Whiskey Bay Brides - Drei Freunde finden die große Liebe (3-teilige Serie)

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DU BIST MEINE GRÖßTE VERSUCHUNG
Juliet schäumt vor Wut: Was fällt Caleb Watford ein? Auf keinen Fall wird sie ihr kleines Fischrestaurant an den millionenschweren Gaststättenbetreiber verkaufen! Doch leider ist Caleb auch ihr unvergessener Jugendschwarm. Und das nutzt er frech aus …

LEIDENSCHAFT AN BORD!
In Tashas erotischen Träumen spielt Matt die Hauptrolle. Aber er scheint in ihr nur die Mechanikerin seines Luxus-Bootsverleihs zu sehen. Bis sie herausfinden müssen, wer hinter der Sabotage seiner Jachten steckt. Mit jeder Seemeile knistert es heißer zwischen ihnen …

IM BANN HEIMLICHER LEIDENSCHAFT
„Heirate mich!“ Als TJ dem einstigen Mauerblümchen Sage einen Antrag macht, zählt für ihn nur sein Sohn, den sie ihm so lange verschwiegen hat. Doch dann stellt der verwitwete Millionär fest, dass eine aufregende Frau aus Sage geworden ist …


  • Erscheinungstag 13.05.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506946
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Barbara Dunlop

Whiskey Bay Brides - Drei Freunde finden die große Liebe (3-teilige Serie)

IMPRESSUM

Du bist meine größte Versuchung erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2017 by Barbara Dunlop
Originaltitel: „From Temptation to Twins“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARA, Band 394
Übersetzung: Julia Königs

Umschlagsmotive: Volodymyr TVERDOKHLIB / Shutterstock

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2021

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751506854

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Ärger in Sicht

Der Mann füllte den Türrahmen des heruntergekommenen Whiskey Bay Crab Shack beinahe völlig aus. Breitbeinig stand er da, die Schultern gestrafft und das Kinn herausfordernd gehoben.

„Soll das etwa ein Witz sein?“, fragte er.

Jules Parker erkannte ihn sofort. Sie hatte damit gerechnet, dass sie sich über den Weg laufen würden, aber diese offene Feindseligkeit hatte sie nicht erwartet – interessant. Sie hüpfte von dem staubigen, alten Tresen herunter, auf dem sie gekniet hatte, und zog die ledernen Arbeitshandschuhe aus.

„Ich weiß nicht, Caleb“, antwortete sie und schlenderte auf ihn zu, während sie die Handschuhe in die Gesäßtasche ihrer verblichenen Jeans steckte. „Findest du es lustig, Regale abzubauen?“

Er sah sie irritiert an. „Du bist Juliet Parker?“

„Hast du mich etwa nicht erkannt?“

Er bewegte die flache Hand auf und ab, als wolle er damit den Abstand vom Boden abschätzen. „Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du …“

„Fünfzehn.“

„Kleiner. Und du hattest Sommersprossen.“

Bei diesem Kommentar konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Okay.“

Das war nun neun Jahre her. Hatte er etwa gedacht, sie hätte sich gar nicht verändert?

Er sah sie finster an. „Was soll das hier?“

Sie wies mit dem Daumen hinter sich. „Wie schon gesagt, ich baue die Regale hinter der Bar ab.“

„Ich meine, was du hier machst.“

„In Whiskey Bay?“ Sie und ihre jüngere Schwester Melissa waren gestern angekommen, nachdem sie ihre Rückkehr ein Jahr lang geplant hatten.

„Im Crab Shack.“

„Das Crab Shack gehört mir.“ Zumindest zur Hälfte. Die andere Hälfte gehörte Melissa.

Er zog ein Blatt Papier aus der Hosentasche und wedelte damit vor ihrem Gesicht herum. „Du hast die Gewerbeerlaubnis verlängern lassen.“

„Jap.“ Das schien ihn zu verärgern; sie war sich nur nicht sicher, warum.

„Und du hast die Wettbewerbsklausel verlängern lassen.“

„Jap“, sagte sie erneut. Die Wettbewerbsklausel war Teil der ursprünglichen Zulassung gewesen. Und da die komplette Zulassung verlängert worden war …

Er machte einen Schritt auf sie zu; beinahe bedrohlich überragte er sie, und ihr fiel wieder ein, warum sie als Teenager in ihn verknallt gewesen war. Schon damals war er ganz Mann, und das war er auch jetzt noch – heiß, sexy und unglaublich gut aussehend.

„Was willst du?“, fragte er leise.

Sie wusste nicht, worauf er hinauswollte, aber das hieß noch lange nicht, dass sie einen Rückzieher machen würde. Sie straffte die Schultern. „Was meinst du damit?“

„Willst du etwa die Ahnungslose spielen?“

„Ich spiele überhaupt nichts. Was willst du, Caleb? Ich habe noch jede Menge zu tun.“

Einen Moment lang starrte er sie bloß wütend an. „Bist du auf Geld aus? Ist es das? Willst du, dass ich dich auszahle?“

Sie versuchte es mit einer kurzen Erklärung. „Das Crab Shack steht nicht zum Verkauf. Es wird wiedereröffnet.“

Das Whiskey Bay Crab Shack war das Vermächtnis ihres Großvaters. Melissa und sie hatten schon immer davon geträumt, es zu neuem Leben zu erwecken, und als ihr geliebter Grandpa im Sterben lag, hatte sie ihm versprochen, diesen Traum wahr werden zu lassen. Ihrem Vater war die Vorstellung zuwider, dass die Familie nach Whiskey Bay zurückkehrte, doch daran verschwendete Jules heute keinen einzigen Gedanken.

Caleb sah sich im Raum um und schien ein vernichtendes Urteil zu fällen. „Wir wissen doch beide, dass es nie dazu kommen wird.“

„Ach ja?“

„Du gehst mir langsam auf die Nerven, Juliet.“

„Jules. Und du gehst mir auch langsam auf die Nerven.“

Verärgert hob er die Stimme. „Du willst mir also wirklich weismachen, dass es nicht darum geht?“

Sie schaute aus dem Fenster in die Richtung, in die er zeigte.

„Worum?“, fragte sie verwirrt.

„Darum.“ Er ging hinaus auf die Veranda.

Neugierig folgte sie ihm und erblickte den Jachthafen von Whiskey Bay. Er sah fast genauso aus wie früher, auch wenn die Boote mittlerweile hochkarätiger waren. Der Pier war von schnittigen, modernen Jachten gesäumt. Jenseits des Hafens, wo bisher unberührtes Land gelegen hatte, standen zwei Sattelschlepper, ein Frontlader, ein Bulldozer und einige Pick-ups.

Was auch immer dort gebaut wurde, würde wahrscheinlich nicht so hübsch aussehen wie die unbebaute Küste, aber es war weit genug entfernt, um ihre Gäste nicht weiter zu stören, wenn das Restaurant wieder öffnete. Südlich des Crab Shack lag wilde Natur: Die unverkennbaren, himmelhohen Felsen von Whiskey Bay waren von Riesenlebensbäumen und Büschen von Shallon-Scheinbeeren bedeckt. Auf den Felsen und dem Geröll konnte niemand bauen. Sie würde einfach darauf achten, dass die Gäste später eine Aussicht Richtung Süden hatten.

„Das dürfte uns nicht allzu sehr stören“, sagte sie.

Das brachte Caleb anscheinend völlig aus der Fassung, doch Jules hatte keine Gelegenheit, näher darauf einzugehen. Draußen fuhr gerade Melissa in ihrem kleinen Pick-up vor.

„Hallo“, rief sie fröhlich und stieg mit mehreren Tüten vom Baumarkt auf dem Arm und einem breiten Lächeln im Gesicht aus dem Wagen.

„Erinnerst du dich noch an Caleb Watford?“, fragte Jules.

„Nicht so richtig.“ Melissa stellte die Tüten auf der Veranda ab und streckte die Hand aus. „Aber ich erinnere mich daran, dass die Parkers die Watfords hassen.“

Der unverblümte Kommentar ihrer Schwester brachte Jules zum Lachen. Caleb konnte das wohl kaum überraschen. Alle wussten von der Fehde zwischen ihren Familien. Sie war wahrscheinlich sogar der Grund, warum Caleb sich so unmöglich aufführte. Er wollte nicht, dass die Parkers nach Whiskey Bay zurückkehrten. Tja, da hatte er wohl Pech gehabt.

Caleb reichte Melissa die Hand. „Entweder seid ihr die besten Schauspielerinnen der Welt …“

Melissa sah verwirrt zu Jules.

„Schau mich nicht so an“, sagte Jules. „Ich habe keinen blassen Schimmer, wovon er da redet. Aber er ist wegen irgendetwas wütend.“

„Siehst du das?“ Caleb zeigte wieder zu der Ansammlung von Baustellenfahrzeugen.

Melissa schirmte die Augen mit der flachen Hand ab. „Sieht aus wie ein Bulldozer.“

„Das ist mein Bulldozer.“

„Herzlichen Glückwunsch …?“, sagte Melissa zögerlich und sichtlich verwirrt.

„Habt ihr irgendeine Ahnung, was ich beruflich mache?“

„Nein“, antwortete Jules.

„Bist du Bulldozer-Fahrer?“, fragte Melissa.

„Ist das dein Ernst?“, fragte Jules ihre Schwester. Sie konnte sich Caleb beim besten Willen nicht auf einem Bulldozer vorstellen. „Die Watfords sind stinkreich.“

„Er könnte doch trotzdem Bulldozer fahren“, sagte Melissa. „Vielleicht macht es ihm Spaß.“

„Reiche Leute fahren keine Bulldozer.“

„Hast du je ‚Construction Vacation‘ gesehen?“, fragte Melissa.

„Die Fernsehshow?“

„Ja. Da gibt’s ganz unterschiedliche Typen – arm, reich, einfach alles. Sie bewerben sich und dürfen dann mit den ganzen großen Maschinen rumspielen. Die haben Spaß daran. Gibt’s wirklich, kein Witz.“

„Okay, vielleicht so zum Spaß …“

„Aufhören!“ Caleb brüllte fast.

Melissa wich erschrocken vor ihm zurück.

„So führt er sich schon die ganze Zeit auf“, sagte Jules.

„Wie ein Bär mit einem Niednagel.“

„Das ergibt keinen Sinn. Bären haben Krallen.“

Caleb sah von Jules zu Melissa und wieder zurück. Er lief allmählich rot an. Es wäre wahrscheinlich am besten, ihn endlich sagen zu lassen, was er zu sagen hatte.

„Ich bin Eigentümer und Manager der Fisch- und Meeresfrüchterestaurantkette Neo. Das …“, er wies energisch in Richtung Bulldozer, „… soll der nächste Standort werden.“

Beide Frauen sahen die Küste entlang, und Jules verstand endlich, warum Caleb so aufgebracht war.

„Oh“, sagte Melissa. „Und jetzt kannst du nicht mehr bauen wegen der Wettbewerbsklausel in unserer Zulassung.“

„Die sollte eigentlich Mittwoch auslaufen“, sagte er.

„Ja, das hab ich gesehen, als wir sie erneuert haben.“

„Darum geht es also“, sagte Jules. „Ich kann verstehen, dass du enttäuscht bist.“

„Enttäuscht?“ Caleb fing das Bier auf, das Matt Emerson ihm von der Bar auf der anderen Seite der Terrasse aus zuwarf. „Ich habe schon eine Million in das Projekt investiert, und sie denkt, ich sei enttäuscht?“

„Bist du das etwa nicht?“, fragte TJ Bauer ruhig, während er die eigene Bierflasche öffnete.

Die drei Männer saßen auf der Dachterrasse des Bürogebäudes am Jachthafen von Whiskey Bay. Am sternenklaren Himmel stieg ein Viertelmond auf, und die Lichter des Piers spiegelten sich im Wasser zwischen den weißen Jachten wider.

Caleb warf TJ einen bösen Blick zu.

„Glaubst du, das hat etwas mit deinem Vater zu tun?“, fragte Matt.

„Oder mit deinem Großvater?“, fügte TJ hinzu und lehnte sich an das Geländer. „Vielleicht ist das ihre Rache.“

Caleb fiel es schwer zu glauben, dass Jules zu solch einem ruchlosen Racheplan fähig war. „Willst du etwa andeuten, sie hätte herausgefunden, dass ich hier eins meiner Restaurants eröffnen will? Und dann bis zum letztmöglichen Moment – nämlich dem vierzigjähren Jubiläum der Zulassung ihres Großvaters – damit gewartet, ebendiese Zulassung samt der Klausel, die es mir verbietet, ein konkurrierendes Restaurant zu eröffnen, zu verlängern? In der Hoffnung, mein Projekt zum Scheitern zu verurteilen, nachdem ich gerade eine Menge Geld hineingesteckt hatte? Und das alles als Vergeltung für die Taten meines Vaters und Großvaters?!“

„Falls ja, ist sie echt ein hinterhältiges Genie“, sagte TJ.

„Deine Vorfahren waren echt nicht nett zu ihren Vorfahren“, sagte Matt.

Dem konnte Caleb nicht widersprechen. Sein Großvater hatte Felix Parker die Frau ausgespannt, und sein Vater hatte Roland Parkers einzige Chance auf eine Collegeausbildung zunichte gemacht.

Caleb war auf keinen der beiden sonderlich stolz. „Ich habe den Parkers nie etwas getan.“

„Hast du das Jules gesagt?“, fragte Matt.

„Sie bleibt bei ihrer Geschichte – angeblich hatte sie keine Ahnung, dass ich ein Restaurant eröffnen will.“

„Vielleicht ist das ja wahr“, sagte TJ. „Weißt du, jetzt wäre vielleicht kein schlechter Zeitpunkt, dich nach Investoren umzusehen.“

„Es ist ein absolut ungünstiger Zeitpunkt, mich nach Investoren umzusehen.“ Diesen Vorschlag hörte Caleb von TJ nicht zum ersten Mal.

„Nur ein Anruf bei meinen Klienten, Caleb, und schon könnten aus siebzehn Neo-Restaurants in den USA vierzig auf der ganzen Welt werden. Der Verlust einer mickrigen Million wäre absolut unerheblich.“

„Lies es mir von den Lippen ab: Ich habe kein Interesse.“

TJ zuckte mit den Schultern. „Einen Versuch war’s wert.“

„Dann lass es drauf ankommen“, sagte Matt, überquerte die Terrasse und ließ sich auf einen der gepolsterten Stühle fallen, die rund um die gasbetriebene Feuergrube standen.

„Worauf denn?“, fragte Caleb. „Sie hat die Wettbewerbsklausel schon verlängern lassen.“

„Tu so, als würdest du ihr glauben, dass sie nur ihre eigenen Geschäftsinteressen verfolgt und sich nicht an deiner Familie rächen will. Vielleicht lässt sie sich ja zu einem friedlichen Miteinander überreden.“

TJ setzte sich ebenfalls. „Das ist keine schlechte Idee. Erklär ihr einfach, dass das Neo und das Crab Shack gleichzeitig erfolgreich sein können. Wenn sie wirklich nicht auf Rache aus ist, sollte sie zumindest bereit sein, mit dir darüber zu reden.“

„Die Restaurants sprechen ganz unterschiedliche Klientelen an.“ Nun nahm auch Caleb auf einem der Stühle Platz. An der Strategie könnte was dran sein. „Und bei den wenigen Überschneidungen könnten wir vom jeweils anderen profitieren.“

„Gegenseitige Werbung“, sagte TJ.

„Ich könnte gut ein paar Kunden zu ihr schicken.“

„Das solltest du vielleicht ein bisschen weniger arrogant formulieren“, sagte Matt. „Frauen stehen da nicht so drauf, glaube ich.“

„Bist nicht eigentlich du der Frauenexperte?“, fragte TJ mit einem Blick zu Caleb hinüber.

„Jules ist keine Frau“, sagte Caleb. Doch noch während er sprach, musste er an ihre glänzenden blauen Augen denken, an ihr lockiges blondes Haar und ihre vollen roten Lippen. Jules war ganz Frau, und das machte die Sache nur noch komplizierter. „Ich meine, sie ist keine typische Frau. Nicht, dass sie nicht gut aussehen würde, das tut sie. Das sieht selbst ein Blinder. Aber darum geht es nicht. Ich will schließlich nicht mit ihr ausgehen, sondern mit ihr Geschäfte machen.“

„Oh-oh“, sagte Matt zu TJ.

„Das bedeutet Ärger“, sagte TJ zu Matt.

„So ist das nicht“, sagte Caleb. „Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie fünfzehn.“

TJ grinste. „Und das sagst du uns, weil …?“

„Sie war noch ein Kind. Und jetzt ist sie mir ein Dorn im Auge. Das hat wirklich nichts mit unserer Unterhaltung letztens zu tun. Ihr wisst schon, darüber, dass ihr zwei euch wieder auf die Suche macht. Wie läuft das eigentlich bisher?“

Die beiden grinsten ihn breit an. „Glaubst du echt, du könntest uns so leicht ablenken?“

„Wart ihr mittlerweile mal aus?“, fragte Caleb. „Ich hatte nämlich erst letztes Wochenende ein Date.“

Matt hatte gerade eine harte Scheidung hinter sich, und TJs Frau war vor mittlerweile etwas mehr als zwei Jahren verstorben. Beide hatten sich vorgenommen, ein Jahr lang das gleiche Junggesellenleben zu führen wie Caleb. Und Caleb hatte sich dazu verpflichtet, ihnen zu helfen.

„Hey, Matt?“, rief eine weibliche Stimme vom Pier.

„Apropos Frauen …“, sagte TJ mit hörbarem Interesse.

„Apropos keine Frauen“, murmelte Matt und stand auf.

„Wer ist das?“, fragte TJ und beugte sich über das Geländer.

„Meine Mechanikerin“, antwortete Matt und rief: „Hi, Tasha. Was gibt’s?“

„MKs Zusatzmotor macht komische Geräusche. Schaffe ich es noch, ihn auseinanderzunehmen?“

Durch die Stäbe des Geländers hindurch sah Caleb eine schlanke Frau in T-Shirt, Cargohose und ledernen Arbeitsschuhen. Aus ihrer abgetragenen Baseball-Kappe lugte hinten ein Pferdeschwanz hervor.

„Ab Sonntag sind wir ausgebucht.“

„Dann habe ich morgen den ganzen Tag Zeit“, rief Tasha zurück. „Perfekt. Ich sorge dafür, dass sie rechtzeitig fertig ist.“

„Danke, Tasha.“

„Das ist deine Mechanikerin?“, fragte TJ, während er der jungen Frau hinterherschaute.

„Willst du jetzt etwa mit meiner Mechanikerin ausgehen?“

„Sie ist echt süß.“

Matt lachte. „Sie ist echt taff. Vielleicht suchst du dir für den Anfang besser eine andere.“

„Heißt das, du willst sie haben?“

„Ach was, tu dir keinen Zwang an. Sie verspeist dich wahrscheinlich zum Frühstück.“

Caleb konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. „Wollen wir morgen in der Stadt in einen Club gehen?“

Whiskey Bay war keine zwei Stunden von Olympia und dem dazugehörigen Nachtleben entfernt, und es klang ganz so, als könnten TJ und Matt einen kleinen Schubs in die Dating-Welt vertragen. Caleb würde seine Probleme nur zu gern einen Abend lang vergessen.

„Bin dabei“, sagte Matt.

„Klingt gut“, sagte TJ.

Caleb trank sein Bier aus. „Dann gehe ich mal nach Hause und fange an zu planen.“ Er erhob sich. „Mir gefällt eure Idee, Jules auf die Probe zu stellen. Das mache ich gleich morgen früh.“

„Viel Glück“, rief Matt ihm hinterher.

Caleb ging die Treppe hinunter zum Pier und machte sich auf den Heimweg, die Lichter des Hafens im Rücken.

Whiskey Bay wurde von einer atemberaubenden Steilküste beherrscht. Nur ein kleiner Teil des Ortes befand sich auf Höhe des Meeresspiegels: etwa ein halber Hektar in der Nähe des Hafens und der Landstreifen von ähnlicher Größe, auf dem Caleb das Neo bauen wollte. Das Crab Shack lag auf einer steinigen Landzunge südlich des Hafens. Es hatte geschlossen, als Felix Parker zu alt geworden war, es zu betreiben. Das war nun über zehn Jahre her.

Oben an der Steilküste standen vier Häuser; Matts Villa lag genau über dem Hafen und TJs ein paar Hundert Meter weiter südlich. Knapp dahinter folgte das kleine, alte Haus der Parkers, während Calebs Villa das Schlusslicht der Häuserreihe bildete.

Auf halber Höhe der Felsen befand sich ein Pfad, der die vier Häuser miteinander verband. Caleb, Matt und TJ hatten vor ein paar Jahren solarbetriebene Laternen aufgestellt, sodass man den Weg auch nachts problemlos nutzen konnte. Caleb war schon Tausende Male am Haus der Parkers vorbeigekommen. Aber in den letzten fünf Jahren, die Felix Parker in einem Pflegeheim verbracht hatte, hatte dort nie Licht gebrannt.

Anders als heute. Caleb konnte es selbst von Weitem sehen, zwischen den Zweigen der Lebensbäume hindurch. Als er näher kam, wurde der Blick auf die Veranda frei, und er erinnerte sich plötzlich an Jules als Teenager. Es musste im letzten Sommer gewesen sein, in dem sie ihren Großvater besucht hatte. In abgeschnittenen Shorts, einem gestreiften Top und die Haare zu einem losen Knoten zusammengebunden, hatte sie auf der Veranda getanzt, als wäre sie ganz allein auf der Welt.

Selbst aus der Ferne hatte er ihre Sommersprossen sehen können. Deswegen hatte er sich daran erinnert. Das Sonnenlicht hatte auf ihren blonden Haaren und ihrer hellen Haut geschimmert, und sie war viel zu schön gewesen – und viel zu jung. Damals fühlte er sich schon schuldig, sie überhaupt angesehen zu haben. Er war einundzwanzig gewesen und gerade dabei, in San Francisco das erste Neo-Restaurant aufzubauen.

„Spionierst du uns etwa aus?“ Plötzlich tauchte Jules vor ihm auf dem Pfad auf.

„Bin auf dem Heimweg“, antwortete er und versuchte, schnellstmöglich in die Gegenwart zurückzufinden.

Sie trug keine abgeschnittenen Shorts und auch kein eng anliegendes, gestreiftes Top. Gott sei Dank. Auch wenn ihre Jeans und das bauchfreie, weiße T-Shirt nicht gerade förderlich für seine geistige Gesundheit waren. Sie waren sogar schlimmer, denn mittlerweile war sie erwachsen.

„Du stehst da wie eine Salzsäule“, merkte sie an.

Er antwortete mit einer Halbwahrheit: „Es ist ungewohnt, dass bei euch Licht brennt.“

Sie schaute hoch zur Veranda. „Ist echt schon eine Weile her.“

„Eine ganz schön lange Weile.“

„Wusstest du, dass deine Familie uns Blumen geschickt hat?“, fragte sie. „Als mein Großvater gestorben ist.“

„Die waren von mir.“ Caleb hatte es arrangiert.

„Das hat meinen Vater echt auf die Palme gebracht, das kann ich dir sagen.“

Ihn durchfuhr ein Stich des Bedauerns. „Darüber habe ich nicht nachgedacht.“

Sie drehte sich wieder zu ihm um. „Sie waren also wirklich von dir?“

„War das ein Test?“

„Ich war nur neugierig. Es erschien mir unwahrscheinlich, dass dein Vater Blumen schickt.“

„Verständlich.“ Sein Vater war einmal wegen einer Auseinandersetzung mit Jules’ Vater Roland verhaftet worden. Caleb hatte nie die ganze Geschichte erfahren, aber sein Vater hatte sich oft in Tiraden ergangen, dass die Behörden überreagiert hätten und es Felix Parkers Schuld gewesen sei, dass es überhaupt so weit gekommen war.

„Er hätte höchstens eine Blaskapelle geschickt“, überlegte Jules.

„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.“

„Das sollte ein Witz sein.“

„Ach so. Es erschien mir einfach ein wenig …“

„Unangemessen? Anzuerkennen, dass dein Vater meinem Großvater wahrscheinlich den Tod gewünscht hat?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wir können gern so tun, als wäre es anders gewesen, wenn du willst.“

„Ich meine, überhaupt Witze über den Tod deines Großvaters zu machen.“

„Er war neunzig. Das würde ihn nicht stören. Ich glaube, es würde ihm sogar gefallen. Du bist immer noch wütend auf mich, oder?“ Sie neigte den Kopf.

Verdammt noch mal, ja, natürlich war er noch wütend auf sie. Aber er fühlte sich auch unwiderstehlich von ihr angezogen. Im schummerigen Licht der Laternen fiel es ihm ziemlich schwer, ein so negatives Gefühl wie Wut heraufzubeschwören.

„Wir können so tun, als wäre ich es nicht“, sagte er.

Sie lächelte. „Du hast also doch einen Sinn für Humor.“

Er erwiderte ihr Lächeln nicht. Das war kein Scherz gewesen. Er war wirklich bereit, so zu tun, als wäre er nicht wütend auf sie.

Plötzlich trat sie einen Schritt näher. „Ich war früher total in dich verknallt.“

Ihm stockte der Atem.

„Ich habe keine Ahnung, wieso“, fuhr sie fort. „Ich kannte dich ja kaum. Aber du warst älter, und es war Sommer, und ich war fast sechzehn. Wahrscheinlich hat es auch nicht geschadet, dass unsere Familien zerstritten waren. Was könnte das Herz eines jungen Mädchens schon heftiger zum Schlagen bringen als die Montagues und die Capulets oder die Jets und die Sharks? Das ist schon irgendwie lustig, jetzt, wo du …“ Sie runzelte die Stirn. „Caleb?“

Er konnte sie nicht küssen. Er konnte nicht. Er konnte …

„Caleb?“

Das konnte sie unmöglich nur zufällig tun. Sie musste doch wissen, was sie mit ihm anstellte, mit jedem sterblichen Mann anstellen konnte. Sie war wirklich ein hinterhältiges Genie.

„Du weißt genau, was du da tust, oder?“, brachte er verärgert hervor.

Sie sah ihn verwundert an. „Was tue ich denn?“

Die Frau hatte wirklich einen Oscar verdient.

„Du bringst mich aus der Fassung“, sagte er. „Tanzt auf der Veranda herum, enge Hose, enges Oberteil …“

„Was? Ich habe nirgends getanzt.“

„Du bist vierundzwanzig.“

„Das ist mir bewusst.“

„Und jetzt bist du hier im Wald, ganz allein, und sagst einem erwachsenen Mann, dass du mal in ihn verknallt warst.“

Immer noch stirnrunzelnd, trat sie einen Schritt zurück. „Ich dachte, das wäre eine süße Geschichte.“

„Süß?“, fragte er mit erstickter Stimme.

„Na schön, und ein wenig peinlich. Ich wollte offen und ehrlich sein. Ich wollte, dass du mich magst.“

Er schloss die Augen. Das durfte er nicht glauben. Er durfte nicht zulassen, dass sie ihm unter die Haut ging. Er wusste nicht, was er tun sollte, was er mit ihr tun sollte, wusste nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte. „Ich werde dich nie mögen.“

„Aber …“

„Du solltest jetzt besser gehen.“

„Gehen?“ Sie klang verletzt.

„Wir sind einfach nicht auf derselben Wellenlänge.“

Sie antwortete nicht. Um ihn herum wurde der Wald still.

Er öffnete die Augen; sie war gegangen. Er seufzte vor Erleichterung, doch aus der Erleichterung wurde Bedauern, als er an sich zu zweifeln begann. Normalerweise wusste er die Signale von Frauen zu deuten und erkannte den Unterschied zwischen einem Flirt und einer harmlosen Unterhaltung. Jules bildete da wohl die Ausnahme.

„Du hast ihm erzählt, dass du mal in ihn verknallt warst?“, fragte Melissa am nächsten Tag vom unteren Ende der Leiter aus.

Jules hängte das nächste der Bilder von Fünfzigerjahre-Filmstars ab, mit denen die Wände des Restaurants dekoriert waren. „Ich wollte doch nur … Ich weiß auch nicht.“ Sie bereute ihre Worte jetzt schon seit mehreren Stunden.

„Und dir ist nicht in den Sinn gekommen, dass er das als Flirtversuch interpretieren könnte?“

Jules reichte Melissa das Porträt von Grace Kelly und griff nach Elizabeth Taylor. „Ich wollte doch gar nicht mit ihm flirten.“

„Aber das hast du.“

„Das ist mir mittlerweile auch aufgefallen.“

„Was hast du dir nur dabei gedacht?“

„Ich dachte, es wäre eine nette Geschichte. Ich wollte ehrlich zu ihm sein, ihm eine leicht peinliche Geschichte erzählen. Ich dachte, dadurch würde ich menschlicher wirken.“

„Er dürfte auch so wissen, dass du ein Mensch bist.“

„Letztendlich war es einfach nur demütigend.“ Jules reichte Melissa das Bild von Elizabeth Taylor.

„Dann hast du doch wenigstens etwas daraus gelernt.“ Melissa brachte die Bilder zu dem Karton, der auf der Bar stand.

„Ja, und zwar, dass er absolut kein Interesse daran hat, mit mir zu flirten.“

„Ich dachte da eher an zwischenmenschliche Beziehungen im Allgemeinen, das richtige Timing und welche Kommentare in welcher Situation als angemessen gelten.“

Jules stieg von der Leiter und schob sie ein Stück zur Seite, damit sie die nächsten drei Porträts abhängen konnte. „Ach so. Nein, das wohl eher nicht.“

Melissa grinste. „Erzähl mir mehr von deiner Schwärmerei. Ich wünschte, das hättest du damals schon getan.“

„Da warst du noch zu jung.“

„Es wäre trotzdem aufregend gewesen.“

Das war es für Jules auf jeden Fall gewesen. „Das war, als ich fünfzehn war. Er war älter, musste sich schon rasieren und wohnte in einer Villa auf den Felsen. Ich war in der Neunten und hatte gerade englische Literatur durchgenommen. Shakespeare und die Brontë-Schwestern haben meine Fantasie ziemlich beflügelt.“

„Ich kann mich gar nicht an ihn erinnern.“

„Du warst ja auch erst zwölf.“

„Am besten erinnere ich mich an Grandmas heiße Schokolade. Es war immer schön, hierherzukommen und Zeit mit ihr zu verbringen, vor allem nach Moms Tod.“

„Ich vermisse sie beide so sehr.“

Melissa drückte Jules’ Arm. „Ich auch. Aber die Eichhörnchen, die uns morgens immer geweckt haben, vermisse ich so gar nicht.“

Jules reichte Audrey Hepburn an Melissa weiter. „Diese Eichhörnchen habe ich schon immer gehasst.“

„Da hättest du echt mal dran denken sollen, bevor wir hierhergezogen sind. Die werden uns jetzt jeden Tag wecken.“

„Meinst du, wir könnten vielleicht Lebendfallen aufstellen und sie umsiedeln, so wie Bären?“

„Klar, wieso nicht?“

Jules dachte darüber nach, während sie Jayne Mansfield hinunterreichte. „Ich frage mich, was wir da wohl für Köder bräuchten.“

„Geht ihr angeln?“ Caleb erschreckte sie so sehr, dass sie schwankte und sich an der Leiter festklammern musste.

„Hoppla.“ Er lief auf sie zu.

Jules fand ihr Gleichgewicht wieder. „Mir geht’s gut.“

Sie starrte ihm auf die Stirn, statt ihm in die Augen zu sehen. Sie würde einfach so tun, als wäre gestern Nacht nichts Peinliches geschehen. Mit ein bisschen Glück spielte er mit und sie könnten es beide einfach ignorieren.

„Solltest du wirklich auf der Leiter stehen?“, fragte er.

„Es lief alles super, bis du mich erschreckt hast.“ Jules wandte sich wieder ihrer Arbeit zu und griff nach Doris Day.

„Ihr wart gerade mitten in einem Gespräch übers Angeln.“

„Ach ja?“ Wie kam er denn darauf?

„Du hast gesagt, wir bräuchten Köder“, sagte Melissa.

„Matt kann mit euch angeln gehen“, sagte Caleb. Er stand wachsam neben Melissa und sah aus, als würde er am liebsten übernehmen. „Kann ich dir irgendwie helfen?“

„Warum bist du auf einmal so nett?“, fragte Jules und reichte Melissa das nächste Porträt.

Natürlich wäre es ihr lieber, wenn sie freundlich miteinander umgehen könnten. Aber nach dem gestrigen Streit und ihrer nächtlichen Begegnung hatte sie eigentlich erwartet, dass er ihr aus dem Weg gehen würde, und nicht, dass er unangekündigt vorbeikam und so tat, als wären sie die besten Freunde.

„Ich bin doch gar nicht nett.“

„Wer ist Matt?“, fragte Melissa, während sie mit Doris auf dem Arm zum Karton hinüberging.

„Ihm gehört der Jachthafen.“ Caleb übernahm für Melissa und hielt die Leiter fest.

„Und auch die ganzen Jachten?“, fragte Melissa.

„Er vermietet sie an Touristen.“

„Das können wir uns nicht leisten“, sagte Jules. Sie wollte sich nicht einmal vorstellen, wie hoch die Miete einer dieser Luxusjachten war.

„Er würde von euch bestimmt nichts dafür verlangen.“

Jules stieg auf der Leiter eine Sprosse hinunter und wartete darauf, dass Caleb ihr Platz machte. „Wir wollen nicht angeln gehen.“

„Nicht so voreilig“, sagte Melissa.

„Ich könnte etwas für euch arrangieren.“ Caleb bewegte sich nicht vom Fleck.

Jules drehte sich um, bevor sie die nächste Sprosse hinunterstieg. Sie wollte lieber vorwärts auf ihn zugehen.

„Wir haben viel zu viel zu tun“, sagte sie, mittlerweile genau auf Augenhöhe mit Caleb.

„Wie lange würde so ein Angeltrip dauern?“, fragte Melissa.

„Kommt dir das denn überhaupt nicht verdächtig vor?“, fragte Jules sie, ohne den Blickkontakt mit Caleb zu unterbrechen. „Ein Feind mit Geschenken?“

„Ich bin nicht euer Feind.“ Calebs tiefe Stimme ging ihr durch und durch, und seine grauen Augen forderten sie heraus. Noch ein Schritt, und sie fiele ihm praktisch in die Arme.

Sie war entschlossen, nicht als Erste nachzugeben, und tat den letzten Schritt. „Warum bist du dann hier?“

„Ich wollte mit dir reden.“

„Worüber?“

Es fehlten nur ein paar Zentimeter, und sie würden sich berühren. Wie würde er wohl damit umgehen? Sie musste es wohl einfach ausprobieren.

„Der Bauunternehmer ist da“, sagte Melissa, als vom Parkplatz her ein Motorengeräusch ertönte.

„Brauchst du Hilfe?“

„Nö. Ich führe ihn einfach mal rum“, sagte Melissa und ging hinaus.

„Wir müssen nicht miteinander konkurrieren“, sagte Caleb.

„Wir sind ja auch keine Konkurrenten.“ Jules fragte sich, wie lange er sie wohl noch zwischen seinen Armen und der Leiter gefangen halten wollte. Sie lehnte sich leicht nach vorn, um seine Grenzen zu testen. „Ich habe eine Zulassung mit einer Wettbewerbsklausel, du kannst das Neo also gar nicht erst bauen.“

Als könnte er ihre Gedanken lesen, lehnte sich Caleb ebenfalls vor. „Das Neo ist keine Konkurrenz.“

„Ich weiß. Es existiert schließlich nicht.“

„Ich meine, wenn es existieren würde. Wir haben völlig unterschiedliche Zielgruppen.“

„Das Crab Shack spricht Leute mit einer Vorliebe für Fisch an. Wo liegt da der Unterschied zum Neo?“

„Das Neo ist ein Luxusrestaurant, das Crab Shack eher ungezwungen.“

„Wie kommst du denn darauf?“

Ihre Frage schien ihn zu überraschen. Er sah sich um, betrachtete die alten Backsteinwände, den rissigen Linoleumboden und die rustikalen Holzbalken. „Es wirkt bescheiden, einfach, kitschig … Versteh das nicht falsch …“

„Wie könnte ich das falsch verstehen?“ Sie verschränkte die Arme, und ihre Ellbogen stießen an seine Brust.

„Wenn ihr auch ein Luxusrestaurant eröffnen würdet …“, setzte er an und stockte.

Sie wartete. Unglaublich, dass er immer noch nicht zurückgetreten war, um ihr Platz zu machen.

Stattdessen tat er das genaue Gegenteil: Er lehnte sich noch näher an sie heran. Einen Moment lang vergaß sie, worüber sie sprachen.

„Wenn ihr auch ein Luxusrestaurant eröffnen würdet“, sagte er, „würden wir einander ergänzen. Wir könnten uns gegenseitig die Kunden zuschieben. Du kennst das doch, wie in Restaurantbezirken. Wir könnten eine Gruppe von Fischrestaurants bilden – den Ort im größeren Umkreis von Olympia, an dem es die besten Meeresfrüchte und den besten Fisch gibt.“

„Das klingt ziemlich gut.“

„Du bist also einverstanden?“

„Nein.“

„Wieso nicht?“

„Deine Argumentation ist ziemlich gut, Caleb. Das stimmt zwar alles nicht, aber du bekommst eine Eins für deinen Einfallsreichtum.“

Etwas blitzte in seinen Augen auf – Bewunderung oder Verdruss, vielleicht auch ein bisschen von beidem. „Für diese Art System gibt es jede Menge Beispiele auf der ganzen Welt.“

„Neo ist eine landesweit bekannte und renommierte Kette. Du würdest das Crab Shack in den Ruin treiben.“

Von der Veranda her ertönten gedämpft die Stimmen von Melissa und dem Unternehmer.

„Du wirst meinem Vorschlag nicht zustimmen, oder?“, fragte Caleb.

„Nein.“

„Wir können das also nicht auf die nette Tour regeln?“

„Ich fürchte nicht.“

„Okay.“ Er nickte, ließ die Leiter los und trat zurück. „Dann also auf die harte Tour.“

Sie versuchte sich einzureden, dass sie nicht enttäuscht war – und dass sie seine Berührung nicht schon jetzt vermisste.

„Aber zuerst …“, sagte er und legte ihr plötzlich eine Hand auf die Wange. „Da ich die Situation ja kaum noch schlimmer machen kann …“

Es war klar, was er vorhatte. Sie versuchte, Nein zu sagen, den Kopf wegzudrehen, einen Schritt zur Seite zu machen. Nichts hielt sie davon ab. Sie konnte sich frei bewegen.

Doch sie tat es nicht. Stattdessen ergab sie sich den Fantasien aus neun Jahren und öffnete leicht den Mund, als er die Lücke zwischen ihnen schloss.

2. KAPITEL

Caleb wusste, dass er einen Fehler machte, ehe ihre Lippen sich auch nur berührt hatten. Und es war ihm vollkommen egal.

Er hatte die halbe Nacht wach gelegen und an ihre nächtliche Begegnung zurückgedacht. Er hätte Jules da schon küssen sollen. Jeder andere hätte sie dann geküsst.

Nun legte er ihr eine Hand auf die Wange, schob langsam seine Finger in ihr Haar und bedeckte endlich ihre Lippen mit seinen. Sanft küsste er sie. Am liebsten wäre er zügellos über sie hergefallen, aber er wollte sie nicht verschrecken, und noch weniger wollte er, dass sie ihn von sich stieß.

Sie ergab sich ihm und öffnete leicht den Mund. Er schlang ihr seinen anderen Arm um die Taille, zog Jules an sich und presste den Mund fest auf ihren. Verlangen durchfuhr ihn, Erregung schärfte all seine Sinne. Er gab der Versuchung nach und ließ seine Zunge über ihre Unterlippe gleiten.

Jules stöhnte, und er drückte sie noch fester an sich, vertiefte den Kuss, sodass sie sich leicht nach hinten lehnen musste.

Draußen sagte Melissa irgendetwas über das Dach. Ihre Schritte erklangen auf der Veranda. Ein Mann antwortete auf ihre Frage.

Jules legte Caleb die Hände auf die Schultern und schob ihn leicht von sich.

Er reagierte sofort, wich ein wenig zurück und sah ihr ins Gesicht – betrachtete ihre geröteten Wangen, die geschwollenen Lippen und ihre glasigen Augen.

Er wollte sie wieder küssen, wollte mehr, wollte auf keinen Fall aufhören. „Ich hab’s noch schlimmer gemacht“, sagte er, halb zu sich selbst.

„Wir dürfen das nicht.“

„Wem sagst du das.“

„Ich kann dir nicht vertrauen.“

„Du hättest Nein sagen können.“

Sie lächelte verlegen. „Ich weiß. Ich meinte nicht nur den Kuss.“

„Erklär mir, warum.“

„Warum ich dir nicht vertrauen kann?“

„Ja.“

Sie dachte kurz darüber nach. „Ich kann dir nicht vertrauen, weil ich dir nicht vertrauen kann.“

„Das ist kein richtiger Grund. Dir fällt doch sicher etwas Besseres ein.“

„Na gut“, sagte sie und lehnte sich an die Leiter. „Ich kann dir nicht vertrauen, weil du ein Watford bist.“

Er sollte nun wirklich gehen, das wusste er, aber seine Füße wollten ihm nicht gehorchen. „Du kennst mich doch kaum.“

„Ich kenne deine Familie.“

„Das ist nicht dasselbe.“

„Ich weiß, dass du meinem Geschäft schaden willst.“

„Eigentlich nicht.“

Sie legte den Kopf schief und hob eine Augenbraue.

„Nur ein kleines bisschen“, korrigierte er sich. „Aber auf lange Sicht kann es auf jeden Fall klappen. Für uns beide. Das weiß ich einfach.“

„Versuchst du mir das einzureden oder dir?“

„Das ist mein Ernst.“

„Das hast du eindeutig geerbt.“ Offenbar des Wartens müde, schlüpfte sie seitwärts an ihm vorbei und brachte ein paar Schritte Abstand zwischen sie.

Voller Bedauern ließ er sie gehen. „Was geerbt?“

„Dieses Talent für Überredungskünste. Genau wie dein Vater und Großvater glaubst du, dass sich jede Situation einfach durch Reden lösen lässt, wenn du es nur lange genug versuchst.“

Caleb war nicht wie sein Vater oder Großvater. Zumindest wollte er das nicht sein. Er gab sich stets größte Mühe, jegliche Eigenschaften, die denen seines Vaters ähnelten, zu unterdrücken – und das meist mit Erfolg, soweit er das einschätzen konnte.

„Das ist nicht fair“, sagte er.

„Fair?“ Sie lachte. „Ein Watford, der Wert auf Fairness legt? Oder eher: ein Watford, der Wert auf Fairness legt, während er einer Parker etwas ausreden will?“

Diese Runde hatte er verloren. Mit Vernunft kam er bei ihr nicht weiter, zumindest im Moment nicht. Der Kuss war ein Riesenfehler gewesen.

Andererseits war es auch ein echt fantastischer Kuss gewesen. Er konnte es nicht bereuen, dass er sich dazu hatte hinreißen lassen. Wenn dieser Kuss der größte Fehler war, den er heute machte, würde es ein guter Tag werden.

„Was, keine Retourkutsche?“, fragte sie. „Jetzt enttäuschst du mich aber.“

„Besteht auch nur die geringste Chance, deine Meinung noch irgendwie zu ändern?“

„Nein.“

„Würdest du dann mit mir ausgehen?“

Die Frage schien sie aus der Bahn zu werfen, und es dauerte einen Moment, bevor sie antwortete. „Meinst du wie bei einem Date?“

„Ja. Nur du und ich. Dinner, Tanzen, was auch immer.“ Er war nicht sicher, ob sie Berufliches und Privates trennen konnten, aber er wollte es auf jeden Fall versuchen.

„Soll das ein Witz sein? Willst du mich aus dem Konzept bringen?“

„Ja, ich will dich aus dem Konzept bringen.“ Er trat auf sie zu. „Aber nein, das soll kein Witz sein. Wir fühlen uns eindeutig voneinander angezogen.“

„Wir haben nichts gemeinsam.“

„Ich mag es, dich zu küssen.“ Und er war davon überzeugt, dass es ihr mit ihm genauso ging.

Sie ließ sich nicht erweichen. „Ich wette, es gibt jede Menge Frauen, die du gerne küsst.“

Nicht so sehr wie sie. Aber da hatte sie nicht ganz unrecht. „Ich schätze schon.“

„Dann geh doch mit einer von denen aus.“

„Ich würde aber lieber mit dir ausgehen.“

„Du bist echt unglaublich.“

„Und du bist stur.“

„Auch schon gemerkt?“

Diese Antwort überraschte ihn. „Du gibst zu, dass du stur bist?“

„Allerdings.“ Sie pikste ihm mit einem Finger in die Brust. „Du hast ja keine Ahnung.“

Er umschloss ihre Hand mit seiner. „Ist das eine Herausforderung?“

„Du hast es doch selbst gesagt: Die nette Tour hat nicht geklappt, also jetzt auf die harte Tour.“ Ihre Augen funkelten, ihre Wangen waren noch immer gerötet, ihre Lippen von seinem Kuss geschwollen, und unten an ihrem Hals konnte er ihren Puls rasen sehen. Nie zuvor war eine Frau so sexy gewesen.

„Wag es ja nicht“, sagte sie und entzog ihm ihre Hand.

Er konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. „Ich werde dich nicht noch einmal küssen.“

„Gut.“

„Wie wär’s mit einem Deal?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nichts Geschäftliches. Etwas Persönliches: Beim nächsten Mal küsst du mich.“ Noch bevor er den Satz beendet hatte, befürchtete er, einen Fehler zu machen. Womöglich würde sie ihn nie küssen. Aber er hatte keine Wahl. Er konnte es nicht riskieren, ihre Signale noch einmal falsch zu deuten.

Melissa hüpfte zur Tür herein; ihre Begeisterung war ihr deutlich anzusehen. „Jules, das ist Noah Glover. Er will uns bei der Renovierung helfen.“

Jules setzte sofort eine neutrale Miene auf; weder der Kuss noch der darauf folgende Streit waren ihr anzusehen. Als Noah Glover eintrat und sie ihm ein strahlendes Lächeln schenkte, verspürte Caleb einen Stich der Eifersucht.

Noah war ein großer, muskulöser Mann mit unrasiertem Gesicht und struppigem Haar. Er wirkte wie der Typ Mensch, der den ganzen Tag draußen verbrachte, ohne sich dabei von schlechtem Wetter beeindrucken zu lassen.

Jules trat souverän auf ihn zu. „Schön, Sie kennenzulernen, Noah.“

Sie schüttelte ihm die Hand, und erneut wurde Caleb von Eifersucht durchflutet. Er schüttelte den Kopf. Es war eine Sache, sie küssen zu wollen, halten zu wollen, ausziehen und mit ihr schlafen zu wollen – drei Dinge, die er definitiv wollte. Aber es war eine ganz andere Sache, auf einen Mann eifersüchtig zu sein, der ihr die Hand schüttelte.

„Ich hoffe, Melissa hat Sie schon vorgewarnt, was unser Budget angeht“, sagte Jules zu Noah. „Wir wollen so viel wie möglich selbst machen.“

„Es macht mir nichts aus, mit einem begrenzten Budget zu arbeiten“, sagte Noah. „Ich übernehme einfach so viel Arbeit, wie Sie wollen.“

„Perfekt.“ Sie schüttelte ihm immer noch die Hand.

War’s das etwa? Das sollte ein Bewerbungsgespräch sein? Und jetzt wollten sie ihn einfach so einstellen? Musste er nicht einmal seine Referenzen angeben?

Caleb gesellte sich zu ihnen und hielt Noah die Hand hin. „Caleb Watford. Ich bin ein Nachbar der beiden.“ Dieser Noah merkte besser sofort, dass er hier nicht einfach hereinspazieren und Jules und Melissa übers Ohr hauen konnte.

„Schön, Sie kennenzulernen“, sagte Noah.

Er hatte einen festen Händedruck. Natürlich hatte er den, er war schließlich Bauunternehmer. Aber Caleb war auch kein Leichtgewicht.

„Er ist außerdem unser Erzfeind“, sagte Jules.

Caleb warf ihr einen verärgerten Blick zu. Verstand sie denn nicht, dass er nur helfen wollte?

„Was ist passiert, während ich weg war?“, fragte Melissa und sah von Caleb zu Jules und wieder zurück.

„Nichts“, sagte Jules schnell. „Zumindest nichts Besonderes.“

„Von mir aus können wir morgen anfangen“, sagte Noah. „Wenn Sie eine Übersicht Ihres Budgets erstellen, kann ich einen Kostenvoranschlag anfertigen. Dann schauen wir mal, welche Möglichkeiten wir haben.“

Caleb hatte noch nie von Noah Glover gehört. Kam er aus der Gegend? War er nur auf der Durchreise? Sein Truck war alt und verbeult, das hatte Caleb durchs Fenster gesehen, und Noah machte nicht gerade einen professionellen Eindruck. Caleb würde sich später definitiv über ihn informieren.

„Das klingt gut“, sagte Melissa. „Ich kann’s gar nicht erwarten, endlich anzufangen.“

Noah nickte ihr zu. „Dann bis morgen.“ Er lächelte Jules ein letztes Mal zu und ging hinaus.

„Er scheint sein Handwerk echt zu verstehen“, sagte Melissa und sah ihm nach.

„Du hast ihn gerade erst kennengelernt“, sagte Caleb.

Jules und Melissa schauten ihn verwundert an.

„Woher willst du wissen, ob er etwas von seinem Job versteht?“ Caleb bezweifelte, dass Melissa Erfahrung mit dieser Art von Dingen hatte.

„Er war offen und direkt“, sagte Melissa, „hat nicht unnötig mit Fachjargon um sich geworfen, und er kann jede Menge Empfehlungen vorweisen.“

„Hast du ihn auch ordentlich überprüft?“, fragte Caleb.

„Melissa hat einen Abschluss in BWL“, sagte Jules.

Das hatte Caleb nicht gewusst. Er war nicht sicher, warum es ihn überraschte.

„Natürlich hab ich ihn überprüft“, sagte Melissa. „Es gibt da diese magische Erfindung namens Internet.“

„Ich meinte nur …“

Zuckersüß beendete Jules seinen Satz: „Dass zwei so unschuldige Dinger wie wir sich unmöglich allein in der großen weiten Welt zurechtfinden können?“

Er sah sie finster an. „Ich habe mich nur gefragt, warum du mir gegenüber so misstrauisch bist und ihm sofort vertraust.“

„Erfahrung und gutes Urteilsvermögen“, sagte sie.

„Das ist nicht fair.“

„Ich habe es dir doch schon gesagt, Caleb: Du bist ein Watford. Ich habe keinen Grund, fair zu dir zu sein.“

„Er ist schon echt heiß“, sagte Melissa zwei Tage später.

Jules sah vom Holztresen auf, den sie gerade von der alten Lackschicht befreite. Sie hatte erwartet, Caleb durch die Tür kommen zu sehen, aber sie konnte ihn nirgendwo entdecken. Melissa war dabei, innen die Fensterrahmen zu entfernen, während Noah draußen einen Entfernungsmesser auf einem Stativ aufstellte.

Einen Moment lang war Jules verwirrt und zugegebenermaßen auch ein wenig enttäuscht. Caleb konnte einem zwar gewaltig auf die Nerven gehen, aber er war auch wirklich interessant. Er brachte Leben in jeden Raum.

„Meinst du Noah?“, fragte sie ihre Schwester.

„Ja, wen denn sonst? Sieh dir nur diese Schultern an. Und diese Arme!“

„Er ist wirklich gut in Form“, pflichtete Jules ihr bei. Bisher war ihr nichts Besonderes an Noahs Aussehen aufgefallen, aber wenn sie jetzt so darüber nachdachte, musste sie zugeben, dass er auf eine raue, rustikale Art ziemlich gut aussehend war.

„Ich kann einfach nicht aufhören, ihn anzustarren“, sagte Melissa.

„Ich hätte nicht gedacht, dass er dein Typ ist.“ Im College war Melissa hauptsächlich mit gut gekleideten Geistesmenschen ausgegangen, teilweise sogar mit waschechten Poeten. Noah passte überhaupt nicht in ihr Beuteschema.

„Heiß und sexy? Darauf steht doch jede Frau.“

Jules lächelte und sah noch einmal zu Noah hinüber. „Ach so, du meintest nur zum Anschauen.“ Dafür war er ihr persönlich ein wenig zu staubig. Aber wenn Melissa seinetwegen bei der Arbeit gute Laune hatte, freute das Jules natürlich für sie. „Solange du beim Anstarren nicht zu langsam wirst …“

„Ich kann gleichzeitig gucken und arbeiten, das ist überhaupt kein Problem.“

„Pass nur auf, dass du dich nicht an einem Nagel verletzt.“

„Das sind doch nur kleine Drahtstifte. Glaubst du, er zieht das T-Shirt aus, wenn es warm wird?“

„Ich glaube, wenn du ihn das fragst, werden wir verklagt. Frauen können Männer auch sexuell belästigen, weißt du.“

„Ich will ihn ja nicht fragen. Zumindest nicht direkt.“

„Du darfst ihn überhaupt nicht fragen. Du darfst nicht mal darauf anspielen.“

„Aber ich darf hoffen.“

„Na ja, so etwas wie eine Gedankenpolizei gibt es ja glücklicherweise nicht.“

Melissa grinste. „Ein Glück. Das, was ich mir gerade vorstelle, ist in den meisten Bundesstaaten wahrscheinlich illegal.“

„Bitte sprich nicht weiter.“

„Du bist so prüde.“

Jules kniff die Augen zu und bemühte sich, keine unerwünschten Bilder in ihrem Kopf entstehen zu lassen. „Flauschige rosa Häschen. Flauschige rosa Häschen“, sang sie laut vor sich hin.

Melissa lachte.

„Ich habe offensichtlich irgendetwas verpasst.“ Dieses Mal war es wirklich Caleb.

Jules riss die Augen auf und sah ihn wieder einmal in der Tür stehen. Apropos heiß und sexy …

„Flauschige rosa Häschen?“, fragte er, eine Augenbraue erhoben.

„Ein Insiderwitz“, sagte Melissa. „Das ist unser Mantra, wann immer wir ein ekliges Bild vertreiben wollen.“

Caleb sah sich um. „Was ist denn hier eklig?“

„Überhaupt nichts“, sagte Melissa, und ihre blauen Augen blitzten schalkhaft auf, ehe sie sich wieder dem Fenster zuwandte.

Jules zwang sich, den Blick von Caleb abzuwenden. „Was können wir für dich tun?“

„Ich habe mich ein wenig über euer Projekt informiert“, sagte er und trat ein.

Entschlossen zog sie ihre Handschuhe zurecht und machte sich wieder an die Arbeit. „Eifrig wie ein Duracell-Hase, hm?“

Er kam weiter auf sie zu. „Du hast es heute irgendwie mit Hasen.“

„Bleib da“, warnte sie ihn. „Das ist nicht ganz ungefährlich.“

Stirnrunzelnd blieb er stehen. „Weißt du überhaupt, was du da tust?“

„Ja.“ Sie presste das Ende des Spachtels in den klebrigen Lack und schabte einen Streifen davon in einer fließenden Bewegung ab.

„Hast du das schon mal gemacht?“

„Ich hab mir ein YouTube-Video angeschaut.“ Sie wischte den Lack mit einem Lappen vom Spachtel und machte sich an den nächsten Streifen.

„Das heißt dann wohl Nein.“

„Das heißt, das geht dich einen feuchten Dreck an.“

Amüsiert grinste er. „Du bist heute aber schlecht drauf.“

Sie brummte nur missmutig und arbeitete weiter.

Plötzlich ertönte von dem Fenster aus, an dem Melissa arbeitete, ein leises Klappern. Sie fluchte.

Jules sah zu ihr hinüber. „Alles in Ordnung?“

Noch bevor Melissa antworten konnte, war Caleb schon an ihrer Seite, nahm ihr ein Stück Fensterrahmen aus der Hand und hob ein weiteres Stück auf, das auf den Boden gefallen war. „Hast du dich verletzt?“

„Mir geht’s gut“, sagte Melissa. „Ich war nur kurz abgelenkt.“

„Wo kommt das alles hin?“, fragte Caleb.

„Auf dem Parkplatz steht ein Müllcontainer.“

Caleb entdeckte ein Paar Arbeitshandschuhe in einer Kiste neben der Tür, zog sie an und sammelte die Reste der Fensterrahmen ein, die Melissa schon zum Opfer gefallen waren.

„Dafür bist du nicht richtig angezogen“, sagte Jules. Er trug ein Hemd und ein Sakko, das ziemlich teuer aussah.

„Ich weiß“, sagte er. „Aber wenn ich schon mal hier bin, kann ich auch mit anpacken, während wir uns unterhalten.“

„Diese Unterhaltung ist also noch nicht vorbei?“

Er antwortete nicht, sondern schüttelte lediglich den Kopf und ging hinaus.

„Du bist genauso schlimm wie ich“, sagte Melissa.

Leicht abwesend starrte Jules auf Calebs Hintern. „Ist es so offensichtlich?“

„Spätestens seit du zu sabbern angefangen hast.“

„Du bist ja so lustig. Ich überlege doch nur, warum er wohl hier ist.“

„Da sagt dein Gesichtsausdruck aber ganz was anderes. Aber na gut, tun wir mal so, als wäre das wahr. Was, glaubst du, will er hier?“

„Er meinte, er hätte sich ein wenig über unser Projekt informiert.“

„Was soll das denn heißen?“

„Ich schätze, er will noch mal über die Wettbewerbsklausel reden.“

„Ergibt Sinn. Da kommt er schon wieder.“

„Das sehe ich selbst.“

Caleb nickte Noah im Vorbeigehen knapp zu. Als er wieder hereinkam, sah er sich in dem großen Raum um. „Was muss sonst noch getan werden?“

„Du bist hier fertig“, sagte Jules.

Er zog das Sakko aus, legte es zur Seite und krempelte sich die Ärmel hoch.

„Das kann doch nicht dein Ernst sein“, sagte sie. „Du wirst dir das Hemd ruinieren.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe noch andere Hemden.“

„Es ist weiß.“

Er sah an sich herunter. „Stimmt.“

„Sag, was auch immer du sagen wolltest, und dann raus hier. Du hast doch sicher irgendwelche wichtigen Termine, die du wahrnehmen musst.“

Er setzte eine gespielt verletzte Miene auf. „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.“

„Doch, das weißt du ganz genau. Du hast selbst eine Baustelle, um die du dich kümmern musst.“

„Apropos …“

„Und los geht’s …“ Sie setzte den Spachtel an, um den nächsten Streifen Lack abzukratzen.

„Ich wollte dir ein paar Zahlen von anderen Neo-Standorten zeigen.“

Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie er in ihren kleinen Werkzeugkasten schaute. „Willst du etwa angeben?“, fragte sie.

Er ignorierte ihre Stichelei. „Und die Pläne für das neue Neo wollte ich dir auch zeigen.“ Er nahm sich einen Tischlerhammer. „Wie wollt ihr die Sitzplätze aufteilen?“

„Das geht dich nichts an.“

„Jules“, sagte er übertrieben geduldig. „Wir werden nie eine Lösung finden, wenn wir nicht zusammenarbeiten.“

Melissa meldete sich zu Wort: „Vierunddreißig Plätze an den Tischen, zwölf am Tresen und achtzehn auf der Terrasse.“

Jules warf ihr einen bösen Blick zu.

„Was?“, fragte Melissa. „Das ist doch kein Staatsgeheimnis, steht schließlich in der Zulassung.“

„Im Neo wird es auf zwei Etagen Platz für insgesamt einhundertzweiundsiebzig Leute geben, plus fünfzig Plätze auf der Terrasse, die während der Wintersaison geschlossen wird. Wir konkurrieren nicht miteinander.“ Er ging zu einem der Fenster und verkeilte den Hammer unter dem Rahmen.

„Da stimme ich dir zu“, sagte Jules. „Wir hätten nicht die geringste Chance gegen dich.“

„Warum würde sich irgendwer für das Crab Shack entscheiden?“, fragte Melissa.

„Das würde niemand“, sagte Jules.

„Weil die Leute Fisch und Meeresfrüchte lieben. Und weil niemand ständig im selben Restaurant essen will. Und weil sie, wenn sie ins Neo kämen, das Crab Shack sehen und vielleicht neugierig werden würden.“

„Oder sie kämen ins Crab Shack und würden neugierig auf das Neo“, sagte Jules. Warum hatte sie das gesagt? Es klang selbst in ihren Ohren absolut lächerlich.

„Genau“, sagte Caleb.

„Sei nicht so verdammt gönnerhaft. Wir wissen beide, dass das nicht passieren wird. Du bietest uns doch bloß deine Reste an.“

„Neo ist eine landesweit anerkannte Kette, die viele internationale Preise gewonnen hat und über hervorragendes Marketing verfügt. Dafür werde ich mich sicher nicht entschuldigen.“

„Beschönige es, soviel du willst, das Ergebnis bleibt das gleiche. Das Neo gewinnt, und das Crab Shack geht pleite. Wir haben wesentlich bessere Chancen, wenn wir keine Konkurrenz in Whiskey Bay haben.“

„Darf ich euch wenigstens zeigen, was ich geplant habe?“

„Klar.“

„Melissa!“

„Es schadet doch nichts, es sich wenigstens mal anzuschauen, Jules. Bist du denn gar nicht neugierig?“

Das war sie, aber das würde sie niemals zugeben. „Schau es dir an, solange du willst. Ich habe kein Interesse.“

„Ich bringe die Pläne später vorbei“, sagte Caleb und riss ein langes Stück Fensterrahmen von der Wand.

„Das wird unsere Meinung nicht ändern“, sagte Jules voller Überzeugung und versuchte verzweifelt, den Blick von ihm abzuwenden.

Vom Erdgeschoss seines Hauses aus hatte Caleb einen Ausblick über ganz Whiskey Bay. Entlang der Küstenlinie konnte er die Baustelle des Neo sehen, und auch das Crab Shack befand sich in Sichtweite; dort brannten heute Abend die Lichter. Im Haus der Parkers hingegen war alles dunkel.

Er hatte gerade mit seinem Anwalt Bernard Stackhouse telefoniert, der auf eine interessante Sache gestoßen war: Durch einen seltsamen Zufall führte die Straße, über die man das Crab Shack erreichte, über Calebs Grundstück. Die Parkers hatten zwar eine Nutzungsberechtigung, die es ihnen erlaubte, diese Straße zu befahren, aber die könnte Caleb ihnen leicht entziehen. Wenn er das tat, wären sowohl Jules und Melissa als auch ihre zukünftigen Kunden vollkommen vom Crab Shack abgeschnitten. Sie hätten nicht einmal die Möglichkeit, auf eine andere Route auszuweichen; danach hatte Caleb sich explizit erkundigt. Das war das perfekte Druckmittel, um Jules endlich zur Vernunft zu bringen.

Plötzlich wurde hörbar die Seitentür des Hauses geöffnet. Das konnten nur Matt oder TJ sein.

„Ich bin im Wohnzimmer“, rief Caleb.

„Du hast ja gute Laune“, sagte Matt, schlenderte herein und setzte sich in einen Sessel. „Gibt’s was Neues?“

Caleb erzählte ihm von dem Telefonat mit seinem Anwalt.

Matt pfiff leise. „Das sind echt harte Bandagen.“

„Ich zahle pro Tag zehntausend Dollar für Geräte, die nur in der Gegend rumstehen.“

„Also treibst du sie in den Bankrott?“

„Ich kann zumindest ein wenig Druck ausüben.“ Er hatte es schon mit Zuckerbrot versucht. Vielleicht war es Zeit für die Peitsche.

Die Vordertür wurde geöffnet, und TJ kam herein. „Sind wir startklar?“, fragte er.

Sie hatten vor, heute Abend in Olympia in einen Club zu gehen. Anfänglich hatte Caleb es für eine gute Idee gehalten, aber nun bedauerte er den Vorschlag. Er hätte den Abend lieber zu Hause verbracht. Er wollte Jules zwar nicht sofort unterbreiten, dass er ihr die Nutzungsberechtigung für die Straße entziehen konnte, aber ihm war auch nicht nach Tanzen und belanglosen Gesprächen mit fremden Frauen zumute.

TJ sah aus dem Fenster. „Ist das ein Rettungswagen?“

Noch im Aufstehen drehte Caleb sich um und entdeckte sofort das Blaulicht, das sich auf das Crab Shack zubewegte.

„Das kann nichts Gutes heißen“, sagte Matt und erhob sich ebenfalls.

Schon war Caleb aus der Tür, Matt und TJ folgten ihm auf dem Fuß.

Kaum fünf Minuten später erreichte Caleb die Landzunge, auf der sich das Crab Shack befand. Er fragte sich, was Jules zugestoßen sein könnte. War sie von der Leiter gefallen? Hatte sie sich mit dem Spachtel verletzt?

Matt hielt mit ihm Schritt, während TJ ein wenig zurückfiel. Als Caleb sich dem Crab Shack näherte, erblickte er Sanitäter mit einer Trage, und legte einen Endspurt hin.

Dann entdeckte er Jules – sie lag nicht auf der Bahre. Er verspürte eine Welle der Erleichterung; die war allerdings nur von kurzer Dauer. Wenn Jules unverletzt war, musste Melissa auf der Trage liegen.

„Was ist passiert?“, rief er, als er endlich in Hörweite war.

Überrascht sah Jules zu ihm herüber. „Was machst du hier?“

„Wir haben das Blaulicht gesehen“, sagte er keuchend. „Was ist passiert?“

„Nagelpistole“, sagte Melissa von der Bahre aus. Sie schien die Zähne zusammenzubeißen.

Caleb war erleichtert, sie sprechen zu hören. Doch dann registrierte er, was sie gesagt hatte. „Du hast eine Nagelpistole benutzt?“ Er sah wieder hinüber zu Jules. „Ihr habt eine Nagelpistole?!“

„Wir haben keine Nagelpistole. Noah hat eine.“

„Wo ist Noah?“ Mit dem würde Caleb ein ernstes Wörtchen reden! Was dachte er sich dabei, Jules und Melissa eine Nagelpistole benutzen zu lassen? War er denn völlig verrückt?

„Es war meine Schuld“, rief Melissa aus dem Rettungswagen.

„Kommen Sie mit?“, fragte einer der Sanitäter Jules.

„Ja.“

„Wir treffen uns im Krankenhaus“, sagte Caleb.

„Wieso?“, fragte sie, während sie in den Rettungswagen kletterte.

„Fahr einfach mit.“

„Melissa sah doch ganz gut aus“, sagte Matt.

Völlig außer Atem stieß TJ zu ihnen.

„Du musst echt dringend mal ins Fitnessstudio“, sagte Matt.

„Wem sagst du das“, entgegnete TJ. „Wer ist es?“

„Melissa“, sagte Caleb. „War wohl ein Unfall mit einer Nagelpistole.“

TJ sah ihn ungläubig an. „Wie schlimm ist es?“

„Sie konnte mit mir sprechen. Aber ich fahre trotzdem runter zum Memorial und finde raus, was passiert ist.“

„Ach ja?“ Das schien TJ zu überraschen.

Calebs Ansicht nach war das eine völlig normale Reaktion. Sie waren schließlich Nachbarn, und Jules brauchte vielleicht irgendetwas. Und wenn es nur eine Fahrt nach Hause war.

„‚Jungfrau in Nöten‘-Syndrom“, sagte Matt.

„Wen rettet er denn?“, fragte TJ.

„Gute Frage.“ Matt sah Caleb skeptisch an. „Die Vernünftige oder die Sture?“

Die Sture. „Keine von beiden.“

Caleb war einfach nur ein guter Nachbar … und zuvorkommend. Er war einfach nur ein zuvorkommender, guter Nachbar. Daran war doch nun wirklich nichts Ungewöhnliches.

3. KAPITEL

Jules konnte sich nicht entscheiden, ob sie sich Sorgen machen sollte oder nicht. Während der Fahrt hatte Melissa recht ruhig gewirkt; sie war sogar ziemlich gut gelaunt gewesen, wenn man bedachte, dass ihr ein Nagel aus der linken Hand ragte. Sie konnte doch nicht allzu schwer verletzt sein, wenn sie bei Bewusstsein war und Witze riss? Aber vielleicht stand sie unter Schock. Das war sogar ziemlich wahrscheinlich.

Besorgt begann Jules, auf und ab zu gehen. Melissa hatte die Schmerzen wahrscheinlich überhaupt nicht gespürt, wenn sie wirklich unter Schock gestanden hatte; sie könnte ernsthaft verletzt sein. Sonst hätte das Krankenhauspersonal sie wohl kaum sofort in einen Behandlungsraum gebracht und Jules angewiesen, draußen zu warten.

Als Jules erneut kehrtmachte, erblickte sie Caleb am anderen Ende des Flurs. Schnellen Schrittes kam er auf sie zu. Sie war seltsam erleichtert, ihn zu sehen, unterdrückte das Gefühl aber, kaum dass sie es erkannt hatte. Er war kein Arzt und auch kein Freund. Es gab absolut keinen Grund für sie, seine Anwesenheit als tröstlich zu empfinden.

„Geht es Melissa gut?“, fragte er besorgt, als er näher kam.

Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen. Das würde sie nicht tun, natürlich nicht, aber ein kleiner Teil von ihr fragte sich, wie er wohl darauf reagieren würde. „Sie operieren sie gerade.“

Stirnrunzelnd blieb er stehen. „Das klingt aber nicht gut.“

„Sie meinten, das sei nur eine Vorsichtsmaßnahme.“

Als er sie weiter fragend ansah, fuhr sie fort: „Gerade ist wohl ein Handspezialist verfügbar, und er wollte sichergehen, dass keine Nerven oder Sehnen beschädigt werden, wenn sie den Nagel rausziehen. So haben sie es mir zumindest erklärt.“ Erneut musste sie der Versuchung widerstehen, sich an ihn zu lehnen. „Glaubst du, sie wollten mich damit nur beruhigen?“

„Machst du dir Sorgen?“, fragte er und trat einen Schritt näher.

Sie wünschte, er würde Abstand halten. Je näher er kam, desto schwerer fiel es ihr, ihn nicht zu berühren. „Nein. Ich weiß es nicht. Sollte ich mir Sorgen machen? Ehrlich gesagt macht es mir nur Sorgen, dass ich mir keine Sorgen mache. Ergibt das Sinn?“

„Ja.“

„Sie hat noch mit mir gesprochen, als wir hier ankamen. Ich hielt das für ein gutes Zeichen, aber vielleicht stand sie auch unter Schock.“

„Da könntest du recht haben.“

„Du hättest einfach sagen können, dass das ein gutes Zeichen ist.“

Er lächelte leicht. „Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen.“

„Zu spät.“

„Ich schätze schon.“ Er hielt inne. „Aber es ist wahrscheinlich wirklich ein gutes Zeichen.“

„Netter Versuch.“

„Ich wüsste nicht, warum sie die Situation dir gegenüber verharmlosen sollten. Wenn es schlechte Nachrichten gäbe, würde das ja alles nur noch schlimmer machen.“

„Okay, da kann ich dir nicht widersprechen.“ Jules wurde etwas ruhiger und setzte sich auf einen der gepolsterten Stühle im Wartebereich.

Caleb ließ sich auf dem Stuhl ihr gegenüber nieder. Eine Weile herrschte Schweigen. Schließlich fragte er: „Warum hat sie die Nagelpistole überhaupt benutzt?“

„Sie wollte mir beibringen, wie sie funktioniert. Noah hat ihr das heute Nachmittag gezeigt. Und, na ja, sie ist einfach losgegangen.“

„Noah hat ihr gezeigt, wie man mit einer Nagelpistole umgeht?“, fragte Caleb verärgert.

„Noah trifft keine Schuld.“

„Was hat er sich nur dabei gedacht?“

„Sie hat ihn darum gebeten.“

„Ich will ja nicht sexistisch klingen …“

„Wenn man etwas mit diesem Satz einleitet, ist es eigentlich immer sexistisch“, sagte Jules kühl.

„Wahrscheinlich schon. Bist du sicher, dass ihr diesem Umbau gewachsen seid?“

„Wir bauen ja nicht alleine um. Wir helfen nur beim Umbau. Noah macht das wirklich toll. Er zeigt uns, was wir wie machen sollen.“

Schon wieder runzelte Caleb die Stirn. „Das ist ihm bei der Nagelpistole irgendwie misslungen.“

„Ms. Parker?“, unterbrach ihn eine Krankenschwester.

„Das bin ich. Gibt es Neuigkeiten?“ Jules stand auf.

Caleb erhob sich ebenfalls.

Die Krankenschwester lächelte ermutigend. „Ihre Schwester hat die Operation gut überstanden.“

„Danke“, flüsterte Jules erleichtert. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie viel Angst sie gehabt hatte.

„Sie kommt jetzt für ungefähr eine Stunde in den Aufwachraum, und danach schläft sie die Nacht wahrscheinlich durch. Sie können also beruhigt nach Hause fahren.“

„Wird ihre Hand komplett verheilen?“

„Davon geht der Arzt aus. Sie wird sich ein paar Wochen ausruhen müssen. Ihr Hausarzt kann die weitere Behandlung übernehmen.“

„Wir sind gerade erst hergezogen. Wir haben noch keinen …“

„Ich kann Melissa bei meinem Hausarzt unterbringen“, unterbrach Caleb sie und legte ihr sanft eine Hand auf den Rücken.

Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu. In Portland war es schwierig gewesen, gute Ärzte zu finden. Die wenigen, die es gab, führten geschlossene Praxen und nahmen keine neuen Patienten auf.

„Er wird sich um sie kümmern“, sagte Caleb bestimmt, als hätte er Jules’ Zögern gespürt.

So wohlhabend, wie er war, würde sein Arzt ihm wahrscheinlich jeden Gefallen tun, um den er ihn bat. Beinahe hätte sie sein Angebot aus Prinzip abgelehnt. Aber es ging um Melissa, und Jules konnte ihr diese Chance auf eine gute Behandlung nicht aus purem Stolz verwehren. „Danke“, sagte sie stattdessen.

Caleb lächelte, und sein Griff wurde etwas selbstsicherer. Unwillkürlich wurde sie von Lust durchflutet.

„Darf ich zu ihr?“, fragte Jules die Krankenschwester.

„Erst in einer Stunde. Sie braucht jetzt Ruhe.“ Die Krankenschwester sah auf die Uhr; es war schon weit nach Mitternacht.

„Komm doch einfach morgen früh wieder“, sagte Caleb. „Du brauchst schließlich auch deinen Schlaf.“

Wieder wollte Jules ihm aus Prinzip widersprechen. Aber sie war müde, und Melissa würde ohnehin schlafen.

„Ich fahre dich nach Hause“, sagte er, ihr Schweigen offenbar als Zustimmung deutend.

Statt weiter mit ihm zu diskutieren, drückte sie der Krankenschwester dankbar die Hand. „Vielen, vielen Dank. Würden Sie meinen Dank auch dem Arzt ausrichten?“

„Natürlich.“ Die Krankenschwester ging davon, und Jules brachte etwas Abstand zwischen sich und Caleb, während sie den Flur hinuntergingen.

„Ich kann mir auch ein Taxi rufen“, sagte sie, als sie fast bei den Doppeltüren der Eingangshalle angekommen waren.

„Klar könntest du das“, sagte er. „Das wäre sogar wirklich sinnvoll. Es ist ja nicht so, als würde ich auf dem Heimweg direkt an deinem Haus vorbeifahren.“

„Du musst dich wirklich nicht um uns kümmern.“

Er öffnete eine der Türen. „Ich weiß.“

„Was machst du überhaupt hier?“

„Ich wollte nur sichergehen, dass es Melissa gut geht. Und ich wusste, dass du jemanden brauchen würdest, der dich nach Hause fährt.“

„Du kennst uns doch kaum.“

Er zeigte auf einen schwarzen Lexus, der in der Nähe der Tür geparkt war. „Ich kenne dich schon seit vierundzwanzig Jahren.“

„Du kannst mich schon seit vierundzwanzig Jahren nicht ausstehen. Das ist nicht dasselbe.“

„Das stimmt nicht.“ Sein Tonfall wurde milder. „Ich kannte dich ja kaum.“

„Spätestens jetzt kannst du mich nicht mehr ausstehen.“

„Zwischendurch bringst du mich wirklich auf die Palme, aber auch das ist nicht dasselbe.“

„Aber fast.“

Er lächelte und öffnete ihr die Beifahrertür. „Du machst es einem aber auch wirklich nicht leicht, dich zu mögen, Jules.“

„Das sagst du nur, weil ich nicht einfach nachgebe und das tue, was du willst.“

„Das ist einer der Gründe.“ Er schloss die Tür und ging um den Wagen herum zur Fahrerseite.

„Was sind die anderen?“, fragte sie, während er sich ins Auto setzte und per Knopfdruck den Motor startete.

„Du musst mir immer widersprechen, egal, was ich sage.“

Sie dachte kurz darüber nach. „Das würde ich so nicht sagen.“

Belustigt schüttelte er den Kopf, parkte aus und fuhr auf die gewundene Küstenstraße, die zu ihren Häusern führte. „Nenn mir auch nur eine Sache, bei der du mir zugestimmt hast.“

„Ich habe zugestimmt, mich von dir nach Hause fahren zu lassen.“

„Ja, nachdem ich dich dazu überredet hatte.“

„Was beweist, dass ich durchaus in der Lage bin, mich von guten Argumenten überzeugen zu lassen“, sagte sie triumphierend.

„Na, dann kann ich dir ja auch kurz erklären, wie …“

Ihr wurde schwer ums Herz. „Nicht heute, Caleb.“

„Das sollte ein Witz sein.“

Plötzlich war sie unsagbar erschöpft. Nach dem Unfall hatte sie pures Adrenalin angetrieben, und das war nun zusammen mit der Erleichterung über Melissas gelungene Operation verebbt. Jules fühlte sich vollkommen ausgelaugt.

„Hast du Hunger?“

Den hatte sie tatsächlich, aber das würde sie garantiert nicht zugeben.

„Ich bin nämlich am Verhungern“, sagte Caleb. „Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir einen kleinen Zwischenstopp einlegen?“

„Du fährst, und es ist dein Auto. Du kannst machen, was du willst.“

Er sah zu ihr herüber. „Habe ich dich irgendwie verärgert?“

Sofort fühlte sie sich schuldig. „Nein.“ Das war gelogen. „Doch.“ Das stimmte auch nicht ganz. „Ich wünschte, du würdest damit aufhören, ständig so nett zu mir zu sein. Das macht mich ganz nervös.“

Er lachte, und seltsamerweise beruhigte sie das.

Abrupt bog er links ab und fuhr auf den Parkplatz eines Fast-Food-Restaurants. „Ich hoffe, du magst Burger?“

„Ich nehme das Gleiche wie du“, sagte sie. Sie war da nicht wählerisch, schon gar nicht, wenn sie so hungrig war.

Er fuhr zum Bestellfenster, und eine junge Frau schob die Scheibe zur Seite. Sie schien trotz der späten Stunde putzmunter zu sein und lächelte sie fröhlich an. „Was darf’s sein?“

„Zwei Cheeseburger, zwei Portionen Pommes und zwei Schokomilchshakes, bitte“, sagte Caleb.

Sie gab die Bestellung durch, und Caleb reichte ihr ein paar Scheine. „Kommt sofort.“ Immer noch lächelnd, verschwand sie nach drinnen.

„Futter für die Seele“, sagte Jules. Das passte gut unter den Umständen.

„Stimmt, du bist ja Köchin.“

„Das sollte keine Kritik sein.“

„Ach nein?“

Sie verdrehte die Augen. „Wenn du schon ständig voreilige Schlüsse ziehst, solltest du wenigstens lernen, meinen Tonfall richtig zu deuten.“

„Ich dachte, du hättest das sarkastisch gemeint.“

„Hab ich aber nicht. Ich habe nichts gegen Burger und Pommes. Sie haben zwar einen schlechten Ruf, aber sie sind auch wirklich lecker.“

Er lächelte und schien sich zu entspannen. Sie verfielen in Schweigen.

„Danke“, sagte Jules nach ein paar Minuten.

„Keine Ursache.“

Die junge Frau erschien wieder am Bestellfenster und reichte Caleb das Wechselgeld und das Essen. Er stellte die Milchshakes in die Becherhalter zwischen ihnen und gab die Papiertüte mit dem duftenden Inhalt an Jules weiter. Dann fuhr er zurück auf die Küstenstraße und zu einem Parkplatz mit Meerblick, stellte den Motor aus und schnallte sich ab.

„Gut so?“, fragte er.

„Perfekt.“ Sie schnallte sich ebenfalls ab, lehnte sich in dem gemütlichen Ledersitz zurück und ließ die Anspannung der letzten Stunden von sich abfallen. Melissa ging es gut. Und alles andere würde sich schon irgendwie klären.

Caleb nahm ihr die Tüte ab und reichte ihr erst einen Burger, dann eine kleine Schachtel voller Pommes frites. Jules steckte sich eine der Fritten in den Mund und seufzte genüsslich. Sie war absolut köstlich.

Caleb lächelte und schüttelte amüsiert den Kopf. „Du bist ja leicht zufriedenzustellen.“

„Ich bin nicht besonders anspruchsvoll.“ Jules nahm sich einen der Milchshakes und trank einen Schluck.

„Du überraschst mich immer wieder, Juliet Parker.“

„Eigentlich müsste doch ich diejenige sein, die überrascht ist.“

„Wieso?“

„Ich bin ein ganz normales Mädchen aus Portland. Du bist ein erfolgreicher Millionär.“

„Da ist was dran“, sagte er lachend.

Sie wickelte den Burger aus dem Wachspapier. „Wenn hier jemand ein Snob ist, dann du.“

„Normalerweise garniere ich meine Burger mit ein wenig Kaviar.“

„Das entspricht schon eher meinen Erwartungen.“

„Dann werde ich dich wahrscheinlich noch öfter überraschen.“

„Lass mich raten: Du bist eigentlich ein ganz normaler Kerl.“

„Ja.“

„Dir gehören siebzehn Restaurants.“

Autor

Barbara Dunlop
Barbara Dunlop hat sich mit ihren humorvollen Romances einen großen Namen gemacht. Schon als kleines Mädchen dachte sie sich liebend gern Geschichten aus, doch wegen mangelnder Nachfrage blieb es stets bei einer Auflage von einem Exemplar. Das änderte sich, als sie ihr erstes Manuskript verkaufte: Mittlerweile haben die Romane von...
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