrika und anderen Staaten Heimat gewesen.

Seine stolze Haltung, sein energischer Gang ließen ihn wirken wie einen Mann, der sich von niemandem etwas befehlen ließ. Er erinnerte sie an die Prinzen aus längst vergangenen Zeiten. Oder an einen wilden Korsaren.

Es wurde dringend Zeit, ihrer Fantasie Einhalt zu gebieten! Belle zog sich die Decke enger um die Schultern. Wenn sie doch nur das Heulen des Sturms ausblenden könnte! Aus Erfahrung wusste sie, dass das hier nicht nur ein simples Gewitter war, nein, es war der Vorbote für wirklich hundsmiserables Wetter. Und bevor das zuschlug, würde sie gern auf der Hauptinsel zurück sein.

Es dauerte einen Moment, bevor ihr klar wurde, dass ihr Pirat wieder zurück war. Seine Schritte hatte der Sturm verschluckt. Er blieb in der Tür stehen, seine Miene regungslos, aber Belle spürte, dass etwas nicht stimmte.

„Was ist denn?“ Die Angst war zurück, schnürte ihr die Kehle zu, ließ ihren Mund trocken werden. Die Taschenlampe leuchtete auf sein Gesicht, doch dieses Mal wirkte der Anblick nicht beruhigend auf Belle.

Er kam in die Hütte hinein, kreuzte die Beine und ließ sich in einer fließenden Bewegung vor Belle auf dem Boden nieder. „Es gibt da eine kleine Komplikation bei unserem Plan.“

Belle schluckte. Sie wollte nichts von Komplikationen hören. Aber sie blickte in seine Augen und versuchte sich von seiner Kraft beruhigen zu lassen. Sie war nicht mehr allein. Alles andere würde sie jetzt auch schaffen. „Welche?“, fragte sie nach.

„Dawud und ich sind mit einem Schlauchboot hergekommen“, ließ er sie wissen. „Es ist ein kleines Boot.“

Sie nickte ungeduldig. Sie wusste, wie Schlauchboote aussahen.

„Ich meine, wirklich klein. Zu klein für vier Leute, vor allem, da Mr. MacDonalds Trage der Länge nach darauf festgeschnallt ist.“

„Ich verstehe.“ Die Enttäuschung kam mit solcher Wucht, dass sie am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre. Absolut albern. Sie brauchten nichts anderes zu tun, als auf Dawuds Rückkehr zu warten. Geduld, Belle. Nur noch ein bisschen länger. „Dann werden wir eben warten, bis Dawud zurückkommt.“

Er zögerte, bevor er den Kopf schüttelte. „Ich fürchte, ganz so einfach ist das nicht.“

Das mulmige Gefühl durchfuhr sie von Kopf bis Fuß. Unwillkürlich sank sie tiefer in den Schutz der Decke zurück.

„Ein Sturm kommt auf uns zu.“ Seine Stimme klang ungerührt und sachlich. „Ein Zyklon.“

Belle ballte die Hände zu Fäusten, bis die Fingerknöchel weiß hervortraten, und zwang sich, nicht zu zittern.

„Dawud ist unterwegs. Er müsste den Hafen erreichen, bevor es zu gefährlich wird. Aber es wäre Selbstmord für jeden, der versuchen sollte, heute Nacht noch zurückzukommen.“ Der Korsar musterte sie, als suche er nach Anzeichen der Schwäche. „Wir sitzen hier fest, bis der Wirbelsturm vorübergezogen ist. Das kann vierundzwanzig Stunden dauern.“

Vierundzwanzig Stunden. Eine Ewigkeit. Und sollte der Zyklon dieses Inselchen heimsuchen, reichlich Zeit zum Sterben.

Die Enttäuschung verursachte Belle Übelkeit. Und sie hatte geglaubt, sie sei gerettet. Aber zumindest war Duncan nun in Sicherheit.

Sie starrte den Mann vor sich an. Sein Blick war undurchdringlich, und seine Miene verriet absolut nichts, auch wenn Angst oder Verzweiflung in einer solchen Situation nur verständlich gewesen wären. Jene Angst, die sie selbst verspürte und die ihre Glieder erstarren ließ.

Doch etwas an seiner Haltung, wie er die breiten Schultern reckte und die Hände auf seine Knie stützte, sagte ihr, dass dieser Mann auf alles vorbereitet war. Auch auf eine hysterische Frau.

Mühsam nahm sie sich zusammen und verdrängte die Angst. Als Kind hatte sie tropische Wirbelstürme am Great Barrier Reef miterlebt, sie wusste, welchen verheerenden Schaden sie anrichten konnten. Unwillkürlich sah sie zu dem klappernden Hüttendach auf. „Wie können wir uns darauf einstellen?“

Der Pirat deutete auf die Decke, die noch immer schützend um ihre Schultern lag. „Wenn Sie erlauben …“ Als sie nickte, schlug er sie etwas zurück und hielt die Taschenlampe auf ihre bloßen Füße gerichtet. Sie waren voller Sand und blutverkrustet. Um die Gelenke zog sich ein roter Ring, dort, wo die Fesseln die Haut abgeschabt hatten. Belle unterdrückte den lächerlichen Drang, ihre Füße zurückzuziehen.

Im dämmrigen Schein der Lampe betrachtete sie sein Gesicht, während er ihre Verletzungen untersuchte. Sein Kinn war hart vorgeschoben, seine Wangenmuskeln arbeiteten. Die Luft zwischen ihnen schien wie elektrisch aufgeladen. Etwas strahlte in großes Wellen von ihm aus.

Ärger? Weil er sich in dem herannahenden Sturm auch noch um sie kümmern musste? Sie zog sich noch tiefer in die schützende Decke zurück. Ihr Instinkt warnte sie, bei diesem Mann Vorsicht walten zu lassen. Was verrückt war. Ein Fremder riskierte sein Leben, um sie zu retten. Sie musste ihm vertrauen. Was sollte sie schon von ihm zu befürchten haben?

„Sollten Sie nicht besser erst meine Hände von den Fesseln befreien?“ Dann konnte sie mithelfen, die Hütte zu sichern, und wäre auch weniger abhängig von ihm. Sie würde sich sehr viel wohler fühlen, wenn sie sich selbst helfen konnte.

„Es ist wichtiger, dass Sie die Beine frei bewegen können.“

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