Wie soll ich Dir nur widerstehen?

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Cassies neuer Job ist nicht nur ein Karrieresprung, sondern auch eine Flucht: vor ihrer hoffnungslosen Liebe zu Keir O’Connell, ihrem attraktiven Exchef. Die Arbeit macht der frisch gebackenen Restaurantmanagerin Spaß - bis sie zum ersten Mal dem Besitzer gegenübersteht…


  • Erscheinungstag 09.09.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753078
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ein Spätsommermorgen, auf der Straße nach Las Vegas …

Die Sonne ging gerade auf, schickte ihre ersten goldenen Strahlen über die endlos weite Wüste, als Keir O’Connell die Bundesgrenze nach Nevada überquerte.

Der schwarze Ferrari fraß Meile um Meile. Ein Schild schoss vorbei, so jäh, dass Keir es nicht lesen konnte. Aber das brauchte er auch nicht. Er wusste, was daraufstand.

75 Meilen nach Las Vegas – willkommen im Desert Song Hotel und Casino.

Fünfundsiebzig Meilen. Wenn er seine jetzige Geschwindigkeit beibehielt, noch eine gute halbe Stunde Fahrt.

Keir drückte das Gaspedal tiefer durch.

Er war jetzt seit zwei Tagen unterwegs, fast ohne Pausen. Er hatte sich zu viel Zeit gelassen, und wenn er sich jetzt nicht beeilte, würde er die Hochzeit seiner Mutter verpassen.

Bei dem Gedanken hätte er fast gelächelt. Die Hochzeit der Duchess zu verpassen war keine Option. Sie würde warten, bis alle ihre sechs Kinder anwesend waren, bevor sie Dan Coyle das Eheversprechen gab. Und hinterher würde sie demjenigen, der für die Verzögerung verantwortlich war, das Fell über die Ohren ziehen.

Nein, zu spät zur Hochzeit zu kommen stand außer Frage. Keir sah auf die Uhr im Armaturenbrett. Außerdem hatte er genügend Zeit, die Feier fand schließlich erst morgen statt. Er sagte sich, dass er so schnell fuhr, weil er früh ankommen und mit seiner Familie zusammen sein wollte. Der wahre Grund war jedoch wohl eher, dass er einfach die Geschwindigkeit genoss.

Er fuhr gerne schnell, es entspannte ihn. Bis an die Grenzen zu gehen, zu sehen, wie weit er seinen Wagen antreiben konnte, ohne die Kontrolle zu verlieren. Das, oder mit einer Frau zusammen sein.

Danach stand ihm allerdings im Moment nicht der Sinn. In den dreißig Tagen, die er jetzt weg gewesen war, hatte er keine Frau mehr angefasst. Seit dem Tag, als er sich in einem mondbeschienenen Garten in Texas mit Cassie Berk zum Narren gemacht hatte.

Ein Monat. Mehr nicht? Hatte er wirklich in vier kurzen Wochen all diese sein Leben so grundlegend verändernden Entscheidungen getroffen? Eigentlich unmöglich, und besonders für ihn. Sein Leben lang musste er sich schon die Frotzeleien seiner Brüder anhören, er sei ein pedantischer Planungsfreak.

„Sei vorsichtig“, hatte seine Mutter damals gesagt, als er den Pilotenschein gemacht hatte. Und einer seiner Brüder – Sean wahrscheinlich – hatte lachend eingeworfen, niemand brauche sich Sorgen zu machen, denn Keir würde nie verunglücken, ohne es nicht vorher minutiös geplant zu haben.

Keir runzelte die Stirn.

Und wie kam es dann, dass er dabei war, seine Position als leitender Hoteldirektor des Desert Song aufzugeben, um zweieinhalbtausend Meilen entfernt in Connecticut eine Winzerei zu kaufen? Ein Anwesen, in das er schon jetzt ein kleines Vermögen gesteckt hatte.

Keir versuchte eine bequemere Stellung für seine Beine zu finden. Der Ferrari hatte mehr Platz als so manch anderes Auto, aber er war für Schnelligkeit gebaut, nicht für Komfort. Vor allem nicht, wenn der Fahrer über eins neunzig groß war.

Was Keir vorhatte, würde jeden unruhig machen. Und ja, warum sollte er es nicht zugeben – die Aussicht, Cassie wiederzusehen, machte ihn auch nervös. Niemand schaffte es, durchs Leben zu gehen, ohne Fehler zu machen. Entgegen Cassies Meinung war er nicht so arrogant, sich einzubilden, er wäre die glorreiche Ausnahme von der Regel. Aber was er sich in jener Nacht geleistet hatte …

Er schuldete dieser Frau eine Entschuldigung. Wahrscheinlich hatte sie sich inzwischen beruhigt und würde ihm gestatten, zu Kreuze zu kriechen. Es war einfach die Stimmung und der Moment gewesen. Zu viel Champagner, zu viel langsames Tanzen, zu viel zusammen verbrachte Zeit, weil er Gray Barons Trauzeuge und Cassie Dawn Lincolns Brautführerin gewesen waren.

Es war allein seine Schuld, und er war auch bereit, das zuzugeben. Verflucht, er war ihr Chef, er kannte die Regeln! Er selbst hatte sie für das Desert Song verfasst! Nicht nur die Regeln hinsichtlich sexueller Belästigung, auch die, die deutlich besagten, was er von seinen Leuten erwartete.

Logik. Vernunft. Gesunder Menschenverstand. Das waren die Prinzipien, nach denen er lebte. Und er hatte sie allesamt vergessen, in jener Nacht mit Cassie.

„Du bist ein arroganter, ichsüchtiger Idiot“, hatte sie ihn vor Wut schäumend angeschrien, als er das Richtige getan hatte und von ihr zurückgetreten war. Und hatte sie ihm die Gelegenheit gegeben, sich zu entschuldigen? Nein, natürlich nicht. Sie hatte ihn mit Ausdrücken belegt, die vielleicht sein Ego ankratzten, aber das Schlimmste – sie hatte recht damit gehabt.

Er hatte sie in eine Situation gebracht, in der sie im Unrecht war, ganz gleich, ob sie auf seinen Annäherungsversuch reagierte oder ihn abwies.

Oh, und wie sie reagiert hatte.

Auf jener Ranch in Texas hatte er sie in einer dunklen Ecke in seine Arme gezogen. Und dann hatte sie sich an ihn geklammert, hatte aufgestöhnt, als er seine Hände unter ihr Kleid geschoben hatte, dieses umwerfende Kleid, in dem sie ausgesehen hatte wie der Traum eines jeden Mannes und nicht wie eine Kellnerin in einer Cocktaillounge in Las Vegas …

Dieser Unsinn brachte ihn nicht weiter. Er war knapp fünfzig Meilen von Las Vegas und dreißig Tage und Nächte von jener Nacht entfernt. Warum also dachte er überhaupt daran?

Weil er Hunger hatte, deshalb. Seit achtundvierzig Stunden lebte er fast nur von Kaffee. Er hatte nur angehalten, um den Wagen mit Benzin und sein System mit Koffein aufzufüllen. Es war eine lange Fahrt von Connecticut nach Nevada. Wenn man es philosophisch betrachten wollte, könnte man sagen, es war die längste Fahrt seines Lebens.

Langsam tauchten andere Autos auf, auf dem Weg zu dem glitzernden Mekka in der Wüste. Keir verlangsamte das Tempo.

Er war nach New York gefahren, auch wenn das nicht sein ursprünglicher Plan gewesen war. Urlaub machen, einfach nur rauskommen. Eigentlich hatte er nach Tucson und dann weiter nach Phoenix gewollt, den Wagen auf der schnurgeraden Landstraße mal richtig ausfahren.

Und dann hatten seine Mutter und Dan Coyle, der Sicherheitschef des Desert Song, ihn auf der Hochzeitsfeier beiseitegenommen.

„Keir“, hatte die Duchess gesagt, bei Dan Coyle eingehängt, „sicher ist es eine Überraschung für dich, aber … Schatz, Dan und ich werden heiraten.“

Überraschung, ja. Aber eigentlich hätte er es sich denken können. Er hatte schon länger beobachtet, wie Dan der Duchess sehnsüchtige Blicke zuwarf und wie seine Mutter wie ein Schulmädchen errötete.

Also hatte er seine Mutter herzlich auf die Wange geküsst, Dan einen kräftigen Schlag auf die Schulter versetzt, und dann hatten sie zusammen gelacht und auch eine Träne vergossen. Woraufhin seine Mutter seine Hände genommen und ihm gesagt hatte, er solle mal richtig Urlaub machen. Mindestens vier Wochen.

„Du hast es dir redlich verdient“, hatte Mary bekräftigt. „Aber zu unserer Hochzeit musst du wieder zurück sein.“

Dan hatte zufrieden grinsend das Datum genannt, und als alles Händeschütteln und alle Scherze vorüber waren, hatte Keir tief Luft geholt und Mary eröffnet, dass er es für an der Zeit hielt, ihr das Management des Desert Song wieder zu übertragen und seiner eigenen Wege zu gehen.

Dan hatte ihn gedrängt, sich die Sache noch mal zu überlegen. „Machst du das, weil ich deine Mutter heirate? Keir, deshalb musst du nicht verschwinden.“

„Nein, dafür besteht wirklich keine Notwendigkeit“, hatte Mary leise mit einem zittrigen Lächeln gesagt. „Aber du willst gehen, nicht wahr? Das Song zu managen war nie das, was du dir gewünscht hast.“ Sie hatte ihrem Sohn die Hand auf den Arm gelegt. „Ich habe es immer geahnt.“

Da es die Wahrheit war, hatte Keir es auch nicht abgestritten. Sie hatten besprochen, wie es aussehen sollte, wenn er nicht mehr da war und Mary die Leitung übernahm.

„Zusammen mit Dan“, hatte sie entschieden gesagt, und Keir hatte nickend seine Zustimmung gegeben. Er mochte Coyle. Der Mann passte gut zu seiner Mutter, und wenn es jemanden gab, der sie auf Kurs halten konnte, dann Coyle.

Danach war Keir wieder zu den Festivitäten zurückgekehrt. Und zu Cassie.

Jetzt runzelte Keir die Stirn und setzte seine Sonnenbrille auf.

Er hatte am nächsten Morgen nach Tucson fahren wollen, aber nach dem Fiasko im Garten hatte er seine Sachen in den Kofferraum geworfen und war losgebraust. Richtung Osten, anstatt nach Westen. Nicht auf der Suche nach einem passenden Urlaub, sondern auf der Suche nach einem passenden Leben.

Sicher, es war ein gutes Gefühl, frei von der Verantwortung zu sein, die er vor sechs Jahren übernommen hatte. Aber frei wofür? Um was zu tun? Nur eines wusste er sicher: Er wollte nicht wieder zurück an die Börse. Er hatte ein Vermögen auf dem Aktienmarkt gemacht, bevor er das Song übernahm, aber das war Vergangenheit.

Er musste sich überlegen, was er mit der Zukunft anfangen wollte.

Also hatte er sich bei früheren Kollegen diskret umgehört, sobald er in New York angekommen war. Keine zwei Tage später hatte sich ein Rechtsanwalt mit ihm in Verbindung gesetzt, der eine französische Hotelkette vertrat. Ein Hotel an der East Side von Manhattan sei geplant, man würde seine Expertise zu schätzen wissen und ein mehr als ansehnliches Beraterhonorar zahlen. Ein gemeinsamer Lunch, noch ein Dinner, und Keir hatte tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, sich als Berater in New York niederzulassen. Das Tempo und die Atmosphäre der Stadt sagten ihm zu. Außerdem war es an der Zeit, Wurzeln zu schlagen.

So kam es, dass er vor wenigen Tagen noch auf der Terrasse einer Penthouse-Wohnung gestanden hatte, zusammen mit einer Immobilienmaklerin, die überschwänglich den Blick über die Stadt, die großzügig geschnittenen Räume, den Dachswimmingpool angepriesen hatte, als ihre Stimme plötzlich scheinbar immer leiser wurde. Keir sah nicht mehr den Ausblick, sondern sich selbst, auf immer eingesperrt in einem getäfelten Büro, dazu verdammt, den Rest seines Lebens in Anzug und Krawatte hinter einem Schreibtisch zu sitzen.

Was war aus dem kleinen Jungen geworden, der davon geträumt hatte, Astronaut zu werden? Der mit Schwert und Schild gegen Drachen im Kampf antreten wollte? Ein Penthouse mit Pool und Ausblick hatte nie zu diesen Träumen gehört.

Wie hatte er das nur vergessen können?

Also hatte er sich bei der Maklerin mit einem angeblich dringenden Termin entschuldigt, hatte sich in den Ferrari gesetzt und war Richtung Norden gefahren. So lange, bis er sich in den Feldern von Connecticut wiederfand.

Er war ziellos durch die Gegend gefahren, aber das Wetter war herrlich, und der Ferrari schnurrte satt. Als er an einer Tankstelle endlich eine Landkarte zurate zog, fiel ihm auf, dass er nur wenige Meilen von der Konkurrenz des Song entfernt war. Die indianischen Ureinwohner hatten hier ganz in der Nähe ein paar Hotels und Casinos eröffnet. Das Unternehmen lief gut. Warum also nicht Arbeit mit Vergnügen kombinieren und einfach mal nachsehen? Auch wenn er das Song nicht mehr leitete – vielleicht konnte er seiner Mutter und Dan ja ein paar Tipps zukommen lassen.

Eine interessante Erfahrung. Keir verbrachte den gesamten Vormittag in den Spielhallen und sah sich diskret um, machte sich im Kopf Notizen. Dann, aus Gründen, die er heute noch nicht nachvollziehen konnte, war er weitergefahren, eine Stunde, vielleicht anderthalb, bis er auf einer Straße gelandet war, auf der er den einzigen Verkehrsteilnehmer bildete und der Schrei eines Habichts das einzige Geräusch war.

Fast wäre er an dem Schild vorbeigefahren.

Deer Run Weingut. Lunch und Dinner, Donnerstag bis einschließlich Samstag. Nur mit Reservierung.

Es war Donnerstag. Keir sah auf seine Armbanduhr. Fast zwei. Ein bisschen spät für Lunch, und man brauchte eine Reservierung, aber … versuchen konnte er es ja.

Also war er in den schmalen Feldweg eingebogen. Am Ende der Straße erwartete ihn ein Bild wie ein Gemälde: eine alte Scheune, liebevoll zu einem Restaurant umgebaut, eine Außenterrasse inmitten eines blühenden Gartens, Tische unter Sonnenschirmen und dahinter endlose Reihen Reben, die sich über den Hang hinauf bis zu einem wunderschönen alten Herrenhaus zogen, das sich gegen den strahlend blauen Himmel abhob.

Etwas in Keir zog sich zusammen.

Ja, jemand habe gerade den bestellten Tisch abgesagt, lautete die Auskunft. Wenn der Herr nur ein wenig warten wolle … man würde das Gedeck auflegen …

Mit einem Glas Hauswein schlenderte Keir durch die Weinberge, sog tief den Duft von Reben und Erde ein …

Und wusste plötzlich mit absoluter Sicherheit, dass er hierher gehörte.

Also bat er den Eigentümer beim Kaffee zu einem Gespräch. Keir kam direkt zum Wesentlichen: Er wolle Deer Run kaufen. Der Besitzer strahlte. Seine Frau sei krank, sie brauche ein anderes Klima, erst vor ein paar Tagen hatten sie das Anwesen zum Verkauf auf den Markt gebracht. Was für ein famoser Zufall, dass Keir ausgerechnet jetzt hier auftauche.

Für Keir war es kein Zufall. Bis heute Nachmittag hatte er an nichts geglaubt, das er nicht mit seinen Augen sehen oder mit seinen Händen anfassen konnte, aber irgendeine Macht – Schicksal wollte er es nicht unbedingt nennen – war hier am Werk gewesen.

Er hatte sich die Bücher zeigen lassen, hatte die Daten an seinen Buchhalter und seinen Rechtsanwalt gefaxt. Und noch bevor die Sonne hinter den sanft geschwungenen Hügeln untergegangen war, war er der neue Besitzer von Deer Run.

Eine Dummheit? Sowohl Buchhalter als auch Rechtsanwalt waren zu höflich, um es laut auszusprechen. „Impulsiv“ hatten sie es genannt.

Keir bereute es nicht. Er musste sein Leben ändern, und er hatte es getan.

Las Vegas – 10 Meilen

Er war kein Mann, der sich von Impulsen leiten ließ, und doch hatte er es in den letzten Wochen dreimal getan. Er hatte den Deal mit der französischen Hotelkette fallen lassen, hatte ein Weingut gekauft … und eine Frau geküsst, die er nicht hätte küssen dürfen.

Warum hätte er etwas bereuen sollen? Ein Kuss war eben nur ein Kuss, das Fünfsternehotel und New York wären nicht richtig für ihn gewesen, aber das Weingut war es.

Nein, keine Reue, dachte er. Nicht einmal wegen des Kusses.

Er schaltete das Radio ein. Lauter, ehrlicher Rock ‚n’ Roll. Während seiner Fahrt durchs Land hatte er feststellen können, wie sich die Musik der lokalen Radiosender änderte. Im Osten hörte man viel Dylan und Debussy, kam man der Mitte des Landes näher, wurde Country gespielt, und hier, jenseits der Wüste und Las Vegas direkt vor sich, dröhnten harte Riffs durch die Lautsprecher.

Eigentlich zog er die alten Standards vor, Songs, die heute keiner mehr spielte. Embraceable You und Starlight, so was in der Art. Er war damit aufgewachsen, in der Lounge des Hotels war so etwas immer zu hören gewesen.

Auch auf Grays und Dawns Hochzeit hatte die Band diese langsame, rauchige Musik gespielt, vor allem, als es später wurde. Keir hatte mit Cassie getanzt und sie in seine Arme gezogen, so als hätte alles an diesem Tag nur diesem Moment entgegengefiebert.

Er kannte die Gründe dafür. Auf Hochzeitsfeiern, wenn der Wein die Hemmschwelle senkte, taten die Leute Dinge, die sie sich sonst im Traum nicht einfallen lassen würden.

Wie oft hatte er eigentlich mit anderen angestoßen? Wie viele schnelle Tänze hatte er mit Cassie getanzt, hatte zugesehen, wie ihr das Kleid um die langen, schlanken Beine wirbelte und der leichte Abendwind den seidigen Stoff an den Körper presste? Wie oft hatte er ihren Duft erhascht, wenn er sich zu ihr beugte, um sie etwas zu fragen?

Kein Wunder, dass sie ihm plötzlich wie das Fleisch gewordene Traumbild eines jeden Mannes vorgekommen war.

Und so hatte er sie während des Tanzes durch den Garten geführt, in eine ruhige Ecke, weg von den anderen, weg von den Lichtern. Er war sogar versucht gewesen, sie zu bitten, am nächsten Tag mit ihm zu gehen. Hatte sich ausgemalt, wie es wohl sein müsste mit ihr – irgendwo in einem kleinen, versteckten Liebesnest …

Er hatte ihren Namen gemurmelt und sie geküsst. Nur geküsst.

Bis sie einen kleinen Seufzer ausgestoßen und sich enger an ihn geschmiegt hatte. Und plötzlich hatte es ihn mitgerissen. Seine Hände waren fiebrig über ihren Rücken gewandert, er hatte sie hart an sich gepresst, hatte sie hochgehoben und sich auf die Hüften gesetzt, seine Finger waren unter ihr Kleid und über ihre seidigen Schenkel geglitten …

Jetzt umklammerten Keirs Finger das Lenkrad fester. Na großartig. Er war wieder genau da, wo er angefangen hatte, als er in jener Nacht von der Hochzeitsfeier abgefahren war. Kam sich wieder genauso idiotisch vor, weil er sich an eine Frau herangemacht hatte, die für ihn arbeitete. Die wahrscheinlich Angst hatte, ihren Chef zurückzuweisen, oder die sich vielleicht eine Beförderung erhoffte, wenn sie den Chef nicht zurückwies.

Es war ihm bestens in Erinnerung geblieben, wie sie sich in seinen Armen versteift hatte, er konnte immer noch ihre Stimme hören.

„Nein“, hatte sie gesagt. „Keir, nicht.“

Das hatte ihn zur Vernunft gebracht. Wie sie mit zitternder Stimme seinen Namen ausgesprochen hatte, wie ihr warmer, nachgiebiger Körper kalt und hart wurde. Vielleicht war das ja alles auch nur Taktik gewesen, ein Spiel, um ihn noch mehr nach ihr verlangen zu lassen. Allerdings, wäre sein Verlangen nach ihr noch gewachsen, wäre er wahrscheinlich explodiert.

Schön, er hatte sich schon öfter zum Narren gemacht und es überlebt. Allerdings noch nie mit einer Frau. Nun ja. Einmal ist immer das erste Mal. Er würde Cassie sehen und sich entschuldigen. Das war kein Problem, nicht für ihn. Gab es da nicht irgendein altes irisches Sprichwort, das besagte, Demut sei gut für den Charakter?

Und was den Kauf des Weinguts anbelangte …

Aber genug der inneren Einkehr und Selbstanalyse. Bis nach Hause waren es nur noch wenige Minuten, seine Mutter heiratete morgen, und er freute sich bereits auf die übliche feuchtfröhliche Familienzusammenkunft mit dem Rest des O’Connell-Clans.

Keir fluchte und trat mit Wucht auf die Bremse.

Vor ihm steckte ein Armadillo vorsichtig die Nase aus dem Gebüsch am Straßenrand, machte ein paar Schritte auf die asphaltierte Straße, drehte den Kopf nach links, dann nach rechts und zog sich wieder ins Gebüsch zurück.

Unbeeindruckt legte Keir den Gang ein und ließ das Tier in einer aufwirbelnden Staubwolke zurück.

Wenig später lenkte er den Wagen auf den Angestelltenparkplatz des Desert Song und parkte auf dem für ihn reservierten Platz. Der Sicherheitsmann am Hintereingang begrüßte ihn mit einem breiten Lächeln.

„Hi, Mr. O’Connell. Sie sind wieder da.“

„Hallo, Howard.“ Keir begrüßte den Mann mit Handschlag. „Wie geht’s Ihrer Frau? Das Baby müsste bald kommen, oder?“

„Ja, Sir, noch knappe zwei Wochen. Wie war der Urlaub?“

„Großartig.“

„Und jetzt wieder zurück an die Arbeit, was?“

„Ja, so ähnlich. Sagen Sie Bescheid, wenn Sie Vater geworden sind, dann kann ich auch gratulieren.“

Keir lächelte nicht mehr, als er das Hotel betrat und den Korridor entlangging, in dem die Büros lagen. Er konnte fast körperlich spüren, wie dieser Betrieb ihn vereinnahmte. Selbst das Atmen fiel schwerer.

Einen Monat weg, und jetzt war ihm wirklich klar, wie lange er schon aus dem Betrieb rauswollte.

Seine Mutter hatte doch gesagt, dass sie verstand. Oder?

Nach dem Tod seines Vaters war er nach Vegas gekommen, um bei der Leitung des Hotels zu helfen. Er war der älteste Sohn, der Einzige des Clans, der bis dahin genügend Verantwortungsbewusstsein an den Tag gelegt hatte. Cullen hatte mit Verantwortung nicht viel zu tun. Der hatte die Uni verlassen, kurz vor dem Abschluss, um weiß der Himmel was zu tun. Sean war … nun, niemand hatte eigentlich je gewusst, was Sean tat und wo er es tat. Und die Mädchen, Megan, Fallon und Briana, waren damals noch zur Schule gegangen.

Gerade, als seine Mutter sich bereit erklärte, die Leitung allein zu übernehmen, hatte sie einen schweren Herzinfarkt erlitten. Also war er geblieben. Viel länger, als er je vorgehabt hatte.

Keir drückte ein zweites Mal auf den Rufknopf des Personalaufzugs und wippte auf den Absätzen. Er würde den Wartungsdienst benachrichtigen, damit die sich das ansahen. Hier gab es nur zwei Lifts, die dem Personal zur Verfügung standen. Die sollten wenigstens funktionieren.

Durch eine Laune des Schicksals hatte er die Verantwortung für das Desert Song abschütteln können. Und durch eine weitere Laune hatte er gefunden, wonach er gesucht hatte, auch wenn er nicht mehr von Wein verstand, als ihn zu trinken.

Er war rastlos. Eigentlich war er immer rastlos gewesen, nicht nur die sechs Jahre, die er für seine Mutter gearbeitet hatte. Während seiner Reise war ihm das klar geworden. Die Episode, die sich da in dem Garten in Texas abgespielt hatte, war der erste Schritt zur Selbsterkenntnis gewesen.

Er hatte es vor seiner Familie verborgen wie ein schmutziges Geheimnis.

„Mein starker, verlässlicher Junge“, hatte Mary einmal zu ihm gesagt. „Genau wie mein Ruarch.“

Verlässlich? Sein Vater? Ruarch O’Connell war ein Spieler gewesen, hatte seine Familie von Ort zu Ort geschleift, von Glücksspiel zu Glücksspiel und hatte nie auch nur einen Gedanken an das Morgen verschwendet.

Keir wollte nicht wie sein Vater sein. Er wollte wissen, was das Morgen brachte. Und er hatte in seinem ganzen Leben noch keine Münze in einen Glücksspielautomaten gesteckt.

Warum ließ er sich also jetzt auf ein solches Spiel ein?

Nun, in Grundbesitz zu investieren war kein Glücksspiel, sondern vernünftig. Genauso vernünftig wie zu wissen, dass eine Frau ihn wollte, und ihr dann doch zu erlauben vorzugeben, sie würde ihn nicht begehren …

Leise fluchend hämmerte er auf den Rufknopf. Er brauchte jetzt eine Dusche, etwas zu essen und eine oder auch zwei Stunden Schlaf. Deshalb nahm er den Hintereingang zu seiner Suite – weil er weder der Duchess noch seinen Geschwistern über den Weg laufen wollte.

Doch garantiert nicht, um Cassie zu meiden.

Schon seltsam, eigentlich war sie ihm nie so richtig aufgefallen. Bis zu jener Nacht in dem Garten. Sie war eine Angestellte. Wahrscheinlich hätte er nicht einmal ihren Namen gekannt, wenn sie nicht Dawns Freundin wäre und seine Mutter, die Duchess, Dawn mögen würde.

Hallo und auf Wiedersehen, weiter ging der Kontakt nicht. Er wusste nicht einmal, seit wann sie im Song arbeitete. Sie servierte Drinks im Casino, in der Casino-Uniform – kurzer schwarzer Rock, tief ausgeschnittene schwarze Bluse, schwarze Netzstrümpfe, Stöckelschuhe. Dürftig bekleidete Frauen waren die Norm in Vegas. Wieso hätte sie ihm also auffallen sollen?

Aber auf der Hochzeit hatte sie nicht so ausgesehen. Möglich, dass er deshalb auf sie aufmerksam geworden war. Na schön, vielleicht hatte er sie schon vorher ein- oder zweimal angesehen. Selbst in Vegas, das voller schöner Frauen war, stach Cassies Aussehen heraus.

Was hatte sein Bruder Sean noch über Männer und gut aussehende Frauen gesagt? Vielleicht war es auch Cullen gewesen, aber das war gleich. Die Aussage blieb dieselbe.

Männer litten allgemein unter RDS. Reißverschlussdenken-Syndrom. Sobald eine sexy Frau auftauchte, dachten Männer eben nur noch mit dem Reißverschluss, nicht mehr mit dem Kopf.

Keir grinste unwillkürlich. Die altbekannte RDS-Theorie.

Endlich blinkten die Zahlen auf dem Display auf. Der Aufzug bewegte sich. Zwölf, zehn, acht, sechs, vier, zwei. Pling. Keir atmete durch.

Okay, Problem erkannt, Problem gebannt. Seinetwegen konnte Cassie Berk jetzt nackt in dem Aufzug stehen, es würde ihm nichts ausmachen.

Allerdings war das nicht ganz das Bild, das sich Keir bot, als die Türen aufglitten. Tatsächlich war Cassie in dem Lift, aber sie trug Rock und Bluse und Schuhe …

Moment – sie trug nur einen Schuh. Der andere steckte mit dem Absatz in einer Holzplanke fest, und sie hatte sich darübergebeugt, um ihn herauszuziehen, ihr süßes kleines Hinterteil zur Tür gewandt. Entweder war sie zu beschäftigt, als dass ihr auffiel, dass sie mittlerweile Publikum hatte, oder es kümmerte sie nicht.

Und Keir war zu fasziniert, als dass er sich noch erinnern konnte, dass er viel zu alt war, um sich von RDS ablenken zu lassen.

Keir räusperte sich und setzte sein bestes Chef-Lächeln auf. „Hallo, Cassie.“

Mit einem Ruck kam sie hoch und drehte sich zu ihm um. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht wechselte von Überraschung zu Erkennen zu Abneigung.

„Du!“

So viel Verachtung in einem einzigen kleinen Wort. Nun, er konnte es ihr nicht verübeln. Ihre Erinnerung an den Abend konnte nicht viel besser sein als seine. Freundlich bleiben, mahnte er sich. „Stimmt, ich.“ Er nickte zu dem Schuh. „Gibt’s Probleme?“

„Nein“, fauchte sie. „Ich stehe immer in Aufzügen mit einem Schuh, während der andere …“

Die Aufzugskabine setzte sich in Bewegung. Cassie war nicht darauf vorbereitet, sie strauchelte.

„Vorsicht.“ Keir streckte die Hand aus, doch Cassie schlug sie weg und griff nach der Haltestange.

„Fass mich nicht an.“

So viel also zur Höflichkeit. „Wenn du dir unbedingt den Hals brechen willst … bitte, von mir aus.“ Mit vor der Brust verschränkten Armen beobachtete er ihre Bemühungen, den Schuh zu befreien. „Sei nicht albern, ich helfe dir. Oder wäre es dir lieber, wenn ich die Jungs vom technischen Wartungsdienst rufe?“

„Diese Idioten? Die waren es doch, die dieses verdammte Brett hier haben liegen lassen.“ Sie beugte sich wieder hinunter. „Ich mache das selbst.“

Gut möglich, aber wer weiß, was er tun würde, wenn sie ihm weiterhin ihren Po entgegenstreckte. „Nicht während meiner Arbeitszeit, und nicht in meinem Aufzug. Verdammt, was soll dieses ganze Gerede über etwas so Simples?“

„Fein! Wer bin ich denn, dass ich dem Verantwortlichen hier widersprechen würde!“

„Ein Danke hätte auch genügt.“ Keir ging in die Hocke, zog den Schuh mit einem Ruck aus der Planke und richtete sich auf. „Hier. Wenn du das nächste Mal beschließt, Pfennigabsätze zu tragen …“

Die Kabine kam zum Stehen. Cassie schrie nun leise auf, stolperte – und landete in Keirs Armen.

Sie schnappte nach Luft. Er auch. Ihr Rücken lag an seiner Brust, ihr Hinterteil an seinem Schoß. Nicht bewegen, war alles, was er denken konnte. Jetzt nur nicht bewegen …

Die Türen glitten auf. Keir hörte ein unterdrücktes Lachen. Er drehte sich um, mit Cassie in den Armen, und blickte in zwei nur allzu vertraute, höchst interessierte Gesichter.

Cassie stöhnte. „Deine Brüder?“

Keir nickte stumm.

Sean und Cullen O’Connell grinsten nur.

2. KAPITEL

Der Tag war eigentlich ziemlich gut gelaufen …

Autor

Sandra Marton
Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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