Zu stürmisch für die Liebe?

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Zu unbedacht, zu stürmisch, zu aufdringlich. Sieben lange Jahre konnte Anna die harten Worte nicht vergessen, mit denen Sam ihr Liebesgeständnis abgewiesen hat. Jetzt führt ein Job sie wieder zu ihm - und zwar unausweichlich: Eingeschneit in einer Berghütte, ohne Strom, allein mit ihm muss sich Anna fragen, wie sie dem Mann widerstehen kann, den sie seit so vielen Jahren begehrt. Und der ihr jetzt so nahe ist. Im Dunkeln ertastet sie seine Hand, seinen warmen Körper. Die Entscheidung liegt bei ihr: Kann sie es zulassen, dass er sie wieder verletzt?


  • Erscheinungstag 14.01.2014
  • Bandnummer 1803
  • ISBN / Artikelnummer 9783733720193
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Für Annalise Wolff, von allen nur Anna genannt, war Sam Ely ein bisschen wie das Finanzamt: Man hatte gelegentlich gezwungenermaßen mit ihm zu tun, aber das reine Vergnügen war es nicht gerade. Umso erstaunlicher, dass sie sich heute freiwillig in seinem Büro befand. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, schlug ein Bein übers andere und betrachtete ihre schwarzen Lederstiefel. Sie waren von Prada, genau wie ihre Handtasche.

Wenn sie sich schon mit dem gut aussehenden Architekten traf, musste sie auch etwas hermachen. Deshalb trug sie einen roten Kaschmir-Sweater und einen knapp sitzenden schwarzen Wollrock. Schließlich sollte er sehen, dass sie kein kleines Mädchen mehr war, sondern eine erwachsene Frau!

Doch leider wirkte Sam nicht sehr beeindruckt.

Er stand am Fenster und blickte gedankenverloren in die Winterlandschaft hinaus. „Ja oder nein, Anna“, sagte er freundlich, aber bestimmt. „Ich mache dir das Angebot zuerst, und natürlich kannst du ablehnen, doch du kannst dir vorstellen, dass Dutzende von Innenarchitekten nach so einer Chance lechzen.“

Damit hatte er natürlich recht. Das Haus und der traditionsreiche Milchviehbetrieb im Shenandoah Valley, beides im Besitz seiner Großeltern, ließen sich bis in die Zeiten von Präsident Thomas Jefferson zurückverfolgen. Sycamore Farm war sogar ins nationale Verzeichnis historischer Stätten aufgenommen worden. Jetzt sollte alles behutsam renoviert werden, die von Sam entwickelten Pläne lagen auf dem Tisch. Das Projekt war der Traum eines jeden Innenarchitekten.

Trotzdem muss ich den Auftrag ja nicht annehmen, dachte Anna zögernd. „Und es steht wirklich fest, dass anschließend eine große Bildreportage über die Arbeiten erscheinen wird?“

„Die Mutter meines alten College-Freundes ist Redaktionsleiterin der Zeitschrift ‚Architectural Design‘. Sie ist ganz wild darauf, die Reportage über Sycamore Farm ins Blatt zu bekommen. Im Moment hängt alles nur an deiner Entscheidung.“

Er kam zu ihr, setzte sich auf die Kante seines Schreibtischs. So war er ihr gefährlich nahe. Außerdem blickte er aus dieser Position von oben auf sie herab, und sie wusste, das machte er extra. Sie kannte diesen Mann schon fast ihr ganzes Leben lang. Sein Vater war seinerzeit mit der architektonischen Gestaltung von Wolff Castle beauftragt gewesen, und Sam und sein Dad waren im Lauf der Jahre oft im Hause der Wolffs zu Gast gewesen.

Für die heranwachsende Anna, die sich dort eingesperrt gefühlt hatte wie Rapunzel in ihrem Turm, war der wesentlich ältere Sam der erste und einzige Jugendschwarm gewesen.

„Wann würde ich denn anfangen?“, fragte sie vorsichtig. „Ich meine, falls ich annehme.“

Sam blickte auf seinen Schreibtischkalender. „Ich nehme mal an, du musst vorher noch ein paar andere Projekte abschließen. Wie wäre es übernächste Woche? Gram und Pops möchten, dass du für diese Zeit auf der Farm wohnst, weil sie so weit ab vom Schuss liegt. Sonst würde jeden Tag zu viel wertvolle Zeit für die Fahrerei draufgehen.“

Ihr wurde ganz heiß. „Und … und wo wirst du sein?“

„Da mach dir mal keine Sorgen“, murmelte er gereizt. „Gram legt Wert darauf, dass ich dich in den ersten Tagen in das Projekt einweise. Anschließend heißt es für mich hierher zurück ins Büro – also weit, weit weg. Ich hoffe, das beruhigt dich ein bisschen.“

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Um Himmels willen, ich habe nicht vor, dich dort einzusperren. Du kannst nach Hause fahren, wann immer du willst, aber ich erwarte von dir, dass du in diesem Job hundertzehn Prozent gibst. Oder du lässt es gleich ganz bleiben.“

Mit vor der Brust verschränkten Armen blickte er sie herausfordernd an. „Mache ich dich nervös, Anna?“

„Natürlich nicht.“ Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, entsprach allerdings nicht ganz der Wahrheit. „Ich weiß nur nicht, ob ich diesen Job in meinen Terminplan quetschen kann.“ Auf das Honorar war Anna nicht angewiesen, doch dieser Auftrag würde dem Renommee ihres Geschäfts einen gewaltigen Kick geben. Und sie war nun mal verflixt ehrgeizig. Eigentlich wäre es mehr als dumm, den Job abzulehnen!

Mit beinahe hypnotischem Blick sah er sie an. „Für den Job musst du dir einfach Zeit nehmen, Anna. Gib’s zu, du willst ihn.“

Sam hatte Annalisa gefragt, ob er sie nervös machte – dabei wurde umgekehrt ein Schuh draus. Vor sieben Jahren, als sie sich in ihn verliebt hatte, hatte er ihr sehr wehgetan. Natürlich hoffte er, das alles wäre längst vergessen. Dagegen sprach die Skepsis in ihrem Blick. Die Bewunderung, die sie vor so langer Zeit für ihn empfunden hatte, war sofort in Wut umgeschlagen, als er sie zurückgewiesen hatte. Offenbar hatte sie ihm diese Demütigung nie verziehen.

Dabei hatte er sie damals durchaus anziehend gefunden und tat es heute noch. Er hatte nie vergessen können, was geschehen war, und hatte während der vergangenen Jahre mehrere Anläufe unternommen, sich bei ihr zu entschuldigen. Annalisa hatte nie darauf reagiert, sodass er schließlich aufgab und ihr möglichst aus dem Weg ging. Sie hielt es genauso.

Trotzdem – so ganz hatte er sie nie aus seinen Gedanken streichen können. Und als nun seine Großeltern darauf bestanden hatten, dass er Anna diesen Job anbot, nahm er das als willkommene Gelegenheit, sie in sein Büro einzuladen und mit ihr von Angesicht zu Angesicht zu sprechen.

Sie war eine beeindruckende Erscheinung, dunkelhaarig, schlank, hochgewachsen – und offenbar auch unendlich selbstbewusst. Mit ihrem Aussehen hätte sie problemlos auch als Topmodel oder Schauspielerin arbeiten können. Und so energisch sie auch wirkte, sie strahlte eine überaus verlockende Weiblichkeit aus.

Eine reizvolle Mischung, und unwillkürlich stellte Sam sich Annalisa in seinem Bett vor. Schlagartig war er erregt. Auch ein Grund, weshalb er den Kontakt zu ihr gescheut hatte. Er wollte nicht in dieser Art an sie denken.

Sicherheitshalber setzte er sich hinter seinen Schreibtisch. „Allzu viel Bedenkzeit kann ich dir leider nicht geben. Gram wollte dich, weil sie und Großvater gesehen haben, was du aus den Büro- und Wohnräumen des Universitätspräsidenten gemacht hast. Sie waren beide sehr beeindruckt von deiner Arbeit. Aber wenn du meinst, du kannst die Zeit nicht erübrigen – dann sag’s einfach.“

Anna sah ihn aus blitzenden Augen an. „Dass ich ablehne, das hättest du wohl gerne, was? Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, Sam Ely. Ich schätze, jetzt hast du mich am Hals. Denn wenn deine Großmutter will, dass ich das Projekt übernehme – dann mache ich es auch.“

Zu seiner eigenen Überraschung durchströmte ihn ein warmes Glücksgefühl. Suchte er denn wirklich nach einem Vorwand, Zeit mit der eigensinnigen und kratzbürstigen Anna Wolff zu verbringen? Nach seiner Erektion zu urteilen … ja.

Sam räusperte sich, blätterte demonstrativ in seinem Terminkalender und kritzelte etwas hinein. „Ich sage meinem Anwalt, er soll den Vertrag aufzusetzen. Noch irgendwelche Fragen?“

Zehn Tage später fuhr Anna die schmale Straße entlang, die zur Sycamore Farm führte. Im tiefsten Winter wirkte das Anwesen gar nicht so eindrucksvoll. Links und rechts der Straße lag freies schneebedecktes Farmland. Das Wechselspiel von Tauwetter und starkem Frost hatte große Schlaglöcher im Asphalt hinterlassen.

Sams Großeltern waren in wärmere Gefilde verreist. Man hatte Anna versichert, dass Speisekammer, Kühltruhe und Kühlschrank gut gefüllt waren und auch ein Gästezimmer für sie vorbereitet war.

Sie musste an ihr letztes Zusammentreffen mit Sam zurückdenken und stieß einen Fluch aus. Weil sie in einem Männerhaushalt aufgewachsen war, kamen ihr Schimpfwörter beunruhigend leicht über die Lippen. Wie jedes Jahr Silvester hatte sie den guten Vorsatz gefasst, das Fluchen aufzugeben, bisher mit wenig Erfolg.

Noch immer klangen ihr Sams Worte in den Ohren. Noch irgendwelche Fragen?

Oh ja, eine Frage brannte ihr schon lange auf der Seele: nämlich ob er sie vor sieben Jahren so widerwärtig und abstoßend gefunden hatte, dass er es nicht über sich bringen konnte, mit ihr zu schlafen, obwohl sie dummes Ding sich ihm förmlich an den Hals geworfen hatte?

Die Zurückweisung, die Demütigung, so lange sie auch zurücklag, verursachte ihr immer noch Magenschmerzen. Während sie mit einer Hand den Wagen steuerte, kramte sie mit der anderen in ihrer Handtasche nach einer Magentablette. Die Ereignisse von damals hatten sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt; wie ein Film liefen sie noch einmal vor ihrem inneren Auge ab …

„Hallo, Sam.“ Sie klang atemlos, weil sie so schnell die Treppe heruntergelaufen war, um ihn noch abzufangen, bevor er in sein Auto stieg. Über eine halbe Stunde hatte sie von oben, von ihrem Schlafzimmer aus, durchs Fenster geschaut und gewartet. Sam und sein Vater waren jeder mit seinem eigenen Auto gekommen, weil der ältere Herr noch Poker mit ihrem Vater und Onkel Victor spielen wollte.

Sam stand da, die Autoschlüssel in der Hand. „Hallo, was gibt’s? Ich dachte, du fühlst dich nicht gut.“ Sein Anblick und seine Stimme genügten schon, um ihre Knie zum Zittern zu bringen.

Sie biss sich auf die Lippen. Ach, richtig, sie hatte ja Kopfschmerzen vorgetäuscht, um sich nach dem Essen zurückziehen zu können – und um dem forschenden Blick ihres Vaters zu entkommen. Er durfte auf keinen Fall merken, wie sehr sie in Sam verliebt war. Vincent Wolff hatte immer ein Auge auf seine Tochter und wollte sie vor allen Gefahren – echten wie eingebildeten – beschützen.

„Das mit den Kopfschmerzen war nicht so schlimm, aber ich hatte noch zu arbeiten“, erklärte sie und versuchte, ihre zitternde Stimme zu kontrollieren. „In ein paar Wochen beende ich nämlich das College. Dann will ich Innenarchitektur studieren.“ In ihrer Stimme schwang Stolz mit, und sie hoffte, Sam zu beeindrucken. Zum ersten Mal in ihrem Leben kam sie sich erwachsen vor. Der daraus resultierende Adrenalinschub gab ihr Selbstvertrauen.

Sam spielte mit seinen Schlüsseln. „Aha.“ Die Neuigkeit schien ihn nicht besonders zu interessieren. Nicht gerade ermutigend. Es sah aus, als wollte er so schnell wie möglich weg. Er war jetzt fast dreißig und der attraktivste und anziehendste Mann, dem Anna je begegnet war.

Mutig trat sie auf ihn zu. „Ich … ich hatte gedacht, du willst mich vielleicht mal zum Essen einladen“, brachte sie hervor.

Entsetzt schaute er sie an.

Nicht aufgeben, Anna. Sie reckte sich auf die Zehenspitzen, schlang ihm die Arme um den Nacken und küsste ihn direkt auf den Mund. Aus einem Reflex heraus erwiderte er die Umarmung, aber sein ganzer Körper versteifte sich dabei. „Äh, Anna …“

Seufzend bedeckte sie sein Gesicht mit tausend kleinen Küssen. „Ich weiß, dass du darauf gewartet hast, dass ich endlich erwachsen bin“, flüsterte sie. „Bitte sag mir, dass du mich willst. Ich weiß, dass du mich willst.“

Sie spürte an seiner Erektion, dass sie so falsch nicht liegen konnte. Zwar war sie schon einundzwanzig, aber doch wesentlich naiver und unerfahrener als die meisten ihrer Altersgenossinnen. Daher war ihr nicht recht bewusst, dass der körperliche Reflex eines Mannes nicht unbedingt etwas mit tieferen Gefühlen zu tun haben musste.

Einen Augenblick lang hätte sie schwören können, Sam wollte ihre Küsse erwidern. Doch dann schob er sie weg und hielt sie auf Abstand. „Nein, Anna. Du bist für mich wie eine kleine Schwester.“

Verwirrt sah sie ihn an. Sie hatte doch gespürt, wie er auf sie reagiert hatte, wie hart er geworden war! „Ich … ich glaube, ich liebe dich, Sam“, stieß sie schluchzend hervor.

Beim Anblick seiner gequälten Miene krampfte sich ihr Herz zusammen.

„Hey, ich bin viel zu alt für dich, Kleines“, sagte er und klang dabei so mitfühlend, dass sie sich erst recht gedemütigt fühlte. „Trotzdem schmeichelt mir das natürlich. Du bist eine ganz besondere junge Frau. Aber dein Vater und mein Dad würden mich an der höchsten Eiche aufknüpfen, wenn ich mit dir etwas anfange. Davon abgesehen …“

Eigentlich hatte er schon genug gesagt, mehr wollte Anna gar nicht mehr hören. Hör auf! hätte sie ihn am liebsten angeschrien, brachte aber keinen Ton heraus.

„Davon abgesehen, wollen die meisten Jungs und Männer lieber selbst die Initiative ergreifen“, erläuterte er zögernd. „Darüber solltest du vielleicht einmal nachdenken. Ich weiß, dass du ohne Mutter aufgewachsen bist, die dir diese Dinge hätte erklären können. Männer stehen in der Regel eher auf sanfte, feminine, zurückhaltende Frauen. Das war schon immer so. Wahrscheinlich das Resultat unserer Steinzeitmenschen-Gene.“ Sanft strich er ihr über die Wange. „Du siehst doch toll aus, Anna, hast es gar nicht nötig, dich jemandem an den Hals zu werfen …“

Ein besonders großes Schlagloch katapultierte Anna zurück in die Gegenwart. Sie umklammerte das Lenkrad und bremste ab. Hoffentlich würde Sam nicht allzu lange bleiben. Er sollte sie kurz einweisen, sie würde höflich zuhören, sich ein paar Notizen machen und ihm dann Lebewohl sagen. Danach würde sie anfangen können zu arbeiten.

Wenn sie diesen peinlichen Zwischenfall von damals nicht erwähnte, würde er sicher den Anstand besitzen, es ebenso zu halten.

Noch eine Kurve, dann kam die Farm mit ihren Nebengebäuden in Sicht. Sofort fiel ihr der Mann auf, der trotz der Kälte entspannt gegen den Zaun vor der Veranda gelehnt dastand. Um Fassung bemüht, parkte sie den Wagen und stieg aus.

Sie war eine erwachsene Frau, weltgewandt und intelligent, und auch auf sexuellem Gebiet hatte sie, na ja, zumindest einige Erfahrungen. Und sie hatte alles getan, was in ihrer Macht stand, um ihre erste Liebe zu vergessen. Zu verdrängen, wie sehr Sams Zurückweisung sie damals verletzt hatte. Sam Ely war für sie jetzt einfach ein Mann wie jeder andere.

Diese ein, zwei Tage würde sie das Ganze schon durchstehen. Sie würde ihn mit ihren Fachkenntnissen und Fähigkeiten beeindrucken und sich von seinem männlichen Charme und sexy Lächeln kein bisschen ablenken lassen. Wenn er dann wieder abreiste, würde er den Eindruck mitnehmen, dass Anna Wolff in ihrem Job verflixt gut war.

Zum Gruß hob er die Hand, lächelte aber nicht.

Anna wollte gerade den Mund öffnen, um Hallo zu sagen, als sie auf der eisglatten Auffahrt ausrutschte und auf den Rücken stürzte. Richtig hart und schmerzhaft.

Aufstöhnend öffnete sie die Augen wieder und Sam Ely über sich. Vorsichtig tastete er sie ab, um sicherzustellen, dass sie sich nichts gebrochen hatte.

Anna erschauerte, was nichts mit den Außentemperaturen zu tun hatte, schließlich war sie warm genug angezogen. Nein, es war seine Berührung. Sie brauchte ihn nur zu spüren, schon war sie wieder von ihm besessen.

Sanft strich er ihr über die Wange. „Bist du verletzt?“

Behutsam hob er ihren Kopf ein wenig an. „Jetzt sag doch endlich was. Alles in Ordnung mit dir?“

Ihre Augen blitzten vor Zorn. „Natürlich ist mit mir alles in Ordnung“, stieß sie hervor. „Und jetzt hör auf, mich anzutatschen.“

So kratzbürstig sie sich auch gab – auf Sam wirkte sie trotzdem unglaublich feminin und aufreizend. Vorsichtig hob er sie hoch, fest entschlossen, ruhig zu bleiben. Auf keinen Fall wollte er sich durch ihr feindseliges Verhalten reizen lassen. Leichter gesagt als getan – er kannte das schon. Da er ein Freund der Familie Wolff war, blieb es nicht aus, dass er ihr von Zeit zu Zeit begegnete. Was meist nicht besonders freundschaftlich ablief.

Ihm war natürlich bewusst, dass er den Grundstein für diese Feindseligkeiten gelegt hatte. Doch das Ganze war jetzt über sechs Jahre her, da konnte sie wohl langsam mal Vergangenes vergangen sein lassen! Zum Glück zappelte sie in seinen Armen nicht allzu sehr. Sie war ja ziemlich hochgewachsen, und wenn er jetzt auf dem Eis ausrutschte, lägen sie beide flach.

Während er sie mit der einen Hand festhielt, öffnete er mit der anderen die Tür. Im Farmhaus war es unangenehm kalt, und er seufzte. „In ein paar Tagen kommen die Handwerker und kümmern sich um Heizung und Klimaanlage. Bis dahin … Na ja, ich hoffe, du hast genug warme Sachen mitgebracht. Die alte Heizungsanlage ist reichlich störrisch und eigenwillig.“

„Genau wie du“, murmelte Anna leise vor sich hin.

Er wusste genau, dass er es hören sollte.

In der Küche setzte er sie auf einen Stuhl. Das Kaminfeuer sorgte für ausreichende Wärme, und das bunte Geschirr seiner Großmutter im offenen Schrank strahlte Gemütlichkeit aus. „Sag mir die Wahrheit, bist du wirklich nicht verletzt?“

„Wirklich nicht“, antwortete sie brüsk. „Hab mich nie besser gefühlt.“ Annalisa streifte sich den Mantel ab. Eine blaue Seidenbluse und eine schwarze Leinenhose kamen zum Vorschein. „Aber einen schönen starken Kaffee – den könnte ich jetzt gebrauchen.“

Unauffällig und durchaus bewundernd musterte Sam sie. Sie sah aus wie ein Supermodel frisch vom Laufsteg. Vincent Wolff hatte seiner Tochter in ihren jüngeren Jahren nicht gerade viele Freiheiten gewährt. Gewissermaßen als Ausgleich hatte er ihr allerdings genug Geld und Gelegenheit gegeben, um einen exquisiten Modegeschmack zu entwickeln.

„Kaffee … gute Idee“, murmelte Sam. „Ich setze welchen auf.“

Bald erfüllte verlockender Kaffeeduft den Raum. Anna ignorierte Sam und checkte die Nachrichten auf ihrem Smartphone.

Schließlich servierte er ihr den Kaffee, stellte sogar ein Milchkännchen und ein Zuckerdöschen auf den Tisch. Doch sie verschmähte die Zutaten und trank den Kaffee so, wie er war. Schwarz, pur und ohne Schnickschnack, genau, wie Sam ihn auch liebte.

Er schnappte sich einen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber. „Was macht dein Vater? Wie geht’s ihm?“

„Gut.“ Anna musterte ihn misstrauisch, als ob sie hinter der Frage eine Falle vermutete.

„Und dein Onkel Vic?“

„Dem geht’s auch gut.“ Sie stellte die Tasse ab.

„In eurer Familie hat’s letztes Jahr ja jede Menge Hochzeiten gegeben.“

Ihre Gesichtszüge entspannten sich, sie lächelte sogar ein wenig. „Das kann man wohl sagen, und ich freue mich sehr darüber. Gracie, Olivia, Ariel, Gillian – endlich habe ich so etwas Ähnliches wie Schwestern. Schwägerinnen eben.“

„Ich gönne deiner Familie das Glück von ganzem Herzen. Ihr habt es euch wirklich verdient. Nach allem, was ihr durchmachen musstet …“ Als Anna noch ein Kleinkind gewesen war, waren ihre Mutter und ihre Tante entführt und schließlich ermordet worden, ein schwerer Schlag für die ganze Familie. Es hatte Jahre gedauert, bis die Angehörigen das Schreckliche auch nur halbwegs verarbeitet hatten.

„Ja, zur Abwechslung tun positive Nachrichten auch mal ganz gut.“ Sie lachte auf, aber es lag wenig Humor darin. Die Art, wie sie ihn ansah, verriet ihm, dass sie ihre Unterhaltung von damals noch lange nicht vergessen hatte.

Er nahm ihre Hand und streichelte sie zärtlich. „Anna, wegen damals … Wir können nicht vernünftig zusammenarbeiten, wenn wir nicht endlich reinen Tisch machen. Ich gebe ja zu, ich hätte damals etwas feinfühliger reagieren können. Etwas diplomatischer. Aber ich kannte dich ja schon seit deiner Kindergartenzeit. Und in meinen Augen warst du eben immer noch ein Kind.“

Abrupt zog sie ihre Hand weg. „Keine Ahnung, wovon du überhaupt redest.“

Ihr Ton klang aggressiv, und es wäre vielleicht klüger gewesen, das Thema ruhen zu lassen. Aber Sam wollte den Konflikt endlich geklärt wissen. „Wenn ich mit dir was angefangen hätte – dein Vater hätte mich fertiggemacht.“

„Du hast damals behauptet, ich wäre wie eine Schwester für dich.“

„Verdammt.“ Das war natürlich nur eine Ausrede gewesen, eine Notlüge – jetzt, so viele Jahre später, rächte sie sich bitter. „Das … das habe ich doch nur so gesagt. Ich wollte so elegant wie möglich aus der Sache rauskommen.“

„Also warst du einfach zu feige. Ist es das, was du mir sagen willst?“

Es fiel ihm schwer, nicht die Beherrschung zu verlieren. Schließlich lenkte er ein. „Ja, genau.“ Wenn sie weiter sauer auf ihn sein wollte, konnte er es auch nicht ändern. „Ganz genau. Ich war feige.“

Sein Eingeständnis nahm ihr den Wind aus den Segeln. „Na ja, was soll’s“, sagte sie leise und wischte sich ein paar imaginäre Staubkörnchen von der Hose. „Ist auch egal.“

Eigentlich hatte er ein wenig mehr Kampfgeist von ihr erwartet, aber wenn die Sache damit erledigt war – umso besser. „Ich zeige dir jetzt am besten erst mal dein Zimmer. Dann kannst du dich ein bisschen ausruhen – und noch mal checken, ob du dich nicht doch verletzt hast.“

Entwaffnend lächelte sie ihn an. „Kann schon sein, dass ich am Hintern ein paar blaue Flecken habe. Ich werd’s überleben.“

„Schön.“ Etwas Originelleres fiel ihm nicht ein. Er war zu überwältigt davon, dass sie in seiner Gegenwart tatsächlich lächelte. Das hatte es jahrelang nicht gegeben. Und es konnte ihm gefährlich werden, das merkte er jetzt.

Verunsichert wandte er sich ab und machte sich auf den Weg in den Flur. „Ich hole dein Gepäck rein.“ Alles, Hauptsache, er war nicht mehr ihrem verlockenden Lächeln ausgesetzt.

Als er die Haustür öffnete, blieb er fluchend stehen.

„Was ist denn los?“ Neugierig folgte Anna ihm zur Tür.

Beide blickten nach draußen, wo dicke weiße Schneeflocken wirbelten. Der Weg und das Auto waren bereits schneebedeckt.

Verärgert stieß sie Sam in die Seite. „Hast du das gewusst? Hast du gewusst, dass Schnee vorhergesagt war? Warum hast du mich nicht gewarnt, lieber zu Hause zu bleiben?“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Ich hatte viel zu tun, da konnte ich mich nicht um alles kümmern, verflixt noch mal. Du hättest ja auch mal gucken können, was die Wetteronkel prophezeien.“

Böse musterten sie sich, dann riefen beide wie aus einem Mund: „Das ist deine Schuld!“

Sam schloss die Tür, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich kann ja mal zur Sicherheit die Wettervorhersage checken. Aber ich lebe eigentlich schon lange genug in Virginia, um zu wissen: Da kommt noch jede Menge runter.“

„Ach, vielleicht auch nicht. Vielleicht werden es nur ein paar Zentimeter.“ Anna war sichtlich angespannt, auch wenn sie versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen.

„Na ja, es gibt Schlimmeres als so ein kleines Unwetter.“

„Und das aus deinem Mund?“, fuhr sie ihn gereizt an. „Du hältst es doch ohne dein Büro nicht aus. Und jetzt sitzen wir beide hier eingeschneit fest. Für Stunden – möglicherweise sogar Tage!“ Ihre Stimme überschlug sich fast.

Je mehr sie sich aufregte, desto mehr amüsierte er sich. „Ach, mach dir keine Gedanken, Anna. Immerhin haben wir ja noch uns.“

2. KAPITEL

Zornig funkelte Anna ihn an und ballte die Fäuste. „Mit dir hier in diesem Haus eingesperrt sein – das mache ich nicht mit! Auf gar keinen Fall!“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe Gram versprochen, übers Wochenende zu bleiben und dich einzuweisen. Aber wenn es für dich so schlimm ist, hier mit mir festzusitzen, fahren wir besser jetzt sofort zurück, bevor es noch schlimmer wird. Mit ein bisschen Glück schaffen wir es noch. Gram wird zwar enttäuscht sein …“

Einerseits brachte er sie zur Weißglut, andererseits produzierte ihr Kopfkino Bilder von ihnen beiden, wie sie sich heiß und innig umarmten und …

„Um mich mache ich mir keine Sorgen. Aber du – du musst doch bestimmt zurück zur Arbeit und …“

„Also, was schlägst du vor? Wenn wir noch länger abwarten, sind die Nebenstraßen unpassierbar. Dann schafft es keiner von uns beiden mehr zum Highway.“

Seiner Miene war nicht zu entnehmen, was er wirklich dachte. Spielte er mit ihr? Legte er es nur darauf an, dass sie klein beigab, dass sie die Flucht ergriff? Nein, den Triumph würde sie ihm nicht gönnen.

„Ich bleibe“, sagte sie mit fester Stimme. „Ist sicher das Vernünftigste. Holst du mir mein Gepäck aus dem Auto?“

Sie sah es ihm an – damit hatte er nicht gerechnet. Er war hundertprozentig davon ausgegangen, dass sie zurück in die Stadt flüchten würde. Aber eine Anna Wolff kniff nicht. Eine Anna Wolff stellte sich jeder Herausforderung!

Sam verzog den Mund. „Bist du wirklich sicher? Wenn der Strom ausfällt, sind wir ganz auf uns gestellt. Dann leben wir hier ohne jeden Komfort – wie die Steinzeitmenschen.“

Das wirkte wie eine kalte Dusche. Sie war Luxus gewöhnt, schon ein Aufenthalt in einem Hotel mit weniger als vier Sternen war für sie wie eine Abenteuer-Expedition in unbekannte Gefilde. „Das Anwesen hat doch bestimmt ein Notstromaggregat …?“

„Ja, klar, aber auch das läuft nicht ewig. Hast du wenigstens ein paar warme Klamotten dabei, von deinem Mantel einmal abgesehen?“

„Ich habe alles, was ich brauche. Was ist jetzt mit dem Gepäck? Soll ich dir lieber beim Tragen helfen?“

Ganz schön zickig, die junge Dame! „Nein, vielen Dank, ich glaube, das schaffe ich gerade noch alleine.“

Durchs Fenster beobachtete sie, wie Sam durch den Schnee stapfte, den Kofferraum ihres Wagens öffnete – und vor Verblüffung fast nach hinten umkippte. Ja, sie reiste eben nicht mit leichtem Gepäck! Dreimal musste er laufen, bis er alle Koffer ins Haus gebracht hatte. Sie verkniff sich ein Lächeln.

„Vielen Dank“, sagte sie, nachdem er die Haustür wieder geschlossen und sich aus der dicken Jacke gepellt hatte.

„Gern geschehen. Hätten es ein paar Koffer weniger nicht auch getan?“

Autor

Janice Maynard
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