Tiffany Exklusiv Band 65

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NIE MEHR BRAV! von BOND, STEPHANIE
Im altehrwürdigen "Chandelier House" hat sich einiges verändert: Man hat der schönen Direktorin Cindy Warren einen Prüfer geschickt - inkognito! Sie ahnt nicht, dass ihr Feind der gut aussehende, charmante Hotelgast Eric ist, der sie mit seinem Sex-Appeal so nervös macht …

GEFESSELT VON DIR von COLLINS, COLLEEN
Plötzlich brennt Kathryn lichterloh für Wolf Sullivan - und ihm geht es auch so! Bisher waren sie nur gute Kollegen, aber auf einmal sind da kühne Spiele, heiße Dates und hemmungsloser Sex … Liegt es nur an dem mysteriösen Lusttrank, der ihnen in die Hände gefallen ist?

HÄNDE HOCH - ODER ICH KÜSSE! von JAMESON, BRONWYN
Auf ihrer australischen Ranch taucht ein reicher New Yorker auf, der alles hat, wovon die blonde T.C. immer geträumt hat: Nick ist attraktiv, charmant, schlagfertig - und er küsst umwerfend! Aber bevor T.C. zu hoffen beginnt, muss sie wissen, was Nick hier will!


  • Erscheinungstag 04.09.2018
  • Bandnummer 0065
  • ISBN / Artikelnummer 9783733752989
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Stephanie Bond, Colleen Collins, Bronwyn Jameson

TIFFANY EKLUSIV BAND 65

1. KAPITEL

Mit einer Hand hielt die Friseurin das lange dunkle Haar hoch über Cindy Warrens Kopf, mit der anderen die Schere. „Sind Sie sich sicher, Ma’am? Soll ich es wirklich tun?“

Cindy nagte unsicher an ihrer Unterlippe. Langes Haar war unkompliziert. Und man kann sich dahinter verstecken, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf.

Der alte Jerry, der ein paar Schritte weiter hinter einem Frisiersessel stand, räusperte sich bedeutungsvoll und schob die Weihnachtsmannmütze auf seinem Kahlkopf zurück. Der schwarze Barbier, eine Institution im „Chandelier House“, lehnte es kategorisch ab, seine Kunst an Frauenköpfen auszuüben. Jerrys subtiler Kommentar wurmte Cindy. Es war schließlich ihr Haar, oder?

Sie las das Namensschild der jungen Friseurin. „Sagen Sie, Bea, wie lange arbeiten Sie schon in unserem Salon?“

„Mit heute sind es vier Tage, Ma’am. Vor genau zwei Wochen habe ich an der Friseur-Fachschule meine Abschlussprüfung gemacht.“

„Aha.“ Cindy verdaute die Information, während Jerry seinen Kunden auf dem Sessel herumwirbelte, damit sie beide die Aktion verfolgen konnten. „Also, eine Veränderung ist jedenfalls fällig“, sagte Cindy entschlossen. „Langes Haar wirkt in meinem Alter einfach lächerlich.“

„Hör sich das einer an“, bemerkte Jerry.

„Was ist an langem Haar auszusetzen?“, fragte sein Kunde.

Cindy warf seinem Spiegelbild einen Blick zu, und ihr stockte der Atem. Der Mann sah unverschämt gut aus. Markantes Gesicht, leuchtend blaue Augen, dunkles, welliges Haar. „Wie bitte?“

„Ich habe gefragt, was an langem Haar auszusetzen ist“, wiederholte er, und seine Augen funkelten belustigt.

Sie unterdrückte das aufwallende Gefühl von Erregung und entgegnete kühl: „Ich sehe damit wie eine Studentin aus.“

„Die meisten Frauen wären glücklich darüber“, meinte der Kunde und schlug seine Beine übereinander, die lang unter dem grauen Frisiercape herausragten.

Erst jetzt bemerkte Cindy, wie groß er war. Sie wandte ihren Blick hastig ab und erwiderte knapp: „Diese Frau ist es jedenfalls nicht.“

Jerry sagte in verschwörerischem Ton zu seinem Kunden: „Sie will jemanden beeindrucken.“

„Jerry!“ Cindy zog warnend die Augenbrauen hoch.

Der Kunde nickte Jerry wissend im Spiegel zu. „Einen Mann?“

„Natürlich.“ Jerry nahm seinem Kunden das Cape ab und enthüllte ein weißes Oberhemd und burgunderrote Hosenträger.

„Jerry, das reicht!“

„Ihren Freund?“, fragte der Mann.

„Nee. Für so was hat Miss Cindy keine Zeit. Sie arbeitet Tag und Nacht.“

„Wirklich? Tag und Nacht?“ Der Mann machte ein mitfühlendes Gesicht. „Wen will sie dann beeindrucken?“

„Irgend so einen Unternehmensfritzen“, sagte Jerry, während er mit einem Pinsel den Hemdkragen und die breiten Schultern des Mannes abfegte.

„Jerry, ich habe noch nie in meinem Leben jemanden beeindruckt!“ Cindy wurde plötzlich klar, was sie da gesagt hatte. „Ich meine, ich habe mich noch nie bemüht, jemanden zu beeindrucken“, korrigierte sie sich ärgerlich.

Der alte Barbier ignorierte sie. „Der Bursche kommt nächste Woche, um das Hotel zu überprüfen. Und auch Miss Cindy, schätze ich.“

„Warum sollte er Miss Cindy überprüfen wollen?“ Der Mann sah kurz in Cindys Richtung. „Von den offensichtlichen Gründen mal abgesehen …“

„Weil sie den ganzen Laden schmeißt“, sagte Jerry.

Sein Kunde war beeindruckt. „Tatsächlich?“

„Ja“, sagte Cindy und erdolchte Jerry förmlich mit ihrem Blick.

„Ma’am?“, meldete Bea sich, deren Hände bereits zitterten.

„Lassen Sie’s nicht abschneiden“, sagte Jerrys Kunde.

„Wenn es nach den Männern ginge, würden alle Frauen mit Haaren bis zu den Knien rumlaufen.“ Cindy wollte sich nicht umstimmen lassen.

„Genau.“ Jerry und sein Kunde wechselten einen viel sagenden Blick.

„Ma’am“, flehte Bea, „meine Arme machen gleich schlapp.“

„Schneiden Sie’s ab. Das wird mein Weihnachtsgeschenk an mich selbst.“

„Als Bestrafung, weil Sie ungezogen waren?“, fragte der Mann.

„Als Bestrafung, weil sie nett war“, berichtigte ihn der Barbier.

Cindy reichte es jetzt. „Los. Schneiden Sie“, befahl sie.

„Tun Sie’s nicht“, sagte der Kunde eindringlich.

„Ab damit!“, konterte Cindy energisch. „Schneiden Sie Stufen rein. Machen Sie eine neue Frau aus mir.“

Der Kunde und Jerry tauschten einen besorgten Blick.

„Nun machen Sie schon, Bea. Bringen wir’s hinter, uns.“ Cindy fühlte sich unwohl.

Bea schluckte hörbar, setzte die Schere an und kniff ihre Augen zu.

Plötzlich bekam Cindy Panik. „Warten Sie!“, rief sie in dem Moment, als die Schere zuschnappte. Bea öffnete die Augen und starrte auf ihre Hand.

Der Kunde verzog sein Gesicht und Jerry grunzte schmerzvoll, als die Friseurin dreißig Zentimeter abgetrennten Haars hochhielt. Cindy erstickte ihr Entsetzen und ermunterte die frisch gebackene Friseurin, fortzufahren.

Sie hoffte, dass Bea länger bleiben würde als ihre diversen Vorgängerinnen. Da die weibliche Belegschaft sich weigerte, zum Friseursalon des Hotels überzuwechseln, wollte Cindy mit gutem Beispiel vorangehen. Aber als Bea zwanzig Minuten später zurücktrat, um ihre Kreation im Spiegel zu begutachten, verstand Cindy, weshalb keine der Angestellten sich den ungeübten Hotel-Friseurinnen anvertraute.

„Du liebe Güte“, murmelte Jerry geschockt.

Sein Kunde stieß einen leisen Pfiff aus. „Ein Jammer.“

„Sie finden es fürchterlich, nicht?“, fragte Bea verzagt.

„Nein“, versicherte Cindy ihr eilig. „Nein, es ist …“ Sie hob die Hand, brachte es aber nicht fertig, ihre stumpf abgeschnittenen Haare zu berühren, die ihren Kopf wie eine lange Wollmütze umhüllten. „Ich muss mich nur dran gewöhnen, das ist alles.“ Sie setzte ein strahlendes Lächeln auf.

„Glauben Sie, er wird beeindruckt sein?“, fragte der Mann Jerry.

„Bestimmt. Falls er in der Lage ist, ihre Frisur zu ignorieren.“

„Ich kann gut auf diese Kommentare verzichten“, zischte Cindy. Sie zog das Cape von ihren Schultern und stand hastig auf. Jerry konnte sie verkraften, aber dieser arrogante Hotelgast trampelte ihr auf den Nerven herum, die in dieser hektischen Vorweihnachtszeit sowieso schon angegriffen waren.

Der Kunde stand ebenfalls auf, und in ihrer Eile, aus dem Salon zu kommen, rutschte Cindy auf einem Häufchen ihres Haars aus und schlitterte mit rudernden Armen wie eine Aufziehpuppe über den Marmorboden. Der Gast fing sie geistesgegenwärtig auf. Cindy sah sekundenlang in seine funkelnden blauen Augen, dann löste sie sich aus seinem Griff. „Danke“, murmelte sie. Ihr Gesicht brannte.

„Der Haarschnitt muss Sie aus dem Gleichgewicht gebracht haben“, bemerkte er mit einem spöttischen Lächeln.

Cindy kam sich vor wie eine komplette Idiotin. Ohne ein Wort schnappte sie sich ihre grüne Uniformjacke, gab der verzweifelten Bea ein großzügiges Trinkgeld und schritt so würdevoll wie möglich zum Ausgang. Bloß keine große Sache aus dieser peinlichen Episode machen. Alles halb so wild. Dieser irritierende Mann war schließlich nur ein Hotelgast auf der Durchreise. Und Manny würde schon wissen, wie man ihre Frisur retten konnte.

„Ach du liebe Zeit.“ Manny beugte sich mit aufgerissenen Augen über seinen Schreibtisch. „Sag, dass es eine Perücke ist, Cindy.“

„Es ist eine Perücke.“ Cindy musste lachen. Manny hatte eine einmalige Art, sie aufzuheitern. Überhaupt war Manny Oliver einmalig, als Freund und als Mitarbeiter. Seine Einstellung als Empfangschef war ein absoluter Glücksgriff gewesen. Er sah gut aus, war höflich, hilfsbereit und geistreich. Und kochen konnte er auch. Cindy seufzte. Warum waren alle guten Männer immer schwul?

Manny zupfte an ihrem Haar. „Du warst bei Bea, der Metzgerin, stimmt’s?“

„Du weißt über sie Bescheid?“

„Ich musste eine verzweifelte Frau, die gestern unter Beas Schere geraten ist, mit einem Gratis-Dinner trösten.“

Cindy stöhnte. „Warum hast du mir nichts davon gesagt?“

„Du weißt, dass ich dich nicht mit Kleinigkeiten belästige. Was hast du dir bloß dabei gedacht, dein schönes Haar abschneiden zu lassen?“

„Ich wollte bei der weiblichen Belegschaft für unseren Salon werben.“

„Und du bist in der Tat eine ausgezeichnete Reklame.“

Cindy zog eine Grimasse. „Also – kann man was retten?“

„Klar. Unten am Knab Hill ist dieser entzückende kleine Hutladen.“

„Manny!“

„Tut mir leid, Boss. Also, ich hab um eins Schluss. Dann können wir uns in deiner Suite treffen. Das Werkzeug bring ich mit.“

„Prima.“ Cindy ließ ihren Blick durch die Lobby schweifen und senkte die Stimme. „Sag mal, hast du jemanden gesehen, der ein getarnter Schnüffler sein könnte?“

„Kein Trenchcoat weit und breit“, flüsterte er mit Verschwörermiene. Als Cindy grinste, fügte er hinzu: „Wieso glaubst du, dieser Stanton könnte früher kommen, um uns inkognito zu beobachten?“

„Ich an seiner Stelle würde das tun.“

„Dumm, dass wir nicht wissen, wie er aussieht.“

„Ja, wirklich dumm.“ Wieder sah Cindy sich unauffällig um. „Und wie gesagt, er könnte verkleidet sein. Halte also bitte nach jemandem Ausschau, den man am wenigsten für den Abgesandten unserer Bosse halten würde.“

In dem Moment schlenderten zwei Männer in der Kostümierung von Captain Kirk und Mr. Spock vorüber. Manny sah Cindy bedeutungsvoll an.

„Okay“, räumte sie ein, „es dürfte schwierig sein, hier einen Spion auszumachen. Aber trotzdem. Halt die Augen offen. Wir sehen uns dann nachher beim Meeting.“ Sie setzte ihren Weg durch die Lobby fort und lächelte den Angestellten zu, deren entsetzte Blicke auf ihre Frisur ihr nicht entgingen. Eine Gruppe Arbeiter war damit beschäftigt, an der Wand hinter der Rezeption Tannengirlanden anzubringen, und fast hundert übertrieben gestylte Frauen, die an einer Kosmetikerinnen-Tagung teilgenommen hatten, standen Schlange um auszuchecken.

Cindy steuerte auf Amy zu, die zuständige Managerin für die Zimmerbelegung. „Wie läuft’s?“

„Gut“, antwortete die schlanke Brünette und hob sofort eine Hand an ihre Stirn. „Abgesehen von diesen rasenden Kopfschmerzen.“

Cindy musste sich zur Anteilnahme zwingen, denn bei all ihrer Tüchtigkeit waren Amys hypochondrische Neigungen legendär. „Es wird an den Parfümschwaden liegen“, sagte sie sanft und deutete mit dem Kopf zu der Warteschlange hinüber.

„Na ja, ich werd’s überleben“, seufzte Amy. „Sobald die Kosmetikerinnen hier raus sind, haben wir eine volle Stunde, bevor die Trekkies über uns herfallen. Die Teilnehmer an der Star-Trek-Tagung. Na, die Fernsehserie“, fügte sie erklärend hinzu, als sie Cindys fragenden Blick bemerkte.

„Oh. Möge die Kraft mit dir sein“, sagte Cindy salbungsvoll.

„Falsche Tonart, Cindy.“

Cindy musste über Amys anklagenden Blick lachen. „Ich habe vor dem Meeting noch genau dreiunddreißig freie Minuten. Kann ich dir irgendwas abnehmen?“

Amy lächelte dankbar und holte ein Klemmbrett unter dem Tresen hervor. „Es gibt einige Beschwerden.“ Sie tippte auf die angeheftete Zimmerliste. „Zimmer 620 möchte einen besseren Blick, Nummer 916 will einen Fernseher ohne den Kanal für Sexfilme, und der Gast in Zimmer 1010 wünscht ein Raucherzimmer mit einem Kingsize-Bett. Das wär’s.“

„Welche Alternativen können wir anbieten?“

„Keine.“

„Also ein persönliches Gespräch“, bemerkte Cindy trocken und nahm das Klemmbrett.

Amy grinste. „Viel Erfolg.“

„Danke.“

„Übrigens“, Amy blinzelte, „was ist mit deinem Haar passiert?“

Cindy runzelte die Stirn. „Wir sehen uns dann beim Meeting.“

Auf ihrem Rückweg durch die Lobby registrierte Cindy mit geübtem Blick jedes Detail. Der Marmorfußboden war auf Hochglanz poliert, die Sitzbereiche mit den antiken Möbeln und den gepolsterten Sofas strahlten eine gepflegte Gemütlichkeit aus, und die alten goldgerahmten Spiegel an den Säulen reflektierten fleckenlos die gedämpften Lichter der Halle. Die Angestellten waren vollauf beschäftigt, vom Pagen bis zu den Reinigungskräften. Gäste strebten dem Ausgang zu, entspannte Urlauber, die den sonnigen Tag genießen wollten.

Cindy unterdrückte einen Seufzer. Bis Weihnachten waren es nur noch knapp zwei Wochen, und während alle Welt Geschenke einkaufte und sich auf die Feiertage freute, hatten sie und ihr Stab in dieser betriebsamsten Zeit des Jahres noch viele zermürbende Stunden vor sich. Und als Krönung des Ganzen schickte ihnen die Zentrale nun auch noch diesen Mann von einer Unternehmensberatungsfirma, der ihr über die Schulter sehen sollte. Durch ihre internen Kontakte wusste Cindy, dass Stanton ein kalter Rechner war, berüchtigt für seine rigorosen Sanierungsprogramme. Und die Tatsache, dass er kam, verhieß nichts Gutes für die Zukunft des „Chandelier House“. Ein zugeknöpfter Manager-Fiesling würde den leicht verrückten Touch ihres Stabes sicher nicht zu schätzen wissen.

Da vor dem Fahrstuhl zahlreiche Gäste warteten, nahm Cindy die Treppe im vorderen Bereich der Lobby. Während ihres Aufstiegs über die breiten teppichbelegten Stufen ließ sie ihren Blick über die Lobby schweifen. Ein grandioser Anblick aus der Vogelperspektive. Ein enormer Kronleuchter, Wahrzeichen und Namensgeber von „Chandelier House“, beherrschte das Bild. In der Erinnerung an ihren Großvater und seine köstlichen Geschichten aus der Glanzzeit des Hotels zwinkerte Cindy dem prachtvollen Stück zu. Unten in der Halle entdeckte sie im Gewusel der Gäste und Angestellten die Dekorateure, die ihre Arbeit an der Rezeption beendet hatten und nun die Wände und Säulen weihnachtlich schmückten.

Die geschäftige vorweihnachtliche Atmosphäre übertrug sich auf Cindy, und sie setzte ihren Weg in gehobener Stimmung fort. Wie in den vergangenen Jahren auch, würde sie diese turbulenten zwei Wochen überstehen. Ein neuer Anfang lag in greifbarer Nähe. Eine frische unbeschriebene Seite. Ein viel versprechendes Jahr für das „Chandelier House“, ein besseres Verhältnis zu ihrer Mutter und vielleicht sogar der ganz besondere Mann.

Cindy lächelte ironisch. Warum sollte man sich mit einem einzigen Weihnachtswunder zufrieden geben?

Am Ende der über drei Stockwerke führenden Treppe angelangt, nahm sie einen Fahrstuhl zum sechsten Stock und klopfte bei Zimmer 620. Ein untersetzter Mann in den Fünfzigern, der mit seinen dicken Brillengläsern wie eine Eule aussah, öffnete. Er hatte sich einen Schreibblock unter den Arm geklemmt und hielt zu Cindys Befremden die antike Schreibtischlampe in der Hand.

Cindy hob nur kurz die Augenbrauen und stellte sich dann vor. „Man sagte mir, dass Sie ein Zimmer mit einem besseren Blick auf die Stadt wünschen. Ich kann Ihnen eine Suite anbieten, die allerdings erheblich teurer ist.“

Der Mann polterte ärgerlich los, aber Cindy blieb ruhig und höflich. Schließlich brummte die Eule, dass das Zimmer in Ordnung sei, und knallte die Tür zu. Kopfschüttelnd ging Cindy zum Fahrstuhl. Der Bursche schien an Verstopfung zu leiden. Sie würde ihm zum Frühstück einen Kopenhagener mit Backpflaumenfüllung bringen lassen, mit den besten Empfehlungen der Direktion. Sie fuhr drei Etagen höher.

Das Paar in Morgenmänteln von Zimmer 916 klärte ein Missverständnis auf. Sie hatten sich nicht beschwert, weil sie Zugang zum Sexfilm-Kanal hatten, sondern weil sie diesen Sender nicht kostenlos empfangen konnten.

Das sei leider nicht möglich, erklärte Cindy. Aber selbst wenn sie ein paar Dollar pro Film bezahlten, wäre das noch immer eine relativ billige Abend-Unterhaltung in San Francisco.

Zwei von dreien wären erledigt, dachte sie erleichtert, als sie auf dem Weg zu Zimmer 1010 war. Verglichen mit dem, was sie normalerweise zu regeln hatten, waren die heutigen Beschwerden Lappalien. Während sie den langen Korridor hinunterging, ärgerte sie sich zum x-ten Mal über den alten rotbraunen Teppich mit dem scheußlichen Blumenmuster. Bei der nächsten Gelegenheit würde sie bei der Unternehmensleitung neue Teppiche für sämtliche Etagen beantragen.

Sie klopfte an die Tür des Gastes, der ein Raucherzimmer wollte, und Sekunden später stand der attraktive Fremde aus dem Friseursalon vor ihr – barfuß. Sein Lächeln enthüllte ebenmäßige weiße Zähne, und um seine Augenwinkel bildeten sich feine Fältchen. Ende dreißig, schätzte Cindy und versuchte, seine imposante Maskulinität zu ignorieren.

„So trifft man sich wieder“, sagte er warm.

„Ja“, murmelte sie und hätte sich am liebsten ihre Jacke über den Kopf gezogen. Sie warf einen Blick auf ihr Klemmbrett. „Mr. Quinn?“

„Eric Quinn.“ Er streckte ihr die Hand hin.

Sie erwiderte seinen festen Händedruck. „Ich bin Cindy Warren, Mr. Quinn. Ich …“

„Sie schmeißen diesen Laden. Ich erinnere mich.“

Das Blut schoss ihr ins Gesicht. „Ich bin die leitende Managerin, und ich bin wegen Ihres Wunsches nach einem anderen Zimmer hier.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich lässig gegen den Türrahmen. „Sie kümmern sich persönlich um die Wünsche der Gäste, Miss Warren?“

„Nur manchmal. Ich …“

„Dann fühle ich mich sehr geschmeichelt.“

Er sieht einfach zu gut aus, dachte Cindy. Und er ist sehr von sich eingenommen. „Das müssen Sie nicht, Mr. Quinn“, entgegnete sie kühl. „Ich bin nur aushilfsweise eingesprungen. Was Ihren Wunsch betrifft, wir haben ein Raucherzimmer frei. Allerdings mit einem normalen Doppelbett.“

Mr. Quinn runzelte die Stirn und rieb sich das Kinn.

Kein Ring, stellte Cindy fest, und im nächsten Moment fragte sie sich, ob sie noch ganz bei Trost war. Erstens bedeutete das Fehlen eines Rings noch lange nicht, dass der Mann zu haben war. Und zweitens, sie wäre die Letzte, die sich mit einem Gast einlassen würde. Mit einem Gast, der sie maßlos verwirrte, und das in der chaotischsten und sentimentalsten Zeit des Jahres.

Mr. Quinn schüttelte den Kopf. „Nein, ich brauche unbedingt ein Kingsize-Bett. Ich kann eher auf Zigaretten verzichten als auf meinen Schlaf. Ich bin sehr groß.“

Unwillkürlich ließ Cindy ihren Blick über seinen Körper gleiten. Ein Hitzestrom durchschoss sie, ihr Herz klopfte wild. Sie hantierte an dem Klemmbrett herum, ließ wieder und wieder den Metallclip zuschnappen, immer schneller, je schneller ihr Pulsschlag wurde.

Mr. Quinn zuckte mit den Schultern. „Na gut, dann bleibe ich halt hier.“

Cindy antwortete mit einem schmerzvollen „Au!“ Denn ihre Hand war abgerutscht, und der Metallclip kniff in ihre Finger.

Mr. Quinn befreite ihre eingeklemmten Finger. „Sie bluten“, sagte er.

„Es ist nichts“, brachte sie zwischen zusammengepressten Zähnen heraus und fragte sich, was dieser Mann an sich hatte, dass sie sich in seiner Gegenwart ständig wie eine Idiotin benahm. Sie starrte auf das Blut, verblüfft, dass eine so kleine Verletzung so höllisch schmerzen konnte. „Nicht der Rede wert.“

„Kommen Sie herein und spülen Sie Ihre Hand ab“, erwiderte er und zog sie sanft am Arm.

„Nein, nicht nötig.“

„Sie werden Ihre Kleidung ruinieren.“ Er lächelte spöttisch. „Ganz zu schweigen von diesem … wunderschönen Teppich.“

Trotz des stechenden Schmerzes musste Cindy lachen. „Vielleicht könnten Sie mir einen Waschlappen borgen.“

Er wies mit einer Armbewegung ins Zimmer. „Nun kommen Sie schon herein. Wo das Bad ist, wissen Sie ja sicher.“

„Ich brauche nicht lange“, murmelte sie und schob sich rasch an ihm vorbei. Der kurze Moment körperlicher Nähe ließ ihren Puls von Neuem in die Höhe schnellen. Sie machte einen langen Schritt über seine großen Schuhe und unterdrückte den spontanen Gedanken an die anatomischen Zusammenhänge. Ohne nach links oder rechts zu sehen, steuerte sie aufs Bad zu. Sie ignorierte auch die maskulinen Düfte der Seife und des Aftershaves im Bad, als sie den Hahn aufdrehte und nach einem Waschlappen griff.

In den Spiegel zu schauen war ein Fehler. Ihr Haar sah aus wie ein Relikt aus den Siebzigern, und ihr Make-up hatte dringend eine Auffrischung nötig. Sie stöhnte frustriert, sog dann scharf die Luft ein, als das kalte Wasser auf ihre Finger traf.

Was für eine Idiotin sie doch war!

Sie presste den Waschlappen auf die Wunde. Als sie ihn nach einer Weile wieder fortnahm, sah sie erleichtert, dass die Blutung schwächer wurde.

„In meiner Kulturtasche ist Heftpflaster“, rief Mr. Quinn, und zum ersten Mal bemerkte sie seinen leichten Südstaaten-Akzent. „Sie hängt an der Tür. Bedienen Sie sich.“

Es widerstrebte ihr, an seine persönlichen Sachen zu gehen, aber dann sagte sie sich, dass sie sich wegen eines lächerlichen Pflasters nicht so anzustellen brauchte. Als sie die Badezimmertür schloss, nahm sie den Duft von Leder wahr. Und richtig, am Haken an der Tür hing an einer Schlaufe eine lederne Kulturtasche von imposanter Größe. Als Cindy danach griff, sah sie halb verdeckt dahinter eine hellblaue Pyjamahose hängen. Ein Bild von dem attraktiven Mr. Quinn in seinem Pyjama erschien vor ihrem inneren Auge.

Mit zitternden Fingern zog sie den Reißverschluss an der linken Seite der Tasche auf, und ein Schauer kleiner Folienpäckchen regnete auf ihre Füße. Kondome! Mindestens ein Dutzend in allen Variationen …

Du lieber Himmel! Cindy ging in die Hocke, sammelte die Kondome ein und stopfte sie hastig wieder in die Tasche, wobei Mr. Quinns Pyjamahose vom Haken rutschte und zu Boden segelte. Verdammt! Sie hob die Hose auf, fühlte feine Seide, und erst dann dachte sie an den Schnitt in ihrer Hand. Oh nein! Seide nahm Feuchtigkeit bekanntlich auf wie Löschpapier. Voller Entsetzen beobachtete sie, wie der Stoff ihr Blut auf sog. Sie ließ die Hose fallen, als stünde sie in Flammen.

„Alles okay da drinnen?“, rief Mr. Quinn.

Sie verschluckte sich fast. „Ja.“

„Haben Sie gefunden, was Sie brauchen?“

Mit hämmerndem Herzen riss Cindy den rechten Reißverschluss der Tasche auf und fischte zwischen Rasiercreme, Shampoo und Zahnpasta eine Schachtel mit Heftpflastern heraus. „Ja, ich hab’s!“, rief sie, spülte nochmals ihre Hände ab und klebte zwei Pflaster auf die Wunde. Schließlich hob sie die Pyjamahose vorsichtig auf, um den Schaden zu begutachten. Rote Abdrücke ihrer Finger zierten die Kehrseite von Mr. Quinns Hose, als hätte sie sein Hinterteil begrapscht.

Sie schloss die Augen. Warum mussten ihr immer solche Katastrophen passieren?

„Miss Warren? Ist alles in Ordnung?“

„Ja, alles okay“, brachte sie heraus, während sie fieberhaft überlegte, was sie tun könnte.

Und dann kam ihr die rettende Idee. Sie würde die Hose reinigen lassen und noch vor der Dinnerzeit wieder in sein Zimmer schmuggeln. Er würde nie etwas von dem Malheur erfahren. Hastig knüllte sie die Hose zu einer Kugel, stopfte sie hinten unter ihr Rockbündchen und strich ihre Kostümjacke glatt. Nach einem tiefen Atemzug verließ sie das Bad, schob sich eilig an Mr. Quinn vorbei und betrat wieder das sichere Terrain des Korridors. „Vielen Dank.“

Er reichte ihr das Klemmbrett. „Kein Problem.“

Sein diabolisches Grinsen erinnerte sie an seinen großen Kondomvorrat, und sie sagte sich, dass er ein Ladykiller war, vor dem sie sich in Acht nehmen musste. Dann besann sie sich auf den ursprünglichen Grund ihres Besuchs. „Das mit dem Zimmer tut mir sehr leid, Mr. Quinn. Natürlich können Sie gern in der Lounge rauchen.“

Er zuckte mit den Schultern. „Nicht so wichtig. Vielleicht werde ich die Gelegenheit nutzen, um dieses Laster loszuwerden.“

Sie nickte kurz. „Na dann viel Glück.“ Dann drehte sie sich um und floh, und bei jedem Schritt fühlte sie das seidige Knäuel in ihrer Strumpfhose.

Eric trat in den Flur und schaute ihr nach. Er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, warum es ihn so reizte, diese Frau zu necken. Aber im Grunde konnte es nicht schaden, eine freundschaftliche Basis zu ihr aufzubauen, bevor sie ihn in ein paar Tagen anders erleben würde. Merkwürdig, dass er so etwas bei all seinen anderen Aufträgen nie für notwendig gehalten hatte. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass sie ihr schönes Haar hatte abschneiden lassen, um den Mann mit dem Hackebeil zu beeindrucken.

Er hatte gewusst, dass das „Chandelier House“ von einer Frau gemanagt wurde, aber er war weder auf ihre Jugendlichkeit noch auf ihre Schönheit gefasst gewesen. Seit der Episode im Friseursalon war ihm jedoch klar, warum Cindy Warren die oberste Position in dem Traditionshotel einnahm. Sie war eine energische Person und hatte Feuer in ihren schönen grünen Augen. Und selbst mit dem grässlichen Haarschnitt war sie noch verdammt hübsch.

Eric ging in sein Zimmer zurück, streifte die Hosenträger von den Schultern und setzte sich wieder an den Schreibtisch, an dem er vor Cindys Besuch seine Unterlagen studiert hatte. Er machte sich Notizen über das Zimmer. Nach ein paar Zeilen über die Größe und den Gesamteindruck des Raums schaute er sich um, um die Details zu begutachten. Obwohl die Möbel alles andere als neu waren, hatten sie weit mehr Charme als das übliche moderne Hotel-Mobiliar. Die abgenutzten Stellen im Teppich waren geschickt durch gewebte Läufer überdeckt. Die elektrischen Anschlüsse funktionierten, und das geräumige Badezimmer war sauber und sonnig. Nichts zu beanstanden. Nur die Schachtel mit den sauren Drops, die er auf dem Nachttisch gefunden hatte, erschien ihm etwas sonderbar.

Er hielt im Schreiben inne und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, weil er schon wieder Cindy Warren vor sich sah, ihre schönen Augen, ihr charmantes Lächeln, ihre entschlossen gestrafften Schultern. Es beunruhigte ihn, dass er sich so stark von ihr angezogen fühlte. Er hatte hier einen Job zu erledigen. Eine Beziehung mit einer Frau, die durch seine Tätigkeit womöglich leiden würde, kam nicht infrage.

Er griff nach seiner Zigarettenschachtel, warf sie frustriert wieder hin, und tätigte dann den längst fälligen Anruf.

„Lancaster.“

„Hallo Bill, hier Stanton. Ich wollte Ihnen nur Bescheid geben, dass ich vor Ort bin.“

„Prima. Wie sieht’s aus? Ist der Laden wirklich so verrückt, wie man uns gesagt hat?“

Eric warf einen Blick auf die Bonbonschachtel. „Um das zu beurteilen, ist es noch zu früh.“

„Ich habe mit unserem Verbindungsmann bei Harmon gesprochen. Falls Sie jetzt schon feststellen, dass das ‚Chandelier House‘ nicht ins Konzept des Unternehmens passt, brauchen wir das Team gar nicht rüberzuschicken.“ Eric runzelte die Stirn. „Ich bin gut, das wissen wir beide. Trotzdem ist mir das Urteil der anderen wichtig.“

„Ich habe den Eindruck, dass Harmon dieses Hotel loswerden will.“

„Warum haben sie uns dann überhaupt angeheuert? Warum stoßen sie den Laden nicht einfach ab?“

„Weil irgend so eine alte Kuh im Vorstand eine Schwäche für das Haus hat. Deshalb brauchen sie eine Rechtfertigung.“

Eric lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Hören Sie, Bill, ich werde diesen Job sachlich und korrekt erledigen. So wie ich es immer mache. Ich denk nicht dran, einen falschen Bericht abzuliefern. Schicken Sie das Team wie geplant. Abgesehen von meinem Ruf geht es hier ja auch um Menschen.“

Erics Partner schnaubte durch die Nase. „Menschen? Sorry, ich dachte, ich spreche mit Eric Stanton. Macht die Weihnachtszeit Sie rührselig?“

Eric sah Cindy Warrens graugrüne Augen vor sich. „Ich schätze, ich bin einfach nur müde.“

„Haben Sie die Managerin schon kennen gelernt?“

„Ja.“

„Und? Hat sie Ihre Tarnung durchschaut?“

Eric rieb sich die Nase. „Nein, das hat sie nicht“, erwiderte er und fügte im Stillen hinzu: Aber sie ist mir schon unter die Haut gegangen.

2. KAPITEL

Cindy versuchte, Eric Quinns Bild aus dem Kopf zu bekommen, als sie zum Konferenzraum ging. Sie durfte sich nicht von einem attraktiven Gast ablenken lassen. Schon gar nicht zu einem Zeitpunkt, da das Schicksal ihres Stabs von ihr abhing. Wieder nagte die Sorge an ihr. Wenn man tagtäglich so eng zusammenarbeitete, wuchsen die Mitarbeiter einem schnell ans Herz und wurden zu einer Familie. Cindy fühlte sich für sie verantwortlich.

Seit der Hotelkonzern Harmon das „Chandelier House“ vor zwei Jahren gekauft hatte, hatte sie aus der Zentrale zahlreiche Memos bekommen, die Veränderungen forderten. Veränderungen, die ihr geliebtes Hotel in eine Standardschablone zwängen würden. Bis jetzt hatte sie Widerstand geleistet, aber ihr war bewusst, dass sie gegenüber dem Unternehmen letzten Endes machtlos war.

„Guten Morgen allerseits“, sagte Cindy mit einem strahlenden Lächeln, als sie den Raum betrat. Sechs Direktoren und die Manager grüßten im Chor zurück und flachsten miteinander, als jeder versuchte, den besten Donut aus der Schachtel zu ergattern, die am Tisch herumgereicht wurde. Cindy goss sich einen Becher Kaffee ein.

„Neuer Haarschnitt, Cindy?“ Joel Cutter, der Manager für den Restaurationsbereich, verbarg sein Grinsen, indem er in einen mit Puderzucker bestäubten Donut biss.

Ringsherum war leises Lachen zu hören, und Cindy warf ihm einen vernichtenden Blick zu, was ihn nicht im Geringsten berührte. Joel war ein geschätzter Angestellter und ein guter Freund. Ihre kleinen Foppereien waren freundschaftliche Vertrautheiten. Heißer Kaffee schwappte über den Rand ihres Bechers, als Cindy ihn energisch auf den Tisch stellte. Sie ließ sich auf ihrem Platz am Kopfende des Tisches nieder und fühlte den Wulst der verflixten Pyjamahose in ihrem Rücken. „Reicht mal die Donuts rüber. Und danke für die Einleitung, Joel. Wir beginnen mit dem Friseursalon. Amy?“

Alle Blicke richteten sich auf die Managerin, die aus einer der vier vor ihr aufgereihten Fläschchen weiße Pillen in ihre hohle Hand schüttete. Sie spülte alle auf einmal mit einem kräftigen Schluck Früchtetee hinunter. „Wenn Jerry nicht wäre, würde ich sagen, wir machen aus dem Salon eine Eisdiele. Ich habe die neue Friseurin überredet, bis morgen Abend zu bleiben, aber danach sitzen wir wieder ohne da.“ Amy lächelte betreten. „Jerry hat mir gesagt, dass sie nur noch geweint hat, nachdem du gegangen warst, Cindy.“ Wieder ertönte Lachen im Raum.

Cindy wedelte mit der Hand, um die Versammlung zur Ruhe zu bringen. „Sehr witzig. Vielleicht kann mir jemand sagen, was das Problem ist.“

Amy beugte sich vor. „Die meisten Friseurinnen, die wegen der Stelle nachgefragt haben, wünschen sich ein größeres Betätigungsfeld. Sie wollen nicht nur Haare schneiden, sondern auch Dauerwellen machen und färben. Eben alles, was sie gelernt haben. Meiner Meinung nach müssen wir das ganze Programm anbieten, dann könnten wir eine gute Kraft bekommen.“

Cindy nickte und machte sich eine Notiz. „Klingt plausibel.“

„Und noch etwas“, sagte Amy, „es würde helfen, wenn Jerry …“

„… sich herablassen würde, auch Damen zu bedienen“, beendete Cindy an ihrer Stelle. „Aber wie wir alle wissen, hält er eisern an seinem Prinzip fest. Jerry macht seinen Job fantastisch, und wir dürfen ihn nicht verlieren. Er ist eine Legende.“

„So wie die genialen Frisuren der Siebziger“, murmelte Joel in seine Serviette, worauf wieder Gelächter ertönte.

Cindy ignorierte Joel und sah Samantha Riggs an, die Verkaufsdirektorin. „Wie läuft das Geschäft, Sam?“

„Bestens“, antwortete Sam vollkommen unbefangen in ihrer Krieger-Kostümierung der Klingonen. „Wir haben die Tagung der Trekkies perfekt vorbereitet. Wenn sie mit unserer Arbeit zufrieden sind, werden garantiert auch andere Gruppen bei uns tagen.“ Zur Bekräftigung rückte sie ihre Schärpe aus Metall zurecht.

Cindy hoffte, dass ihr Lächeln nicht so unsicher war, wie sie sich fühlte. Zwar brachten die Fangruppen, die ihre Rollenspiele hier abhielten, gute Einnahmen, aber sie hatte auch gehört, dass das Hotel in der Zentrale den Ruf einer Herberge für Freaks bekommen hatte.

Sam zählte an ihren schwarz lackierten Fingernägeln wie aus der Pistole geschossen die erwarteten Gruppen auf. „Die Hellseher treffen am Wochenende ein, die Vampire kommen Samstag, und die Erotik-Messe beginnt nächsten Montag.“

Panik erfasste Cindy. „Erotik-Messe? Nächsten Montag?“

„Kommt Montag nicht dieser Betriebsprüfer mit seinem Team?“, fragte Joel.

Cindy nickte. „Richtig.“ Es machte ihr nichts aus, eine nicht jugendfreie Messe in ihrem Hotel auszurichten, aber das Timing konnte kaum schlechter sein.

„Hoffen wir, dass der Mann Humor hat“, bemerkte Amy.

„Und ein intaktes Liebesieben“, fügte Manny hinzu.

„Um Cindy brauchen wir uns jedenfalls nicht zu sorgen, da sie die Enthaltsamkeit in Person ist“, bemerkte Joel.

„Du solltest als Komiker auftreten, Joel“, gab sie trocken zurück. Joel und seine Frau versuchten unermüdlich, Verabredungen für sie zu arrangieren, aber ihre Bemühungen hatten eine Katastrophe nach der anderen zur Folge gehabt. „Sam, ich möchte, dass diese Messe so weit wie möglich im Hintergrund bleibt.“

Sam nickte. „Du willst es unauffällig, du kriegst es unauffällig. Kein Problem, Cindy.“

„… sagte die Frau in dem unauffälligen Klingonen-Kostüm“, bemerkte Manny grinsend.

„Hey, man tut, was man kann für seine Gäste“, erwiderte Sam locker.

„Fahren wir fort.“ Cindy wandte sich dem technischen Leiter William Belk zu, einem stämmigen Mann, der selten sprach. „William, wie steht’s mit dem perfekten Weihnachtsbaum für die Lobby?“

„Die Leute in der Baumschule suchen noch.“

Cindys Magen zog sich zusammen. „Die Dezembertage werden allmählich knapp“, sagte sie bemüht locker. „Ich möchte den Baum aufgestellt und geschmückt sehen, bevor unsere Besucher eintreffen.“

„Ja.“

Cindy lächelte gepresst und machte sich eine Notiz. Nachdem sie mit dem Controller und der Personalchefin einige verwaltungstechnische Details diskutiert hatte, wandte sie sich an Joel. „Möchtest du jetzt über deine Abteilung berichten, oder lenkt mein Haar dich zu sehr ab?“

„Ich werde mich bemühen, stark zu bleiben.“

„Das freut mich. Fang mit den Banketts an.“

„Bis einschließlich Silvester zu neunzig Prozent ausgebucht.“

„Sehr gut. Wie steht’s mit dem Restaurant?“

Er schob ihr einen Zeitungsartikel zu. „Der ‚Chronicle‘ hat uns eine mittelmäßige Benotung gegeben.“

Sie überflog den Artikel. „Immer noch besser als die Prügel, die sie uns im vergangenen Frühjahr verpasst haben. Gibt’s sonst noch was?“

„Ich glaube, ich bin nicht der Einzige, der sich wegen dieser Inspektion Gedanken macht.“

Cindy nickte. „Das ist das nächste Thema auf der Liste, aber ich bin froh, dass du es angesprochen hast, Joel.“ Sie sah ihre Mitarbeiter an, die plötzlich sehr still geworden waren. „Wie die meisten von euch wissen, hat der Vorstand der Harmon-Kette eine Unternehmensberatungs-Firma beauftragt, einige ihrer Hotels unter die Lupe zu nehmen.“ Sie lächelte. „Und wir gehören zu den Glücklichen. Das ‚Chandelier House‘ wird gründlich durchleuchtet werden, angefangen bei den Bilanzen bis hin zu unserem Reservierungs-System und zum Kundendienst.“

Manny räusperte sich. „Gibt es einen Grund, warum sie uns so scharf ins Visier nehmen?“

„Es könnte damit zu tun haben, dass ich den Bemühungen der Konzernleitung, unseren Geschäftsstil zu ändern, schon seit zwei Jahren widerstehe.“

„Es könnte auch damit zu tun haben, dass du Brüste hast“, murmelte Amy.

„Das glaube ich nicht. Es hängt bestimmt nicht damit zusammen, dass ich eine Frau bin“, sagte Cindy ernst. Dann grinste sie und deutete mit dem Daumen zu den nicht übertrieben großen Wölbungen unter ihrer Jacke. „Außerdem ist dein Argument fragwürdig.“

Gelächter löste die Anspannung im Raum.

„Sie wollen uns standardisieren“, mutmaßte Joel.

Cindy erwog bedachtsam ihre Worte. „Der Vorstand wünscht, dass wir uns mehr seinem unternehmerischen Profil anpassen, ja.“ Sie zwang sich zu einem optimistischen Ton. „Wie gesagt hat dieser Mr. Stanton sich und sein Team für Montag angekündigt. Es würde mich aber nicht überraschen, wenn er schon früher käme, um uns auszuspionieren. Gebt mir Bescheid, falls euch jemand verdächtig erscheint.“

„Müssen wir uns Sorgen machen?“, fragte Amy und massierte ihre Schläfen. „Ich glaube, ich bekomme eine Migräne.“

„Wir müssen wachsam sein“, korrigierte Cindy sanft, „uns bewusst sein, dass alles, was wir tun, bewertet werden wird. Sobald Mr. Stanton da ist, werde ich ein Meeting einberufen und ihn dazu einladen. Er wird schnell merken, dass unser Hotel von kompetenten Profis geführt wird.“ Sie setzte ein ermutigendes Lächeln auf. „So, wenn sonst nichts mehr anliegt…“

„Moment“, unterbrach Joel sie. „Vergiss nicht unsere Weihnachtsfeier morgen Abend.“

Cindy hätte fast aufgestöhnt. An die Weihnachtsfeier hatte sie überhaupt nicht mehr gedacht. „Wie könnte ich das vergessen?“, krächzte sie.

„Sollen wir in Anbetracht der drohenden Sparmaßnahmen Sandwiches mitbringen?“, fragte Sam.

Alle lachten.

„Vergiss die Sandwiches“, sagte Joel, „aber du könntest einen Begleiter für Cindy mitbringen.“

Unter dem allgemeinen Gelächter zischte Cindy ihm zu: „Du bewegst dich auf dünnem Eis, Freundchen.“ Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Das Meeting ist beendet.“

Als einer nach dem anderen den Raum verließ, knuffte Cindy Joel in die Schulter. „Wieso bist du dir so sicher, dass ich allein komme? Vielleicht habe ich ja eine Begleitung.“

„Erzähl mir nichts, Cindy. Nenne mir nur einen passablen Junggesellen in der Stadt, den du mit deinem Desinteresse noch nicht zum Psychiater getrieben hast.“

„Witzbold.“

„Wenn du morgen Abend aber tatsächlich einen Begleiter haben solltest …“ Er überlegte einen Moment. „Dann vertrete ich dich den ganzen Mittwoch.“

Sie blieb abrupt stehen. Einen ganzen Tag frei! Das könnte ihre letzte Chance sein, Weihnachtseinkäufe zu machen, bevor der Hotelbetrieb im saisonalen Chaos versank. „Ist das dein Ernst?“

„Natürlich. Ich werde mich um alles kümmern, was anfällt“, versicherte Joel ihr. Dann grinste er diabolisch. „Und wenn du morgen allein kommst, krieg ich für einen vollen Monat deinen Parkplatz.“

„Ich brauche also nur einen Mann aufzutreiben?“, wollte Cindy wissen.

„Er muss hetero sein“, sagte Amy, die interessiert lauschend neben ihnen herging.

„Richtig“, stimmte Joel zu. „Ich will eindeutig heterosexuelle Tändeleien sehen, bevor die Party endet.“

Cindy machte ein gekränktes Gesicht. „Ihr glaubt wohl nicht, dass ich jemand finden kann?“

„Richtig“, sagten sie wie aus einem Mund.

Sie warf Joel einen Blick zu. „Abgemacht. Der Deal gilt.“

Er rieb sich triumphierend die Hände. „Ein VIP-Parkplatz. Ich kann’s kaum abwarten.“

„Und ich kann’s nicht erwarten, diesen mysteriösen Mann kennen zu lernen“, sagte Amy über die Schulter, als sie Joel zur Treppe folgte.

Cindy blieb stehen und starrte ihren Freunden nach. „Ich auch nicht“, murmelte sie düster.

So unauffällig wie möglich erkundete Eric während der nächsten beiden Stunden die verschiedenen Bereiche des Hotels. Da er in der Inkognito-Phase für gewöhnlich wertvolle Beobachtungen machte, wollte er so viel wie möglich erledigt haben, bevor seine Tarnung aufflog.

Nachdem er in einer Nische seine Beobachtungen notiert hatte, schlenderte er zum Schreibtisch des Empfangschefs hinüber, wo ein blonder junger Mann ihn mit einem professionellen Lächeln begrüßte. „Guten Tag, Sir. Wie kann ich Ihnen helfen?“

Eric brauchte nur Sekunden, um sich ein Urteil über den Mann zu bilden. Leute wie ihn, höflich, kompetent, zuvorkommend, musste man heutzutage mit der Lupe suchen. Dieser Empfangschef war zweifellos ein Schatz für Cindy Warren. „Ich hätte gern eine Empfehlung für mein Dinner.“

„Irgendeine spezielle Küche, Sir?“

„Vielleicht ein gutes Steak.“

„Falls Sie nicht lieber in die City bummeln möchten – unser Chefkoch grillt hervorragende Rumpsteaks.“

Eric applaudierte dem Mann im Stillen für diese Antwort. „Klingt gut, ich probier’s. Wie ist die Lounge?“

„Gute Drinks, aber nicht viel Action an einem Montagabend.“

Eric lachte. „Genau richtig für mich.“

Der Empfangschef streckte ihm die Hand hin. „Ich bin Manny Oliver.“

„Quinn. Eric Quinn.“ Sie drückten sich die Hände.

„Freut mich, dass Sie das ‚Chandelier House‘ gewählt haben, Mr. Quinn. Falls ich irgendetwas tun kann, um Ihren Aufenthalt angenehmer zu machen, lassen Sie es mich wissen.“

In dem Moment entdeckte Eric Cindy am anderen Ende der Lobby. Ihm wurde erst bewusst, dass er sie anstarrte, als Manny sagte: „Das ist unsere leitende Managerin, Cindy Warren.“

Eric gab sich betont locker. „Ja, ich weiß. Wir haben uns heute Morgen kurz im Friseursalon gesehen.“ Er beobachtete, wie sie neben einem stämmigen Mann herging und in der Biegung der geschwungenen Treppe vom Boden bis zur Decke zeigte. „Ich war von ihrer Professionalität beeindruckt.“ Und von ihren Beinen.

„Sie ist Spitze“, stimmte Manny ihm zu. „Das ‚Chandelier House‘ kann sich glücklich schätzen, Miss Warren zu haben.“

„Sie erscheint mir sehr jung für einen so verantwortungsvollen Posten“, sagte Eric und hoffte, dass Manny anbiss.

„Anfang dreißig“, informierte Manny ihn.

„Ist sie Single?“, hörte Eric sich fragen. Er wusste nicht, wer von seinen Worten überraschter war, der Empfangschef oder er.

Manny reckte sich zu seiner vollen Größe. „Miss Warren ist unverheiratet“, sagte er gepresst, und Eric fragte sich, ob er in seine Chefin verliebt war, und gab sich in Gedanken einen Tritt.

Er nickte knapp. „Danke für Ihren Dinner-Tipp, Mr. Oliver.“ Als er einen Schein aus seiner Brieftasche zog, hob Manny dezent die Hand, bevor er ihm das Trinkgeld geben konnte.

„Nicht der Rede wert, Mr. Quinn. Es ist mein Job, mich um jeden im Hotel zu kümmern“, sagte er, wobei er das Wort jeden bedeutungsvoll betonte. Er lächelte, doch in seinem Blick lag eine Warnung.

„Ich bin sicher, dass Sie in Ihrem Job gut sind“, antwortete Eric locker.

„Ich tue mein Bestes“, versicherte Manny ihm. „Lassen Sie sich das Steak schmecken, Mr. Quinn.“

Eric konnte der Versuchung nicht widerstehen, nochmals in Cindys Richtung zu schauen, und kam in den Genuss einer unbeabsichtigten Vorführung ihrer sexy Beine, als sie die Arme in die Höhe streckte, um dem Mann etwas zu erklären. Vermutlich diskutierten sie über die Installation der Weihnachtsdekoration.

Mannys bohrenden Blick im Rücken fühlend, bewegte Eric sich in Richtung Lounge und versuchte, die Anziehung zu ignorieren, die die Hotel-Managerin auf ihn ausübte. Es musste an der Weihnachtszeit liegen. Sie machte ihn sentimental. Oder scharf. Oder beides.

Über dem Eingang zur Lounge prangte der Name „Sammy’s“. Nicht sehr originell, dachte Eric, als er die beiden Stufen hinabging und den schwach erleuchteten Raum betrat. Er erwartete, dass die Lounge den unzähligen langweiligen Hotelbars gleichen würde, die er in den fünfzehn Jahren seiner Tätigkeit besucht hatte, und war überrascht, an den Wänden gerahmte Konzertplakate vorzufinden, von denen einige aus der Blütezeit des Jazz stammten. In einer Ecke stand ein altes Klavier, und aus verborgenen Lautsprechern erklang die Melodie von „White Christmas“, die Erinnerungen an vergangene Weihnachtsfeste weckte. Eric verspürte einen Anflug von Wehmut. Seit dem Tod seiner Mutter hatte sich vieles verändert.

Die Bar war so gut wie leer. Nur einige Trekkies in bunten Kostümen saßen bei einem großen Krug Bier um einen Tisch. Dann aber erspähte Eric zu seiner Freude Jerry den Barbier, der auf einem Hocker an der Bar saß, auf dem Kopf seine Weihnachtsmann-Mütze und zwischen den Fingern eine dicke Zigarre.

„Hallo“, sagte Jerry in seinem tiefen Bass, „wenn das nicht Mr. Quinn ist.“ Er klopfte auf den Barhocker neben sich. „Setzen Sie sich. Tony wird Ihnen einen ordentlichen Drink mixen.“

Eric schob sich auf den Hocker und nickte dem breitschultrigen Barmann zu. „Bourbon und Wasser.“ Dann drehte er sich zu Jerry. „Gönnen Sie sich eine Pause, Jer?“ Nach einer Zigarette schmachtend, klopfte er auf seine Hemdtasche und stellte frustriert fest, dass er die Schachtel im Zimmer gelassen hatte. Vielleicht wäre es wirklich das Beste, mit dem Rauchen aufzuhören.

Jerry zog an seiner Zigarre und stieß den Rauch aus. „Ich hab für heute Schluss gemacht. Hatte genug von dem Geplärr dieser Frau.“

„Wie bitte?“

„Die Frau, die Miss Cindys Haar abgehackt hat. Sie hat den ganzen Tag geheult.“

„Es war doch nicht ihre Schuld“, sagte Eric lachend. „Wir haben Ihre Chefin gewarnt.“

„Sie kennen Cindy?“ Tony starrte Eric an, während er ihm den Drink hinschob.

Noch ein verknallter Angestellter, vermutete Eric. „Nicht wirklich“, antwortete er leichthin.

Der Barmann taxierte ihn schweigend. Seine gewaltigen Brustmuskeln spannten sich unter seinem hautengen weißen Oberhemd. Er sah bedrohlich aus, daran änderten auch die roten Hosenträger mit dem fröhlichen Glöckchen-Muster nichts. Schließlich ging Tony ans andere Ende des Tresens, um einen neuen Gast zu bedienen.

„Kümmern Sie sich nicht um ihn“, sagte Jerry, „er ist Miss Cindys selbst ernannter Bodyguard.“

„Sieht ziemlich gefährlich aus.“

Jerry beugte sich nah zu Eric. „Ganz unter uns, er hat in San Quentin gesessen.“

Eric sah alarmiert von seinem Drink auf. „Weswegen?“

„Hab ihn nie gefragt“, murmelte Jerry. „Aber er ist so weit okay. Außer dass er sich als der Beschützer unserer Chefin aufspielt.“

„Miss Warren ist offenbar eine beliebte Frau“, bemerkte Eric.

„Sie ist eine gute Frau“, stellte Jerry richtig. „Aber stur.“ Er schüttelte bekümmert den Kopf. „So stur, wie der Tag lang ist.“

„Ist sie keine gute Managerin?“

„Die beste, die man sich denken kann. Aber vor zwei Jahren hat eine große Gesellschaft dies Hotel gekauft, und seitdem versuchen sie in einem fort, alles Mögliche zu verändern. Miss Cindy wehrt sich standhaft, aber sie reibt sich dabei auf.“

„Was spricht dagegen, die Leistung eines Betriebs zu verbessern? Die Gäste würden das sicher begrüßen.“

„Die Gäste des ‚Chandelier House‘ kommen nicht wegen der Leistung, Mr. Quinn. Man braucht nur die Straße runterzugehen und kriegt ein größeres Zimmer mit einem besseren Blick für weniger Geld.“

„Warum kommen die Leute dann überhaupt hierher?“

Jerry lachte und deutete zu den Trekkies in ihren verwegenen Kostümen. „Wir sind hier alle etwas verrückt, und wir betreuen Verrückte. Das ‚Chandelier House‘ ist eine profitable Nische, aber Miss Cindy kann niemanden dazu bringen, ihr zuzuhören.“

„Hat sie sich Ihnen anvertraut?“

„Nein.“ Jerry grinste. „Aber ich kenne das Hotel. Bin schon dreißig Jahre hier. Und ich kenne Frauen. War drei Mal verheiratet.“

„Die Ehe ist eher eine fragwürdige Empfehlung“, warf Eric ein. „Frauen sind das kostbarste Geschenk, das der liebe Gott auf die Erde gesandt hat“, sagte der alte Mann versonnen. „Sind Sie schon je zum Altar gegangen, Sohn?“

Eric lachte trocken auf. „Nein.“

Jerry nickte wissend. „Aber Miss Cindy ist interessant, nicht? Eine attraktive Frau.“

Es beunruhigte Eric leicht, dass sein Interesse so leicht zu erkennen war. Wenn er Cindy das nächste Mal traf – was hoffentlich bald sein würde –, durfte er bei den Angestellten nicht den Eindruck erwecken, dass er bei ihrer Chefin Annäherungsversuche machte. „Ich kenne sie ja kaum.“

Jerry zog genussvoll an seiner Zigarre. „Oh ja, Sie mögen sie.“

Eric leerte in einem Zug sein Glas. „Kein Kommentar.“

„Hm. Es hat Sie schlimm erwischt.“ Jerry lachte leise. „Wie lange bleiben Sie in San Francisco?“

Leicht genervt zuckte Eric mit den Schultern. „Meine Arbeit wird in ein paar Tagen erledigt sein, aber wahrscheinlich hänge ich einen kleinen Urlaub dran. Bis Neujahr oder so.“

„Weihnachten allein? Keine Familie?“

Eric erwog zu lügen, entschied sich dann aber für die Wahrheit. „Mein Vater und ich sind uns seit dem Tod meiner Mutter nicht mehr sehr nahe. Meine jüngere Schwester wird über die Feiertage bei ihm sein.“

„Verstehen Sie und Ihre Schwester sich auch nicht?“ Jerry klang nicht verurteilend, sondern einfach nur neugierig.

„Doch, wir mögen uns. Aber Alicia ist bedeutend jünger als ich, und außerdem hat sie schon eine eigene Familie, die sie in Anspruch nimmt.“

Der Barbier machte ein teilnahmsvolles Gesicht. „Trotzdem sollten Familien Zusammenhalten, besonders in dieser Zeit des Jahres.“

Eric wich seinem Blick aus, denn plötzlich erfasste ihn eine schmerzliche Sehnsucht nach den Weihnachtsfesten seiner Kindheit. Kugeln, Lametta und Zuckerkringel an einer duftenden Fichte, selbst gebackene Plätzchen und sein Vater am Klavier.

Aber Gomas Stanton war nach dem Tod seiner Frau mürrisch und unzugänglich geworden. Eric ertrug den Gedanken nicht, Weihnachten zu Hause zu verbringen. Er würde seinen Vater zum Fest anrufen und sich wieder die übliche Litanei anhören, dass er ein Handlager skrupelloser Profitgeier sei, die den Fall des traditionellen amerikanischen Kapitalismus vorantrieben. Gomas Stanton, der dreiunddreißig Jahre lang als Glasbläser-Meister in einer Fabrik gearbeitet hatte, glaubte, dass der Wohlstand einer Gesellschaft aus der Produktionskraft jedes Einzelnen erwuchs. Man stellte sichtbare, greifbare Güter her, die man kaufen und verkaufen und besitzen konnte. So funktionierte nach den Vorstellungen seines Vaters eine gesunde, florierende Wirtschaft. Der Beruf Unternehmensberater war für Gomas Stanton rätselhaft und daher suspekt. „Leute wie du zerstören die soliden kleinen Familienbetriebe“, hatte sein Vater ihm einmal vorgeworfen. „Die Sorte Unternehmen und die Sorte Menschen, die dieses Land aufgebaut haben.“

Jedes Jahr dieselben Anklagen. Je mehr Eric darüber nachdachte, desto besser erschien ihm die Idee, Weihnachten an der Westküste zu bleiben. Besonders weil er die interessante Cindy Warren kennen gelernt hatte. Er wusste, dass viele Hoteldirektoren während der betriebsamen Festtage in der Nähe ihrer Hotels blieben, um jederzeit erreichbar zu sein. Vielleicht würden Cindy und er auf das neue Jahr anstoßen …

„Natürlich werden Sie anders über Weihnachten denken, wenn Sie Ihre Herzdame gefunden haben“, fuhr Jerry unbeirrt fort. „Die Liebe hat so eine Art, das Fest zu etwas ganz Besonderem zu machen.“

Eric lachte. „Ob Weihnachten oder nicht, es besteht keine Gefahr, dass ich mich verliebe, Jer.“

„Das berühmte letzte Wort eines Grünschnabels. Ich hab euch beide heute Morgen gesehen. Ihr seid voneinander weggesprungen wie zwei falsch gepolte Magnete. Ich bin alt, mein Junge, aber ich bin nicht blind.“

Halb verlegen, halb ärgerlich schüttelte Eric den Kopf. „Sie haben eine lebhafte Fantasie, mein Lieber.“ Er stand auf und legte einen Schein auf den Tresen. „Trotzdem, danke für die Gesellschaft.“

„Ich rate Ihnen, sich in Acht zu nehmen“, warnte Jerry, ohne aufzublicken.

„Keine Sorge. Ich werde Tony keinen Grund geben, sich seine Bewährung zu vermasseln.“

Jerry lachte, ein kehliges Grummeln. „Mr. Quinn, wissen Sie gar nicht, dass eine hübsche Frau hundert Mal gefährlicher ist als ein hartgesottener Krimineller?“ Er zog ein letztes Mal an seinem Zigarrenstumpen und drückte ihn dann aus. „Du bist geliefert, mein Sohn. Frohe Weihnachten.“

3. KAPITEL

„Also, wer ist der Glückspilz?“, fragte Manny, während er mit einem dicken Lockenstab eine Strähne von Cindys Haar einrollte.

Auf seine Technik konzentriert, beobachtete sie ihn im Spiegel ihres Frisiertisches. „Glückspilz?“

„Amy hat mir erzählt, dass du zu unserer Weihnachtsfeier einen heißen Verehrer mitbringen willst. Wer ist es?“

„Ist in diesem Haus denn gar nichts heilig?“ Cindy seufzte. „Ich hab keine Verabredung. Jedenfalls noch nicht.“

„Ich kann ein paar Freunde fragen, wenn du möchtest.“

„Er muss hetero sein.“

Manny verdrehte indigniert die Augen. „Ich kenne auch Heteros. Genau gesagt zwei.“ Er zögerte. „Aber sie sind … verheiratet. Und der eine ist Joel.“

„Toll. Du bist wirklich eine große Hil…“ Cindy brach ab und schnupperte. „Es riecht brenzlig.“

Manny fuhr zusammen und zog den Lockenstab aus ihrem Haar. Die Strähne fiel schlaff herab. „Nichts passiert“, stellte er fest, bevor er das Ergebnis seiner Bemühung näher studierte. „Dein Haar ist ziemlich dünn.“

„Danke.“ Sie hob ihre verpflasterte Hand an. „Könntest du nachher auch etwas Alkohol auf meinen Schnitt tun?“

„Was zum Teufel hast du da gemacht?“

„Das erzähl ich dir später. Erst mal ist mein Haar an der Reihe. Beeil dich.“

„Wie konnte dies Mädchen dir bei deinem Haar nur einen Stufenschnitt machen?“

„Ich hab’s ihr gesagt.“

„Als Frau vom Fach hätte sie von ihrem Vetorecht Gebrauch machen müssen.“

„Vielleicht solltest du unser neuer Figaro werden.“

„Cindy, entgegen dem weit verbreiteten Volksglauben sind nicht alle schwulen Männer geborene Haarkünstler.“

„Dann verrat mir bitte, warum ich hier sitze?“

„Ich versuche lediglich, das Beste aus dieser Tragödie zu machen.“ Er befreite das nächste Strähnenbündel, das sich ebenfalls stur weigerte, sich in eine Locke zu verwandeln, aus der Zange des Lockenstabs. „Aber ich sehe, dass ich kläglich versage.“

„Was mach ich bloß? Meine Mutter kriegt einen Schlaganfall, wenn ich Weihnachten nach Hause komme.“

Manny verdrehte die Augen. „Übertreib es nicht, Cindy. Die drei Tage wirst du überleben. Und deine Mutter auch.“

„Ich bin so froh, dass du mitkommst“, sagte sie ernst. „Mom wird dir glauben, wenn du ihr erzählst, dass mein Haarschnitt in San Francisco Mode ist.“

„Oh nein, Schätzchen. Ich fahre wegen des Truthahns mit und nicht, um zwischen zwei zankenden Frauen zu vermitteln.“

„So schlimm sind wir gar nicht“, sagte sie lachend. „Es ist die normale kriegerische Mutter-Tochter-Beziehung. Übrigens, nur um dich vorzubereiten, Mom wird denken, dass wir miteinander schlafen.“

„Ist das ein Kompliment?“

„Klar!“ Sie knuffte ihn liebevoll. „Und vielen Dank im Voraus, dass du mich vor dem üblichen Gelaber, wie einen netten Mann finden und zur Ruhe kommen, bewahrst.“

„Und? Warum kommst du nicht zur Ruhe?“, fragte Manny, während er Cindys Haar toupierte und mit Spray einnebelte. „Steckt irgendeine schlechte Erfahrung dahinter?“

Cindy dachte über die Millionen-Dollar-Frage nach. „Ich kann mich an keine besonders traumatischen Erfahrungen erinnern“, sagte sie schließlich. „Allerdings auch nicht an besonders bemerkenswerte Erlebnisse.“ Sie seufzte schwer. „Weißt du, ich bin nie einem Mann begegnet, der die ungewöhnlichen Dinge im Leben schätzte. Jemandem, der Worte benutzt wie supercalifragilistic.“

Manny starrte sie nur an.

„Okay, vielleicht erwarte ich zu viel.“

Er strich ihr das Haar hinter die Ohren und prüfte das Ergebnis. „Am besten, du erwartest gar nichts und vergisst diesen ganzen Blödsinn vom großen Glück und so weiter. Denn wenn du so bist wie meine Freunde, weiblich oder männlich, wird die Liebe eine schreckliche Tortur für dich werden.“

„Und wieso?“

„Weil dein Traummann all das verkörpern wird, was du hasst.“ Cindy lachte. „Interessant. Weiter, halt dich nicht zurück.“

„Ich meine es ernst. Sicher, zuerst sind alle blind vor Verliebtheit. Aber hier“, Manny tippte sich auf seine Schulter, „hier weinen sie sich nach dem bösen Erwachen alle aus. Ehrlich, ich bezweifle, ob dieser Beziehungskram die ganze Anstrengung wert ist. Sieh dir doch all die Unglückswürmer an, die mal geglaubt haben …“

„Du rennst bei mir offene Türen ein“, unterbrach Cindy ihn. „Ich bin nicht auf der Suche nach einem Mann. Aber was ich dringend brauche, ist ein freier Tag. Deshalb muss ich einen Begleiter für die Weihnachtsfeier finden, und wenn ich einen engagieren muss.“

„Aha, Romantik auf Kreditkarte. Und wer hat dir den freien Tag in Aussicht gestellt?“

„Joel.“

„Hätte ich mir denken können. Er kann es nicht lassen.“ Manny zupfte an Cindys Haar herum und betrachtete seufzend ihr Spiegelbild. „Sorry, Cindy, mehr kann ich beim besten Willen nicht tun. Aber ich muss sagen, dass deine Augen ohne all das Haar drum herum viel besser zur Geltung kommen.“

Sie starrte auf die unterste Haarschicht, die schlaff um ihre Schultern hing, während die oberste kurz über ihren Ohren endete. „Danke, aber so kann ich einfach nicht herumlaufen. Ich sehe unmöglich aus“, jammerte sie und wies den Gedanken, dass sie für den Mann aus Zimmer 1010 gut aussehen wollte, weit von sich. Sie stand resigniert auf. „Jedenfalls muss ich jetzt wieder an die Arbeit. Ich habe wahrhaftig dringendere Dinge zu tun, als über meine Frisur zu lamentieren.“ Zum Beispiel musste Mr. Quinns Pyjamahose in die Reinigung. Das seidene Knäuel steckte noch immer in ihrer Strumpfhose.

„Sieh zu, dass du etwas Zeit für die Männerjagd rausschindest.“

„Mit dieser Frisur brauche ich eine Knarre, um einen Mann einzufangen.“

„Wo ist das hübsche Chanel-Tuch, das die liebe Mammi dir zum Geburtstag geschenkt hat?“

„Das gelbe?“ Cindy ging an eine Kommode und nahm einen hauchdünnen Seidenschal heraus. „Hier. Warum?“

„Drapier dir das gute Stück um den Hals und lass die Enden über deinen Rücken hängen. Es wird die Aufmerksamkeit von deinem Haar ablenken.“

Sie zog Manny eine Grimasse, befolgte aber seinen Rat und begutachtete das Ergebnis im Spiegel. Wie üblich hatte ihr Freund recht.

Manny wickelte langsam die Schnur um den Lockenstab. „Cindy“, sagte er ungewöhnlich ernst, „du machst dir wegen Stanton Gedanken, stimmt’s?“

Cindy nickte. „Unter anderem.“

Manny stieß einen Seufzer aus. „Gerade hab ich angefangen, diesen verrückten Laden zu mögen.“

„Noch haben wir unsere Jobs“, beruhigte sie ihn. „Aber ich will dich nicht belügen. Wir sind das Stiefkind des Unternehmens, und ich habe den Verdacht, dass Harmon beabsichtigt, uns loszuwerden.“

„Diese Inspektion muss nicht unbedingt unser Aus bedeuten“, überlegte Manny. „Vielleicht erkennen Stanton und seine Leute das Potenzial des alten Kastens. Vielleicht empfehlen sie Harmon, uns einen Fonds für Verbesserungen zur Verfügung zu stellen.“

„Das wäre traumhaft. Vorausgesetzt, sie zwingen uns nicht, das zu verändern, was das ‚Chandelier House‘ so einmalig macht.“ Cindy lächelte verkrampft.

„Übrigens“, Manny grinste. „Was deinen Männernotstand betrifft, heute Morgen war ein Mann in der Lobby, der dich angestarrt hat, als hätte er nichts dagegen, dich auf seinem Gabentisch zu finden.“

„Mich?“

„Ein Bursche namens Quinn.“

Cindys Pulsschlag beschleunigte sich. „Eric Quinn?“

„Du hast ihn schon kennen gelernt?“

„Gewissermaßen.“ Entschlossen, es schnell hinter sich zu bringen, griff Cindy nach hinten und zog die Pyjamahose unter ihrem Rockbund hervor.

Mannys Augen weiteten sich.

„Es ist nicht, was du denkst.“

„Ich denke, dass dies Mr. Quinns Pyjamahose ist.“

„Okay, es ist, was du denkst, aber ich hab die Hose nicht auf die Art bekommen, wie du es vermutest.“

„Erwartest du, dass ich glaube, du hast sie gestohlen?“

Sie biss sich auf die Lippe.

Manny starrte sie ungläubig an. „Du hast sie tatsächlich geklaut?“ Cindy ließ sich in einen Sessel fallen. „Ich kann es selbst nicht glauben.“

Manny setzte sich ebenfalls. „Cindy, ich sterbe gleich. Was ist mit dieser Hose?“

Allein bei dem Gedanken an den Vorfall brach ihr der Schweiß aus. Sie haspelte die ganze Geschichte herunter. „Na ja, und da dachte ich mir, ich nehme die Hose heimlich mit und lasse sie reinigen“, beendete sie ihren Bericht.

Manny schüttelte fassungslos den Kopf. „Du managst dieses Hotel, und etwas Klügeres ist dir nicht eingefallen?“

„In dem Moment erschien mir der Plan sehr gut!“

Er fasste die zerknitterte Hose am Bund und betrachtete eingehend den Fleck. „Tut mir leid, aber die Chancen, Blut aus Seide rauszukriegen, sind gleich null.“

Sie stöhnte. „Was soll ich denn jetzt tun?“

„Beckwith“, murmelte Manny, als er das Etikett entdeckte. „Da ist eine Herren-Boutique in Pacific Heights. Sie führen diese Marke.“ Cindys Miene erhellte sich. „Wirklich?“

„Ja. Der Mann hat einen teuren Geschmack.“

Sie griff nach ihrer Handtasche. „Lieber Manny, hättest du vielleicht Lust …“

„… zu Beckwith zu laufen und zu fragen, ob sie das gleiche Modell noch mal haben?“

Sie presste die Hände aneinander. „Ich flehe dich an.“

Ein verträumter Ausdruck erschien in Mannys Augen. „Ich hab eine Krawatte in Beckwiths Schaufenster gesehen, die ich sehr schick fand.“

„Sie gehört dir!“, rief Cindy und reichte ihm ihre Kreditkarte. „Aber ich brauche diese Hose vor der Dinnerzeit.“

„Kein Problem.“

„Und …“, sie hob warnend den Finger, „… kein Wort zu irgendjemand!“

Seine Mundwinkel zuckten. „Falls du es noch nicht weißt – Empfangschef ist praktisch gleichzusetzen mit ‚Hüter kleiner schmutziger Geheimnisse‘.“ Er stopfte die Hose zusammen mit dem Lockenstab in eine Plastiktasche. „Übrigens soll ich dir von Amy sagen, dass du an der Rezeption vorbeischauen möchtest. Sie hat möglicherweise entdeckt, unter welchem falschen Namen sich Mr. Stanton bei uns eingeschlichen hat.“

Cindy schoss vom Stuhl hoch. „Das sagst du mir erst jetzt? Wer ist der Mann?“

„Sie will es dir persönlich sagen.“

Sie fuhren zusammen zur Lobby hinunter, wo sie sich trennten, nachdem Manny versprochen hatte, sie sofort anzupiepsen, wenn er zurück war. Beunruhigt ging Cindy zur Rezeption. Sie hatte gehofft, dass wenigstens der Baum stehen würde und die Weihnachtsdekoration perfekt wäre, bevor Stanton eintraf.

Amy stand hinter dem Schreibtisch und träufelte sich Tropfen in die Augen.

„Eine Allergie?“, fragte Cindy.

„Ich glaube, es kommt von diesen Tannengirlanden an der Wand.“

„Du Arme. Wenn du dagegen allergisch bist, muss die Weihnachtszeit eine Qual für dich sein.“

„Fast so schlimm wie der Valentinstag.“

„Bist du gegen Schokolade auch allergisch?“

„Nein, gegen Penicillin.“

Cindy runzelte die Stirn. „Was hat Penicillin mit … Ach, nicht so wichtig.“ Sie senkte die Stimme. „Du hast Stanton entdeckt?“

„Jedenfalls glaube ich es. Es ist der Gast in Zimmer 620.“

„Mr. Stark? Bei dem war ich heute Morgen. Wie kommst du darauf, dass er es ist?“

Amy tupfte sich mit einem Papiertuch die Augen. „Abgesehen von der Namensähnlichkeit ist er überall im Hotel herumgelaufen, hat Fragen zu den Möbeln gestellt und sich Notizen gemacht. Und außerdem“, Amy flüsterte jetzt fast, „hat er bis Weihnachten gebucht und Bargeld als Sicherheit hinterlegt, statt eine Kreditkarte zu benutzen.“

„Hm – klingt, als könnte er unser Mann sein. Ich schau noch mal bei ihm vorbei.“

„Hör mal…“, Amy beugte sich über den Tresen und musterte Cindys konservativen dunkelblauen Rock, „… zeig etwas mehr Bein, ja?“

„Amy! Glaubst du im Ernst, ich greife auf weibliche Tricks zurück, um das Urteil des Mannes zu beeinflussen?“

Amy sah sie eine volle Minute lang stumm an.

Cindy seufzte und krempelte ihren Rockbund um. „Wie viel Bein?“

Cindy lächelte strahlend, als der Mann in Nummer 620 ihr die Tür öffnete. „Hallo, Mr. Stark.“

Er blinzelte sie durch seine dicken Brillengläser an. „Ja? Sie wünschen?“

„Ich bin Cindy Warren, die Managerin. Wir haben heute Morgen wegen des Zimmerwechsels gesprochen.“

„Ich will nicht mehr tauschen, da ich mich inzwischen hier eingerichtet habe.“

„Gut“, sagte sie schnell. Er brauchte nicht zu wissen, dass die Suite, die sie ihm angeboten hatte, inzwischen vergeben war. „Ich möchte noch einmal unser Bedauern zum Ausdruck bringen und Ihnen versichern, dass wir tun werden, was wir können, um Ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Falls Sie irgendeinen Wunsch haben, zögern Sie nicht, es mich wissen zu lassen.“

„Ein paar Gratis-Mahlzeiten wären nicht schlecht“, sagte er unverblümt.

Sie räusperte sich dezent. „Ich habe schon arrangiert, dass Sie morgen ein kostenloses Frühstück bekommen, Sir.“

„Hoffentlich mehr als Kaffee und einen Donut.“

Sie biss sich auf die Zunge. „Aber natürlich, Sir. Genießen Sie Ihren Aufenthalt.“

Als die Tür sich geräuschvoll wieder geschlossen hatte, ging sie niedergeschlagen zum Fahrstuhl zurück. Wenn dieser Sauertopf das Schicksal des Hotels in der Hand hatte, dann mussten sie sich auf allerhand gefasst machen. Die Tür glitt auf, und sie betrat gedankenverloren die Fahrstuhlkabine.

„Hallo“, sagte eine tiefe Stimme.

Sie schaute direkt in Eric Quinns lächelndes Gesicht. Dieses Lächeln! Er sah so hinreißend aus, dass sie ihn sekundenlang nur anstarren konnte. Sie bemerkte ein Grübchen in seiner linken Wange, das ihr vorher nicht aufgefallen war. Sie bemerkte auch den warmen Glanz in seinen Augen. Und sie bemerkte ebenfalls, dass er sich umgezogen hatte. Er trug eine graue Jogginghose, ein weißes T-Shirt und Sportschuhe. Sie betete, dass er seine Pyjamahose noch nicht vermisst hatte.

„Probleme?“, fragte er teilnahmsvoll.

„Nein“, antwortete sie hastig, zwang sich dann zu einem Lächeln. „Na ja, nicht mehr als sonst.“

„Keine weiteren Verletzungen, hoffe ich.“

Ihre Wangen wurden heiß. „Nein.“ Sie räusperte sich und suchte nach einem anderen Thema. „Wie läuft’s, Mr. Quinn? Sind Sie mit Ihrem Aufenthalt soweit zufrieden?“

„Sehr. Der erste Tag war recht produktiv.“ Sein Blick wanderte zu ihrem Rocksaum, glitt kurz über ihre Beine und zu ihrem Gesicht zurück. „Und ich bin Eric.“

Oh, diese Augen! Ihre Finger zitterten leicht. Der Metallclip hatte wahrscheinlich ein paar Nerven beschädigt. Sie starrte auf die Tafel mit den Stockwerknummern und versuchte sich zu erinnern, wo sie aussteigen wollte. „Was genau machen Sie beruflich … Eric?“

„Ich bin Handelsvertreter.“

„Und was verkaufen Sie?“, fragte sie, nur um die Unterhaltung in Gang zu halten.

„Ach, allerhand Krimskrams.“

Ihr war rätselhaft, warum er so vage antwortete, und plötzlich fiel ihr die Erotik-Messe ein. „Bereiten Sie die Messe vor, die nächste Woche stattfindet?“, tastete sie sich vor.

Er fuhr sich durchs Haar. Die Frage schien ihm unbehaglich zu sein. „Hm … Ja, genau genommen bereite ich etwas vor.“

Was das Sortiment Kondome in seiner Kulturtasche erklärte. Sie nickte und wich seinem Blick aus. Hoffentlich war sie nicht rot geworden. Ihr Gesicht brannte jedenfalls wie Feuer. Was war los mit ihr? Sie war liberal, sie war cool. Sie war sogar einmal mit Manny in ein Striplokal gegangen. Warum also irritierte sie die Vorstellung, dass dieser Mann Dildos und Ledertangas verkaufte?

„Fahren Sie auch ins Untergeschoss?“, fragte er mit einem Blick zu dem einzigen leuchtenden Knopf.

„Äh … Nein.“ Cindy hieb auf den Knopf für die Lobby, fast im selben Moment glitt die Tür auf, und fluchtartig stürzte sie hinaus.

Weit kam sie nicht, da etwas an ihrem Nacken riss und sie festhielt. Taumelnd fuhr sie herum. Ihr Schal war in der Fahrstuhltür eingeklemmt und wurde in den Schacht hinabgezogen. Die Luft wurde ihr knapp, ihr Herz raste wild. Endlich glitt die Seide von ihrem Hals, und ihr Chanel-Tuch verschwand im Boden.

Glücklicherweise hatte sie es nicht geknotet. Das wäre ihr Ende gewesen. Cindy schloss die Augen und atmete tief durch.

„Ist er es?“

Sie drehte sich um und sah Amy auf den Fahrstuhl zukommen, „Glaubst du, dass Stark Stanton ist?“

„Könnte sein“, murmelte Cindy. „Er ist etwas widerborstig.“

„Vielleicht steht er nicht auf Beine“, meinte Amy. „Oder er steht auf Männer. Vielleicht hätten wir Manny hochschicken sollen.“

„Was immer, sag den anderen, sie sollen auf Zack sein, wenn unser grantiger Gast auftaucht.“

Amy schnippte mit den Fingern. „Hey, warum lädst du ihn nicht zu der Weihnachtsfeier ein?“

Cindy starrte sie an. „Bist du verrückt?“

„Warum nicht? Zeig ihm, dass man auch Spaß haben kann.“

„Soll er den Stab betrunken sehen? Als albernen, hemmungslosen Haufen?“

„Oh, daran habe ich nicht gedacht. Aber du brauchst einen Begleiter, Cindy.“

„Jedenfalls wird es nicht der Mann sein, der hier ist, um Hackfleisch aus uns zu machen. Es macht mir nichts aus, die charmante Hausdame zu spielen, aber ich will nicht, dass der Stab denkt, ich würde mich an den Mann ranmachen, um meinen Job zu retten.“

„Du hast recht“, sagte Amy. „Ich werde die anderen instruieren.“

„Gut. Bis später.“ Cindy hastete die Treppe ins Untergeschoss hinunter, in der Hoffnung, dort ihren Seidenschal zu finden. Vergebens. Wahrscheinlich hatte sich das Tuch im Räderwerk verheddert und würde den Lift früher oder später außer Betrieb setzen.

Cindy sah auf ihre Uhr. Kurz vor drei. Manny müsste innerhalb der nächsten Stunde zurück sein. Sie würde die Ersatzhose in Eric Quinns Zimmer bringen können, während er im Fitnessraum trainierte. Eine Vision seines athletischen Körpers huschte durch ihren Kopf, und sie beeilte sich, wieder nach oben zu kommen.

Um sieben hatte Cindy noch immer nichts von Manny gehört. Sie betrat das Restaurant durch den Personaleingang, um den Küchenstab zu begrüßen. Nach einer kurzen Unterhaltung mit dem Chefkoch ging sie in den Speiseraum und setzte sich an einen der hinteren und selten benutzten Tische in der Nähe der Waschräume. Aufatmend streifte sie sich die Pumps von den Füßen. Was für ein Tag!

„Sie haben doch sicher nicht vor, allein zu speisen“, sagte Eric Quinn hinter ihr.

Sie drehte sich um und sah ihn wenige Schritte entfernt an einem Tisch sitzen, der durch einen Pflanzenkübel halb verdeckt war. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. „Es macht mir nichts aus.“

„Irgendwie ist es albern, dass wir beide allein essen, finden Sie nicht?“ In seinem Ton war nicht die Spur einer Anspielung. „Darf ich mich zu Ihnen setzen, Miss Warren?“

Sag Ja, redete sie sich zu. Er war einfach nur ein netter Geschäftsmann, der beim Dinner mit jemandem plaudern wollte. Außerdem könnte sie ihn so im Auge behalten, bis Manny sie anpiepte. „Bitte.“ Er erhob sich und kam mit seinem Weinglas an ihren Tisch. Sie deutete auf den Stuhl ihr gegenüber. „Und nennen Sie mich Cindy.“

„Also gut… Cindy.“

Er hatte sich umgezogen und trug jetzt eine legere graue Hose und ein hellblaues Hemd. Als er sich hinsetzte, fiel Cindy die athletische Geschmeidigkeit seiner Bewegungen auf, die eine prickelnde Unruhe in ihr auslöste. „Was empfehlen Sie?“

Cindys Gedanken schweiften ab. Eine Freundin hatte ihr vor einiger Zeit von einer ziemlich ungewöhnlichen Stellung erzählt, die sie gern mal ausprobieren würde. „Das Rumpsteak“, sagte sie, und ihr Herz hämmerte wie wild.

„Das hat auch der Empfangschef vorgeschlagen.“

„Sie haben mit Manny gesprochen?“ Die Sache war nur die, dass keiner ihrer Exfreunde so etwas wie ein loderndes Feuer in ihr entfacht hatte.

„Ja. Scheint ein netter Kerl zu sein.“

„Er ist meine rechte Hand.“ Oh, richtig, der Restaurator aus Oakland hatte ein viel versprechendes Knistern erzeugt, aber zu der Zeit war sie mit beruflichen Problemen überladen gewesen und … Na ja, die Sache war längst passé.

„Gute Leute sind schwer zu finden“, bemerkte er.

„Besonders in unserer Branche.“ Aber dieser Mann – dieser Mann war eine Ladung Dynamit.

„Cindy, bevor wir uns weiter unterhalten, muss ich mit Ihnen über eine andere Sache reden.“

Panik erfasste sie. Er wusste Bescheid. Er hatte gemerkt, dass seine Pyjamahose weg war, und war zu dem Schluss gekommen, dass sie sie genommen hatte. Sie griff nach ihrem Wasserglas. „Was meinen Sie?“

„Ich meine ein gewisses Kleidungsstück.“ Sein Lächeln ließ einen eisigen Schauer über ihren Rücken laufen.

Sie stürzte ein halbes Glas Wasser hinunter und verschluckte sich prompt. „Oh, das“, krächzte sie, nach Luft ringend. „Also, ich kann das erklären …“

„Nicht nötig. Sie waren etwas verlegen, das verstehe ich.“

„Ja, aber …“

„Wissen Sie, eigentlich finde ich Ihre kleinen Missgeschicke richtig komisch.“

Cindy wand sich vor Verlegenheit. „Das freut mich, aber …“

„Ich hoffe, es ist Ihnen recht, dass ich mir bei der Reinigung an der Ecke Rat geholt habe“, sagte er und griff in seine Jackett-Tasche.

„Also, die Sache ist die, dass ich mich schon um einen Ersatz gekümmert habe. Sie brauchen sich also wegen des Blutflecks keine Gedanken …“ Sie brach irritiert ab. Reinigung? Wie konnte er von dem Blutfleck wissen?

Er zog eine kleine Papiertüte aus der Tasche. „Blutfleck? Haben Sie sich verletzt, als Ihr Tuch weggerissen wurde?“

„Mein Tuch?“

„Ja, Ihr Tuch.“ Lachend nahm er ihr sorgsam gefaltetes Chanel-Tuch aus der Tüte. „Was dachten Sie denn, wovon ich rede?“

„Von meinem Tuch natürlich“, antwortete sie lahm. „Der Schnitt an meiner Hand, wissen Sie – ich hatte befürchtet, es wäre Blut an mein Tuch gekommen, als ich versucht habe, es aus der Fahrstuhltür zu zerren.“

„Ich konnte es in den Lift hineinziehen“, erklärte er, „aber es waren Schmutzflecken drauf, und deshalb dachte ich mir, ich lasse es für Sie reinigen.“ Wieder lächelte er. „Ich hoffe, Sie finden das nicht zu eigenmächtig.“

„Überhaupt nicht. Vielen Dank.“ Sie nahm das Tuch und legte es vor sich auf den Tisch. „Es ist ein Geschenk von meiner Mutter.“

„Aha. Lebt sie in San Francisco?“

„Nein, in Virginia. Mein Vater auch. Und mein älterer Bruder.“

„Wirklich? Ich bin auch aus Virginia.“

Ehe sie ihn Näheres fragen konnte, ertönte ihr Pieper. Sie lächelte entschuldigend. „Tut mir leid. Ich bin noch im Dienst.“ Sie zog ein kleines Funkgerät aus ihrer Tasche und drückte einen Knopf. „Ja, Amy?“

„Entschuldige, dass ich dich störe, Cindy, aber unser spezieller Gast in 620 beschwert sich über die Zimmertemperatur.“

Cindy vermutete, dass Mr. Stark sie testen wollte. „Ist es ihm zu heiß oder zu kalt?“

„Zu heiß.“

„Prüf bitte persönlich die Klimaanlage und nimm sicherheitshalber einen Ventilator mit.“

Cindy steckte das Gerät wieder ein und lächelte Eric an. „Wo waren wir? Ach ja! Aus welcher Gegend in Virginia kommen Sie?“

„Aus der Nähe von Manassas.“

„Aha. Ich bin weiter südlich aufgewachsen, unweit von Fredericksburg.“

„In Fredericksburg bin ich unzählige Male gewesen. Wie klein die Welt ist.“

Sie lächelte. „Ja, wirklich.“

Ein Kellner nahm ihre Bestellung entgegen, und sie kamen überein, sich eine Karaffe Weißwein zu teilen. Cindy entspannte sich ein wenig, aber sie würde erst aufatmen, wenn Manny sich gemeldet hatte. Beeil dich, flehte sie im Stillen.

Der Kellner brachte den Wein, und Eric füllte ihre Gläser. „Fahren Sie oft nach Hause?“, fragte sie und sah einen schwer zu deutenden Ausdruck über sein Gesicht huschen. Wehmut?

Autor

Colleen Collins
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