Zwischen Lüge und Verlangen

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Eine verhängnisvolle Schwäche überkommt Laura während des Bewerbungsgesprächs mit Vasilii Demidov: Sie spürt, dass dieser mächtige Tycoon sie will! Nur als persönliche Assistentin, die fließend exotische Sprachen beherrscht – oder als seine Geliebte?


  • Erscheinungstag 18.11.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512350
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Sie sollte das wirklich nicht tun. Auf keinen Fall.

Andererseits war es ein Job, mehr nicht. Ein Job, den sie im Augenblick dringend brauchte – nach allem, was geschehen war.

Der Haken: Sie würde eng mit Vasilii Demidov zusammenarbeiten. Sehr eng, und zwar als seine persönliche Assistentin. Wenn auch nur vorübergehend.

Abrupt blieb Laura Westcotte mitten auf der Londoner Sloane Street stehen. Meine Güte noch mal! Sie war doch keine vierzehn Jahre mehr alt. Die alles verzehrende Schwärmerei für den um einiges älteren, umwerfend attraktiven Halbbruder ihrer alten Schulkameradin war doch längst überwunden, oder etwa nicht? Damals hatte sie gemeinsam mit seiner jüngeren Halbschwester das renommierte Mädchenpensionat besucht, deren Direktorin Lauras strenge Tante war.

Laura fühlte sich nicht länger wie das alberne kleine Mädchen, das heimlich im Internet nach Informationen über ihren Traummann Vasilii Demidov geforscht hatte. Zum Glück steckten die großen sozialen Netzwerke zu dem Zeitpunkt noch in den Kinderschuhen, sonst hätte sich Laura bestimmt vor aller Welt lächerlich gemacht. Schlimm genug, dass sie sich später ein Foto von ihm besorgt hatte, um still und heimlich vor sich hin zu träumen.

Vasilii war ihr vor die Linse gelaufen, als er an einem Freitagnachmittag seine Halbschwester in der Schule besuchte. Mit zitternden Fingern hatte sich Laura an ihre Kamera geklammert und heimlich ihr Foto geschossen, während er mit langen Schritten auf seine Schwester zuging, die bereits auf ihn wartete.

Sein Körper war kraftvoll und muskulös gewesen, genau wie seine Bewegungen. In seiner dunklen Jeans und dem schwarzen T-Shirt hatte Vasilii unglaublich lässig gewirkt, und Laura war unwillkürlich auf ziemlich verwegene Gedanken gekommen. Ein echtes Wunder, dass sie das Bild nicht bis zur Unkenntlichkeit verwackelt hatte.

Sorgfältig verwahrt am heiligsten Ort ihrer Jugend, dem Geheimfach in der Schmuckschatulle ihrer Mutter, blieb das Foto stets vor neugierigen Blicken verborgen. Die Schatulle, der der schwache Duft ihrer Mutter anhaftete, besaß Laura immer noch. Und das Foto?

Nun benahm sie sich aber wirklich lächerlich. Damals war das noch verzeihlich gewesen, denn in dem Alter gehörte unrealistische Schwärmerei aus der Ferne für Mädchen zum Alltag.

Laura hatte Hunderte Male darüber fantasiert, wie sie sich begegneten, hatte im Geiste romantische Situationen mit ihm erlebt – und noch so einiges mehr, das dem hormonüberladenen Verstand einer Halbwüchsigen entsprang. In ihrer Vorstellung war es sogar ein Zeichen des Schicksals gewesen, dass sie beide ihre Mütter verloren hatten. Diese Erfahrung hatte ein unsichtbares Band zwischen ihnen gewoben …

Dabei waren sie einander nie richtig vorgestellt worden, geschweige denn hatten sie jemals persönlich miteinander geredet. So blieben nur die endlosen Tagträume und das Verlangen nach dem Unbekannten, die ihr von Zeit zu Zeit sogar ein wenig Angst machten.

Das war mittlerweile alles längst vorbei, nur die Gegenwart zählte. Sie hatte sich gerade mehrmals seinen Namen durch den Kopf gehen lassen, ohne dabei Herzklopfen zu bekommen oder an ihrem eigenen Atem zu ersticken – das war doch der Beweis, oder?

Nein, ich bin keine vierzehn mehr, sagte sie sich. Wie um sich dessen zu versichern, warf sie einen Blick in die nächstbeste Schaufensterscheibe, aus der sie das Antlitz einer selbstbewussten vierundzwanzigjährigen Frau anblickte. Das brünette Haar fiel ordentlich frisiert über ihre Schultern, und die blauen Augen leuchteten in dem keltisch blassen Gesicht wie blaue Edelsteine. Die vollen Lippen waren nur dezent geschminkt. Insgesamt wirkte sie wie eine Karrierefrau auf dem Weg zu einem vielversprechenden Vorstellungsgespräch.

Vasilii Demidov konnte es wohl kaum gelungen sein, in wenigen Minuten das naive Mädchen in ihr erneut zum Leben zu erwecken? Anstatt über die Vergangenheit zu grübeln, sollte sie sich besser auf ihre Zukunftspläne konzentrieren. Ihr war bereits ein guter Job durch die Lappen gegangen, sollte sich das wiederholen, wäre das ihrer Karriere nicht gerade zuträglich.

Laura machte sich keine Illusionen. Sie wusste genau, warum sie den letzten Vertrag nicht bekommen hatte, der ihr mündlich zugesichert worden war. Der neue Geschäftsführer jener Firma hatte keine Zweifel daran aufkommen lassen. Wenn sie daran zurückdachte, befiel sie sofort wieder ein schmerzhaftes Gefühl der Demütigung.

Oh ja, sie brauchte diese Stelle unbedingt! Sechs Wochen als Aushilfssekretärin für Vasilii Demidov und zudem mit einer atemberaubenden Bezahlung – mehr als das Doppelte ihres letzten Gehalts. Obendrein würde diese Anstellung Lauras Lebenslauf entschieden aufwerten und endlich die berufliche Talfahrt für sie beenden.

Wieder hatte Laura im Internet alles Mögliche über Vasilii recherchiert. Dieses Mal, um sich optimal auf ihr Bewerbungsgespräch vorzubereiten, wie es sich für eine ernst zu nehmende Bewerberin gehörte. Nach dem Tod seines Vaters hatte Vasilii dessen bescheidene Firma zu einem multinationalen Konzern ausgebaut. Zwar war der Hauptsitz seiner Firma in Zürich angesiedelt, doch Vasilii selbst hielt es nie lange an einem Ort. Er lebte als sprichwörtlicher Nomade ganz in der Tradition seiner Vorfahren mütterlicherseits, die einst mit Kamelen durch die Wüste gezogen waren.

Im Gegensatz zu so vielen anderen russischen Großindustriellen unterhielt Vasilii allerdings nicht mehrere Wohnsitze über den Globus verteilt. Stattdessen mietete er sich in Hotels oder möblierten Apartments ein, je nachdem, wo ihn seine Geschäfte gerade hinführten.

Früher hatte Laura es hinreißend exotisch gefunden, dass Vasilii – dessen Vater Russe gewesen war – seine Herkunft mütterlicherseits angeblich bis zu einem hellhäutigen, blauäugigen Kriegerstamm zurückverfolgen konnte, der sich einst mit einer verirrten römischen Legion vereinigt hatte. Man sagte Vasilii aufgrund dieser Geschichte eine besondere strategische Kämpfernatur nach. Im Internet fanden sich jede Menge Mutmaßungen und Hypothesen über diesen alten Nomadenstamm, der für seinen unerbittlichen Stolz und für seinen besonderen Ehrenkodex gerühmt wurde. Wie unzählige andere alte Volksstämme war auch dieser durch Kriege und Krankheiten beinahe ausgelöscht worden, lange bevor Vasiliis Mutter das Licht der Welt erblickt hatte.

Heute machte es den Anschein, als wäre Vasilii immun gegen alle Verletzungen, die ihm durch andere Menschen zugefügt werden könnten. Er galt als mächtiger, hartherziger Mann, der sich kompromisslos dem geschäftlichen Erfolg verschrieben hatte. Und es war ihm bestimmt völlig gleichgültig, ob Laura in ihrer Jugend eine Schwäche für ihn empfunden …

Warum denke ich jetzt schon wieder daran? ärgerte sie sich und warf einen Blick auf die Uhr. Dann beschleunigte sie ihre Schritte. Zu diesem wichtigen Termin durfte sie keinesfalls zu spät kommen, nur weil sie sich in hirnlosen Tagträumereien verlor!

Von seiner exklusiven Suite im obersten Stockwerk eines der teuersten Londoner Hotels konnte Vasilii die gesamte Sloane Street überblicken. Die Julisonne fiel zum Fenster herein und schien ihm direkt ins Gesicht, sodass sein Gesicht im Profil noch kantiger wirkte als sonst. Seine Haut hatte von Natur aus einen warmen goldenen Ton, in seinen Zügen spiegelte sich der arabische Einfluss seiner Mutter wider.

Sein Leben lang hatte Vasilii sich als Außenseiter gefühlt, da er sich weder ganz zur Familie seiner Mutter, noch zu der seines Vaters gehörig fühlte. Von beiden Seiten war er nie vollends akzeptiert worden, vielleicht, weil er äußerlich nach seiner Mutter kam, dazu aber den messerscharfen Verstand und Geschäftssinn seines Vaters besaß. Also hatte Vasilii gelernt, allein zurechtzukommen und niemandem außer sich selbst zu trauen. Dieser Zug hatte sich noch verstärkt, nachdem seine Mutter verschleppt und bei einem missglückten Befreiungsversuch von ihren Kidnappern getötet worden war.

Er selbst war noch ein Kind gewesen und hatte es nur schwer verkraftet, den Menschen zu verlieren, der ihm am nächsten stand. Seither war Vasilii entschlossen, sich niemals wieder so verletzbar zu machen. Er hielt seine Mitmenschen auf Distanz und schwor sich, nie wieder den Verlust eines geliebten Menschen zu riskieren.

Im Augenblick war es allerdings nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart, die ihm zu schaffen machte. Die und eine gewisse Miss Laura Westcotte.

Bedauerlicherweise fiel sein Privatsekretär für ein halbes Jahr aus, weil er sich um seine kranke Ehefrau kümmern musste. Zu allem Überfluss hatte sich der umgehend engagierte Ersatzmann eine böse Magen-Darm-Grippe eingefangen, gerade als Vasiliis Verhandlungen mit den Chinesen die heiße Phase erreicht hatten. Nun brauchte er dringend einen Assistenten, der nicht nur fließend Mandarin, sondern auch Russisch und Englisch beherrschte und sich mit internationalem Protokoll und der entsprechenden Etikette auskannte – also in der Lage war, sich chinesischen Würdenträgern und Bürokraten gegenüber korrekt zu verhalten.

Zwar sprach Vasilii alle drei Sprachen fließend, aber als internationaler Unternehmer durfte man sich nicht die Blöße geben, bei Verhandlungen als sein eigener Übersetzer aufzutreten. Für chinesische Unternehmer, mit denen er es momentan zu tun hatte, war ein eigener Personalstab eine Art Statussymbol, wie Vasilii schnell feststellen musste. Deshalb war jetzt auch ein Vorstellungsgespräch mit Laura Westcotte fällig, die sein Headhunter ihm empfohlen hatte.

Allerdings gab es ein paar Dinge, die deutlich gegen sie sprachen. Zu allererst einmal war sie eine Frau, und Vasilii arbeitete nie eng mit Frauen im eigenen Team zusammen. Ihm war klar geworden, dass Mitarbeiterinnen ihn – schwerreich und unverheiratet – allzu gern als potenziellen Ehemann einstuften. Doch er hatte nicht die Absicht, jemals vor den Traualtar zu treten.

Sein Kiefer verkrampfte sich bei diesem Gedanken. Eine Ehe oder überhaupt eine engere Beziehung zu einem anderen Menschen bedeutete, ein Stück von sich selbst wegzugeben. Es bedeutete daher auch, dieses Stück von sich irgendwann auf schmerzhafte Weise verlieren zu können.

Doch eigentlich war die Sache nicht so eindeutig, denn in seiner Brust wohnten zwei Seelen, was wohl seiner multikulturellen Herkunft zu verdanken war. Neben dem modernen, ehrgeizigen Russen lebte in ihm der Wüstenkrieger, dessen althergebrachter Moralkodex und archaischer Glaube in der heutigen Welt fehl am Platze waren.

Aber wozu sollte er auch heiraten? Das war völlig überflüssig. Nachdem seine Halbschwester Alena neuerdings mit einem russischen Geschäftsmann verheiratet war, konnte man davon ausgehen, dass die beiden ihre Beziehung irgendwann mit gemeinsamen Kindern krönten. Damit wäre für den Nachwuchs gesorgt, der zukünftig im Familienunternehmen arbeiten und dieses schließlich übernehmen konnte.

Es gab neben ihrem Geschlecht noch einen weiteren Grund, warum Vasilii sich sträubte, Laura Westcotte einzustellen. Gewiss, ihr Lebenslauf war eindrucksvoll. Doch seine eigene Recherche und einige Gespräche mit seiner Halbschwester Alena hatten ihn davon überzeugt, dass es Laura an Verantwortungsbewusstsein und Gradlinigkeit mangelte. Man konnte ihr nicht vertrauen. Kurz gesagt, ihre Vorstellung von Moral ließ deutlich zu wünschen übrig. Unglücklicherweise gab es zurzeit keinen anderen Bewerber für die Stelle, und Vasilii lief die Zeit davon. Laura erfüllte alle Kriterien und kannte sich bestens mit den Gepflogenheiten der Geschäftswelt und der chinesischen Kultur aus. Es blieb ihm also kaum eine andere Wahl, als ihr den Job anzubieten.

Bestimmt ist der rasante Fahrstuhl schuld am flauen Gefühl in meinem Magen, überlegte Laura und zählte die Stockwerke, bis sie endlich auf Vasiliis Etage aussteigen konnte.

Sie sollte sich wirklich ausschließlich auf diesen wichtigen Job konzentrieren und alle Gedanken an alte Schwärmereien beiseitelassen. Nach allem, was Laura über Vasilii und seine sachliche Art, Geschäfte zu machen, wusste, hatte er sicherlich wenig Verständnis für Nervosität oder Aufregung bei seinen Mitmenschen.

Laura wurde durch zwei gesicherte Türen geführt, bevor ein tonloses, britisch akzentuiertes „Herein!“ durch die geöffnete Flügeltür drang, hinter der sich Vasiliis Arbeitszimmer verbarg.

Welch warmherziger Empfang, dachte sie sarkastisch und betrat das großräumige Zimmer. Sofort galt ihre gesamte Aufmerksamkeit dem Mann, der mit verschränkten Armen am Fenster stand.

Wie sie selbst trug er Businesskleidung, einen dunklen Anzug. Sein ebenfalls dunkles Haar berührte nur leicht den Kragen seines strahlend weißen Hemds. Auf den gebräunten Händen war kein einziger Ring zu erkennen. Den Kopf hatte er leicht zur Seite geneigt, sodass das Tageslicht von hinten seine scharfen Gesichtszüge betonte.

Das Flattern in ihrem Magen verwandelte sich in prickelnde Erregung. Das Bild, das sie sich damals zurechtgelegt und seither gepflegt hatte, erschien ihr mit einem Mal in neuem Licht. Damals war Vasilii aufregend und toll gewesen, aber heute war er absolut atemberaubend!

In ihrem Inneren schrillte eine Alarmglocke. Sie sollte am besten sofort die Flucht ergreifen. Doch da gab es einen entschlossenen Teil in Laura, der ihre zuflüsterte, sich nicht einschüchtern zu lassen. Vasilii mochte ein Mann sein, der ihre Fantasie und ihre Nerven anregte, aber das war noch lange kein Grund, klein beizugeben. Vermutlich handelte es sich lediglich um einen Rest Teenagerschwärmerei, der sich schon bald verflüchtigen würde.

Das Bewerbungsfoto wurde Laura ganz und gar nicht gerecht, wie Vasilii widerwillig eingestand. Ihr herzförmiges Gesicht kam nicht richtig zur Geltung, genauso wenig ihre geschmeidige Figur. Leider hatte er im Internet nicht viel über sie herausfinden können. Keine peinlichen Partyfotos und keine despektierlichen Berichte. Aber darauf war er auch nicht angewiesen. Man hatte ihm schließlich längst offenbart, mit was für einer Person er es zu tun hatte. Nämlich mit der Art von Mensch, die er normalerweise tunlichst mied.

Äußerlich mochte sie sehr attraktiv sein, und ganz sicher wusste sie sich vorteilhaft zu kleiden, aber ihm war klar, wie sie tickte. Und falls er sich durch ihre Erscheinung sogar sexuell erregt fühlte, dann wirklich nur, weil es so lange her war, dass er …

Irritiert wandte Vasilii sich ab und sortierte ein paar lose Blätter auf seinem Schreibtisch, bevor er wieder den Kopf hob. „Ich sehe, Sie sprechen neben Chinesisch auch noch Russisch? Warum Russisch, wo doch die meisten russischen Geschäftsleute keine englische Übersetzung benötigen, weil sie die Sprache selbst beherrschen?“

Seine Frage kam für Laura völlig unerwartet, und sie verunsicherte sie. Natürlich gab es einen ganz speziellen Grund, warum sie sich für diese Sprache interessiert hatte. Aber sie konnte Vasilii wohl kaum verraten, dass sie sich früher zu gern mal in seiner Landessprache mit ihm unterhalten hätte.

„Meine Eltern waren Linguisten“, erklärte sie, „und haben beide Russisch gesprochen. Ich habe schon früh einiges von ihnen gelernt, und da schien es mit ganz natürlich, die Sprache zu perfektionieren.“ Das war zumindest teilweise die Wahrheit.

„Sie wollten also in ihre Fußstapfen treten, anstatt sich einen eigenen beruflichen Weg auszusuchen? Wollen Sie das damit sagen? Lässt das nicht auf mangelnden Ehrgeiz und fehlende Entscheidungskraft schließen?“

„So würde ich das nicht bezeichnen“, erwiderte sie defensiv. Sie würde nicht zulassen, dass er sie argumentativ in die Ecke drängte. „Gewisse Fähigkeiten und Talente werden von einer Generation an die nächste weitervererbt, und es wäre ziemlich unklug, diese Anlagen nicht zu nutzen. Sie kommen doch auch nach Ihrem Vater und feiern damit beruflich Erfolge. Ich habe eben eine Begabung für Fremdsprachen. Nach dem Verlust meiner Eltern hat es mir sogar sehr geholfen, mich für diesen Weg entschieden zu haben. Es gab mir das Gefühl, als wären sie immer noch ein lebendiger Teil meines Lebens. Ich liebe Sprachen, sie sind wie eine Verbindung zu den Menschen, die ich liebe.“

Etwas, woran man sich festhalten konnte, wenn einen das Leben zu überwältigen drohte. Vor Vasiliis Augen entstand das flüchtige Bild seiner Mutter, so wie er sie das letzte Mal gesehen hatte. Er hasste Laura sofort dafür, dass sie schmerzhafte Erinnerungen in ihm wachrief. Wieso war sie überhaupt dazu in der Lage? Mit dem Gerede über ihre Eltern und mit ihrer albernen Sentimentalität überschritt sie eine Grenze bei ihm. Aber wie machte sie das?

Das war doch absurd. Ausgerechnet eine Frau, von der er genau wusste, dass man ihr nicht über den Weg trauen durfte, fand einen Zugang zu ihm? Riss einfach die Barriere ein, die bisher nur seine geliebte verstorbene Stiefmutter übertreten durfte? Das war nicht nur absurd, das konnte richtig gefährlich werden. Aber der Tag, an dem ihm eine Frau wie Laura Westcotte irgendwie gefährlich werden konnte, den würde es niemals geben. Das schwor sich Vasilii.

„Ich habe Sie um eine Erklärung gebeten, warum Sie sich für die russische Sprache entschieden haben. Darauf erwarte ich eine beruflich relevante Begründung, keine Ausführung zu den Gefühlen Ihrer Kindheit.“

Sein barscher Tonfall verletzte sie. Als sie als kleines Mädchen erfahren hatte, dass Vasiliis Stiefmutter gestorben war, hatte sie großes Mitleid mit ihm empfunden. Es war Laura, als sei damals ein zartes Band gemeinsamen Schicksals zwischen ihnen gesponnen worden, das bis heute im Verborgenen fortbestand. Vielleicht hatte sie auch deshalb gerade von ihren eigenen Eltern gesprochen. Dabei war es doch offensichtlich, dass Vasilii keinen Wert auf Mitgefühl oder eine irgendwie geartete emotionale Verbindung legte.

Seine Kritik traf sie schwer, und unter anderen Umständen wäre Laura sicherlich zu dem Schluss gekommen, mit einem so rabiaten Chef nicht zusammenarbeiten zu wollen. Aber sie brauchte diese Stelle dringend! Trotzdem würde sie derartige Bemerkungen nicht kommentarlos hinnehmen.

Mit gestrafften Schultern trat sie vor. „Meine Beweggründe, Russisch zu studieren, mögen persönlicher Natur gewesen sein. Aber die Entscheidung für Mandarin – das kein Fachgebiet meiner Eltern war – geschah aus rein beruflichen Erwägungen und zeigt, wie genau ich mich mit der weltwirtschaftlichen Zukunft beschäftigt habe. Das Sprachtalent wurde mir zwar vererbt, aber ich allein habe meiner Karriere schon früh darauf gegründet, dass China sich auf dem internationalen Markt durchsetzen würde.“

Wagte sie etwa, ihn herauszufordern? Dieses energische Auftreten war Vasilii von Frauen nicht gewohnt, denn meistens überschlugen sie sich förmlich im Versuch, ihm zu schmeicheln und zu gefallen.

„Sie haben die gleiche Schule besucht wie meine Halbschwester. Und soweit ich informiert bin, stand Mandarin dort nicht auf dem Stundenplan.“

Er wusste, dass sie mit Alena zur Schule gegangen war? Laura fiel ein, wie sie damals über ihre Tante unauffällig herauszufinden versuchte, wann Vasilii vorbeikam, um seine Schwester abzuholen. Dann positionierte sie sich an dem Fenster, von dem aus man den besten Blick auf das Eingangsportal hatte, und wartete mit klopfendem Herzen ab.

Nur davon konnte Vasilii unmöglich wissen. Auch nicht davon, wie sie sich mühsam einen verführerischen Gang angewöhnt hatte, in der Absicht, unauffällig an seinem Auto vorbeizuschlendern, während er auf Alena wartete. Allerdings hatte sie sich genau das nie wirklich getraut, und so war es bei den heimlichen Proben in geschlossenen Räumen geblieben.

Wahrscheinlich wusste er von der gemeinsamen Schulzeit, weil er Lauras Lebenslauf kannte. Und außerdem war ihre Tante damals ja Direktorin des Pensionats gewesen. Ihre Vermutung sollte sich im nächsten Moment bestätigen.

„Da Mandarin nicht auf dem Stundenplan stand, hat Ihre Tante Ihnen wohl kostspieligen Privatunterricht bezahlt?“

Er kann mich wirklich nicht ausstehen, stellte Laura fest. „Ich habe selbst dafür bezahlt“, informierte sie ihn kühl. „Das Geld dafür habe ich mir in den Pferdeställen verdient, in denen einige der Privatschüler ihre Tiere untergebracht hatten. Dafür konnten die morgens eine Stunde länger in ihren Betten liegen bleiben.“

Vasilii sah unwillkürlich vor seinem geistigen Auge, wie eine jüngere Ausgabe von Laura Westcotte sich mit roten Wangen, Pferdeschwanz und Arbeitsjacke aufs Fahrrad schwang und bei Wind und Wetter zu den Ställen radelte, um sich ihr mickriges Taschengeld aufzubessern. Sein eigener Vater hatte ebenfalls die Meinung vertreten, man müsse sich sein Geld von Anfang an selbst verdienen, und selbst seine reichlich verwöhnte Schwester Alena hatte ihre eigenen Aufgaben zugewiesen bekommen.

Es gefiel Vasilii nicht, dass er sich plötzlich Gedanken über die Gefühle anderer Leute machte. Unwirsch griff er nach einem Informationsblatt und reichte es Laura. „Ich möchte Sie bitten, mir das hier in Mandarin zu übersetzen“, sagte er und wartete ab, während sie einen Blick auf den Zettel warf.

Diese Aufgabe bereitete ihr keine Probleme, und sie fragte sich, warum ihre Hand und im Grunde ihr ganzer Körper zu zittern begannen. Konnte es daran liegen, dass Vasilii ihr gerade eben ziemlich nahe gekommen war?

Sie atmete durch, räusperte sich kurz und übersetzte dann recht flüssig die erste Seite des Informationstextes.

Vasilii war beeindruckt, und er musste zugeben, dass sein Privatsekretär trotz langjähriger Erfahrung für diesen Text länger gebraucht hätte.

„Wenn Sie jetzt bitte ins Russische übersetzen könnten?“

Laura nickte und überzeugte mit einer fehlerfreien Leistung. Nicht dass er weniger erwartet oder gar akzeptiert hätte!

„Gut, Ihre sprachlichen Fähigkeiten sind demnach … adäquat. Aber falls Sie wirklich etwas über die chinesische Mentalität wissen, dürfte Ihnen klar sein, dass für den Erfolg geschäftlicher Verhandlungen wesentlich mehr nötig ist als das Beherrschen der Landessprache.“

Autor

Penny Jordan

Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...

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