Verliebt in den Falschen?

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Warum nur musste sich Detective Tyler Carlton so unsterblich in Linda Mailer verlieben? Eigentlich wollte er die attraktive Frau doch nur über ihren kriminellen Chef aushorchen. Als Linda das erfährt, zweifelt sie plötzlich an seinen heißen Gefühlen und wendet sich ab …


  • Erscheinungstag 31.01.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513470
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Linda Mailer war spät dran.

Sie eilte den Steg hinauf, der zu dem schicken Seafood-Restaurant führte. Der Duft von gegrilltem Fisch und Shrimps vermischte sich mit der salzigen Meeresluft. Unter ihr schlugen Wellen gegen die Pier, während hinter ihr die Sonne langsam hinter den Klippen auf der anderen Seite der Bucht verschwand.

Linda schaute auf die Uhr und fragte sich, warum sie überhaupt hergekommen war. Sie gehörte nicht hierher. Zunächst hatte sie Saras und Cades Einladung abgelehnt, doch als Cades Schwester darauf bestanden hatte, hatte sie nachgegeben.

Wie hätte sie zu einer Prinzessin Nein sagen können? Zugegeben, Emily war nur durch ihre Heirat Prinzessin geworden, aber immerhin war sie jetzt eine.

Emily Parks – genauer gesagt, Emily Eban, Prinzessin von Daniz – hatte ihr gesagt, dass sie praktisch zur Familie gehörte. Unsinn! Der einzige Mensch in der Familie, dem Linda nahestand, war Walter, ihr Arbeitgeber und Emilys Vater. Und er würde heute Abend gar nicht da sein.

Im Vorraum des Restaurants versuchte Linda, ihre Nervosität zu ignorieren, und gab ihren Mantel ab. Sie sah an sich hinab. Das schlichte Kleid war weit geschnitten und in züchtiger Länge. Im Kaufhaus hatte sie sofort gewusst, dass es perfekt war. Ganz in dunklem Graugrün, würde sie darin nicht auffallen und sich im Hintergrund halten können.

Nach einem letzten Blick in den Spiegel ging sie zum Poseidon Patio, wo die Party stattfand. Die Wände waren in Meeresfarben gestrichen und mit Muscheln verziert. Ausgezeichnet. Sie würde damit verschmelzen, bis sie so gut wie unsichtbar war.

Sie hatte etwas zu verbergen, und das Kleid war ideal dafür.

Nicht, dass man es ihr schon ansah. Aber sie durfte kein Risiko eingehen. Im Büro saß sie fast den ganz Tag mit gesenktem Kopf über ihren Büchern, aber hier würde man sie beachten.

Und wer genauer hinsah, würde vielleicht ihr kleines Geheimnis erraten.

Ihr kleines Geheimnis, wie sie es nannte, war der Grund für die Verspätung. Morgendliches Unwohlsein – was für eine beschönigende Bezeichnung. Ihr war fast immer übel, und es wurde nicht mal dann besser, wenn sie schlief. In der letzten Nacht hatte sie geträumt, auf einem Schiff zu sein. Mitten in einem Sturm.

Bitte nicht hier, dachte sie, als ihr Magen sich meldete. Es war, als wären die Wände des Restaurants zum Leben erwacht. Riesige Wellen kamen auf sie zu und drohten sie zu verschlingen.

Das gab ihr den Rest. Sie würde wieder gehen. Sie hatte nicht vor, den Samstagabend mit Leuten zu verbringen, die sie kaum kannte, oder sich in der Toilette zu verstecken, über das Becken gebeugt. Als die Übelkeit sich ein wenig legte, machte sie sich auf den Rückweg zur Garderobe.

„Linda, beeilen Sie sich! Wir essen gleich.“

Es war Sara Carlton, Emilys Schwägerin. Nein, Sara Parks, denn sie war jetzt mit Cade verheiratet. In letzter Zeit kam es Linda vor, als würde jeder, den sie kannte, heiraten. Natürlich freute sie sich für sie, aber es war auch ein wenig lästig. Nicht, dass sie neidisch war. Nein, sie war Single und hatte nichts dagegen, es auch zu bleiben. Was sie störte, war, dass die frisch verheirateten Paare sie zu bemitleiden schienen. Aber jetzt, da Sara sie entdeckt hatte, war es zu spät. Sie konnte nicht mehr weg.

Lächelnd kam die junge Frau auf sie zu. In einem eleganten Seidenkleid ging sie nicht nur, sie schwebte geradezu, als hätte der königliche Status ihrer Schwägerin auf sie abgefärbt. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihren Tisch“, sagte sie. „Aber erst müssen Sie meine beiden Brüder kennenlernen.“

Eigentlich waren sie Halbbrüder. Im Büro hatte man wochenlang nur über Tyler und Conrad Carlton, die „Überraschungssöhne“ von Walter Parks, gesprochen. Die eineiigen Zwillinge und Sara hatten dieselbe Mutter, und Cade Parks, Saras Ehemann, war ebenfalls ein Halbbruder der beiden, denn Walter war sein Vater.

Unehelich, dachte Linda. Was für ein altmodischer Begriff, aber offenbar wurde er noch immer in den Mund genommen. Es war ein so hässliches Wort. Würden die Leute auch ihr Kind so nennen?

Obwohl der DNA-Test seine Vaterschaft bestätigt hatte, weigerte Walter sich, seine beiden erwachsenen Söhne anzuerkennen. Linda bekam ein schlechtes Gewissen. Wie Walter, so hätte auch sie der Party fernbleiben sollen, auf der Sara und Cade die Zwillinge in der Familie willkommen heißen wollten.

Sollte sie nicht zu Walter halten? Aber sie musste zugeben, dass Cade und Emily – seine ehelichen Kinder – sie immer gut behandelt hatten. Sosehr sie öffentliche Auftritte auch hasste, es wäre unhöflich gewesen, diese Einladung abzulehnen.

Seltsamerweise hatte auch Walter darauf bestanden, dass sie sie annahm. Es war, als würde er wollen, dass sie an seiner Stelle zur Party ging. Natürlich war der Gedanke unsinnig. Er wollte mit dieser Seite seiner Familie nichts zu tun haben. Das hatte er oft verkündet – ihr, seiner Familie, selbst der Presse gegenüber.

Sara führte sie in den reich geschmückten Bankettsaal und zu ihrem attraktiven Ehemann. Als Lindas Blick auf den Mann neben Cade fiel, blieb ihr fast das Herz stehen.

Thomas McMann.

Der Mann, vor dem sie zwei Monate zuvor weggelaufen war.

Sara strahlte nun. „Linda, das ist mein Bruder Conrad Carlton. Conrad, dies ist Linda Mailer, von der ich dir schon erzählt habe. Ich habe euch beide an einen Tisch gesetzt, da ihr so viele Gemeinsamkeiten habt.“

Das konnte nicht sein. Es musste eine Erklärung geben. Manche Männer sahen einander zum Verwechseln ähnlich. Und als sie einander begegnet waren, hatte sie ihre Brille nicht getragen, und in der Bar war es nicht sehr hell gewesen. Wenn die Lichter ausgehen, sehen sie alle gleich aus, hatte ihre Mutter immer gesagt.

Linda musterte ihn unauffällig. Er sah Thomas sehr ähnlich, aber etwas war anders. Etwas, das sie nicht beschreiben konnte. Je länger sie ihn betrachtete, desto klarer wurde ihr, dass er nicht der Mann war, mit dem sie eine Nacht verbracht hatte.

Sie atmete tief durch und sah Sara an. Wie jede frischgebackene Braut, die Linda je erlebt hatte, wollte auch sie unbedingt eine andere Ehe stiften. Aber selbst wenn Linda jemanden kennenlernen wollen würde, was sie eindeutig nicht wollte, wäre Conrad der Letzte, der infrage kam. So viele Gemeinsamkeiten, hatte Sara gesagt. Nicht im Traum, dachte Linda. Conrad galt als lebenslustig und keinem Vergnügen abgeneigt. Sie dagegen war in etwa so aufregend wie eine Kartoffel. Ihre Vorstellung von einer Herausforderung war es, ein ausgeglichenes Girokonto zu haben.

Nein, Conrad Carlton, Partylöwe und Frauenschwarm, war nicht ihr Typ.

Allerdings war Linda nicht sicher, ob sie überhaupt einen Typ hatte.

Sag etwas, befahl sie sich. „Wie ich höre, sind Sie Rancher“, sagte sie und strich ihr Kleid glatt.

Er sah sie mit kühlen grünen Augen an. „Und wie ich höre, sind Sie Buchhalterin. Bestimmt werden Sie das dauernd gefragt, aber warum sucht sich jemand, der so gut aussieht wie Sie, einen so langweiligen Beruf aus?“

Linda zögerte. Jemand, der so gut aussah wie sie? War er verrückt geworden? Flirtete er etwa mit ihr?

„Ich mag Zahlen“, erwiderte sie und starrte zu Boden. Du meine Güte, was für eine schwachsinnige Antwort.

Offenbar war er taub, denn er lächelte, als hätte sie gerade das Interessanteste gesagt, was er seit Jahren gehört hatte. „Und? Haben Sie in letzter Zeit ein paar private Buchprüfungen gemacht?“

Sara und Cade war anzusehen, dass sie das Hin und Her genossen. Warum hatten frisch Verheiratete immer das Bedürfnis, ihr Glück zu verbreiten, obwohl jede zweite Ehe vor dem Scheidungsrichter endete?

Ihr entging nicht, wie Conrad sie von Kopf bis Fuß musterte. Sein Blick verriet, dass er nichts dagegen hätte, sie einer privaten Prüfung zu unterziehen.

Sie musste sich beherrschen, um nicht zurückzuweichen. Es war beunruhigend, wie ähnlich er Thomas sah. Und da war noch etwas, das sie nervös machte. Conrad hatte einen Zwillingsbruder … einen eineiigen Zwillingsbruder …

Nein. Sie hatte an jenem Abend keine Brille getragen.

Sie war sicher, dass Sara ihn gebeten hatte, besonders nett zu ihr zu sein. Warum sollte er sonst mit ihr flirten? Ihre Wangen erwärmten sich. Das war genau das, was sie brauchte – ein Date aus Mitleid. Offenbar wartete er auf eine Antwort, aber ihre Zunge war wie gelähmt. Wenn sie nicht mal eine Minute Smalltalk schaffte, wie sollte sie ein mehrgängiges Abendessen überstehen?

Er flirtete nicht, er machte sich über sie lustig. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich jemand über ihren Beruf mokierte. Nicht, dass es ihr etwas ausmachte. Für manche Menschen mochte Buchhaltung langweilig sein, aber wenn es in ihrem Leben eine Leidenschaft gab, dann waren es die Zahlen. In ihnen lag Wahrheit, und mit ihnen zu arbeiten gab ihr ein Gefühl von Ordnung.

Ihr Blick zuckte zur Tür. Vielleicht würde sie flüchten können, sobald alle saßen. Vielleicht würde niemand es bemerken.

„Entschuldigen Sie mich“, sagte er abrupt. „Ich glaube, meine Begleitung ist eingetroffen.“ Er wandte sich ab, und gleich darauf unterhielt er sich mit einer Blondine, deren kurzes schwarzes Cocktailkleid hinten mehr Stoff zu haben schien als vorn.

Saras Mund klappte auf, und ihre Wangen wurden rot. „Tut mir leid, Linda. Ich hatte keine Ahnung, dass er jemanden eingeladen hat. Ich war sicher, ihr beide würdet euch auf Anhieb verstehen. Du bist ein sehr natürlicher Mensch, genau wie er. Wie gesagt, ihr beide habt viel gemeinsam.“

Linda antwortete nicht.

„Nein, wirklich. Was gibt es Natürlicheres, als vom Land zu leben? Im Grunde ist er ein unverdorbener, praktischer Mensch. Wie du. Oh, ich weiß, er wirkt ein wenig herablassend, aber das ist nur Fassade. Es fällt ihm schwer, all das zu verarbeiten, was passiert ist.“

Linda runzelte die Stirn. Die Idee, dass Conrad und sie etwas gemeinsam hatten, war absurd. Und eine schwere Zeit durchzumachen gab einem noch lange nicht das Recht, unhöflich zu sein.

„Ja, es ist bestimmt nicht leicht für ihn“, sagte sie großzügig. „Oder seinen Bruder“, fügte sie hinzu und dachte daran, was Sara ihr über Tyler Carlton erzählt hatte.

„Da du gerade Tyler erwähnst“, erwiderte Sara und winkte jemandem zu. „Ist die ganze Sache nicht unglaublich? Die Zwillinge sind nicht nur meine Brüder, sondern auch meine Schwager! Kompliziert, nicht wahr?“

Ein Mann auf der anderen Seite des Raums winkte zurück. „Ja, kompliziert“, bestätigte Linda und kniff die Augen zusammen, um sich den Gast genauer anzusehen, der langsam auf sie zukam. Zum zweiten Mal an diesem Abend blieb ihr fast das Herz stehen.

War dies ein Déjà-vu-Erlebnis, oder hatte sie einfach nur den Verstand verloren? Wie konnte sie an einem Abend gleich zwei Mal ein und denselben Fehler begehen?

Doch dieses Mal irrte sie sich nicht. Dieses Mal war er es.

Thomas McMann. Der Mann, mit dem sie an ihrem dreißigsten Geburtstag geschlafen hatte.

Die Erinnerung an den warmen Augustabend stieg in ihr auf. Daran, wie Sadie Heath, ihre beste Freundin, sie überredet hatte, sich zu ihrem Geburtstag komplett umstylen zu lassen. Wie sie in die Piano Lounge in dem schicken Hotel auf dem Nob Hill gegangen waren. Wie sie an einem Tisch in der Nähe der Bar einen Mann kennengelernt hatte.

Wie seine Lippen sich an ihrem Hals angefühlt hatten, als der Fahrstuhl langsam in den dritten Stock fuhr, wo sich sein Zimmer befand.

Und sie erinnerte sich daran, was sie am nächsten Morgen empfunden hatte, als sie die Waffe auf der Kommode entdeckte.

Nacktes, eiskaltes Entsetzen.

Plötzlich setzten sich die Ereignisse der vergangenen Wochen wie ein Puzzle zusammen. Die Schlägertypen, die in Walters Büro aufgetaucht waren. Das seltsame Dokument, das sie bei ihm zu Hause gefunden hatte. Die Gerüchte über Unterschlagung.

Walter hatte Feinde.

Thomas musste von Anfang gewusst haben, wer sie war. Noch bevor sie einander an der Bar begegnet waren. Er hatte sie beschattet, um mehr über Walter herauszubekommen. Dazu hatte er sie sogar verführt. Ein langer Arbeitstag.

Einerseits wusste sie, dass ihre Theorie keinen Sinn ergab. Walter war ja nicht mal hier. Aber wenn es um Waffen ging, setzte bei ihr die Logik aus. Panik durchströmte sie, genau wie an dem Morgen vor zwei Monaten, als sie aus dem Hotel geflüchtet war.

Sie musste sie warnen. Alle. Aber sie brachte kein Wort heraus. Warum versagte ihre Stimme immer ausgerechnet dann, wenn sie sie am dringendsten brauchte? Sie versuchte zu schreien, aber ihr Körper verweigerte den Gehorsam.

Er kam näher. Vier Schritte … drei Schritte …

Ihr Hals war wie zugeschnürt.

Er knöpfte sein Jackett auf, griff hinein …

Und dann wurde Linda schwarz vor Augen.

Sie war ihm gleich bekannt vorgekommen, und jetzt wusste er auch, warum. Die Frau, die auf dem blauen Teppich lag, war Lyla.

Seit zwei Monaten hatte er die ganze Stadt nach ihr durchkämmt. Erfolglos. In seiner kurzen Zeit als Polizist hatte er schon unzählige Verbrecher hinter Gitter gebracht, aber es war ihm nicht gelungen, die Person aufzuspüren, die er verzweifelt suchte.

Er wollte nicht analysieren, warum er sie unbedingt finden musste. Es war nicht so, dass sie ihm unter die Haut gegangen war. Nein, nichts dergleichen. Er war es nur nicht gewohnt, dass Frauen vor ihm davonliefen, und er verdiente eine Erklärung.

Jedenfalls hatte er sich das gesagt.

Lyla. In der Hoffnung, ihr über den Weg zu laufen, war er Stammgast in der Lounge des protzigen Hotels auf dem Nob Hill geworden. Er hatte vermutet, dass ein Mädchen wie sie nicht zu Hause herumsaß, dass sie früher oder später an den „Tatort“ zurückkehren würde. Um sich einen dickeren Fisch zu angeln.

Lyla. Eine Frau, die aussah wie sie, würde kein Problem haben, Dates zu bekommen. Sie konnte jeden Mann kriegen, den sie wollte, also war er sicher gewesen, dass sie wieder in der Lounge auftauchen würde. Vermutlich roch sie das Geld, vom Fuß des Hügels. Vermutlich war das auch der Grund, warum sie am Morgen spurlos verschwunden war. Sie hatte gemerkt, dass er kein Donald Trump war.

Lyla. Seit jener Nacht hatte er sie in jeder Bar in jedem Hotel gesucht, unzählige Fragen gestellt – nur um sie zu finden und ihr ein paar Dinge zu sagen. Jedenfalls hatte er sich das eingeredet.

„Jemand muss einen Krankenwagen rufen!“

Saras Stimme holte ihn in die Gegenwart zurück, und sein Instinkt übernahm das Kommando. Er beugte sich hinab und fühlte ihren Puls. Dann, als er sicher war, dass sie sich beim Sturz nicht verletzt hatte, hob er sie auf die Arme. „Sie kommt wieder auf die Beine“, sagte er zu den Umstehenden. „Bitte gehen Sie zur Seite. Lassen Sie ihr Luft. Sie braucht Ruhe. Wohin kann ich sie bringen?“, fragte er Sara und versuchte, sachlich und professionell zu klingen, aber er wusste, dass er es nicht schaffte.

Was ihn höllisch ärgerte. Er hatte keine Gefühle für diese Frau. Überhaupt keine.

„Im Waschraum gibt es einen Ruhebereich“, antwortete Sara.

Er eilte aus dem Bankettsaal, Lyla auf den Armen, Sara dicht hinter ihm. Mit dem Fuß schob er die Tür zum Damenwaschraum auf. Eine ältliche Lady mit altmodischer Turmfrisur schrie auf.

„Entschuldigen Sie, Ma’am“, sagte er und drängte sich an ihr vorbei. Sie packte ihre Handtasche fester und sprintete über den Korridor.

Ein junges Mädchen kam herein und blieb wie angewurzelt stehen, als es Tyler sah. „Ooops, schätze, ich habe die falsche …“ Ihr Blick erfasste Lyla. „Ich komme später wieder.“ Rückwärts ging sie hinaus.

Zwei andere Frauen beobachteten neugierig, wie er Lyla vorsichtig auf die Couch legte. „Muss an den Martinis liegen, die sie hier ausschenken“, sagte die eine. „Können wir etwas tun?“

„Raus! Alle!“, bellte er und bereute es sofort. Die Frau wollte nur helfen. Und vermutlich lag sie richtig. Lyla war nicht krank, sie war einfach nur betrunken.

Trotzdem war er besorgt. Was ihn erstaunte. Warum interessierte es ihn? Sie bedeutete ihm nichts.

Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Vielleicht hatte er sich getäuscht. Vielleicht war die Frau auf der Couch doch nicht das rätselhafte Geschöpf, mit dem er wenige Wochen zuvor geschlafen hatte. Die Frau, die er im August kennengelernt hatte, war aufregend und sinnlich gewesen, mit wilden roten Locken, die auf die Schultern fielen. Das Haar dieser Frau war zu einem Pferdeschwanz gezähmt, die dunklen Augen hinter einer dicken Brille verborgen. Und was sie trug, glich eher einem Sack als einem Kleid.

An jenem Abend im Hotel hatte sie einen engen Minirock aus Leder und ein knappes Top angehabt. Er hatte sofort gesehen, dass sie auffallen wollte. Die Frau aus der Piano Lounge würde sich niemals in einem Zelt wie diesem erwischen lassen.

Oder doch? Er musste zugeben, dass er sie nicht wirklich kannte.

Am Waschbecken befeuchtete Sara gerade eine Handvoll Papiertücher. „Du wartest besser draußen“, sagte sie. „Ich kümmere mich um Linda.“

„Um wen?“

„Linda Mailer. Walters Buchhalterin.“

Er fühlte sich, als hätte er einen Schlag in die Magengrube bekommen. Die Buchhalterin meines Vaters, dachte er. Dass Walter Parks ihn und seinen Bruder gezeugt hatte, war in sämtlichen Zeitungen zu lesen gewesen. Zum Glück hatte keine davon ein Foto von ihm oder Conrad abgedruckt. Tyler wusste, dass man verdeckt ermitteln musste, wenn man wichtige Informationen bekommen wollte. Um so lange wie möglich anonym zu bleiben, war er Reportern aus dem Weg gegangen und hatte seinen Bruder gebeten, das ebenfalls zu tun. Er hatte sich sogar an Walters Sekretärin vorbeigeschlichen, um von dem berüchtigten Edelsteinbaron Antworten zu verlangen.

Mein Vater. Selbst unausgesprochen hinterließen die Worte auf seiner Zunge einen bitteren Nachgeschmack. Aber noch intensiver als die Bitterkeit war sein Bedürfnis nach Rache. Walter war der Grund, aus dem er nach San Francisco umgezogen war. Obwohl Tyler nicht offiziell mit dem Fall seines Vaters betraut war, arbeitete er eng mit der Staatsanwaltschaft zusammen. Er würde erst dann zufrieden sein, wenn Walter Parks überführt, verurteilt und für den Rest seines Lebens weggeschlossen war.

Sara saß auf der Couch und kühlte Lindas Stirn. „Ich werde mit Walter sprechen müssen“, sagte sie. „Ganz offenbar überfordert er das Mädchen … Oh, sie kommt zu sich. Du solltest lieber gehen, Tyler. Wenn sie aufwacht, sollte die erste Person, die sie sieht, jemand Bekanntes sein.“

Lyla Sinclair war also Linda Mailer und arbeitete für Walter. Aber sie war nicht nur seine Buchhalterin, sondern auch seine Spionin. Walter wusste, dass gegen ihn ermittelt wurde. Er wollte erfahren, was der Staatsanwalt gegen ihn in der Hand hatte, und hatte Lyla – Linda – vermutlich für ihre … Feierabendaktivitäten bezahlt.

Das machte Sinn. Einen Privatdetektiv zu engagieren wäre zu riskant gewesen. Warum sollte Walter einem Außenseiter vertrauen, wenn er andere Möglichkeiten hatte?

Dieses kleine Luder … Sie war ihm an jenem Abend ins Hotel gefolgt. Er musste lächeln. Offenbar hatte sie keine Skrupel, Arbeit und Vergnügen zu kombinieren. Er wusste nicht, ob sie von Anfang an beabsichtigt hatte, die Nacht mit ihm zu verbringen, aber eins stand fest – sie hatte ihn begehrt.

Er versuchte, sich daran zu erinnern, was er ihr an diesem Abend verraten hatte. Eigenartig war, dass er noch genau wusste, was sie getragen, wie sie geduftet, wie ihre Haut sich angefühlt hatte. Aber Worte fielen ihm nicht mehr ein.

Doch dann war plötzlich alles wieder da. Er zuckte innerlich zusammen, aber seine Reaktion hatte nichts mit dem Fall zu tun. Er erinnerte sich daran, was er alles getan und von sich gegeben hatte …

Tyler zwang sich, in die Gegenwart zurückzukehren. Er war zum ersten Mal in einem Waschraum für Damen und fühlte sich mehr als nur ein wenig unwohl. Aber er musste bleiben und dieser Sache auf den Grund gehen. „Ich gehe nirgendwohin.“

Er zweifelte nicht daran, dass Sara sein Verhalten bizarr fand. „Dann warte dort drüben“, bat sie und zeigte auf eine Nische neben der Tür. „Sie kennt dich nicht. Ich will nicht, dass sie erschrickt.“ Wie aufs Stichwort stöhnte Linda auf, und Tyler zog sich widerwillig zurück.

Sara konzentrierte sich wieder auf Linda. „Machen Sie die Augen auf. Sind Sie okay?“

Tyler wusste, dass sie ihn von der Couch aus nicht sehen konnte. Er ließ den Blick über ihren Körper wandern, und es war schwer zu glauben, dass sie die Frau war, die seine Hand genommen, ihn zur Rezeption geführt und zugesehen hatte, wie er ein Zimmer nahm und sie beide eintrug.

Mr und Mrs John Smith.

Alias Lyla und Thomas.

„Thomas“, sagte sie leise.

Er machte einen Schritt auf sie zu, aber Sara warf ihm einen warnenden Blick zu.

Tyler war es leid zu warten. Diese Frau hatte ihn wie einen Idioten aussehen lassen, doch das war nur die erste Runde gewesen. Dies war ein Spiel, das sie nicht gewinnen konnte. Wer war denn hier der Profi? Sicher, sie hatte ihn hereingelegt, und danach hatte er sie nicht finden können. Aber verdammt, er war nicht aus Versehen Detective geworden. Mit vierundzwanzig war er der jüngste Polizist in Colorado gewesen, der die goldene Dienstmarke bekommen hatte.

Noch bevor er mit dieser Frau fertig war, würde er die Informationen haben, die er brauchte, um Walter hinter Gitter zu bringen.

Als Linda sich aufzusetzen versuchte, drehte sich der Raum um sie. Sie fiel auf die Couch zurück. „Wo … bin ich?“

„Bewegen Sie sich nicht“, sagte Sara. „Warten Sie, bis das Schwindelgefühl sich legt.“

„Sie verstehen nicht. Waffe … muss sie warnen …“

„Waffe?“, wiederholte Sara. „Linda, wovon reden Sie?“

„Der Mann – er kam auf uns zu. Er ist hier, um Walter zu töten!“

Sara seufzte. „Linda, niemand wird Walter töten. Er ist gar nicht hier.“

Linda schnappte nach Luft. „Aber das weiß der Killer nicht! Er hat eine Waffe. Ich habe gesehen, wie er danach gegriffen hat! Er ist ein Auftragsmörder! Was, wenn er schießt? Sie müssen die Polizei rufen!“

„Was reden Sie denn da? Auftragsmörder schießen nicht einfach um sich. Sie sind durcheinander, Linda. Der Mann, der auf uns zukam, ist Tyler, Conrads Bruder. Und er ist kein Verbrecher, sondern Polizist.“ Sara hob den Blick und schüttelte den Kopf, als würde sie jemanden zurückhalten wollen. „Er wollte keine Waffe ziehen, er hat nur sein Jackett aufgeknöpft. Es war zu warm dort drin, deshalb sind Sie auch ohnmächtig geworden. Mir war selbst ein wenig flau. Nur weil wir Oktober haben, müssen sie doch die Heizung nicht voll aufdrehen.“

Linda traute ihren Ohren nicht. Ein Polizist? Thomas war Polizist?

Thomas war Tyler?

Kein Wunder, dass sie die beiden verwechselt hatte. Trotzdem hatte dieser Mann etwas an sich, das sie an jenem Abend angezogen hatte.

„Keine Waffe?“, fragte sie matt.

„Keine Waffe. Jedenfalls keine illegale. Tyler ist Detective bei der Polizei von San Francisco.“

Linda stöhnte auf. „Ich komme mir so albern vor.“

„Nein, das müssen Sie nicht. Es geht Ihnen nicht gut. Menschen sind oft verwirrt, wenn sie krank sind.“

„Ich bin nicht krank. Ich …“ Linda biss sich auf die Lippe.

„Was ist es dann?“ Als Linda schwieg, lächelte Sara aufmunternd. „Ich würde gern glauben, dass wir Freunde sind, Linda. Sie können mit mir über alles reden.“

Warum nicht? Lange würde sie ihr kleines Geheimnis nicht für sich behalten können. Außer Sadie kannte niemand die Wahrheit. Sie konnte die Katze ebenso gut schon jetzt aus dem Sack lassen.

„Ich bin im zweiten Monat schwanger“, platzte sie heraus.

Zuerst sah Sara verblüfft aus. Dann schaute sie über die Couch hinweg und machte eine abwehrende Handbewegung, bevor sie Linda anstrahlte. „Du meine Güte, Sie stecken voller Überraschungen! Ich muss sagen, diese Party wird immer verrückter. Eigentlich war sie als Willkommen für Tyler und Conrad geplant, und dann, kurz bevor Sie gekommen sind, haben Emily und Lazhar verkündet, dass sie ein Kind bekommen. Jetzt sagen Sie, dass Sie auch schwanger sind. Wäre es nicht toll, wenn Sie und Emily denselben Stichtag hätten?“

Linda konnte nicht antworten. Der Kloß in ihrem Hals war so groß wie ein Golfball.

„Oh“, entfuhr es Sara. „Ich und mein großes Mundwerk. Sie freuen sich nicht.“ Sie nahm Lindas Hand. „Hören Sie mir zu. Sie sind nicht allein, das müssen Sie wissen. Sie werden einige Entscheidungen treffen müssen, aber wie immer die ausfallen, Sie haben Freunde. Und wir werden Ihnen helfen.“

„Ich will keine Abtreibung, falls Sie das meinen“, entgegnete Linda scharf.

Autor

Elissa Ambrose
Elissa Ambrose kommt ursprünglich aus Montreal, Canada. Jetzt lebt sie mit ihrem Ehemann und 2 Töchtern in Arizona. Sie hat einen College – Abschluss in Englischer Literatur und arbeitete danach als Software – Entwicklerin. Immer noch sucht sie nach der Verbindung beider Berufsfelder aber sie glaubt, nach all den Jahren...
Mehr erfahren