Verführerischer Weihnachtstraum

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Glitzernder Schnee, ein festlich geschmücktes Landhaus und ein umwerfender Mann an ihrer Seite: Das Fest der Liebe könnte so schön sein! Bald schon bedauert Georgina, dass sie Pierres Verlobte nur spielt, um seiner kranken Mutter einen Herzenswunsch zu erfüllen. Denn nie hätte sie gedacht, dass der kühle Geschäftsmann so verführerisch ist. Mit jedem Kuss sehnt sie sich mehr nach ihm. Und nach einem Luxusdinner bei Kerzenlicht erlebt sie eine süße Liebesnacht in seinen Armen. Doch kaum begonnen, droht ihr Glück wieder zu zerplatzen. Pierre scheint bloß eine Weihnachtsromanze von ihr zu wollen.


  • Erscheinungstag 13.10.2009
  • Bandnummer 0067
  • ISBN / Artikelnummer 9783862953950
  • Seitenanzahl 192
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Georgie sah an der Glasfront des Gebäudes empor. In genau dieser Sekunde nahm sie sich fest vor, nie wieder in ihrem ganzen Leben einem Impuls zu folgen. Nie wieder! So richtig und gut die Gründe dafür auch sein mochten.

Der einzig halbwegs akzeptable Teil dieser grässlichen Reise nach London war die Taxifahrt vom Bahnhof bis hierher gewesen. Und selbst die hatte einen schalen Nachgeschmack: Der schlecht gelaunte Taxifahrer weigerte sich strikt, ein paar Minuten zu warten. Obwohl Georgie ihn äußerst freundlich darum gebeten hatte. Nur für den Fall, dass ihr Gesprächspartner nicht anwesend sein sollte.

Denn Georgie hatte im Moment nicht die geringste Ahnung, wie sie überhaupt an den Mann herankommen sollte. Das Gebäude wirkte wie eine uneinnehmbare Festung. Es wimmelte von Sicherheitsleuten. Überall waren Überwachungskameras angebracht. Einfach lächerlich! Als ob jemand mit auch nur einem Funken Verstand versuchen würde, in ein Fitnessstudio einzudringen.

Außerdem war es kalt.

Und sie hatte Hunger. Das letzte Mal hatte Georgie vor über vier Stunden etwas gegessen; ein höchst trauriges Sandwich, das sie sich unterwegs an irgendeinem Bahnhofskiosk besorgt hatte. Jetzt verlangte ihr Magen mit unüberhörbarem Knurren nach anständiger Nahrung, und zwar schnell.

Georgie holte tief Luft und marschierte entschlossen auf die Drehtüren zu. Hinter dem runden Empfangstresen tummelten sich ein paar Mitarbeiter des Fitnessclubs. Sonst war niemand zu sehen; sie hatten also offensichtlich nichts zu tun. Trotzdem dauerte es sehr lange, bevor eine sehr junge, sehr blonde Frau die Besucherin zur Kenntnis nahm. Ein Cheerleader mit Rottweilermiene, dachte Georgie ungnädig. Dementsprechend vorsichtig näherte sie sich.

Der abschätzige Blick und die hochgezogene Augenbraue, mit dem die Blondine Georgie von Kopf bis Fuß musterte, sprachen Bände. „Kann ich Ihnen helfen, Miss?“, flötete sie dennoch.

„Ich … Nun, ja, das hoffe ich.“ Du bist Lehrerin, Georgina! Du lässt dich doch nicht etwa von so einem Hüpfer im Lycra-Trikot einschüchtern! „Um genau zu sein, ich bin hier, um hier …“

„Sie möchten Mitglied werden? Tut mir leid, Miss. Wir sind für die nächsten acht Monate komplett ausgebucht.“

„Nein. Ich bin nicht hier, um Mitglied zu werden.“

Die Augenbraue ruckte noch höher. „Sondern?“

„Ich suche jemanden. Eines Ihrer Mitglieder.“

Mit einem ungeduldigen Seufzer stieß die Blondine die Luft aus den Lungen und sah auf ihre Armbanduhr. „Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, Miss. Unsere Mitglieder sind hier, um sich in exklusiver Atmosphäre zu entspannen. Sie erwarten, nicht gestört zu werden. Ich muss Sie nun bitten, zu gehen.“

So schnell wirst du mich nicht los, Schätzchen! Georgie räusperte sich, dann wandte sie sich an eine etwas ältere, aber ebenso blonde Version des Cheerleaders. Sie musste um die dreißig sein und verfolgte das Gespräch interessiert. „Ich fürchte, ich muss darauf bestehen, Mr. Newman zu sehen“, hob Georgie mit ihrer strengsten Lehrerinnenstimme an. Das war jene Stimme, die beim Gegenüber düstere Ahnungen über bittere Konsequenzen und lange Strafen heraufbeschwor, falls man sich den Anordnungen widersetzte. Nun, bei Georgies sechsjährigen Schützlingen funktionierte das immer. Und tatsächlich: Die ältere Blondine versteifte sich unmerklich.

Bis Georgie klar wurde, dass es weniger ihre Stimme war, der diese Reaktion hervorrief. Es war der Name, den sie genannt hatte.

„Meinen Sie etwa Mr. Pierre Newman?“

„Genau den. Erstaunlich, dass Sie sich seinen Namen merken konnten. Wo Ihr Club doch so überlaufen ist.“ Georgie konnte es sich einfach nicht verkneifen. Dabei überraschte die Reaktion der Blonden sie überhaupt nicht. Schließlich war Pierre beileibe kein Mann, den man so einfach übersah. Es sei denn, man war praktisch mit ihm aufgewachsen. Dann verlor seine Ausstrahlung natürlich ihre Wirkung.

Der Blondine aber verschlug es wohl für einen Augenblick die Sprache. Dann nahm sie sich zusammen. Nein, man sei hier keineswegs überlaufen, erklärte sie. Im Gegenteil. Man lege großen Wert auf Exklusivität und beschränke daher die Mitgliederzahl auf einen kleinen auserwählten Kreis. „Unsere Mitglieder sind vermögende und einflussreiche Persönlichkeiten“, erklärte sie herablassend. „Sie kommen zu uns, um sich von ihren vollen Terminkalendern zu erholen. Wir können uns mit Stolz als eine der exklusivsten Entspannungsoase der Stadt bezeichnen.“

Georgie hatte höflich zugehört, obwohl sie kaum etwas langweiliger fand als verwöhnte Millionäre, die eine Auszeit brauchten. Als seien sie nur zur Entspannung fähig, wenn sie von ihresgleichen umgeben waren.

Pierre passte genau hierher. Im Laufe seines Lebens hatte er ein derart großes Vermögen angehäuft, dass er seinen Kokon niemals verlassen musste – es sei denn, er wollte es. Er brauchte nur mit den Fingern zu schnippen, und jeder spurte. Was nun Didi betraf … Georgie erinnerte sich daran, warum sie eigentlich hier war. Sie hob abwehrend die Hand, um den belanglosen Redefluss der Blondine zu unterbrechen.

„Das ist großartig, wirklich. Aber wie schon gesagt: Ich bin nicht hier, um Mitglied zu werden, sondern um mit Mr. Newman zu sprechen. Dringend! Wenn Sie mir sagen, wo er sich aufhält, finde ich den Weg allein.“

„Bei uns ist es nicht üblich, Nichtmitgliedern Zutritt zu gewähren.“

„Dann warte ich hier. Wenn Sie ihm bitte ausrichten würden, dass Georgie … Georgina ihn dringend sprechen muss.“

Die Blondine zog eine Augenbraue hoch. „Darf ich fragen, in welcher Angelegenheit?“

„Sicher, dürfen Sie. Aber ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist persönlich.“ Nur mühsam verkniff Georgie sich das Grinsen. Die gute Frau platzte schier vor Neugier. Sicher spekulierte sie bereits, welche anrüchigen Geheimnisse Mr. Newman wohl zu verbergen hatte. Der arme Pierre würde nicht besonders glücklich darüber sein. Nun, er hatte noch nie Humor besessen; zumindest hatte Georgie nie auch nur einen Funken davon ausmachen können.

Pierre hatte schon als junger Mann extrem gut ausgesehen. Doch Georgie erinnerte sich vor allem an seinen Hang, alles zu kritisieren. Es gab kaum etwas, für das Pierre etwas anderes als Missbilligung übrig gehabt hätte. Und er gab sich auch nicht die geringste Mühe, das zu verheimlichen.

Seiner Meinung nach war das Leben in Greengage Cottage, einem klitzekleinen Nest in der Grafschaft Devonshire, so langsam, dass es an Stillstand grenzte. Den Lebensstil seiner Eltern hatte er immer kritisiert; er bezeichnete sie als Hippies. Und eigentlich auch jeden anderen, der nicht den gleichen brennenden Ehrgeiz in sich spürte, schnellstmöglich das verschlafene Nest zu verlassen und die Großstadt zu erobern. Seit er vor über zehn Jahren nach London gegangen war, waren seine Besuche zu Hause immer seltener geworden.

Vor drei Jahren war er zur Beerdigung seines Vaters zurückgekehrt. Zwei Wochen lang war er geblieben. Er kümmerte sich um den Verkauf der Farm und kaufte ein kleines Cottage für seine Mutter. Angesichts der Tatsache, dass er auf der Farm aufgewachsen war, hatte er bei deren Verkauf eine bemerkenswerte Gleichgültigkeit an den Tag gelegt.

Seither konnte man seine Besuche bei der Mutter an einer Hand abzählen. Und Georgie achtete immer peinlich genau darauf, ihm aus dem Weg zu gehen, wenn er in Greengage Cottage war.

Was sie ihren impulsiven Schritt jetzt erneut verfluchen ließ.

Die Blondine teilte ihr gerade mit, dass man Mr. Newman nun darüber informieren würde, dass Miss Georgina ihn zu sprechen wünsche. Sollte Mr. Newman sie aber nicht sehen wollen, werde man sie hinausbegleiten. Geschäftspolitik.

Georgie erinnerte sich bemüht daran, dass die Frau wahrscheinlich nur ihren Job erledigte, und nahm auf einem der niedrigen roten Sessel in der Sitzecke Platz. Verschiedene Hochglanzbroschüren auf dem chromblitzenden Glastisch priesen die wunderbaren Möglichkeiten und Errungenschaften des Fitnessclubs an. Aber Georgie studierte lieber ihre Umgebung genauer.

Hinter dem Empfang lag ein mit Marmor ausgelegtes Foyer. Von hier aus führte eine Treppe in die obere Etage zum Trainingsbereich, der hinter einer dunkel getönten Glasfront lag. Zu den Squashcourts und dem Pool ging es einen langen Korridor entlang. Wahrscheinlich lagen dort auch die exklusiven Ruhekabinen, wo der gestresste Geschäftsmann sich seine Verspannungsknoten von einem Klon der Blondine vom Empfang wegmassieren lassen konnte. So jedenfalls stellte Georgie sich das vor.

Als Georgie aus ihrer Grübelei auftauchte, stellte sie fest, dass Pierre direkt vor ihr stand und sie durchdringend ansah.

Ihr Blick wanderte an ihm nach oben bis sie zu seinen Augen. Sie waren blau, wie die seines Vaters. Von seiner algerischen Mutter hatte er das rabenschwarze Haar. Es war kurz geschnitten und im Moment nass. Georgie musste seine Runden im Pool unterbrochen haben. Wahrscheinlich lag auch deswegen ein Handtuch um seine Schultern.

Mit gerunzelter Stirn sah er auf sie hinunter. „Was tust du hier, Georgina? Clarice sagte mir, du willst mich dringend sprechen. Ist irgendwas mit meiner Mutter?“ Die Falte auf der Stirn wurde tiefer. „Ich habe am Wochenende noch mit ihr gesprochen, da war alles in Ordnung. Nun? Sag schon, was los ist, zum Teufel!“

Georgie hatte völlig vergessen, wie einschüchternd dieser Mann sein konnte, wenn man ihm persönlich gegenüberstand.

Er war über eins neunzig groß, und ja, das musste sogar Georgie zugeben: Er war ein enorm attraktiver Mann. Er war gesegnet mit perfekten Gesichtszügen. Jeder Muskel seines athletischen Körpers war durchtrainiert; zudem strahlte er eine enorme, nahezu gefährliche Entschlossenheit aus. Seine Präsenz brachte Frauen dazu, sich nicht nur auf der Straße den Hals zu verrenken, um einen zweiten Blick auf ihn zu ergattern.

Nicht jedoch Georgie. Sie erachtete sich als gänzlich immun gegen derartige Oberflächlichkeiten. Ihrer Meinung nach waren Pierres Augen kalt wie Eis. Und in seinem makellosen Aussehen lag unterschwellig eine Härte, die ihn wie ein Kraftfeld umgab.

„Es gibt keinen Grund, diesen Ton anzuschlagen, Pierre“, erwiderte sie kühl.

„Ich habe nur eine zivilisierte Frage gestellt.“ Er fasste die Enden des Handtuchs und musterte sie mit unverhohlener Ungeduld. Noch eine seiner unliebsamen Charaktereigenschaften, dachte Georgie. „Ich habe nicht oft Gelegenheit, mich zu entspannen. Das Letzte, was ich dann brauche, ist eine Unterbrechung durch jemanden, der sich auch noch in Schweigen hüllt. Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann spuck’s aus.“

Entrüstet sprang Georgie auf. „Manche Dinge ändern sich nie, nicht wahr, Pierre? Du bist noch immer der unhöflichste Mensch, der mir in meinem ganzen Leben untergekommen ist!“

„Erzähl mir doch etwas Neues! Wenn ich mich recht entsinne, lässt du keine Gelegenheit aus, mich das wissen zu lassen. Das letzte Mal übrigens auf der Beerdigung meines Vaters! Das hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Statt dein Beileid zu bekunden wie jeder andere, hattest du nichts Besseres zu tun, als mir mitzuteilen, was für ein taktloses und unkultiviertes Wesen ich doch sei.“ Er musterte sie kühl. „Nicht dass es von Bedeutung wäre. Sag einfach, was du zu sagen hast, Georgina, und dann verschwinde.“

„Ich will mich nicht mit dir streiten, Pierre. Und Didi geht es gut. Relativ, zumindest.“

„Relativ? Was soll das denn nun wieder heißen?“

„Könnten wir vielleicht irgendwo hingehen und reden? Mir ist klar, ich zerre dich von deiner Entspannung fort, aber … schließlich bin ich den ganzenWeg von Devonshire hergekommen.“ Unaufgefordert, unangekündigt und unvorbereitet. „Die Reise war äußerst unangenehm, falls dich das überhaupt interessiert. Verspätungen, überfüllte Züge und übelst gelaunte Taxifahrer, ganz zu schweigen von der Handyrechnung, die ich bekommen werde.“ Georgie runzelte die Stirn. „Ich musste deine Sekretärin mit Engelszungen überreden, mir zu sagen, wo ich dich finde. Hat sie vorher beim Geheimdienst gearbeitet?“

„Natalie weiß, dass ich im Fitnessclub nicht gestört werden will.“ Pierre entspannte sich ein wenig. Vielleicht war er wirklich etwas zu unfreundlich zu Georgie gewesen. Aber aus einem unerfindlichen Grund war ihm diese Frau schon immer gegen den Strich gegangen. Alles an ihr irritierte ihn: von ihrem hochtrabenden Moralgehabe bis hin zu ihrer wirklich ärgerlichen Angewohnheit, unüberlegt herauszuposaunen, was ihr gerade in den Kopf schoss. Er zog Frauen vor, die alles unter Kontrolle hatten – sowohl ihre Kleidung als auch ihren Charakter. Um genau zu sein: Er erachtete sich als modernen Mann des einundzwanzigsten Jahrhunderts, der die Gesellschaft intellektueller Frauen genoss und deren Selbstfindung imArbeitsleben befürwortete. Was die Reize ihres Geschlechts anging, so befand Georgie sich eher am unteren Ende der Skala. Zehn Minuten in ihrer Gesellschaft reichten ihm normalerweise.

„Das habe ich verstanden“, sagte sie jetzt. „Das hat sie mehr als deutlich gemacht – in den zwanzig Minuten, die es gedauert hat, bevor sie damit rausgerückt ist.“

„Was hast du denn zu ihr gesagt?“

„Dass ich die Frau bin, die du klammheimlich am Wochenende geheiratet hast. Ich hab auch immer wieder Didis Namen eingeworfen, um dem Ganzen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.“ Das hatte Georgie natürlich nicht getan. Aber es war lustig, seine entsetzte Miene zu beobachten. „Sollte nur ein Scherz sein.“

„Wirklich sehr witzig. Es gibt hier ein Café. Da können wir reden.“ Er drehte sich auf dem Absatz um und setzte sich in Bewegung, sodass Georgie nur noch auf seinen Rücken starrte.

Dieses Mal, da Pierre ihr vorausging, öffneten sich die Tore in die heiligen Hallen wie von selbst. Offensichtlich wurden diesem Mann von allen Seiten nichts als grenzenlose Bewunderung und ehrfürchtiger Respekt entgegengebracht. Kein Wunder, dass er sich so unmöglich überlegen gab.

„Ich kann kaum fassen, dass sie mich tatsächlich durchgelassen haben“, murmelte Georgie atemlos, während sie sich neugierig umsah und gleichzeitig bemühte, mit ihm Schritt zu halten. „Freundlich sind sie hier nicht unbedingt, was? Müssen sie einen Kurs in Unhöflichkeit absolvieren?“

„Die Mitglieder dieses Clubs führen alle ein sehr aufreibendes Leben.“ Pierre verlangsamte sein Tempo und betrachtete ihr zerzaustes blondes Haar. „Das hier ist ihr Rückzugsort. Was sie am wenigsten gebrauchen können sind Leute, die unerwartet hier auftauchen, um Geschäftliches zu besprechen.“

„Und das kommt natürlich so oft vor, dass man die gestressten Manager mit einer Armee von blonden Klonen davor beschützen muss?“

„Du wärst überrascht“, murmelte Pierre. Er verzichtete darauf, zu erwähnen, dass man ihr wahrscheinlich weniger feindselig begegnet wäre, würde sie nicht dieses in Managerkreisen durchaus als exzentrisch zu bezeichnende Outfit tragen: flache Wildlederstiefel mit Pelzrand, schwarze Woll-Leggings und einen schwarzer Poncho, unter dem etwas Rotes hervorblitzte. Der Himmel allein mochte wissen, worum es sich dabei handelte. Besaß diese Frau denn überhaupt keinen Sinn für Ästhetik? Oder wenigstens ein Kostüm?

Sie waren im Café angekommen, und Georgie blieb stehen, um sich einen Überblick zu verschaffen. „Ich glaube nicht, dass ich jemals so viel schwarzes Leder außerhalb eines Möbelgeschäfts gesehen habe.“ Georgie drehte sich um die eigene Achse. So sah also ein Café für Superreiche aus. Hier saß nur eine Handvoll Leute, und sie lasen alle Zeitung.

„Was trinkst du? Tee? Kaffee?“

„Tee. Bitte.“

„Ich muss dich warnen: Hier gibt es nur gesunde Getränke.“

Augenblicke später stand eine dampfende Tasse Tee vor ihr. Georgie rechnete damit, dass der Tee wie Spülwasser schmecken würde.

„Gut. Würdest du mir nun endlich den Grund deines Besuches nennen, Georgie? Was meintest du damit, meiner Mutter ginge es relativ gut? Ich habe wirklich nicht die geringste Lust, Ratespiele zu spielen, falls sie gesundheitliche Probleme hat.“ Pierre nippte an seinem Kaffee und schaute über den Rand der Tasse zu ihr hin.

Sie hatte den Poncho abgelegt. Jetzt konnte er auch erkennen, dass Rot nur eine der Farben auf dem Pullover war, den sie trug.

„Hat sich jemand mit einem Pinsel auf deinem Pullover ausgetobt?“, hörte er sich fragen.

Georgie sah mit einem strahlenden Grinsen an sich herab. „Ein Weihnachtsgeschenk von meiner Klasse. Entzückend, nicht wahr?“

„Ungewöhnlich.“ Er ließ ein Schnauben hören. „Du wolltest mir von meiner Mutter berichten.“

„Ja.“ Georgie nippte an dem Tee und konnte die Tasse prompt gar nicht schnell genug wieder absetzen.

Seltsam, aber es war tatsächlich das erste Mal, dass Pierre und sie wirklich allein waren. Bei den berüchtigten Festen, die Charlies Eltern früher so gern gefeiert hatten, waren immer Freunde und Verwandte um sie herum gewesen. Doch nach Charlies Tod hatte Didi das Interesse an Partys verloren.

Und jetzt fielen Georgie plötzlich Dinge an Pierre auf, die sie früher nicht wahrgenommen hatte. Natürlich war er genauso arrogant, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Dieser achtsame Blick … Ihm entging wirklich nichts, nicht einmal das kleinste Detail. Er machte sie nervös. Georgie musste sich bewusst zusammennehmen, um nicht an der Tasse oder ihren Haaren herumzuspielen.

Pierres Schweigen machte überdeutlich, dass er darauf wartete, dass sie endlich redete. Schweigen war wohl eine Taktik, die er dabei als durchaus nützlich erachtete.

„Seit ihrem Herzinfarkt ist Didi nicht mehr dieselbe.“

Pierre runzelte die Stirn. „Der Arzt sagte mir, dass sie sich vollständig erholt hat. Und dass er die Kapazität auf dem Gebiet ist, brauche ich ja wohl nicht zu betonen.“

„Ja, sie hat sich vollständig erholt …“

„Also was soll das Ganze dann? Worauf willst du hinaus?“ Er sah auf seine Armbanduhr. Zeit war wie immer ein knappes Gut für ihn. Er musste noch ein paar dringende E-Mails schreiben, sobald er zu Hause war, und außerdem traf er sich heute Abend mit Jennifer. Nach zwei Wochen war es ihnen endlich gelungen, ihre übervollen Terminkalender so abzustimmen, dass sie einen freien Abend zusammen hatten.

„Halte ich dich auf?“, fragte Georgie kühl.

„Hättest du mich vorher über deinen Besuch informiert, hätte ich mehr Zeit für dich einplanen können, Georgie. Ob du es glaubst oder nicht, ich bin ziemlich beschäftigt.“

„Hätte ich normalerweise ja auch, aber ich habe mich spontan entschieden.“

„Typisch.“

„Was soll das denn heißen?“

Pierre musterte sie – ihre wilde blonde Mähne, ihre großen grünen Augen, ihren bizarren Aufzug. „Ich weiß wirklich nicht, wie du es schaffst, einen normalen Job zu behalten, Georgie.“

„Und ich weiß wirklich nicht, wie du es schaffst, Spaß am Leben zu haben, Pierre.“

„Du tust es schon wieder! Du redest, ohne vorher nachzudenken.“

„Du hast doch auch keinerlei Hemmungen, deine Kommentare über mich abzugeben! Warum sollte ich dir also nicht den gleichen Gefallen erweisen?“ Sie spürte, wie ihre Nackenhärchen sich aufrichteten. Aber das war nichts Neues in seiner Gegenwart. „Ich bin vielleicht impulsiv. Aber das bedeutet doch nicht automatisch, dass ich kein Verantwortungsbewusstsein habe!“

Pierre verzog den Mund. „Was machen die Hühner?“

Sie funkelte ihn böse an. Ja, sie hielt Hühner. Vier Stück, um genau zusein. DieTiere pickten glücklich dieWürmer aus ihrem Garten und lieferten die besten Eier, die man sich vorstellen konnte. Pierre hatte für solch lauschige Idylle natürlich kein Verständnis. Mit Sicherheit würde er jetzt auch ihren Gemüsegarten erwähnen. Denn Georgie zog alles selbst, von Möhren bis zu Buschbohnen. Pierre war zwar nur ein einziges Mal bei ihr zu Hause gewesen, um im Auftrag seiner Mutter etwas abzuholen. Doch das hatte offensichtlich ausgereicht: Er hielt Georgie für eine exzentrische junge Frau, die scheinbar den Sprung ins einundzwanzigste Jahrhundert verpasst hatte.

„Den Hühnern geht es prächtig, danke.“

„Und wie läuft’s sonst so mit der Selbstversorgung?“

„Du bist wirklich unmöglich!“

„Ich weiß. Das hast du mir schon gesagt.“ Pierre grinste. Zugeben, diese entrüstete Empörung stand ihr gut.

Ganz rote Wangen und blitzende Augen.

„Es ist nur vernünftig“, stieß sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, „so natürlich wie möglich zu leben …“

„Oh bitte, erspar mir das! Die gleiche alte Leier habe ich mir jahrelang von meinen Eltern anhören müssen.“

„Es ist nichts verkehrt daran, sein eigenes Gemüse anzubauen, im Gegenteil. Wenn ich meine Karotten aus dem Boden ziehe, kann ich zumindest sicher sein, dass sie nicht in Kunstdünger ertränkt worden sind.“ Sie blickte sich voller Verachtung um. „Ich verstehe nicht, wie du das alles überhaupt aushältst, Pierre.“

„Was alles?“ Er sprach so leise, dass sie sich für eine Sekunde überlegte, ob sie das bevorstehende Gespräch nicht lieber abwenden sollte.

„All das hier. Dieser Club … diese Leute … dieses Leben … Ich meine, du bist auf einer Farm aufgewachsen!“

„Falsch! Ich bin in einem Internat aufgewachsen. Meine Ferien habe ich auf einer Farm verbracht. Die Zeit reichte aus, um mir klarzumachen, dass das die Art Leben ist, das ich nicht führen will. Aber du bist doch nicht hergekommen, um alte Geschichten aufzuwärmen, oder, Georgie? Du magst impulsiv sein, aber so impulsiv auch wieder nicht.“

„Nun, es ist mir etwas peinlich …“

Etwas peinlich. Diese betretene Miene, dieser beschämte Blick, ihre ganze Körpersprache … Das konnte nur eines bedeuten: Sie brauchte Geld. Und sie war nach London gekommen, um darum zu betteln. Allerdings schien sie vergessen zu haben, dass Bettler demütig auftreten sollten.

Eine demütige Georgie. Das wäre mal interessant. Pierre beschloss, sie eine Weile zappeln zu lassen. Er legte den Kopf leicht schief und musterte sie schweigend mit abwartendem Interesse.

„Ich meine …“

Er lehnte sich vor und runzelte auffordernd die Stirn. „Ja?“

Georgie seufzte schwer. „Der Tee ist grässlich. Hast du den schon mal probiert? Widerlich. Ob du mir wohl einen Kaffee besorgen könntest? Einen Milchkaffee vielleicht?“

Mit Verzögerungstaktik kannte Pierre sich aus, die erkannte er auf Meilen Entfernung. Er vergaß die wichtigen E-Mails und nickte. „Sicher.“

„Ich weiß, du hast es wahrscheinlich eilig …“

„Lass dir nur Zeit, Georgie.“ Er lächelte ihr zu und fragte sich, wie sie es ausdrücken würde. Georgie war stolz, so stolz, wie ein Mensch nur sein konnte. Es musste sich also um etwas sehr Wichtiges handeln, wenn sie zu ihm kam. „Ich hole dir deinen Milchkaffee. Möchtest du vielleicht etwas essen? Sie haben hier Vollkornmuffins, eine Obstbar und ein ansehnliches Nusssortiment. Sollte doch eigentlich genau auf deiner Wellenlänge liegen.“

„Nur weil ich einen Gemüsegarten bewirtschafte, heißt das nicht, dass ich Vollkornmuffins und Nüsse mag.“ Sie sah zu ihm, als er aufstand, sich zu voller Größe aufrichtete. Er war zugegebenermaßen eine beeindruckende Erscheinung, nicht nur wegen seiner Größe. Muskulöse Arme, ein perfekt geformter Körper, gebräunte Haut. Georgie konnte nicht sagen, dass ihr das bisher aufgefallen war. Andererseits: Sie hatte ja auch nie Zeit mit ihm allein verbracht. Erst recht nicht hier in London.

Augenblicke später kehrte er wieder zurück, einen Milchkaffee für sie in der Hand und ein Mineralwasser für sich selbst.

„Also …“ Die Ellbogen auf die Knie gestützt, die Hände locker verschränkt, lehnte er sich leicht vor. „Warum überspringst du die Nettigkeiten nicht und kommst zum Punkt, Georgie?“

„Ah.“

Pierre stieß einen ungeduldigen Seufzer aus. Die E-Mails konnten vielleicht warten; das war es wert, zuzusehen, wie Georgie sich wand. Aber die Verabredung mit Jennifer nicht. Also beschloss er, die Dinge ein wenig voranzutreiben und Georgie aus ihrer misslichen Lage zu befreien.

„Du bist doch nicht den weiten Weg gereist, um mir Vorhaltungen wegen meines Lebensstils zu machen. Und da du mir bereits gesagt hast, dass es meiner Mutter gut geht …“

„Relativ.“

„Fein. Relativ also. Wäre es etwas Ernsteres, wüsste ich es inzwischen längst. Es bleibt also nur noch ein Grund übrig, weshalb du es auf dich nimmst, stundenlang unterwegs zu sein.“

„Und der wäre?“

„Geld.“ Pierre setzte sich zurück. „Es dreht sich immer alles um Geld. Also, wie hast du dich in Schwierigkeiten gebracht?“ Er stellte sich einige Szenarien vor. „Ich dachte eigentlich, mit einem Lehrergehalt würde es sich in Greengage Cottage doch recht gut leben lassen. Schließlich gibt es dort kaum Gelegenheit, etwas auszugeben.“

Seine Kritik lenkte Georgie für einen Moment ab. „Auf jeden Fall gibt es keine Fitnessclubs wie diesen hier. Das hier würde ich allerdings auch nicht als etwas ausgeben bezeichnen, sondern als Verschwendung. Wie auch immer, ich bin nicht hier, um …“

Er hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. „Um dich mit mir zu streiten. Das sagtest du bereits. Obwohl du dich anscheinend nicht zurückhalten kannst. Du hast diese rechthaberische Art an dir, Georgie. Und du brauchst dich auch gar nicht aufzuregen, nur weil ich die Wahrheit ausspreche. Du schaffst es nicht einmal, deine Zunge im Zaum zu halten, wenn du etwas von mir willst. Denn das ist es doch, nicht wahr? Du willst etwas von mir.“

In gewisser Hinsicht hatte er recht. Dennoch fragte sie sich, wie er es zustande gebracht hatte, ihr die Rolle des Bettlers zuzuweisen. Das war sie doch überhaupt nicht! Und jetzt grinste er auch noch selbstzufrieden!

Sie hätte nichts lieber getan, als ihm auf der Stelle genauestens auseinanderzusetzen, warum sie in aller Hektik in den nächstbesten Zug nach London gestiegen war. Aber sie musste sich inzwischen leider eingestehen, dass sich ihre Gründe in immer zweifelhafterem Licht präsentierten. Warum hatte sie ihn nicht einfach weiterreden lassen? Dann hätte sie sich in Ruhe überlegen können, wie sie argumentieren würde.

„Also schön: Raus mit der Sprache! Wie hast du dein Geld durchgebracht?“ Pierre hob fragend die Augenbrauen. Aus der Nähe konnte Georgie erkennen, dass die blauen Augen, die sie immer für so kalt wie Eis im Winter gehalten hatte, dunkler wurden, wenn er sich amüsierte – diesmal auf ihre Kosten. „Ein Anbau für mehr Tiere?“ Die Idee schien ihn zu faszinieren, er spann den Faden weiter. „Ein Luxus-Hühnerstall? Nein? Nun, ich kann mir nicht vorstellen, dass du es für Schmuck und Designerkleider auf den Kopf gehauen hast.“

Er musterte sie abschätzig von Kopf bis Fuß. Georgie funkelte ihn böse an. Sie kannte diesen Blick. Das hatte er schon immer gut gekonnt: dass sie sich klein fühlte, nur weil ihr Geschmack in Sachen Mode fast nie mit dem übereinstimmte, was die Designer diktierten. Und diesen Ausdruck in seinen blauen Augen, den hatte sie über all die Jahre als eine Art fassungslose Verachtung zu deuten gelernt.

Dabei fehlte diesem Mann nur jegliche Fantasie. Sie musste sich ja nur die Frauen in Erinnerung rufen, die er ab und zu mit zu seinen Eltern nach Hause gebracht hatte. Humorlose Intellektuelle, die endlos über Weltpolitik, Finanzwelt und das britische Rechtssystem referieren konnten, denen aber zu jedem anderen Thema absolut nichts einfiel.

„Designerkleider sind nicht besonders praktisch, wenn man mit Kindern arbeitet“, verteidigte sie sich dennoch.

„Habe ich das behauptet?“

„Das war gar nicht nötig.“

„Für Kleider hast du das Geld jedenfalls nicht ausgegeben. Offensichtlich siehst du keinen Sinn darin, feminine Kleidung zu tragen, das sagst du ja selbst …“

„Das habe ich nie gesagt!“

„Falls man dich nicht in langen Zigeunerröcken sieht, trägst du Jeans, Georgie. Manchmal halte ich es für durchaus denkbar, dass du bereits in bunten Stoffen zur Welt gekommen bist.“ Er grinste. „Nun, einen exzessiven Kaufrausch haben wir also ausgeschlossen. Hm, was bleibt dann noch?“ Mit einem Gefühl von Triumph beobachtete er, wie sie entrüstet nach Luft schnappte. Es war wohl schwer, auf Moral zu pochen, wenn die eigenen geheimen Gelüste ans Tageslicht gezerrt wurden.

„Amüsierst du dich gut, Pierre?“

Er lehnte sich genüsslich zurück. „Durchaus. Vor allem, wenn ich mich an all die endlosen Litaneien erinnere, in denen mir mein widerwärtiger Charakter, meine verheerende Obsession für Geld oder meine mangelnde Hingabe als Sohn vorgehalten wurde.“

Georgie lief rot an. Wenn man es so ausdrückte, erschien sie wirklich in einem wenig vorteilhaften Licht. Er beschrieb sie als moralinsaure Langweilerin. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, als welch unangenehme Gesellschaft er sie immer empfunden haben musste. In einer Welt, in der Geld und Status alles bedeuteten, war er der unangefochtene König. Man musste sich nur ansehen, mit wie viel Respekt und Ehrerbietung man ihm hier in diesem überteuerten Fitnessclub entgegentrat. Sie dagegen musste ihm immer wie ein lästiger Splitter unter der Haut gesessen haben. Saß sie ihm wahrscheinlich heute noch.

Sie fragte sich, ob es eine Möglichkeit gab, ihre Mission einfach aufzugeben und sich ohne Erklärung wieder nach Devonshire davonzumachen.

„Sag schon, wofür du das Geld brauchst, Georgina. Es hat Spaß gemacht, ein bisschen herumzuspekulieren, aber das Spiel ist jetzt zu Ende. Ich muss mich auf den Weg machen, und ich gehe davon aus, dass du ebenfalls zurückmusst.“

Eine Weile hatte er tatsächlich nicht an Jennifer gedacht, doch ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er sich beeilen musste. Und als er jetzt Georgie abwartend ansah, stellte er erstaunt fest, dass ihr scheinbar tatsächlich die Worte fehlten.

„Herrgott, Georgie, spuck’s endlich aus! Ich habe keine Zeit mehr für diese dummen Spielchen.“

„Ich will kein Geld von dir, Pierre, ich habe keine Schulden gemacht, weder Spielschulden noch andere. Ich bin hier, um dir zu sagen … dass …“ Ihr Kopf war plötzlich völlig leer; sie benetzte nervös die Lippen. „Du und ich … wir beide … Es ist so schwer, das auszusprechen, aber … wir sind …“

„Grundgütiger! Hör auf zu stammeln und sag schon. Was?“

„Verlobt. Zumindest so gut wie.“

2. KAPITEL

„Wie bitte?!“

Bei Pierres Schrei drehten sich Köpfe in ihre Richtung. Georgie bezweifelte, dass in diesem eleganten Café oft gebrüllt wurde. Brüllten extrem reiche und einflussreiche Leute überhaupt? Wahrscheinlich nicht. Nun, dieser Mann hier tat es.

Autor

Cathy Williams

Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...

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