Tiffany Extra Hot & Sexy Band 63

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DAS EINMALEINS DER SÜNDE von STEVENS, KELLY
Die strenge Nachhilfelehrerin Abigail nervt Erfolgsunternehmer Cameron noch stärker als seine Rechenschwäche. Viel mehr Spaß hat er mit supersexy Sekretärin Abby, die er beim Online-Dating kennenlernt. Doch kaum nimmt ihre sündige Affäre Fahrt auf, schöpft er einen Verdacht …

SEXY PARTY FÜR ZWEI von LONDON, STEFANIE
Groß, dunkelhaarig, gefährlich sexy: Der Fremde von der Party ist genau der Richtige für die schöne Quinn, um bei einem One-Night-Stand ihre Sorgen zu vergessen! Bis sie am Morgen danach entdeckt, dass sie ausgerechnet mit ihrem größten Rivalen ins Bett gestiegen ist …

FRIVOLER FLIRT MIT FOLGEN von CHILDS, LISA
Ein verwegener Playboy wie Feuerwehrmann Cody passt nicht zu ihr! Das ist Serena sofort klar. Schließlich sucht sie einen bodenständigen Mann, um eine Familie zu gründen. Aber warum macht sie nur zu gerne mit, als ihr neuer Pensionsgast sie zu einem frivolen Flirt verführt?

NUR EINE HEIßE NACHT IN HOLLYWOOD? von RAWLINS, DEBBI
Beste Freunde - ohne Sex! Mallory weiß, was sie von Gunner will und was nicht! Auch wenn es neuerdings verführerisch zwischen ihnen prickelt, will sie ihre Freundschaft nicht riskieren. Da behauptet Gunner überraschend: "Küssen ist kein Sex!" Mit gefährlich sinnlichen Folgen …


  • Erscheinungstag 07.03.2017
  • Bandnummer 0063
  • ISBN / Artikelnummer 9783733752651
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kelly Stevens, Stefanie London, Lisa Childs, Debbi Rawlins

TIFFANY EXTRA HOT & SEXY BAND 63

KELLY STEVENS

Das Einmaleins der Sünde

Supersexy – und superklug: Weil Mathegenie Abby die Männer mit ihrem Wissen in die Flucht jagt, gibt sie sich beim Online-Dating als Sekretärin aus. Doch Unternehmer Cameron schöpft Verdacht …

STEFANIE LONDON

Sexy Party für zwei

Keine Versprechen. Keine Enttäuschungen. Nur Sex! Mit der geheimnisvollen Unbekannten von der Party hat Aiden den perfekten One-Night-Stand. Noch ahnt er nicht, dass er sie schon bald wiedertrifft …

LISA CHILDS

Frivoler Flirt mit Folgen

Cody ist in Versuchung wie nie zuvor! Ausgerechnet seiner schönen Pensionswirtin Serena verfällt er! Aber die sucht einen Mann fürs Leben, und Cody liebt doch seine Freiheit so sehr …

DEBBI RAWLINS

Nur eine heiße Nacht in Hollywood

Sex mit der besten Freundin? Gunner sagt nicht Nein, als es in einer heißen Nacht in Hollywood immer stärker zwischen Mallory und ihm knistert. Ein Fehler? Danach geht Mallory ihm plötzlich aus dem Weg …

1. KAPITEL

„Was sagst du zu der, Cam? Die ist echt heiß!“

Cameron Sinclair drehte sich um und betrachtete die Frau, die an der Bar stand. Im schummrigen Licht sah man vor allem lange blonde Locken und sehr viel Dekolleté. „Dein Beuteschema, John. Viel Glück.“

Sein Freund und Geschäftspartner stolzierte Richtung Bar, wo die Blondine sich inzwischen auf einen Hocker gesetzt hatte. Der dunkle Minirock war dabei bis zur Mitte ihrer Oberschenkel hochgerutscht und gab den Blick auf schlanke, wohlgeformte Beine frei. Ihre Schuhe konnte er von hier aus nicht sehen, aber er war sich sicher, dass sie Mörderabsätze tragen würde.

Blond, kurvig und wahrscheinlich strohdumm. Wie es das Blondinenklischee versprach. Von dieser Sorte schien es hier an diesem Abend einige zu geben.

Cam nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche und sah sich um. Es war John gewesen, der diesen Schuppen in San Francisco vorgeschlagen hatte. Er selber bevorzugte die Bars und Clubs im Silicon Valley, vor allem an einem Freitagabend nach einer anstrengenden Arbeitswoche, wenn er keine vierzig Meilen zu einer drittklassigen Bar fahren wollte.

Aber John hatte feiern wollen, und für John bedeutete Feiern „auf Beutezug gehen“. Bei seinem Frauenverschleiß hatte er die meisten Frauen im Valley wahrscheinlich schon durch, dachte Cam zynisch, obwohl er selbst seinem Freund in dieser Hinsicht kaum nachstand.

Während John allerdings immer nach der perfekten Masche vorging und sich für den größten Aufreißer in Kalifornien hielt, bevorzugte Cam die höflichere Annäherung in gegenseitigem Einvernehmen. Gerne auch auf Augenhöhe, aber er hatte in den letzten Jahren feststellen müssen, dass es wenige Frauen gab, die ihm diesbezüglich das Wasser reichen konnten. Das mochte arrogant klingen, aber er war nicht umsonst mit Anfang dreißig CEO einer der erfolgreichsten Firmen im Silicon Valley.

Seine Flasche war leer. Cam warf einen Blick Richtung Bar, wo John sich gerade neben der Blondine in typische Pick-up-Artist-Positur geworfen hatte. Die Frau hatte den Kopf leicht geneigt, als höre sie ihm zu, sah ihn dabei aber auch nicht an. Noch schien sein Freund ihr Interesse nicht geweckt zu haben.

Ungewöhnlich. Meistens erlagen ihnen beiden die Frauen schnell. Dass sie gut aussehend und erfolgreich waren, half sicher, da machte er sich nichts vor. Oft genug waren es sogar die Frauen, die den ersten Schritt machten.

Eine Bedienung war nicht zu sehen. Cam drängte sich zum Tresen durch, nur wenige Schritte von den beiden entfernt, und bestellte ein weiteres alkoholfreies Bier. John hatte gleich mit den harten Drinks angefangen, und einer von ihnen musste schließlich zurückfahren.

Oder auch nicht. Cam ließ seinen Blick über die Menge schweifen, während er auf seinen Drink wartete. Ein typischer Abschleppschuppen, wie ihm schien. Obwohl es noch relativ früh am Abend war, hing eine Atmosphäre von Verzweiflung in der Luft, ein Hauch von Gefallen-Müssen, Jemanden-Finden-Müssen, was ihm zuwider war. Ja, er schleppte gerne und oft Frauen ab. Aber nicht solche, die es so dringend nötig hatten, dass sie sich auf das tiefe Niveau begeben mussten, das hier vorherrschte.

Das war mehr Johns Welt. Mit gemischten Gefühlen hörte Cam, wie sein Partner der Frau abwechselnd erzählte, wie toll er sei, und sie disste. Ein Alphamännchen auf Beutezug.

Cam verstand nicht, wieso manche Männer Frauen bewusst verbal herabsetzen, um sich in ihren Augen interessanter zu machen. Meistens hatte sein Freund damit Erfolg. Für Männer wie John waren Frauen in solchen Etablissements ein gefundenes Fressen. Zu vielen von ihnen mangelte es an Selbstbewusstsein, und sie ließen sich von einem widerlichen Kerl nach dem anderen zur Schnecke machen, während sie verzweifelt nach Liebe suchten.

Nun, diese Art von Frauen brauchte er nicht. Sollte John sie haben. Er selbst bevorzugte selbstsichere Frauen, die wussten, was sie wollten, und durchaus auch mal Kontra geben konnten.

Bisher schlug die Blondine sich allerdings wacker. Er sah sie zwar nur von hinten, aber er merkte, dass John sich mehr als sonst anzustrengen schien. Geschah ihm ganz recht.

Endlich schob ihm der Barkeeper sein Bier rüber. Gerade, als er den ersten Schluck trank, bekam Cam mit, wie die Frau laut und deutlich „Danke, es reicht, ich habe kein Interesse an Ihnen“ sagte.

Eine klare Ansage. Da schien John sich wohl mit seiner Beute verspekuliert zu haben. Cam grinste und trat unauffällig einen Schritt näher. Wenn es ums Geschäft ging, gehörte auch er zu den Männern, die bei einem „Unmöglich“ nicht klein beigaben, sondern die Herausforderung annahmen, doch noch eine Lösung zu finden. Wenn es aber um Frauen ging, war er Gentleman und akzeptierte ein Nein.

Nachdenklich betrachtete Cam die Blondine: von den blonden Locken über ihre üppige Oberweite bis zur Kurve ihrer Hüften, die in ihrer sitzenden Position gut zur Geltung kam. Schlank und kurvig, fast ein Widerspruch in sich. Die Haut ihrer Arme schimmerte in der schummrigen Beleuchtung. Kurz fragte er sich, wie es sich wohl anfühlen würde, ihre nackte Haut unter seinen Händen zu spüren, ihre Kurven entlangzufahren, sie unter sich stöhnen zu hören. Obwohl er normalerweise eher den klassischeren Frauentyp bevorzugte, hatte die Kleine etwas, das ihn anmachte.

John jedenfalls schien ihre Abfuhr erst recht anzustacheln, denn er trat einen Schritt näher, bis er die Frau fast berührte. Sie drehte sich instinktiv weg, glitt vom Barhocker und brachte das Möbelstück zwischen sich und John. Dadurch stand sie nun fast genau neben Cam. Er spürte einen Hauch ihres Parfums, überraschend frisch, ein Duft, der so gar nicht zu ihrem barbiehaften Auftreten passte.

„Du bist bloß eine kleine, unbedeutende Sekretärin, die nachts davon träumt, jemanden wie mich in ihrem Bett zu haben!“, warf John ihr voller Wut an den Kopf.

Möglich, dass auch das zu seiner Taktik gehörte, aber Cam hatte eher den Eindruck, als habe sein Partner eindeutig schon zu viel Alkohol intus. Sein Beschützerinstinkt regte sich. Jemanden, der in ihr nur eine weitere Kerbe in seinem Bettpfosten sah, hatte die Blondine nicht verdient, selbst wenn sie stark geschminkt und aufreizend gekleidet in einer schmierigen Bar saß.

Schnell trat er neben John. „Die Lady hat Nein gesagt. Lass uns gehen.“

Die Blondine drehte sich kurz zu ihm und wandte sich dann wieder an seinen Partner. „Danke, ich komme schon alleine klar.“

Sie hatte anscheinend doch mehr Selbstbewusstsein, als er ihr zugetraut hatte.

„Bis morgen, Partner“, zischte John ihm zu, doch Cam blieb stehen. Nicht, dass die Situation eskalierte. Oder war er vielleicht nur neugierig, wie die Unbekannte sich jetzt verhalten würde?

„Was hättest du mir im Bett schon zu bieten?“ Ihr Blick wechselte von John zu Cam. Allerdings sah sie ihnen nicht in die Augen, sondern in den Schritt …

Cam wurde heiß. Er hatte in seinem Leben schon viele Frauen abgecheckt. Die umgekehrte Situation hatte er noch nie erlebt. Unter ihrem Blick fragte er sich unwillkürlich, ob sie wohl zufrieden war mit dem, was sie sah. Ob sie sich im Bett auch nahm, was sie brauchte und wie sie es brauchte? Vielleicht hatte er sie völlig falsch eingeschätzt, und sie war hier diejenige, die auf Beutezug war, und nicht die Beute. Sie wirkte wie eine Frau, die wusste, was sie wollte. Ihn jedenfalls machte ihre offene Art extrem an, selbst wenn ihre Worte sich an seinen Geschäftspartner richteten.

Zum Glück richteten sich ihre Worte an seinen Geschäftspartner, korrigierte Cam seine Gedanken, denn er selbst hätte bei so einem verbalen Angriff auf seine Männlichkeit wahrscheinlich mit verletztem Stolz reagiert.

Aus den Augenwinkeln sah Cam, wie John schluckte. Vermutlich hatte die Frau genau diese Reaktion beabsichtigt. Sie schien dieses Spiel nicht zum ersten Mal zu spielen.

Im nächsten Moment griff sie ihm – Cam! – zwischen die Beine, und er merkte, wie er augenblicklich reagierte. „Deinen Freund hingegen würde ich jederzeit gerne im Bett haben, und nicht nur dort“, schnurrte sie und blickte dabei John an, während sie Cam durch den Stoff seiner Anzughose massierte.

Die Kleine traute sich was! Stocksteif blieb Cam stehen. Ihre Finger fühlten sich unglaublich an, selbst durch den Stoff seiner Hose. Kurz war er in Versuchung, sie sich selbst zu schnappen, John hin oder her.

Nur mühsam gelang es ihm, sich wieder zu fokussieren. Sie stand inzwischen direkt vor ihm, sodass er nur auf ihren Kopf sehen konnte, nicht in ihr Gesicht. Von Nahem betrachtet, wirkten ihre blonden Haare stumpf. Wahrscheinlich zu oft gefärbt und mit dem heißen Lockenstab malträtiert, dachte Cam, der das Problem von seiner jüngeren Schwester und deren Freundinnen kannte. Obwohl kein dunkler Haaransatz zu erkennen war, glaubte er nicht, dass ihre Haarfarbe echt war. Sie war wohl gerade erst beim Friseur gewesen.

Und sie war klein – selbst mit Absätzen ging sie ihm noch nicht einmal bis zum Kinn. Aber sie wusste ganz genau, was sie tat, denn unter ihren Fingern war er sofort steif geworden. Verdammt, er wollte, dass sie weitermachte, was sie angefangen hatte, selbst wenn sie es nur getan hatte, um seinen Freund in seine Schranken zu weisen!

Nur vage bekam Cam mit, dass John auf ihn einsprach. Mühsam löste er sich aus seiner Erstarrung. Wenn die Frau nicht wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und er wegen einer Schlägerei mit seinem Partner verhaftet werden wollten, sollte er besser gehen, egal, wie schwer es ihm fiel.

Cam brauchte all seine Willenskraft, um den halben Schritt zurückzutreten, der ihn den Fingern der Blondine entzog. Mit einem Ausdruck von Bedauern betrachtete er ihre schlanken Finger mit den kurz gefeilten, rosa lackierten Nägeln. Zu gerne hätte er gewusst, was sie mit diesen Fingern sonst noch anstellen konnte – und ob sie den Rest ihres Körpers auch so clever einsetzen konnte. Aber sich deshalb mit seinem Freund überwerfen wollte er auch nicht.

„Ich warte im Wagen auf dich, genau fünf Minuten!“, sagte er mühsam beherrscht an John gewandt und bahnte sich den Weg Richtung Ausgang. Seine halb volle Bierflasche ließ er zurück.

Genau wie die Frau.

Die kühle Nachtluft tat ihm gut. Er zog seine Jacke über und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen, der auf einem bewachten Parkplatz nicht weit entfernt stand. Wie er seinen Geschäftspartner kannte, würde er entweder schnell nachkommen oder gar nicht.

Auf jeden Fall würde John die Nacht nicht mit der Blondine verbringen. Die Kleine hatte Chuzpe. So effektiv hatte noch keine Frau sich seinen Geschäftspartner vorgeknöpft.

Auch wenn sie ihn selbst dabei wie einen kompletten Idioten hatte aussehen lassen!

Das war so was von überhaupt nicht nach Plan gelaufen!

Typisch für sie. Sie hatte einfach kein Händchen für Männer. Da wollte sie sich schon mal aufreißen lassen, und mit welchem Ergebnis? Den ersten Typen machte sie lächerlich, und den zweiten belästigte sie!

Abby betrachtete ihre Hände mit den praktisch kurz gefeilten Nägeln. Vor wenigen Minuten hatten sie sich noch auf einem sehr privaten Körperteil eines Mannes befunden.

Normalerweise hätte sie sich so etwas nicht getraut. Aber der Wunsch, diesen Mann anzufassen – und ihn aus seiner Reserve zu locken –, war plötzlich übermächtig geworden.

Es war lange her, dass sie so auf einen Mann reagiert hatte. Ja, er hatte gut ausgesehen, zumindest, soweit sie dies aus den Augenwinkeln beurteilen konnte. Groß, schlank, dunkelhaarig. Aber es war mehr als das gewesen. Er hatte eine Präsenz, die sie schon wahrgenommen hatte, als er noch Meter von ihr entfernt stand. Sie hatte seine Blicke auf sich gespürt, als würde er sie berühren.

Sie hatte wirklich gedacht, dass er es auch gespürt hatte. Dass zwischen ihnen eine Verbindung war.

Nur deshalb hatte sie sich getraut, ihn in aller Öffentlichkeit zu berühren. Auch, um seinen Freund zu ärgern, aber vor allem, weil sie es wollte. Ihn wollte.

Und er hatte auf sie reagiert, sie hatte es genau gespürt. Sie war sich sicher gewesen, dass er sie in diesem Moment genauso begehrte wie sie ihn.

Trotzdem hatte er sie abgewiesen.

Ging ihm eine Männerfreundschaft über das, was sie vielleicht haben könnten? Das wäre mal wieder typisch Mann. Bevor es ernst werden konnte, kniffen sie.

Kaum, dass sein Kumpel verschwunden war, war sie auf die Straße gelaufen, in der Hoffnung, den dunkelhaarigen Fremden vielleicht doch noch zu sehen. Aber er war verschwunden.

Was blieb, waren die Zweifel, wieso sie es immer wieder schaffte, alle Männer zu vergraulen, bevor sie überhaupt eine Chance hatten, sie kennenzulernen.

2. KAPITEL

Missmutig blickte Cam auf seinen Bildschirm. Die Zahlenkolonnen nahm er kaum wahr. Obwohl er heute Morgen schon eine Runde Laufen gewesen war und sich vorhin in der Firmenkantine ein spätes Frühstück mit frisch gepresstem Orangensaft, Kaffee, Pfannkuchen und Obst gegönnt hatte, fiel es ihm schwer, sich zu konzentrieren. Anstatt bei der Arbeit waren seine Gedanken immer noch beim gestrigen Abend und bei der Blondine.

Obwohl sie doch so gar nicht in sein Beuteschema passte, hatte sie ihn beeindruckt. Im Nachhinein ärgerte er sich, dass er einfach so gegangen und seinem Partner das Feld überlassen hatte. Zumindest ihre Telefonnummer hätte er schon gerne gehabt. Ob er sie dann angerufen hätte, konnte er nicht sagen, aber zumindest hätte er die Möglichkeit gehabt.

So hatte er nichts. Keinen Namen, keine Nummer, noch nicht einmal ein Gesicht, da sie ihn nicht angeschaut hatte. Zumindest nicht in die Augen …

Und John würde er auf keinen Fall auf sie ansprechen!

Sein Geschäftspartner war tatsächlich nach fünf Minuten am Wagen aufgetaucht, allerdings nur, um ihm mitzuteilen, dass er in den nächsten Club weiterziehen würde.

Cam hatte keine Ahnung, ob John letzte Nacht noch zurückgekommen war oder den Rest der Nacht mit irgendeiner anderen Frau, die leichter zu beeindrucken war, in San Francisco verbracht hatte. Auf jeden Fall war er nicht hier.

Zugegeben, es war Samstag, aber die Mitarbeiter hatten rund um die Uhr, sieben Tage die Woche Zugang zur Firma. Im Valley war es Teil des Lifestyles, dass sich jeder seine Arbeitszeit selbst einteilen konnte, solange er seine Aufgaben termingerecht erledigte. In Zeiten, wo jeder ständig und überall online war, erwartete Cam auch von seinen Vorstandskollegen, dass sie am Wochenende zumindest ansprechbar waren, sollte es etwas Dringendes geben.

Und das, was er gerade sah, war dringend.

Zumindest für ihn.

Sie waren zu dritt im Vorstand: Cam als Vorsitzender, John für Vertrieb und Personal und Daniel für Finanzen und IT. Bisher hatte das gut funktioniert. Aber seit eine gegenseitige Überwachungs- und Kontrollfunktion eingeführt worden war, hatte Cam auch das Thema Finanzen zu überwachen, und genau das war das Problem.

Bisher war alles in seinem Leben relativ glatt gelaufen. Mit sechzehn hatte er seine erste eigene Firma gegründet, neben der Highschool. Nach dem Abschluss war er aufs College gegangen, um Wirtschaft zu studieren. Das Thema interessierte ihn wirklich, aber die Ablenkungen in Form von Partys und Frauen waren stärker. Er bekam zunehmend Schwierigkeiten, schwänzte Kurse und legte sich mit seinen Dozenten an.

Dass er das Wirtschaftsstudium schon nach dem ersten Jahr aufgegeben hatte, hatte er seinen Eltern gegenüber damit begründet, dass seine Firma inzwischen so gut lief, dass er seine Zeit lieber dem Firmenaufbau widmen wolle. Die nicht ganz so ruhmreiche Wahrheit war, dass er diverse Kurse nicht bestanden hatte – Mathematik, Statistik, Finanzen, alles, was mit Zahlen zu tun hatte. Programmieren konnte er, und er war geschickt darin, neue Geschäftsideen zu entwickeln, zu netzwerken und wertvolle Deals abzuschließen, aber sobald ihm jemand Zahlen oder gar eine Bilanz vorlegte, hätte er am liebsten Reißaus genommen.

So wie jetzt.

Es half alles nichts. Er wählte die Nummer von Daniel, der sich auch direkt meldete. „Daniel, hast du einen Moment Zeit, um mit mir über den vorläufigen Quartalsbericht zu sprechen?“

Keine drei Minuten später trat der Finanzchef in sein Büro. Daniel war ein paar Jahre älter als Cam, sah aber immer noch aus wie der typische All-American-Boy: blond, sportlich, hilfsbereit, mit strahlendem Lächeln und immer gut gelaunt, selbst am Samstag. Er war mit seiner Jugendliebe verheiratet, und die beiden hatten zwei Jungen im Grundschulalter, richtige Wirbelwinde.

Kinder schienen jung zu halten, dachte Cam manchmal. Während Daniel Wert darauf legte, die Abende im Kreise seiner Familie zu verbringen, lebte er selbst mehr nach dem Motto „work hard, play hard“.

Obwohl er immer wieder gesagt bekam, dass er gut aussah, merkte Cam, wie er allmählich älter wurde. Seine Haare waren immer noch so dunkel wie eh und je, seine Haut leicht gebräunt, sein Körper durchtrainiert. Aber nach einem Sportunfall hatte er eine Narbe am linken Oberschenkel, beim Joggen machte ihm eine alte Knieverletzung zu schaffen, und nach einer durchfeierten Partynacht ging er nicht mehr wie früher direkt in die Firma, sondern nach Hause und legte sich erst einmal ein paar Stunden schlafen.

Verdammt, er wurde alt!

Vielleicht wäre es doch keine so schlechte Idee, sich eine feste Beziehung zu suchen. Ein Haus hatte er schon, eine Villa mit Pool in Mountain View, nur wenige Autominuten von der Firma entfernt. Er hatte sowohl menschlich als auch materiell einiges zu bieten.

Die richtige Frau wäre er bereit auf Händen zu tragen. Eine, mit der er lachen, über seine Arbeit reden, aber auch mal diskutieren konnte. Keine, für die das Leben nur aus Shoppen und Besuchen in Schönheitskliniken bestand. Frauen, die es nur auf gutes Aussehen und sein Geld abgesehen hatte, waren Cam zuwider.

Die meisten Frauen im heiratsfähigen Alter hier in der Gegend wussten, wer er war. Obwohl er sich nicht ins Rampenlicht drängte, war er ein gefragter Sprecher bei Konferenzen oder als Interviewpartner. Eins der Wunderkinder des Silicon Valley, und damit war sein Gesicht bekannt.

Ob er es wieder mit Online-Dating versuchen sollte? Zuerst einmal unverbindlich schauen, ob man gemeinsame Interessen hatte, und dann erst Fotos austauschen? Sein Account bei einer Dating-Website – allerdings einer, bei der es eher um unverbindliche Treffen als um ernsthafte Heiratsabsichten ging – war seit Wochen ungenutzt.

„Was gibt’s denn so Dringendes? Ich muss übrigens in zwanzig Minuten los, mein Ältester hat ein Spiel, und ich will ihn hinfahren und zusehen“, begrüßte Daniel ihn.

Cam riss sich zusammen. „Tut mir leid, es geht hoffentlich schnell. Ich habe mich gefragt, wieso diese Zahl so niedrig ist?“ Er deutete auf seinen Bildschirm.

Daniel beugte sich über seine Schulter und runzelte die Stirn. „Ich dachte, du freust dich darüber?“

Diesmal war es an Cam, die Stirn zu runzeln. „Wieso sollte mich das freuen?“

„Na, weil die Projektkosten deutlich unter dem veranschlagten Soll liegen.“

Da ging es wieder los. Soll und Haben, Plan und Ist, Einnahmen und Ausgaben, was auch immer. „Das ist also gut?“

Daniel sah ihn seltsam an. „Klar, genau das steht da doch.“

Cam kam langsam ins Schwitzen. „Okay. Danke.“

„Alles okay?“, fragte Daniel. „Wart ihr gestern noch lange auf der Piste?“

„John ja, ich nicht.“

„Hast du zu Hause weitergefeiert?“

Sein Partner kannte ihn zu gut. „Ausnahmsweise nicht, von einem Scotch und einem halben Film mal abgesehen.“ Über dem er auf der Couch eingeschlafen war. Einer sehr bequemen Couch, die er erst vor ein paar Wochen gekauft hatte. Zusammen mit dem riesengroßen Plasmafernseher und dem ganzen anderen Schnickschnack, zu dem seine Innenarchitektin ihn gedrängt hatte. Er hatte Geschmack, ja, aber nicht die Zeit und Muße, sich selbst um so etwas zu kümmern. Ein Haus in ein Heim zu verwandeln, war vermutlich eher ein weibliches Talent.

Er stellte sich die Blondine von gestern Abend auf seiner Couch vor. Wie sie sich lasziv darauf räkelte, sich den Zeigefinger zwischen die rot geschminkten Lippen schob und ihm verruchte Blicke zuwarf. Heiß!

Dann versuchte er, sie sich an seiner Seite auf einem Business-Empfang vorzustellen. Der Gedanke kühlte seinen Erregungszustand augenblicklich ab. Schon rein optisch würde jemand wie sie kaum in sein Leben passen. Viel zu aufgedonnert, geradezu billig. Sexuell mochten ihn solche Frauen für eine kurze Zeit durchaus reizen, aber um das ganze Leben miteinander zu verbringen, brauchte es schon etwas mehr. Obwohl die Kleine in der Bar durchaus selbstbewusst gewirkt hatte, intellektuell würde sie ihm wahrscheinlich nicht einmal annähernd das Wasser reichen können. Er hatte keine Lust, sein Leben mit einem naiven Dummchen zu verbringen, mit dem er sich nach kurzer Zeit langweilen würde.

Verdammt, schon wieder bewegten seine Gedanken sich auf Pfaden, die ihn in unbekanntes Terrain zu führen drohten!

„Können wir den Quartalsbericht dann am Montag so rausgeben?“, fragte Daniel.

„Wird er denn noch einmal kontrolliert?“

„Hey, du bist der Chef. Sobald du ihn freigibst, geht er raus.“

Diesmal begann Cam wirklich zu schwitzen. „Mir wäre es lieber, wenn da am Montag noch mal jemand anders drüber schauen könnte. Achtaugenprinzip und so.“

„Cam, es ist nur ein Quartalsbericht, kein Hexenwerk.“

„Aber ich bin dafür verantwortlich, was drinsteht.“

„Das Los eines Vorstandsvorsitzenden, mein Lieber. Du hast dir die Position hart erarbeitet.“

Nur war es Ironie des Schicksals, dass es hier immerhin um seine eigene Firma ging. Cam grinste etwas schief, denn ein mulmiges Gefühl blieb. „Ich möchte es einfach nur im Detail verstehen, bevor ich die Zahlen rausgebe.“

Daniel zuckte die Schultern. „Na, dann lies es dir übers Wochenende in Ruhe durch, und wenn du noch Fragen hast, ruf mich an. Wir sind heute Abend bei Freunden eingeladen und morgen auf einer Familienfeier, aber …“

Cam kam sich wie der letzte Idiot vor, mit seinen wahrscheinlich unbegründeten Ängsten seinem Geschäftspartner das Wochenende zu verderben. „Ist schon gut. Ich war nur irritiert, weil der Bericht diesmal anders aussah als letztes Mal.“

„Wir haben ein paar Sachen umgestellt, aber inhaltlich hat sich nichts geändert.“

„Könntest du mir schnell noch zeigen, was genau umgestellt wurde?“ In der Vergangenheit hatte er immer Notizzettel gehabt, auf denen er sich akribisch notiert hatte, was welche Zahl bedeutete und wie er ihre Änderung zu interpretieren hatte. Ohne seine Spickzettel, wie er sie selbst nannte, war er aufgeschmissen. Dann waren Zahlen nur Ziffern ohne Bedeutung.

„Das steht doch oben drüber. Hier, siehst du?“

Daniel zeigte im Abstand von Sekundenbruchteilen auf viele verschiedene Stellen auf dem Bildschirm.

Cam konnte ihm zwar visuell, nicht aber gedanklich folgen. „Langsam, was war das gerade?“

Daniel zog seine Hand zurück und trat einen Schritt zurück, um ihn anzusehen. „Cam? Kann es sein, dass du kein Wort von dem verstehst, was da geschrieben steht?“

Unglücklich starrte Cam auf den Monitor und schwieg.

„Ich fasse es nicht“, sagte Daniel, mehr zu sich selbst. „Ich meine, du leitest diese Firma seit über fünfzehn Jahren!“

„Das weiß ich selbst.“ Weiterhin vermied er es, seinen Geschäftspartner anzusehen.

„Das gibt’s doch nicht! Du leidest unter Dyskalkulie?“

Cam hörte das Wort zum ersten Mal in seinem Leben. „Dys… was?“

„Dyskalkulie. Rechenschwäche. Wie Legasthenie, nur mit Zahlen.“

So etwas gab es, eine Rechenschwäche? Das würde einiges erklären. „Ich weiß nicht … Bisher bin ich immer ganz gut klargekommen.“ Falsch. Schon in der Schule war er in Mathematik keine Leuchte gewesen, und es waren die mathematischen Fächer gewesen, die ihm auf dem College das Genick gebrochen hatten, nicht die Kurse, die mit Management zu tun hatten. Er hatte sich immer irgendwie durchgemogelt und gehofft, niemandem würde es auffallen, dass er, was Zahlen betraf, ein Versager war.

Das hatte ihn trotzdem nicht davon abgehalten, ein erfolgreicher Unternehmer zu werden.

„Schon gut, ich werde am Montag jemanden fragen“, wich Cam aus, während seine Gedanken rasten. Nicht auszudenken, dass irgendjemand außerhalb dieses Raums von seiner Schwäche erfuhr, seine Investoren oder Kunden! Niemand würde ihn noch ernst nehmen.

Daniel warf ihm einen scharfen Blick zu. „Wen willst du denn fragen, wenn nicht den Experten, der neben dir steht?“

„Wozu hat man schließlich Assistenten?“, bluffte Cam.

„Um sie flachzulegen?“

Da hatte Daniel ihn an einem wunden Punkt erwischt. Eigentlich trennte er Arbeit und Privatleben strikt. Aber seine letzte Assistentin war monatelang in knappen Röcken, noch knapperen Blusen, durch die ihr BH blitzte, und High Heels durch sein Büro gestöckelt. Er hätte ein Heiliger sein müssen, ihren Reizen zu widerstehen. Dass sie, als er die Affäre beendete, in Tränen aufgelöst kündigte, hatte ihm sogar einen Rüffel von der Personalabteilung eingebracht, der sie natürlich brühwarm ihre Version des Geschehens berichtet hatte.

„Ich habe meine Lektion gelernt und werde nie wieder etwas mit einer Angestellten anfangen.“ Schließlich gab es außerhalb der Firma genug andere Frauen. „Am besten stellen wir nur noch hässliche alte Männer ein.“

Daniel lachte. „Das wäre ja mal eine ganz neue Art von Diskriminierung.“

Doch Cam war nicht zum Lachen zumute.

„Hey, Cam, kein Problem. Das kriegen wir hin. Morgen auf der Familienfeier spreche ich mal mit meinem Cousin Marc. Der kennt diverse Leute, die sich mit so etwas auskennen. Er kann dir bestimmt einen Nachhilfelehrer vermitteln. Jemanden, der dir in aller Ruhe die Basics erklärt und die Dinge, die du hier jeden Tag brauchst.“

Cam zögerte, aber seinem Geschäftspartner wollte er auch nichts vormachen. Jetzt, wo sein Problem einen Namen hatte, hatte er eine Chance, es endlich in den Griff zu bekommen. „Daniel, das muss unter uns bleiben. Wenn jemand hier im Haus Wind davon bekommt, oder die Konkurrenz …“

Dann wäre er das Gespött im Valley. Vom Wunderkind zum Idioten. Er wagte gar nicht, sich auszumalen, welche Konsequenzen dies nicht nur für seine Karriere, sondern auch für die Firma und die Zukunft seiner Mitarbeiter haben würde.

Abigail wickelte das Handtuch, das sie sich im Turban-Stil um den Kopf gebunden hatte, ab und begann, ihre Haare trocken zu föhnen. Von Natur aus waren sie dunkelblond und glatt, aber die kalifornische Sonne hatte goldglänzende Highlights in ihr Haar gezaubert, ganz ohne Friseur. Der kinnlange klassische Pagenschnitt, den sie trug, stand ihr gut und war ohne großen Aufwand in Form zu bringen.

Auf dem Perückenständer auf ihrer Kommode lagerten die langen blonden Locken, die sie am Wochenende bei ihrer Tour durch die Clubs getragen hatte. Sie warf einen Blick darauf und seufzte. Freitagabend war ein Reinfall gewesen, nur billige Anmachsprüche. Was zugegebenermaßen wahrscheinlich auch an der Lokalität gelegen hatte. Ein typischer Aufreißschuppen – nicht ihr bevorzugtes Terrain.

Inzwischen erkannte sie die Männer, die nach der perfekten Masche der Pick-up-Artists vorgingen, schon von Weitem. Der Typ, der sich dort an sie rangemacht hatte, John, war ein besonders schmieriges Exemplar dieser Gattung gewesen. Es hatte ihr diebische Freude bereitet, sein dummes Gesicht zu sehen, als sie ihn abservierte.

Sein Freund hatte ihr eindeutig besser gefallen. Nicht nur, dass er in dem dunklen Anzug absolut heiß ausgesehen hatte und sich von den anderen Männern, die überwiegend in Jeans und Hemd erschienen waren, abgehoben hatte, er schien auch ein Gentleman zu sein. Eine Mischung, die sie unter normalen Umständen unwiderstehlich gefunden hätte, und in dieser Situation ganz besonders. Nicht nur, dass es eine Möglichkeit gewesen war, John loszuwerden, es war auch eine Chance gewesen, seinen Freund kennenzulernen.

Und sie hatte sie mal wieder vergeigt!

Abigail errötete, weniger von der Hitze des Föns, sondern vor Scham beim Gedanken an ihr Verhalten. Sie hatte sich an einen Fremden rangeschmissen wie eine rollige Katze, mehr noch, ihn unsittlich angefasst! Nachträglich wäre es ein Leichtes, dies auf den einen oder anderen Cocktail zu viel zu schieben, aber da sie ausnahmslos alkoholfreie Cocktails getrunken hatte, konnte sie sich nicht hinter dieser Ausrede verstecken.

Ob er öfters dorthin ging? Eine zweite Chance für den ersten Eindruck würde sie natürlich nicht bekommen, aber vielleicht konnte sie ihm irgendwie zeigen, dass in ihr mehr steckte als die verruchte Blondine auf Männerfang. Es wäre wirklich schade, wenn sie ihn niemals wiedersehen würde.

Nein, es wäre besser so, warnte die Stimme in ihrem Kopf. Du hast dich völlig unmöglich benommen! Ein Mann wie er würde niemals mit einer schamlosen Schlampe wie Abby ausgehen, ihrer Rolle an diesem Abend. Genau wie sie schien er sich in diesen Club verirrt zu haben.

Gut, dass sie am Freitag alleine losgezogen war und nicht mit ihren Freundinnen Kristen und Miranda! Die hätten sie bestimmt noch Jahre später damit aufgezogen. Normalerweise waren sie zu dritt unterwegs, aber Miranda hatte am Freitagabend einen Fortbildungskurs besucht und Kristen ein Date gehabt.

Ihr letztes Date war schon Monate her. Dabei war sie ein Familienmensch und sehnte sich nach einer stabilen Beziehung.

Abigail legte den Fön beiseite und zupfte ihre Frisur mit den Fingern in Form. Dunkelblaue, fast violett schimmernde Augen und ein schmales, herzförmiges Gesicht sahen sie aus dem Spiegel heraus an. Schon oft hatte man ihr gesagt, dass sie gut aussähe, aber in der von Männern beherrschten Welt, in der sie sich bewegte, wurden Frauen kaum wahrgenommen.

Dabei fühlte sie sich durchaus als Frau. Abigail ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Ihr Appartement mochte klein sein, aber sie hatte es selbst eingerichtet und liebevoll dekoriert. Die Mischung aus modernen Möbeln und romantischen Accessoires entsprach ziemlich genau ihrem Charakter. Sie sah auch nicht ein, ihre weibliche Seite zu unterdrücken, bloß, weil einige Männer damit womöglich ein Problem hatten.

Immerhin, der Samstag hatte vielversprechend begonnen. Sie war mit Miranda und Kristen durch die etwas exklusiveren Clubs gezogen, und man hatte ihnen einige Drinks spendiert. Aber während die beiden am Ende des Abends jeweils einen Verehrer gefunden hatten, hatte niemand nach ihrer Telefonnummer gefragt.

Vielleicht war die blonde Sekretärin Abby, als die sie sich ausgab, doch etwas zu billig für diese Clubs gewesen? Dabei hatte sie deutlich weniger Dekolleté gezeigt als am Abend zuvor, und auch deutlich weniger Bein.

Abigail seufzte. Die Familienfeier heute hatte sie geschwänzt, weil sie es leid war, immer wieder gefragt zu werden, wieso eine so nette und intelligente Frau wie sie mit fast dreißig immer noch Single sei.

Aber genau das war das Problem. Nett bedeutete für viele Männer, dass sie sie unterbuttern konnten, und Intelligenz war das rote Tuch schlechthin. Eine Frau hatte gut auszusehen, der Mann hatte klug zu sein. Niemals umgekehrt!

Also unterschlug sie beim Daten ihre zwei Studienabschlüsse und ihren Doktor in Mathematik genauso wie die Tatsache, dass sie als Dozentin an der Uni arbeitete. Nicht, dass die Männerwelt sich bedroht fühlte!

Ihre Gedanken wurden vom Klingeln ihres Telefons unterbrochen. Sonntagabend, so spät? Wollte eine ihrer Freundinnen ihr erzählen, dass sich ihre Verehrer von letzter Nacht bereits gemeldet hatten?

Doch ein Blick aufs Display zeigte, dass sie sich zu früh gefreut hatte.

„Ich habe einen Job für dich, Schwesterlein.“

„Hallo, Marc“, seufzte Abigail als Begrüßung. Außer Marc hatte sie keine Brüder, und der, den sie hatte, nervte sie gerade ganz gewaltig, weil er sich schon seit Monaten in ihr Leben einmischte. Eigentlich seit sie denken konnte, aber in letzter Zeit war es besonders schlimm. „Kein Interesse. Ich habe bereits einen Job.“ Keinen besonders gut bezahlten Job, aber einen, den sie liebte, in dem sie aufging und für den sie hart gearbeitet hatte.

„Es wäre eher so etwas wie ein Auftrag. Ein befristeter Nebenjob.“

„Welchen Teil der Aussage ‚kein Interesse‘ hast du genau nicht verstanden?“

Marc lachte. Vielleicht sollte sie auch mal anzufangen, ihn zu nerven, dachte Abigail missmutig. „Hast du keine Freundin, die du beruflich verkuppeln kannst?“

„Zwei. Aber die können in diesem Fall nicht helfen. Da brauchst du kein gutes Aussehen, sondern Köpfchen.“

Machte Marc sich über sie lustig, oder hatte er tatsächlich zwei Freundinnen gleichzeitig? Sie fand noch nicht einmal einen einzigen Mann! Seit fast einem Jahr war sie inzwischen Single. Das Leben war ungerecht!

Sie entschloss sich, die als Kompliment getarnte Beleidigung zu ignorieren. „Bitte, erspar mir Details aus deinem Liebesleben.“

„Neidisch, Schwesterherz?“

Abigail nahm ihr Smartphone vom Ohr und überlegte, ob sie auflegen oder das Gerät aus dem Fenster pfeffern sollte. Aber Ersteres hätte nur einen weiteren Anruf zur Folge gehabt, und Letzteres würde teuer werden. Mit einem ergebenen Gesichtsausdruck, den Marc glücklicherweise nicht sah, hielt sie es sich wieder ans Ohr und bekam gerade noch einen Satzfetzen mit, der mit „heißer Typ“ endete. Sprach er etwa von sich selber?

„Du weißt, dass Männer für mich keine Sexobjekte sind.“ Nun ja, vielleicht mit Ausnahme des Typen im Club vorgestern. Den hatte sie schon behandelt wie ein Sexobjekt. Was ihr Bruder wohl von ihr denken würde, wenn er davon wüsste? Wenn Männer sich so aufführten, galten sie als tolle Hechte, wenn Frauen sich so aufführten, als Schlampen.

Marc lachte. „Na, das ist in diesem Fall auch besser so.“

Ja, er sprach von sich selber. Abigail schnaufte. So überzeugt von sich, wie viele Männer es waren, wäre sie auch gerne.

„Er ist schon etwas älter.“

Abigail runzelte die Stirn. Marc sprach wohl doch nicht von sich selbst. Sie würde gewiss nicht nachfragen und ihm auf die Nase binden, dass sie Teile der Konversation nicht mitbekommen hatte. Immerhin hatte sie einen Ruf als Genie der Familie zu verlieren.

„Ich habe Daniel gesagt, dass du ihn anrufen wirst.“

„Daniel?“ Versuchte ihr Bruder etwa gerade, sie zu verkuppeln? Der konnte was erleben.

Marc seufzte ungeduldig. „Ja, Daniel. Unser Cousin. Ich habe ihn heute getroffen. Davon habe ich doch die ganze Zeit gesprochen.“

Jetzt bereute Abigail, nicht richtig zugehört zu haben. Aber Daniel würde sie hoffentlich aufklären. Mit ihm würde ihr Bruder sie niemals verkuppeln, schließlich war Daniel glücklich verheiratet. Außerdem gehörte er zur Familie. Abigail mochte ihn. Wenigstens einer, der sie nicht ständig mit ihrem männerlosen Status aufzog.

„Okay. Wann soll ich ihn anrufen?“, fragte sie, um Ruhe vor Marc zu haben.

„Am besten gleich morgen früh. Es klang dringend.“

Mental überschlug Abigail ihre Termine des morgigen Tages. Um neun hatte sie eine Vorlesung, zum Lunch war sie mit zwei Kollegen verabredet, und nachmittags gab sie ein Seminar. Obwohl die private Universität, an der sie arbeitete, zentral gelegen war, brauchte sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln fast eine Stunde bis zum Campus. Wenn sie nicht im Bus telefonieren wollte, musste sie entweder sehr früh anrufen oder kurz nach ihrer Vorlesung. „Ich versuche es von der Uni aus.“

„Wenn du dir endlich ein Auto kaufen würdest, könntest du während der Fahrt telefonieren. Das spart Zeit.“

Diese Diskussion führten sie nicht zum ersten Mal. „Du weißt, dass Parkplätze hier rar und teuer sind und San Francisco ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrssystem hat.“

„Tja, bald kannst du es dir leisten.“ Mit diesen kryptischen Worten legte Marc auf, und Abigail blieb nichts anderes übrig, als auf den Morgen zu warten.

3. KAPITEL

Sie machte es nur Daniel zuliebe, nicht, weil Marc sie gedrängt hatte, versuchte Abigail sich die Situation schönzureden, als sie zwei Tage später im Zug saß.

Die meisten Menschen hätten sich einen Mietwagen genommen, aber die Bahn brauchte nur etwa eine Stunde von San Francisco nach Mountain View. Je nach Verkehrsaufkommen war das sogar schneller als mit dem Auto. Das gesparte Geld könnte Abigail für eine lang geplante Europa-Reise gut gebrauchen, genauso wie ihr mehr als großzügig bemessenes Honorar. Außerdem konnte sie im Zug lesen oder arbeiten, was am Steuer nicht möglich war.

Während die Ausläufer von San Francisco an ihr vorbeizogen, ließ sie das Telefonat mit Daniel noch einmal Revue passieren.

„Einer meiner Kollegen braucht Nachhilfe in Mathematik, genauer gesagt: Wirtschaftsmathematik und alles, was im Managementbereich mit Zahlen zu tun hat“, hatte er ohne Umschweife gesagt. „Schnell, diskret, zuverlässig.“

Sie hatte zuerst abgewinkt. Schließlich hatte sie einen Job und schon andere Nachhilfeschüler. Wenn überhaupt, argumentierte sie, müsse er zu ihr nach San Francisco kommen.

„Das geht nicht, er hat einen sehr vollen Terminkalender“, war Daniel ausgewichen.

Den hatte sie auch. „Warum sucht er sich denn nicht jemanden, der in der Nähe wohnt?“

Daraufhin hatte ihr Cousin eine Weile herumgedruckst und schlussendlich angedeutet, dass die ganze Angelegenheit absolut vertraulich zu behandeln sei, weil nicht herauskommen solle, dass diese Person überhaupt Nachhilfe benötige. „Ich würde es selber machen, aber ich habe nicht die Ruhe und Geduld, Dinge zu erklären, die du hast.“

Das hatte sie jetzt davon, seinen Söhnen ab und zu in Mathematik geholfen zu haben, dachte Abigail. Erst, als Daniel den Betrag nannte, den ihr Schüler zu zahlen bereit war, damit sie zu ihm kam, ihn unterrichtete, wieder zurückfuhr und niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen über ihr Arrangement erzählte, hatte sie nachgegeben. Ihr Schüler musste entweder sehr reich sein – oder sehr verzweifelt. Sie tippte auf Letzteres, und das war schließlich der Grund gewesen, dass sie nachgegeben hatte. Zu oft hatte sie gute, ja sogar hochintelligente Schüler gesehen, die wegen eines einzigen Fachs den Highschool-Abschluss nicht geschafft hatten oder sich an der Uni quälten, weil sich niemand die Mühe machte, ihnen den Stoff in der für sie geeigneten Art und Weise zu vermitteln.

„Danke, Abigail, du hast was gut bei mir“, hatte Daniel das Gespräch beendet und ihr die Daten für ihre erste Nachhilfestunde durchgegeben.

Die Zugfahrt verging schnell. Vom Bahnhof aus musste sie noch eine knappe Meile zu Fuß gehen, aber das machte ihr nichts aus. Von San Francisco war sie es gewohnt zu laufen. Hier in Mountain View, einem kleinen Ort im Silicon Valley, in dem einige der großen Internetfirmen ihren Sitz hatten, schien es eher unüblich zu sein, aber immerhin begegneten ihr einige Fahrradfahrer, Jogger und Skater.

Vor dem Gebäude von Sinclair Corporation blieb sie einen Moment stehen und betrachtete die Fassade aus dunklem Glas, in der sich die Umgebung spiegelte. Die Rasenflächen leuchteten grün. Vor dem Eingang gab es einen kleinen Springbrunnen, an dem zwei junge Männer mit ihren Laptops saßen, Kaffee tranken und in eine Diskussion vertieft waren. Fast wie ein kleiner Unicampus, dachte Abigail beeindruckt.

Dabei gab es die Firma noch gar nicht so lange. Der Gründer, Cameron Sinclair, war kaum älter als sie, schien aber genau zu wissen, wie man ein erfolgreiches Unternehmen aufbaute. Sinclair Corporation gehörte zu den Top-Arbeitgebern im Valley.

Hier arbeitete ihr Cousin also. Sogar bis in den Vorstand hatte Daniel es geschafft. Vielleicht sollte sie doch einmal darüber nachdenken, zu einem jungen Unternehmen mit flachen Hierarchien zu wechseln, das auch Frauen eine Chance gab? Daniel jedenfalls hatte nur Gutes zu berichten.

Grundsätzlich liebte Abigail ihren Job an der Uni, aber nach wie vor herrschten dort verkrustete Strukturen, und als Frau war sie im Bereich Mathematik eher eine Exotin. Der Karriereweg nach oben war durch ältere, erfahrenere Kollegen versperrt. Sie wusste, dass sie keine Chance hatte, jemals eine Professorenstelle zu erlangen.

Für eine Familie hätte sie auch auf eine Professur verzichtet, aber die Frage stellte sich gar nicht erst. Kind und Karriere unter einen Hut bekommen? In ihrem Fall war es wohl eher weder noch, und Hüte trug sie auch nicht. Höchstens Perücken.

Dabei war sie eine hervorragende Mathematikerin. Aus diesem Grunde war sie schließlich heute hier.

Abigail straffte ihre Schultern und betrat die Eingangshalle.

Erst, als der Stift unter seinen Fingern zerbrach, gestand Cam sich ein, dass er doch nervöser war, als er gedacht hatte.

Mathematiknachhilfe, ausgerechnet er! In seinem Alter, in seiner Position!

Erinnerungen an seine früheren Lehrer tauchten vor ihm auf, allesamt ältere Männer, die ihre Schüler oftmals vor der ganzen Klasse blamiert hatten, wenn sie etwas nicht sofort verstanden.

Cam seufzte. Er hatte Daniel extra noch gesagt, dass sie am besten nur noch hässliche alte Männer einstellen sollten! Natürlich hatte er es als Scherz gemeint, aber zuzutrauen wäre es seinem Kollegen, dass er ihm einen ehemaligen Lehrer besorgt hatte, der sich seine Rente etwas aufbessern wollte.

Die Tür öffnete sich, und Cam schnappte überrascht nach Luft. Von wegen älterer Lehrer!

Weiblich und jung war sie, gekleidet in einen grauen Hosenanzug, den sie wie einen Schutzpanzer trug.

Jetzt wich sie sogar einen Schritt vor ihm zurück und schlug die Hand vor den Mund. Was hatte er ihr denn getan, um so eine Reaktion hervorzurufen?

Er war es.

Der Mann von Freitagabend.

Der Mann, von dem sie gedacht hatte, dass sie ihn niemals wiedersehen würde.

Abigail spürte, wie ein Schauer über ihren ganzen Körper lief.

Instinktiv trat sie einen weiteren Schritt zurück. Was nun?

„Kommen Sie ruhig rein, ich habe wahrscheinlich mehr Angst vor Ihnen als Sie vor mir“, sagte die Ursache ihres Schreckens mit einem Hauch von Belustigung in seiner Stimme.

Langsam stieß Abigail die Luft aus, die sie angehalten hatte. Konnte es sein, dass er sie nicht erkannt hatte? Immerhin hatte sie eine Perücke getragen, und die Beleuchtung in der Bar war nicht die beste gewesen.

Ihre Hand zitterte, als sie sie ihm zur Begrüßung reichte. „Abigail. Sind Sie derjenige, der meine Hilfe benötigt?“

Ihre Stimme zitterte ebenfalls, wie sie feststellte. Als Abby sprach sie normalerweise mit etwas rauchigerer Stimme als in ihrem Alltagsleben, weil sie gemerkt hatte, dass die Männer das antörnte.

„Cam.“ Sein Handschlag war fest und warm. Fast schien es ihr, als halte er ihre Hand länger als zur Begrüßung höflich in seiner. „Schön, dass Sie da sind.“

„Die Nachhilfelehrerin“, ergänzte Abigail, da sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte.

Er nickte. „Was für eine Überraschung.“

Wie meinte er das, Daniel hatte den Termin doch arrangiert? Oder hatte er sie doch erkannt? „Ist alles in Ordnung, oder gibt es ein Problem?“

„Kein Problem.“ Er deutete auf den Stuhl. „Setzen Sie sich, Abigail, und erklären Sie mir, was es mit diesen Zahlen so auf sich hat.“

Eine halbe Stunde später musste Cam sich eingestehen, dass es doch ein Problem gab: Sein Nachhilfelehrer hatte Brüste. Die hatte sie zwar unter ihrem Blazer und einer weißen Bluse versteckt, aber bei jedem Atemzug, den sie tat, hoben und senkten sie sich und zogen seine Aufmerksamkeit auf sich.

Aufmerksamkeit, die er definitiv für etwas anderes gebraucht hätte. Denn obwohl sie mit sanfter Stimme sprach, hatte er Schwierigkeiten, sich auf das zu konzentrieren, was sie sagte.

Bisher hatte sie nur eine Bestandsaufnahme seiner Kenntnisse gemacht, sich von ihm erzählen lassen, was er noch aus seiner Schulzeit wusste, mit welcher Art von Unterricht er gut und mit welcher er gar nicht klarkam und was er überhaupt für seine Arbeit hier brauchte.

Er hatte ihr ein paar Dateien und den Quartalsbericht gezeigt, etwas von einer Planungsrechnung erwähnt und gehofft, dass sie ihn nicht verachtete, weil er eine Position bekleidete, für die er so offensichtliche Defizite hatte.

Erst, als sie „Das kriegen wir schon hin“, sagte, entspannte er sich ein wenig und riskierte einen Blick in ihr Gesicht. Ihre Augen hatten eine faszinierende Farbe, irgendetwas zwischen dunkelblau und violett, und sie hatte eine niedliche Stupsnase. Im Verhältnis dazu schien ihr Mund fast ein wenig zu groß. Wenn sie sich konzentrierte, leckte sie sich immer wieder über die ungeschminkten Lippen, und jedes Mal, wenn Cam ihre Zungenspitze sah, fuhr ein Stromstoß durch ihn. Es war selten, dass er so auf eine Frau reagierte, besonders in einer geschäftlichen Situation.

Irgendwie erinnerte sie ihn an die Kleine in der Bar, aber das war natürlich Unsinn. Die Größe stimmte zwar ungefähr, aber die Blondine hatte eine ganz andere Frisur gehabt und war viel kurviger gewesen. Auch ihre Stimme hatte anders geklungen, irgendwie heiserer. Trotzdem ertappte er sich dabei, wie er auf ihre langen, schlanken Finger mit den praktisch kurzen, gepflegten Nägeln schaute und sich dabei vorstellte, wie diese sich auf seinem Penis anfühlen würden.

„Wie wollen wir weiter vorgehen?“, fragte sie, und Cam brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass sie eine Antwort von ihm erwartete, die nichts mit seinen sexuellen Fantasien zu tun hatte.

„Was schlagen Sie vor?“, lautete seine Gegenfrage.

Sie betrachtete ihn einen Moment aufmerksam. „Ich würde sagen, wir gehen für eine halbe Stunde oder so raus und fangen spielerisch mit ein paar Basics an, damit Sie wieder Spaß am Umgang mit Zahlen bekommen.“

Cam war baff. Nicht nur, dass seine Nachhilfelehrerin weiblich, jung und hübsch war. Sondern auch, weil sie als Frau gar keine Probleme mit Zahlen zu haben schien.

Irgendwie hatte er Nachhilfe immer mit sturem Pauken, niemals mit lockerem Spielen verbunden. Rausgehen klang auch gut. Möglichst weit weg von seinem Schreibtisch und den ganzen Berichten.

Mit ihr würde er gerne jederzeit spielen, dachte Cam und ließ seinen Blick unauffällig über ihren Körper wandern. Wie seine Nachhilfelehrerin wohl ohne ihren grauen Schutzpanzer aussehen würde?

„Gibt es hier in der Nähe eine Wiese oder einen Park, wo wir hingehen können?“

Cam überlegte. Es gab zwar um das Gebäude ein Stück Rasen, aber von drinnen konnte man gut sehen, was draußen vor sich ging, und Zuschauer konnte er in seiner Situation auf keinen Fall gebrauchen. „Wir könnten zum Shoreline Park fahren?“

„Ich kenne mich hier nicht aus, ich lebe in San Francisco.“

Überrascht sah er auf. „Wirklich?“

„Ja, wirklich.“ Sie klang fast ein bisschen trotzig. „Da arbeite ich schließlich.“

Er hatte gedacht, dass Daniel jemanden aus der Nachbarschaft um Hilfe bitten würde. Doch im Grunde genommen war er froh, dass sie nicht um die Ecke wohnte. Getratscht wurde hier im Valley sowieso schon genug.

„Was arbeiten Sie denn?“, erkundigte er sich beiläufig.

„Ich bin Dozentin für Mathematik.“

Cam fühlte sich, als hätte sie einen Eimer kaltes Wasser über ihn geschüttet. Sehr kaltes Wasser. Mathematik war so ziemlich das Unerotischste, was er sich vorstellen konnte.

Andererseits: Was hatte er erwartet? Schließlich ging es hier um Mathematik-Nachhilfe. Nur deshalb war sie zu ihm gekommen.

Da war sie wieder, die Reaktion, die Abigail an Männern hasste: Kaum erfuhren sie, was sie beruflich machte, gingen sie auf Abstand, als habe sie eine ansteckende Krankheit.

Genau dies war der Grund, warum sie sich an den Wochenenden als Sekretärin ausgab, wenn sie durch die Clubs zog. Nett, harmlos und bloß nicht zu karriereorientiert. Keine Bedrohung für männliche Egos, stattdessen eine potenzielle Partnerin.

Auch Cam hatte auf Abby reagiert, das hatte sie deutlich gespürt. Trotzdem war er ein Gentleman geblieben – und war leider nicht auf ihre zugegebenermaßen ziemlich unbeholfenen Flirtversuche eingegangen.

Stattdessen hatte er sie stehen lassen und war gegangen.

Jetzt, nachdem er erfahren hatte, was sie beruflich machte, hatte sie sowieso verspielt.

Zumindest als Abigail.

Aber vielleicht hätte Abby noch eine Chance bei ihm? Wenn sie ihn zukünftig öfters sah, könnte sie vielleicht einen Weg finden, dass seine und Abbys Wege sich noch einmal wie zufällig kreuzten. Manchmal waren Männer sehr berechenbar.

„Mathematik zu unterrichten, ist nichts Verwerfliches“, sagte sie schärfer als beabsichtigt.

Cam widersprach nicht. Er stimmte ihr jedoch auch nicht zu. „Wollen wir …?“

Immerhin, er gab ihr eine Chance. Abigail nickte und folgte ihm in die Tiefgarage. Hier standen mehrere identisch aussehende Elektroautos mit dem Firmenlogo von Sinclair Corporation, von denen er eins aufschloss und ihr die Tür aufhielt.

„Firmenfahrzeuge“, erklärte er knapp. „Stehen den Mitarbeitern jederzeit zur Verfügung. Wir haben auch eine hervorragende Kantine, die jeden Tag geöffnet ist, und diverse Sportangebote.“

Der Lifestyle im Silicon Valley, dachte Abigail. Für viele junge Leute ein Traum. Sie hingegen mochte den leicht morbiden Charme ihrer Unigebäude. Selbst über die nicht immer funktionierende Technik ärgerte sie sich nicht, sondern suchte nach Möglichkeiten zu improvisieren.

Genau wie jetzt mit Cam.

Die Fahrt zu dem Park, von dem er gesprochen hatte, dauerte nur wenige Minuten. Cam parkte, und sie gingen Richtung See. Dort suchte Abigail ein paar Stöckchen, Steine und Federn zusammen und erklärte ihm mit ihrer Hilfe, wie eine Bilanz aufgebaut war.

„Das Centstück ist der Gewinn“, grinste Cam, der ihrem Bild auf dem Boden aufmerksam folgte.

„Leider nicht. Auf dieser Seite der Bilanz steht es für einen Verlust.“

„Wie gut, dass es nur ein Cent ist“, flachste er.

Abigail lachte und nahm einen Quarter aus ihrer Geldbörse. „Der hier symbolisiert Ihren Gewinn. Merken Sie sich gut, wo in Ihrer Bilanz er liegt.“

Erstaunlich schnell hatte Cam das Prinzip verstanden. Bevor Abigail ihre improvisierte Bilanz zerstören konnte, machte er mit seinem Smartphone zwei Fotos: eins mit Gewinn, eins mit Verlust. „Als Erinnerung an eine wirklich sensationelle Nachhilfestunde. Das war ein Thema, das ich immer gehasst und nie verstanden habe. Und da kommen Sie und lassen mich ein paar Holzstücke und Münzen auf den Boden legen, und plötzlich wird aus vielen Puzzleteilen ein Bild.“

Insgeheim freute Abigail sich wahnsinnig über das Kompliment. Trotzdem lächelte sie nur verhalten. „‚Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können‘“, zitierte sie.

„Konfuzius, richtig?“

„Genau“, antwortete Abigail, überrascht, dass er den Spruch kannte. Cam verfügte über Humor, eine schnelle Auffassungsgabe und ein breiteres Allgemeinwissen, als sie gedacht hatte, das hatte sie in der kurzen Zeit, die sie draußen gewesen waren, bemerkt. Überhaupt konnte sie sich gut mit ihm unterhalten, solange er nicht schreckerstarrt vor Zahlenkolonnen an seinem Rechner saß. Falls es sich einrichten ließ, würde sie von jetzt an den Unterricht außerhalb seines Büros abhalten.

Sofern er sie überhaupt weiterhin als seine Nachhilfelehrerin wollte.

Sie traute sich erst, das Thema anzusprechen, als das Firmengebäude bereits wieder in Sicht kam.

„Klar“, meinte Cam nonchalant und warf ihr einen kurzen Blick zu. „Es sei denn, Sie denken, ich bin ein hoffnungsloser Fall?“

„Nein, ganz und gar nicht“, widersprach Abigail sofort. „Ich denke, Sie sind sehr gelehrig und verstehen schnell. Sie brauchen nur jemanden, der Ihnen die Dinge in der für Sie geeignetsten Art und Weise nahebringt.“

Cam gab einen Laut von sich, der wie ein unterdrücktes Lachen klang. „Meine Assistentin ruft Sie später an, um weitere Termine abzusprechen. Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich sollte vor zehn Minuten Besuch bekommen und muss direkt in ein Meeting.“

„Natürlich, kein Problem“, antwortete Abigail automatisch.

Sie stiegen aus und gingen gemeinsam Richtung Empfang, wo bereits eine kleinere Gruppe von Menschen wartete. Abigail wollte sich gerade von ihm verabschieden, als sich einer der Männer zu ihnen umdrehte und „Mister Sinclair! Cam!“ rief.

Erst, als Cam sich mit einer kurzen Entschuldigung von ihr verabschiedete, um auf die Gruppe zuzueilen, ging Abigail die Bedeutung des Namens auf.

Cam war nicht einfach nur ein Angestellter dieser Firma, er war der Boss!

Das durfte doch nicht wahr sein. Sie hatte Cameron Sinclair sexuell belästigt!

4. KAPITEL

„Ich habe übrigens einen neuen Nachhilfeschüler“, sagte Abigail in die Runde.

Das wöchentliche After-Work-Treffen mit Kristen und Miranda in einer Szenebar im Finanzdistrikt war Abigail ein liebes Ritual geworden. Nicht nur, dass sie sich gegenseitig auf den neuesten Stand bringen konnten, was die Erlebnisse der letzten Tage betraf, sie konnten auch ganz unauffällig den einen oder anderen Geschäftsmann abchecken. Seit der Finanzkrise waren Banker zwar nicht mehr so angesehen wie noch vor einigen Jahren, aber zumindest sollten sie keine Angst vor Zahlen und somit hoffentlich auch nicht vor Abigail haben.

„Und, wie ist er so?“, fragte Miranda und strich sich eine Strähne ihrer langen roten Haare aus dem Gesicht. Sie arbeitete bei einer Bank um die Ecke im Backs Office. Kein besonders spannender Job, wie sie erzählte, aber immerhin hatte sie einigermaßen geregelte Arbeitszeiten – und einen Chef, für den sie heimlich schwärmte. Leider war er bereits vergeben.

„Ziemlich heiß“, rutschte es Abigail raus.

Ihre beiden Freundinnen drehten sich wie auf Kommando zu ihr und sagten unisono: „Heiß?“

„Äh, ich meinte, mir ist heiß, die Klimaanlage scheint heute nicht zu funktionieren“, stammelte Abigail. „Mein Nachhilfeschüler? Er versteht relativ schnell, was man ihm erklärt. Vermutlich braucht er mich in ein paar Wochen gar nicht mehr.“

„Und ich dachte schon, du hättest plötzlich ein Faible für jüngere Männer“, flachste Kristen. Die toughe Schwarzhaarige mit der frechen Kurzhaarfrisur arbeitete in einem Architekturbüro und musste später noch zu einem Besichtigungstermin.

Genau wie sie waren ihre Freundinnen moderne, junge Frauen Ende zwanzig, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen schwertaten, einen festen Partner zu finden, überlegte Abigail. Warum nur? Sie gingen gerne aus, verdienten ihr eigenes Geld und klebten nicht wie die Kletten an einem Mann. Waren sie den Männern vielleicht zu selbstständig? Oder hatten sie bisher einfach nur die falschen Männer gedatet?

„Nein, ich bin da wohl recht klassisch, der Mann darf gerne ein paar Jahre älter sein als ich“, antwortete sie auf Kristens Frage. „Idealerweise jemand, der schon so gesettelt ist, dass er weiß, was er vom Leben will, und nicht morgen alles hinschmeißt und nach Timbuktu auswandert, oder so.“

„Das wäre aber romantisch“, warf Miranda ein. „Findet ihr nicht?“

„Eher bescheuert“, widersprach Abigail. „Wenn seine Firma ihn dort hinschickt, um zu arbeiten, ist das etwas anderes, aber einfach alles hinschmeißen und woanders völlig neu anfangen? Also, meins wäre das nicht.“

„Wenn du das so romantisch findest, warum wirfst du dann nicht alles hin und wanderst aus?“, wandte Kristen sich an Miranda.

Die schaute verängstigt. „Das geht nicht. So etwas kann ich doch nicht machen.“

„Ja, weil brave Mädchen das nicht tun“, pikste Kristen sie. „Du träumst lieber dein Leben, anstatt deinen Traum zu leben. Dabei würde es dir guttun, mal über die Stränge zu schlagen, Miranda.“

Ob ihr so etwas auch gut tun würde? überlegte Abigail. Sie nutzte Abby als Ventil, um über die Stränge zu schlagen. Ansonsten liebte sie ihr Leben hier in San Francisco. Die Stadt gefiel ihr, das Umland war schön, und auch ihren Job mochte sie. Wer konnte so etwas schon von sich behaupten?

Wenn jetzt noch der richtige Partner käme, der mit all dem vereinbar wäre, wäre es natürlich noch schöner. Aber nicht auf Biegen und Brechen. Er musste es schon auch wollen.

„Wenn du dir einen Mann aussuchen könntest, welcher wäre das?“, unterbrach Kristen ihre Gedanken.

Miranda ließ ihren Blick über eine Gruppe Männer schweifen, augenscheinlich Bankangestellte. „Wie wäre es mit dem Blonden?“

Abigail drehte sich halb um, um ihn in Augenschein zu nehmen. „Ich steh eigentlich mehr auf dunkel.“ So wie Cam, dachte sie unwillkürlich.

Sie musste dringend aufhören, an ihren Nachhilfeschüler zu denken. Wobei das Wort „Schüler“ jetzt, wo sie wusste, wer er war, der reinste Hohn war. Gut, dass ihre Freundinnen nicht genauer nachgefragt hatten, denn ihre Verschwiegenheitspflicht, wem sie Nachhilfe gab, galt selbstverständlich weiterhin. Inzwischen verstand sie, warum. Wenn herauskam, dass einer der erfolgreichsten Firmengründer im Silicon Valley eine Rechenschwäche hatte, könnte dies seine Glaubwürdigkeit infrage stellen.

„Und du, welchen würdest du nehmen?“, wandte Miranda sich an Kristen.

Die grinste genüsslich. „Alle.“

„Waaas?“

„Sagte ich doch: alle.“ Kristen lehnte sich vertraulich vor. „Mädels, ich muss euch was beichten. Ich habe mich auf einem Dating-Portal angemeldet. Sogar schon vor einiger Zeit.“

„Du meinst, bei einer Partnervermittlung“, korrigierte Miranda.

Kristen schüttelte den Kopf. „Nein, ein offizielles Casual-Dating-Portal. Du kannst natürlich angeben, dass du den Mann fürs Leben suchst, aber die meisten dort sind eher auf der Suche nach einem unverbindlichen Abenteuer.“

Abigail schluckte. „Du meinst, du verabredest dich dort mit einem Mann für … Sex?“

„Auch“, bestätigte Kristen und lächelte vielsagend.

Miranda sah beunruhigt aus. „Pass bloß auf dich auf.“

„Ich bestehe zuerst immer auf einem normalen Date in der Öffentlichkeit. Da merkt man recht schnell, ob man harmoniert oder nicht. Sich direkt auf einem Hotelzimmer zu verabreden, ist mir dann doch zu gefährlich.“

Einerseits hatte der Gedanke etwas Reizvolles, dachte Abigail – den Reiz des Verbotenen. Andererseits wünschte sie sich einen verlässlichen Partner an ihrer Seite. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass die Männer, die sich auf solchen Portalen herumtrieben, nicht schon anderweitig liiert waren. Ob Cam verheiratet war? Er hatte keinen Ehering getragen, aber das bedeutete heutzutage nichts. „Und darauf lassen sich die Männer ein?“

„Wenn sie ausfallend werden, haben sie doch erst recht keine Chance. Ich finde es sogar ehrlicher, wenn man vorher klar weiß, was der andere will, als wenn man mit jemandem mitgeht, den man gerade erst in einer Bar getroffen hat.“

„Der Blonde guckt übrigens schon die ganze Zeit rüber!“, flüsterte Miranda.

„Wahrscheinlich hat er uns zugehört“, meinte Abigail trocken. „Vielleicht ist er ja auch bei diesem Dating-Portal angemeldet?“

„Du würdest dich wundern.“ Kristen lächelte vielsagend. „Da sind tatsächlich einige sehr interessante Männer dabei, die du sonst nie kennenlernen würdest. Diskretion ist natürlich Ehrensache.“

„Also, für mich wäre das nichts“, sagte Miranda entschieden. „Wo bleibt da die Romantik?“

Abigail hingegen war noch unentschlossen, was sie von den Erzählungen ihrer Freundin halten sollte. „Was meinst du mit ‚sehr interessante Männer‘?“

Kristen machte eine Kunstpause, bevor sie antwortete: „Männer, von denen du es nie für möglich gehalten hättest, weil die an jedem Finger zehn Frauen haben könnten.“

„Aber irgendwo muss doch ein Haken sein? Abgesehen davon, dass es mehr um Sex als um etwas Festes geht.“

„Also, ich habe noch keinen gefunden. Im Gegenteil, es macht mir viel Spaß, und ich habe bisher nur gute Erfahrungen gemacht. Für Frauen ist der erste Monat übrigens kostenfrei.“ Kristen schob ihr einen Zettel zu. „Gib einfach diesen Code ein, wenn du dich anmeldest.“

Es wurde Zeit, dass er sein Leben aufräumte und sich auf das Wesentliche konzentrierte.

Entschlossen öffnete Cam seinen Account bei der Casual-Dating-Website, auf der er sich in den letzten Jahren ab und zu vergnügt hatte. Methodisch ging er sein Postfach durch und löschte alle Nachrichten. Es war ein netter Zeitvertreib gewesen, aber er wollte mit keiner dieser Frauen weiter in Kontakt bleiben.

Er wollte gerade sein Profilbild löschen, das lediglich seinen unbekleideten Oberkörper im Halbschatten zeigte, als auf dem Monitor das Bild einer neu angemeldeten Frau seine Aufmerksamkeit erregte.

Eine kurvige Blondine, die ihn an die Frau in der Bar von Freitagabend erinnerte. Sogar der Wohnort San Francisco stimmte überein. Zufälle gab’s!

Bis dorthin war es mit dem Wagen nur ein Katzensprung. In seiner Vergangenheit war er für ein unverbindliches heißes Date schon quer über den Kontinent geflogen.

Vielleicht doch noch ein allerletztes Mal? Sie sah aus, als könne man mit ihr Spaß haben. Abmelden konnte er sich morgen immer noch.

Anstatt wie geplant seinen Account zu löschen, mailte Cam sie an. Zwei, drei persönliche Fragen, und schon kamen sie ins Gespräch. Sie war ganz frisch angemeldet, hatte erst die Basics in ihrem Profil ausgefüllt, und schien noch keine Ahnung von den Gepflogenheiten des Portals zu haben. Es war die perfekte Gelegenheit, schnell ein Date mit ihr auszumachen, bevor sich alle anderen Männer auf sie stürzten. Frischfleisch war begehrt, insbesondere weibliches.

Zehn Minuten später hatte er eine Verabredung für den nächsten Abend in San Francisco. Sie hieß Abby und wollte ihn am Union Square treffen. Zufrieden rieb Cam sich die Hände. In der Nähe gab es gleich mehrere Hotels, wo sie sich ein Zimmer nehmen konnten, sofern sie ihn nicht zu sich mitnehmen wollte.

Abigail fuhr den Rechner herunter. Ein Date, keine halbe Stunde nachdem sie sich bei der Plattform angemeldet hatte!

Der halb nackte kopflose Kerl, mit dem sie gechattet hatte, hatte sympathisch gewirkt, und sportlich ausgesehen hatte er obendrein. Wenn Kristen mit dieser Dating-Plattform gute Erfahrungen gemacht hatte, dann konnte sie es auch einmal ausprobieren, zumindest für einen Monat.

Im Nachhinein hatte sie gesehen, dass die meisten Mitglieder Profilfotos hatten, auf denen ihr Gesicht nicht zu erkennen war. Je nachdem, welche Absichten man auf diesem Portal verfolgte, war das wohl auch besser so. Sie selbst war mit Abbys Perücke auch nicht unbedingt als Abigail zu identifizieren. Außerdem war ihr Profilbild relativ klein. Man musste schon sehr genau hinschauen, um sie zu erkennen.

Ob der Mann in natura wirklich so gut aussah wie auf seinem Foto? Nachträglich kamen ihr doch Zweifel. Im Internet konnte man leicht betrügen. Was, wenn er das Foto eines Models runtergeladen hatte und sich bei ihrem Treffen als hässlicher alter Mann entpuppte?

Dann konnte sie immer noch gehen, beruhigte sie sich selbst. Aber er hatte nett gewirkt. Nicht so herablassend wie einige der Männer, die sie in Bars ansprachen, sondern ehrlich interessiert.

Vielleicht würde sie endlich einen Treffer landen und Cameron Sinclair vergessen können.

„Entschuldigung, kennen wir uns nicht von irgendwoher?“

Die Stimme war warm und hüllte sie beschützend ein. Abigail lächelte instinktiv, bevor sie wagte, ihren Blick nach oben zum Gesicht ihres Dates wandern zu lassen.

Und erstarrte.

Natürlich kannte sie Cameron Sinclair! Wollte er sich etwa einen Scherz mit ihr erlauben? Aber wieso hatte er sie angesprochen? Sie wartete doch auf ihr Internet-Date!

„Abby, richtig? Cam. Kann es sein, dass wir schon einmal das … intime Vergnügen hatten?“

Nur mühsam gelang es Abigail, sich zu beherrschen. Ihr geheimnisvolles kopfloses Date war Cameron Sinclair? Was machte jemand wie er denn auf so einer Website? Ihm liefen die Frauen bestimmt in Scharen nach!

Dann erinnerte sie sich daran, was Kristen gesagt hatte. Gerade jemand wie Cam könnte durchaus Schwierigkeiten haben, Partnerinnen für unverbindlichen Sex zu finden, eben weil die meisten Frauen bei ihm auf mehr aus waren. Wahrscheinlich war genau das der Grund gewesen, dass er sich an besagtem Freitagabend in diesem Abschleppschuppen herumgetrieben hatte.

„Ja, wir hatten schon einmal das Vergnügen“, antwortete sie vorsichtig, wobei sie allerdings nicht wagte, ihm in die Augen zu sehen. Immerhin bezahlte er sie sogar – nicht für Sex, sondern für Mathematik-Nachhilfe!

Cam glitt neben sie und legte vertraulich die Hand auf ihren Oberschenkel. „Ich wusste es. Ich spüre deine Finger immer noch auf mir. Allein der Gedanke … macht mich hart. Abby, darf ich ehrlich sein? Ich kann es kaum erwarten, da weiterzumachen, wo wir aufgehört haben.“

Träumte sie, oder raunte Cameron Sinclair ihr tatsächlich schmutzige Fantasien ins Ohr? Von der Stelle, wo seine Finger sie berührten, breitete sich Hitze in ihrem ganzen Körper aus. Auch sie konnte es kaum abwarten, dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten!

Nur langsam sickerte bei Abigail durch, dass er sie tatsächlich nicht mit seiner Nachhilfelehrerin in Verbindung brachte, sondern nur als die Unbekannte in der Bar von Freitagabend wiedererkannt hatte.

Besser, sie ließ ihn in diesem Glauben!

„Abby“, raunte er. „Das wollte ich schon machen, seit ich dich das erste Mal gesehen habe.“

Bevor Abigail verstand, was er vorhatte, küsste er sie. Seine Lippen waren warm und fest, seine Zunge stupste gegen ihre Zähne und begehrte Einlass. Abigail war viel zu überrascht, um Widerstand zu leisten. Im Gegenteil, sie wollte ihn ebenfalls küssen, und noch viel mehr.

Ihre Hand stahl sich in Cams Nacken und zog ihn näher, während sie verzückt in seinen Mund seufzte. Zu der Erleichterung, dass Cam sich von Abby nicht sexuell belästigt gefühlt hatte, gesellte sich das berauschende Gefühl, dass sie ihn erregte.

Genauso wie er sie. Seine Hände wanderten ihre Seiten hinauf, bis seine Daumen sich auf ihre Nippel legten und diese geschickt reizten, sodass sie unter seinen Berührungen sofort hart wurden. So schnell und so heftig hatte sie noch nie auf einen Mann reagiert, dachte Abigail leicht desorientiert, als Cam sie losließ.

„Lass uns gehen.“

„Wohin?“

„Du hast gesagt, du würdest mich jederzeit gerne in deinem Bett haben, und nicht nur dort“, zitierte Cam ihre Worte an John. „Um die Ecke ist ein Hotel mit sehr bequemen Betten. Aber wenn du andere Ideen hast, lasse ich mich gerne überraschen. Ich bin durchaus experimentierfreudig, was Sex angeht.“

Schon sein Kuss und seine Berührungen waren atemberaubend gewesen, aber seine Stimme sollte verboten werden. Sie vibrierte durch ihren ganzen Körper und ließ sie kaum noch klar denken.

Cam wollte Sex mit ihr? Jetzt sofort? Sie war noch niemals beim ersten Date mit einem Mann ins Bett gegangen, geschweige denn an ausgefallenere Orte!

Abigail schloss die Augen. Scham, schlechtes Gewissen, Unsicherheit, Neugier und Erregung kämpften in ihr. Der Wunsch, Cam näher kennenzulernen, gewann. „Hotel klingt gut.“ Jemanden wie ihn konnte sie nicht mit zu sich nach Hause in ihr winziges Appartement mitnehmen. Und soweit sie wusste, wohnte er zu weit weg.

Keine zwei Minuten später standen sie in einer Hotellobby. Während Cam an die Rezeption ging, bemühte Abigail sich, so zu tun, als sei es völlig normal, ohne Gepäck in einem Luxushotel einzuchecken.

„Komm.“ Cam führte sie zu den Aufzügen. Er schien es eilig zu haben. Kaum schlossen sich die Aufzugtüren hinter ihnen, küsste er sie erneut.

Abigails Finger krallten sich in sein Hemd und öffneten direkt die ersten Knöpfe, während sie seinen Kuss erwiderte. Sie schloss die Augen und versuchte, diesen Moment bewusst in sich aufzunehmen, um sich später besser an ihn erinnern zu können. Der Moment, wo Cameron Sinclair sie im Fahrstuhl küsste.

Ein unangenehm lauter Ton und eine mechanische Stimme, dass sie sich im sechsten Obergeschoss befanden, riss sie aus ihren Träumereien.

Cam ging voran und schloss eine Zimmertür auf. Dahinter lag ein ganz normales Hotelzimmer mit einem breiten Bett.

Abigail schluckte kurz, als ihr bewusst wurde, was sie gerade tat. Sie war im Begriff, mit ihrem Boss und gleichzeitig Schüler zu schlafen.

Aber die Chance, mit ihm eine heiße Nacht zu verbringen, wollte sie sich auch nicht entgehen lassen.

Mit Genugtuung sah sie, wie Cam das „Bitte nicht stören“-Schild vor die Tür hängte. Der einzige Wermutstropfen war, dass er auf Abby stand, nicht auf Abigail.

„Minibar?“, bot Cam an.

„Nein, Sex“, sagte Abigail und ließ ihre Handtasche fallen. „Zieh dich aus.“

Das war Abby, die da aus ihr sprach. Sie selbst hätte sich niemals getraut, so offensiv zu sein.

Cam schien damit jedoch keine Probleme zu haben. Er grinste, während er Schuhe und Socken auszog und danach sein Hemd komplett aufknöpfte, bevor er es auszog und achtlos auf einen Sessel fallen ließ.

„Meine Güte, du siehst ja wirklich so aus wie auf deinem Foto“, murmelte Abigail.

„Ja klar, was hast du denn gedacht?“

„Ach, nichts.“ Sie ließ ihre Hände über seinen Brustkorb wandern, genoss die Hitze seiner Haut und die Art, wie seine Brustwarzen sich unter ihrer Berührung zusammenzogen. Sie beugte den Kopf und leckte mit der Zungenspitze erst über den einen, dann über den anderen Nippel. Cam sog scharf die Luft ein und vergrub seine Hände in ihren Haaren.

Ihre Perücke! Nicht auszudenken, wenn sie die verlor und Cam sah, wer sie wirklich war!

„Nicht“, sagte Abigail schnell und entzog sich ihm. „Ich will dich nackt, auf dem Bett.“

„Das ist normalerweise mein Spruch.“ Cam klang belustigt, kam ihrer Aufforderung jedoch nach. „Ziehst du dich auch aus, oder soll ich das für dich erledigen?“

„Ich durfte dir zuschauen, jetzt darfst du mir zuschauen.“ Wie gut, dass sie extra hübsche Dessous angezogen hatte. Nach Kristens Andeutungen war sie zwar davon ausgegangen, dass es beim ersten Date nur um ein gegenseitiges Abchecken ging, ob man sich überhaupt sympathisch war. Nicht gleich um mehr. Aber jetzt war sie froh, ihre Bedenken in den Wind geschossen zu haben. Die Chance, mit Cameron Sinclair ins Bett zu gehen, bekam sie schließlich nicht jeden Tag!

Unter Cams aufmerksamen Blicken zog sie sich aus. Als sie ganz nackt war, verließ ihr Mut sie vorübergehend. Daran änderte Cams sichtbares Begehren auch nichts. Um ihre Verunsicherung zu überspielen, kniete Abigail sich neben ihn und küsste ihn.

Das schien ihm zu gefallen, denn Cam knurrte zufrieden und vertiefte den Kuss. Er nahm sie in die Arme und zog sie nah an sich. Abigail spürte das kräftige Schlagen seines Herzens und wünschte sich plötzlich, jeden Abend in seinen Armen einschlafen zu können.

Doch das war natürlich illusorisch. Ihm ging es nur um Sex, das war aus seinem Profil ganz klar hervorgegangen.

Schnell unterbrach sie den Kuss und wuschelte ihm stattdessen durch die Haare, was ihr einen belustigten Blick aus grauen Augen eintrug. Cam zog jetzt mit kleinen Küssen eine Spur von ihrem Mundwinkel bis zu ihrem Busen; seine Lippen schlossen sich um ihren Nippel und umkreisten ihn mit der Zungenspitze.

Instinktiv drängte sie ihr Becken an seins und seufzte auf, als seine Hand über ihren Bauch wanderte und sich zwischen ihre Beine schob. Im gleichen Rhythmus begann er, ihre Brustwarze und ihre Klitoris zu verwöhnen. Die Lust zwischen den Punkten, die er berührte, verband sich und schoss durch ihren ganzen Körper.

„Ich liebe es, wie du auf mich reagierst“, murmelte Cam an ihrer Brust und hob den Kopf, um sie anzusehen. Seine grauen Augen schienen zu funkeln.

„Ich lie…“, murmelte Abigail, biss sich aber schnell auf die Lippen, um den Rest des Satzes zu unterdrücken. Cam hatte nicht gesagt, dass er sie liebte. Das hier war nur Sex! Sie wich seinem Blick aus und betrachtete ihn stattdessen von oben bis unten.

„Fass mich an“, bat Cam mit rauer Stimme.

Beinahe andächtig ließ sie ihre Hände über seine Haut wandern, spürte die festen Muskeln, erkundete sein Glied, umfasste den Schaft, ließ ihre Finger über die Spitze wandern, streichelte seine Hoden. Unter ihren Händen wuchs sein Penis sichtbar und zuckte. Auch ich liebe es, wie er auf mich reagiert, dachte Abigail. „Du hast einen wirklich schönen Schwanz.“

Cam fing an zu lachen, wurde jedoch schlagartig ernst. „Nimm ihn dir.“ Er reichte ihr ein Kondom. „Fick mich.“

Er überließ ihr die Kontrolle? Was für ein Geschenk. Nervös riss Abigail die Verpackung auf und rollte das Gummi über sein Glied, bevor sie sich über ihn kniete und seine Eichel an ihrem Eingang positionierte. Mit ein paar Bewegungen ihrer Hüfte spürte sie ihn in sich gleiten.

So ausgefüllt hatte sie sich noch nie gefühlt. Abigail schloss einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, traf sie Cams Blick, heiß und voller Leidenschaft.

Unwillkürlich spannte sie ihre Muskeln um seinen Schaft an und sah fasziniert, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Auf seiner Brust breitete sich ein feiner Schweißfilm aus. Seine Hände griffen nach ihren Oberschenkeln und gaben ihr einen Rhythmus vor. Zunächst langsam und fast vorsichtig, dann immer schneller bewegte Abigail sich, während Cam ihren Stößen entgegenkam.

Dieses Bild wollte sie bis in alle Ewigkeiten abspeichern: Cam unter ihr, wie er sie mit unverhohlener Leidenschaft ansah, während sie ihn ritt. Der Anblick war unglaublich erregend.

Als sie sich dem Strudel ihrer Lust nicht mehr entziehen konnte, kam sie mit einem heftigen Beben und fühlte, wie Cam sich fast zeitgleich in sie ergoss.

Viel zu schnell war alles vorbei. Nur widerwillig löste Abigail sich von ihm. Plötzlich wusste sie nicht mehr, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte.

Er bettete ihren Kopf an seine Brust. „Du hast eine interessante Augenfarbe.“

Abigail erschrak. Ihre dunkelblau-violetten Iriden waren außergewöhnlich. Nicht, dass Cam sie bei ihrem nächsten Besuch als Nachhilfelehrerin erkannte. Sie würde eine Sonnenbrille tragen müssen.

„Ich mag auch deine Stupsnase.“ Cam fuhr mit dem Zeigefinger ihre Gesichtskonturen nach. „Deinen sinnlichen Mund.“ Er lächelte und küsste sie, diesmal sanft und zärtlich, bevor sein Finger ihren Hals hinabstrich, die Kuhle an ihrem Schlüsselbein erkundigte und schließlich auf ihrem Busen zu liegen kam.

Minutenlang geschah nichts, außer, dass sie nebeneinander lagen und im gleichen Rhythmus atmeten.

Dann unterbrach Cam das entspannte Schweigen. „Hör mal, ich habe das hier echt genossen, muss aber langsam nach Hause. Möchtest du bleiben? Das Zimmer ist bezahlt.“

Seine Worte rissen Abigail aus ihren Träumereien. Natürlich, für ihn war das hier nur ein One-Night-Stand. Er wollte zurück in sein richtiges Leben. Dass sie am liebsten die Zeit angehalten hätte, um für immer bei ihm bleiben zu können, konnte er ja nicht ahnen.

„Nein, schon gut, ich fahre auch nach Hause“, sagte sie mit belegter Stimme. „Danke.“

Cam schloss die Tür seines Hauses hinter sich und blieb einen Moment in der Dunkelheit stehen.

Es kam nicht oft vor, dass er an eine Frau geriet, die im Bett so hemmungslos genoss wie Abby. Die meisten Frauen hatten Probleme damit, die Initiative zu ergreifen. Sie hingegen hatte ihm klipp und klar gesagt, was sie wollte. Ihre kleinen Seufzer und gemurmelten Komplimente, die sie selber wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen hatte, hatten ihn so hart werden lassen wie noch nie. Unter der Fassade der Klischeeblondine schlummerte ein Vulkan.

Sein Instinkt hatte ihn nicht getrogen.

Natürlich passten er und Abby nicht zusammen. Er wollte eine Frau, mit der er sowohl im Bett als auch außerhalb glücklich sein konnte. Oh, im Bett hatten sie großartig harmoniert, aber ansonsten hatte sich Abby zu offensiv prollig gegeben.

Eine Frau, die sowohl seinen Körper als auch seinen Geist anregte. Eine Frau, die vielseitig interessiert war und neben einem Mann und Kindern auch noch einen Beruf haben wollte. Eine Frau, die Interesse an einer gleichberechtigten Partnerschaft hatte. Eine Frau, die er auch in vielen Jahren noch respektierte und die ihn respektieren würde.

Leise lächelnd zog Cam sich aus.

Ein interessantes Spiel, das seine Nachhilfelehrerin da spielte. Die Frage war nur: Warum?

5. KAPITEL

Sie hatte mit ihrem Boss geschlafen!

Wie dumm war sie eigentlich?

Aber egal, wie sehr Abigail versuchte, sich einzureden, dass das, was geschehen war, eine Dummheit war, die sie ganz schnell wieder vergessen sollte, ihr Körper war anderer Meinung. Noch Stunden später fühlte sie Cams Berührungen, hätte am liebsten gesungen und getanzt, so glücklich war sie.

Bis sie schlagartig wieder in der Realität ankam.

Cam hatte mit Abby geschlafen, nicht mit ihr!

Um sich abzulenken, öffnete sie die Dating-Website. Über dreißig Anfragen von diversen Männern, die sie treffen wollten, blinkten ihr entgegen. Doch sie wollte keinen einzigen davon. Sie wollte Cam.

Er jedoch hatte nicht geschrieben.

War sie für ihn nichts weiter als ein bedeutungsloser One-Night-Stand gewesen?

Korrektur: War Abby für ihn nur ein One-Night-Stand gewesen?

Aber Abigail, die Mathematikerin, hätte bei ihm erst recht keine Chance. Ihr gegenüber hatte er sich professionell-distanziert verhalten.

Es dauerte lange, bis sie einschlief, und ihre Träume waren wirr. Nur, dass darin ein nackter Mann vorkam, der Cam erschreckend ähnlich sah, daran konnte sie sich am nächsten Morgen allzu gut erinnern.

„Abigail ist da, Cam.“

„Danke, schick sie zu mir“, bedankte Cam sich bei seiner neuen Assistentin. Wieder eine Frau, diesmal aber eine jenseits der Vierzig, glücklich verheiratete Mutter dreier Kinder und sehr resolut. Die Fronten waren klar: Sie machte nur ihren Job und wollte nichts von ihm, und er wollte nichts von ihr – außer, dass sie ihren Job machte.

Er sah auf, als Abigail sein Büro betrat. So hochgeknöpft wie nur irgend möglich und mit einer getönten Brille vor ihren Augen. So intelligent sie war, was Zahlen betraf, so sehr wunderte er sich, dass sie gar nicht in Betracht zog, er könne sie längst durchschaut haben.

„Abigail, wie schön, dich zu sehen“, ging er ohne Nachzudenken zum vertraulichen Du über. „Was wollen wir denn heute machen?“

„Ich dachte, wir könnten uns in ein Café setzen und uns einen deiner Quartalsberichte ansehen. Welche Informationen überhaupt hineinfließen, wo sie herkommen, wie sie aufbereitet werden. Die Abläufe hier kennst du bestimmt alle in- und auswendig. Wenn es uns gelingt, sie mit den Daten zu verknüpfen, fällt es dir zukünftig bestimmt viel leichter, sie zu verstehen.“

Sie bemühte sich wirklich sehr, eine professionelle Fassade zu bewahren. Die Cam gar nicht abwarten konnte anzukratzen. „In Ordnung“, stimmte er zu. „Wir haben hier eine hervorragende Cafeteria. Da sind wir gleich an Ort und Stelle, wenn ich dir etwas zeigen möchte.“

Abigail öffnete den Mund, als wolle sie widersprechen, schloss ihn aber gleich wieder. Nur ihre ineinander verschränkten Hände, an denen die Fingerknöchel weiß hervortraten, verrieten ihre Anspannung. Sie leckte sich über die Lippen, und Cam ertappte sich dabei, wie ihm beim Anblick ihrer pinkfarbenen feuchten Zungenspitze das Blut aus dem Gehirn schoss. Vielleicht war sein Vorschlag doch keine so gute Idee? Er und Abigail, alleine in seinem Büro, sie rücklings auf seinem Schreibtisch, während er in sie stieß …

„Einverstanden“, sagte Abigail, und Cam brauchte ein paar Sekunden, um zu verstehen, dass sie nicht seiner sexuellen Fantasie, sondern dem Cafeteriabesuch zustimmte.

Wie zufällig legte seine Hand sich an ihren unteren Rücken, als er die Tür für sie öffnete. Wie zufällig berührte er sie, als sie an der Theke nebeneinanderstanden, um sich ihre Heißgetränke zu holen, die für alle Mitarbeiter und Besucher kostenlos waren. Wie zufällig strichen seine Finger über ihre, als sie sich gemeinsam über den ausgedruckten Quartalsbericht beugten.

Doch all das schien Abigail nicht aus der Ruhe zu bringen. Als ob sie seine Berührungen ausblendete und sich nur auf ihre Aufgabe konzentrierte. Sie hatte eindeutig mehr Selbstbeherrschung als er, dessen Fantasie gerade wieder abzudriften drohte.

Abigail griff nach einem Stift und einem leeren Blatt. „Malen wir doch einfach mal auf, was deine Firma macht. In einem zweiten Schritt zeichnen wir die Zahlungsströme dazu, in einer anderen Farbe.“

Beinahe belustigt betrachtete Cam, wie ernsthaft sie seine Erzählungen in Bilder umsetzte. Während er von den Menschen in den verschiedenen Abteilungen und ihren Aufgaben sprach, erweckte Abigail sie auf dem Papier zum Leben.

„Das ist deine Firma“, sagte sie nach einer Weile und hielt ihm das fertige Bild vor die Nase.

Sie hatte ganze Arbeit geleistet. Cam schwieg einen Moment, ehrlich beeindruckt, während er die Details studierte. In den letzten Jahren hatte er vor allem Fließdiagramme oder Projektpläne betrachtet oder die modernen Kunstwerke, die in vielen Firmen hingen. „Ich bin beeindruckt. Das rahme ich mir ein und hänge es in meinem Büro an die Wand.“

„Nichts da, jetzt kommen die Zahlen dazu. Tut mir leid.“ Sie lächelte ihn entwaffnend an und griff zu zwei farbigen Stiften. „Grün für das, was man bekommt, Rot für das, was man abgibt.“

Dieser Teil machte ihm nicht ganz so viel Spaß wie der erste, aber Cam musste zugeben, dass Abigails Methode effektiv war. Ab und zu fing er einen neugierigen Blick eines seiner Angestellten auf, der sich wunderte, dass er mit einer Fremden in der Cafeteria saß und sie die Köpfe zusammensteckte. Die meisten hingegen waren so etwas gewohnt und beachteten ihn nicht weiter.

„Kommen wir zum Test. Ich möchte wissen, ob du wirklich verstanden hast, wovon wir gesprochen haben.“

Cam wurde doch tatsächlich ein bisschen mulmig zumute. Er fühlte sich an seine Schulzeit erinnert, wenn seine Lehrer etwas von ihm wissen wollten. „Muss das sein?“

„Ja, das muss sein.“ Sie lächelte, ein bisschen streng, wie ihm schien. Vielleicht lag das aber auch daran, dass er ihre Augen hinter den getönten Gläsern nicht erkennen konnte.

„Einverstanden. Aber nur, wenn ich danach auch eine Belohnung bekomme“, setzte Cam nach und wartete ab, wie sie wohl auf diese Provokation reagieren würde.

Abigail griff nach einem Tütchen Zucker und hielt es ihm vor die Nase. „Zuckerbrot und Peitsche?“

Ihr schlagfertige Antwort rief schon wieder Fantasien in ihm wach, diesmal welche, in denen sie an sein Bett gefesselt war, während er jeden Millimeter ihres Körpers erkundete. „Ein Drink mit mir.“

„Das geht nicht, ich muss noch arbeiten. Ich habe eine Vorlesung.“

„Eine Vorlesung?“ Sie wirkte so jung, sie könnte glatt als Studentin durchgehen, nicht als Dozentin.

„Ich muss sie vorbereiten.“

„Aber nicht für heute?“

Sie zögerte kurz. „Für morgen Nachmittag.“

„Also spricht nichts gegen einen Drink“, stellte Cam mit unerschütterlicher Logik fest. Bevor sie widersprechen konnte, setzte er nach: „Du wolltest mich testen, Abigail?“

Sie seufzte, anscheinend unschlüssig, wie sie darauf reagieren sollte. „Also schön“, gab sie nach, „wenn du alle Fragen richtig beantwortest.“

„Und wenn nicht, dann als Trost?“

„Nein, so läuft das nicht. Eine Belohnung muss eine Belohnung bleiben, um zu motivieren. Sonst würdest du dich nicht anstrengen.“

Ganz schön hart, seine Nachhilfelehrerin. Das gefiel ihm. Cam schmunzelte. „Bringen wir’s hinter uns.“

Doch zu seinem eigenen Erstaunen war ihre Lektion – trotz der vielen kleinen Ablenkungen – in seinem Gedächtnis haften geblieben. Bis auf eine einzige Stelle, wo Abigail nachhaken musste, erinnerte er sich mühelos an alle Zusammenhänge.

„Sehr gut“, lobte Abigail und packte ihre Unterlagen zusammen. Die Zeichnung überließ sie ihm. „Ich wusste, dass du ein visueller Mensch bist.“

Sein Blick fiel auf ihre Brüste, gut versteckt hinter ihrem Blazer. Aber er wusste ja, wie sie aussahen. „Oh ja.“

Sie erhob sich, und Cam folgte ihr. Am Empfang ließ er sich mit seiner Assistentin verbinden und verabschiedete sich für den Rest des Tages.

Abigail runzelte die Stirn, als er sie nicht zu einem der Elektroautos, sondern zu seinem Wagen führte, einem silbernen Lexus. „Das ist ein Hybridfahrzeug“, erklärte er, während er ihr die Beifahrertür öffnete.

„Ich wunderte mich nur, weil wir letztes Mal mit einem der Firmenwagen gefahren sind.“

Da hatte sie ihn erwischt. Ironie des Schicksals, dass er seine Nachhilfelehrerin anfangs nicht hatte beeindrucken wollen. Die Abigail, deren andere Seite er nun kannte, allerdings schon. „Dieser Wagen ist bequemer.“

Falls sie gedacht hatte, dass sie in eins der Restaurants Downtown gehen würden, so ließ sie sich zumindest nicht anmerken, dass sie sich getäuscht hatte.

Cam hielt vor seiner Villa, umrundete den Wagen und öffnete Abigail die Beifahrertür. „Willkommen in meinem bescheidenen Heim.“

Sie warf einen Blick auf die zweistöckige Villa, den gepflegten Garten, den großen Pool. „Angeber.“

Andere Frauen waren immer ganz aus dem Häuschen gewesen und sahen sich in Gedanken schon als Hausherrin. Cam wusste einen Moment nicht, ob er über ihre Reaktion verärgert oder froh sein sollte. „Es gefällt dir nicht?“

„Ich habe ja noch gar nichts gesehen“, versuchte sie einzulenken, da sie zu spüren schien, dass ihr Kommentar ihn getroffen hatte. „Ich würde es allerdings nicht als bescheiden bezeichnen.“

Aha, daher wehte der Wind. Cam schloss die Tür auf und ging voran ins Wohnzimmer. Die Bar dort war gut bestückt. Nicht, weil er sich jeden Abend alleine betrank oder Frauen willig machen wollte, sondern weil öfters spontan Freunde vorbeikamen. „Was darf es sein?“

„Einen Weißwein, bitte.“

Den wiederum hatte er nicht in der Bar, sondern im Weinkeller. „Kommt sofort“, sagte er lässig und sprintete die Stufen hinunter und wieder hinauf, um Abigail keine Chance zu geben, sich womöglich in der Zwischenzeit für ein Wasser zu entscheiden.

Er zeigte ihr drei Flaschen zur Auswahl. Sie entschied sich für einen Chardonnay aus dem Napa Valley.

Cam gelüstete es nach einem Scotch auf Eis, aber für den Fall, dass er noch fahren musste, hielt er sich ebenfalls an den leichten Weißwein. „Sag mal“, begann er im Plauderton, „findest du es eigentlich unattraktiv, wenn ein Mann eine Schwäche hat?“

Falls Abigail die Falle spürte, so wich sie ihr gekonnt aus. „Politisch korrekt würde meine Antwort lauten, dass weder eine Schwäche noch eine Stärke Einfluss auf die Attraktivität haben sollte.“

Sie hatte eindeutig noch nicht genug Alkohol intus für diese Konversation. Wie beiläufig füllte Cam ihr Glas nach. „Und deine persönliche Meinung, auch wenn sie politisch unkorrekt ist?“

„Ich finde die eine oder andere Schwäche durchaus anziehend.“ Sie warf ihm einen, wie ihm schien, koketten Blick zu, aber sie trug immer noch die verdammte Sonnenbrille, sodass er sich nicht sicher sein konnte.

„Bist du eigentlich kurz- oder weitsichtig?“, fragte er.

Ihre Hand zuckte zur Brille. „Wieso fragst du?“

„Weil hier drinnen keine Sonne scheint.“

„Oh!“ Endlich nahm sie die Brille ab. „Tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein.“

„Das macht doch nichts“, sagte Cam geschmeidig, nur, um hinzuzufügen: „Dir ist doch sicher warm in dem Blazer?“

Im Büro war die Klimaanlage an gewesen. Hier jedoch surrte nur träge der Deckenventilator.

Diesmal zögerte sie länger, bevor sie den Blazer aufknöpfte, aber nicht auszog. „Hm.“

„Erzähl mir doch etwas von dir“, sagte Cam und füllte ihr Weinglas erneut auf. „Vielleicht ist es für unsere Zusammenarbeit leichter, wenn ich ein bisschen mehr über dich erfahre. Bisher weiß ich nur, dass Daniel dich empfohlen hat.“

Sie nickte. „Er ist mein Cousin.“

Das machte die Sache kompliziert. Mental nahm Cam Abstand von seinem Verführungsszenario. Wenn sein Kollege mitbekam, dass er ein Familienmitglied verführt hatte, musste er sich womöglich einen neuen Finanzvorstand suchen. Erst John, nun Daniel. Was hatte diese Frau, dass er ihretwegen Ärger mit seinen Geschäftspartnern riskierte?

Endlich zog Abigail ihren Blazer aus. Was eine schlecht geschnittene Kostümjacke doch verbergen konnte. Genau so voll hatte er ihre Brüste aus dem Club – und natürlich dem Hotel – in Erinnerung.

Ob Daniel wusste, dass seine liebreizende Cousine sich nachts in Bars und im Internet rumtrieb, um Sex mit fremden Männern zu haben? Noch immer hatte Cam Schwierigkeiten, die beiden Seiten ihrer Persönlichkeit unter einen Hut zu bringen. Hatte Abigail womöglich eine bipolare Störung?

„Ich wohne in San Francisco, habe Mathematik studiert und unterrichte es auch.“

So viel hatte sie ihm bereits erzählt. Doch Cam fing ihr Zögern auf. „An einer Highschool? Einem College?“, fragte er nach.

Sie räusperte sich. „Ich habe ein paar private Nachhilfeschüler, und ich unterrichte an einer Uni. Aber für die meisten Studenten ist es bloß ein Nebenfach.“

Autor

Debbi Rawlins

Endlich daheim – so fühlt Debbi Rawlins sich, seit sie mit ihrem Mann in Las Vegas, Nevada, lebt. Nach viel zu vielen Umzügen beabsichtigt sie nicht, noch ein einziges Mal den Wohnort zu wechseln. Debbie Rawlins stammt ursprünglich aus Hawaii, heiratete in Maui und lebte danach u.a. in Cincinnati, Chicago,...

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