Zum Fest der Liebe

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Für die alleinstehende Emily scheint es ein einsames Weihnachtsfest zu werden - bis sie zufällig dem attraktiven Ray Brewster begegnet. Während leise der Schnee auf Boston rieselt, beginnt in ihrem Herzen eine warme Flamme zu lodern. Denn Rays Blicke versprechen ihr ein zärtliches Geschenk: Liebe … Rays Bruder Charles jedoch findet, dass Weihnachten abgeschafft gehört. Wie jedes Jahr flieht er vor dem schwärzesten Tag des Jahres. Doch diesmal hat die Rechnung ohne Emilys Freundin Faith gemacht, eine ebenso schöne wie entschlossene Weihnachts-Romantikerin …


  • Erscheinungstag 03.11.2008
  • Bandnummer 0025
  • ISBN / Artikelnummer 9783863493110
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Weihnachten 2008

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Liebe Leserinnen,
liebe Leser,

meine Begeisterung für herzerfrischende Romane, die in der Weihnachtszeit spielen, ist immer noch ungebrochen. Ich denke, wir alle können während der anstrengenden Vorbereitungen für die Festtage etwas Entspannung gebrauchen. Also, suchen Sie sich den bequemsten Sessel aus, gönnen Sie sich eine Tasse Tee oder Kaffee und lassen Sie sich in die Wunderwelt von Weihnachten entführen ...

Ich bin sicher, es wird sie amüsieren, was zwei Menschen alles passieren kann, wenn sie sich entschließen, über Weihnachten ihr trautes Heim zu tauschen. Man versetze einen Weihnachts-Muffel in eine Stadt, die von Weihnachten geradezu besessen ist, und füge eine Horde ausgesprochen anhänglicher Nachbarskinder hinzu. Weiterhin eine ungewöhnliche Truppe von Schauspielern, eine Tochter, die mit ihrem neuen Freund durchgebrannt ist, und eine Witwe, die in einer Stadt festsitzt, in der sie keine Menschenseele kennt.

Zu dieser Mischung gebe man noch eine Prise Romantik, aufrichtige Freundschaft und eine überbesorgte Mutter, die alles dafür tun würde, ihre beiden unverheirateten Söhne endlich vor dem Altar stehen zu sehen. Das ist die ganze Zauberformel.

Hört sich das nicht nach einem kurzweiligen Lesevergnügen an? Ich hoffe, Sie haben Spaß an dieser Weihnachts- Komödie, können von Herzen lachen und sich dabei langsam auf die Weihnachtszeit einstimmen.

Ihre

Debbie Macomber

1. KAPITEL

„Was soll das heißen, du kommst Weihnachten nicht nach Hause?“ Emily Springer presste den Hörer fester ans Ohr, als würde das die ungeheure Eröffnung ihrer Tochter verständlicher machen.

„Mom, ich kann mir vorstellen, wie enttäuscht du jetzt bist …“

Das war noch mehr als milde ausgedrückt. Jeden Cent hatte Emily zusammengekratzt, um das Flugticket bezahlen zu können. Heather studierte zwar in Harvard, doch die Ferien verbrachten sie grundsätzlich zusammen. Und jetzt teilte ihre einzige Tochter ihr einfach so mit, sie würde Weihnachten nicht nach Hause kommen.

„Was kann denn wichtiger sein, als das Christfest zusammen mit der Familie zu verbringen?“ Emily versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anhören zu lassen.

Heather zögerte mit der Antwort. „Ich … ich habe in den nächsten zwei Wochen sehr viel zu tun, Mom. Glaub mir, ich würde wirklich gerne kommen, aber … ich kann nicht.“

Emily versuchte, den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken.

Heather war einundzwanzig. Da war es ganz natürlich, wenn sie eines Tages ihre eigenen Wege ging. Doch in den letzten elf Jahren hatte es eben immer nur sie beide gegeben. Und der Gedanke, zum Fest der Liebe von ihrem einzigen Kind getrennt zu sein, trieb Emily heiße Tränen in die Augen.

„Du hast doch die Nachbarskinder zum Verwöhnen“, versuchte Heather sie zu trösten.

Die sechs Kennedy-Sprösslinge würden sicher nichts dagegen haben, Emilys hausgemachte Kekse, Bonbons und andere traditionelle Weihnachtsleckereien in sich hineinzustopfen, aber das war nicht dasselbe.

Emily fand es völlig in Ordnung, dass Heather jetzt ihr eigenes Leben führte. Sie war sogar stolz auf ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit.

Aber ihr Kind ausgerechnet zu Weihnachten so weit weg von zu Hause zu wissen, das war einfach zu hart – besonders, weil sie sich bisher so nah gewesen waren.

„Und was soll ich mit dem Geld machen, das ich für dein Flugticket zusammengespart habe?“

„Mir ein Flugticket für Ostern kaufen.“

Drei Wochen vor Weihnachten war für Emily plötzlich alle Vorfreude und Feststimmung wie weggeblasen.

„Ich muss jetzt aufhören, Mom.“ „Ich weiß … können wir vielleicht später noch einmal darüber reden? Ich meine … es muss doch irgendeinen Weg geben, dass wir uns sehen.“ Erneut schien Heather zu zögern. „Dir wird es auch ohne mich gut gehen, Mom.“

„Ja, natürlich …“, murmelte Emily und versuchte, sich zusammenzureißen. Auf keinen Fall wollte sie Heather gegenüber als mitleiderregende anhängliche Mutter erscheinen oder ihr gar Schuldgefühle einflößen.

„Und du?“, fragte sie deshalb betont munter. „Wirst du ganz allein sein?“

„Über Weihnachten meinst du?“ Offenbar musste Heather ebenso um Haltung ringen wie sie. Emily war gerührt. „Ich habe Freunde hier, mit denen ich mich vielleicht zusammentue, aber das ist natürlich nicht dasselbe.“

Genau, dachte Emily. Es ist einfach nicht dasselbe.

Und Weihnachten war nun einmal Weihnachten.

Emily straffte die Schultern. „Wir schaffen das schon.“

„Aber natürlich, Mom.“

„Ich melde mich bald wieder.“

Nachdem sie aufgelegt hatte, ließ sie sich in den nächststehenden Sessel fallen und starrte zur Decke empor. Energisch versuchte sie, ihre trüben Gedanken zu verscheuchen und die aufsteigende Depression zu bekämpfen.

Doch es wollte ihr einfach nicht gelingen, sich auf etwas Konkretes zu konzentrieren. Um jetzt ein Buch zu lesen oder einen Film anzuschauen war sie viel zu ruhelos. Das Haus erschien ihr plötzlich so … leblos und düster. Ein ganz ungewohntes Gefühl. Vielleicht lag es ja daran, dass sie noch nicht mit der Weihnachtsdekoration begonnen hatte, weil sie wusste, wie sehr Heather es liebte, ihr dabei zu helfen.

Oh ja, sie hatten ihre ganz eigenen Traditionen. Heather kümmerte sich stets um die Kamingirlande, in deren Mitte sie ihre Lieblingsdekoration hängte – einen kleinen, antiken Engel, der einst ihrer Großmutter gehörte. Währenddessen schmückte Emily für gewöhnlich Fenster und Fensterbänke mit Girlanden, Kerzen und Weihnachtssternen. Dann hängten sie gemeinsam Kugeln und Sterne, die Emily über die Jahre gesammelt hatte, an den Christbaum.

Manchmal dauerte es einen halben Tag, bis sie sich für ihren Tannenbaum entschieden. Leavenworth, eine kleine Stadt im Bundesstaat Washington, lag am Fuß der Cascade Mountains, umgeben von dichten Wäldern. So bot sich ihnen ein beeindruckendes Angebot von gut gewachsenen Tannen und Fichten.

Aber warum überhaupt das Haus dekorieren?

Dieses Weihnachtsfest würde das schlimmste nach Peters Tod sein. Elf Jahre war es jetzt her, dass ihr Mann bei einem Unfall in einer Sägemühle ums Leben kam. Vor seinem Tod war ihr Leben eine heitere Idylle gewesen, genauso, wie sie es sich immer erträumt hatte.

Bereits auf der Highschool waren sie ein Paar und heirateten im Sommer nach ihrem Abschluss. Von Beginn an prägten Vertrauen und Kameradschaft ihre Ehe. Ein Jahr später wurde Heather geboren.

Peter unterstützte Emily dabei, ihr Pädagogikstudium zu beenden, und gemeinsam beschlossen sie, auf weiteren Familienzuwachs zu verzichten. Mit Heather zusammen waren sie eine eingeschworene Gemeinschaft gewesen. Bis zu jenem Tag, als ihre kleine Welt zusammenbrach.

Peters Lebensversicherung reichte für die Beerdigung und dafür, den drohenden finanziellen Kollaps abzuwenden. Emily investierte das Geld mit Bedacht in einen Fonds. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, arbeitete sie weiterhin als Vorschullehrerin. Sie und Heather standen sich so nahe, wie Mutter und Tochter es nur konnten. Und tief in ihrem Herzen wusste Emily, dass Peter stolz auf seine Tochter wäre, wenn er sie jetzt sehen könnte.

Ihr Stipendium für Harvard hatte sie sich redlich verdient. Doch es reichte nicht aus, um alle Kosten zu decken. Ab und zu schoss Emily etwas von den Erträgen aus dem Fonds dazu, um Heather zu unterstützen.

Sie selbst lebte sehr bescheiden, ihre einzige Extravaganz war ein üppiges Weihnachtsfest. In den letzten zwei Jahren hatten Heather und sie es zusammen verbracht, obwohl ihre Tochter da schon in Boston lebte.

Und nun das … Mit hängenden Schultern schlich Emily hinüber in ihr Arbeitszimmer und starrte auf den dunklen Monitor ihres PCs.

Faith würde verstehen, wie sie sich gerade fühlte. Sie würde ihr den Trost spenden, den sie brauchte. Obwohl zehn Jahre jünger als Emily, waren Faith und sie beste Freundinnen, die regelmäßig Kontakt zueinander hielten, unter anderem auch per E-Mail. Beide waren Lehrerinnen. Auch später, nachdem Faith fortgezogen war, ließen sie den Kontakt nicht abreißen.

Faith, seit fünf Jahren geschieden und viel mutiger und selbstbewusster als Emily, lebte inzwischen in der Gegend von Oakland Bay bei San Francisco. Sie unterrichtete an einer Junior Highschool Literatur.

Die traurige Nachricht über Heathers geänderte Weihnachtspläne konnte und wollte Emily ihrer Freundin nicht per E-Mail mitteilen. Zu dringend brauchte sie ihre Zusicherung, dass sie auch ohne ihre erwachsene Tochter die Weihnachtstage überstehen würde.

Sie griff zum Telefon, wählte Faith’ Nummer und hoffte inbrünstig, sie an einem Sonntagnachmittag überhaupt zu Hause anzutreffen. Sie hatte Glück. Faith antwortete bereits nach dem zweiten Klingeln.

„Hi, hier ist Emily.“ Klang ihre Stimme auch wirklich so heiter und sorglos wie beabsichtigt?

„Was ist passiert?“

Offenbar nicht. Wie gut Faith sie doch kannte. Ohne Punkt und Komma sprudelte Emily alles heraus, was Heather ihr erzählt hatte.

„Sie hat einen Freund“, entschied Faith.

„Na ja, sie erwähnte mal einen Ben. Das ist aber schon eine Weile her. Es hörte sich allerdings nicht nach einer ernsthaften Beziehung an.“

„Und das nimmst du ihr ab?“

Faith tendierte dazu, etwas zynisch zu reagieren, besonders, wenn es um Beziehungen ging. Emily warf ihr das nicht vor. Wie sie hatte auch Faith ihre Collegeliebe geheiratet und es fünf quälende Jahre in dieser Ehe ausgehalten. Kurz nach ihrer Scheidung zog sie nach Leavenworth und fand Trost in ihrer Freundschaft mit Emily.

„Ich bin sicher, Heather würde es mir erzählen, wenn es einen Mann in ihrem Leben gäbe“, behauptete Emily nervös. „Aber sie hat kein Wort in dieser Richtung erwähnt. Es ist die Uni und der immense Lerndruck … jedenfalls habe ich es so verstanden. Trotzdem fühle ich mich irgendwie betrogen. Albern, nicht wahr?“

„Nein, denn für mich hört sich das alles nach einer ziemlich fadenscheinigen Ausrede an. Vertrau mir, da steckt ein Kerl dahinter.“

Das wollte Emily zwar nicht akzeptieren, aber sie hatte auch keine Lust, mit ihrer Freundin sinnlos zu argumentieren. „Freund oder nicht …“, sagte sie seufzend. „Auf jeden Fall bin ich allein über die Feiertage. Wie soll ich da in Weihnachtsstimmung kommen?“

Faith lachte. „Du lebst in Leavenworth! Schau einfach aus dem Fenster.“

Und das tat Emily. Wenn irgendein Ort Santa’s Village ähnelte, dann war es Leavenworth. Die gesamte Stadt erstrahlte in hellstem Weihnachtslichterglanz. Touristen aus dem ganzen Land besuchten alljährlich die kleine Gemeinde, die einst von deutschen Emigranten gegründet worden war.

Jedes Jahr gab es Weihnachtsumzüge, Prozessionen und das traditionelle Christbaumanzünden, daneben noch alle Arten von Wintersport.

Emilys Haus war etwa sechzig Jahre alt und lag nur einen Block vom Zentrum entfernt. Der Stadtpark begann gleich auf der anderen Straßenseite. Bereits Anfang Dezember zogen immer wieder Gruppen von Sternsängern in historischen Kostümen durch die Nachbarschaft. Einige saßen in offenen Pferdeschlitten, andere sammelten sich unter den Straßenlaternen und sangen Weihnachtslieder. Die ganze Stadt wirkte wie ein nostalgisches Weihnachtsgemälde.

„Ohne Heather bedeutet mir das alles gar nichts“, behauptete Emily trübe. „Ich glaube, ich werde dieses Jahr auf einen Baum verzichten.“

„Das ist nicht dein Ernst!“

„Oh doch.“

„Was du brauchst, meine Liebe, ist eine Dosis Weihnachtszauber. Schau dir einen schönen Film an. ‚Das Wunder von Manhattan‘ oder …“

„Es würde auch nicht helfen“, unterbrach Emily sie mit schwankender Stimme. „Nichts kann mir helfen …“

„Emily, das hört sich gar nicht nach dir an“, rügte ihre Freundin sie. „Außerdem ist Heather einundzwanzig. Sie führt jetzt ein eigenes Leben, was auch völlig in Ordnung ist. Sie kann dieses Jahr nicht kommen – was soll’s? Feiert ihr eben wieder im nächsten Jahr zusammen Weihnachten.“

Emily schwieg und biss sich auf die Unterlippe.

„Du musst endlich lernen, dein eigenes Leben auch wirklich zu leben“, fuhr ihre Freundin energisch fort. „Du bist so sehr auf deine Tochter fixiert, dass du dich selbst darüber völlig vergisst.“

„Das ist nicht wahr!“, wehrte Emily sich. „Außerdem habe ich dich angerufen, um von dir getröstet zu werden, und nicht, damit du mich kritisierst. Ich dachte, wenigstens du könntest mich verstehen.“

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Ehrlich gesagt, bin ich sogar der Meinung, über die Feiertage getrennt zu sein, könnte Heather und dir mal ganz guttun.“

Emily schnappte hörbar nach Luft. „Wie kannst du so etwas sagen?“

„Heather wird beim nächsten Mal sicher umso lieber mit dir zusammen sein, und du könntest entdecken, dass man Weihnachten auch anders verbringen kann als allein mit seiner erwachsenen Tochter.“

„Okay, ich werde schon zurechtkommen“, erklärte sie tapfer.

„Da bin ich ganz sicher.“

Noch elender als zuvor, beendete Emily das Gespräch mit ihrer Freundin. Faith hatte keine Kinder und konnte deshalb kaum mitreden. Außerdem klammerte sie sich gar nicht an ihre Tochter! Hatte sie Heather nicht erlaubt, eine Uni zu besuchen, die auf der anderen Seite des Landes lag? Da waren ein paar gemeinsame Weihnachtstage doch wohl nicht zu viel verlangt!

Emily beschloss, einen Spaziergang zu machen, um ihre trüben Gedanken zu vertreiben. Sie schlüpfte in einen dicken Wollmantel, zog feste Winterstiefel an und knotete sich ihren handgestrickten roten Schal um den Hals. Genau den gleichen besaß auch Heather, nur in Pink. Sie hatte ihn ihr zu Thanksgiving geschickt.

Über Nacht hatte es erneut geschneit, und der kalte Wind kroch ihr in die Knochen, kaum dass sie vor der Haustür stand.

Die Kennedy-Kinder, eine fröhliche Rasselbande im Alter zwischen sechs und dreizehn Jahren, sausten mit ihren Schlitten laut kreischend den Hügel im Park hinab. Geordnet nach Alter und Größe, kletterten sie danach wieder hinauf, und ehe das Spiel aufs Neue begann, winkten sie Emily von der Kuppe aus zu.

Sarah, die Jüngste, kam so schnell auf Emily zugelaufen, dass sie fast über ihre stämmigen Beinchen stolperte. „Hallo, Mrs. Springer“, rief sie strahlend und präsentierte dabei eine große Zahnlücke im Oberkiefer.

„Oh!“, staunte Emily in gespieltem Schock. „Hast du die beim Rodeln verloren?“

Die Kleine schüttelte heftig den Kopf. „Die hat meine Mom rausgezogen, und ich hab nicht geweint.“

„Und war die Zahnfee schon da?“

„Ja“, verriet Sarah mit wichtiger Miene. „James sagt, es gibt sie gar nicht, aber ich hab die Zähne trotzdem unters Kopfkissen gelegt, und am Morgen waren sie weg, und dafür lagen fünf Cent da. Mom sagt, wenn ich an die Zahnfee glauben möchte, darf ich das. Also hab ich’s getan, und es hat sich gelohnt.“

Emily lächelte über ihre kindliche Logik. „Sehr vernünftig.“

„Und an Santa Claus glaube ich auch!“, erklärte sie trotzig. Als jüngstes Kind, mit vier größeren Brüdern und einer Schwester, die sie nur zu gern auf die Ähnlichkeit zwischen dem Nikolaus und ihrem Vater hinwiesen, zeigt sie damit echte Courage, fand Emily.

„Glauben Sie an den Weihnachtsmann, Mrs. Springer?“

Zu diesem speziellen Zeitpunkt keine besonders glückliche Frage, denn Emily war sich dessen nicht mehr so sicher wie noch am Morgen.

„Ich …“ Emily schaute in das leuchtende Gesicht des kleinen Mädchens. Und plötzlich war sie sich wieder ganz sicher. „Ja, Sarah“, erklärte sie mit fester Stimme. „Ich glaube an Santa Claus … und an Weihnachten!“

So einfach war es also. Wenn man sich nur sein kindliches Gemüt bewahrte, dann gab es immer einen Weg.

In ihrem Fall lag er einfach darin, für sich selbst ein Flugticket zu kaufen. Wenn Heather nicht zu ihr kommen konnte, dann würde sie eben mit ihrer Tochter in Boston Weihnachten feiern. Warum war sie nicht längst auf diese geniale Idee gekommen?

Das Einzige, was jetzt noch fehlte, war eine Unterkunft. Heather wohnte zusammen mit einer Freundin im Studentenwohnheim. Dort war also kein Platz für sie. Emily lachte leise auf, als sie sich das überraschte Gesicht ihrer Tochter vorstellte. Ihr unverhoffter Besuch würde Heathers Weihnachtsgeschenk sein.

Glücklich revidierte Emily ihre erst vor Kurzem getroffene Einschätzung. Dieses Christfest würde nicht ihr schlimmstes, sondern ihr schönstes werden!

2. KAPITEL

Charles Brewster, Geschichtsprofessor in Harvard, rieb sich nervös über den Nasenrücken, während er auf den Computermonitor starrte. Dann reckte er den Hals, um die Uhrzeit von dem Wecker abzulesen, der halb verborgen hinter zwei Papierstapeln stand. Drei Uhr.

Charles brauchte einen Moment, um zu entscheiden, ob es drei Uhr in der Nacht oder fünfzehn Uhr am Nachmittag war. Es passierte ihm häufig, dass er die Zeit vergaß, da es in dem innen liegenden Büro keine Fenster gab.

Besonders schlimm war es jetzt im Dezember. Er hasste diesen Monat – die kurzen Tage, die von der plötzlich hereinbrechenden Dunkelheit verschluckt wurden, den Schnee und die seltsame Unruhe unter den Studenten und seinen Kollegen.

Weihnachten!

Jedes Jahr fürchtete er sich aufs Neue davor. Das lag in erster Linie an Monica, die damals ausgerechnet den Weihnachtsabend wählte, um ihre Beziehung zu beenden. Er sei ständig abwesend, distanziert und unaufmerksam, lautete ihr Vorwurf. Eben das Musterbeispiel eines zerstreuten Professors.

Auch wenn Charles zugeben musste, dass sie möglicherweise nicht ganz falschlag in ihrer Einschätzung … er hatte sie geliebt und war mehr als geschockt, als sie ihn verließ.

Dabei dachte er eigentlich gar nicht mehr an Monica, außer eben am Christfest. Und jetzt war es wieder so weit – Weihnachten stand vor der Tür. Damit wurden automatisch bittere Erinnerungen wach, die er lieber endgültig ad acta gelegt hätte.

Boston im Dezember deprimierte ihn zutiefst. Seufzend erhob er sich von seinem Schreibtisch, und als er sein Arbeitszimmer verließ, stellte er fest, dass die Büros seiner Kollegen allesamt verlassen und im Dunkeln lagen. Es musste also doch drei Uhr nachts sein, was bedeutete, er hatte wieder einmal das Abendbrot ausgelassen.

Obwohl … ganz vage glaubte er sich daran zu erinnern, dass Mrs. Lewis ihm irgendwann ein Thunfischsandwich und eine heiße Tasse Kaffee reingereicht hatte. Seine Sekretärin war in dieser Hinsicht sehr zuverlässig, auf der anderen Seite konnte es durchaus sein, dass es schon gestern gewesen war …

Eigentlich ist es viel zu spät, noch nach Hause zu fahren, überlegte Charles. Wenn er das Unigebäude verließ, würde er dem Sicherheitsdienst in die Arme laufen, ehe er den Haupteingang erreichte. Und das bedeutete wiederum, seinen Mitarbeiterausweis herauskramen und erklären zu müssen, was er zu dieser Stunde hier suchte. Da war es leichter, einfach dazubleiben.

Ergeben ließ sich Charles wieder an seinem Schreibtisch nieder und arbeitete weiter. Vor einiger Zeit hatte er den Auftrag erhalten, ein Lehrbuch zu verfassen. Dem knappen Termin stimmte er in erster Linie nur zu, weil er hoffte, so leichter über die Feiertage wegzukommen. Inzwischen fragte er sich allerdings, ob er sich damit nicht zu viel zugetraut hatte.

Als er das nächste Mal vom Bildschirm hochschaute, stand Mrs. Lewis vor ihm.

„Professor Brewster, waren Sie etwa die ganze Nacht über hier?“, fragte sie vorwurfsvoll.

Charles lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Sieht wohl so aus.“ Kopfschüttelnd stellte seine Sekretärin einen Becher mit dampfendem Kaffee vor ihn hin, den er dankbar zwischen die klammen Finger nahm. „Was für ein Datum haben wir heute?“ Eine Frage, die er ihr häufig stellte. In der Tat so regelmäßig, dass Mrs. Lewis nicht einmal die fein gezupften Brauen hob.

„Dienstag, zwölfter Dezember.“

„Schon der zwölfte?“ Charles konnte es kaum fassen.

„Ja, Professor. Und Sie haben heute noch drei Gespräche mit Studenten.“

„Ich weiß …“

Doch alles, was Charles wirklich wusste, war, dass er in der Klemme saß. Wenn seine Mutter ihn nicht bedrängte und von der Arbeit abhielt, dann waren es seine Studenten. Plötzlich fühlte er sich schrecklich erschöpft. In den letzten fünfzehn Stunden hatte er sich vornehmlich mit amerikanischer Geschichte beschäftigt, wobei er die Schwerpunkte auf die Kolonialzeit und die Begründer des Landes legte.

Seine Ausführungen mochten keine leichte Lektüre sein, aber Charles liebte Geschichte und empfand sie selbst als ungeheuer spannend und belebend. Wenn es ihm gelang, den geplanten Abgabetermin Anfang Januar einzuhalten – und das hatte er sich fest vorgenommen –, dann würde das Buch rechtzeitig erscheinen, damit er, seine Kollegen und die Studenten es bereits im Herbstsemester verwenden konnten.

Ein hochgestecktes Ziel, aber nicht unerreichbar, entschied Charles.

„Ihre Mutter hat eben wieder angerufen“, informierte Mrs. Lewis ihn und legte eine handschriftliche Notiz auf den Schreibtisch.

Charles seufzte. Seine Mutter meinte es sicher gut mit ihm, aber sie machte sich einfach zu viele Sorgen. Seit Jahren beschwor sie ihn, die Weihnachtstage bei ihr in Arizona zu verbringen. Dass er lieber tot umfallen würde, als ihr diesen Gefallen zu tun, konnte er ihr wohl schlecht am Telefon sagen … und auch sonst nicht.

Bernice erstickte ihn mit ihrer Fürsorge und trieb ihn mit ihren nie nachlassenden Verkupplungsversuchen noch in den Wahnsinn. Warum sie nicht einsehen konnte, dass er an einer weiteren Partnerschaft absolut kein Interesse hatte, war Charles ein Rätsel. Sein einziger Versuch in dieser Richtung hatte ihn derart demoralisiert zurückgelassen, dass sein Bedarf gedeckt war.

Monica hatte ihm das Herz aus der Brust gerissen, und jetzt war Charles mit seinem Leben zufrieden, wie es war. Er liebte es, zu unterrichten und zu schreiben, und fand dafür ohnehin kaum je genügend Zeit. Eine Frau, die ihn nur stören und womöglich auch noch Ansprüche an ihn stellen würde, passte einfach nicht in dieses Leben. Warum konnte seine Mutter das nicht einsehen?

Wenn Ray ihm doch nur den Gefallen tun würde, zu heiraten, dann wäre er aus dem Schneider. Doch unglücklicherweise erwies sich sein älterer Bruder als ein ebenso hartnäckiger Junggeselle wie er selbst.

„Sie möchte wissen, was Sie über die Feiertage vorhaben.“

Charles zuckte heftig zusammen.

Genauso hatte das letzte Telefonat mit seiner Mutter begonnen. Da wollte Bernice wissen, wie er den Labor Day Ende September zu verbringen gedachte, und da Charles sich am Anfang des Monats noch sicher vor ihren Anrufen wähnte, hatte er natürlich keine Ausrede parat. Es endete damit, dass er bei seiner Mutter an der Dinnertafel saß und mühsam mit einer dieser jungen Frauen Konversation machte, die sie ihm in regelmäßigen Abständen präsentierte.

„Und was haben Sie meiner Mutter gesagt?“

„Dass Sie momentan zu beschäftigt sind, um ihren Anruf anzunehmen.“

Die Art und Weise, wie Mrs. Lewis ihre ohnehin schmalen Lippen zusammenpresste, verriet ihm, wie ungern sie sich auf diesen kleinen Schwindel einließ.

„Danke“, murmelte Charles mit gesenktem Kopf.

„Sie nahm offenbar an, dass ich über Ihre Weihnachtspläne informiert sei“, fügte sie streng hinzu.

Sofort hob Charles den Blick. „Und, was haben Sie ihr geantwortet?“

Mrs. Lewis verschränkte die Arme vor der Brust und schaute ihrem Vorgesetzten fest in die Augen. „Dass Sie mich nicht in Ihre Privatangelegenheiten einweihen, aber nach allem, was ich gehört habe, gar nicht in der Stadt sein würden.“

Das hörte sich für Charles nach einem guten Plan an. Ja, er musste fliehen, je eher, desto besser. Diese Idee ließ ihn nicht mehr los, lange nachdem Mrs. Lewis wieder an ihren Platz zurückgekehrt war. Es würde ihm sicher guttun, mal hier wegzukommen. Wohin die Reise gehen sollte, war ihm eigentlich egal. Auf jeden Fall irgendwohin, wo er dem schrecklichen Weihnachtstrubel entgehen und in Ruhe an seinem Buch weiterarbeiten konnte.

Charles stand auf und griff nach seinem Mantel. „Ja! Eine exzellente Idee von Ihnen. Ich werde die Stadt über die Feiertage verlassen.“

„Und wo wollen Sie hin?“, fragte Mrs. Lewis beunruhigt, während sie ihm dicht auf den Fersen blieb.

„Keine Ahnung“, erklärte Charles.

„Ich … ich könnte eine Reiseagentur beauftragen, Ihnen etwas Passendes rauszusuchen.“ Offensichtlich fühlte sich die arme Frau für seine überraschend ausgebrochene Reiselust verantwortlich.

„Machen Sie sich keine Mühe“, wehrte Charles rasch ab und weigerte sich, Mrs. Lewis’ spontane Vorschläge wie Vermont, Aspen, Santa Fe und Disney World auch nur in Betracht zu ziehen.

Disney World!

„Keine Sorge, ich finde selbst das Passende für mich.“ Seine Sekretärin nickte etwas zweifelnd, schien aber in erster Linie erleichtert zu sein. Charles schnappte sich noch den Aktenkoffer und verließ endgültig sein Büro.

Später am selben Tag musste er allerdings einsehen, dass er den Mund ganz schön voll genommen hatte. So kurzfristig etwas über die Festtage zu buchen erwies sich als echtes Problem. Nachdem er ziemlich frustriert in seiner Wohnung angelangt war, erfrischte er sich mit einer heißen Dusche, schob eine Lasagne in die Mikrowelle und legte sich dann ein Weilchen aufs Ohr.

Autor

Debbie Macomber

Debbie Macomber...

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