Liebesnächte in St. Petersburg

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Die Nächte mit Kiryl in St. Petersburg sind für Alena der Himmel auf Erden. Umso tiefer ist der Sturz, als sie zufällig ein Gespräch zwischen ihm und ihrem Bruder belauscht. Ist sie für ihren attraktiven Geliebten nur ein wertvolles Tauschobjekt, mit dem er noch mehr Geld machen will?


  • Erscheinungstag 18.11.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512343
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Von der ersten Minute an hatte Alena gespürt, dass sie diesen Mann haben wollte. Das war vor einigen Tagen im Foyer dieses Londoner Hotels gewesen. Der plötzliche Ausbruch körperlichen Verlangens war so gewaltig gewesen, dass es sie buchstäblich fast umgehauen hätte. Sie hatte am ganzen Leib gezittert und die unmissverständliche Kraft der eigenen Begierde verspürt.

Wie Alena vermutete, verkörperte dieser Mann genau das, wovor ihr Halbbruder Vasilii sie so oft gewarnt hatte. Er stellte eine Gefahr dar. Sie war sich dessen bewusst, selbst wenn Vasilii sie oft immer noch wie ein Mädchen und nicht wie eine junge Frau behandelte.

Alena seufzte. Sie liebte Vasilii wirklich sehr, auch wenn er der altmodischste und überfürsorglichste Bruder war, den man sich vorstellen konnte. Doch dem Mann, der sie gegen jede Vernunft so anzog, konnte sie nicht widerstehen. Er stellte alles in den Schatten, was sie bisher in dieser Hinsicht erlebt hatte. War es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick oder einfach nur pure Lust, die von ihr Besitz ergriffen hatte? Vielleicht eine Kombination aus beidem. Womöglich hatte sie die Anfälligkeit für durchtriebene russische Männer von ihrer englischen Mutter geerbt, die sich Hals über Kopf in ihren Vater verliebt hatte.

Es spielte keine Rolle. Bei dem, was ihr gerade passierte, halfen ihre keine der analytischen Fähigkeiten, die ihr auf der Schule beigebracht worden war. Nichts hatte mehr Bedeutung außer dem stürmischen Verlangen, das von ihr Besitz ergriffen hatte. Die sexuelle Ausstrahlung dieses Mannes und ihr Bedürfnis, sich der Lust hinzugeben, beherrschten sie völlig. Allein der Gedanke, dieselbe Luft einzuatmen wie er, erzeugte ein wonniges Schwindelgefühl. Ihr Körper befand sich in einem Zustand erotischer Erregung, als hätte er sie bereits berührt, sie liebkost und ihr gezeigt, was es bedeutete, eine Frau zu sein.

Alena erschauerte. Jeden Augenblick konnte er sich umdrehen, und dann würde er sehen, welche Wirkung er auf sie hatte. Ihr Herz machte einen heftigen Sprung, aus Vorfreude und Angst zugleich. Oh ja, er stellte eine Gefahr dar – und sie sehnte sich nach dieser Bedrohung.

Sie war zwar „erst“ neunzehn, wie Vasilii immer wieder betonte, doch alt genug, um zu wissen, was das für ein Typ Mann war, der da mit blitzenden malachitgrünen Augen auf der anderen Seite der exklusiven Hotellobby eine angeregte Diskussion mit einem anderen Russen führte. Er war eine wandelnde sexuelle Gefahr, besonders für eine Frau wie sie. Jemand, der außerhalb aller Konventionen und Regeln lebte.

Mit rasendem Puls beobachtete sie ihn aus den Augenwinkeln. Er war groß – mindestens einen Meter neunzig, so wie Vasilii, jedoch etwas jünger als er, vielleicht Anfang dreißig. Sein dickes rotbraunes Haar hätte in den Augen ihres Halbbruders sicher einen Haarschnitt verdient.

Seine energischen Gesichtszüge verrieten, dass er einer Linie entstammte, deren männliche Vertreter es gewohnt waren, alle Konkurrenten zu bekämpfen und zu besiegen. Ein absoluter Alphamann, bereit, jeden herauszufordern, der ihm dieses Recht absprechen wollte.

Er hieß Kiryl Androvonov, und schon der Klang dieses Namens betörte ihre Sinne. Sie hatte sich so erwachsen und selbstsicher gefühlt, als sie den Hotelportier ganz beiläufig nach dem Mann dort drüben gefragt hatte. Sie hatte vorgegeben, in ihm einen Bekannten ihres Bruders zu erkennen. Der Name Kiryl deutete auf einen Adelstitel hin, doch der Portier sagte nur, dass er ein Geschäftsmann sei und bereits zum zweiten Mal hier zu Gast sei.

Kiryl hatte nicht im Sinn gehabt, ihren Blick zu erwidern. Den Blick dieser schlanken, gazellenhaften jungen Frau mit dem seidigen dunkelblonden Haar und den silbergrauen Augen, die ihn an das fahle Sonnenlicht auf einem zugefrorenen See erinnerten. Oder an heimtückische Sirenen, die Männer in ein nasses Grab lockten. Zum einen war sie ganz und gar nicht sein Typ, und zum Zweiten hatte er weitaus Wichtigeres zu tun, als ihrer stummen, aber unmissverständlichen Einladung zu folgen.

Doch er hatte ihren Blick erwidert, daran gab es nichts zu deuten. Sie saß immer noch in demselben Sessel wie vorher und schenkte sich Tee aus einem Samowar ein, mit dem das Hotel seine russischen Gäste verwöhnte.

Sie trug keinen Ehering, was in der heutigen Zeit jedoch nichts bedeutete. Vielleicht war sie ein Callgirl der höheren Klasse, das seinen Köder auswarf? Vielleicht, doch Kiryl bezweifelte es. Eine Nutte hätte sich schon längst an ihn rangemacht; Zeit ist Geld, auch in dieser Branche.

Aber sie hatte es auf ihn abgesehen, das wusste er. Doch er versagte sich jegliche Begierde. Obwohl der zweifellos astronomisch teure Seidenpullover, den sie trug, verführerisch ihre perfekt geformten Brüste zur Geltung brachte. Dennoch, die schimmernden kleinen Perlmuttknöpfe, die ihr Dekolleté verbargen, hätten bei ihm eigentlich nicht das Verlangen auslösen dürfen, sie aufzureißen, um die nackte Haut darunter zu berühren. Doch sie taten es. Ihre diamantenen Ohrringe, die seiner Ansicht nach echt waren, mussten ein Vermögen gekostet haben. Er wusste das, denn seine letzte Gespielin hatte versucht, ihm ein solches Schmuckstück zu entlocken, bevor er entschied, sich von ihr zu trennen.

Kiryl betrachtete noch geistesabwesend die Ohrringe der Unbekannten, da hob sie den Kopf und sah ihn geradewegs an. Für einen Augenblick wich die Farbe aus ihrem Gesicht, dann kam sie zurück, und die silbergrauen Augen hinter den dunklen Wimpern glänzten plötzlich nicht mehr wie ein zugefrorener Fluss, sondern glühten wie heiße Lava. Überraschenderweise reagierte sein Körper auf diesen rasanten Wechsel von einem eiskalten St. Petersburg hin zu einer sommerlich heißen russischen Steppe mit all der Leidenschaft, die sein Vaterland stets in ihm ausgelöst hatte. Diese Frau verkörperte alles, was er je mit seiner Herkunft verbunden hatte. Er spürte, wie sich das Verlangen in ihm regte, ein solches Juwel in Besitz zu nehmen und mit niemand anderem zu teilen. Die Unbekannte erregte ihn so über alle Maßen, dass es um mehr gehen musste als allein um seine alte Sehnsucht, an sein russisches Erbe anzuknüpfen.

„Und wie ich Ihnen bereits sagte, gibt es nur einen Konkurrenten, der Ihnen im Wege steht, den Auftrag zu bekommen. Er heißt Vasilii Demidov.“

Kiryl zuckte zusammen und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Agenten zu, der ihm helfen sollte, den für seine Geschäfte so wichtigen Auftrag zu bekommen. Die Tatsache, dass einer von Russland reichsten Männern sich ebenfalls darum bemühte, konnte Kiryl nicht abschrecken. Im Gegenteil – seine Entschlossenheit, diesen entscheidenden Auftrag zu erringen, war dadurch nur noch größer geworden.

„Bisher hat Demidov noch nie Interesse an der Schiffsindustrie gezeigt. Auch in das Containerwesen hat er bislang nicht investiert. Ihm gehört lediglich der Hafen und alles, was damit zusammenhängt. Deshalb kann ich mir auch nicht vorstellen, dass er sich groß um diesen Auftrag bemühen wird.“

„Nun, das ist schon richtig, aber er ist gerade dabei, einen großen Deal mit den Chinesen abzuschließen. Man hat ihm eine Mehrheitsbeteiligung an einer Containerreederei angeboten. Und Sie dürfen auch nicht vergessen, dass er Sie jederzeit im Preis unterbieten kann, selbst wenn ihm das vorübergehend Verluste einträgt. Schließlich verfügt er über enorme finanzielle Reserven. Ich weiß aus sicheren Quellen, dass es zurzeit nur zwei Kandidaten gibt, die sich um diesen Auftrag bemühen – er und Sie. Und ich denke, Sie können sich vorstellen, wer von Ihnen die besseren Karten hat. Tut mir leid, aber ich fürchte, Sie haben keine Chance.“

Kiryl sah den Agenten nachdenklich an. „Ich weigere mich, das zu akzeptieren.“

Er war fest entschlossen, diesen Auftrag zu bekommen. Es war der letzte Mosaikstein in seinem Geschäftsimperium, der ihm noch fehlte. Sollte er den bekommen, wäre er endlich Marktführer auf diesem Gebiet. Niemand würde das verhindern können – niemand. Dafür hatte er zu lange und zu hart an diesem Ziel gearbeitet.

Ganz unvermittelt stieg vor seinem inneren Auge das Bild seines Vaters auf, der streng und abweisend auf ihn, den kleinen Kiryl, herabblickte. Der Vater, der ihm nicht nur das Recht genommen hatte, seinen Namen zu tragen, sondern auch das Recht auf seine russische Identität.

„Dann können Sie nur noch auf ein Wunder hoffen“, bemerkte der Agent.

Kiryl verbarg seine Gefühle und erwiderte kühl: „Ich brauche kein Wunder. Bestimmt gibt es irgendeinen Weg, ihn zur Strecke zu bringen. Ein Mann wie er macht sein Vermögen nicht, ohne ein paar Leichen im Keller zu haben.“

Der Agent nickte, fügte aber warnend hinzu: „Sie sind nicht der Erste, der nach Schwachpunkten in Demidovs Leben sucht. Aber es scheint keine zu geben. Ob Sie es glauben oder nicht, der Mann ist unangreifbar.“

Kiryls Mund wurde zu einem dünnen Strich. „Er hat eine beeindruckende Karriere hingelegt, das gebe ich zu. Aber niemand ist unangreifbar. Irgendeine Schwäche hat er bestimmt, und ich verspreche Ihnen, dass ich sie finden werde.“

Der Agent erwiderte nichts. Es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, Kiryl zu widersprechen. Dafür war dieser viel zu mächtig und zu sehr daran gewöhnt, dass man seinen Befehlen nachkam. Doch er verließ Kiryl nicht ohne eine letzte Warnung: „Hören Sie auf meinen Rat und ziehen Sie Ihr Angebot zurück. Dann verlieren Sie wenigstens nicht das Gesicht und vermeiden eine öffentliche Demütigung.“

Das Angebot zurückziehen? Jetzt, da er kurz davor stand, das Versprechen einzulösen, dass er sich selbst vor so langer Zeit gegeben hatte? Niemals!

Konnte sie es wirklich riskieren, die Teetasse zum Mund zu führen? Was, wenn sie den Tee verschüttete? Noch immer war Alena innerlich völlig aufgewühlt, wenn sie an den Blick seiner grünen Augen dachte. Erschrocken wurde ihr klar, dass ihre Wangen vor Aufregung glühten. Sie durfte seinen Blick auf gar keinen Fall erneut erwidern. Mit solch geballter männlicher Energie konnte sie nämlich einfach nicht umgehen.

Dennoch fühlte sie sich geradezu magisch von ihm angezogen. Ihr Puls raste, und ihre Kehle war trocken. Langsam wandte sie den Kopf und musste zu ihrer Bestürzung feststellen, dass er nicht mehr im Raum war und sie nicht mehr die Chance hatte … ja, was eigentlich? Diesen Blickkontakt zu verlängern, der ihr das Gefühl gab, innerlich dahinzuschmelzen.

In diesem Augenblick sah sie etwas auf dem Boden liegen. Einen goldenen Kugelschreiber. Bestimmt gehörte er ihm. Er musste ihn verloren haben. Sie hob ihn auf, sah sich suchend um und erblickte schließlich den Mann. Er stand bereits am Ausgang. Neben ihm der seriöse Typ, mit dem er sich zuvor unterhalten hatte. Ohne nachzudenken, eilte Alena auf die beiden zu.

Kiryl hörte das Klappern der Absätze und drehte sich um. Außer Atem streckte die unbekannte Frau ihm einen Kugelschreiber entgegen.

„Ich glaube, das hier haben Sie verloren.“

Ihre Stimme war sanft wie eine Frühlingsbrise. Kiryl sah sofort, dass der Kugelschreiber nicht ihm gehörte, aber er nahm ihn trotzdem entgegen. Prüfend sah er sie an. Sie wirkte wie eine Frau, die mehr zu bieten hatte als Jugend und gute Gene. Ihre natürliche Schönheit wurde durch ihr dezentes Make-up und die geschmackvolle Kleidung noch unterstrichen. Sie musste aus einem begüterten Haus stammen.

Es passte Kiryl ganz und gar nicht, dass sie einen so starken Eindruck auf ihn machte. Spöttisch erwiderte er: „Und natürlich haben Sie sofort die Gelegenheit ergriffen, ihn mir wiederzugeben, richtig? Glauben Sie, Ihr Interesse an mir ist mir nicht aufgefallen? Wissen Sie nicht, dass es eigentlich Aufgabe des Mannes ist, seine Beute zu jagen, und nicht die der Frau?“

Alena errötete bis unter die Haarspitzen. Ja, diesen Spott hatte sie verdient, das hätte ihr Bruder Vasilii bestimmt auch so gesehen. Trotzdem war sie nicht darauf vorbereitet gewesen und fühlte sich verletzt.

Kiryl merkte, wie sehr sie mit sich kämpfte, um sich nicht von der Demütigung überwältigen zu lassen. Bestürzt biss sie sich auf die Unterlippe, und er musste daran denken, wie es sich wohl anfühlte, diese vollen Lippen zu küssen.

„Bitte entschuldigen Sie. Das war wirklich nicht sehr nett von mir“, räumte er ein.

Seine Entschuldigung war natürlich nicht ernst gemeint. Er hatte weder die Zeit noch den Wunsch, sich mit dem fragilen Ego einer jungen Frau zu befassen, egal wie begehrenswert sie ihm erschien. Dafür kannte er sich zu gut – sich und die Abgründe, die in ihm schlummerten. Manch einer hätte gesagt, dass diese Abgründe ihren Ursprung in seiner Kindheit hatten. Aber Kiryl hatte keine Lust, sich an jene Zeit zu erinnern, in der er so verletzlich gewesen war. Stattdessen zog er es vor, in der Gegenwart zu leben. Und im Augenblick kam es nur darauf an, sich diesen Auftrag zu sichern. Die junge Frau war dabei nur eine Schachfigur in einem Spiel, in dem es um alles ging. Einem Spiel, das Kiryl unbedingt gewinnen musste.

Alena hingegen wusste nicht, womit sie diese harsche Abfuhr verdient hatte. Sie wich zurück, drehte sich um und ging mit schnellen Schritten zu ihrem Tisch zurück.

Sie bat den Kellner um die Rechnung. Wie peinlich das Ganze war! Sie hatte sich vor diesem Fremden völlig lächerlich gemacht. Nur gut, dass Vasilii das nicht mitbekommen hatte. Alena schossen Tränen in die Augen.

Mit zwiespältigen Gefühlen beobachtete Kiryl ihren überstürzten Aufbruch und verspürte dabei ein leichtes Bedauern, das er sich nicht erklären konnte. Außerdem fiel ihm erneut die Anmut auf, mit der die Frau sich bewegte, registrierte ihr langes blondes Haar und ihre schlanke, aber äußerst feminine Figur.

Eigentlich war sie durchaus sein Typ, musste Kiryl sich eingestehen, aber ihm gefiel nicht, mit welcher Offenheit sie sich ihm anbot. Er wusste, dass er nur die Hand auszustrecken brauchte, und die schöne Fremde würde ihm gehören. Vielleicht war es ja nicht einmal eine schlechte Idee, ihr Angebot anzunehmen. Eine solche Zerstreuung würde ihm helfen, den Ärger und die Frustration zu vergessen, die er beim Gedanken an Vasilii Demidov verspürte.

Es sollte ihm doch ein Leichtes sein, den schlechten Eindruck, den er auf sie gemacht hatte, wieder auszubügeln! Schließlich hatte er eine Menge Erfahrung mit Frauen, und er wusste, wie man sie am besten für sich gewann. Er rief eine Kellnerin herbei und gab eine Bestellung auf, bevor er zu dem Tisch eilte, an dem die unbekannte junge Frau jetzt auf ihre Rechnung wartete. Sie war offensichtlich im Begriff zu gehen.

„Aber Sie haben Ihren Tee ja noch gar nicht ausgetrunken“, bemerkte Kiryl galant. „Wie wäre es, wenn wir uns einen Samowar teilen würden? Als Erinnerung an unsere gemeinsame Heimat Mütterchen Russland?“

Beim Klang seiner Stimme drehte Alena sich um. Erschrocken stellte sie fest, dass der Fremde die Hand ausgestreckt hatte und nach der ihren griff.

Sein charmantes Lächeln zog sie unwiderstehlich in den Bann. Es ließ seine Gesichtszüge, die vorher so hart und arrogant gewirkt hatten, weicher erscheinen. Der Mann, der vor ihr stand, versprühte die gefährliche Sinnlichkeit eines Kosaken. Er besaß die romantische Ausstrahlung eines Zigeuners, die Unberechenbarkeit eines Piraten und die Anziehungskraft eines Helden. Es wäre Wahnsinn, sich darauf einzulassen.

„Nein, vielen Dank“, erwiderte Alena mit belegter Stimme und räusperte sich. Sie wollte sich aus seinem Griff befreien, war aber wie gelähmt.

Sein Lächeln wurde jetzt noch gewinnender, geradezu intim. Seine Augen, die sie an Malachite erinnerten, funkelten auf betörende Weise.

„Ich war sehr unhöflich zu Ihnen, und jetzt sind Sie böse auf mich. Wahrscheinlich denken Sie, dass ich Ihre Gesellschaft nicht verdient habe. Und damit hätten Sie wahrlich recht. Andererseits hoffe ich, dass Sie ein Herz haben und mir noch einmal verzeihen.“

Wie charmant er war – charmant und gefährlich. Leider machte ihn das vollkommen unwiderstehlich.

Das Lächeln, das seine Entschuldigung begleitete, enthüllte blendend weiße Zähne und ließ kleinen Lachfältchen um seine Augen in Erscheinung treten. Alena stockte der Atem, und ihr wurde ganz flau im Magen. Doch sie hatte seine Beleidigung noch nicht vergessen, und eine innere Stimme warnte sie, auf der Hut zu sein.

Noch immer hielt der Fremde ihre Hand und begann nun, sanft ihr Handgelenk zu massieren, was ihre Aufgewühltheit noch verstärkte.

„Ich muss gehen, ich …“

Sie sprach akzentfreies, makelloses Englisch. Insgesamt wirkte sie nicht wie eine typische Russin – bis auf die silbergrauen Augen, die Kiryl so sehr an den Fluss Newa und an seine Geburtsstadt erinnerten. Und an den Schmerz, den er dort erlebt hatte.

„Ich habe mir erlaubt, uns Tee zu bestellen. Ach, hier kommt er ja auch schon.“

Zwei Kellnerinnen näherten sich dem Tisch. Eine von ihnen brachte die Rechnung, die andere servierte den Tee. Die Kellnerin mit der Rechnung lächelte Alena höflich zu und sagte: „Bitte entschuldigen Sie, Miss Demidova. Ich dachte, Sie wollten zahlen.“

Demidova – also war sie doch Russin. Mit diesem Namen konnte es gar nicht anders sein. Schließlich war es kein beliebiger Nachname. Es hatte schon etwas Ironisches, dass sie genauso hieß wie Kiryls schärfster Konkurrent. Vielleicht war das ja ein Omen. Seine Stiefmutter, die ihn nach dem Tod seiner leiblichen Mutter aufgezogen hatte, war ausgesprochen abergläubisch gewesen. Aber was kümmerte ihn das? Er war schließlich ein moderner, aufgeklärter Mann.

„Wohnen Sie hier im Hotel?“, fragte er und rückte einen Stuhl für sie zurecht. Damit blieb ihr keine andere Wahl, als sich wieder hinzusetzen.

Aus der Nähe betrachtet erschien ihr der Fremde noch überwältigender, noch viel männlicher als zuvor. Selbst in diesem Ambiente hatte er die Aura eines Mannes, der eigentlich in die russische Steppe gehörte – mit ihrer klaren Luft und der Wildheit der Natur. Oh ja, Alena hatte sich nicht getäuscht. Dieser Mann war äußerst gefährlich.

„Ja“, antwortete sie. „Mein Bruder Vasilii hat hier eine Suite, die er bewohnt, wenn er in London ist.“ Alenas Halbbruder war eine Art Nomade, der überall auf der Welt zu Hause war. Obwohl er sich meist in Zürich aufhielt, gab es keinen Ort, den er prinzipiell bevorzugte.

Warum habe ich Vasilii eigentlich erwähnt, fragte sie sich im Stillen. Wollte sie dem attraktiven Fremden durch die Blume zu verstehen geben, dass sie nicht allein und ohne Schutz war? Oder hatte sie plötzlich an ihren Bruder denken müssen, weil sie ziemlich sicher war, dass er ihr Verhalten verurteilen würde, wenn er davon erfuhr? Denn schließlich wähnte er sie in der sicheren Obhut von Miss Carlisle, der pensionierten Direktorin eines bekannten Mädcheninternats, die Vasilii engagiert hatte, um ein Auge auf Alena zu werfen. Leider hatte die ganz plötzlich eine Blinddarmentzündung bekommen, und Alena hatte darauf bestanden, dass sie sich nach der Operation in Ruhe auskurierte.

Ein wenig plagte sie das schlechte Gewissen, wenn sie daran dachte, wie sie Miss Carlisle versichert hatte, dass sie sich in die Obhut von deren Nichte begeben würde, die in dieser Zeit für sie einspringen wollte. Denn leider war die Nichte einen Tag vor der Operation nach New York geflogen. Und Alena hätte natürlich Vasilii Bescheid geben müssen. Aber das hatte sie nicht getan. Und in einem war sie ganz sicher: Miss Carlisle, die noch zur ganz alten Schule gehörte, weigerte sich, so etwas wie einen Computer oder ein Handy zu benutzen. Daher war auch nicht damit zu rechnen, dass ihr Schwindel aufflog.

Als Vasiliis Name fiel, schien Kiryls Herz für einen Schlag auszusetzen. Der Schreck nahm ihm den Atem. Das konnte kein Zufall sein, mit Sicherheit gab es keine zwei Vasilii Demidovs, die reich genug waren, um sich eine Suite in einem großen Londoner Luxushotel zu leisten. Vielleicht hatte seine Stiefmutter mit ihrem festen Glauben ans Schicksal ja doch recht gehabt?

Aber im Gegensatz zu ihr war Kiryl durch und durch Geschäftsmann, und für ihn zählten nur Fakten. Er wartete, bis die Kellnerin ihnen Tee eingeschenkt hatte und wieder gegangen war, dann fragte er beiläufig: „Ach, Ihr Bruder ist also Vasilii Demidov? Der Präsident von Venturanova International?“

„Ja. Kennen Sie ihn?“

Kiryl schüttelte den Kopf. „Nicht persönlich. Aber natürlich habe ich von ihm und seinen Erfolgen gehört. Ist er zurzeit in London?“ Kiryl wusste, dass dies nicht der Fall war, aber er wollte herausfinden, wie viel die junge Frau bereit war, ihm von sich aus zu erzählen.

„Nein, er ist geschäftlich in China.“

„Und er lässt es zu, dass seine Schwester sich ganz allein in London herumtreibt?“, fragte er lächelnd.

„Himmel, nein“, erwiderte Alena erschrocken. „Das würde er niemals zulassen.“ Sie biss sich auf die Lippen. Hatte sie zu viel gesagt? Warum war sie nur so nervös?

„Es klingt, als würde er sich fürsorglich um Sie kümmern“, bemerkte Kiryl. Offensichtlich bedeutete Vasilii seine Schwester sehr viel. Er musste mehr über diese Beziehung herausfinden.

„Ja, er ist sehr fürsorglich“, bestätigte Alena. „Und manchmal …“

„Ist Ihnen das ein wenig lästig, nicht wahr? Das ist ja auch ganz normal. Sie sind jung, Sie wollen das Leben genießen. Bestimmt fühlen Sie sich ein bisschen einsam, so ganz allein hier in diesem großen Hotel, während Ihr Bruder am anderen Ende der Welt Geschäfte macht.“

„Normalerweise würde er nicht im Traum daran denken, mich allein zu lassen“, vertraute Alena ihm an. „Aber diesmal … diesmal blieb ihm nichts anderes übrig.“

Wieder musste Alena daran denken, dass sie ihren Bruder hinterging, und sie fühlte sich schuldig. Doch zugleich genoss sie ihre Freiheit sehr. Denn obwohl sie Miss Carlisle wirklich mochte, war die schon ziemlich alt und hatte sehr verstaubte Ansichten. Als ihre Eltern noch lebten, war alles anders gewesen. Ihr Vater war ein lebenslustiger Mann gewesen und ihre Mutter der liebevollste Mensch, den man sich nur vorstellen konnte. Alena vermisste die beiden sehr, besonders ihre Mutter.

Vielleich ist es wirklich das Schicksal, das mir diese Frau geschickt hat, dachte Kiryl. Doch welchen Vorteil er aus dieser Begegnung ziehen würde, konnte wohl nur die Zeit zeigen.

Autor

Penny Jordan

Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...

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