Zwischen Leidenschaft und Hochverrat

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Auf keinen Fall will die junge Lady Arianwen den grausamen Greis heiraten, den ihr Stiefvater für sie ausgewählt hat! Sie schmiedet einen Plan: Wenn der hochgewachsene Sir Leopold, ein Ritter der Krone, sie zur fernen Burg ihres zukünftigen Gatten eskortiert, wird sie fliehen! Doch sie hat nicht mit der lodernden Leidenschaft gerechnet, die auf dem gefahrvollen Weg zwischen ihr und Leo entbrennt. Gemeinsam fliehen dürfen sie nicht, das wäre Hochverrat. Und noch bevor die verzweifelten Liebenden eine Lösung finden, wird Arianwen von den Schergen ihres Zukünftigen verschleppt …


  • Erscheinungstag 30.09.2025
  • Bandnummer 437
  • ISBN / Artikelnummer 9783751531733
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Ella Matthews

Zwischen Leidenschaft und Hochverrat

1. KAPITEL

Wales, Juli 1337

Voll Verdruss knallte Sir Leopold die drei Humpen Ale, die er just geordert hatte, mit solchem Nachdruck auf den grob gezimmerten Schanktisch, dass das Bier herausschwappte.

„Pass doch auf“, murrte sein Freund Hugh, dessen Ärmel einen feuchten Schluck abbekommen hatte. Während Tristan nur schief grinste, wusste Leo sich doch sonst gewandter zu benehmen. Jetzt aber war ihm sein Zorn über die Bredouille, in der die drei Ritter schuldlos steckten, deutlich anzumerken.

Als die jungen Männer gleichzeitig ihre Krüge ergriffen, wie sie auch sonst alles gemeinsam angingen, war Leo sich sekundenlang des Glückes bewusst, durch ein festes Treueband mit seinen Kameraden verbunden zu sein. Er ahnte, wie unerträglich ihm die letzten vierzehn Jahre ohne sie gewesen wären, und hätte ohne Zögern sein Leben für sie gegeben. Seine Freunde, für die im Umkehrschluss dasselbe galt, hätten es wahrscheinlich weniger dramatisch ausgedrückt; Leo aber war eine leidenschaftlichere Natur eigen, die zu Überschwang neigte, wo seine Freunde Bodenhaftung besaßen.

„Nur ruhig Blut! Wenn wir unsere Aufträge ruckzuck erledigen, können wir unsere eigentlichen Ziele noch vor dem Herbst weiterverfolgen“, sagte Tristan beschwichtigend, indem er seine Kanne absetzte.

Seine gut gemeinten Worte trösteten Leopold aber nur wenig. Denn die drei jungen hochtalentierten Ritter, die darauf brannten, in die illustre Riege der Königsritter auf Windsor Castle aufzusteigen, waren von ihrem Schirmherrn mit langweiligen Aufträgen betraut worden, die sie genau davon abhielten.

„Wenigstens müssen wir den Anblick Lord Ormands nicht mehr ertragen“, murmelte Hugh mit zusammengezogenen Brauen, und seine Kameraden nickten dazu mit sauren Mienen. Auf ihren Patron, der sie von Kindesbeinen an zum Ritter erzogen hatte, waren sie inzwischen schlecht zu sprechen. Denn seit dieser seinen Schützlingen ihre Überlegenheit in allen Kampftechniken neidete und mit seiner Abneigung speziell gegen Leopold sogar dessen Eltern übertraf, die sich seit jeher wenig aus ihrem Zweitgeborenen machten und kaum Interesse an ihm zeigten, war mit ihm kaum noch auszukommen gewesen.

Mit finsterer Miene starrte der junge Ritter, der wusste, dass er zu schnell trank und sich besser gemäßigt hätte, in seinen halb leeren Bierkrug. Weil er aber im Geiste hörte, wie sein Vater ihn einen Versager nannte, nahm er voller Bitterkeit noch einen Schluck, um die herablassende Stimme zum Schweigen zu bringen. Die Meinung seiner lieblosen Eltern, er reiche nicht an seinen älteren Bruder heran, der ach so gelehrt, so fromm und so besonnen war, belastete ihn Zeit seines jungen Lebens, und er hätte sich geschämt, wenn sie Wind von seinen Schwierigkeiten bekommen hätten. Denn weil es ihm ein Herzensbedürfnis war, seiner Familie hocherhobenen Hauptes gegenübertreten zu können, stachelte das Bewusstsein seiner Schmach seine Trinklust einmal mehr an.

„Was blickst du so trübe aus der Wäsche, Leo?“, fragte Hugh. „Du hast mit deiner Aufgabe doch noch Glück gehabt! Eine Braut zu ihrem Bräutigam zu begleiten, dürfte weder Schwierigkeiten machen noch länger als eine Woche in Anspruch nehmen.“

„Ich fühle mich nun einmal herabgewürdigt.“

Seine Ausbilder hatten ihm immer viel Lob für sein großes Talent in allen Waffengattungen gespendet, wie auch für den Elan, hart an sich zu arbeiten. So empfand er es als beschämend, von Lord Ormand anderweitig beschäftigt zu werden. Viel lieber hätte er sich umgehend als junger Ritter bewährt, als den er sich seit Kurzem bezeichnen durfte. Seinem Auftrag konnte er nichts weiter abgewinnen, als dass die Angelegenheit wohl schnell abzuwickeln war. Denn lieferte er Lady Arianwen, die er eskortieren musste, erst bei ihrem zukünftigen Gatten ab, hinderte niemand ihn daran, anschließend Tristan bei dessen Aufgabe zu helfen. Sobald dann Hugh zu ihnen stieß, konnten sie nach Windsor reiten und dort mit weniger Verspätung ankommen als von Lord Ormand beabsichtigt.

Leo vermutete, die junge Lady sei des Reitens unkundig, sodass er mit ihr nur im Schritt vorwärtskäme. Doch war Wales schließlich nicht aus der Welt gefallen, und hielten die drei Freunde hartnäckig an ihren Zielen fest, würden sie zu guter Letzt doch triumphieren. Wer zuletzt lacht, lacht immer noch am besten, dachte er, indem er unwillkürlich die Fäuste ballte. Ich lasse mich nicht entmutigen!

Stirnrunzelnd hob er den Kopf. „Wir dürfen uns nicht den kleinsten Fehler mehr erlauben“, mahnte er.

„Wir haben uns doch gar nichts zuschulden kommen lassen!“, erinnerte Tristan ihn.

„Darin besteht ja gerade die Ungerechtigkeit“, versetzte Hugh mit saurer Miene.

Leo aber wusste es besser. „Immerhin unterschätzten wir die Eifersucht Lord Ormands und die Missgunst Roberts, dieses missgünstigen Wichts, oder etwa nicht?“ Er leerte seinen Krug bis zur Neige. „In Zukunft müssen wir vorsichtiger sein.“

„Mir war ja klar, dass sie mich nicht mögen“, gab Tristan zurück, indem er sich erhob. „Ich hätte aber nicht gedacht, dass sie euch ebenfalls verabscheuen.“

„Welch ein Jammer, dass du solch ein unverschämt hübsches Gesicht hast“, stichelte Leopold, und Hugh grinste breit. Ihren Kameraden mit seinem guten Aussehen aufzuziehen, war ein lohnender Spaß, der stets verfing. Und auch jetzt entlockte der harmlose Jux Tristan finstere Blicke, über die seine Kameraden sich vor Lachen ausschütteten.

„Er kann ja nichts dafür, dass nicht nur Lady Cassandra sich in ihn vergaffte, sondern ihre Tochter dazu“, setzte Hugh nach, worauf sein gut aussehender Freund entnervt die Augen gen Decke schlug und sich trollte, um eine neue Runde Ale zu ordern. „Immerhin gingst du ihnen nach Kräften aus dem Weg“, rief sein Freund ihm einlenkend hinterher, wie stets ums rechte Maß bemüht.

„Ich mache ihm ja gar keinen Vorwurf“, murmelte Leopold und meinte, was er sagte. Allerdings wurde die Missgunst der Männer, mit denen sie trainierten, von Tristans unbestreitbarer Anziehungskraft auf Frauen jeden Alters weiter angestachelt, als hätte es nicht schon gereicht, dass Leo als bester Kämpfer und Hugh als klügster Kopf weit und breit galten.

Auch der ohnehin schon neidische Lord Ormand ärgerte sich maßlos, als seine Gemahlin wie auch seine Tochter Tristan offen anschmachteten. Dazu suchte Robert – selbst nur ein Schildknappe – dem schönen Mann zu schaden, weil er selbst ein Auge auf das holde Fräulein geworfen hatte.

Damit nicht genug, ereignete sich am Tag nach der Schwertleite der drei Freunde ein veritabler Skandal. Der Burgherr hatte ein kostbares Geschenk für King Edward fertigen lassen, um sich bei diesem lieb Kind zu machen, doch wurde es zum allgemeinen Entsetzen noch vor der Übergabe an den Monarchen zerstört. Zwar wären die drei Freunde nicht so ehrvergessen gewesen, das infame Delikt zu begehen, und es gab auch keinen einzigen Beweis gegen sie. Aufgrund des feindseligen Klimas gegen sie wurde ihnen die Missetat aber trotzdem angelastet.

Leopold hielt insgeheim Robert für den Schuldigen, der auf diese Weise ihre guten Namen in den Schmutz zu ziehen suchte, konnte ihm aber nichts nachweisen. Und Lord Ormand kühlte sein Mütchen an den jungen Männern, anstatt den wahren Schuldigen ausfindig zu machen. Denn sie waren ihm als Sündenböcke gerade recht.

Allein die gute Herkunft der drei Freunde bewahrte sie vor ehrabschneidender Verbannung, was Leopold auf grimmige Weise amüsierte, fühlte er sich von seiner Familie doch seit Langem fallen gelassen. Doch musste er fürchten, im Falle eines offiziellen Schuldspruchs enterbt zu werden. Sein Vater hätte es ihm nie durchgehen lassen, Schande über die Familie gebracht zu haben.

„Wir können froh sein, dass Sir Benedictus uns seiner Unterstützung versichert hat“, fuhr er fort, der den Anführer der königlichen Ritter, einen der mächtigsten Männer im Lande, klugerweise in einem Brief um Schutz gebeten hatte. „War seine Antwort auch kurz, so doch ermutigend.“

„Sein freundliches Antwortschreiben ist ein Segen für uns, Leo“, versetzte Hugh mit Nachdruck.

„Enthebt uns aber nicht der Pflicht, Lord Ormands Aufträge auszuführen.“

„Herrje, Sir Benedictus kann sich wohl kaum gegen unseren Schirmherrn wenden. Das solltest sogar du verstehen.“

Leopold nahm den leisen Tadel wortlos hin, wusste er doch selbst, was für ein Hitzkopf er oft war. Mit seinen wachen Sinnen und schnellen Reflexen aber hatte er dem Dreiergespann schon oft aus der Patsche geholfen, was seine Unbedachtheit, die sich ohnehin nur sporadisch auswirkte, wiedergutmachte. Im Grunde verstand er sehr gut, dass Sir Benedictus momentan nichts für sie tun konnte, und rechnete es diesem hoch an, sie nach Ableistung ihrer Pflichten gegenüber Lord Ormand zu einer vorurteilsfreien Beurteilung ihrer kämpferischen Fähigkeiten auf Windsor Castle empfangen zu wollen. Sollte diese zufriedenstellend ausfallen, wollte er sie in seine Dienste übernehmen, was mehr war, als Leopold sich zur Zeit seiner Bittstellung hatte ausmalen können. Die Anordnung ihres zukünftigen Gönners aber, gemeinsam eintreffen zu müssen, verkomplizierte ihre Anreise erheblich. Mussten sie doch erst alle drei ihre Aufgaben zu Ende führen, bevor sie sich nach Windsor begeben durften.

Er grinste, als er den sehnsuchtsvollen Blick bemerkte, den die Schankmagd Tristan hinterherschickte, als dieser mit drei vollen Bierkrügen zu seinen Freunden zurückkehrte. Dabei ermutigt er die Frauen nicht einmal, dachte er amüsiert. Stets spricht er höflich mit ihnen und nimmt sich keine Freiheiten heraus. Oder ist das sein Trick?

Unsanft stellte der „Herzensbrecher wider Willen“ die Humpen auf dem Tisch ab. „Ich will noch einmal klarstellen, dass ich alle Register zog, um zu Lady Cassandra und ihrer Tochter Distanz zu wahren.“ Dabei verzog er das Gesicht, was seiner Schönheit aber keinen Abbruch tat.

„Das wissen wir doch, mein Lieber, vergiss die dummen Gänse“, sagte Leopold schnell, der nicht wollte, dass sein Freund sich Vorwürfe machte. „Hugh hat ganz recht. Sind wir erst einmal auf Schloss Windsor angelangt, brauchen wir an Lord Ormand samt Anhang keinen Gedanken mehr zu verschwenden.“

Ach, wäre es nur schon so weit! dachte er. Wenn vorher irgendetwas schiefgeht, muss ich mein Leben wohl als gemeiner Soldat oder Söldner beschließen … Er war überzeugt, seine Eltern würden ihn im Zweifelsfall verstoßen, da sie auf ihren Erstgeborenen, ihren Goldjungen, setzten, dem die Ritterwürde aufgrund der Erbfolge von vornherein in den Schoß gefallen war. Leopold hingegen musste erst seinen Wert beweisen, bevor er sich in die lange Reihe seiner Vorfahren einreihen durfte, die es fast alle zum Ritter der Könige von England gebracht hatten. Hör auf zu zagen, du Dummbart! fluchte er im Stillen. Es wird schon alles gut gehen, weil es nun einmal gut gehen muss … Ich will alles daransetzen, mir die Anerkennung King Edwards zu verdienen und in allen Ehren in die Ritterelite aufgenommen zu werden. Dann wird auch meine lieblose Familie endlich eine bessere Meinung von mir bekommen, die sich an den Eltern meiner Kameraden ein Beispiel nehmen sollte!

Also los, dachte er, leerte seine Kanne und stand auf. Abertawe Castle, wo er die Lady abholen sollte, die er zu eskortieren hatte, war nur einen kurzen Ritt entfernt. „Lass uns in zwölf Tagen in St. David zusammentreffen, Tristan“, schlug er vor. „Falls nötig, helfe ich dir mit deinem Auftrag, worauf wir zu Hugh stoßen können.“ Die Zeit muss reichen, dachte er grimmig, denn ich werde Lady Arianwen beibringen wie der Wind zu reiten, mag sie wollen oder nicht! Als er seinen Freunden Glück wünschte, prosteten diese ihm zum Abschied zu, worauf er hinausging, ohne sich noch einmal umzudrehen. Wahrlich, es drängte ihn, seine Mission hinter sich zu bringen, hing doch nicht nur seine eigene Zukunft, sondern auch die seiner Kameraden davon ab.

2. KAPITEL

„Alle sagen, dass Sir Leopold der gottbegnadetste Ritter ist, der je das Training durchlief“, schwärmte Arianwens Mutter, während sie ihrer Tochter die glänzenden Haare zu einem schönen Zopf flocht. Diese gab aus Höflichkeit einen kleinen Laut von sich, waren ihre Gedanken auch anderswo. „Er soll es mit zehn Recken auf einmal aufnehmen! Ist das zu glauben?“

Die junge Frau verdrehte im Stillen die Augen, hatte sie doch selbst eine solide Ausbildung an den Waffen genossen, was ihre Mutter aber seit Jahren geflissentlich vergaß. Schon lag ihr eine spitze Bemerkung auf der Zunge, aber sie schluckte sie wieder hinunter, um die letzten gemeinsamen Stunden nicht mit Streit zu vergiften. Sie meint es ja nicht böse, dachte sie betrübt. Schließlich hält alle Welt es für anrüchig, wenn eine Frau es mit Männern aufnehmen kann.

„Ich hätte gern ein Turnier anberaumt, um ihn in Aktion zu erleben“, fuhr Lady Katherine mit leuchtenden Augen fort. „Dein Vater meinte aber, deine Abreise dulde keinen Aufschub, sodass wir darauf verzichten müssen.“

Arianwen nickte zerstreut. Lord Owain ap Llewellyn scheint meinen Abschied ebenso wenig erwarten zu können wie ich, dachte sie grimmig, wehrt er sich doch gegen ein Aufschieben meiner Reise, obwohl meine Zofe an Influenza erkrankt ist. Er weiß ja nicht, wie sehr er mir damit entgegenkommt! Mit dem Ritter werde ich hoffentlich fertig. Schließlich hat auch er keine Ahnung, was ich vorhabe.

Ihre Aussteuer, bestehend aus einer Truhe voll mit feinem Linnen, einer bescheidenen Schmuckgarnitur und einem Kästchen Silbermünzen, war bereits vorausgeschickt worden. Die junge Frau sollte mit leichtem Gepäck hinterherreisen, um keine Räuber anzulocken. Die Gefahr, für ein Lösegeld entführt zu werden, war damit zwar nicht völlig aus der Welt geschafft, ihre Aussteuer aber bereits heil in Pembroke angekommen.

Dass Sir Leopold, der sie eskortieren sollte, jeden Tag eintreffen konnte, war Ari nur recht. Denn auf Abertawe Castle hielt sie kaum noch etwas, und einzig ihre Mutter lag ihr am Herzen, die aber seit Jahren um ihren zweiten Gatten kreiste wie ein leuchtender Mond um einen alles überstrahlenden Glücksstern. Naiv und von schlichtem Gemüt, wartete die schöne Lady Katherine gemeinsam mit ihrem Gatten und den anderen Schlossbewohnern ungeduldig auf Sir Leopold, über dessen herausragende Tugenden ein umherreisender Barde unlängst manches Loblied gesungen hatte. Ari aber fragte sich, was dahintersteckte, dass ein berühmter Ritter sich als Reisebegleiter für junge Frauen zur Verfügung stellte. Abertawe lag fernab der Machtzentren des Landes, und sie vermochte sich nicht zu erklären, warum Sir Leopold nicht lieber bei King Edward auf Windsor Castle weilte. Deshalb misstraute sie den Lobeshymnen auf ihn und hoffte gleichzeitig, an einen Simpel zu geraten, der sich von ihr übertölpeln ließe, wenn sie erst zu Ross unterwegs waren.

„So, das wär’s.“ Liebevoll tätschelte Lady Katherine ihrer Tochter den Rücken. „Dein Vater darf stolz auf dich sein, denn du bist wunderschön.“

Arianwen drehte sich insgeheim der Magen um, bezeichnete ihre Mutter Lord Owain ap Llewellyn doch seit Jahren als ihren Vater, obwohl diese Stelle in ihrem Herzen für immer besetzt war. Ihr leiblicher Vater war der Ehrenwerte David Fletcher gewesen, der nach seinem Tod vor einigen Jahren alsbald totgeschwiegen wurde. Ihm gehörte ihre kindliche Liebe, und es tat ihr im Herzen weh, dass sein Name tabu war. Weil sie es aber seit Langem aufgegeben hatte, Verständnis bei ihrer Mutter zu erwirken, schenkte sie dieser ein leises Lächeln. Es war eben nicht zu ändern, dass Lady Katherine, die jeden mit ihrem sonnigen Gemüt bezauberte, es wie keine Zweite verstand, ernsten Themen mit Bravour aus dem Weg zu gehen.

Sie, die stets danach trachtete, zu gefallen und es allen recht zu machen, konnte so gar nicht damit umgehen, wenn ihre Tochter ihr das Herz ausschüttete. Das hatte Arianwen bald begriffen und verzichtete seither darauf, mit ihrer Mutter über Gefühle zu sprechen, um sie nicht zu betrüben. Und sie hätte es für einen groben Fehler gehalten, sie in ihre Fluchtpläne einzuweihen.

Vater, der mich liebte, wie ich bin, hätte mich nie gegen meinen Willen verheiratet, dachte sie traurig. Und tatsächlich hatte David Fletcher, einst Waffenmeister auf Abertawe Castle, das Potenzial seiner Tochter nicht nur erkannt, sondern dieses auch ohne Vorbehalt gefördert. Der traditionellen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau trotzend, hatte er sie erst zum Pagen und dann bis zu ihrem vierzehnten Lebensjahr zum Knappen ausgebildet. Als sich zeigte, welch hervorragende Schwertkämpferin sie abgab, hatte er ihr sogar davon abgeraten, ihr Leben einmal als Hausfrau und Mutter zu fristen. Denn seiner Tochter, die wie der Teufel ritt, konnte beim Bogenschießen nicht nur kein anderer Knappe das Wasser reichen, sondern sie übertraf schließlich sogar junge Ritter, gegen die ihr Vater sie antreten ließ.

Beim Kampf beginnt einem das Blut in den Adern zu summen, dachte Arianwen sehnsüchtig. Immer noch vermochte sie sich nichts Besseres vorzustellen, als ihr außergewöhnliches Talent auf den Schlachtfeldern der Insel zur Geltung zu bringen und ihre Fähigkeiten dortselbst zu verfeinern. Denn sie war von dem Wunsch beseelt, ihrem Vater nachzueifern, der sich bei vielen Schlachten als Held ausgezeichnet hatte, bis er in fortgeschrittenem Alter seine Stellung als Waffenmeister angenommen hatte.

Leider starb ihr geliebter Vater schon vor ihrem fünfzehnten Geburtstag, und ihre Mutter hatte zu Arianwens Entsetzen nur wenig später dem Burgherrn die Hand zum Ehebund gereicht. Dieser war der Schönheit der noch jungen Witwe erlegen und ließ sich dazu herab, unter seinem Stand zu heiraten, um sie ins Ehebett zu bekommen.

„Ich bin so froh, dass du dich inzwischen besser mit deinem Vater verstehst, mein Herz“, sagte Lady Katherine und gab ihrer Tochter einen Kuss auf den Scheitel. „Glaub mir, ich bin sehr stolz auf dich! Nun du dir die Flausen aus dem Kopf schlugst, bist du zu der schönsten Jungfrau erblüht, die mir je vor Augen kam.“

Ihre freundlichen Worte rührten ihre Tochter zu Tränen, die sie aber schleunigst hinunterschluckte. Ahnte sie, was ich im Schilde führe, spräche sie anders zu mir! dachte sie reuig. In Wahrheit weiß sie nicht das Geringste von mir …

„Wie gut, dass du die kindische Vorstellung, eine Frau könne in die Schlacht ziehen wie ein Mann, wie ein altes Gewand abgestreift hast“, fuhr die Lady fort. „Und bald wirst du einsehen, welch vorteilhafte Wahl dein Vater für dich traf! Bald bist auch du eine Schlossherrin und hast eine eigene Familie. Dann wirst du dein Schicksal preisen!“

Ari ertrug Lady Katherines Reden nur mit Mühe, hielt es aber für unnütz, ihren Protest zu wiederholen, den ihre Mutter stets als nichtig abgetan hatte. Diese hing nun einmal an ihrem zweiten Gatten wie ehedem an ihrem ersten, sah zu ihm auf und betete seine Meinungen wie ein Glaubensbekenntnis herunter.

Für Lord Owain ap Llewellyn aber stand fest, dass eine junge Frau von Stand nur aufs Pferd stieg, wenn sie sich auf Reisen begab. Nie hätte er seiner Stieftochter gestattet, ein Schwert durch die Luft wirbeln zu lassen oder einen Pfeil abzuschießen, und erst recht nicht, an einem Turnier teilzunehmen! In seinen Augen durfte eine Frau außerhalb des heimischen Herdes gar keine Aufmerksamkeit erregen.

Arianwen aber hatte sich ihre Träume bewahrt, wurden diese auch seit Jahren unterdrückt. Sie wollte immer noch eine Kriegerin werden, wie ihr Vater und sie es geplant hatten.

„Denkst du jemals an Papa?“, fragte sie unbedacht, biss sich aber sogleich auf die Zunge. Eigentlich wollte sie so kurz vor dem Abschied keine Konflikte aufwerfen.

„Natürlich, mein Liebling. Mein David war ein eigenwilliger Mann, wird aber immer einen besonderen Platz in meinem Herzen behalten.“

Als Arianwen den Namen ihres Vaters von den Lippen ihrer Mutter hörte, schloss sie andächtig die Augen.

„Ich weiß, was für überspannte Zukunftspläne er für dich hegte“, fuhr Lady Katherine stirnrunzelnd fort. „Jetzt aber wäre er sicher stolz darauf, dass du eine derart glänzende Partie machst.“

Da stieg heftiger Zorn in Arianwen auf, den sie nur mit Mühe verhehlte. Das willst du mir wirklich weismachen, Mama? dachte sie empört. Glaubst du denn, die Welt drehe sich nur um Lord Owain und dich? Ach, wenn du wüsstest …

Seit Jahren hatte sie die Bewegungsabläufe, die ein Kämpfer beherrschen musste, notgedrungen im stillen Kämmerlein oder im Wald üben müssen, um nicht völlig aus der Übung zu geraten. Deshalb war sie, wenn auch nicht völlig eingerostet, so doch nicht völlig auf der Höhe. Oh, sie hatte hart darum gerungen, weitertrainieren zu dürfen, als ihre Mutter Lord Owain heiratete! Dieser aber hatte stets unerbittlich abgelehnt.

„Hast du vielleicht Fragen über die Ehe?“, fuhr Lady Katherine verlegen fort, indem sie sich abwandte, wie von ungefähr einen Blumentopf hochnahm und wieder abstellte. „Mir ist gar nicht klar, ob du weißt, was auf dich zukommt …“

„Danke, Mama, du brauchst mir nichts zu erklären, denn ich weiß Bescheid.“ Zwar hatte die Familie des Waffenmeisters einen besonderen Status besessen, aber keine eigenen Räume bewohnt. So war Arianwen, die wie alle anderen in der Großen Halle schlief, nicht verborgen geblieben, was sich dort zur Schlafenszeit zwischen Männlein und Weiblein tat. All das Grunzen, Stöhnen und Ächzen, das in der Nacht zu hören war, wenn die Schlossbewohner sich geräuschvoll vereinigten, hatte sie als gottgegeben hingenommen. Und mehr wollte sie gar nicht erfahren, denn sie war fest entschlossen, sich ihrer Hochzeitsnacht mit Lord Cradoc in jedem Falle zu entziehen. Ich lasse mir doch keinen alten Mann auf den Bauch binden, der mich wie ein Ding behandelte, als ich ihm vorgestellt wurde! dachte sie angewidert. Am besten wäre es, wenn ich nie auf Pembroke Castle ankäme.

Als Lady Katherine sich ihrer Tochter wieder zuwandte, lag eine Mischung aus Scham und Bedauern in ihrer Miene. Zart strich sie ihr über die Wange. „Es dauert mich, dass dein Verlobter um Einiges älter ist als du, mein Herz … Doch grenzt sein Besitz an den unseren, sodass wir uns oft besuchen können, was mich eine große Gnade dünkt. Nur Mut! Sicher entpuppt er sich als freundlicher, als er bei seinem Besuch gewirkt hat.“ Sie krauste die Stirn, als glaube sie selbst nicht recht, was sie sagte. „Ihr müsst euch eben besser kennenlernen, dann wird sich schon alles von selbst ergeben.“

„Er stellt sich bestimmt als gütig, vornehm und edelherzig heraus.“ Arianwen sagte nur, was ihre Mutter zu hören wünschte. Denn der arrogante Hagestolz, der sich auf seine alten Tage zu einer zweiten Heirat entschlossen hatte, hatte bei seinem Besuch schlechteste Manieren an den Tag gelegt. Seine Verlobte hatte er zur Begrüßung beäugt wie eine Kuh auf dem Viehmarkt und sich anschließend wortlos abgewandt. Dazu hatte sein kalter Blick sie während der Verlobung, die festlich begangen worden war, förmlich zu Eis erstarren lassen. Da hatte sie sich geschworen, diesem Mann, der sich zu keinem einzigen Wort an sie herabließ, niemals zu gehören. Vom Alter her hätte er sowieso ihr Großvater sein können, sodass der Gedanke, mit ihm ins Bett steigen zu müssen, ekelerregend für sie war.

An diesem Abend hatte Arianwen sich vorgenommen, ihren Begleiter auf der Reise nach Pembroke so geschickt zu übertölpeln, dass sie ihm ausreißen konnte. Dabei zählte sie auf die Kniffe, die ihr Vater, der einst sogar für die Ausbildung der Elitesoldaten des verstorbenen Königs verantwortlich gewesen war, ihr beigebracht hatte. Und war sie Sir Leopold erst entwichen, wollte sie ihre Existenz als Lady Arianwen abstreifen wie eine alte Haut und ein neues Leben als walisischer Ritter beginnen. Sie hatte vor, sich Sir Rhys zu nennen und in dieser Verkleidung mit ihrem Wagemut und ihrer Kampfkunst zu glänzen. Das war ein Leben, wie es ihr vorschwebte! Sie brannte bereits darauf, Abertawe Castle endlich den Rücken kehren zu dürfen.

Männerkleidung hatte sie sich bereits besorgt und ganz unten in ihrem Kleidersack verstaut, der hinten aufs Pferd geschnallt würde, wenn sie abritt. In die Säume ihrer Röcke hatte sie sich eine erkleckliche Anzahl Silbermünzen eingenäht, womit sie sich später einen Kettenpanzer zulegen wollte.

Jetzt erhob sie sich und nahm ihre Mutter lächelnd bei den Händen. „Du warst immer gut zu mir, Mama“, sagte sie. „Glaub mir, ich werde dich vermissen. Sonst habe ich ja niemanden mehr …“ Und sie sprach die Wahrheit. Denn waren beide auch von unterschiedlichem Wesen, liebte die junge Frau ihre Mutter aufrichtig, und die Aussicht, sie nie wiederzusehen, hatte ihr bereits schlaflose Nächte bereitet.

„Sei guten Mutes, mein Schatz! Dein Gemahl wird es dir bestimmt gestatten, mich bald einmal zu besuchen. Von Pembroke nach Abertawe ist es gar nicht so weit, du wirst schon sehen …“ Während Lady Katherine vor Rührung die Stimme brach, drückte Arianwen ihr die Hände, denn sie war gleichermaßen bewegt. Mama wird sicher Trost bei ihren anderen Töchtern finden, dachte sie traurig, zumal ein weiteres Kind unterwegs ist. Ihr selbst tat es leid, die kleinen Mädchen nicht aufwachsen zu sehen, denen man vermutlich erzählen würde, dass ihre große Schwester tot war, wenn deren Flucht erst bekannt wurde. Still seufzte sie in sich hinein, brachte sie doch ein großes Opfer, indem sie ihre Familie verließ. Einen anderen Ausweg aber wusste sie nicht.

Plötzlich schallte Hufschlag von unten herauf, die beiden Frauen eilten ans Fenster und musterten neugierig den Reiter, der mit suchendem Blick um den Hof herumritt.

„Das muss Sir Leopold sein!“, stieß die Schlossherrin aufgeregt aus. „Ich eile, ich eile! Schließlich will ich dabei sein, wenn dein Vater ihn begrüßt.“

Arianwen, deren Sorgen jetzt erst richtig anfingen, schwieg dazu. Seit Jahren habe ich nur unzureichend trainiert, dachte sie beklommen. Ob ich mich diesem Mann unbemerkt davonzustehlen vermag? Sie schluckte. Ich will endlich frei sein! dachte sie, indem sich ihr das Herz zusammenzog. Selbst ein Vogel darf in die Lüfte hinauf, und auch ich will mein Leben führen, wie es mir gefällt!

Dann aber suchte sie sich zu fassen und befahl sich, die Nerven zu behalten. Und während Lady Katherines Schritte noch auf der Treppe verhallten, blickte ihre Tochter wie gebannt auf den fremden Ritter hinab. Das ist also Sir Leopold? Schau einer an! dachte sie und verzog abschätzig den Mund. Ich hoffe, an der formidablen Reputation, die ihm vorausweht, zu kratzen … Jedenfalls lasse ich mir meinen Plan von niemandem vereiteln, und erst recht nicht von meinem Aufpasser!

Sie konnte aber nicht umhin, anzuerkennen, dass er seinen prächtigen großrahmigen Hengst mit leichter Hand lenkte und einen guten Sitz besaß. Das heißt nicht, dass er besser kämpft als ich! begehrte sie in Gedanken auf. Und ob er Grips hat, wird sich auch noch herausstellen müssen.

Als er eins seiner langen Beine über den Pferderücken schwang und sich zu Boden gleiten ließ, machte er immer noch eine gute Figur. In Ordnung, dachte sie, ich habe nichts dagegen, dass er groß und stark ist und mit seinem Pferd umzugehen weiß. Ich muss aber so schnell als möglich herausfinden, wie er am besten zu überlisten ist. Schließlich würde ich ihm nur ungern den Garaus machen, um die Freiheit zu erlangen!

Hinter ihrem Fenster verborgen, musterte Arianwen den Ritter mit Bedacht, dessen Körperbau für das Kriegshandwerk wie geschaffen schien. Seine Schultern waren breit und seine Hüften schmal, in denen er sich verhalten wiegte, als er sich auf seinen langen starken Beinen in Gang setzte. Da schwante ihr, dass das Lob auf sein Talent womöglich nicht übertrieben war. Wie käme ich davon, wenn er mir gewachsen wäre? fragte sie sich, indem der Mut ihr sank. Und doch fiel es ihr schwer, ihren Blick von ihm loszureißen. Denn er besaß eine körperliche Präsenz und männliche Ausstrahlung, die ihr noch nie untergekommen war.

Leopolds Haar, das von einem dünnen Lederband kaum gebändigt wurde, besaß eine goldene Tönung, wie Arianwen sie noch nie gesehen hatte. Als er sich eine Locke aus dem Gesicht strich, mit welcher der Wind sein Spiel trieb, hob er unerwartet den Kopf und begegnete den Augen der jungen Frau, die ihn vom Fenster aus beobachtete. Da sanken ihre Blicke ineinander und ihre Herzen erbebten, worauf sie sich wie gebannt betrachteten, als stünde die Zeit still. Und während der Ritter klopfenden Herzens Arianwens Bild wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt bestaunte, verharrte die Schöne ebenso reglos wie er. Fühlte sie sich doch wie ein Schmetterling im Netz einer Spinne, deren Kuss womöglich süßer war als der Nektar ein jeder Blüte …

Erst als sein schöner Hengst ihn sanft mit dem Maul anstieß, wandte der junge Ritter den Kopf und brach so den Zauberbann, der über ihm gelegen hatte. Und auch Arianwen trat schnell einen Schritt zurück, sodass Leopold sie nicht mehr fand, als er sie mit seinen großen blauen Augen suchte. Zwar stand sie noch im selben Zimmer, schlug aber entgeistert die Hände vors Gesicht und rang um Atem. Mir scheint, die Märchen über Sir Leopold sind mir zu Kopf gestiegen! dachte sie alarmiert. Seit wann bin ich so leicht zu beeindrucken? Dann warf sie sich aufs Bett und zog sich das Kissen über den Kopf. Das darf mir nicht noch einmal passieren, trichterte sie sich ein, ab jetzt ist Contenance geboten! Ihr Körper aber, der in hellem Aufruhr war, sprach seine eigene Sprache.

3. KAPITEL

Verwirrt streichelte Leopold seinem Hengst die Mähne und schüttelte ratlos den Kopf, war ihm doch nie Ähnliches geschehen. Vom Anblick der Frau am Fenster, mit welcher er mehr als einen Blick getauscht hatte, war er bis ins Mark erschüttert. Und das, obwohl er Frauen im Allgemeinen eher reserviert gegenüberstand.

Lieber Gott, welch wundersame Erscheinung! Ich weiß kaum, wie mir geschieht. Bitte lass es nicht Lady Arianwen sein, die mich so durcheinanderbrachte! flehte er zum Himmel. Sonst wäre ich in erheblichen Schwierigkeiten …

Eigentlich wollte er nicht noch einmal zu ihr hochsehen; die Versuchung aber war zu groß. Da fand er das bewusste Fenster leer und die Lady entschwunden, was ihn einerseits erleichterte, andererseits aber enttäuschte. Ich benehme mich schon wie die schwärmerischen Weiber, die Tristan anschmachten! dachte er gereizt. Ab sofort ist Schluss damit, Leo, Punktum!

Oft genug hatte er darüber gestaunt, wie unvernünftig liebestrunkene Frauen und Männer sich benahmen, sich selbst aber für immun gegen derartige Narreteien gehalten. Einmal nur hatte er sich auf eine Liaison eingelassen, doch eher aus dem Gefühl heraus, dass dies von einem echten Mann erwartet wurde, als dass er etwas für die Frau empfunden hätte. Die Sache endete dann auch in einem Fiasko, an welches er sich am liebsten nicht mehr erinnerte. Denn die Lady, die sich ihm gnädig zugeneigt hatte, nutzte ihn am Ende schamlos aus, sodass er wie ein begossener Pudel dastand, als die Wahrheit ans Licht kam. Da hatte er seine Wunden geleckt, den Frauen den Rücken gekehrt und sich mit voller Kraft ins Training gestürzt.

Ob es sich bei der mysteriösen Schönheit um Lady Arianwen handelt oder nicht, muss ohne Belang sein, dachte er. Statt mich in Gefühle hineinzusteigern, die mir nicht zustehen, muss ich mich im Zaum halten. Kein Weibsbild, und sei es noch so schön, darf meine Zukunftspläne durchkreuzen. Ich werde meine Aufgabe ohne Fehl und Tadel erfüllen, mich dann mit Tristan und Hugh zu Sir Benedictus auf Windsor Castle begeben und in die Riege der Königsritter aufsteigen, wie ich es seit Langem erträume. Es steht zu hoffen, dass die Lady darauf vorbereitet ist, umgehend mit mir aufzubrechen. Carpe diem! Jeder Tag ist kostbar. Denn jeder Tag bringt mich der Anerkennung meiner Eltern näher. Jedenfalls ist das der Plan ….

„Jaja“, brummte es neben ihm. „Ihr seid nicht der erste junge Mann, dem es die Suppe verhagelt, und auch wir Alten sind nicht dagegen gefeit.“

Verwundert betrachtete Leopold den beleibten Burschen, der wie aus dem Nichts neben ihm aufgetaucht war. „Von was redet Ihr, guter Mann?“

„Von Lady Arianwens strahlender Schönheit, wovon sonst? Ihr wäret nicht der Erste, der bei ihrem Anblick sprachlos ist.“

Der Ritter, der sich ertappt fühlte, errötete wider Willen. So entpuppt sich die Frau am Fenster tatsächlich als die junge Lady, die ich ihrem Bräutigam zuführen werde, dachte er bedrückt. Was heißt, dass wir tagelang zu zweit auf einsamen Pfaden durch die Lande ziehen werden … Voller Besorgnis fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und setzte zu einer Entgegnung an. Der Mann aber ließ ihn gar nicht zu Wort kommen.

„Sie ist die Tochter unseres verblichenen Waffenmeisters“, sagte er. „Oh, es hat allen das Herz zerrissen, als er starb! Denn er war ein guter Mann, wenn er auch zu komischen Einfällen neigte.“ Er seufzte. „Die Schönheit hat sie von ihrer Mutter geerbt, die als Witwe nicht einmal das übliche Jahr abwartete, bevor sie dem Schlossherrn ihr Jawort gab. Wenn Ihr mich fragt, ist es nicht recht, dass die junge Lady einen alten Knacker heiraten soll. Ich wünsche ihm, dass er bald ins Gras beißt!“ Sein Ton war gallig. „Dann mag sie sich ins Bett holen, wen sie will.“

Nachdenklich hörte Leopold zu, der den glatten Hals seines Hengstes rieb, und nickte am Ende. Das Schicksal der jungen Frau dauerte ihn, doch durfte er kein Mitgefühl äußern. „Sicher sucht Ihr die Ställe“, wechselte der Mann abrupt das Thema. „Nun, der Weg ist einfach. Immer der Nase nach, Sir!“ Darauf ging er grinsend seiner Wege.

Da haben wir den Salat, dachte der junge Mann, indem er die Zügel schnalzend sein Pferd in Gang setzte. Ich werde mich ordentlich im Zaum halten müssen, um nicht merken zu lassen, wie tief die junge Lady mich beeindruckt. Nur gut, dass meine Freunde mich nicht sahen, als ich bei ihrem Anblick Mund und Nase aufsperrte! Wahrscheinlich würden sie mich bis Weihnachten hänseln …

Er hatte die Ställe noch nicht erreicht, als ein kostbar gekleidetes freundliches Paar ihm den Weg vertrat. „Willkommen! Ihr müsst Sir Leopold sein“, begrüßte ihn der Mann, der einen stattlichen Bauch vor sich hertrug. „Ich bin Owain ap Llewellyn, Lord auf Abertawe Castle, und dies ist meine charmante Gemahlin. Sogar in unserer abgelegenen Gegend rühmt man Euren Heldenmut, und wir sind überaus geehrt, dass Ihr Euch herablasst, unsere liebe Tochter zu ihrem neuen Heim zu eskortieren.“

Das dunkle Haar der Frau an seiner Seite ähnelte dem der jungen Frau im Fenster, wenn ihres an den Schläfen auch bereits ergraute; doch erkannte Leopold, dass sie in ihrer Jugend bezaubernd gewesen sein musste. Ihr Antlitz ließ noch immer eine Art verblichener Schönheit ahnen, gleich einer reizvollen Blume, die, zwischen zwei dicken Büchern gepresst, noch lange einen Schatten der Pracht zeigt, die sie einst besaß.

„Ganz recht, wir sind entzückt“, stimmt Lady Katherine mit einem Lächeln zu, das dem ihres Gatten wie ein Abguss ähnelte. Der Lord redete derweil weiter; der Ritter aber hörte nicht recht zu, weil die Ähnlichkeit der beiden Frauen ihn frappierte.

Als er Schritte hinter sich hörte, ahnte er sofort, wer sich ihnen da näherte. Oh weh, dachte er besorgt. Wie soll ich tagelang mit dieser Frau durch die Wildnis reiten, wenn ich schon bei ihrer bloßen Anwesenheit wie ein nervöser Jährling die Ohren aufstelle? 

„Da kommt sie ja.“ Das Lächeln Lord Owains wirkte plötzlich gezwungen. „Darf ich Euch meine Stieftochter Lady Arianwen vorstellen, Sir Leopold?“

Als der Ritter sich zu ihr umdrehte, suchte er keine Miene zu verziehen. Dabei hoffte er aus tiefstem Herzen, dass sie von Nahem besehen weniger Zauber besaß, als die Erscheinung am Fenster auf ihn ausgeübt hatte. Doch ging seine Hoffnung fehl, denn sie erwies sich als noch schöner als befürchtet. Arianwen war von hohem Wuchs, sodass sie ihm bis zum Kinn reichte. Ein Teil ihres vollen Haares lief zu einem zierlichen Zopf geflochten als Krönchen um ihren Kopf herum, während der Rest wie ein dunkler schimmernder Wasserfall auf ihre Schultern niederfloss. Sie musterte Leopold aufmerksam aus großen dunklen Augen, die einen ungewöhnlichen Glanz besaßen und von langen Wimpern bekränzt wurden. Da schien Leopolds Herz für einen Moment stillzustehen, bevor es zu rasen begann, als wolle es ihm aus der Brust hinausspringen. Doch beherrschte er sich mustergültig und nickte kurz und respektvoll, worauf er sich verneigte. „Lady Arianwen.“

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