Von deinen Küssen bekomme ich nie genug

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Für Milliardär Tomas Gallo steht fest: Niemand darf erfahren, dass er sich nach seinem Unfall an nichts mehr erinnern kann! Niemand! Klar, dass er die überraschend attraktive Haushaltshilfe, die ihm sein Freund geschickt hat, möglichst schnell wieder loswerden will. Doch während draußen eisige Schneestürme toben, kann er plötzlich von Zaras verlockend heißen Küssen nicht genug bekommen. Gerade beginnt Tomas, an ein sinnliches Wintermärchen zu glauben, als er wütend entdeckt: Zara ist nicht die, für die sie sich ausgibt …


  • Erscheinungstag 12.09.2017
  • Bandnummer 2301
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708627
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Beeil dich, wenn du den Code eintippst, und sieh zu, dass du reinkommst, bevor er dich entdeckt; ansonsten sorgt er dafür, dass sich das Tor wieder schließt. Und komm vor Einbruch der Dunkelheit, ansonsten hast du keine Chance …“

Zara Falconer kniff die Augen zusammen, um in dem strömenden Regen etwas zu sehen, und gab mit eiskalten Fingern den Code ein. Wegen des Gewitters war es früh dunkel geworden, und Jaspers Warnung hallte laut in ihren Ohren nach. Bang tippte sie die letzte Ziffer des Codes ein, den er ihr genannt hatte, doch das massive schmiedeeiserne Tor bewegte sich keinen Millimeter. Sie fragte sich schon, ob sie es noch einmal versuchen sollte, als ein lautes Klacken ihr verriet, dass das nicht nötig war.

Knarrend öffnete sich das mit der Aufschrift „Zutritt verboten“ versehene Tor. Zara wusste, dass es nicht lange offen bleiben würde. Auf dem Weg zu ihrem Wagen glitt sie in der Eile auf dem nassen Boden aus. Sie atmete tief ein und zwang sich, die Ruhe zu bewahren. Kaum, dass sie auf das Grundstück hinaufgefahren war, schloss sich das Tor knarrend hinter ihr. Der nasse Kies knirschte unter den Reifen ihres alten Wagens. Die Äste der hoch emporragenden Bäume verdunkelten den wolkenverhangenen Himmel zusätzlich. Sie stellte die Scheibenwischer schneller und schaltete das Fernlicht ein, um besser zu sehen. Im Schritttempo fuhr sie die Auffahrt hinunter und nahm die Kurve an deren Ende. Jetzt erst sah sie das große georgianische Herrenhaus, in dem er lebte. Das zweistöckige Gebäude mit den nackten Fenstern sah trostlos aus. Bis auf ein schwaches Licht in einem der Fenster im unteren Geschoss war es komplett dunkel.

Zaras Herz klopfte heftig, als sie direkt vor der großen Tür hielt. Sie war den ganzen Tag gefahren und konnte noch nicht ganz glauben, dass sie endlich da war. Das ganze letzte Jahr lang hatte sie sich jeden Tag ausgemalt, wie das Wiedersehen mit ihm sein würde, hatte sich alle möglichen Szenarien vorgestellt – wie sie ihn zufällig auf der Straße treffen würde oder bei einer Veranstaltung, oder dass er sie vielleicht aufsuchen würde …

Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie es ablaufen könnte und ob es tatsächlich passieren würde. Doch dann hatte Jasper sie ausfindig gemacht und sie gebeten, den Mann zu besuchen, dem sie so viel zu verdanken hatte. Es hatte sie überrascht, wie verzweifelt Jasper gewesen war. Ihm war nicht klar gewesen, dass er sie nicht groß dazu überreden brauchte, den Mann zu besuchen, der ihr Leben so grundsätzlich verändert hatte. Sie wollte ihn wiedersehen. Seit Monaten wünschte sie sich nichts sehnlicher.

Und nun war sie hier – völlig durchweicht, die Haare strähnig und nass. Außerdem war es schon spät … aber sie war da.

Sie griff nach ihrer Tasche und stieg aus. Obwohl sie die wenigen Meter zur Tür rannte, wurde sie noch nasser, aber das störte sie nicht mehr. Sie war viel zu gespannt, wie er reagieren würde, wenn er sie wiedersah. Würde er lächeln? Würde er sie besorgt und mitfühlend ansehen? Und was würde er sagen?

Voll Angst und gespannter Erwartung biss sie sich auf die Unterlippe, als sie klingelte, konnte sich aber ein schüchternes Lächeln nicht verkneifen. Sie hatten kaum Zeit miteinander verbracht, und doch hatte er ihr Leben verändert. Seitdem dachte sie Tag für Tag an jene kostbaren Stunden. Und Tag für Tag sehnte sie sich nach mehr davon.

Ihr Herz klopfte so heftig, dass sie die herannahenden Schritte nicht hörte. Und plötzlich stand er im Türrahmen und sah sie stirnrunzelnd an.

Tomas Gallo.

Er war größer, als sie ihn in Erinnerung hatte und wirkte schmaler als damals in seinen verwaschenen schwarzen Jeans und dem dünnen schwarzen Pulli. Sein schwarzes Haar, das damals kurz geschnitten gewesen war, ging ihm jetzt fast bis zum Kragen und war etwas verzaust. Trotz seines eigentlich dunklen Teints sah er blass aus. Auch das verwegene Lächeln war verschwunden. Er hatte sich ein paar Tage nicht rasiert und seine Bartstoppeln betonten sein kantiges Kinn. Er sah verspannt und unzufrieden aus. Aber seine schönen dunkelbraunen Augen hatten sich nicht verändert. Diese tiefgründigen Augen, deren Geheimnis man nicht enträtseln konnte, so lange man auch hineinsah. Und sein Blick war noch mysteriöser als vorher.

In Nullkommanichts hatte Tomas Gallo sie verzaubert – wie damals.

„Was gibt es?“, blaffte er.

Ihr Lächeln erstarb.

„Wie sind Sie hier hereingekommen?“ Sein erboster Blick verriet, dass er ihre umgehende Antwort erwartete.

Doch sie bekam keinen Ton heraus. Sie sah ihm forschend in die Augen, fand jedoch keine Anzeichen für ein Wiedererkennen darin, nur Misstrauen – und Wut.

„Ich weiß nicht, wie Sie durchs Tor gekommen sind“, fügte er barsch hinzu. „Der Garten ist der Öffentlichkeit seit fast einem Jahr nicht mehr zugänglich.“

„Ich bin nicht hier, um den Garten anzusehen“, gelang es ihr zu sagen.

„Was machen Sie dann hier?“ Er funkelte sie noch immer an; weiterhin keine Spur eines Wiedererkennens, nichts Weiches, nichts Menschliches.

Verunsichert sah sie zu ihm auf. Jasper hatte gesagt, dass es besser sei, unangekündigt herzukommen und dass er Tomas ihren Besuch nicht ankündigen würde. Erkannte er sie denn wirklich nicht wieder?

Ihr war klar, dass sie sich verändert hatte, aber das beschränkte sich auf ihre Kleidung und ihre Frisur. Solche oberflächlichen Dinge konnten keine derartige Auswirkung haben.

„Was auch immer Sie mir verkaufen wollen – ich will es nicht“, sagte er und schickte sich an, die Tür zu schließen.

Endlich löste sie sich aus der Schockstarre. Sie war nicht den ganzen Tag gefahren, um sich dann sofort wieder wegschicken zu lassen. Auch in dieser Hinsicht hatte sie sich verändert. „Ich will Ihnen nichts verkaufen“, sagte sie, machte einen Schritt vorwärts und blieb im Türrahmen stehen. „Ich bin hier, um Ihnen zu helfen“

Einen Moment lang sah er sie verdutzt an, bevor er entgegnete: „Ich brauche keine Hilfe.“

Trotzig blieb sie stehen, wo sie war. So schnell würde sie nicht aufgeben. „Doch, brauchen Sie“, erwiderte sie. „Jasper hat mich zu Ihnen geschickt.“

Jasper hatte ihr gesagt, dass Tomas sich noch immer nicht restlos von dem Unfall erholt hätte. Dass er mehr Hilfe bräuchte, als er sich eingestehen wolle. Und auch wenn Tomas ihre Unterstützung nicht wollte – sie hatte ihm viel zu verdanken und war fest entschlossen, sich dafür zu revanchieren.

Er musterte sie wieder, doch noch immer deutete sein Gesichtsausdruck nicht darauf hin, dass er sie wiedererkannte. Stattdessen zeigte sich etwas anderes in seinem Blick – etwas Grobes. „Nein, weder brauche ich Ihre Hilfe noch will ich sie“, antwortete er.

Zara versuchte, sich die Zurückweisung nicht zu nahe gehen zu lassen, doch sie war verletzt. „Sie wissen doch noch nicht einmal, was ich für Sie tun kann.“

„Ich bin an nichts von dem interessiert, was Sie für mich tun könnten, Herzchen“, erwiderte er bitter lächelnd und musterte sie so eindringlich, dass sie sich komplett nackt vorkam. „Wie bitte?“, presste sie hervor.

„Was haben Sie denn anzubieten?“, fragte er. „Eine Massage?“

„Sie glauben, ich sei hier, um Sie zu massieren?“, fragte sie entgeistert.

„Unter anderem …“ Nun betrachtete er mit vielsagendem Blick ihren Mund.

Tara spürte, wie so errötete. Sie wusste genau, an welcher Stelle ihr Mund in seiner Vorstellung zum Einsatz kommen sollte, und das Schlimme war, dass sie sich genau das schon einmal vorgestellt hatte. Doch sie wollte lieber sterben, als das zuzugeben.

„Ist es Jaspers Art, Ihnen Frauen zu schicken, die diese Art von Diensten anbieten?“, fragte Zara mit heiserer Stimme.

„Nein. Das ist sogar für ihn untypisch.“

Sie straffte sich. Dadurch war sie zwar noch lange nicht auf Augenhöhe mit ihm, aber es war besser, als sich vor ihm klein zu machen. Sie war kein naives Mädchen mehr. Inzwischen konnte sie sich behaupten. Sie würde keinen Rückzieher machen. „Ich bin nicht hier, um Ihnen intime Gefälligkeiten anzubieten.“

„Sondern?“

„Jasper meinte, dass Sie dieses Wochenende allein sein werden …“

„Und das hält er für ein Problem?“, fragte Tomas. „Denkt er, dass ich nicht mit dem Alleinsein klarkomme?“

„Das müssen Sie ihn fragen“, antwortete sie verärgert. „Ich tue nur, worum er mich gebeten hat.“

„Tja, er lag eben falsch damit. Ich bitte sie, meine unangemessenen Vermutungen zu entschuldigen. Sie können gehen.“

Seine Äußerung klang absolut nicht wie eine Entschuldigung. Zara spürte, dass ihr Besuch ihn alles andere als erfreute. Doch auch sie schäumte. Wie konnte er so grob sein? Hatte er sie wirklich vergessen? Für sie sah es absolut nicht so aus, als würde er nicht alleine klarkommen. Ihrer Meinung nach war Jaspers Sorge übertrieben, und sie konnte es kaum abwarten, hier wieder wegzukommen. Aber darüber, dass Tomas sie nicht wiedererkannte, kam sie nicht hinweg. „Wissen Sie nicht, wer …“

Doch in diesem Moment verwandelte sich der Sturzregen in Hagel. Die auf den Kiesweg und ihr Auto prasselnden glasmurmelgroßen Körner erzeugten einen ohrenbetäubenden Lärm. Sie hörte nicht, was er sagte – es sah eher nach einem Fluch aus – bevor er einen Schritt rückwärts machte und ihr den Arm entgegenstreckte.

Bat er sie nun herein?

Doch sie war wütend und rührte sich nicht. Er bedachte sie mit einem vielsagenden Blick und packte sie unsanft am Arm, worauf sie sich unwillkürlich in Bewegung setzte. Die Tür fiel hinter ihr zu. Doch drinnen war es kälter als draußen. Ihr Herz pochte heftig. Sie standen ganz dicht beieinander, er hielt ihren Arm noch immer fest und sie spürte seinen Atem in ihrem eiskalten Gesicht.

Ihre Blicke trafen sich. In dem schummrigen Licht konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht richtig erkennen. Ihr Atem und ihr Puls beschleunigten sich; ihr Körper erinnerte sich an seine Berührung und sie erbebte.

Unvermittelt ließ er sie los. Als er sich abwandte, streifte seine Hand die ihre und sie erbebte wieder, als es sie wie ein Blitz durchfuhr.

Er hatte noch immer diese heftige Wirkung auf sie.

„Sie können hierbleiben, bis es aufhört zu hageln“, sagte er, entfernte sich einen Schritt von ihr und betrachtete stirnrunzelnd seine Hand, bevor er das Licht einschaltete.

Sie blinzelte gegen die plötzliche Helligkeit an – und gegen sein Schweigen. Doch in Anbetracht ihrer heftigen Reaktion auf seine Nähe beschloss sie, dass es das Beste war, ebenfalls zu schweigen.

Er bat sie nicht in ein warmes Zimmer und bot ihr weder einen Stuhl noch einen Drink an, sondern lediglich Schutz vor dem Unwetter, das sich hoffentlich bald verziehen würde. Es war offenkundig, dass er nicht mit ihr warten wollte, und dass er sie genauso wenig in seinem großen, ungastlichen Haus alleine lassen wollte. Noch immer verletzt, weil er sie nicht wiedererkannte, verkniff sie sich ein schadenfrohes Lächeln über sein Dilemma.

Vor einem Jahr hatte sie ihn mit Jasper lachen und herumalbern gesehen und sich so sehr zu ihm hingezogen gefühlt. Damals war er arrogant und von sich selbst überzeugt gewesen. Das war jetzt anders, er strahlte kalte Missbilligung aus. Er wollte nicht, dass man ihm zu nahe kam. Er wollte nichts von ihr.

Allerdings hatte er auch damals nichts von ihr gewollt. Und das war auch völlig in Ordnung so.

Aber da war diese eine Situation gewesen. Da hatte er mit ihr geflirtet, sie angelächelt, ihr die Unsicherheit genommen. Und dann … Ihre Wangen glühten bei der Erinnerung daran.

„Miss …“

Tomas riss sie aus den Gedanken und holte sie in die kalte, elende Gegenwart zurück. Er sah sie fragend an. Sie blickte sich verlegen um. Alles hier war unterkühlt und abweisend

„Falconer.“ Sie nannte ihm ihren neuen Namen. „Zara Falconer.“ Sie musterte ihn, doch er zeigte keine Reaktion. „Jasper hat mich gebeten, hier ein paar Tage lang den Haushalt zu machen“, erklärte sie schließlich.

„Sie sind zu jung“, erwiderte er.

Zara verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. Wie oft hatte sie diesen Satz schon gehört? Ja, sie sah jünger aus, als sie war, doch sie war nicht dumm und konnte genauso hart arbeiten wie andere auch. Sie konnte sogar noch härter arbeiten. Und das hatte sie mehrere Jahre lang getan. „Ich bin nicht so jung, wie ich aussehe.“

Tomas musterte die triefnasse Frau, die vor ihm stand. Auch wenn ihr der Grund dafür nicht klar war – er wusste genau, warum Jasper sie zu ihm geschickt hatte. Der alte Schlawiner lag ihm seit Monaten damit in den Ohren, dass das, was er wirklich brauchte, war, sich ein bisschen mit schönen Frauen zu vergnügen. Dass alles wieder gut werden würde, wenn er sich nur entspannte. Doch sein Freund irrte sich. Und sobald Tomas diese Frau los wäre, würde er Jasper anrufen, um es ihm zu sagen.

Was ihn überraschte, war, dass Jasper ihm eine Person geschickt hatte, die so ganz anders war als die 08/15-Model-Schönheiten, die sein alter Kumpel bevorzugte. Dieses Mädchen war zu süß. Sie sah so verdammt jung aus in ihren leichten Turnschuhen, den durchweichten Jeans und der dünnen Jacke, die sie kaum vor dem Regen schützte und die ihn wütend machte. Doch beim genaueren Hinsehen sah er, dass sie tatsächlich nicht ganz so jung war, wie sie auf den ersten Blick aussah.

Als er zur Tür gekommen war, hatte sie schüchtern gelächelt. Der Regen hatte auf ihrer strahlenden Haut wie Tau ausgesehen. Ihr dichtes, dunkles, locker zurückgebundenes Haar hatte angefangen, sich zu lösen, sodass ein paar feuchte Strähnen ihr Gesicht umspielten. Ihr herzförmiges Gesicht wurde von diesen großen blaugrünen Augen und ihren vollen rosigen Lippen beherrscht. Wenn sie lächelte, hatte sie sogar ein Grübchen. Sie sah aus wie das Inbild von Unschuld und Lebensfreude.

Also genau das Gegenteil von ihm.

Doch jetzt sah sie aus wie die fleischgewordene Entrüstung. Das machte sie nicht weniger attraktiv und es fiel Tomas schwer, den Blick von ihr loszureißen.

Seine Gedanken waren erschreckend erotisch. Ein Blick hatte genügt, um in ihm den fast unwiderstehlichen Drang auszulösen, sie an sich zu ziehen und zu küssen – und sich mit der irrigen Vermutung lächerlich zu machen, dass sie genau dafür hergekommen sei. Aber ihre Lippen sahen so weich und einladend aus und sie hatte genau die richtige Größe, um sie in die Arme zu nehmen und sie ganz fest an sich zu drücken. Auch jetzt noch sehnte er sich danach.

Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal eine Frau geküsst hatte. Oder es zum letzten Mal gewollt hatte. Allerdings war das insofern nichts Besonderes, als er sich an überhaupt nichts erinnerte.

Verärgert ging er auf sie zu und hielt auch nicht inne, als sie die Augen erschrocken aufriss. Er wollte nicht wissen, warum sie hier war. Er wollte sich keine Sorgen wegen ihrer eiskalten Hände machen. Er wollte den unschuldigen Blick nicht sehen.

Er wollte sie nicht begehren.

Sie sollte verschwinden.

„Woher kennen Sie Jasper?“ Seine Stimme klang etwas eingerostet. Kein Wunder; er hatte seit zwei Tagen nicht mehr gesprochen.

Sie antwortete nicht und sah aus, als würde sie sich nicht wohl fühlen. Er kniff die Augen zusammen. Was war es, das sie ihm nicht sagen mochte? War sie die neueste Eroberung von Jasper? Aber sie war doch so gar nicht Jaspers Typ. Tomas dachte nach. Auch ihr Erröten auf seine irrige Annahme hin passte nicht zu einer Frau, die etwas mit Jasper hatte.

„Er war mir mal bei einer Sache behilflich“, antwortete sie schließlich ausweichend. „Haben Sie schon zu Abend gegessen?“

„Das geht Sie nichts an.“ Doch sein Magen knurrte, und auch sie sah aus, als könne sie etwas zu Essen vertragen. Von wo sie wohl gekommen war? Und warum konnte er nicht endlich damit aufhören, überhaupt über sie nachzudenken?

Sie durchquerte das Vestibül und versuchte nicht einmal, ihre Neugierde zu verbergen. „Es ist dunkel und kalt hier drin.“

Obwohl ihre Äußerung nicht wertend klang, regte sich sein Widerspruchsgeist. „Vielleicht gefällt es mir so.“

„Sie mögen es gern so abweisend wie möglich?“ Mit einem spitzbübischen Lächeln drehte sie sich zu ihm um. „Sind Sie so menschenscheu?“

Ihr aufrichtiger Blick milderte die Dreistigkeit der Frage ein wenig ab, doch das änderte nichts daran, dass er innerlich kochte.

„Ich arbeite hart und mag es nicht, gestört zu werden“, korrigierte er sie und kämpfte gegen den Impuls an, sich von ihrem Strahlen in ihren Bann ziehen zu lassen. Doch die Verlockung war groß. Wütend über seine triebhafte Reaktion funkelte er sie an. „Und ich brauche keinen Grünschnabel als Babysitter. Es wird Zeit, dass Sie verschwinden.“ Allerdings wollte er zu gern wissen, wohin sie verschwände.

Ihr Lächeln wich einem verwirrten Ausdruck, und ihn beschlich das Gefühl, dass er sie irgendwie enttäuscht hatte. Das gefiel ihm nicht.

„Ich bin nicht so jung, wie Sie zu glauben scheinen“, wiederholte sie und straffte sich, als habe sie gerade irgendeinen Entschluss gefasst. „Ich war sogar schon verheiratet.“

Sonderbarerweise ärgerte ihn das. „Aber jetzt sind sie es nicht mehr?“, fragte er.

Sie senkte den Blick, als schmerzte es sie, ihm in die Augen zu sehen, und antwortete schließlich: „Es hat wohl nicht sollen sein.“

„Das tut mir leid“, sagte Tomas steif. Ganz so unschuldig war sie also nicht, und man hatte sie verletzt. Der Gedanke, dass man ihr wehgetan hatte, zerrte an seinen ohnehin schon angespannten Nerven.

Tomas verfluchte Jasper dafür, dass er sie hergeschickt hatte. Er ging zurück zur Tür, doch als er sie öffnete, sah er, dass es zwar nicht mehr hagelte, dafür aber wieder in Strömen regnete. Außerdem war es inzwischen sehr dunkel. Sie würde eine Sichtweite von weniger als einem Meter haben. Auf keinen Fall konnte er sie bei dem Wetter losfahren lassen.

„Es ist zu gefährlich, heute noch zu fahren“, sagte er in schroffem Ton. „Sie werden wohl hierbleiben müssen.“

Als er sie wieder ansah, regte sich eine ferne Erinnerung in ihm. Hatte er dieselben Worte schon einmal zu ihr gesagt?

Er hasste es, wenn sein Gedächtnis ihm Streiche spielte. Hasste diese Déjà-vus. Er hasste es, wenn eine Erinnerung vorbeihuschte, die er nicht zu fassen bekam, um sie aus der Nähe zu betrachten. Die banalsten, unwichtigsten Situationen konnten diesen Effekt auslösen. Er hielt inne und hoffte, das Fragment würde aus der Tiefe seiner Erinnerung an die Oberfläche kommen, doch das passierte nicht. Es passierte nie.

Der Frust darüber verstärkte seine Wut. Er ging auf sie zu und kniff die Augen zusammen. „Kenne ich Sie?“ Es ärgerte ihn, dass er sich genötigt sah, sie das zu fragen. Es ärgerte ihn, dass er seine Schwäche preisgeben musste.

„Nein“, antwortet Zara mit einem Kloß im Hals. Sie hatte ja gerade eben versucht, es ihm zu verstehen zu geben, doch das, was vor einem Jahr passiert war, schien so unwichtig für ihn zu sein, dass er es vergessen hatte. Er hatte sie vergessen.

Sie wusste, dass es dumm war, doch das Gefühl der eigenen Unbedeutendheit machte sie fertig. Aber was hatte sie erwartet? Das hier war kein Märchen. Es war nur ein Nachmittag, eine Nacht und ein Morgen gewesen. Es war nicht wichtig für ihn gewesen, nicht einmal wichtig genug, um sich daran zu erinnern.

Das eben war keine Lüge gewesen – er kannte sie nicht. Er hatte sie nie wirklich gekannt.

Aber das hatte ihn nicht davon abgehalten, sie zu heiraten.

2. KAPITEL

Es hatte keine zwei Tage gedauert, und es war der absolute Irrsinn gewesen. Aber es war wirklich passiert.

Sie hatten geheiratet.

Eigentlich hätte sie noch einen Versuch machen und es ihm direkt sagen sollen, doch die Situation war einfach zu demütigend. Ein Jahr lang hatte sie sich vorgestellt, wie es sein würde, ihn wiederzusehen. Hatte gehofft, den ersten Eindruck korrigieren zu können, den er von ihr bekommen hatte. Gehofft, dass sie ihm beweisen könnte, dass sie nicht mehr die schwache Frau war, die gerettet werden musste, sondern dass sie stark und begabt und erfolgreich war. Gehofft, dass er sie in einem anderen Licht sehen könnte.

Wie töricht von ihr.

Sie musste sofort weg von ihm. Von hier.

Sie ging auf die noch offene Tür zu, doch bevor sie sie erreichte, schloss er sie und blockierte den Weg, indem er sich vor Zara aufbaute.

„Sie übernachten hier und fahren morgen früh, wenn das Wetter sich beruhigt hat“, sagte er.

Sein herrischer Ton ließ sie innehalten, doch sie gab nicht klein bei. „Und was, wenn es sich nicht beruhigt?“

„Dann ist es immerhin hell und Sie können ein wenig mehr sehen.“

„Mein Wagen hat gute Scheinwerfer, ich denke, es ist besser, wenn ich mich jetzt auf den Weg mache.“ Hierbleiben war das Letzte, was sie wollte.

„Nein“, erwiderte er in kompromisslosem Ton.

Wie gut sie sich an seine unerbittliche Entschlossenheit und seine gebieterische Ausstrahlung erinnerte! Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, brachte ihn nichts davon ab. Das hatte sie gesehen, als er die Argumente ihres Onkels eiskalt abgeschmettert hatte. Und ein schwacher Teil von ihr wünschte sich weiterhin, dass er sich doch noch erinnerte.

„Könnten Sie mir dann bitte die Küche zeigen?“, erwiderte sie kühl. „Das Mindeste, was ich tun kann, ist, uns etwas zum Abendessen zuzubereiten.“

Und sie würde Jasper anrufen, sobald sie alleine wäre.

„Ich brauche nichts, aber nehmen Sie sich ruhig, was Sie mögen“, antwortete er ebenso kühl. „Sie sind sicher hungrig nach der Fahrt“, fügte er hinzu.

Das war ein unfaires Machtspiel – sie war auf ihn angewiesen, während er jedwede Unterstützung von ihrer Seite ablehnte.

Eines Tages würde sie ihn dazu bringen, sie anzunehmen. Ein einziges Mal wollte sie nicht die Schwächere sein

Sie folgte ihm durch den langen kalten Korridor; jetzt erst bemerkte sie, dass er ganz leicht hinkte.

„Mein Arbeitszimmer ist im ersten Stock, aber zur Küche geht es hier lang“, erklärte er. „Woher kommen Sie jetzt?“

„Aus dem Norden“, antwortete sie ausweichend. Sie hatte ganz vergessen, wie sehr er sie faszinierte. Glücklicherweise schien er nicht zu merken, welche Wirkung er auf sie hatte.

Was für eine eigenartige Aktion das hier war! Sie hätte sich nicht darauf einlassen dürfen. Tomas brauchte ihre Hilfe überhaupt nicht. Warum hatte Jasper sich solche Sorgen gemacht?

„Es tut mir leid, dass ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereite“, sagte sie. Noch immer war sie nicht über den Schmerz darüber hinweg, dass er sich nicht an sie erinnerte.

„Ich lasse Sie jetzt erst mal alleine. Nachher zeige ich Ihnen das Zimmer, in dem Sie übernachten“, erwiderte er und verschwand.

Sie sah ihm hinterher. Smalltalk war wohl nicht gerade seine Stärke.

Die Küche war schön und peinlich sauber. Jetzt erst merkte Zara, wie hungrig sie war. Wenn sie sich aufgewärmt hätte, würde sie klarer denken können. Sie würde etwas kochen und danach mit Jasper sprechen. Zara sah in die Schränke, doch es war kaum etwas Essbares darin. Im Eisfach standen ein paar Behälter, auf denen das darin befindliche Gericht und das Zubereitungsdatum vermerkt waren – und der vorgesehene Verzehrtag. Jemand hatte ihm genug für die nächsten Tage zubereitet.

Zara runzelte die Stirn. Warum hatte Jasper so hartnäckig darauf bestanden, dass sie herkam, obwohl es jemanden gab, der sich um Tomas kümmerte?

Sie schaute in den Kühlschrank. Auch hier fanden sich zwei vorbereitete Mahlzeiten, eine, die er gestern Abend hätte essen sollen und das Mittagessen von heute. Ansonsten war lediglich eine Packung Milch darin. Zara ließ den Blick über die Küchenzeile und das Spülbecken schweifen, in dem nicht das kleinste Tröpfchen Wasser zu sehen war. Wenn Tomas sich selbst etwas gekocht hatte, hatte er keine Spuren hinterlassen.

Sie beschloss, sich nicht den Kopf darüber zu zerbrechen. Aber sie würde sich – und ihm – etwas zubereiten, womit sie sich aufwärmen könnten.

Nachdem sie ihre Jacke ausgezogen hatte, kramte sie in ihrer Tasche nach dem Riegel Zartbitterschokolade, den sie als Reiseproviant mitgenommen hatte. Ein Glück, dass sie ihn nicht während der Fahrt gegessen hatte! In einem kupfernen Topf wärmte sie die Milch auf und raspelte die Schokolade hinein. Während sie die schmelzenden Schokospäne einrührte, strömten die Erinnerungen auf sie ein. An jenem Morgen hatte sie ihm Kaffee gekocht und ihn zusammen mit Zitronenkuchen serviert, ihrer Spezialität, dem ersten Rezept, das sie verfeinert hatte.

„Er ist hier, um in das Casino zu investieren. Vermassele es nicht. Halt dich so gut wie möglich im Hintergrund.“

Sich im Hintergrund zu halten – darin war sie damals ziemlich geübt gewesen. Seine von Tag zu Tag schlimmer werdende Laune hatte ihr Onkel mit Vorliebe an ihr ausgelassen, darum wusste sie, wann man ihm besser aus dem Weg ging, doch an jenem Tag war er auf ihre Fertigkeiten angewiesen gewesen.

Sie war Einzelkind und hatte mit zwölf ihre Eltern verloren. Ihr einziger lebender Verwandter hatte sie bei sich aufgenommen – Onkel Charles, der mit seiner Ehefrau auf einer Luxusjacht in Antigua gelebt und ein Casino betrieben hatte.

Doch diese Ehefrau hatte ihn zehn Monate später verlassen, weil sie seine machohafte Art nicht mehr hatte ertragen können. Sie hatte die jugendliche Zara bei dem trinkenden, spielenden, schmierigen Schürzenjäger zurückgelassen.

Charles hatte Zara dafür verantwortlich gemacht, dass seine Frau ihn verlassen hatte. Für ihren Onkel war sie eine einzige Enttäuschung gewesen, und er hatte sie das spüren lassen. Sie war so einsam und verschreckt gewesen, dass sie zugelassen hatte, dass er auf ihr herumtrampelte. Hatte sich zurückgezogen wie ein armes Aschenputtel.

Sie war nicht in der Lage gewesen, seinen Erwartungen zu entsprechen. Er hatte ihr wieder und wieder zu verstehen gegeben, wie unnütz sie war. Hatte sich geweigert, sie zur Schule zu schicken und nur widerwillig den für die Fernschule nötigen Papierkram erledigt.

Sie hatte ein zurückgezogenes Leben unter Deck geführt. Len, der schottische Koch ihres Onkels, war ihr einziger echter Freund und Vertrauter geworden. Im Laufe der Jahre hatte er ihr alles beigebracht, was er wusste. Doch eines Tages hatte Charles ihn rausgeschmissen und Zara als Vollzeitkraft in der Küche eingesetzt. Damals hatte sie geglaubt, er hätte das aus Boshaftigkeit getan. Doch im Rückblick war ihr klar geworden, dass es eines der vielen Vorzeichen des finanziellen Niederganges war, auf den er sich zubewegte.

Zu dem Zeitpunkt hatte sie längst den Kontakt zu ihren früheren Schulkameraden verloren. Sie war einsam und abgeschnitten von der Welt. Und es gab keine Hoffnung auf Entkommen, ihr Onkel hatte ihren Pass an sich genommen. Und das Geld, was ihre Eltern ihr vermacht hatten, hatte er treuhänderisch verwaltet. Natürlich war nichts mehr davon da, und er machte ihr ständig Vorhaltungen, wie viel es ihn kostete, sie bei sich zu beherbergen.

Onkel Charles war es unangenehm gewesen, dass sie seine unerwarteten, wichtigen Gäste hatte bedienen müssen. Sie war nicht dekorativ genug – nicht dünn genug, nicht perfekt genug. Nicht für den Großinvestor Tomas Gallo und seinen Anwalt Jasper Danforth. Sie war eine nutzlose graue Maus von einer Nichte, die er geerbt und nie gewollt hatte.

Doch für jenes Meeting hatte sie den Kaffee und den Kuchen nicht nur zubereiten, sondern auch auftragen müssen. Als sie den Raum betreten und Tomas Gallo gesehen hatte, wäre ihr fast das Tablett runtergefallen.

Dass sie ein wenig Kaffee verschüttet hatte, schien er nicht bemerkt zu haben. Und er hatte zwei Stücke von ihrem Zitronenkuchen gegessen.

Autor

Natalie Anderson
Natalie Anderson nahm die endgültigen Korrekturen ihres ersten Buches ans Bett gefesselt im Krankenhaus vor. Direkt nach einem Notfall-Kaiserschnitt, bei dem gesunde Zwillinge das Licht der Welt erblickten, brachte ihr ihr Ehemann die E-Mail von ihrem Redakteur. Dem Verleger gefielen ihre früheren Korrekturen und da es gerade einen Mangel an...
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