Was damals war, wird immer sein

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Milliardär Nate Harcourt traut seinen Augen nicht, als er die schöne Gabriella in Madrid wiedersieht: Offenbar ist sie inzwischen Mutter von Zwillingen geworden! Kann es sein, dass ihre eine, unvergessliche Liebesnacht vor zwei Jahren süße Konsequenzen hatte? Ist er etwa der Vater der beiden Kleinen? Er stellt Gabriella, die ihn nach ihrer sinnlichen Begegnung so schamlos hinterging, entschlossen zur Rede. Und erkennt seinen verhängnisvollen Fehler zu spät: Zum zweiten Mal macht ihn ihr femininer Zauber wehrlos vor Verlangen …


  • Erscheinungstag 28.05.2024
  • Bandnummer 2650
  • ISBN / Artikelnummer 9783751524742
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Nate war in der Wohnung seiner Schwester. Alles dort sah aus wie immer, aber es fühlte sich nicht so an. Er hielt ein Glas Wein in der Hand, ohne dass er sich daran erinnern konnte, wie es dahingekommen war. Seine Sicht war verschwommen. Als Hope etwas sagte, konnte er sie nicht verstehen. Alle Geräusche waren gedämpft, als wäre sein Kopf in Watte gehüllt.

Und dann auf einmal hatte er das Gefühl, in Schwärze zu versinken …

„Mr. Harcourt, können Sie mich hören? Mr. Harcourt!“

Jemand schüttelte Nate, und ein heftiger Schmerz durchschnitt ihn.

Seine Schwester schluchzte. Sie flehte. „Bitte helfen Sie ihm! Bitte tun Sie etwas!“

Sein Körper wurde angehoben und auf ein Bett gelegt. Licht schien ihm in die Augen, die er nicht schließen konnte. Er versuchte, die Hand mit der Lampe wegzuschlagen, aber sein Arm wollte sich nicht bewegen.

„Seine linke Pupille ist zu weit.“

Wörter wie „CT“, „Angiogramm“ und „Bluttest“ rauschten an ihm vorbei, während er versuchte, seine Schwester zu sehen.

Er musste in der Hölle sein. Er konnte alles fühlen: jeden Nadelstich, jede Berührung, mit der sie seine Reflexe testeten. Aber sein Körper reagierte nicht.

„Was ist denn nur los?“

Hope klang so verzweifelt, dass es ihn erschreckte. Er kannte diese Furcht vor der kalten Berührung des Todes, der einem die engsten Angehörigen stahl.

Die Monitore gaben schrille, durchdringende Alarmtöne von sich, fanden nach und nach zu unregelmäßigen Pieptönen.

„Alles wird gut, Nate, versprochen. Der beste Arzt wird deine Operation übernehmen!“

Was für eine Operation? Was passierte mit ihm?

„Nate, alles wird gut“, flüsterte ihm Hope ins Ohr. „Versprochen.“

Die Kabinentür des kleinen Privatflugzeugs schloss sich mit einem dumpfen Knall und riss Nate aus einem Albtraum, der keiner war. Albträume waren irrationale Ängste: Furcht vor dem Unbekannten, die sich in vertraute Bilder kleidete. Das eben war aber eine Erinnerung gewesen!

Es war wirklich geschehen, und zwar vor mehr als zwei Jahren, in der Nacht, als er gerade von der Sache mit den Casas zurückgekehrt war. Er hatte Madrid mit Kopfschmerzen verlassen – und war auf dem Küchenfußboden seiner Schwester in London mit einer Hirnblutung zusammengebrochen.

Es war dafür gesorgt worden, dass der Rest der Welt nichts von seinem zerebralen Aneurysma erfuhr. Das war eine Notwendigkeit. Es war von zentraler Bedeutung, nicht nur für ihr Familienunternehmen Harcourt, sondern auch für die drei Firmen, die ihm allein gehörten. Solche Neuigkeiten ließen Börsenkurse ins Unendliche fallen.

Es war schon bizarr, dass die Aufsichtsratsmitglieder – und die Presse – die Ausrede, Nate hätte einen ausgedehnten Selbstfindungstrip nach Goa unternommen, so einfach hinnahmen. Die Wahrheit dagegen hätte die Gewinne einbrechen lassen. So war das in der Geschäftswelt.

Alles war sorgfältig geheim gehalten worden: Die Notoperation in London, der Flug in die Privatklinik in der Schweiz, wo er zuerst auf der Intensivstation gelegen hatte und später lange in der Reha gewesen war.

Nur seine Schwester und sein Großvater wussten, dass er sich damals nicht einfach irgendwo am Strand gesonnt hatte.

Die Operation selbst war fast ein Spaziergang gewesen, verglichen mit den Monaten danach. Auch die beste Privatklinik der Welt konnte ihm die mühsame Rekonvaleszenz nicht ersparen, die Erschöpfungszustände, die Kopfschmerzen, die Beeinträchtigung des Hörvermögens, die Schmerzen in Kiefer und Rücken, die verringerte Reaktionsgeschwindigkeit. Für einen Mann, der früh gelernt hatte, Schwäche als einen Fluch anzusehen, ein Übel, das man ausmerzen musste, bevor es sich negativ auf die Bilanzen und das öffentliche Image auswirkte, war das alles kaum zu ertragen.

Und es war nicht so, als könnte Nate nach der langen Reha einfach alles hinter sich lassen. Er musste auch heute noch auf sich aufpassen, seine Ernährung im Auge halten, seine Fitness, seinen Stresslevel. Er nahm Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel und hatte regelmäßige Nach- und Vorsorgeuntersuchungen, die seinen Terminkalender Monate im Voraus verstopften.

Und sein Großvater weigerte sich noch immer, ihm direkt in die Augen zu sehen.

„Sie sollten darüber nachdenken, Ihre Arbeitsbelastung zu verringern. Und zwar deutlich“, hatte sein Arzt gesagt.

Aber Nate hatte unermüdlich daran gearbeitet, so schnell wie möglich wieder voll einsatzfähig zu sein. Eine deutliche Verringerung seiner Arbeitsbelastung war so ziemlich das Letzte, was er wollte! Nate würde nicht hinnehmen, dass ein einziges traumatisches Erlebnis seinen Alltag von Grund auf änderte.

Er trug sein Haar jetzt etwas länger, um die Narbe an seinem Kopf zu verbergen. Und weil er weniger Appetit hatte – sein Geruchs- und Geschmackssinn waren noch immer beeinträchtigt –, hatte er auffallend an Gewicht verloren. Aber glücklicherweise vertrug sich beides perfekt mit der Geschichte von seiner Auszeit in Goa.

Und die negativen Folgen für sein Reaktionsvermögen und seine Entschlusskraft, den Dingen also, die ihn zu einem erfolgreichen Geschäftsmann machten? Das war einfach nur fürchterlich! Nate kam es manchmal so vor, als müsste er sich durch zähe Flüssigkeit bewegen: Alles war gedämpft, langsamer. Manchmal fielen ihm das Atmen und das Denken schwer.

Er sah es in den Gesichtern seiner Angestellten, seiner Schwester, seines Großvaters. Die Verwirrung, die Zweifel, die Frustration darüber, wie langsam er war … Er war einfach nicht mehr derselbe.

Die Ärzte versicherten ihm, es sei kein Grund zur Beunruhigung. Mit der Zeit würde es besser werden.

Sie verstanden es einfach nicht. Begriffen nicht, wie es war, wenn das ganze Leben plötzlich auf dem Kopf stand.

Seit Nate von dem verdammten Geschäft mit den Casas zurückgekommen war, war sein ganzes Leben aus den Fugen geraten!

„Die Flugzeit bis Madrid beträgt voraussichtlich etwa zwei Stunden, Mr. Harcourt.“

Nate nickte, um der Stewardess zu zeigen, dass er sie gehört hatte. Er schloss die Augen und lehnte seinen Kopf in die Kissen.

„Und wenn es etwas gibt, das ich für Sie tun kann – irgendetwas –, geben Sie jederzeit Bescheid.“ Sie legte die Hand auf seine Schulter. Als er die Augen öffnete, sah er kirschrote Fingernägel auf seinem weißen Hemd. Und als wären ihre Worte nicht deutlich genug, warf sie ihm einen koketten Blick zu.

Vor zwei Jahren hätte Nathaniel Harcourt sie breit angegrinst, ihr Handgelenk umfasst, sie auf seinen Schoß gezogen und ihr gegeben, was sie wollte, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was der Pilot oder der Co-Pilot davon hielten.

Damals war er hoch auf der Welle geritten, das Enfant terrible der britischen Geschäftswelt. Ihm gehörten drei eigene Unternehmen, und er war Finanzvorstand von Harcourt – ein Markenname, der mit Exklusivität und Luxus assoziiert war. Seit Generationen befand sich die Warenhauskette im Besitz seiner Familie, und alle vermuteten, dass er schließlich Geschäftsführer werden würde. Genau dafür hatten sie ihn schon frühzeitig ausgebildet, sein Vater und vor allem sein Großvater.

Um dem Aufsichtsrat zu beweisen, wie fähig er war, hatte Nate damals in Madrid versucht, einen Deal mit einem spanischen Modeunternehmen zu schließen, Casas Textiles. Er war dem Erfolg sehr nahe gewesen.

Bis er Gabriella Casas begegnet war.

Nate schaute auf seinen Schoß, wo sich seine eine Hand zur Faust geballt hatte. Die Flugbegleiterin wartete noch auf seine Antwort. „Danke, ich nehme einen Whisky.“

Sie nahm die Hand von seiner Schulter und verschwand merklich enttäuscht in der Bordküche.

Nate schaute aus dem kleinen runden Fenster auf der rechten Seite. Der Mond ließ die Wolken in überirdischem Glanz erstrahlen.

Gabriella Casas.

Selbst jetzt verriet ihn sein Körper, reagierte auf eine Weise, die sich seiner Kontrolle entzog. Bei dem Gedanken an den Moment, als er sie das erste Mal gesehen hatte, empfand er eine unterschwellige Erregung, die ihm alles andere als willkommen war.

Er hatte damals nicht gewusst, wer sie war. Arrogant, wie er war, hatte er gedacht, es sei nicht wichtig.

Um es einfach auszudrücken, war sie die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Und Nathaniel Harcourt, der sonst niemals den ersten Schritt tat, weil er es nicht nötig hatte, hatte sich nicht bremsen können. Große, haselnussbraune Augen hatten zu ihm aufgeschaut. Es war wie ein Gewittersturm gewesen.

Die letzten zwei Jahre hatte er oft über diese Nacht nachgedacht, sich gefragt, wo er einen Fehler gemacht hatte. Wo ihm Warnsignale entgangen waren. Ob ihn das Aneurysma schon damals irgendwie beeinträchtigt hatte.

„Darf ich Ihnen einen Drink ausgeben?“

„Ich möchte nicht, dass Sie das auf irgendwelche Ideen bringt.“

„Es geht nur um einen Drink.“

Nate konnte immer noch die Hitze ihres Blicks spüren. Sie war von ihm genauso gefesselt gewesen wie umgekehrt. Zumindest hatte es so ausgesehen. Zahllose Frauen hatte er verführt, überall auf der Welt. Trotzdem hatte ihn damals die unschuldige Aura dieser unbekannten Schönheit kalt erwischt.

„Ich möchte mit Ihnen sprechen.“

„Und ich möchte Ihnen zuhören, unbedingt, aber zuerst … zuerst möchte ich … das hier tun.“

Er hatte sich nicht beherrschen können. Ja, er hätte erst fragen sollen, aber das Verlangen zwischen ihnen war so deutlich spürbar, so mächtig, dass er kaum klar denken konnte. Einen Kuss … nur eine flüchtige Berührung ihrer Lippen, das war alles, was er wollte.

Nate hatte nicht geahnt, dass er es nicht ertragen würde, es dabei zu belassen. Schon nach diesem ersten Kuss hatte er sich ein Leben ohne diese Frau nicht mehr vorstellen können.

Es war wie das Paradies auf Erden.

Doch die Vertreibung aus dem Paradies erfolgte nur allzu schnell – und führte Nate direkt in die Hölle.

Am nächsten Morgen öffnete er die Augen und stellte geschockt fest, dass seine wunderbare Geliebte gegangen war. Warum ihm das so zusetzte, wusste er nicht, immerhin hatte er sich selbst häufig genug heimlich aus einem Bett geschlichen. Er setzte sich auf und sah sich um. Jedes verstreute Kleidungsstück weckte die Erinnerung an die sinnliche Berührung, durch die er es verloren hatte.

Er sah eine kleine, glitzernde Handtasche unter dem Nachttisch liegen und griff danach. Ohne zu zögern, öffnete er sie und suchte nach einem Anzeichen auf die Identität der Frau, mit der er gerade die spektakulärste Nacht seines Lebens verbracht hatte.

Kein Telefon, kein Ausweis. Nur ein Zimmerschlüssel. Und eine Kreditkarte: G. Casas.

Einen Moment lang starrte er wie betäubt darauf, während sein Gehirn die unwillkommenen logischen Schlüsse zog. Wutentbrannt schlüpfte er in seine Kleider und veranlasste sofort eine private Ermittlung.

Danach erst entdeckte er das volle Ausmaß des Verrats, den Renata Casas begangen hatte.

Gabriella Casas war ihre Tochter. Ihre Mutter hatte sie geschickt, um ihn zu verführen, wahrscheinlich, weil ihr eigener Versuch, eben das zu tun, jämmerlich gescheitert war. Nate hätte dem rachsüchtigen Funkeln in ihren Augen mehr Aufmerksamkeit zollen sollen, als er Renata Casas hatte wissen lassen, ihre Beziehung würde rein geschäftlich bleiben. Er hatte sie unterschätzt – keinesfalls hätte er damit gerechnet, dass sie ihre eigene Tochter schicken würde, um ihn abzulenken. Und zwar von der Tatsache, dass sie versuchte, ihn zu betrügen, indem sie ihm Anteile an Casas Textiles verkaufte, die in Wirklichkeit nicht ihr gehörten, sondern ihrem Sohn.

Renata und Gabriella gleich am Nachmittag desselben Tags zur Rede zu stellen, hatte sich als Fehler erwiesen. Zumindest war Nate zu diesem Schluss gekommen, nachdem er sich während seiner Reha die Ereignisse der dramatischen vierundzwanzig Stunden in Madrid wieder und wieder ins Gedächtnis gerufen hatte.

„Nehmen Sie meine Tochter gleich mit! Ich möchte sie nie wiedersehen. Sie ist nicht besser als eine Hure!“

Renata Casas’ Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht gewesen, vollkommen unverständlich, nachdem sie doch selbst Gabriella zu ihm geschickt hatte. Gabriella hatte stumm dort gestanden, die Augen flehend und voller Reue. Aber Nate hatte sich davon nicht beeindrucken lassen.

Gelogen. Es war alles nur gelogen.

„Lady, Sie sind verrückt. Aber glauben Sie mir eins: Meine Anwälte werden das alles gründlich dokumentieren, und wenn sie fertig sind …“

Mit dieser Drohung hatte Nate die beiden Frauen verlassen und war direkt nach London zurückgekehrt.

Und dann hatte ein kleines Blutgefäß in seinem Kopf verhindert, dass er mit Casas Textiles abrechnen konnte.

Nate wusste, dass es irrational war, den Vorfällen in Madrid die Schuld an seinem geplatzten Aneurysma zu geben. Aber der Gedanke, dass alles wieder normal sein würde, wenn er mit Casas Textiles erst fertig war, ließ ihn nicht los.

Deshalb flog er jetzt, zwei Jahre später, nach Spanien, um in dem Prozess gegen Renata Casas wegen Betrugs und Unterschlagung als Zeuge auszusagen. Nathaniel Harcourt versprach nie etwas, das er nicht einhielt.

Renata Casas und ihre Tochter würden den Tag noch verfluchen, an dem sie versucht hatten, ihn zum Narren zu halten!

„Geht es dir gut da drin?“, fragte Gabriellas Bruder durch die Badezimmertür.

Javier machte sich Sorgen, weil sie im Prozess gegen ihre Mutter aussagen wollte. Aber das war nicht der Grund, warum Gabi sich auf dem Klo versteckte.

„Ja, nur einen Augenblick“, antwortete sie.

Sie schaute in den Spiegel. Die langen, dunklen Locken, auf die sie früher so stolz gewesen war, waren jetzt zu einem chaotischen Knoten aufgesteckt – keine Frisur, sondern eher eine Form von Schadensbegrenzung. Kleider, auf die sie früher so viel Wert gelegt hatte – Stoff, Farbe, Stil und Muster –, wählte sie jetzt nach dem Grad der Sauberkeit. Trotzdem verunzierte ein Spritzer Tomatensauce ihr loses Top. Ihre Wangen, früher voll und glatt, wirkten jetzt schmaler, und ihre Wangenknochen traten stärker hervor. Zu sagen, sie sähe blass aus, wäre eine Beschönigung.

Sie hatte zu lange auf die Zeitung gestarrt, die sie mit ins Bad genommen hatte. Die Worte verschwammen vor ihren Augen, und das Einzige, was sie noch klar erkennen konnte, waren die Augen des gut aussehenden Manns, mit dem sie vor etwas mehr als zwei Jahren eine spektakuläre Nacht verbracht hatte. Das Foto war in Schwarz-Weiß, aber sie hätte schwören können, dass sie dahinter das tiefe Dunkelbraun seiner Augen sah.

Nathaniel Harcourt.

Sein weizenblondes Haar war jetzt länger. Sie wusste noch, wie es sich unter ihren Fingern angefühlt und wie er auf die Berührung reagiert hatte. Ihr Atem ging schneller, als sie sich an den Rest erinnerte: seine Hände, seinen Mund, sein Verlangen nach ihr. Er hatte Gänsehaut bekommen, als sie ihn gestreichelt und mit heißen Lippen seine Haut berührt hatte.

Als sie daran denken musste, wie sie miteinander gelacht hatten, wie er ihr Zeit gegeben hatte, ihn zu erkunden, stiegen ihr Tränen in die Augen.

Wild pochende Herzen, Seufzen, Zittern und Beben, Keuchen und Stöhnen und …

Nein!

Mit einer Hand wischte sie sich eine Träne von der Wange, mit der anderen Hand zerknüllte sie die Zeitung.

Nein. Monatelang hatte sie unablässig versucht, ihn zu erreichen.

Jeden Tag.

E-Mails. Anrufe. Bekannte. Kontakte in der Modebranche. Irgendwann war Gabi fast davon überzeugt gewesen, es wäre eine Verschwörung. Sie hatte wirklich alles versucht, was ihr einfiel, um Nathaniel zu kontaktieren. In ihrer Verzweiflung war sie sogar in der Filiale von Harcourt in Madrid vorstellig geworden. Am Ende hatten sie sie vom Sicherheitsdienst hinausbegleiten lassen. Eine demütigende Erfahrung, und nicht die einzige in jenen Tagen. Es tat weh, sich so erniedrigen zu müssen.

Und währenddessen hatte Nate Harcourt sich irgendwo in Südasien an einem Strand gesonnt.

Aber jetzt war er hier. In Madrid. Als Zeuge in einem Jahrhundertprozess, wenn man der Presse glauben wollte.

Renata hatte nicht ernstlich geglaubt, Nathaniel Harcourt würde seine Drohung, die Sache vor Gericht zu bringen, wirklich wahrmachen. Aber anscheinend hatte er vor seiner Auszeit tatsächlich noch seine Anwälte darauf angesetzt, ihre Mutter zur Rechenschaft zu ziehen.

Gabi hatte das nicht überrascht. Sie hatte gewusst, was passieren würde, sobald sie ihn kennengelernt hatte – in der schicksalshaften Nacht, die ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte. Und nein, sie bereute es nicht. Nicht eine Sekunde lang.

Damals hatte ihre Mutter sie zu Nate geschickt, um ihn zu verführen. Um ihn davon abzulenken, dass bei dem vereinbarten Deal nicht alles mit rechten Dingen zuging. Für Gabi war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie hatte Nathaniel Harcourts erzählen wollen, dass ihre Mutter gar keine Anteile an Casas Textiles zu verkaufen hatte und er besser die Finger von der Sache ließ.

Aber so fest sie auch vorgehabt hatte, ihm das zu erzählen, er hatte sie so durcheinandergebracht, dass es ihr nicht gelungen war. Mehrfach hatte sie versucht, das Thema anzusprechen, aber es war, als ob sie es nicht sagen konnte und er es nicht hören wollte. Seine Leidenschaft war ihr Untergang. Ihre Unerfahrenheit hatte ihn beflügelt, und am Ende hatte sie nachgegeben. Sie hatte sich eine trügerische Nacht lang der Illusion hingegeben, dass jemand sie sah. Dass jemand sie verstand.

Als er sie dann im Haus ihrer Mutter zur Rede gestellt hatte, nachdem sie aus dem Hotel geflohen war, war der Schmerz in seinen Augen nur die erste von vielen Verwundungen gewesen, die ihr Herz an jenem Tag hatte erdulden müssen.

„Sie haben mir Ihre Tochter wie eine Mata Hari auf den Hals gehetzt, und jetzt wollen Sie von ihr nichts mehr wissen?“

„Warum auch? Sie ist nutzlos, nicht besser als eine Hure.“

Es war ein fürchterlicher Schock gewesen, ihre Mutter so hasserfüllte Worte sagen zu hören. Und Nate hatte sich geweigert, sie zu verteidigen. Ihrer Mutter zu sagen, dass das zwischen ihnen mehr gewesen war als Sex.

Ein Teil von Gabis Herz war an diesem Tag zerbrochen.

„Hey, ist alles in Ordnung?“ Emily sprach im Flüsterton, gerade laut genug, dass es durch die Tür drang. Es war die Sorge in der Stimme ihrer Schwägerin, die zu Gabi durchdrang. Sie befahl sich, sich zusammenzureißen, holte tief Atem und öffnete die Tür zurück ins vertraute Chaos.

„Mamá! Mamá! Mamá!“

Das eilige Getrappel kleiner Füße war Balsam für ihre Seele und ließ ihre Augen feucht werden. Ihre Babys, Ana und Antonio, kamen auf sie zugerannt, die Wangen rosig, beide noch tapsig auf den Beinen.

Sie ging in die Hocke und wartete auf sie, nahm beide in den Arm, ließ ihre Nähe den Schmerz in ihrem Inneren vertreiben. Sie kitzelte Ana unter dem Kinn und zupfte Antonio an den Locken, atmete den süßen Babygeruch ein. Bedauernd ließ sie sie dann wieder los.

„Was für einen Unfug stellt ihr beide gerade an?“, fragte sie.

„Verstehen sie das wirklich? Wenn du auf Englisch mit ihnen sprichst?“, fragte Javier auf Spanisch. Er lehnte am Türrahmen und wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. Er hatte den Abwasch übernommen.

„Natürlich“, sagte Gabi. „Ich spreche seit ihrer Geburt in beiden Sprachen mit ihnen. Das weißt du doch!“

Emily, ihre einjährige Tochter Lily auf dem Arm, lehnte sich an Javier, der ihr den Arm um die Taille legte.

Einen Moment lang kehrte der Schmerz zurück. Ihr Bruder und seine Frau hatten eine echte Familie, die Art von Familie, die sie und ihre Kinder nie haben würden.

„Wir können auch Spanisch sprechen“, sagte Emily. „Mittlerweile kann ich es fließend.“

Gabi lächelte. Sie legte Wert darauf, dass Ana und Antonio bilingual aufwuchsen.

Javier hatte nie darauf bestanden, dass Gabi ihm den Namen des Vaters ihrer Kinder sagte. Aber falls er es tat, würde sie es ihm erzählen.

Denn Javier sorgte für sie, obwohl er das nicht musste. Als Gabi das Haus ihrer Mutter verlassen hatte, hatte sie nichts besessen als die Kleider, die sie auf dem Leib trug. Sie war kein einziges Mal zurückgekehrt; es gab nichts dort, was sie wollte. Ihr Bruder hatte ihr gesagt, sie solle sich keine Sorgen machen. Als erfolgreicher Unternehmer konnte er es sich leisten, sie und ihre Kinder zu unterstützen. Trotzdem wünschte sich Gabi, es gäbe einen Weg, wie sie finanziell unabhängig werden könnte. Aber das Wohl ihrer Kinder stand an erster Stelle, und ihre berufliche Zukunft war nachrangig.

Traurig machte es sie dennoch manchmal.

Die letzten zwei Jahre waren hart gewesen. Kurz nachdem sie ausgezogen war, hatte sie herausgefunden, dass sie schwanger war. Und hatte dann feststellen müssen, dass der Vater ihrer Kinder partout nichts mit ihr zu tun haben wollte, dass ihre Freunde andere Dinge im Kopf hatten – Reisen und Partys und aufregende Events – und dass all ihre Träume, Designerin zu werden, zu Staub zerfielen.

Aber ganz gleich, wie hart es gewesen war, die Träume von einer erfolgreichen Zukunft als Designerin aufgeben zu müssen, in dem Moment, als sie ihre beiden Babys das erste Mal im Arm gehalten hatte, hatte Gabi gewusst, dass die beiden das wert waren. Sie würde ihre Kinder beschützen und ihr Leben für sie geben. Sie würde sie so sehr lieben, dass sie sich nie nach einem Vater sehnen mussten. Ana und Antonio würden nicht so aufwachsen wie sie. Glanz gleich, was sie opfern musste, um das zu verhindern.

„Sorgst du dich wegen des Prozesses?“, fragte Javier. Seine Stirn lag in Sorgenfalten. „Du musst nicht aussagen, weißt du. Sie haben genug Beweise, und selbst, wenn nicht …“

„Nein, schon gut“, sagte Gabi, erhob sich und sah ihren Kindern hinterher, die zurück ins Wohnzimmer liefen. „Es ist die richtige Entscheidung.“ Und das war es auch. Sie scheute sich nicht länger, die Wahrheit über ihre Mutter zu sagen. „Es tut mir nur leid, dass wir alle extra deshalb aus Frigiliana herkommen mussten.“

Emily winkte ab. „Ich wollte schon ewig wieder in die Stadt.“

Gabi lächelte. Emily und sie standen sich so nahe wie Schwestern. Trotzdem hatte Gabi auch ihr nichts von Nathaniel Harcourt erzählt. Deshalb konnte sie auch nicht erklären, warum sie so nervös war.

Nathaniel Harcourt sollte als Zeuge aussagen. Der Staatsanwalt hatte ihr versichert, sie würden sich nicht begegnen. Aber Gabi war sich nicht so sicher. Sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass dieser Tag ein Tag der Enthüllungen sein würde. Ein Tag der Abrechnung.

2. KAPITEL

Nate schaute zum Gesichtsgebäude hoch, während er auf den Eingang zuging. Oben auf dem Treppenabsatz blieb er stehen, holte tief Atem, knöpfte sein Jackett zu und glättete seine Krawatte. Er war bereit, es endlich hinter sich zu bringen. Sobald er gegen Renata Casas ausgesagt hatte, würde er seine restlichen Anteile an Casas Textiles verkaufen und abreisen.

Sie waren inzwischen kaum noch etwas wert, dank des Skandals, der mit Renatas Verhaftung und dem Prozess einhergegangen war. Aber das war Nate gleichgültig.

Er betrat das Gebäude, meldete sich beim Pförtner und wartete dann auf den Rechtsanwaltsgehilfen. Es gefiel ihm nicht, wie angespannt er war. Vor seinem Aneurysma hätte ihn so eine Situation beflügelt, er hätte sich die Energie zunutze gemacht. Jetzt konnte solcher Stress schädlich für ihn sein.

Er verbannte den Gedanken in den Hintergrund. Er hatte sich erholt. Wäre das nicht so, wäre er vor sechs Monaten nicht wieder ins Berufsleben zurückgekehrt.

„Mr. Harcourt?“

Nate drehte sich um und sah sich einem Mann im Anzug mit Brille gegenüber. „Señor Torres?“

Der Mann lächelte. „. Wie nett, Sie endlich kennenzulernen“, sagte er auf Englisch und erklärte ihm dann, was er vor Gericht zu erwarten hatte. „Der Richter wird Sie bitten, wahrheitsgemäß zu berichten, was geschehen ist. Der Anwalt der Gegenseite wird natürlich versuchen, es anders darzustellen. Aber dank all der übereinstimmenden Zeugenaussagen …“ Torres zuckte die Schultern, was wohl andeuten sollte, dass es Renatas Anwälten so gut wie unmöglich sein würde, das Ruder herumzureißen.

Nate hörte ihm zu und ließ dabei den Blick durch das Foyer schweifen.

„Suchen Sie nach jemandem?“, fragte Torres.

Autor

Pippa Roscoe

Pippa Roscoe lebt mit ihrer Familie in Norfolk. Jeden Tag nimmt sie sich vor, heute endlich ihren Computer zu verlassen, um einen langen Spaziergang durch die Natur zu unternehmen. Solange sie zurückdenken kann, hat sie von attraktiven Helden und unschuldigen Heldinnen geträumt. Was natürlich ganz allein die Schuld ihrer Mutter...

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