Verführt im Namen der Krone

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"Ziehen Sie sich aus und legen Sie sich ins Bett!" verlangt Antoine. Das vorgetäuschte Liebesspiel in einem schummrigen Pariser Freudenhaus soll ihn eigentlich nur vor Napoleons Häschern schützen - doch die überraschend glühende Umarmung der schönen Agentin Claudine bringt den sonst so kühlen Antoine schier um den Verstand.


  • Erscheinungstag 30.05.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717056
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Claudine lehnte sich in die verschlissenen Lederpolster zurück und ließ sich vom rhythmischen Schaukeln des Wagens hin- und herwiegen. Hin und wieder sah sie aus dem Fenster. Obwohl es noch früh am Abend war, hatte der Februarregen die Menschen davon abgehalten, sich nach draußen zu wagen, und die Straßen waren leerer als gewöhnlich.

Tatsächlich hatte auch Claudine nicht den Wunsch gehabt, auszugehen, doch in diesem Fall hatte es sich nicht verhindern lassen … Schließlich war es ihre eigene Idee gewesen, nach Paris zu kommen und diesen Posten anzunehmen. Das Risiko hatte dabei einen Teil des Reizes ausgemacht. Zu Beginn ihrer Karriere hatte sich ihr Wagemut in Grenzen gehalten, mittlerweile hatte er allerdings allmählich zugenommen. Claudine neigte nach wie vor nicht zu närrischer Tollkühnheit, aber sie war bereit, für einen guten Zweck sorgfältig kalkulierte Risiken einzugehen. Und welcher Zweck könnte besser sein als der Dienst am Vaterland?

Wenn ihre Londoner Bekannten sie jetzt sehen könnten … Sie lächelte trocken. Es war leicht, sich deren schockierte Mienen vorzustellen. Ihre Familie würde sie wahrscheinlich enterben. Eigentlich, überlegte Claudine, hätte dieses Wissen mich bestürzen sollen. Stattdessen empfand sie nichts als ein seltsames Gefühl der Distanziertheit. Sie war lange genug eine willenlose Schachfigur ihrer Angehörigen gewesen. Ihre Unabhängigkeit hatte sie nur mit Mühe erlangt, und sie beabsichtigte, sie zu behalten. Ob es ihnen passte oder nicht, jetzt war sie es, die die Entscheidungen traf, die ihr weiteres Leben beeinflussen würden.

Die Mietdroschke bog von der Hauptstraße in eine ruhige Seitengasse ab, um schließlich vor einem Haus auf der linken Seite Halt zu machen. Eine Straßenlaterne beleuchtete die Hausnummer neben der Tür. Mit seiner Steinfassade und den verriegelten Fensterläden unterschied sich dieses Gebäude nicht von den umliegenden. Aber für die Klientel, welche dieses Etablissement besuchte, zählte gerade dieses unauffällige Äußere zu seinen Vorzügen. Diskretion war auch die Parole seiner Besitzerin, und dadurch erwies sich dieser Ort aus verschiedenen Gründen als äußerst nützlich. Dennoch hätte Claudine ihn nicht als Treffpunkt gewählt. Sie musste selbstironisch lächeln. In ihrem früheren Leben wäre es undenkbar für sie gewesen, auch nur in die Nähe eines solchen Ortes zu gehen. „Aber das war in einem anderen Land“, sagte sie leise, „und das Mädchen von damals lebt nicht mehr.“

Unwillkürlich legte sie eine Hand auf das Retikül in ihrem Schoß, wo sie die darin versteckte Pistole spüren konnte. Es war nur eine Vorsichtsmaßnahme. Bisher hatte Claudine sie niemals gebraucht, aber die Tatsache, sie im Notfall zur Hand nehmen zu können, beruhigte sie. Entschlossen zog sie sich die Kapuze über, stieg aus und bezahlte den Kutscher. Während der Wagen davonrumpelte, eilte sie die Stufen zum Eingang hinauf und griff nach dem Klingelzug.

Die Tür wurde von einem Lakaien geöffnet, der offensichtlich wegen seiner Größe und Kraft eingestellt worden war. Die gebrochene flache Nase verriet, dass ihr Besitzer einst ein Preisboxer gewesen sein musste. Er musterte die Besucherin einen Moment lang eindringlich, und als er sie erkannte, grüßte er sie mit einem Nicken. Claudine trat in die hell erleuchtete Eingangshalle und hörte, wie hinter ihr die Tür ins Schloss fiel.

„Wer ist es, Raoul?“ Die Stimme kam von der Treppe ihnen gegenüber. Ein leises Lachen erklang. „Sieh mal einer an! Wer hätte das gedacht?“

Die Frau auf dem Treppenabsatz schaute lächelnd nach unten. Kleid und Frisur waren elegant und das Gesicht sorgfältig geschminkt. Im dezenten Licht, das die scharfen Linien um ihren Mund kaschierte, erschien Madame Renaud jünger als ihre zweiundvierzig Jahre. Doch trotz der wohlklingenden Süße in ihrer Stimme lag nichts Sanftes in ihrem Blick. Beunruhigender war allerdings, dass sie sich aus irgendeinem Grund zu amüsieren schien.

Claudine entschied sich, es zu ignorieren. „Ich bin aus geschäftlichen Gründen hier, Madame.“

„Sind wir das nicht alle?“ Madame Renaud deutete ihr mit einer Kopfbewegung an, die Treppe heraufzusteigen.

Gleich darauf war Claudine bei ihr. Mit abschätzenden Blicken nahm Madame jede Einzelheit ihres Äußeren auf – vom feinen Stoff ihres Umhangs bis zu dem Kleid darunter. Zweifellos rechnete sie dabei deren Wert bis auf den letzten Centime aus. Das Gesamtbild war unaufdringlich, aber eindrucksvoll, was Madame Renauds Neugier nur anzustacheln schien.

„Ich dachte, Sie hätten sich vielleicht mein Angebot noch einmal durch den Kopf gehen lassen“, bemerkte sie schließlich.

„Wie ich schon sagte, bin ich wegen anderer Geschäfte hier.“

„Sehr schade. Mit Ihrem Aussehen könnten Sie ein Vermögen verdienen.“ Madame blickte flüchtig in den Raum hinter ihnen, in dem ein halbes Dutzend Mädchen in hauchdünnen, fast durchsichtigen Kleidern lachten und miteinander plauderten. Es war noch früh. Die Uhr auf dem Kaminsims zeigte zehn Minuten vor acht an.

„Sie meinen, ich könnte für Sie ein Vermögen verdienen“, entgegnete Claudine ohne Groll und ganz sachlich.

Madame nickte. „Sie würden einen fairen Anteil bekommen, das schwöre ich.“

„Sollte ich mich je entschließen, diesen Weg einzuschlagen, lasse ich es Sie wissen.“ Claudine überreichte ihr einen Beutel, den sie in der Tasche ihres Umhangs versteckt hatte. „Ist er schon hier?“

Madame betastete den Beutel, als könnte sie seinen Inhalt abwiegen, und lächelte schwach. „Hier entlang.“

Sie folgten einem Gang, von dem zu beiden Seiten mehrere Türen abgingen. Hinter einigen davon hörte Claudine gedämpfte Stimmen, männliche und weibliche, und andere, aufwühlendere Geräusche, die ihr einen ungewohnten Schauer über den Rücken rieseln ließen. Oft hatte sie sich gefragt, wie es sein musste, mit einem Mann das Bett zu teilen. Ihre Gouvernante hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, welche Pflicht eine Frau in dieser Hinsicht hatte. Und als Witwe hatte Mrs Failsworth sicher gewusst, wovon sie sprach.

„Intimitäten ganz bestimmter Art sind ein unvermeidlicher Aspekt des Ehestands, meine Liebe, und obwohl eine vornehme Dame kaum Vergnügen daran finden kann, muss sie dem Willen ihres Gatten in jeder Hinsicht gehorchen.“ Und dann hatte sie mit dem größten Feingefühl erklärt, worin dieser Gehorsam bestand. „Die Zeugung von Kindern ist der Zweck einer jeden Ehe, und es ist die Pflicht der Frau, ihrem Mann Erben zu schenken. Selbstverständlich ist die Geburt eine schmerzhafte und gefährliche Angelegenheit. Viele Frauen sterben bei der Niederkunft oder verbluten oder erleiden ein Kindbettfieber …“

Claudine hatte ihr mit wachsender Unruhe zugehört. Gelegentlich hatte sie darüber nachgedacht, was wohl nach der Hochzeit geschah, aber in ihrer Vorstellung hatte es nur Händchenhalten und Küssen gegeben, und einige Zeit später kam ein Kind zur Welt. Niemals hätte sie geglaubt, dass dazwischen so fürchterliche Dinge geschahen, wie Mrs Failsworth sie beschrieben hatte. Und doch schien dies das unausweichliche Schicksal einer jeden Frau zu sein.

Die Gesellschaft sah als einzige Karriere für eine Frau von Stand die Ehe vor. Im Grunde war es eine Art Geschäftsabkommen, wie Claudine sehr wohl wusste, das weder auf persönliche Neigungen noch auf Gefühle Rücksicht nahm.

Sie selbst hatte jedenfalls keine Wahl gehabt. Im Haus ihres Vaters war sein Wille Gesetz gewesen. Claudine war erst von ihrer bevorstehenden Heirat in Kenntnis gesetzt worden, als bereits alles unterschrieben und besiegelt gewesen war. Natürlich war all das sehr lange her. Damals war sie noch ein Kind gewesen. Und ihre Ehe existierte ohnehin nur noch auf dem Papier. Inzwischen war sie verheirateten Frauen begegnet, die mit ihrem Schicksal zufrieden zu sein schienen, einige sogar glücklich. Waren sie es wirklich, oder gaben sie nur vor, es zu sein, und machten sozusagen gute Miene zum bösen Spiel?

Dass eine Frau sich tatsächlich freiwillig dazu hergeben konnte, sich jede Nacht dem Willen eines anderen Mannes zu unterwerfen, war etwas, das Claudine nie für möglich gehalten hätte, bis sie mit der Wirklichkeit konfrontiert worden war. Fanden Madame Renauds Mädchen Vergnügen an dem, was sie taten, oder waren sie aus der Not heraus dazu gezwungen? Mrs Failsworth hatte jedenfalls behauptet, dass nur Frauen eines bestimmten Schlages die Intimitäten mit einem Mann genossen. War es also möglich, die körperliche Vereinigung zu genießen, selbst wenn es außerhalb der Ehe geschah? Konnte eine Frau sich danach sehnen, wenn sie doch wusste, dass sie dabei ein Kind empfangen könnte? Gewiss wollte doch keine Frau eine Geburt ertragen müssen, noch viel weniger, wenn sie unverheiratet war und Schimpf und Schande die Folgen sein würden. Es war sehr verwirrend.

Madame Renauds Arbeitsumfeld war eine ganz andere Welt als die, in der Claudine sich bewegte. Beim ersten Besuch hatte sie nicht gewusst, welcher Art dieses Etablissement war. Man hatte ihr nur die Adresse gegeben und den Namen der Person, die sie dort treffen sollte. Erst nachdem sie das Haus betreten hatte, hatte sie die Wahrheit erkannt. Während sie sich nicht gescheut hatte, zu zwielichtigen Herbergen und Spielhöllen geschickt zu werden, übertraf dies doch alles. Sie hatte sich bei ihrem Auftraggeber beschwert, als er sie beim nächsten Mal erneut dorthin schicken wollte.

Paul Genet hatte sie belustigt angesehen. „Ich hielt Sie nicht für so zimperlich, Claudine.“

„Ich bin nicht zimperlich. Allerdings finde ich, Sie hätten mich vorher davon in Kenntnis setzen können, was mich erwartete.“

„Sie brauchen sich nicht zu sorgen, meine Liebe. Sie werden nur einige Minuten dort sein, gerade lange genug, um Ihre Kontaktperson zu treffen und die Information zu bekommen, die wir brauchen.“

„Warum gerade dort, wenn es doch Dutzende anderer Orte geben muss?“

„Weil wir uns bei Madame Renaud darauf verlassen können, dass sie den Mund halten wird. Ich gebe zu, es ist nicht das seriöseste Etablissement von Paris, aber es ist sicher, und die Informationen, die wir erhalten, sind für die britische Armee unverzichtbar. Außerdem sind Sie eine erfahrene, vertrauenswürdige Agentin.“

Claudine schüttelte den Kopf. „Sparen Sie sich Ihre Schmeicheleien für jemanden, der sie zu schätzen weiß.“

„Ich schmeichle Ihnen nicht. Sie arbeiten für mich, weil Sie gut sind.“

Claudine musterte ihren Gesprächspartner. Sie schätzte ihn auf Mitte Vierzig. Er war zurückhaltend gekleidet, nicht besonders hoch gewachsen, gedrungen und fast kahl. Wären nicht seine kleinen, aber durchdringenden grauen Augen gewesen, würde er in einer Menge unbeachtet bleiben. Doch Claudine wusste, dass er von William Wickham persönlich rekrutiert und ausgebildet worden war, und der war dafür bekannt, dass er nur die Besten wählte.

„Gut, ich werde gehen.“

„Ich wusste, Sie würden mich nicht im Stich lassen.“

„Das habe ich noch nie getan.“

„Deswegen arbeite ich auch mit Ihnen zusammen.“

Eine Reihe ekstatischer männlicher Schreie brachten Claudine wieder in die Gegenwart zurück. Sie schaute kurz zu der geschlossenen Tür hinüber, hinter der der Mann zu hören war, und sah hastig wieder fort. Madame Renaud lächelte. „Estelle weiß, wie man einen Mann beglückt.“ Sie schien ihre Verlegenheit zu bemerken, denn sie hob eine Augenbraue. „Sie sind doch nicht etwa schockiert? Immerhin sind Sie eine verheiratete Frau.“ Sie warf einen Blick auf Claudines Ehering. „Der einzige Unterschied ist, dass wir dafür bezahlt werden.“

Claudine erwiderte nichts. Sie mochte ja eine verheiratete Frau sein, dennoch wusste sie nicht, was es bedeutete, einen Mann auf diese Weise zu beglücken. Welche raffinierte Kunst konnte die Art von Lust hervorrufen, die sich in solchen Schreien ausdrückte? Wahrscheinlich würde sie es nie erfahren. Mühsam konzentrierte sie sich auf ihre Aufgabe, verärgert drüber, dass sie sich von so etwas hatte ablenken lassen. Anständige Frauen dachten nicht über solche Dinge nach, und noch viel weniger unterhielten sie sich darüber. Andererseits hielten sich anständige Frauen auch nicht in einem Bordell auf. Der Gedanke trug nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei.

Sie erreichten das Ende des Ganges, und Madame Renaud wies auf die Tür zu ihrer Rechten.

Der Raum roch nach billigem Parfum und Schweiß. Er war schlicht eingerichtet, mit einem großen, von Vorhängen umgebenen Bett, einem Waschtisch, einem Spiegel und einem Sessel. Zwei Wandleuchter erhellten das Zimmer nur unzureichend. Das Fenster gegenüber von der Tür war geschlossen, seine Läden verriegelt. Die Stille wirkte seltsam angespannt. Claudine runzelte die Stirn.

„Alain?“

Im Schatten rührte sich etwas, und ein Mann trat hervor. Claudine schlug das Herz bis zum Hals. Das war ganz gewiss nicht Alain. Zuerst einmal war dieser Mann sehr viel größer als die Person, die sie hier treffen sollte. Dieser geschmeidige, machtvolle Körper wies nicht die geringste Ähnlichkeit mit der gedrungenen Gestalt auf, die sie erwartet hatte. Als der Mann sie ansah, hielt sie abrupt den Atem an. Das Gesicht mit seinen klassischen Zügen musste einst sehr attraktiv gewesen sein. Doch jetzt verunstalteten zwei gezackte Narben die linke Seite seiner Stirn. Das Auge und die Wange darunter wurden von einer dunklen Lederklappe verdeckt. Er strahlte eine gefährliche männliche Kraft aus, deren Wirkung gleichzeitig faszinierend und beunruhigend war.

Es kostete Claudine einige Mühe, sich zu fassen. „Vergeben Sie mir, Monsieur. Ich muss mich im Zimmer geirrt haben.“

Ihr Ausdruck und der stockende Atem überraschten den Mann nicht. Er hatte sich inzwischen daran gewöhnt, wie die Menschen ihn ansahen. Niemand konnte leugnen, dass seine Erscheinung kaum dazu geeignet war, Vertrauen zu erwecken.

„Ich glaube nicht, Madame.“

Er trat näher, um sie besser sehen zu können. Ihr Anblick versetzte ihm einen Stich. Zunächst einmal war sie sehr viel jünger, als er erwartet hatte – kaum älter als zwanzig. Darüber hinaus war sie atemberaubend. Das schwache Licht fiel auf glänzende braune Locken, deren Farbe ihn an köstliche, reife Haselnüsse erinnerte. Sie umrahmten ein schönes Gesicht, das beherrscht wurde von großen dunklen Augen und dem verführerischsten Mund, den er je gesehen hatte. Für eine Frau war sie hoch gewachsen und schlank. Weitere Einzelheiten wurden von ihrem Umhang verborgen. Einen kurzen Moment stellte er sich vor, ihr diesen Umhang abzunehmen. Jeder Mann würde genau das tun wollen …

Genet wurde zunehmend geschickter bei der Rekrutierung seiner Agenten. Ganz der französischen Tradition entsprechend nutzte er Frauen ebenso wie Männer für seine Organisation. Allerdings sahen die weiblichen Agenten normalerweise nicht aus wie diese hier. Und doch war ihr Auftreten nicht das einer Kurtisane. Zweifellos waren ihre Schönheit und offensichtliche Unschuld in höheren Kreisen von Nutzen. Schließlich waren Regierungsbeamte und ausländische Botschafter ebenso wenig immun gegen den Charme einer solchen Schönheit wie andere Männer. Mehrere von ihnen besuchten Madame Renauds Etablissement.

Er machte einen weiteren Schritt auf sie zu. „Sie sind gekommen, um Alain Poiret zu treffen.“

Claudines Herz klopfte heftig. Sie hatte sich immer für recht groß gehalten, aber dieser Mann überragte sie um Haupteslänge. In dem engen Raum wirkte seine Gegenwart fast einschüchternd. Dennoch konnte sie es sich nicht leisten, ihn das sehen zu lassen. Entschlossen hob sie das Kinn und sah ihn direkt an. „Was wissen Sie von Alain? Wer sind Sie?“

„Ich heiße Antoine Duval.“

Sie nahm an, dass es ein Deckname war. Echte Namen konnten in diesem Metier tödlich sein.

„Sie müssen Claudine sein“, fuhr er fort.

„Vielleicht. Wo ist Alain?“

„Fouchés Männer haben ihn gestern Abend festgenommen.“

Claudine wurde blass. Der Name von Napoleons Polizeichef war wohlbekannt, und das aus gutem Grund. „Festgenommen?“, wiederholte sie entsetzt.

„Alain vermutete schon, dass er beobachtet wurde, aber es gelang ihm, mir eine Botschaft zu schicken, bevor sie ihn in ihre Gewalt bekamen.“

„Warum wandte er sich an Sie?“

„Weil ich für dieselbe Organisation arbeite wie Sie und dasselbe Ziel habe – Informationen für die britische Regierung zu sammeln.“

„Alain hat Sie nie erwähnt.“

„Auch Sie hat er nie erwähnt. Bis er um Ihre Sicherheit fürchtete. Ich bin an seiner statt gekommen, um Sie zu warnen.“

Aufgerüttelt von der Nachricht, aber auch von diesem Mann, musste Claudine sich zusammenreißen und erst einmal nachdenken. Die Geschichte schien plausibel. Es passte zu Alains Charakter, sie auf irgendeine Weise warnen zu wollen. Und wenn er Duval für diese Aufgabe auserkoren hatte, dann, weil er ihm vertraute. Es gefiel ihr nicht, in der Schuld eines Fremden zu stehen, dennoch fühlte sie sich verpflichtet, ihre Anerkennung zu zeigen.

„Ich bin Ihnen dankbar, Monsieur. Sie haben ein Risiko auf sich genommen.“ Erst jetzt drangen seine übrigen Worte in ihr Bewusstsein. Wenn Alain von Fouchés Agenten verfolgt worden war, kannten sie dann auch seine Kontakte? Wussten sie von ihr? Warteten sie nur auf den richtigen Augenblick, um die Falle zuschnappen zu lassen?

Als könnte er ihre Gedanken lesen, fuhr Duval fort: „Wir können nur mutmaßen, wie viel Fouchés Männer bereits entdeckt haben. Sicher ist nur, dass sie Alain irgendwann dazu bringen werden, zu reden. Es ist also zu gefährlich für Sie, hierzubleiben.“

„Ich kann ihn doch nicht einfach seinem Schicksal überlassen!“

„Nichts kann ihm jetzt noch helfen. Sie müssen seine Bemühungen ehren, indem Sie auf seine Warnung hören und fliehen, solange Sie können.“

„Ich muss zu meiner Unterkunft zurück. Es gibt da Dinge, die ich …“

„Das geht nicht. Dort wird man zuerst nach Ihnen suchen. Nein, wir müssen sofort gehen. Noch heute Abend.“

Claudine runzelte die Stirn. „Wir?“

„Ich gab Alain mein Wort, Sie in Sicherheit zu bringen. Es wartet eine Kutsche am Ende der Straße.“

Doch Claudine schüttelte den Kopf. Auf keinen Fall wollte sie sich in die Hände eines Fremden begeben. „Ich kann allein auf mich aufpassen.“

„Eine Frau, ganz allein? Wohl kaum.“

„Was glauben Sie denn, wie ich hergekommen bin?“

„Es ist leicht genug, in eine Falle zu tappen“, erwiderte er ruhig, „aber sehr viel schwieriger, sich daraus zu befreien.“

„Ich habe einen eigenen Notplan für den Fall, dass ich Frankreich verlassen muss. Die Angelegenheit braucht Sie also nicht weiter zu beschäftigen.“

„Das tut sie aber. In jeder Hinsicht.“

„Ich komme allein zurecht. Sie haben Ihre Pflicht erfüllt, Monsieur.“

„Oh nein, die fängt hier erst an.“ Er ergriff sie am Arm und zog sie mit sich zur Tür. Als er ihren Widerstand spürte, hielt er inne. „Wir haben jetzt keine Zeit zum Diskutieren.“

„Ich habe Ihnen gesagt, dass ich nicht mit Ihnen gehe.“

„Seien Sie nicht albern.“

Der scharfe Ton und der herablassende Blick schürten ihre Wut. „Woher soll ich wissen, dass das keine Falle ist?“

„Wenn es eine wäre, befänden Sie sich bereits unter Arrest.“

Trotz ihres Protests riss Duval die Tür auf und zerrte Claudine mit sich den Gang hinunter zur Treppe. Madame Renaud wartete auf dem Treppenabsatz. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch plötzlich hämmerten kräftige Hände heftig gegen die Haustür. Dann hörten sie eine Männerstimme.

„Polizei! Aufmachen!“

Bevor sie reagieren konnten, erklang der gleiche Befehl auch hinter dem Haus. Claudine stockte der Atem. Duval fluchte leise. Dann sah er Madame Renaud an. „Gibt es einen anderen Ausgang?“

Sie schüttelte den Kopf. Das Hämmern wurde lauter. Madame beugte sich über die Balustrade und rief dem Lakaien unten in der Halle leise zu: „Warte noch einen Moment, Raoul, dann öffne ihnen.“ Anschließend wandte sie sich an Claudine und Duval. „Kommen Sie mit mir. Rasch.“

Kein Drängen war nötig, sie folgten ihr wortlos und fanden sich gleich darauf in demselben Zimmer wieder, das sie gerade verlassen hatten. Claudine sah sich bestürzt um. Der einzige Fluchtweg führte durch das Fenster, aber sie befanden sich im ersten Stock. Selbst wenn sie von niemandem entdeckt werden sollten, bedeutete ein solcher Sprung mindestens ein gebrochenes Bein. Es war verrückt. Madame und Duval wechselten einen Blick, und Claudine ahnte, dass damit eine geheime Botschaft vermittelt wurde.

„Was ist?“, verlangte sie zu wissen.

„Ziehen Sie sich aus und legen Sie sich ins Bett“, erwiderte er.

Madame nickte. „Ich werde sie so lange aufhalten, wie ich kann.“

Und schon war sie gegangen.

2. KAPITEL

Claudine sah ihr fassungslos nach und drehte sich zu ihrem Begleiter um, aber die Worte erstarben ihr auf den Lippen, denn er hatte bereits seinen Umhang abgeworfen und schlüpfte gerade aus seiner Jacke.

„Was tun Sie da?“, fragte sie kühl.

„Was glauben Sie denn?“

„Das kann nicht Ihr Ernst sein.“

„Kommen Sie. Wir haben nicht viel Zeit.“

„Wenn Sie glauben, ich werde …“

Er hielt inne und bedachte sie mit einem finsteren Blick. „Haben Sie einen besseren Einfall?“

„Nun, nein. Aber …“

„Dann ziehen Sie sich endlich aus, sonst muss ich es für Sie tun! Dieses Zögern wird uns noch das Leben kosten!“

Sie wusste, dass er recht hatte, aber dadurch fiel es ihr nicht weniger schwer. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nicht vor einem Mann ausgezogen. Widerwillig löste sie das Band ihres Umhangs und ließ ihn fallen.

Da sie seiner Aufforderung nachkam, fuhr Duval fort, seine Kleidung abzulegen – die Jacke und das Krawattentuch folgten dem Umhang, und er begann, die Stiefel auszuziehen. Von unten waren laute Stimmen zu vernehmen. Die Polizei war in der Halle. Claudine fummelte aufgeregt an den Verschlüssen ihres Kleids. Duval warf die Stiefel beiseite und zog sich das Hemd über den Kopf. Flüchtig nahm sie eine breite, feste Brust wahr, und tiefe Narben auf seinem linken Arm und der Schulter. Sie wandte sich hastig ab und kämpfte weiterhin mit ihren Knöpfen.

Duval seufzte. Mit zwei Schritten war er bei ihr. Claudine spürte seine starken Hände auf ihren Armen, als er sie zu sich herumdrehte und ihr Haar zur Seite schob. Warme Finger berührten ihre Haut, während er ihr das Kleid von den Schultern schob. Sie befreite sich aus den Ärmeln, gleichzeitig war er schon dabei, ihr Unterkleid und das Mieder darunter zu öffnen. So geschickt stellte er sich an, dass es ganz offensichtlich war, wie gut er sich mit weiblicher Kleidung auskannte. Gleich darauf stand Claudine nur noch in Chemise und Strümpfe gekleidet da. Duval nahm ihr die Nadeln aus dem Haar, bis es ihr in wirren Locken auf die Schultern rieselte.

Schwere Schritte erklangen auf der Treppe. Claudine konnte Madame Renauds wütenden Protest hören. Dann brüllte eine tiefe Männerstimme Befehle.

„Durchsucht jedes Zimmer! Die Frau ist hier irgendwo!“

Claudines Herz setzte einen Schlag aus. Sie meinten sie! Alain musste geredet haben. Einen Moment wurde sie von eisigem Entsetzen gepackt. Duval ging zum Bett und schlug die Decke zurück.

„Kommen Sie.“

Wie betäubt folgte sie seiner Aufforderung, schlüpfte unter die kühlen Laken und rutschte auf die andere Seite. Als sie sich zudeckte, sah Duval das sanfte Schimmern von Metall an ihrer Hand, und zum ersten Mal bemerkte er ihren Ehering. Er runzelte die Stirn.

„Nehmen Sie den Ring ab.“

Sie versuchte es und schüttelte schließlich den Kopf. „Er ist zu eng.“

„Dann verstecken Sie Ihre Hand.“

Rasch zog er die Bettvorhänge zu und legte sich zu ihr. Vor der Tür näherten sich Schritte, ab und zu erklangen Schreie und Flüche. Er schien zu spüren, wie Claudine erschauerte.

„Haben Sie keine Angst“, flüsterte er. „Spielen Sie nur Ihre Rolle und sagen Sie so wenig wie möglich.“

In der Dunkelheit war es ihm unmöglich, ihr Gesicht zu sehen; ein Umstand, für den Claudine zutiefst dankbar war. Seine Worte, wenn sie auch freundlich gemeint waren, zeigten ihr deutlich, für wen er sie hielt. Deswegen hatte er wohl auch ganz selbstverständlich angenommen, sie würde nichts dagegen haben, mit ihm das Bett zu teilen. Jeder weitere Gedanke war vergessen, als er begann, ihr Unterkleid hochzuschieben. Unwillkürlich versuchte sie, ihn aufzuhalten.

„Nein.“

Er presste ungeduldig die Lippen zusammen. „Wenn es glaubwürdig sein soll, müssen Sie das ausziehen.“

Eine weitere Tür wurde aufgestoßen, dieses Mal ganz in ihrer Nähe, wieder hörten sie laute, wütende Stimmen.

Claudine atmete tief ein. „In Ordnung, verdammt.“

Hastig schlüpfte sie aus ihrer Chemise, die er sofort packte und beiseite warf. Das kalte Laken direkt auf ihrem nackten Leib verursachte ihr eine Gänsehaut, und sie fühlte sich plötzlich noch viel verletzlicher. Die Matratze ächzte unter seinem Gewicht, als Duval sich an sie presste. Mit starken Armen zog er sie an sich, und sie spürte seine Wärme und den Duft seiner Haut, der sie erschauern ließ. Seltsamerweise empfand sie keine Angst. Sein Atem kitzelte ihren Hals, dann spürte Claudine den sanften Druck seiner Lippen. Ihre Haut schien zu brennen, wo er sie berührte.

„Küssen Sie mich.“

Claudine spannte sich an. „Was?“

„Küssen Sie mich!“ Dieses Mal war der Ton herrisch.

„Aber ich …“

Er unterbrach ihren Protest einfach, indem er sie küsste, zunächst sanft, dann allmählich immer drängender, ohne auf ihren Widerstand zu achten. Langsam, behutsam begann er, sie zu streicheln. Eine nie gekannte Hitze erfüllte ihren ganzen Körper. Ganz gegen ihren Willen entspannte Claudine sich unter ihm und öffnete unwillkürlich den Mund. Sofort drang er ein, seine Zunge spielte mit ihrer. Claudine wusste, dass es falsch war, was sie taten, und dass es eigentlich abstoßend sein sollte – stattdessen schockierte und erregte es sie auf nie gekannte Weise.

Als sie sich seinem Kuss hingab, spürte Duval, wie Verlangen in ihm erwachte. Sie war eine wunderschöne Frau, ihr Körper war hinreißend, wie geschaffen für die Berührung eines Mannes. Und er selbst reagierte mit einer Heftigkeit auf sie, die ihn verblüffte. Er brauchte nichts vorzutäuschen. Er hatte sie vom ersten Moment an begehrt, da er sie gesehen hatte. Sie erregte seine Sinne. Der Lärm aus dem angrenzenden Raum schien in den Hintergrund zu treten. Plötzlich war im dunklen Kokon des Bettes alles möglich. Langsam glitt er immer tiefer, bedeckte zunächst ihren Hals, dann ihre Schultern und schließlich ihre Brüste mit heißen Küssen, leckte sanft an den Brustspitzen und reizte sie, bis sie sich erregt aufrichteten. Er hörte Claudine nach Luft schnappen. Wieder erschauerte sie in seinen Armen, und seine Erregung wuchs sogar noch mehr. Gierig presste er den Mund wieder auf ihre Lippen, heiß, fordernd, und gleichzeitig strich er mit den Händen über ihren sinnlichen Leib.

Claudine stöhnte leise auf, so wundervoll waren die Gefühle, die seine kühnen Liebkosungen in ihr auslösten – Gefühle, wie sie sie noch nie erlebt hatte. Eine verräterische innere Stimme flüsterte ihr zu, sich ihm zu ergeben, um zu erfahren, was noch folgen mochte. Entsetzt über ihre eigene lustvolle Reaktion versuchte Claudine, wenn auch schwach, zu protestieren, doch die Worte blieben ihr in der Kehle stecken. Stattdessen entfuhr ihr wieder ein heiseres Stöhnen. Sofort wurde Duvals Kuss intimer, fordernder. Sie spürte seine Hand auf ihrer Hüfte, von dort schob er sie zwischen ihre Beine und begann sie dort zu reiben. Heißes Feuer schien sie zu durchzucken. Claudine keuchte auf. Er hörte nicht auf, sie zu streicheln. Gleich darauf spürte sie, wie er seine Hose öffnete – einen Augenblick später fühlte sie ihn hart und groß an ihrem Schenkel …

Und dann flog die Tür auf, und schwere Schritte kamen näher. Rücksichtslos wurden die Vorhänge zur Seite gerissen. Drei uniformierte Offiziere standen neben dem Bett. Duval wandte sich um und fluchte. Auch das brauchte er nicht zu spielen. Claudine unterdrückte einen Aufschrei und zog sich das Laken über die Brüste, die Augen weit aufgerissen vor Schreck. Innerlich betete Duval, während er warnend die Hand um ihr Handgelenk schloss. Wenn sie jetzt die Ruhe verlor, wäre alles vorbei. Konnte er sich darauf verlassen, dass sie ihre Rolle gut spielte? In diesem Moment schob Madame Renaud sich an den Eindringlingen vorbei.

„Es tut mir so leid, Monsieur. Alles nur ein Missverständnis.“

„Das will ich hoffen“, entgegnete er. „Was zum Teufel geht hier vor?“

„Wir suchen nach einer Frau“, antwortete einer der Offiziere, der offenbar diesen Einsatz leitete.

„Dann sind Sie am richtigen Ort“, meinte Duval spöttisch, „aber die hier ist bereits vergeben.“

Der Mann ignorierte ihn und musterte Claudine. „Wer ist das?“

Obwohl ihr das Herz bis zum Hals klopfte, zwang sie sich, seinen Blick auf, wie sie hoffte, unverfrorene Weise zu erwidern. Bevor sie antworten konnte, kam Madame Renaud ihr zuvor.

„Das ist Fifi“, sagte sie empört. „Eins meiner Mädchen.“

„Wie lange arbeitet sie schon für Sie?“

„Etwa sechs Monate.“

„Ach.“ Der Offizier betrachtete Claudine erneut. „Hübsches Ding.“

Am liebsten hätte sie ihm das anzügliche Grinsen mit einer Ohrfeige aus dem Gesicht gewischt. Doch stattdessen schenkte sie ihm ein herausforderndes Lächeln und flatterte mit den Wimpern.

„Ich habe viele hübsche Mädchen“, entgegnete Madame Renaud. „Und sie werden allen Bedürfnissen gerecht.“

Insgeheim angewidert von den Blicken, die man ihr zuwarf, zwang Claudine sich doch, ihre Rolle weiterzuspielen.

Duval betrachtete die Eindringlinge finster. „Im Augenblick soll sie nur meinen Bedürfnissen gerecht werden.“ Er sah Madame Renaud vielsagend an. „Ich habe in gutem Glauben für eine ganze Nacht mit Fifi bezahlt, und ich bin entschlossen, etwas für mein Geld zu bekommen.“

Die Männer hinter dem Offizier hoben die Augenbrauen und sahen sich verständnisvoll grinsend an. Madame nickte.

„Selbstverständlich, Monsieur“, beruhigte sie ihn. „Ich kann mich nur für die Unterbrechung entschuldigen. Ich hoffe, Fifi gefällt Ihnen.“

„Sie gefällt mir sogar sehr.“ Die Aufforderung in seiner Stimme war nicht zu überhören.

„Das sagt Monsieur Fouché auch“, bemerkte Madame.

Abrupt wandte der Offizier sich ihr zu, plötzlich etwas blasser. „Monsieur Fouché? Er besucht dieses Etablissement?“

„Jawohl. Er legt großen Wert auf Diskretion, wissen Sie, und ich führe ein diskretes Unternehmen. Darum glaube ich nicht, dass er sehr erfreut sein wird, wenn er von diesem Aufruhr heute erfährt. Und er wird davon erfahren, da ich beabsichtige, eine Beschwerde einzureichen.“

Der Mann schien bestürzt. „Ich habe nur meine Pflicht getan, indem ich gewissen Hinweisen nachging. Allerdings scheint es sich in diesem Fall um einen Irrtum gehandelt zu haben.“

Mitleidig sah Madame ihn an. „Jemand hat sich auf Ihre Kosten einen Scherz erlaubt.“

Offenbar kam ihm gerade derselbe Gedanke. Seine Wangen färbten sich rot vor Wut. „Wir werden uns zurückziehen.“ Er beugte leicht den Kopf. „Verzeihen Sie, Monsieur, Mademoiselle.“

Duval musterte ihn kühl. „Schließen Sie die Tür hinter sich.“ Und als hielte er die Angelegenheit damit für abgeschlossen, drehte er den Männern den Rücken zu und legte eine Hand auf Claudines Brust. „So, chérie, wo waren wir?“

Einen Moment lang stand der Offizier wie angewurzelt da, unfähig, eine Antwort zu finden. Seine Männer grinsten breit. Dann übernahm Madame das Kommando und scheuchte sie alle in den Gang hinaus. Sobald die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, stieß Claudine endlich den angehaltenen Atem aus und fiel zitternd vor Erleichterung auf die Kissen zurück. Duval lächelte.

„Gut gemacht.“

„Wir stehen in Madames Schuld.“

„Sie war großartig. Die Polizei wird sich woanders nach ihrem Spion umsehen müssen.“ Er hielt inne. „Ihre Vorstellung war ebenfalls … ausgesprochen glaubwürdig.“

„Ich kann in eine Rolle schlüpfen, wenn ich muss.“

„Eine Rolle, die Sie vollkommen gespielt haben, wenn ich das sagen darf.“

Sie runzelte unmutig die Stirn. „Ja, eine Rolle, die ich spiele, und ganz und gar nicht das, was Sie denken. Es war eine notwendige List. Hätte es einen anderen Weg gegeben, hätte ich ihn gewählt.“

„Selbstverständlich.“ Sein Ton klang ein wenig spöttisch.

„Ich bin gekommen, um Alain zu treffen und die Informationen zu erhalten, die er für mich hatte“, sagte sie mit dem letzten Rest ihrer Würde. „Der Ort unseres Treffens war gewiss nicht meine Wahl. Ich wäre niemals freiwillig hierhergekommen, ebenso wenig wie ich mich freiwillig mit Ihnen in ein Bett gelegt hätte.“ Es gelang ihr nicht, ihren Selbstekel zu verbergen.

Als Duval ihre angewiderte Miene sah, verging ihm das Lächeln. Er musste zugeben, sie hatte ihre Rolle wirklich sehr überzeugend gespielt. Aber im Dunkeln waren die Narben, die ihn entstellten, auch nicht zu sehen gewesen, und immerhin hatte ihr eigenes Leben auf dem Spiel gestanden. In Wirklichkeit schien der Gedanke, mit ihm zu schlafen, ihr vollkommen zuwider zu sein. Dieses Wissen versetzte ihm einen schmerzhaften Stich. Dabei hatte er gehofft, inzwischen nicht mehr so empfindlich zu sein. Diese Frau allerdings hatte etwas in ihm erweckt, das er für tot gehalten hatte. Einige Momente lang, in der gnädigen Dunkelheit, hatte er geglaubt, dass auch sie ihn begehrte. Jetzt ärgerte er sich über sich selbst. Dass er sich vorgestellt hatte, eine solche Frau könnte Verlangen für ihn empfinden, war ebenso mitleiderregend wie lachhaft.

„Sie müssen keine Angst haben, dass ich mich Ihnen aufdrängen könnte, chérie“, entgegnete er. „Ich ziehe es vor, wenn eine Frau willig ist.“

Seine Stimme klang vollkommen gleichmütig, und doch spürte Claudine seinen unterschwelligen Zorn. Plötzlich empfand sie noch größere Scham, und etwas anderes – Bedauern, wie sie sich entsetzt eingestand.

Duval wandte sich ab und setzte sich auf den Rand des Bettes. Während er seine Hose zuknöpfte, warf er einen Blick über die Schulter.

„Ziehen Sie sich an. Wir verlassen das Haus, sobald die Luft rein ist.“

Sofort ergriff Claudine ihre Chemise und schlüpfte hastig hinein. „Ich sagte Ihnen schon, dass ich mich selbst um mich kümmern kann.“

„Ich gab Alain mein Wort und werde es halten.“

„Sie haben Ihr Wort bereits gehalten.“ Sie fand ihr Mieder. „Und ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar. Aber hier trennen sich unsere Wege.“

„Unsere Wege trennen sich, wenn ich Sie sicher auf englischem Boden abgesetzt habe. Und jetzt drehen Sie sich um.“

„Warum?“

„Damit ich Ihr Mieder zuschnüren kann, warum wohl sonst?“, meinte er gereizt. „Müssen Sie gegen alles protestieren?“

Claudine gab nach, da sie wirklich nicht allein zurechtkam. „Ich protestiere nicht gegen alles.“

Geschickt machte er sich an die Arbeit. „Nein?“

„Nein. Ich sagte nur …“ Sie schnappte überrascht nach Luft, als er ihr Mieder festschnürte.

„Ich weiß genau, was Sie sagten, also sparen Sie sich den Atem.“

„Wenn Sie so weitermachen, bleibt mir am Ende überhaupt kein Atem mehr.“

Er lockerte die Schnüre etwas. „Besser?“ Als sie nickte, band er die Enden zusammen und trat zur Seite, um sich anzukleiden. „Ich habe nicht die Absicht, noch einen englischen Agenten an Fouchés Männer zu verlieren.“

Sie zog ihr Unterkleid an und griff nach ihrem Kleid. „Warum wollen Sie sich mit mir belasten, wenn ich Sie doch offenbar nicht zufriedenstellen kann?“

„Ob Sie mich zufriedenstellen oder nicht, ist belanglos.“

Sie seufzte. „Hören Sie, ich weiß, Sie meinen es gut …“

„Ich bin entschlossen, Sie nach England zu bringen.“

„Das können Sie nicht. Nicht ohne meine Einwilligung.“

„Ihre Einwilligung wäre nützlich, ist aber nicht notwendig.“

Claudine sah ihn kühl an. „Ich glaube nicht, dass mir gefällt, was Sie da andeuten.“

„Ob es Ihnen gefällt oder nicht, Sie kommen mit mir.“

Unsicher senkte sie den Blick, kniete sich hin und suchte nach ihren Haarnadeln. So hastig, wie sie sich ausgezogen hatten, waren sie über den ganzen Boden verstreut worden. Obwohl er bereits vollständig angekleidet war, machte er keine Anstalten, ihr zu helfen. Insgeheim kochend vor Wut fuhr Claudine fort zu suchen, ohne seine eindrucksvolle Nähe auch nur einen Moment vergessen zu können. Sobald sie genügend Nadeln gefunden hatte, erhob sie sich und ging zu dem kleinen Spiegel über dem Waschtisch.

Einen Moment war sie verblüfft über das Gesicht, das sie darin erblickte – über die rosig angehauchten Wangen und den seltsamen Glanz in ihren Augen. Ihre Lippen waren von einem tieferen Rot als sonst und leicht geschwollen. Noch immer glaubte sie, Duvals Mund auf ihrem zu spüren, seine Hände auf ihrer nackten Haut. Jene fünf Minuten in seinen Armen hatten ein schmerzliches Verlangen in ihr geweckt, und Gefühle, die sie sich nicht leisten konnte und über die sie auch nicht nachdenken wollte.

Verwirrt und nicht wenig verärgert über sich selbst wandte sie sich lieber ihrem Haar zu. Ohne Kamm oder Bürste waren die Möglichkeiten allerdings begrenzt. Schnell drehte sie es zu einem Knoten und befestigte es. Duval legte ihr den Umhang um die Schultern und band ihn mit einer Bedächtigkeit fest, als gäbe es keinen Grund zur Eile. Seine Bewegungen waren ruhig und sprachen von einem bemerkenswerten Selbstbewusstsein. Aber sie waren auch nervenaufreibend für Claudine, genau wie seine Nähe und die Wärme seiner Finger, wenn sie ihre Haut berührten.

Schließlich trat er zurück und erwiderte ihren Blick im Spiegel. „Kommen Sie.“

3. KAPITEL

Sobald er sich davon überzeugt hatte, dass keine Gefahr drohte, führte Duval sie die Treppe hinunter und durch das Haus zur Hintertür. Madame Renaud wartete dort auf sie, und er gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Danke. Sie waren großartig.“

„Soweit ich sehen konnte, waren Sie auch nicht schlecht.“ Sie hob vielsagend die Augenbrauen.

Er lächelte. „Ich nehme das als Kompliment.“

„Das können Sie auch.“ Sie sah Claudine mit blitzenden Augen an. „Ich wusste, dass ich recht habe.“

„Recht womit?“, fragte Duval.

„Das kann sie Ihnen später erklären. Jetzt müssen Sie gehen, solange Sie noch Zeit dazu haben.“

Claudine hielt auf der Schwelle inne. „Ich danke Ihnen für alles.“

„Gehört zum Service. Gehen Sie jetzt besser.“

Die Nachtluft traf sie wie ein eiskalter Schlag ins Gesicht. Claudine erschauderte und zog den Umhang fester um sich. Sobald sie und ihr Begleiter die Schwelle überschritten hatten, fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss. Sie waren allein. Sie stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Noch nie war sie so froh gewesen, einen Ort zu verlassen. Jetzt blieb nur noch, Duval irgendwie loszuwerden und ihre eigenen Pläne in die Tat umzusetzen. Entschlossen wandte sie sich ihm zu.

„Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Hilfe heute Abend, aber hier müssen wir uns wirklich trennen.“

Statt einer Antwort packte er sie am Arm. „Sie werden tun, was ich Ihnen sage, Mädchen. Noch sind wir nicht in Sicherheit. Noch lange nicht.“

Da sie unmöglich wissen konnte, wie weit die Polizei entfernt war, blieb ihr keine andere Wahl, als Duval widerstandslos zu folgen, wenn sie nicht unwillkommene Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte. Gemeinsam gingen sie also die Straße hinunter, wobei Claudine fast laufen musste, um mit seinen langen Schritten mitzuhalten. Keiner von beiden sprach ein Wort. Ein einziges Mal versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien, aber er ließ nicht locker. Seine Berührung erinnerte sie daran, was zwischen ihnen vorgefallen war. Claudine erschauerte unwillkürlich. Die widersprüchlichsten Gefühle erfüllten sie. Was geschehen war, ließ sich nicht ungeschehen machen. In diesem Moment musste sie sich darauf konzentrieren, so bald wie möglich der unwillkommenen Nähe dieses beunruhigenden Mannes zu entkommen.

Als sie sich dem Ende der Straße näherten, bemerkte Claudine eine wartende Kutsche. Auf keinen Fall würde sie auch nur einen Schritt weitergehen.

„Bitte, Sie müssen mir zuhören …“

Genauso gut hätte sie mit der Wand reden können. Ohne Umschweife wurde sie in das Gefährt verfrachtet und auf die Sitzpolster geschoben. Danach hörte sie Duval mit dem Kutscher reden, bevor er ebenfalls einstieg und sich ihr gegenüber setzte. Die Kutsche fuhr an. Claudine sah ihren Begleiter finster an.

„Wie können Sie es wagen?“

„Sie vermitteln mir den Eindruck, im Moment zu keinem vernünftigen Gedanken fähig zu sein“, erwiderte er ungerührt, „also übernehme ich für uns beide das Denken.“

„Ich brauche weder Sie noch sonst jemanden, der das Denken für mich übernimmt. Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass ich meine eigenen Pläne habe?“

„Nun, jetzt werden sie eben meinen Plänen folgen.“

Seine kühle Arroganz war unfassbar. Schon wollte sie ihm eine Abfuhr erteilen, doch sie verbiss sie sich dann doch.

„Wo fahren wir hin?“, fragte sie stattdessen.

„St Malo.“

„St Malo! Aber das ist ja ewig weit von hier.“

Als hätte er nichts gehört, fuhr er fort: „Da werde ich eine Überfahrt nach Jersey für uns arrangieren, und von dort geht es dann nach England.“

Die Vorstellung, eine gute Woche mit diesem Mann auf engstem Raum eingesperrt zu sein, war Claudine unerträglich. „Ich werde sicher sein, sobald wir Paris hinter uns haben. Ich kann …“

Autor

Joanna Fulford
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