Zwischen Vernunft und unzähmbarem Verlangen

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Der Liebe hat Rob Wilmington nach einer schweren Enttäuschung für immer abgeschworen. Doch weil er als zukünftiger Earl einen Erben braucht, stimmt er einer Vernunftehe mit Lady Stella zu, die in einer ähnlichen Lage ist wie er. Ein Fehler? Ausgerechnet beim ersten für die Paparazzi arrangierten Date taucht überraschend Stellas betörende Schwester Adriana auf. Gegen jede Vernunft knistert es sofort erregend – Rob verspürt unzähmbare Lust, Adriana in seine Arme zu ziehen und zu küssen. Aber damit würde er einen Skandal auslösen …


  • Erscheinungstag 16.05.2023
  • Bandnummer 102023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751518543
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Lady Adriana Morrison schaute auf, als sie hörte, wie jemand ihren Namen rief. Oh nein! Sie war sich so sicher gewesen, dass sie in den nächsten paar Stunden allein sein würde!

Schnell deckte sie die Leinwand ab, schob sie in einen kleinen Alkoven und zog den Vorhang davor. Sie schaute an sich herab. Glücklicherweise hatte sie gerade erst mit dem Malen angefangen und sich noch keine Farbkleckse eingefangen.

Mit einem Blick durch das Zimmer vergewisserte sich Adriana, dass es keine verräterischen Hinweise auf ihre künstlerische Betätigung gab. Sie öffnete die Tür und lächelte ihrer älteren Schwester entgegen – in der vertrauten Mischung aus Liebe und einer Spur von Neid, den sie einfach nicht abschütteln konnte, ganz gleich, wie sehr sie es versuchte.

Es war nicht Stellas Schuld, dass sie schön, klug, lebhaft und rundherum perfekt war. Oder dass sie in den Augen ihres Vaters nichts falsch machen konnte. All seine Liebe – sofern Lord Salvington zur Liebe fähig war – erhielt sie, die große Schwester.

Dagegen konnte ihr Vater Adrianas Anblick kaum ertragen. Vom Tag ihrer Geburt an war es so gewesen. Die Ärzte hatten auf dem Ultraschallbild einen Jungen gesehen, und Adriana hätte der Sohn sein sollen, den Lord Salvington sich so sehr gewünscht hatte und mit dem er und seine Gattin fest gerechnet hatten. Manchmal versuchte sich Adriana den Moment vorzustellen, in dem er erfahren hatte, dass er eine zweite Tochter bekommen würde – die bittere Enttäuschung, den Ärger und die Wut in seinem arroganten Gesicht. Es war umso schlimmer, weil es Komplikationen gegeben hatte. Ihre Mutter konnte nicht mehr schwanger werden.

Das wohlbekannte Schuldgefühl zwickte Adriana auch jetzt wieder, und sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben.

Es war nicht ihre Schuld, dass sie ein Mädchen war. Sie verdiente die Liebe ihres Vaters unabhängig von ihrem Geschlecht. Aber die vielen Jahre, in denen ihr Vater seine Enttäuschung an ihr ausgelassen hatte, das langsame Scheitern der Ehe ihrer Eltern, die Traurigkeit ihrer Mutter – das alles sagte ihr, es war ihre Schuld. Absichtlich oder nicht, sie war der Auslöser für das Elend ihrer Familie.

Sie war der Grund, dass Salvington möglicherweise bald einem Mann gehören würde, der nur sehr entfernt mit ihnen verwandt war: Bobby Galloway, einem Amerikaner, der nicht das geringste Interesse daran hatte, die Verantwortung für den Familienbesitz zu übernehmen und Salvington an den Meistbietenden verkaufen würde.

Und Adriana hatte Verständnis für die Frustration und den Zorn ihres Vaters. Alles wegen einer archaischen Klausel, die festlegte, dass Titel und das Erbe auf einen Mann übergehen mussten! Man musste Lord Salvington zugutehalten, dass er alles versucht hatte, um Stellas Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.

Das war Plan A gewesen, und er war gescheitert. Und Plan B hatte sich als Katastrophe entpuppt: eine schnelle Affäre, der Versuch, eine andere Frau zu schwängern. Die Frau war wirklich schwanger geworden, aber als sich herausgestellt hatte, dass auch dieses Kind ein Mädchen werden würde, hatte Lord Salvington die Frau sitzen lassen, und diese war damit an die Öffentlichkeit gegangen. Und dann hatte sie das Kind auch noch verloren … Nach diesem Skandal schien aus irgendeinem Grund die Abneigung ihres Vaters gegenüber Adriana noch größer zu werden. Als wäre es ihre Schuld, dass Plan B nicht aufgegangen war!

Dem Himmel sei Dank für ihre Mutter und ihre Schwester, die sie liebten und ihr Möglichstes taten, um sie zu beschützen. Auch wenn Stella immer achtgab, ihrer Schwester in Gegenwart ihres Vaters keine Liebe oder Zuneigung zu zeigen. Sie hatten beide früh gelernt, dass das nur seinen Zorn weckte und er umso heftiger gegen Adriana und ihre Mutter wetterte. Die beste Strategie war, so zu tun, als wäre Adriana unsichtbar.

Aber tatsächlich standen sie sich nahe. Und jetzt sah Adriana auf den ersten Blick, wie blass Stella war und wie panisch sie wirkte.

„Was ist los?“ Adriana schaute auf ihre Uhr. „Und was machst du hier?“ Eigentlich sollte ihre Schwester auf dem Weg zu ihrem ersten Date mit Rob Wilmington sein, Viscount Rochester und künftiger Earl of Darrow.

Eine andere Form des Neids prickelte tief in Adriana, und energisch unterdrückte sie das Gefühl. Dass sie einmal eine Schwäche für den Mann gehabt hatte, den ihre Schwester jetzt heiraten sollte, war ein Geheimnis, das sie mit ins Grab nehmen würde. Auch, weil es einfach peinlich gewesen war. Nur gut, dass Rob davon nichts geahnt hatte. Wahrscheinlich erinnerte er sich nicht mal mehr an sie.

„Ich kann das nicht durchziehen.“

Die Worte waren so unerwartet, dass Adriana sicher war, sich verhört zu haben.

„Wie bitte?“

„Du hast mich schon verstanden.“ Stella trat ins Zimmer und ging vor dem abgenutzten Mahagonischreibtisch auf und ab.

„Was meinst du damit? Es ist schon alles arrangiert, außerdem hast du es selbst in die Wege geleitet.“

„Ich weiß“, jammerte Stella. „Und ich wollte ja auch, Ria. Ich hatte es wirklich vor.“

Stellas Heirat war immer Plan C gewesen. Obwohl die Ländereien und der Titel der Salvingtons nicht direkt auf eine Tochter übergehen konnten, gab es ein Schlupfloch: Der männliche Nachkomme einer Tochter konnte erben, sofern er ehelich geboren war und auf die Welt kam, solange der aktuelle Lord Salvington noch lebte. Für den Fall, dass Plan A und B fehlschlugen, war es immer wichtig gewesen, dass Stella bald heiratete und einen Sohn bekam. Und natürlich erwartete ihr Vater eine ‚standesgemäße‘ Ehe.

Stella war das recht gewesen. Sie hatte es als ihre Pflicht angesehen. In den letzten Wochen hatte sie sich mit Hochzeitsmagazinen eingedeckt und ihr Leben als künftige Countess of Darrow ausgemalt. Ihre einzige Bedingung war, dass die Vernunftehe nach außen wie eine Liebesheirat aussah. Sie und Rob würden eine glamouröse Adelshochzeit feiern, den Zeitschriften Interviews geben und an Bällen und Abendessen teilnehmen. Stella hatte sich darauf gefreut, die Rolle der Braut zu spielen, und heute hätte der erste Schritt in die richtige Richtung sein sollen. Ein romantisches Abendessen in einem der teuersten Restaurants Oxfords, inklusive Champagner. Und entsprechender Publicity – die Presse hatte einen „Geheimtipp“ bekommen.

„Was ist denn passiert? Was hat sich geändert?“

Stella rang die Hände. „Ich bin schwanger.“

„Wie bitte?“ Adriana war schockiert. Und verwirrt. „Aber wenn du und Rob …“

„Es ist nicht von Rob. Er und ich haben uns noch nicht mal geküsst.“ Stella stieß ein ersticktes Lachen aus. „Das stand für Date Nummer drei auf der Agenda, natürlich vor den Augen der Reporter. Bei der zweiten Verabredung wollten wir Händchen halten. Für heute war nur ein Kuss auf die Wange geplant.“

„Aber …“ Adriana versuchte verzweifelt, die Informationen zu verarbeiten. „Wer ist dann der Vater?“

„Das spielt keine Rolle.“

„Doch, sogar eine wichtige. Wirst du ihn heiraten? Dann gibt es zumindest endlich einen Erben, wenn das Kind ein Junge wird.“

Stella ging schneller auf und ab. „Nein. Das ist keine Option. Aber Rob kann ich auch nicht heiraten. Ich kann nicht so tun, als sei es sein Kind.“

Adriana musterte ihre Schwester. „Aber du hast darüber nachgedacht?“, fragte sie und gab sich Mühe, nicht vorwurfsvoll zu klingen. „Hast du deshalb bis zur letzten Minute damit gewartet, das Date abzusagen?“

„Ich habe heute erst den Test gemacht. Das war dumm, ich weiß, aber ich habe gedacht … Ich habe gehofft, es wäre ein Irrtum. Oder selbst wenn ich schwanger wäre, könnte ich immer noch abtreiben. Aber jetzt …“ Sie legte eine Hand auf ihren Bauch und blieb stehen. „Ich weiß, es ist eine Katastrophe, aber ich möchte das Baby behalten. Bitte mach mir keine Vorwürfe. Ich weiß, ich habe Mist gebaut – unser ganzer Plan ist damit ruiniert. Aber irgendwie werde ich es wiedergutmachen …“

„Hey. Nur die Ruhe. Ich werde dir keine Vorwürfe machen – das würde ich nie tun! Du bist meine Schwester, und du hast immer zu mir gehalten.“ Sie hatten ein Bündnis geschlossen, als sie noch klein gewesen waren, hatten geschworen, alles zu tun, um irgendwie ihr Heim zu retten und es miteinander zu teilen.

Damals hatten sie entschieden, dass Stella als Hausherrin fungieren und all die gesellschaftlichen Pflichten wahrnehmen würde. Adriana würde tun, was ihr am besten gefiele: sich um die Ländereien kümmern, indem sie die Verwaltung übernahm.

„Was den Plan angeht, das ist jetzt egal. Wir haben viel größere Sorgen. Wenn du Rob nicht heiratest, wird Vater durchdrehen.“

Ihre Angst spiegelte sich auch in Stellas Gesicht. Eine Angst, mit der sie immer schon lebten, eine Dunkelheit, die noch die hellsten Tage verfinsterte. Angst vor dem Zorn ihres Vaters.

Angeblich war ihr Vater einmal ein anderer Mensch gewesen, ein freundlicher und liebevoller Mann. Ihre Eltern hatten aus Liebe geheiratet, und Lady Salvington erzählte Adriana oft davon, wie sie ihn kennengelernt hatte, und beschrieb dabei einen Mann, den ihre jüngere Tochter nicht kannte.

Enttäuschung und Bitterkeit waren in Abneigung und Verachtung umgeschlagen, hässliche Worte gegenüber seiner Frau und Adriana. Oft hatten die beiden Schwestern ihre Mutter angefleht, ihn zu verlassen, aber sie hatte sich geweigert, aus Angst, das Sorgerecht zu verlieren. Und weil sie wusste, wie sehr ihre Töchter ihr Heim liebten.

Das Leben ging weiter, und Adriana blieb so unsichtbar, wie es möglich war. Sie verbrachte Stunden allein mit Spaziergängen, schloss sich ein und malte Landschaftsbilder von Salvington, in denen sie versuchte, seine Schönheit einzufangen. Sie liebte diesen Ort und hatte doch das Gefühl, ihm nicht gerecht werden zu können. Ihre Malerei, der Silberstreifen an einem bewölkten Horizont, war ein Mittel, ihre Gefühle auszudrücken. Sie erzählte niemandem davon. Auf keinen Fall wollte sie etwas, das ihr so viel bedeutete, den verächtlichen Bemerkungen und dem Spott ihres Vaters preisgeben.

Aber wenn Lord Salvington jetzt entdeckte, dass Plan C zum Scheitern verurteilt war, würde sich sein Zorn nicht auf Spott und böse Worte beschränken.

„Was machen wir jetzt?“

„Ich muss es Vater erzählen“, sagte Stella. „Und es gibt noch ein Problem. Rob wird jetzt wahrscheinlich schon im Restaurant sein.“

„Du musst es ihm sagen. Wir können ihn nicht einfach da sitzen lassen.“

„Ich weiß.“ Stella runzelte die Stirn und ging wieder auf und ab. „Das Problem ist, ich habe die Presse heißgemacht, und mindestens ein Reporter wartet auf uns. Wenn Rob einen Anruf oder eine Textnachricht bekommt, werden sie es mitbekommen.“ Sie ging schneller. „Ich kann nicht klar denken. Aber wenn die Presse von meinem Zustand Wind bekommt …“

„Dann sind wir auf hoher See, ohne Rettungsboot.“

„Und die Wellen schlagen höher, als du ahnst. Ich kann es nicht riskieren, dass herauskommt, wer der Vater ist. Auf keinen Fall.“ Stellas Stimme klang erstickt. „Mir fällt nur eine einzige Lösung ein …“

Rob Wilmington, Viscount Rochester und Erbe von Darrow, schaute unauffällig auf seine Armbanduhr. Wo blieb Stella? Er konnte nur vermuten, dass sie es auf einen großen Auftritt abgesehen hatte. Nicht zum ersten Mal zweifelte er an der Idee einer öffentlichen „Romanze“, obwohl er wusste, dass ihr Plan das Image beider Familien nach den zurückliegenden Skandalen zu verbessern versprach.

Nicht nur Stellas Familie hatte Schlagzeilen in der Boulevardpresse gemacht. Rob schmeckte noch jetzt, zwei Jahre später, die Bitterkeit der Demütigung, als er seine Verlobte Emily auf den Titelseiten entdeckt hatte, in einer leidenschaftlichen Umarmung mit ihrem Ex-Freund.

Deshalb hatte er sich auch auf Stellas Vorschlag eingelassen. „Ich bin nicht an einer echten Liebesbeziehung mit dir interessiert, aber das Drumherum würde mir gefallen“, hatte sie gesagt. Entsprechend hatte sie das Ganze geplant und sogar Brotkrumen für die Presse gestreut. Das Programm für die nächsten Wochen stand bereits.

Was Rob anging, hatte er an einer Liebesbeziehung generell kein Interesse. Er würde nie wieder den Fehler begehen, an die Liebe zu glauben.

Für Emily hatte er alles aufs Spiel gesetzt. Seine Eltern hatten sogar gedroht, ihn zu enterben, so sehr hatte sie seine Liebe zu einer Frau entsetzt, die weit ‚unter ihm stand‘. Aber Rob war es egal gewesen, dass sie aus einer schwierigen Familie stammte. Und noch immer fand er das richtig.

Das Problem war ein anderes gewesen: Er hatte Emily geliebt – und sie ihn nicht. Sie hatte ihn ausnutzen wollen, hatte Geld und Glamour erwartet, sich von seinem Titel und seiner Position blenden lassen. In gewisser Weise war sie so oberflächlich gewesen wie seine Eltern, die ihn liebten, weil durch ihn die Erbfolge gesichert war. Vor seiner Geburt hatten sie die Hoffnung auf ein Kind schon aufgegeben. Dann war er gekommen, „ein echtes Wunder“. Es ging selten nur um ihn, vor allem ging es um seine Rolle als Earl of Darrow. Da war es nur logisch, dass sie versuchten, sein Leben zu kontrollieren, und ihn überbehüteten.

Aber zumindest liebten seine Eltern ihn – zumindest auf ihre Art. Emily hatte das nicht getan. Hinter seinem Rücken hatte sie ihn mit ihrem Ex betrogen, der frisch aus dem Gefängnis entlassen worden war. Und als Rob es herausgefunden und sich von ihr getrennt hatte, hatte Emily ihre Story an die Presse verkauft.

Wenn er sich an einige der Einzelheiten erinnerte, die Emily in aller Öffentlichkeit breitgetreten hatte, stieg in ihm immer noch die heiße Wut auf, aber nicht nur auf Emily, sondern auch auf sich selbst, weil er auf sie hereingefallen war.

Die gespielte Leidenschaft, die geheuchelte Liebe. Dabei hatte sie selbst im Bett immer nur an ihren Ex gedacht.

Aber das war vorbei. Rob hatte sich einmal hereinlegen lassen und würde es nicht wieder tun. Nach Emily hatte er entschieden, dass er endlich selbst die Kontrolle über sein Leben übernehmen musste. Nie wieder würde jemand anders für ihn die Entscheidungen treffen. Als Erstes hatte er einen Deal mit seinen Eltern gemacht. Er würde zwei Jahre von der Bildfläche verschwinden, zwei Jahre für sich haben, und dann zurückkommen, sich niederlassen, einen Erben bekommen und die Verwaltung von Darrow übernehmen, sodass seine Eltern mehr Zeit in ihrer Villa in Portugal verbringen konnten.

Aber Rob wollte mehr als nur in ihre Fußstapfen zu treten. Er wollte seinen eigenen Weg gehen. In den letzten zwei Jahren war ihm das endgültig klar geworden. Es war befreiend gewesen, nur Rob Wilmington zu sein. Er hatte Kurse belegt – Wirtschaft, kreatives Design, Webdesign. Und irgendwie hatte sich daraus eine Geschäftsidee ergeben. Mit der Hilfe einer Studienkollegin, Fleur Hardcastle, hatte er das Ganze in die Tat umgesetzt und dafür sogar die notwendigen Mittel bekommen. Easel Enterprises würde ein Erfolgsprojekt werden – das wusste er instinktiv.

Und es machte ihn stolz, dass niemand wusste, dass ein englischer Aristokrat dahintersteckte. Bald würde das Unternehmen an den Start gehen, mit Fleur als Geschäftsführerin. Er würde sich im Hintergrund halten und als Berater fungieren. Denn erst musste er sein Versprechen gegenüber seinen Eltern einlösen. Sie waren nicht mehr jung, sie wollten sicher sein, dass es auch in der nächsten Generation einen Erben geben würde.

Wenn er einmal verheiratet und die Verwaltung seines Besitzes geregelt war, würde Rob sich seinen eigenen Projekten widmen und Easel Enterprises an die Spitze bringen.

Aber das war Zukunftsmusik. Erst kam die Ehe, eine Vernunftehe, denn er würde nie wieder einer Frau die Macht geben, ihn zu verletzen oder zu demütigen. Es würde eine Partnerschaft, ein Arrangement zum gegenseitigen Nutzen sein, ein Teil seiner Adelspflichten.

Deshalb war er hier. Aber wo war Stella? Er unterdrückte den Drang, sein Telefon hervorzuholen und nachzuschauen, ob Nachrichten eingegangen waren. Was für eine absurde Situation: Hier war er, bereit, den Romeo zu spielen. Und wer fehlte, war seine Julia.

Er schaute auf, als die gläserne Tür des trendigen Restaurants aufglitt und frische Luft und Verkehrslärm hereinließ. Sein Blick erfasste die Frau, die hereinkam. Es war nicht Stella.

Weder Haarfarbe noch Kleidung passten. Sie hatte schulterlanges, hellbraunes Haar mit einem etwas zu langen Pony und wirkte nervös. Höflich wandte er den Blick ab – bis ihm auffiel, dass er sie kannte.

Natürlich kannte er sie.

Und er war nicht der Einzige, der begriffen hatte, wer sie war: Er spürte das Interesse des Paars am Nebentisch. Waren das die Reporter, die den Tipp erhalten hatten?

Bevor er eine Ahnung hatte, was er tun sollte, strich Adriana Morrison sich den Pony aus der Stirn, straffte die Schultern und kam auf ihn zu. „Hallo, Rob.“

Im Automatikmodus erhob er sich und lächelte sie an. Was ging hier vor sich?

In dem Moment stolperte sie über ein Stuhlbein. Instinktiv fing er sie auf, legte dabei einen Arm um ihre Taille.

Die Berührung war wie ein Stromschlag, und er erstarrte. Schnell fasste er sich, half ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden, und trat rasch einen Schritt zurück. Röte lag auf ihren Wangen, als sie zu ihm aufsah, und er erkannte, dass die unerwartete Berührung auch sie nicht kaltließ. Sie senkte den Blick.

„Adriana? Alles in Ordnung? Was ist mit …?“

Sie fiel ihm ins Wort. „Es tut mir leid, dass ich so spät dran bin – und das auch noch bei unserer ersten Verabredung! Aber ich freue mich sehr, dass es geklappt hat.“

Rob blinzelte.

Da er sich ziemlich sicher war, dass er die Schwestern nicht verwechselt hatte, musste es einen Grund geben, warum Adriana hier war. Unter ihrem Pony schauten große graue Augen hervor, in denen ein Hauch von Panik lag. Und ein unmissverständliches Flehen.

Mit Blick auf das Publikum am Nebentisch entschied er sich blitzschnell, mitzuspielen. Auch, wenn in ihm Ärger aufstieg. Er mochte es nicht, wenn man ihn manipulierte, und das hier stank zum Himmel.

„Alles in Ordnung, Adriana, ich bin froh, dass du es einrichten konntest.“ Er ließ seine Stimme glatt und verbindlich klingen. Sie atmete erleichtert aus.

Als sie sich setzte, nutzte er die Gelegenheit, um sie genauer zu mustern. Er hatte sie schon länger nicht mehr gesehen. Sie war nicht bei dem gemeinsamen Abendessen ihrer beiden Familien gewesen, bei dem es um die künftige Allianz gegangen war. Aber er erinnerte sich an eine Begegnung vor ein paar Jahren, auf einer Party in Salvington Manor.

Damals hatte es ihn fasziniert, wie unterschiedlich die Schwestern waren. Im Gegensatz zu Stella, die sich ganz offenbar im Rampenlicht wohlfühlte, drückte sich Adriana in den Schatten herum, räumte nebenbei auf und schien so wenig Aufmerksamkeit wie nur möglich erwecken zu wollen.

Er hatte sie in der Küche entdeckt. „Tut mir leid, Stella ist nicht hier“, hatte sie gesagt.

„Das muss dir nicht leidtun. Ich habe ja dich gefunden.“

Das entlockte ihr ein Lächeln, eines, das zwischen Skepsis und Freude schwankte. „Nett, dass du das sagst.“

„Ich habe es nicht gesagt, um nett zu sein. Warum helfe ich dir nicht einfach ein bisschen?“

Und die nächsten fünfzehn Minuten tat er genau das, plauderte mit ihr und half ihr, den Geschirrspüler einzuräumen, den Kühlschrank aufzufüllen und Kanapees auf Tellern anzurichten.

„Wie kommt es, dass du das alles machst?“, fragte er. Wie bei solchen Anlässen üblich, gab es einen Catering-Service.

Ein Schulterzucken. „Ich bin nicht der Typ für Partys. Mir ist es lieber, wenn ich etwas zu tun habe, dann fällt es nicht so auf, dass ich für mich bleibe. Und …“

Sie brach ab, als ihre Schwester die Küche betrat, ein breites Lächeln im Gesicht. „Da bist du ja, Rob. Wir haben nach dir gesucht. Wir wollen Jenga spielen.“ Stella wandte sich ihrer Schwester zu. „Angeblich ist Rob der König der Holztürme. Spiel doch mit, Ria!“

„Danke, aber ich bin ein bisschen müde, und du weißt, wie schlecht ich spiele – ich will die Partie nicht ruinieren.“ Rob runzelte die Stirn, als er sah, dass Adriana förmlich in den Schatten zurückwich. Dabei lag in ihrer Stimme kein Hauch von Bedauern, und ihr Lächeln war arglos.

Er zögerte und wollte fragen, ob sie sich sicher war, aber sie war schon auf dem Weg zur Tür. „Danke für die Hilfe, Rob. Viel Spaß – ich drücke dir die Daumen.“

Er hatte nicht gewonnen. War die ganze nächste Stunde abgelenkt gewesen, hatte an ihre großen Augen gedacht, ihr süßes Lächeln, das Zögern und die Vorsicht in ihrem Gesicht.

Aber das war damals gewesen, und es hatte nichts mit der Gegenwart zu tun. Auch, wenn es seltsam war, wie gut er sich daran erinnerte. Er betrachtete Adriana genauer.

Immer noch lenkte der überlange Pony von ihrem Gesicht ab, aber jetzt fiel ihm auf, wie hübsch ihre Züge waren, und er fragte sich, warum sie ihr Haar gerade auf diese Weise trug. Ihre großen Augen hatten die Farbe des Meeres bei Sturm, ihren ebenmäßigen, klaren Zügen mit der geraden Nase würden die Jahre nichts anhaben können. Ihre Lippen waren voll und … Während sein Blick auf ihrem Mund verharrte, wurde ihm bewusst, was er tat.

Halt! Warum, um alles in der Welt, sah er sie so an? Sie war die falsche Schwester.

Nicht, dass er Stella je so angesehen hatte.

„Also“, sagte Adriana. „Ich hoffe, das Restaurant ist okay für dich. Stella mag es sehr gern.“ Sie griff nach der Speisekarte und sah ihm in die Augen. „Übrigens lässt sie grüßen. Sie ist gerade auf dem Weg nach Spanien.“

Wie bitte? Er schluckte die Worte herunter, und der Ärger kehrte zurück und drohte, aus ihm herauszubrechen. Dann sah er, dass Adrianas Hände sich um die dicke, ledergebundene Speisekarte krampften. Wie zornig er auch sein mochte, er würde seine Wut nicht an der Überbringerin der schlechten Nachrichten auslassen.

Mühsam setzte er einen Ausdruck höflichen Interesses auf. „Mir war nicht bewusst, dass sie einen Urlaub plant.“ Er betonte das Wort „Urlaub“. Er hatte geglaubt, sie plante eine Hochzeit.

„Es war eine kurzfristige Entscheidung. Als ich ging, war sie am Packen. Sie weiß noch nicht, wie lange sie weg sein wird. Bestimmt mindestens ein paar Monate.“

„Ich verstehe“, sagte Rob mit einer Stimme, die das Gegenteil besagte.

Adriana zuckte fast unmerklich zusammen. Ihr Blick wanderte durch den Raum.

Reiß dich zusammen, Rob. Die Presse war in der Nähe. Stella und er waren sich einig gewesen, dass ihr erstes Date positive Aufmerksamkeit bekommen sollte. So sah er sie lächelnd an und sagte mit nur ganz leicht gedämpfter Stimme: „Ich möchte gerade nirgendwo anders sein als hier bei dir.“

Adriana sah so aus, als wollte sie bei diesem Kitsch am liebsten das Gesicht verziehen. „Wie süß von dir“, erwiderte sie. „Jedenfalls wünscht Stella dir alles Gute, und ich habe strikte Anweisungen, ihr zu erzählen, wie es gelaufen ist, immerhin war das Ganze ihre Idee!“

Ach, lautete so die neue Geschichte? Es war ein guter Einfall, musste er widerwillig zugeben.

Bevor er antworten konnte, kam der Kellner. „Der Champagner, wie bestellt.“

Rob schaute zu Adriana, die ganz leicht nickte und ihn damit wissen ließ, dass Stella sie ins Bild gesetzt hatte. „Wie schön“, sagte sie, als der Korken aus der Flasche ploppte und die bernsteinfarbene Flüssigkeit in die zarten Gläser gegossen wurde.

Er hob sein Glas. „Worauf trinken wir?“

„Auf einen neuen Anfang“, sagte sie, genau, wie Stella es geplant hatte, und fügte dann leise hinzu: „Wohin auch immer der Weg führt.“

Während sie anstießen, machte die Frau am Nebentisch ein Foto, ließ es dabei geschickt so aussehen, als fotografierte sie ihre Tischdekoration. Das musste Stellas Reporterin sein.

Danach beugte sich Adriana vor. „Es tut mir leid“, flüsterte sie. „Ich muss mir eben rasch einmal die Hände waschen.“

Sie erhob sich. Rob sah ihr hinterher. Er war sich ziemlich sicher, dass sie sich nicht aus diesem Grund entschuldigt hatte, und auch nicht, weil die Blase sie drückte.

Er überlegte kurz. Stella brannte also offenbar nach Spanien durch, und die offizielle Version besagte, dass sie vor ihrem Urlaub noch ein Date zwischen ihrer Schwester und Rob arrangiert hatte.

Er konnte keine schlechte Publicity brauchen. Zuerst einmal würde er also mitspielen. Wenn Lady Adriana Morrison ein erstes Date wollte, dann würde er eins liefern.

2. KAPITEL

Adriana widerstand dem Drang, ihre Stirn gegen den kühlen Spiegel zu pressen. Immerhin bestand die Chance, dass man sie gerade beobachtete. Hier im Restaurant durfte sie in ihrer Wachsamkeit nicht nachlassen. Aber sie brauchte einen Moment, um sich zusammenzureißen – und vor allem, um ihre Hormone unter Kontrolle zu bringen.

So peinlich es auch war, aber in dem Moment, als sie Rob wiedergesehen hatte, waren die Hormone in ihr aufgewallt. Dass sie gestolpert war und er sie aufgefangen hatte, war nicht hilfreich gewesen. Verärgert sah Adriana auf ihre ungewohnt hochhackigen Schuhe herab.

Falls ihm etwas an ihr aufgefallen war, konnte sie immerhin hoffen, dass er es ihren Schauspielkünsten zuschrieb. Dieses Date musste realistisch wirken. Das Letzte, was sie brauchten, war irgendein Journalist, der zwei und zwei zusammenzählte und begriff, dass Stella kalte Füße bekommen und stattdessen Adriana geschickt hatte. Es musste also echt aussehen. Aber wie sollte sie das hinbekommen? Sie wusste nicht, wie man flirtete. Stella hätte Rob bestimmt schon jetzt um den kleinen Finger gewickelt. Männer erlagen reihenweise ihrem Charme.

Adriana schaute in den Spiegel und seufzte. Stella hatte Vorteile, die ihr verwehrt geblieben waren, etwa ihr glänzendes, weizenblondes Haar, das sich nie krauste. Funkelnde blaue Augen mit unglaublich langen, dunklen Wimpern und eine Figur, mit der sie auch auf dem Laufsteg Furore machen würde. 

Dagegen hatte ein genetischer Zufall Adriana mit hellbraunem Haar beschenkt, das gern ein bisschen buschig wirkte. Ihre grauen Augen gefielen ihr, aber ihre Wimpern waren zu hell, ihre Nase war zu groß und ihr Mund ein bisschen zu breit. Durchschnittliche Größe, durchschnittliche Figur … durchschnittlich war das richtige Wort für sie. Niemand schenkte ihr je einen zweiten Blick, wenn Stella im Raum war.

Aber Stella war nicht im Raum, und Adriana würde ihre Schwester nicht im Stich lassen. Sie würde nicht für den nächsten Skandal verantwortlich sein. Das Date musste nur halbwegs glaubwürdig sein, nicht erfolgreich.

Sie nahm ihre Handtasche und verließ die Toilette. Einen Moment hielt sie inne, als sie Rob wieder sah. Da war sie wieder, diese eine Sache, die diese Situation noch viel unangenehmer machte. Das Flattern in ihrem Magen. Und der alberne Wunsch, es wäre ein echtes Date.

Autor

Nina Milne

Nina Milne hat schon immer davon geträumt, für Harlequin zu schreiben – seit sie als Kind Bibliothekarin spielte mit den Stapeln von Harlequin-Liebesromanen, die ihrer Mutter gehörten.

Auf dem Weg zu diesem Traumziel erlangte Nina einen Abschluss im Studium der englischen Sprache und Literatur, einen Helden ganz für sich allein,...

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