Zauber der Wüste

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In einer heißen Wüstennacht lässt Kayleen sich von Prinz As’ad zur Liebe verführen und ist überglücklich. Bis As’ad entdeckt, dass er ihr erster Mann ist, und ihr sofort einen Antrag macht. Nur aus Pflichtgefühl? Denn die magischen drei Worte sagt er nicht …


  • Erscheinungstag 07.04.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733765606
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

„Was für eine unmögliche Situation.“ König Mukhtar von El Deharia schritt gereizt in seinen Privatgemächern auf und ab.

Prinzessin Lina blieb unbeeindruckt, was ihr einen tadelnden Blick von ihrem Bruder einbrachte. „Du lächelst. Findest du das etwa komisch? Ich habe drei Söhne in heiratsfähigem Alter. Drei! Und keiner zeigt auch nur das geringste Interesse an einer Ehe. Nein, stattdessen scheinen sie alle mit ihrer Arbeit verheiratet zu sein. Warum amüsieren sie sich nicht ein bisschen wie andere Männer auch?“

Lina musste lachen. „Du beklagst dich, weil deine Söhne fleißig sind und keine Playboys? Was bedrückt dich außerdem? Zu viel Geld in der Schatzkammer? Dass die Krone zu schwer ist?“

„Du machst dich über mich lustig.“

„Als deine Schwester ist das geradezu meine Pflicht.“

„Mich plagen ernsthafte Sorgen“, beharrte er gekränkt. „Was soll ich machen? Ich brauche einen Erben und wünsche mir Enkelkinder. Und was tun meine Söhne? Qadir repräsentiert unser Königreich im Ausland und ist damit vollauf beschäftigt. As’ad kümmert sich Tag und Nacht um die wirtschaftlichen Belange, höchst erfolgreich, wie ich zugeben muss. Und Kateb? Der hat sich in die Wüste zurückgezogen und mimt den Beduinenfürsten.“

„Hm, ich wüsste vielleicht einen Rat für dich. Willst du ihn hören?“

„Ja, heraus damit.“ Mukhtar verschränkte die Arme vor der Brust.

Aber deine Körpersprache drückt das Gegenteil aus, dachte Lina amüsiert. An die gebieterische Attitüde ihres Bruders war sie natürlich längst gewöhnt. Dass er sie jetzt tatsächlich um Rat fragte, bedeutete großes Vertrauen, und Lina beschloss, besonders einfühlsam vorzugehen.

„Ich denke da an König Hassan von Bahania“, begann sie. „Er hat seine Söhne allesamt glücklich verheiratet.“

„Wie das?“ Mukhtars Interesse war geweckt.

„Na ja, er hat sie verkuppelt, wobei er nicht zimperlich vorgegangen ist.“

„Du willst sagen …“

„Er hat sich in ihr Privatleben eingemischt, Situationen herbeigeführt, um seine Söhne mit passenden Kandidatinnen in Kontakt zu bringen. Mit Erfolg.“

In Mukhtars Blick stand Ablehnung. „Ich bin der König von El Deharia. Ein solches Verhalten schickt sich nicht für ein Staatsoberhaupt.“

„Da gebe ich dir völlig recht.“ Lina unterdrückte ein amüsiertes Lächeln. Sie wusste genau, was gleich kommen würde.

„Nun, du hingegen unterliegst nicht den Zwängen meiner Position. Du könntest an meiner Stelle …“ Seine Augen verengten sich. „Das hast du doch alles längst eingefädelt, oder?“

„Ich gebe zu, mir fallen da auf Anhieb ein paar junge Damen ein, die zu meinem Neffen passen könnten“, legte sie ihren Köder aus.

Mukhtar biss an, wie erwartet. „Da bin ich aber gespannt. Erzähl.“

1. KAPITEL

Prinz As’ad von El Deharia schätzte einen reibungslosen Tagesablauf, wofür sein sorgfältig ausgewähltes Personal mit stets gleichbleibender Routine sorgte. Seine Arbeit im Palast machte ihm Freude, und er liebte die Verantwortung, die mit dem Ausbau der Infrastruktur des aufstrebenden kleinen Königreichs verbunden war.

Natürlich könnte er seine Stellung als reicher Prinz und Scheich auch nutzen, um sich ein schönes Leben zu machen. So sahen das zumindest einige seiner ehemaligen Kommilitonen. Doch das war nicht As’ads Welt.

Seine einzige Schwäche war seine Tante Lina. Deshalb erlaubte er ihr auch, unangemeldet in sein Büro zu platzen. Eine Entscheidung, die er später bereuen würde, doch das wusste er jetzt noch nicht.

„As’ad, du musst sofort mitkommen!“, bestürmte die sonst so beherrschte Lina ihn aufgeregt. „Im Waiseninternat gibt es Ärger. Ein Stammesfürst aus der Wüste ist dort aufgetaucht und erhebt Anspruch auf drei Schwestern. Natürlich weigern die Mädchen sich, und eine der Lehrerinnen droht, vom Dach zu springen, wenn du die Sache nicht regelst.“

„Warum ich?“

„Du bist bekannt für deine Vernunft und deinen Sinn für Gerechtigkeit. Wer sonst wäre besser geeignet als du?“, erwiderte Lina – und wich seinem Blick aus.

Sofort kam ihm der Verdacht, manipuliert zu werden. Seine Tante setzte gern ihren Kopf durch, und dafür war ihr jedes Mittel recht.

Sie bedachte ihn mit einem unschuldsvollen Blick, in den sich schiere Verzweiflung mischte. „Da ist wirklich die Hölle los. Bitte komm, As’ad.“

Widerstrebend fügte er sich. Was blieb ihm auch anderes übrig?

Eine Viertelstunde später wünschte As’ad sich ganz weit weg, am besten auf den Mond. In der Schule erwartete ihn ein unbeschreibliches Chaos. Schülerinnen weinten laut, verzweifelte Lehrerinnen, ebenfalls den Tränen nahe, versuchten Ordnung zu schaffen. Der Stammesfürst, eine imposante, hoch gewachsene Erscheinung, und seine Männer diskutierten hitzig mit einer zierlichen jungen Frau, deren Haar wie rotes Herbstlaub leuchtete. Hinter ihrem Rücken drängten sich besagte drei Schwestern schluchzend aneinander.

„Ich entdecke niemanden auf dem Dach.“ Er sah seine Tante fragend an.

„Nun, vermutlich hat sich die Lage inzwischen etwas entspannt, wenn auch nicht völlig, wie du selbst siehst.“

Lina hatte recht. Bewundernd betrachtete er die Frau mit den langen roten Haaren und der kämpferischen Miene, die dem Furcht einflößenden Stammesfürsten so tapfer die Stirn bot.

As’ad trat auf ihn zu und neigte zur Begrüßung respektvoll den Kopf. „Tahir, du verlässt die Wüste nicht oft, um uns mit der Ehre deiner Anwesenheit zu beglücken. Hast du vor, länger zu bleiben?“

Tahir zügelte seinen Zorn und verbeugte sich respektvoll. „Prinz As’ad. Endlich ein Mensch mit Verstand! Ich wollte Euch in der Stadt aufsuchen, doch diese Frau …“, er spuckte das Wort aus wie eine Beleidigung, „… macht Schwierigkeiten. Die Pflicht hat mich hergeführt sowie das Bedürfnis, die Gastfreundschaft der Wüste zu bekunden. Das begreift diese Amerikanerin offenbar nicht und hindert mich an der Erfüllung meiner ehrenvollen Aufgabe.“ Tahirs Stimme bebte vor unterdrückter Wut und Empörung.

As’ad unterdrückte ein entnervtes Seufzen. Hier stand ihm noch einiges bevor, das ahnte er.

„Ich werde euch bis zum letzten Atemzug verteidigen, falls nötig“, ließ sich in diesem Moment die Lehrerin mit fester Stimme vernehmen. „Ihr Vorhaben ist unmenschlich und grausam. Das erlaube ich nicht!“ Sie funkelte As’ad kampflustig an. „Daran können auch Sie nichts ändern.“

„Sie sind …?“ Er schlug bewusst einen herrischen Ton an. Um Kontrolle über die Situation zu erlangen, musste er seine absolute Autorität demonstrieren.

„Kayleen James. Ich bin Lehrerin.“ Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch As’ad schüttelte den Kopf.

„Ich stelle hier die Fragen, und Sie antworten.“

Unter ihren Sommersprossen wurde sie blass. „Was soll das heißen? Wissen Sie überhaupt, was dieser schreckliche Kerl mit den drei unschuldigen Mädchen vorhat?“, trotzte sie ihm unerschrocken.

Ihre großen Augen waren von ungewöhnlicher Farbe: einer Mischung aus Meergrün und Saphirblau. Jetzt, da Tränen sie verschleierten, dominierte das Blau.

As’ad wandte sich an Tahir. „Mein Freund, was genau führt dich hierher?“

Tahir deutete auf die Mädchen. „Die da. Ihr Vater stammt aus meinem Dorf. Er ging fort, um die Schule zu besuchen, aber er ist immer noch einer von uns. Kürzlich erfuhren wir von seinem Tod. Ich bin hier, um die Mädchen nach Hause zu holen, ins Dorf.“

Kayleen machte einen Schritt auf ihn zu. „Wo Sie sie voneinander trennen und zu Hausdienerinnen machen wollen.“

„Es sind Mädchen, und irgendjemand muss sich um sie kümmern. Einige Familien im Dorf haben sich bereit erklärt, jeweils eine bei sich aufzunehmen. Wir ehren das Andenken ihres Vaters.“ Tahir blickte As’ad stolz an. „Man wird sie gut behandeln, dafür verbürge ich mich mit meiner Ehre.“

„Niemals!“, rief Kayleen leidenschaftlich aus. „Sie werden sie nicht mitnehmen. Die drei haben nur einander. Es ist nicht recht, sie zu trennen. Sie verdienen zumindest die Chance auf eine bessere Zukunft.“

As’ad sehnte sich nach der geordneten Routine seines Büroalltags. „Lina, bleib du bitte bei den Mädchen.“ Mit einer Kopfbewegung befahl er Kayleen, ihm zu folgen. „Sie kommen mit mir.“

Kayleen blickte Lina verunsichert an, doch diese bedeutete ihr mit einem Nicken, As’ad zu gehorchen. Mit zitternden Knien setzte sie sich in Bewegung und betrat das leere Klassenzimmer, in das As’ad verschwunden war.

Er schloss die Tür hinter ihr und musterte sie forschend. „Also, jetzt mal ganz von vorn. Was war heute hier los?“

Bis zu diesem Moment hatte Kayleen ihn gar nicht richtig wahrgenommen. Jetzt sah sie sich einem dunkelhaarigen, attraktiven Mann mit breiten Schultern gegenüber, der sie weit überragte. Und ihr Herz zum Klopfen brachte … In ihrem Alltag ergaben sich nicht viele Kontakte zu Männern, was ihr nur recht war. „Ich habe unterrichtet“, begann sie. Es fiel ihr plötzlich schwer, ihm in die dunkelbraunen Augen zu schauen … und mindestens genauso schwer, den Blick abzuwenden. „Pepper – das ist die Jüngste der drei – platzte aufgeregt ins Klassenzimmer und behauptete, ein böser Mann wolle sie mitnehmen. Im Flur traf ich dann auf den Stammesfürsten, der Dana und Nadine bereits in seiner Gewalt hatte.“ Auf As’ads skeptischen Blick hin bekräftigte sie: „Ich übertreibe nicht, falls Sie das denken. Er hielt die kleinen Mädchen fest am Arm gepackt. Einer seiner Gefolgsleute schnappte sich Pepper. Sie hatten ihr Ziel erreicht und wollten offensichtlich los, zurück ins Dorf, wie er sagte.“

Kayleen holte zitternd Luft. „Ich fing an zu schreien und geriet irgendwie zwischen den Stammesfürsten und die Treppe. Möglich, dass ich ihn angegriffen habe.“ Beschämt dachte sie, dass ein solches Verhalten allem widersprach, woran sie glaubte: Geduld, Demut und Gewaltlosigkeit. Manchmal jedoch … manchmal brachte ein gezielter Tritt gegen das Schienbein bessere Resultate.

Um As’ads Mundwinkel zuckte es verräterisch. „Sie haben Tahir ge­schlagen?“

„Getreten, nicht geschlagen.“ Als ob das einen Unterschied ausmachte …

„Was passierte dann?“

„Seine Männer ergriffen mich. Dadurch wurde ihre Aufmerksamkeit von den Mädchen abgelenkt. Sie fingen an zu schreien, ich schrie, dann stürmten andere Lehrerinnen herbei. Es war das reinste Chaos.“ Kayleen straffte die Schultern. „Bitte, Sie können das unmöglich zulassen. Die drei haben schon so viel durchgemacht. Sie brauchen einander … und sie brauchen mich.“

„Sie sind nur ihre Lehrerin“, hielt As’ad dagegen.

„Das schon, aber wir stehen einander sehr nahe, leben unter demselben Dach. Abends lese ich ihnen vor, und sie wenden sich mit ihren kleinen und großen Sorgen an mich.“ Tatsächlich ersetzten die Schwestern ihr die Familie, weshalb Kayleen sie bis zum Letzten verteidigen würde. „Sie sind doch noch so klein … Dana, die Ältere, ist elf und möchte einmal Ärztin werden. Die neunjährige Nadine träumt von einer Karriere als Tänzerin. Und die kleine Pepper … sie kann sich kaum noch an ihre Mutter erinnern und ist umso mehr auf ihre beiden Schwestern angewiesen.“

„Man würde sie im selben Dorf unterbringen.“

„Aber nicht im selben Haushalt.“ Begriff er denn nicht? „Tahirs Ausdrucksweise spricht doch Bände: Die Leute aus dem Dorf sind bereit, sich um die Mädchen zu kümmern. Das klingt, als würden sie ein Opfer bringen. Wäre es da nicht besser, sie in einer Umgebung zu belassen, wo sie geliebt und willkommen sind? Wer weiß, was der grässliche Kerl ihnen antun will …“

„Nichts will er ihnen antun“, gab As’ad scharf zurück. In seiner Stimme lag die deutliche Warnung, den Bogen nicht zu überspannen. „Sie stünden unter seinem Schutz, bei seiner Ehre.“

„Aber ihre schulische Erziehung? Die käme auf jeden Fall zu kurz.“ Kayleen war noch längst nicht bereit aufzugeben. „Ihre Mutter war Amerikanerin. Sie haben ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben.“ Ihre Augen funkelten vor Empörung.

„Ihr Vater stammt aus El Deharia, die Kinder gehören zu uns“, konterte As’ad energisch. „Es wäre das Beste, sie wüchsen im Dorf ihres Vaters auf.“

„Als Hausmädchen?“

As’ad zögerte. „Wenn dies ihr Schicksal ist …“

„Dann darf er sie nicht mitnehmen“, erklärte sie mit fester Stimme.

„Diese Entscheidung treffen nicht Sie.“

„Dann treffen Sie sie.“ Am liebsten hätte Kayleen ihm ebenfalls einen Tritt gegen das Schienbein verpasst. Sie liebte El Deharia, das war nicht der Punkt. Sie liebte die Menschen hier, ihre Freundlichkeit, die unendliche Weite der Wüste. Was sie ärgerte, war die auf überholten Traditionen basierende Vorstellung, Männer wüssten alles besser. „Haben Sie Kinder, Prinz As’ad?“

„Nein.“

„Aber doch sicher Geschwister?“

„Fünf Brüder“, erwiderte er reserviert.

„Sie hätten doch sicher nicht gewollt, dass man sie auseinanderreißt, oder?“

As’ad ließ ihre Frage unbeantwortet. „Die Mädchen sind aber nicht Ihre Schwestern.“

„Nein, eher wie meine eigenen Kinder. Sie leben erst seit ein paar Monaten hier. Ihre Mutter starb vor einem Jahr, und der Vater hat die Mädchen hierher zurückgebracht. Nach seinem plötzlichen Tod übergab man sie der Obhut dieses Waiseninternats. Ich habe sie getröstet, wenn sie sich Nacht für Nacht vor lauter Kummer in den Schlaf weinten. Ich bin es gewesen, die sie zum Essen überredet und ihnen ein besseres Leben versprochen hat.“ Kayleen reckte stolz das Kinn vor. „Hier ist immerzu die Rede von Tahirs Ehre. Nun, ich gab den Mädchen mein Wort, dass eine vielversprechende Zukunft auf sie wartet. Wenn Sie diesem Kerl erlauben, die drei zu verschleppen, bedeutet mein Wort nichts, gar nichts. Sind Sie wirklich so herzlos, die Hoffnungen und Träume dreier kleiner Mädchen zu zerstören, die bereits ihre Eltern verloren haben?“

As’ad spürte einen ersten Anflug von Kopfschmerzen. Alle Achtung, diese Kayleen James hatte es wirklich drauf. Unter anderen Umständen hätte er ihr nachgegeben. Aber in diesem Fall lagen die Dinge komplizierter. „Tahir ist ein mächtiger Stammesfürst“, sagte er. „Es wäre dumm, ihn wegen einer solchen Nichtigkeit zu brüskieren.“

„Nichtigkeit?“ Kayleen fasste es nicht. Dieser arrogante … „Weil es sich um Mädchen handelt, ja? Wären es Jungen, sähe die Sache natürlich anders aus.“ Ihre Stimme bebte vor Empörung.

„Das Geschlecht der Kinder tut nichts zur Sache. Es geht hier um Tahirs Ehre. Diese zu verletzen, könnte ernsthafte politische Konsequenzen nach sich ziehen.“

In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und Lina kam herein.

Kayleen erschrak. „Hat er die Mädchen mitgenommen?“ Sie sah Lina aus angstvoll geweiteten Augen an.

„Natürlich nicht. Die Kinder sind längst auf ihren Zimmern. Tahir und seine Männer trinken Tee mit dem Direktor.“ Lina wandte sich erwartungsvoll an ihren Bruder. „Was hast du beschlossen?“

„Dass ich dich nie wieder unangemeldet in mein Büro lasse“, erwiderte er prompt.

Ein siegessicheres Lächeln umspielte ihre Lippen. „Du könntest mir nichts abschlagen, As’ad. Genauso wenig wie ich dir.“

Oh, das klang gefährlich. Lina hatte sich offensichtlich auf die Seite der Lehrerin geschlagen. Normalerweise respektierte er ihre mitfühlende Art, doch heute erwies sich dieser noble Charakterzug eher als störend. „Tahirs Macht ist nicht zu unterschätzen. Es wäre eine Riesendummheit, ihn zu verprellen.“

Lina überraschte ihn, indem sie einräumte: „Da gebe ich dir recht.“

„Prinzessin Lina, nein!“, rief Kayleen entsetzt aus. „Das haben die Mädchen nicht verdient!“

„Keine Angst, meine Liebe.“ Beschwichtigend legte Lina ihr die Hand auf den Arm. „Hier braucht es lediglich ein bisschen diplomatisches Geschick. Ob Sie es nun glauben oder nicht, Kayleen, Tahirs Motive sind durchaus ehrenhaft. Deshalb dürfen wir ihn auch nicht beleidigen, indem wir sein Angebot offen zurückweisen.“ Sie wandte sich an As’ad. „Damit Tahir nicht sein Gesicht verliert, sehe ich nur eine einzige Möglichkeit: Ein Mann, der im Rang höher steht als er, muss die Mädchen in seine Obhut nehmen.“

„Einverstanden“, stimmte As’ad zu. „Aber wer …?“

„Du.“

Er sah seine Tante entgeistert an. „Du erwartest allen Ernstes, dass ich drei Waisenmädchen in Pflege nehme?“ Es war unfassbar … unmöglich … und typisch Lina.

„As’ad, der Palast verfügt über Hunderte von Räumen. Die Unterbringung wäre also kein Problem. Du hättest doch kaum etwas mit den Mädchen zu tun. Sie stünden lediglich unter deinem Schutz, bis sie erwachsen sind und selbst für sich sorgen können. Es käme dir auch in anderer Hinsicht zugute. Die Anwesenheit dreier Quasi-Enkelkinder lenkt den König womöglich von gewissen anderen Plänen ab“, fügte sie listig hinzu.

Oh … dieses Argument hatte tatsächlich etwas für sich. Der Ehrgeiz von König Mukhtar, seine Söhne so schnell wie möglich unter die Haube zu bringen, nahm inzwischen schon paranoide Züge an. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit ließ er eine Parade heiratswilliger junger Damen aufmarschieren.

As’ad wusste, es war seine Pflicht, zu heiraten und für Erben zu sorgen. Dennoch scheute er jede emotionale Bindung. Vermutlich, weil er beim Tod seiner Mutter am Beispiel seines Vaters miterlebt hatte, wie Gefühle einen Mann schwach machten. Fatalerweise erschien ihm eine arrangierte Ehe allerdings noch weniger reizvoll als eine Liebesheirat. Diese Haltung brachte ihn in ein kaum lösbares Dilemma. „Wer würde sich denn um die Mädchen kümmern?“, gab er zu bedenken. „Sie können sich schließlich nicht selbst erziehen.“

„Engagiere eine Nanny“, schlug Lina vor. „Zum Beispiel Kayleen.“

„Moment mal“, warf diese alarmiert ein. „Was wird mit meinem Job hier?“

„Haben Sie den Mädchen nicht Ihr Wort auf ein besseres Leben gegeben?“ Lina ließ gerade das richtige Quäntchen Enttäuschung in ihrem Ton mitschwingen. „Dann sollten Sie auch bereit sein, Ihr Versprechen einzulösen. Sie würden ja immer noch als Lehrerin tätig sein, aber eben für die drei Mädchen. Vielleicht bliebe Ihnen sogar noch Zeit, hier ein paar Stunden zu unterrichten.“

Das Letzte, was As’ad wollte, war, drei Kinder in Pflege zu nehmen, über die er rein gar nichts wusste. Natürlich wünschte er sich eine Familie, insbesondere Söhne, irgendwann in der Zukunft. Andererseits … Linas Vorschlag klang durchaus vernünftig. Tahir würde einem Prinzen nicht verweigern, die Mädchen mitzunehmen. Und die ganze irrwitzige Aktion verschaffte ihm, As’ad, Luft, was die Erwartungen seines Vaters betraf. Kein Mensch konnte von ihm verlangen, auf Brautschau zu gehen, wenn er sich um drei kleine Pflegetöchter kümmern musste.

„Sie wären einzig und allein für die Mädchen verantwortlich, Kayleen“, sagte As’ad. „Selbstverständlich erhalten Sie alle dazu notwendigen Mittel. Allerdings lege ich keinen Wert auf einen täglichen Bericht über ihre Aktivitäten.“

„Was für ein wunderbares Arrangement“, flötete Lina. „Überlegen Sie doch mal: Die Mädchen würden in einem Palast aufwachsen, wo ihnen alle Wege offen stehen. Dana könnte die beste Universität besuchen, Nadine die renommierteste Ballettschule. Und die kleine Pepper müsste sich nicht länger jede Nacht in den Schlaf weinen.“

„Das klingt verlockend.“ Kayleen sah As’ad durchdringend an. „Geben Sie mir Ihr Wort, dass Sie sie nie verstoßen oder in eine Vernunftehe zwingen werden.“

„Ihr Misstrauen kränkt mich.“ Und ihre Dreistigkeit imponierte ihm, doch das brauchte sie nicht zu wissen. Sonst nahmen ihm diese Frauen die Zügel noch ganz aus der Hand.

„Nun ja, schließlich kenne ich Sie ja gar nicht“, hielt sie ihm entgegen.

Jetzt trieb sie es wirklich auf die Spitze! „Ich bin Prinz As’ad von El Deharia. Mehr brauchen Sie nicht zu wissen.“

„As’ad ist ein Ehrenmann, Kayleen“, bemerkte Lina mit einem versöhnlichen Lächeln.

Irgendwie missfiel es As’ad, dass seine Tante sich genötigt sah, ihn zu verteidigen. Frauen, dachte er. Sie machen doch nichts als Ärger.

„Also gut, versprechen Sie mir, ihnen stets ein guter Vater zu sein und ihre Bedürfnisse über Ihre eigenen zu stellen. Sie werden sie lieben und ihre Wünsche respektieren und sie nicht in eine Ehe ohne Liebe drängen.“

Was hatten Frauen bloß immer mit der Liebe? Eine flüchtige Gefühlsaufwallung ohne Bestand …

„Ich werde Ihnen ein guter Vater sein und dafür sorgen, dass sie in den Genuss sämtlicher Privilegien kommen, die ihnen als Prinzessinnen zustehen“, versprach er seufzend.

„Sie haben etwas Entscheidendes vergessen“, korrigierte Kayleen ihn streng. „Das Versprechen, die drei nicht gegen ihren Willen zu verheiraten.“

Er nickte ungeduldig. Was für ein Blödsinn! Schon bereute er, sich auf diese verrückte Geschichte eingelassen zu haben. „Einverstanden, sie dürfen sich ihre Ehemänner selbst wählen. Aber so weit sind wir ja noch lange nicht.“ Gott sei Dank! As’ad wandte sich an seine Tante. „Sind wir jetzt fertig?“

Lina nickte bedächtig, und ein listiges Lächeln umspielte ihre Lippen. „Gute Frage … eigentlich fangen wir gerade erst an, glaube ich.“

2. KAPITEL

Kayleen konnte kaum fassen, welch abrupte Wendung ihr Leben nahm. Heute Morgen war sie noch in ihrem winzigen Zimmer mit dem schmalen, pritschenähnlichen Bett aufgewacht, und jetzt führte Prinzessin Lina sie in eine prachtvolle Suite mit Blick auf das Arabische Meer.

„Wow!“ Sie drehte sich langsam im Kreis und betrachtete die luxuriöse Einrichtung: die ausladenden Sofas, den polierten Esstisch, die kunstvolle Dekoration, die breiten Flügeltüren und den riesigen Balkon. „Es ist einfach zu schön, um wahr zu sein.“

„Was haben Sie denn erwartet?“, meinte Lina amüsiert. „Immerhin sind wir hier in einem Königspalast, meine Liebe.“

„Der seinem Namen alle Ehre macht …“ Kayleens Blick fiel auf die Mädchen, die sich beinahe ehrfurchtsvoll umschauten. „Allerdings nicht gerade kindgerecht, würde ich sagen.“

„Warten Sie es ab. Ich habe eine Überraschung für Sie.“ Lina bedeutete ihnen, ihr zu folgen.

Was sollte das hier noch toppen? Doch Kayleen war bereit, sich eines Besseren belehren zu lassen. Sie ging neben Lina den breiten Gang entlang und dirigierte die Mädchen vor sich her.

Vor einer massiven Holztür blieb Lina stehen und stieß sie auf. „Leider blieb mir nicht genug Zeit, alles perfekt herzurichten, aber für den Anfang sollte das genügen.“

Für den Anfang? Kayleen schnappte überwältigt nach Luft, als sie den riesigen, lichtdurchfluteten Raum betrat. Drei Doppelbetten reihten sich an einer Wand auf, Plüschtiere thronten auf den rosafarbenen Tagesdecken. Alle Möbel – Schränke, Schreibtische, Stühle – waren in zarten Pastelltönen gehalten. An verschnörkelten Wandhaken hingen neben jedem Bett rüschenbesetzte Nachthemden und Morgenmäntel. Dazu passende Pantoffeln standen an den Fußenden der Betten, ebenso neue Schulranzen.

„Die Laptops sind bestellt, aber noch nicht geliefert“, entschuldigte sich Lina. „Später bekommt jedes Mädchen natürlich sein eigenes Zimmer, aber im Moment, denke ich, fühlen sie sich zusammen am wohlsten.“

Dana blickte staunend zu Kayleen auf. „Das ist wirklich alles für uns?“

„Nehmt es lieber gleich in Besitz“, lachte Kayleen, „sonst tue ich es nämlich.“

Darauf hatten die Mädchen nur gewartet. Sekunden später eroberten sie ihr neues Zuhause. Immer wieder erfüllte ein begeistertes „Guck mal, hier!“, den Raum, während sie all die liebevollen Details entdeckten: eine Ballerina-Lampe für Nadine, einen mit knuffigen Teddys bedruckten Überwurf für Pepper, ein prall gefülltes Bücherregal neben Danas Bett.

„Unglaublich, was Sie in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt haben“, wandte Kayleen sich an Lina.

„Nun, ich verfüge über entsprechende Möglichkeiten und scheue mich nicht, diese einzusetzen, falls nötig. Es war ein Riesenspaß, das Zimmer für die Mädchen einzurichten. So, jetzt sind Sie dran. Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihre Privaträume.“

Sie passierten ein riesiges Badezimmer mit einer großen, in den Boden eingelassenen Wanne und gelangten durch einen kurzen Flur in Kayleens Zimmer, das ganz in Lindgrün und Zitronengelb gehalten war. Zierliche Möbel bestückten den Raum, die Tagesdecke erstrahlte in einem fantasievollen Blumenmuster, was weitaus besser zu Kayleen passte als Rüschen und Spitzenborten. Das angrenzende Marmorbad mit seiner luxuriösen Ausstattung raubte ihr zum zigsten Mal an diesem Tag den Atem.

Lina, die Kayleens Befangenheit bereits bemerkt hatte, machte eine lässige Handbewegung. „Sie werden sich schon an die neue Umgebung gewöhnen. Das geht schneller, als Sie glauben. Ihnen bleibt auch gar nichts anderes übrig, jetzt, da As’ad die Kinder aufgenommen hat.“

„Ich fürchte, das geschah nicht ganz freiwillig“, gab Kayleen zerknirscht zu bedenken.

„Was tut das zur Sache? Nun sind Sie hier, und nur das allein zählt.“

Autor

Susan Mallery

Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren Frauenromanen voll großer Gefühle und tiefgründigem Humor. Mallery lebt mit ihrem Ehemann und ihrem kleinen, aber unerschrockenen Zwergpudel in Seattle.

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