Bianca Extra Band 57

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EINE AFFÄRE IST NIE GENUG von BRENDA NOVAK
Eine unverbindliche Affäre - mehr will Elijah nicht von seiner hübschen Kollegin Cora. Denn Liebe bedeutet für ihn nichts als Schmerz! Bis er ungeahnte Sehnsucht spürt, sobald er Cora in seine Arme zieht. Doch kaum vertraut er ihr sein Herz an, fürchtet er, dass sie ihn belügt …

ERIN UND DER SINGLEDAD von MARIE FERRARELLA
Zum ersten Mal im Leben hat Erin sich rettungslos verliebt - ausgerechnet in den sexy Singledad Steve! Gerade noch genießt sie seine zärtlichen Küsse, da muss sie sich traurig fragen: Sucht er bloß eine neue Mommy für seinen süßen Sohn, statt ihre romantischen Gefühle zu erwidern?

… UND DOCH WILL ICH NUR DICH von PATRICIA KAY
Matt ist Olivias heimlicher Traummann. Längst empfindet sie für den Bruder ihres verstorbenen Mannes mehr als nur Dankbarkeit, weil er sich so rührend um sie und ihre Tochter kümmert. Aber eine Liebesbeziehung ist unmöglich! Dafür müsste Matt mit seiner Familie brechen. Was nun?

WER BIST DU, SCHÖNE FREMDE? von LAURIE PAIGE
Die verführerisch schöne Honey stellt Zack Dalton vor ein Rätsel. Wer ist sie wirklich, wenn sie nicht - wie anfangs gedacht - seine lang verschollene Cousine ist? Er weiß nur eins: Seit er sie aus Las Vegas mit zu sich genommen hat, verzehrt er sich mit jedem Tag mehr nach ihr …


  • Erscheinungstag 08.05.2018
  • Bandnummer 0057
  • ISBN / Artikelnummer 9783733733575
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Brenda Novak, Marie Ferrarella, Patricia Kay, Laurie Paige

BIANCA EXTRA BAND 57

BRENDA NOVAK

Eine Affäre ist nie genug

Wie magisch fühlt Cora sich von Elijah angezogen. Sie kann seinen Küssen nicht widerstehen. Aber Vorsicht: Er darf niemals dahinterkommen, weshalb sie wirklich den Job auf seiner Ranch angenommen hat!

MARIE FERRARELLA

Erin und der Singledad

Erin weckt nicht nur Steves Verlangen, auch sein Herz berührt sie. Doch er muss sich jetzt um seinen Sohn kümmern, statt sich zu verlieben! Denn für beide ist kein Platz in seinem Leben, meint er …

PATRICIA KAY

… und doch will ich nur dich

Insgeheim hegt Matt Gefühle für seine schöne Exschwägerin Olivia, die weit über Freundschaft hinausgehen. Aber er fürchtet: Mit einer Romanze würden sie beide für immer den Familienfrieden zerstören!

LAURIE PAIGE

Wer bist du, schöne Fremde?

Perfekt, dass Zack sie für seine Cousine hält! So kann Honey sich bei ihm vor ihren Verfolgern verstecken. Bald jedoch wird seine verführerische Anziehungskraft gefährlicher als alles andere für sie …

1. KAPITEL

Cora Kelly hatte ihre leibliche Mutter nie kennengelernt.

Die Akten waren nach ihrer Adoption vor achtundzwanzig Jahren versiegelt worden. Es war nicht so, dass Lilly Kelly, ihre Adoptivmutter, niemals von Coras Mutter gesprochen hätte, aber sie kannte nicht einmal ihren Namen. Es gab leider auch kaum Hinweise, mit denen Cora etwas hätte anfangen können. Selbst nachdem sie zwei Anwälte engagiert, auf einer Website für verschollene Familienmitglieder recherchiert und einen Privatdetektiv beauftragt hatte, der kostenlos für sie arbeitete, weil er selbst ein Adoptivkind gewesen war, hatte es sechs lange Jahre gedauert, bis sie an die Informationen gekommen war, nach denen sie so intensiv gesucht hatte. Nun würde sie der Frau, die sie in die Welt gesetzt hatte, in wenigen Minuten endlich gegenüberstehen.

Würde sie ihre Mutter mögen? Wäre sie ihr ähnlicher als auf dem Foto, das sie gesehen hatte? Würde Aiyana Turner sie so akzeptieren, wie sie war?

All diese Fragen gingen Cora unentwegt durch den Kopf und verursachten ihr Magenschmerzen. Doch eine Frage überlagerte alle anderen bei Weitem: War sie gerade dabei, einen riesengroßen Fehler zu begehen?

Sie wischte sich die feuchten Hände an ihrer Hose ab und befahl sich, ruhig zu bleiben. Aiyana wusste momentan lediglich, dass es bei diesem Treffen um Coras Bewerbung als Kunstlehrerin auf der New Horizons Boy Ranch ging. Das Internat für vierzehn- bis achtzehnjährige Teenager aus problematischen Verhältnissen lag etwa anderthalb Stunden von Los Angeles entfernt. Es gab überhaupt keinen Grund für Aiyana, an Coras Identität zu zweifeln, und sie würde sich hüten, ihr zu erzählen, wer sie in Wirklichkeit war. Jedenfalls noch nicht heute. Vielleicht sogar niemals. Deshalb hatte sie sich überhaupt für diesen Job beworben – und ihn sofort akzeptiert, als man ihn ihr angeboten hatte. Denn auf diese Weise hatte sie die Gelegenheit, erst einmal in Ruhe abzuwägen, worauf sie sich einließ, ehe sie eine endgültige Entscheidung traf.

Vielleicht war ihre Mutter ja eine Frau, die sie wenigstens bewundern konnte. Sie wusste bereits, dass Aiyana sehr aktiv in der Jugendhilfe war. Sie kümmerte sich um Jungen, die auf die schiefe Bahn geraten waren. Einige von ihnen waren Waisenkinder, andere hatten noch ihre Eltern. Vor zwanzig Jahren hatte sie diese Schule gegründet, und sie schien vollkommen in ihrer Arbeit aufzugehen. Sie hatte niemals geheiratet und auch keine weiteren Kinder bekommen. Laut einem Artikel zum zwanzigsten Jahrestag der Gründung – durch diesen Bericht war der Privatdetektiv überhaupt erst auf Aiyana aufmerksam geworden – hatte sie im Laufe der Jahre einige ihrer Zöglinge adoptiert; acht, um genau zu sein. Elijah Turner, der älteste von ihnen, war inzwischen Anfang dreißig und arbeitete ebenfalls in New Horizons. Er hatte vor zwei Wochen das Bewerbungsgespräch mit Cora geführt und sie anschließend eingestellt. Weil Aiyana an jenem Tag in der Stadt gewesen war, würde Cora sie erst heute kennenlernen.

„Es tut mir sehr leid, aber Sie müssen noch ein paar Minuten warten. Miss Turner führt gerade ein wichtiges Telefongespräch.“ Die etwa sechzigjährige grauhaarige Empfangsdame lächelte entschuldigend. „Aber viel länger wird es bestimmt nicht mehr dauern.“

Cora holte tief Luft. „Kein Problem. Es macht mir nichts aus zu warten.“ Es machte ihr wirklich nichts aus – abgesehen von der Tatsache, dass sie hier vor Aiyana Turners Büro bald eine Herzattacke bekommen würde vor lauter Aufregung …

„Ist Ihnen zu warm, meine Liebe? Ich kann gerne die Klimaanlage höher stellen …“

Erst jetzt merkte Cora, dass sie sich frische Luft zugefächelt hatte. „Nein, nein, alles in Ordnung.“ Sie ließ die Hand sinken.

„Es ist ein sehr heißer Sommer.“

„Ja, und heute ist es besonders warm“, ergänzte Cora, obwohl es in Burbank, wo sie wohnte, normalerweise noch viel heißer war. Zusammen mit ihrer besten Freundin Jill hatte sie sich eine kleine Wohnung in der Nähe von Hollywood gemietet – dort, wo auch das hübsche Haus ihrer Adoptiveltern stand.

Beim Gedanken an Brad und Lilly bekam sie prompt Gewissensbisse. Sie waren so gut zu ihr gewesen. Sie hatten sie genauso behandelt wie den eigenen Sohn, der zwei Jahre älter war als Cora. Über ihre neue Arbeitsstelle wären sie bestimmt nicht froh – vor allem wenn sie wüssten, welche Gründe wirklich hinter ihrer Berufswahl standen.

Denk jetzt nicht darüber nach. Was sie nicht wissen, kann sie auch nicht verletzen. Es war noch viel zu früh, ihnen jetzt bereits reinen Wein einzuschenken, zumal sie selbst ja auch noch gar nicht wusste, wie das alles enden würde. Vielleicht brachte das Ganze ja auch gar nichts, und vielleicht wäre das sogar das Beste. Als sie ihren Adoptiveltern vor ein paar Jahren gestanden hatte, dass sie nach ihrer leiblichen Mutter suchen wollte, waren Brad und Lilly sehr enttäuscht gewesen. Sie hatten es persönlich genommen und einfach nicht verstanden, dass es gar nichts mit ihnen zu tun hatte, sondern mit der Leere, die Cora in sich spürte und die die beiden niemals würden füllen können. Denn dafür musste sie erst einmal in Erfahrung bringen, woher sie kam, wer sie wirklich war und wohin sie gehörte.

Deshalb setzte sie jetzt alle Hoffnungen auf ihren neuen Job. Ihr Freund – besser gesagt Ex-Freund, da sie letzten Monat mit ihm Schluss gemacht hatte – behauptete, es seien ihre persönlichen Probleme gewesen, an denen ihre zweijährige Beziehung letztendlich gescheitert war. Sie müsse endlich einen Schlussstrich ziehen und nach vorn schauen, hatte er ihr geraten. Denn andernfalls würde sie möglicherweise die Büchse der Pandora öffnen.

Vielleicht hatte er ja recht. Aber jetzt war es zu spät, ihren Plan zu ändern. Denn sie hatte sich bereits für ein Jahr bei New Horizons verpflichtet. Das heutige Treffen mit Aiyana war nur noch eine Formalität – eine Art gegenseitiges Beschnuppern.

Nachdem Cora ihr ganzes Leben in der Großstadt verbracht hatte, war sie sich nicht sicher, ob sie sich in einer so ländlichen Gegend wohlfühlen würde. Aber der Ort war eigentlich gar nicht so übel. Denn hier lebten viele Künstler, das Stadtzentrum war frisch restauriert, das Wasser sauber und die Energie grün. Die Stadt hatte einen hohen Freizeitwert und eine funktionierende Infrastruktur – alles in allem war sie also sehr empfehlenswert. Das Leben lief hier einfach nur ein wenig langsamer ab …

„Miss Kelly?“

Cora schlug das Herz sofort bis zum Hals. Jetzt war der Moment endlich gekommen …

„Ja?“

„Miss Turner hat jetzt Zeit für Sie.“

Einen Moment lang geriet Coras Entschluss ins Wanken, doch dann nickte sie entschlossen und betrat das Büro, an dessen Wänden Fotografien von jedem Abschlussjahrgang von New Horizons hingen.

Die Bilder verschwammen vor ihren Augen, als sie sich auf die kleine Frau mit dem schwarzen Haar konzentrierte, das zu einem dicken Zopf geflochten war. Daher also mein goldbrauner Teint, dachte Cora. Das Bild, das sie gesehen hatte, war leider zu körnig gewesen, um derlei Einzelheiten erkennen zu können. Offensichtlich war ihre Mutter eine halbe Mexikanerin oder Südamerikanerin.

Cora war sich immer schon bewusst gewesen, dass ihre Hautfarbe nicht der der Kellys entsprach. Lilly hatte blondes Haar und blaue Augen und bereits einige kleine Schönheitsoperationen hinter sich. Aiyana dagegen machte den Eindruck, als hätte sie nie etwas an ihrem Aussehen verändert.

„Miss Kelly! Entschuldigen Sie bitte, dass Sie warten mussten. Bei dem Anruf ging es um einen neuen Anwärter für unsere Schule. Da er gerade in ziemlichen Schwierigkeiten steckt, wollte ich die Sache schnellstmöglich erledigen. Seine arme Großmutter, bei der er lebt, weiß sich einfach nicht mehr zu helfen.“

Cora blinzelte kurz, um sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen. Sie hatte sich so sehr nach diesem Tag gesehnt. Jetzt war er endlich gekommen. Sie schaute ihrer Mutter ins Gesicht.

Doch sie durfte sich nichts anmerken lassen. Was hatte Aiyana gerade erzählt? Etwas darüber, warum sie hatte warten müssen … „Natürlich“, stammelte sie. „Das Wohlergehen der Jungen ist das Wichtigste.“ Das war es doch, worum es ging – oder hatte sie vielleicht etwas falsch verstanden?

Lächelnd deutete Aiyana auf den Stuhl auf der anderen Seite ihres Schreibtischs. „Nehmen Sie doch Platz.“

Cora konnte den Blick gar nicht von ihr wenden. Fast hätte sie sich neben den Stuhl gesetzt.

„Eli hat mir gesagt …“

„Eli?“, echote Cora verwirrt.

„Elijah. Mein Sohn.“

„Ach so.“ Aiyana sprach von dem unglaublich gut aussehenden und beeindruckenden Mann, mit dem Cora vor zwei Wochen gesprochen und der bei ihr sofort einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte.

„Er hat mir erzählt, dass Sie vor sechs Jahren einen Bachelor in Kunsterziehung an der Universität von San Diego gemacht haben.“

„Ja. Ich liebe Kunst und auch das Unterrichten. Beides zusammenzufügen erschien mir da das Natürlichste.“

„Seitdem haben Sie als Aushilfslehrerin gearbeitet?“

„Ja. Nach meinem Abschluss war ich erst einmal froh, mir meine Zeit als Aushilfslehrerin frei einteilen zu können, weil ich einige Reisen mit meinen Eltern gemacht habe. Danach war es leider schwer, eine Vollzeitstelle zu bekommen, weil viele Schulen mittlerweile ihre Etats kürzen mussten – vor allem natürlich in den Fächern Kunst, Musik und Sport.“

„Ich verstehe. Deshalb haben Sie sich also für unsere Stelle beworben?“

Es war einer der Gründe gewesen – allerdings nicht der wichtigste. Ironischerweise hatte man ihr an der Schule, wo sie als Aushilfslehrerin gearbeitet hatte, eine Festanstellung angeboten, sodass sie sich bei New Horizons gar nicht hätte bewerben müssen. Der Kunstlehrer an der Woodbrigde Highschool war pensioniert worden und hatte ein gutes Wort für sie eingelegt. Aber zum Erstaunen ihrer Eltern hatte sie das Angebot abgelehnt, denn New Horizons bot ihr schließlich etwas, das ihr keine andere Schule anbieten konnte: dass Aiyana hier arbeitete. „Ja.“

Aiyana musterte sie nun durchdringend. „Ist alles in Ordnung?“

Obwohl sie heftig dagegen ankämpfte, traten ihr jetzt dennoch Tränen in die Augen. „Eine Allergie“, erklärte Cora schniefend. „Immer um diese Jahreszeit. Glücklicherweise geht es schnell wieder vorbei.“

„Brauchen Sie ein Taschentuch?“

Mit dem Finger wischte sich Cora eine Träne ab, die ihr über die Wange zu laufen drohte. „Nein danke, es geht schon. Meine Augen sind nur ein bisschen … gereizt.“

„Nun gut. Dann möchte ich Ihnen jetzt etwas über den Stellenwert erzählen, den wir an unserer Schule der Kunst einräumen. Die meisten Schulen legen den Schwerpunkt auf die sogenannten ‚harten‘ Fächer, und als anerkannte Highschool tun wir das natürlich auch. Aber ich habe das Gefühl, dass die Leistungen unserer Schüler in diesen Fächern nur gut sein können, wenn wir ihnen auch ein Gefühl für die schönen Dinge des Lebens vermitteln. Ich versichere Ihnen, dass Sie bei einer Etatkürzung bestimmt nicht zu den Lehrerinnen gehören würden, die gehen müssten. Denn Sie wären eine der wichtigsten Lehrkräfte bei uns. Deshalb wollte ich mich auch mit Ihnen persönlich unterhalten, bevor Sie in ein paar Wochen hier anfangen.“

„Ich bewundere Ihre Einstellung.“ Denn Cora war ganz ihrer Meinung. Aber dass sie die wichtigste Lehrerin sein sollte, hatte zugleich auch etwas Einschüchterndes an sich, da es ja ihre erste richtige Vollzeitstelle war.

„Ich möchte, dass meine Jungs eine gute Erziehung bekommen“, fuhr Aiyana fort. „Aber mehr noch als das möchte ich, dass sie mit sich selbst ins Reine kommen und ihren Frieden finden.“

„Das verstehe ich sehr gut.“

„Ich sollte Sie aber warnen: Die meisten von ihnen haben noch nie gemalt, gebastelt oder getöpfert. Sie sind immer noch der Ansicht, dass Schule langweilig und schwer sein muss. Deshalb ist es eine lohnende Aufgabe, ihnen beizubringen, dass Lernen auch Spaß machen kann. Kreativität ist eines der besten Mittel, um die Wut und die Schmerzen in den Griff zu bekommen, unter denen manche der Schüler leiden.“

„Kommen denn alle Schüler hier aus schwierigen Verhältnissen?“

„Eine ganze Reihe von ihnen. Einige sind Waisen, andere wurden missbraucht, und einige zeigen auch Verhaltensstörungen, die auf andere Ursachen zurückgehen.“

„An diese Jungen kommt man bestimmt nur schwer heran.“

„Manchmal kommen wir sogar gar nicht an sie heran. Aber, wie gesagt, wir versuchen, sie alle zu erreichen.“

Cora konnte sich gut vorstellen, dass reiche Eltern, die mit ihrem Nachwuchs nicht klarkamen, durchaus bereit waren, viel Geld dafür zu bezahlen, dass ihr Sohn die Ranch besuchen konnte. Aber wie konnten Waisen sich eine solche Schule leisten? „Was ist mit den elternlosen Kindern? Wer bezahlt für sie?“

„Wir bekommen Unterstützung vom Staat und von privaten Förderern. Zwei Mal im Jahr machen wir außerdem eine große Spendengala. Ungefähr dreißig Prozent unserer Schüler zahlen keinen Cent. Das sind umgerechnet etwa achtzig Schüler. Aber solange wir am Ende des Monats keine roten Zahlen schreiben, bin ich zufrieden, und wenn wir einen Überschuss erwirtschaften, tendiere ich immer dazu, ihn dafür einzusetzen, einem weiteren Schüler zu helfen.“

Cora hatte jetzt fast schon ein schlechtes Gewissen, weil sie ein Gehalt beziehen würde. Einen Moment lang überlegte sie sogar, ob sie mit weniger Geld auskommen könnte. In Los Angeles hatte sie ihr Gehalt mit Kellnern aufgestockt. Das wäre in dieser Kleinstadt aber mangels Restaurants und Bars kaum möglich.

„Warum haben Sie sich speziell auf Jungen konzentriert? Warum gibt es hier keine Mädchen?“, fragte sie stattdessen.

Aiyana lachte. „Wissen Sie, die Jungs haben schon genug Schwierigkeiten. Sie sollen nicht auch noch in Versuchung geführt werden. Wenn sie sich erst einmal nur auf sich selbst konzentrieren, werden sie später hoffentlich auch umso bessere Ehemänner und Väter sein. Aber wer weiß, vielleicht eröffne ich ja eines Tages auch noch eine Schule nur für Mädchen – auf der anderen Seite der Stadt.“

„Ich bin mir sicher, dass Sie mit Mädchen genauso gut klarkommen würden.“ Wenigstens wusste sie jetzt, dass ihre Mutter sie nicht weggegeben hatte, weil sie keine Mädchen mochte. Vielleicht war das ohnehin ein alberner Gedanke, aber Cora konnte nicht anders: Sie musste einfach den Grund finden. Vielleicht reichte das schon aus, um ihren Seelenfrieden finden zu können …

„Wir werden sehen. Man hat mir erzählt, dass Sie ein Haus auf dem Campus beziehen werden. Haben Sie es sich schon angeschaut?“

„Noch nicht. Mr. Turner hat mir zwar die Schule und einige andere Gebäude auf dem Grundstück gezeigt, aber er hat mir die Stelle erst angeboten, nachdem ich wieder zu Hause war. Wir sind also noch gar nicht in die Wohngebäude gegangen.“

„Nun, die Häuser sind nicht allzu groß, aber ich bin trotzdem froh, dass ich sie den Lehrkräften anbieten kann. Ich hoffe, dass die geringe Miete Sie dazu verführt, noch länger zu bleiben.“ Sie schmunzelte. „Länger als ein Jahr.“

Ihre Bemerkung verriet Cora, dass sie über ihre Abmachung mit Elijah genau Bescheid wusste. „Tja, ich denke …“

„Sie werden schon sehen, dass wir hier fast wie eine Familie sind“, erklärte sie mit einem Augenzwinkern.

Eine Familie … Diese beiden Worte ließen Cora fast in Tränen ausbrechen. Aiyana hatte ja keine Ahnung, wie nahe sie der Wahrheit damit kam.

Als Cora Aiyana aus dem Gebäude folgte, dachte sie kurz darüber nach, wie sie sich ihre Mutter vorgestellt hatte, als sie aufgewachsen war. Zum Beispiel als Drogenabhängige, die sich nur darum sorgte, wie sie an ihren nächsten Schuss kommen konnte … als Prostituierte, die das Kind eines Freiers so schnell wie möglich hatte loswerden wollen … als „die andere Frau“, die von ihrem Liebhaber verlassen worden war, nachdem sie ihm erzählt hatte, dass sie sein Kind erwartete … als Geschäftsfrau, die sich von einem Kind ihre Karriere nicht vermasseln lassen wollte. Aber so hatte sie sich Aiyana auf keinen Fall vorgestellt – als eine freundliche, kluge, wohlerzogene und mitfühlende Frau, die ganz und gar in ihrem Beruf aufging.

Cora hatte gehofft, dass eine Begegnung mit ihrer Mutter viele ihrer Fragen beantworten würde. Aber stattdessen war sie verwirrter denn je. Was war achtundzwanzig Jahre zuvor passiert? Warum sollte jemand wie Aiyana Turner ihr einziges Kind zur Adoption freigeben?

„Und – gefällt dir die Frau, für die du bald arbeiten wirst?“

Cora packte gerade ihre Küchenutensilien in dem Apartment in Burbank zusammen, während Lilly sie ausfragte. Cora erstarrte – hatte ihre Adoptivmutter etwa den wahren Grund dafür herausgefunden, warum sie nach Silver Springs zog? Doch als Lilly fortfuhr, Gläser in Papier zu wickeln und diese in einen Karton zu legen, wurde Cora klar, dass Lilly einfach nur reden wollte. Sie wusste nichts, noch nicht zumindest. Gott sei Dank.

„Ja.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Sie scheint ganz nett zu sein.“ Obwohl sie jetzt schon seit einer Woche wieder zu Hause war, um den Umzug vorzubereiten, musste sie andauernd an Aiyana denken. Sie hatte weitere Informationen über sie im Internet gesucht, auch über die Lehrer und Schüler in New Horizons. Einer der Schüler war ein berühmter Fußballer geworden; einer war vor Kurzem angeklagt worden, das Ehepaar ermordet zu haben, das ihn adoptiert hatte. Über Elijah Turner gab es nur einen kurzen Artikel, aber der sagte viel über ihn aus. Bis er zehn Jahre alt war, war er von seinen Eltern im Keller ihres Hauses wie ein Tier im Käfig gehalten worden und hatte nur sechzig Pfund gewogen.

Ihr drehte sich der Magen um, wenn sie nur daran dachte, was er alles durchgemacht hatte. Was waren das für Menschen, die ihren eigenen Kindern so etwas antaten? Und wo waren sie jetzt? Wusste er es?

In Anbetracht dieser Erfahrungen war es kein Wunder, dass sich der Mann so reserviert und vorsichtig verhielt – und Aiyana so ergeben war.

„Ich kann gar nicht glauben, dass du wirklich auf dem Schulgelände wohnen willst“, sagte Lilly.

„Die Schule liegt gut zehn Meilen außerhalb der Stadt. So muss ich nicht jeden Tag dorthin fahren.“

„Zehn Meilen – das ist doch nichts“, schimpfte Lilly. „Die Leute in Silver Springs haben wohl keine Ahnung davon, wie lange man in Los Angeles in der Rushhour für zwei Häuserblocks braucht.“

„Oder sie wissen es ganz genau und leben deshalb dort“, konterte Cora.

Lilly wickelte weitere Gläser ein. „Egal, wie die Verkehrssituation ist – ich würde niemals aus der Stadt wegziehen.“

Brads Büro lag nur wenige Blocks von ihrem Haus entfernt. Inzwischen war er als Börsenmakler so erfolgreich, dass er seine Arbeitszeit komplett frei einteilen konnte. Lilly hingegen engagierte sich in der Wohltätigkeitsarbeit – meistens am Abend und am Wochenende. „Ihr habt gut reden. Für euch stellt der Verkehr ja auch kein Problem dar.“

„Bietet Aiyana Turner denn allen Lehrern so günstige Häuser an?“, wollte Lilly daraufhin wissen.

„Das kann sie leider nicht. Denn so viel Platz hat sie auch wieder nicht. Wer dort wohnen möchte, kann sich in eine Liste eintragen. Ich hatte nur das Glück, das gerade eben ein Haus frei geworden ist.“

„Und wo wohnen die anderen Lehrer?“

„Vermutlich in der Stadt. Einige vielleicht auch in Santa Barbara. Das liegt nur zwanzig Minuten entfernt – also ein Klacks, gemessen an unseren Verhältnissen.“

„Was macht man abends in Silver Springs? Ich meine … wenn du auf dem Schulgelände wohnst, wirst du auch jemals ausgehen? Wie willst du denn auf die Art andere Leute kennenlernen?“

„Ich lerne doch die anderen Lehrer kennen.“

„Die höchstwahrscheinlich alle älter oder verheiratet sind.“

„Das werde ich erst erfahren, wenn ich dort bin.“

Lilly stemmte die Hände in die Hüften. „Das Leben besteht nicht nur aus Arbeit, Schätzchen. Ein Jahr klingt jetzt vielleicht nicht besonders lang, aber glaub mir, es wird dir sehr lang vorkommen, wenn du niemanden hast, mit dem du dort etwas unternehmen kannst.“

„Ich kann doch immer noch jederzeit nach Hause kommen und euch oder meine anderen Freunde besuchen.“

„Ich hoffe, dass du oft herkommen wirst. Aber … was ist denn mit dem Mann, der dich eingestellt hat? Vielleicht ist der ja was für dich. Jill hat mir erzählt, dass er ziemlich scharf ist.“

Danke, Jill. „Ja, er ist tatsächlich scharf, aber …“

„Wie sieht er denn aus?“

Cora rief sich daraufhin den dunkelhaarigen, ziemlich einschüchternden Mann in Erinnerung, der sie auf der Ranch herumgeführt hatte. Er hatte nicht viel gesagt; bestimmt war er kein Schwätzer, aber seinen blauen Augen entging garantiert nichts. Wenn sie ehrlich war, fühlte sie sich in seiner Gegenwart sogar ein bisschen unwohl. „Er erinnert mich irgendwie an einen … Seeräuber.“

Ihre Mutter öffnete einen weiteren Schrank und begann dann, die Teller einzupacken. „An einen Seeräuber? Meinst du das im positiven Sinne?“

„In diesem Fall schon.“ Zumindest, wenn es um sein Aussehen ging.

„Wie groß ist er denn?“

„Ziemlich groß und muskulös.“

„Das klingt doch perfekt.“

„So perfekt ist er nun auch wieder nicht.“ Und genau das fand sie besonders attraktiv an ihm – dass er eben kein Schönling wie aus einem Modemagazin war. „Er hat eine ziemlich große Narbe im Gesicht.“ Mit dem Finger fuhr sie sich über ihre Wange. „Genau hier.“

„Woher hat er die?“

„Ich habe ihn nicht gefragt.“ Jetzt, wo sie von seiner grauenvollen Kindheit wusste, würde sie es auch ganz sicher nicht tun. „Und soweit ich weiß, ist er verheiratet.“

„Trägt er denn einen Ring?“

„Ich habe nicht darauf geachtet“, log sie. Natürlich hatte sie einen Blick auf seine Finger geworfen – und keinen Ring gesehen. Elijah hatte nämlich sofort ihre Neugier erregt. Aber schließlich hatte sie sich aus einem ganz anderen Grund bei New Horizons beworben …

„Das hättest du aber tun sollen“, meinte ihre Mutter schmunzelnd.

„Matt und ich haben gerade erst miteinander Schluss gemacht, Mom. Ich habe nicht vor, sofort wieder etwas Neues anzufangen – vor allem nicht an einem Ort, wo ich gar nicht lange bleiben will.“ Außerdem war sie sich nicht sicher, ob sie mit einem Mann, der so verschlossen und rätselhaft war wie Elijah, eine Affäre haben wollte. Denn nach einer solchen Jugend hatte er bestimmt noch mehr Narben, die man – im Gegensatz zu der in seinem Gesicht – nicht sofort sehen konnte.

„Du bleibst also tatsächlich nur ein Jahr dort?“, wollte ihre Mutter wissen.

„So ist es.“

„Schön, dass es nur für eine gewisse Zeit ist.“ Lilly umarmte sie fest. „Ich liebe dich nämlich, weißt du?“

Das wusste Cora in der Tat, und sie war unendlich dankbar dafür. Sie hätte schließlich auch in eine Familie geraten können, die ganz und gar nicht so freundlich und nachsichtig war – eine Familie, wie Elijah sie gehabt hatte. „Ich liebe dich auch“, sagte sie deshalb und versuchte den Anflug von schlechtem Gewissen zu ignorieren. Denn Lilly wäre bestimmt sehr verletzt gewesen, wenn sie Coras wirkliche Gründe für den neuen Job gekannt hätte.

2. KAPITEL

Elijah Turner striegelte gerade sein Pferd, als Aiyana zu ihm stieß. Er brauchte sich gar nicht nach ihr umzudrehen, denn er erkannte sie schon an ihren Schritten. Sie machte immer den Eindruck, als ginge es um etwas Geschäftliches, aber inzwischen wusste er, dass sie sich nur vergewissern wollte, ob mit ihm alles in Ordnung war. Wann immer er sich mit dem Hinweis, er sei doch jetzt wohl schon alt genug, über ihre Fürsorge beklagte, erwiderte sie, dass er immer ihr Junge bleiben würde.

„Wie war der Ausritt?“, wollte sie nun wissen.

Er kratzte seinem Pferd den hinteren linken Huf aus. „Entspannend.“

„Morgen kommt Cora Kelly zu uns.“

„Ich weiß.“

„Ist das Haus schon fertig?“

Er nahm jetzt nacheinander die anderen Hufe in die Hand. „Natürlich.“

„Wirst du mir deine Entscheidung auch irgendwann einmal erklären?“

„Welche Entscheidung denn?“, fragte er, obwohl er die Antwort natürlich bereits kannte.

„Cora Kelly einzustellen. Du weißt genauso gut wie ich, dass Gary Seton aus Silver Springs schon lange auf diese Stelle gewartet hat.“

„Ich habe mit Gary gesprochen. Er sollte seine Chance ja bekommen.“

„Aber …?“

„Ich halte Miss Kelly einfach für geeigneter.“

„Sie ist hübsch.“

„Das hat damit nichts zu tun.“

„Nehmen wir einmal an, das stimmt – glaubst du nicht, sie könnte die Jungs ablenken?“

„Willst du damit sagen, ich hätte sie nicht nehmen sollen, nur weil sie gut aussieht?“

Sie versetzte ihm einen liebevollen Stoß gegen die Schulter. „Hör doch auf.“

Du hast von ihrem Aussehen angefangen.“

„Weil ich wissen wollte, ob du mit mir einer Meinung bist.“

„Dass sie hübsch ist? Ich müsste blind sein, um das nicht zu sehen.“

„Also … kann ich auch ein gewisses Interesse deinerseits vermuten?“

„Nein. Ich bin einfach kein Typ für lange Beziehungen oder zum Heiraten. Das solltest du allmählich wissen.“

„Irgendwann hätte ich aber gerne mal Enkel.“

„Du hast genügend andere Söhne, die dir Enkel schenken können.“

Sie seufzte. „Na gut. Offenbar redest du nicht gern über dieses Thema.“

Er widersprach ihr nicht, denn es gab tatsächlich Momente in seinem Leben, in denen er sich fragte, ob er wirklich für den Rest seines Lebens allein bleiben wollte. Andererseits wollte er sein Glück aber auch nicht von der Liebe oder dem Willen eines anderen Menschen abhängig machen.

„Du warst heute gar nicht beim Abendessen“, stellte seine Mutter fest.

„Du hast gesagt, ich solle nur kommen, wenn ich hungrig sei.“

„Du solltest aber hungrig sein. Es ist immerhin schon fast acht Uhr.“

„Darüber haben wir doch schon gesprochen“, entgegnete er. „Ich bin zu alt, als dass du dir Sorgen um mich machen musst.“

„Dafür wirst du niemals zu alt sein. Weißt du, warum? Man nennt es Liebe.“

Sein Problem war aber, dass er dazu tendierte, zu sehr zu lieben und sich zu sehr an einen anderen Menschen zu klammern. Während er sich mit dem letzten Huf beschäftigte, sagte er: „Ich werde heute Abend in der Stadt etwas essen.“

Sie lehnte sich an den Zaun. „Erzähl mir bloß nicht, dass du die Ranch verlässt, um dich mit anderen Leuten zu treffen. Das machst du doch so gut wie nie.“

Er warf ihr einen Blick zu, der ihr zu verstehen geben sollte, dass er ihren Sarkasmus überhaupt nicht schätzte.

Doch sie lächelte ungerührt. „Dein Blick macht mir keine Angst – ganz im Gegensatz zu den anderen.“

„Das sollte er aber.“

„Warum? Ich weiß doch, dass du mich liebst, auch wenn du es mir nur selten sagst.“

„Worte sind eben nur Schall und Rauch.“ Er hatte zu oft von seinen Eltern gehört, dass sie ihn liebten, und dabei hatten sie doch immer nur sich selbst geliebt.

„Eines Tages wirst du hoffentlich dein Vertrauen wiederfinden.“

„Vergiss es. Aber ich bin dir trotzdem dankbar für alles, was du für mich getan hast.“

„Du brauchst mir nicht dankbar zu sein.“ Sie machte Anstalten zu gehen.

„Du willst also unbedingt, dass ich mich verliebe“, rief er ihr hinterher.

Sie drehte sich um. „Ich möchte, dass du in der Lage bist, dich zu verlieben. Ich möchte sehen, wie du dein Herz verlierst – und keine Angst davor hast. Dann erst habe ich Ruhe.“

Du hast doch auch nie geheiratet“, konterte er.

Sie antwortete mit ihrer üblichen Entschuldigung. „Ich bin stattdessen mit meinem Beruf verheiratet.“

Da er wusste, dass sie nie etwas anderes zu diesem Thema sagte, schaute er ihr nur stumm hinterher und dachte Ich auch.

Silver Springs lag gerade einmal zwei Autostunden von Los Angeles entfernt. Dennoch hatte Cora den Eindruck, in eine vollkommen andere Welt zu kommen, als sie ihren Wagen durch das schmiedeeiserne Eingangstor der New Horizons Ranch steuerte. Dabei telefonierte sie über die Freisprechanlage mit ihrer Freundin Jill.

„Warum hast du mich denn nicht geweckt, um dich von mir zu verabschieden?“, fragte sie gähnend.

„Du hast geschlafen wie ein Murmeltier.“

„Ich hätte aber mit dir kommen wollen.“

„Du musst doch in einer Stunde zur Arbeit“, erinnerte Cora sie.

„Ich hätte mich ja krankmelden können. Du brauchst doch jemanden, der dir beim Auspacken hilft.“

„Ich habe schon meiner Mutter gesagt, dass ich das ganz alleine schaffe. Sie wäre nur beleidigt, wenn du mir stattdessen geholfen hättest.“ Der wahre Grund bestand allerdings darin, dass sie ein Treffen von Lilly und Aiyana unbedingt verhindern wollte. Die beiden hatten sich zwar niemals kennengelernt, aber dennoch hielt Cora es für besser, dass die Frauen einander nicht persönlich trafen.

„Ich vermisse dich jetzt schon“, sagte Jill seufzend.

„Ich bleibe doch nur ein Jahr.“

„Das ist aber eine ganze Weile, wenn du die ganze Zeit nur allein bleiben willst.“

„Ich werd’s schon überleben.“

„Hast du nicht von irgendeinem Elijah erzählt? Und dass er sehr gut aussieht?“

„Es wäre wohl irgendwie komisch, wenn ich mit dem Mann etwas anfangen würde, den meine Mutter adoptiert hat.“

„Wieso? Schließlich seid ihr keine Blutsverwandten. Ihr seid noch nicht einmal zusammen aufgewachsen. Du bist aus einer ganz anderen Familie. Du bist eine Kelly!“

Cora suchte jetzt in ihrer Handtasche nach dem Hausschlüssel, den Aiyana ihr gegeben hatte. „Auf dem Papier zumindest.“

„Mehr als das. Du hast schließlich dein ganzes Leben mit den Kellys verbracht.“

„Ja, und deshalb habe ich ja auch so ein schlechtes Gewissen.“

„Was meinst du damit?“

„Bin ich undankbar, weil ich meine leibliche Mutter kennenlernen möchte? Diese Frage macht mich ganz verrückt, denn ich liebe meine Eltern über alles und bin ihnen unendlich dankbar.“

„So ist es doch auch mit leiblichen Eltern. Alle Kinder sollten dankbar sein für die Opfer, die die Eltern für sie gebracht haben.“

„Nein, es ist nicht das Gleiche, denn zwischen Kindern und leiblichen Eltern gibt es eine ganz andere Art von Zusammenhörigkeitsgefühl … Aber reden wir jetzt nicht mehr davon. Die Leute würden Elijah und mich bestimmt schief ansehen, wenn rauskommen würde, dass wir dieselbe Mutter haben.“

„Das würdest du nicht zugeben, weil ihr eben nicht dieselbe Mutter habt.“

Cora seufzte frustriert. „Trotzdem ist es komisch, das musst du doch zugeben. Außerdem bin ich ehrlich gesagt, eifersüchtig auf Elijah.“ Genau wie auf all die anderen Jungen, die Aiyana in ihr Leben geholt hatte. Dass sie Cora zur Adoption freigegeben und dann acht Kinder adoptiert hatte, verletzte Cora zutiefst – und es verwirrte sie auch. „Ich frage mich nämlich, warum sie ihn wollte und mich nicht.“

„Du hast mir doch erzählt, dass er eine schwere Kindheit hatte, und die anderen Jungs wahrscheinlich ebenso.“

„Deshalb fühle ich mich ja noch schlechter. Denn wenn ich mir vorstelle, was er alles durchgemacht hat, kommen zu meiner Eifersucht auch noch Gewissensbisse hinzu. Ich glaube, es ist keine gute Idee, etwas mit ihm anzufangen angesichts all dieser Gefühle, die da in mir hochkommen.“

„Es sind immerhin einige Jahre vergangen zwischen den Zeitpunkten, an denen sie dich zur Adoption freigegeben und ihn adoptiert hat. Vielleicht hat sich ihre Lebenssituation in dieser Zeit ja grundlegend geändert.“

Da sie momentan beide Hände voll hatte, schloss Cora die Autotür mit einem Hüftschwung. „Schon möglich“, gab sie zu.

„Du musst doch nicht immer gleich das Schlimmste annehmen.“

„Das sagt sich so leicht. Vor allem jetzt, wo ich weiß, wie sie ist. Wenn sie eine Nutte gewesen wäre, dann könnte ich mir vielleicht einreden, dass es nun mal so sein musste.“

„Aber genau, weil sie keine Nutte ist, wolltest du sie kennenlernen, und die Aussichten sind doch auch gar nicht so schlecht. Du glaubst schließlich, dass sie jemand sein könnte, den du in deinem Leben haben möchtest. Davor hattest du doch die größte Angst. Du hast in Wirklichkeit doch nur befürchtet, dass sie dich ein zweites Mal zurückweisen könnte.“

Cora musste die Koffer abstellen, um die Haustür öffnen zu können. „Musst du immer so direkt sein?“

„Es ist wichtig zu wissen, wenn man sich in seinem Handeln von Furcht leiten lässt. Du solltest auf jeden Fall einen klaren Kopf bewahren.“

„Ich hoffe nur, dass ich das schaffe. Aber ich müsste trotzdem verrückt sein, etwas mit Elijah anzufangen, selbst wenn er offen wäre für eine Beziehung, was er ganz bestimmt nicht ist.“

„Ist ja schon gut. Du hörst ja sowieso nicht auf mich. Du bist viel zu beschäftigt damit, dir selber Steine in den Weg zu legen.“

„Ist das etwa ein Wunder? Du bist schließlich nie zur Adoption freigegeben worden. Du bist in einer großen, glücklichen Familie aufgewachsen. Du kannst das doch gar nicht beurteilen.“

„Ich versuche aber, dich zu verstehen“, erwiderte Jill verletzt.

„Es tut mir leid“, entschuldigte sich Cora. „Das habe ich nicht so gemeint. Ich weiß gar nicht, wie mir das herausrutschen konnte.“

„Weil du sauer bist, und ich verstehe dich ja. Aber ich bin auf deiner Seite.“

Cora wollte ihr gerade versichern, dass sie ihr das glaubte, als sie ein Motorengeräusch hörte. Sie drehte sich um und erblickte einen silbernen Truck. Elijah saß am Steuer. Er parkte nun vor ihrem Haus und sprang hinaus. Prompt ging ihr Puls schneller. „Ich muss jetzt Schluss machen“, erklärte sie Jill hastig.

„Warum? Was ist denn los?“

Sie beugte den Kopf hinunter, um nicht gehört zu werden. „Er ist hier“, wisperte sie und beendete das Gespräch schnell.

Als sie wieder hochschaute, stand Elijah vor ihr, unter dem Arm die Informationsbroschüren, die er für sie zusammengesucht hatte. Sein Blick fiel auf ihre langen, gebräunten Beine, auf ihre weißen Leinenshorts und auf das orangefarbene Top. Diese Beine irritierten ihn sehr. Aber er war Lehrer in New Horizons, und das bedeutete, dass er sich nicht mit ihr einlassen durfte – nicht einmal zum Spaß. Anders als seine Mutter es vermutete, hatte er ihr die Stelle wirklich nicht angeboten, weil er an ihr interessiert war. Ihre Bewerbungsmappe hatte ihn einfach nur so sehr beeindruckt. Ihre Skulpturen, ihre Gemälde, ihre Fotos und das getöpferte Kunstwerk hatten ihn seltsam berührt, und das gefiel ihm, der so wenig Ahnung von Kunst hatte, so sehr an ihr. Gary Seatons Objekte hingegen hatten ihn ziemlich kaltgelassen. Außerdem hatte er den Eindruck gehabt, dass sie diese Stelle unbedingt haben wollte – ganz im Gegensatz zu Gary.

„Hallo“, begrüßte sie ihn.

„Wie ich sehe, haben Sie es gut hierhergeschafft.“

„Ja.“

Er deutete auf den alten vollgepackten BMW X3 in der Einfahrt. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

„Nein, danke, das schaffe ich schon. Ich habe die Kisten extra nicht zu vollgepackt, damit ich sie auch tragen kann.“

„Sind Sie sicher?“

Sie nickte, und er reichte ihr daraufhin die Broschüren. „Wahrscheinlich werden Sie die gar nicht alle lesen wollen. Sie sind ungefähr so spannend, wie Farbe beim Trocknen zuzusehen, aber vielleicht ist ja etwas für Sie dabei. Zumindest bekommen Sie auf diese Weise einen Eindruck, wie wir hier arbeiten.“

„Ich werde sie mir auf jeden Fall ansehen.“ Sie drückte die Papiere an ihre Brust, und er stellte fest, dass er ihren Körper tatsächlich sehr attraktiv fand. Sie war nicht so dürr wie manche der Frauen, mit denen er ausgegangen war, sondern wohlgerundet und gut proportioniert, und noch dazu ausgesprochen sexy.

Er kramte jetzt in seinen Taschen herum und zog bald darauf einen Schlüssel hervor. „Das ist der Schlüssel zum Hauptgebäude, und dieser hier gehört zum Kunstsaal. Den wollen Sie bestimmt vor Schulbeginn schon einmal nach Ihren Vorstellungen einrichten.“

„Unbedingt. Vielen Dank.“

„Keine Ursache. Haben Sie die Einladung zur Konferenz heute Abend bekommen?“

„Ja, ich habe die E-Mail gesehen. Deshalb bin ich auch extra ein paar Tage früher hierhergekommen.“

„Prima. Dann sehen wir uns ja dann dort.“ Ehe er zu seinem Wagen zurückging, fügte er noch hinzu: „Alle sind schon sehr gespannt auf Sie.“

„Mr. Turner?“

„Nennen Sie mich doch einfach Eli.“

„Okay, Eli. Wo genau findet das Treffen denn überhaupt statt?“

„In der Bibliothek.“ Er deutete auf das Gebäude, das ein paar Meter entfernt lag.

„Danke.“

„Schon gut.“ Doch statt zu seinem Wagen, ging er zu ihrem SUV und begann damit, die Umzugskartons auszuladen. Mit dieser Arbeit konnte er eine Frau unmöglich allein lassen. Schließlich war er viel stärker als sie.

„Lassen Sie nur, das mache ich schon.“ Sie lief ihm hinterher. „Wirklich.“

„Sie müssen das doch nicht alles alleine tragen. Sagen Sie mir einfach, wo es genau hinsoll, und im Handumdrehen sind wir damit fertig.“

Und tatsächlich hatte er ihren Wagen schon nach wenigen Minuten komplett ausgeladen.

„Danke“, sagte sie noch einmal, ehe er ging. Dann rief sie ihm hinterher: „Eli …“

Er blieb stehen. „Ja?“

„Ich … ich habe einen Freund. Jedenfalls …“

Er zog die Augenbrauen hoch, doch dann hätte er fast gelacht. Sie glaubte tatsächlich, er habe ihr nur geholfen, weil er irgendwelche Hintergedanken hatte. „Tut mir leid, falls Sie einen falschen Eindruck von mir gewonnen haben“, sagte er. „Ich habe Ihnen nur geholfen, damit es ein bisschen schneller geht.“

Sie wurde daraufhin knallrot. „Natürlich. Was denn sonst? Bitte entschuldigen Sie …“

Coras Wangen brannten immer noch, als sie Elis Wagen hinterherschaute. „Was ist bloß los mit dir?“, murmelte sie. „Natürlich hat er dir nur aus Nettigkeit geholfen. Er hat dich schließlich nicht nach deiner Telefonnummer gefragt.“

Ihr Fauxpas verriet mehr über sie, als ihr lieb war. Er war die ganze Zeit zurückhaltend gewesen. Sie hatte Probleme mit seiner Gegenwart gehabt. Sie war sich seiner Nähe so bewusst gewesen, dass es ihr schwergefallen war, so zu tun, als wäre er ihr vollkommen gleichgültig. Wann hatte sie sich das letzte Mal so sehr zu einem Mann hingezogen gefühlt? Und genau deshalb hatte sie auch versucht, eine Grenze zu ziehen, und sich dabei gelinde gesagt komplett zum Idioten gemacht.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich deine Hilfe nicht brauche“, brummte sie, obwohl er schon längst verschwunden war. Der Gedanke, dass sie ihn am Abend bei der Lehrerkonferenz wiedersehen würde, verursachte ihr bereits jetzt Bauchschmerzen.

„Musste das an deinem ersten Tag wirklich sein?“, schalt sie sich. In diesem Moment klingelte ihr Telefon.

„Bevor ich zur Arbeit muss, wollte ich mich nur noch mal rasch erkundigen, ob du schon alle Kartons ausgeladen hast“, meldete sich Jill.

„Oh, Jill …“ Da Cora wie ein Häufchen Elend klang, wollte ihre Freundin natürlich wissen, was genau geschehen war, und Cora berichtete ihr brühwarm alle Einzelheiten.

„Ich hätte dich niemals alleine fahren lassen dürfen“, meinte Jill, als Cora zu Ende erzählt hatte.

„Ich bin vollkommen durch den Wind“, gab Cora zu. „Dass ich jetzt meiner leiblichen Mutter so nahe bin, macht mich total kribbelig. Ich wusste ja, dass es nicht einfach werden würde, aber als ich mich hier beworben habe, hatte ich natürlich keine Ahnung, dass meine Mutter einen Sohn adoptiert hat, der …“

„… der so eine Wirkung auf dich hat?“, beendete Jill den Satz für sie.

„Er sieht ganz gut aus“, versuchte sie abzuwiegeln. „Mehr nicht.“

„Deshalb hast du ihm also aus heiterem Himmel verkündet, dass du einen Freund hast? Weil er so gut aussieht? Was hast du dir denn bloß dabei gedacht?“

„Ich weiß es nicht. Ich wollte eben nur … gewisse Dinge ausschließen“, jammerte Cora. „Das ist doch nur normal, oder?“

„Na ja, nun kannst du auf jeden Fall ganz entspannt sein“, tröstete Jill sie. „Denn jetzt rechnet er garantiert mit nichts mehr.“

Cora holte tief Luft. Jill hatte recht. Vielleicht hatte sie es nicht besonders geschickt angestellt, aber sie hatte Elijah Turner auf diese Weise unmissverständlich klargemacht, dass er nicht mit ihr rechnen konnte – jedenfalls nicht, wenn es um eine romantische Beziehung ging. Außerdem durfte sie auf keinen Fall ihr eigentliches Ziel aus den Augen verlieren. Wenn sie entschied, dass sie ein Teil von Aiyanas Leben werden wollte, dann musste sie zuerst einmal herausfinden, ob Aiyana überhaupt ein Teil ihres Lebens sein wollte. Wie unangenehm wäre es, wenn sie dann ein Verhältnis mit Eli hatte?

„Es ist gut, dass wir sofort reinen Tisch gemacht haben“, verteidigte sich Cora.

„Wenn du meinst. Wie ist denn das Haus?“

„Klein, aber gemütlich.“ Sie ging zum Esstisch, auf dem eine Vase mit frischen Blumen stand. Wie aufmerksam! Hoffentlich war es nicht Eli gewesen, der die Blumen dorthin gestellt hatte …

„Ich kann es kaum abwarten, es zu sehen. Aber jetzt muss ich wirklich los. Bis bald.“

Cora war sich nicht sicher, ob sie sich überhaupt von ihrer Freundin verabschiedet hatte, denn ihre ganze Aufmerksamkeit wurde plötzlich von einer Karte in Anspruch genommen, die neben der Vase lag.

Willkommen auf der New Horizons Ranch! Wir freuen uns sehr, dass Sie bei uns sind.

Aiyana

Cora beugte sich über den Strauß und schnupperte an den Mohnblumen. „Ich hoffe, du freust dich auch dann noch, wenn du weißt, wer ich wirklich bin“, sagte sie und atmete tief ein und aus.

3. KAPITEL

„Sie sind also die neue Kunstlehrerin.“

Cora schenkte dem Mann mittleren Alters mit den dicken Brillengläsern ein strahlendes Lächeln. „Ja, die bin ich.“

Er wollte gerade eine weitere Frage stellen, als Aiyana ans Rednerpult trat und um Ruhe bat. „Vielen Dank, dass ihr so zahlreich gekommen seid“, begrüßte sie die Runde. „Ich hoffe, ihr habt euch während der Ferien gut erholt.“

Während Aiyanas Ansprache schaute Cora sich neugierig um. Etwa dreißig Leute befanden sich im Raum – alles Lehrer und Aushilfslehrer, aber alle älter als sie. Die Hälfte der Anwesenden schien Mitte vierzig zu sein, der Rest Mitte fünfzig. Einige sahen sogar noch älter aus.

Jill und ihre Mutter hatten wohl recht: Vor Cora schien ein schrecklich einsames Jahr zu liegen …

„In diesem Jahr haben wir zweihundertsechsundfünfzig Schüler; dreiunddreißig mehr als im vergangenen Jahr. Das ist ein beachtlicher Zuwachs. Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass sich die Neuzugänge bei uns wohlfühlen. Außerdem haben wir einen neuen Fußballtrainer. Larry Sanders war vor dreizehn Jahren Profispieler. Wegen einer Familienangelegenheit kann Larry heute Abend leider nicht hier sein, aber er hat schon seit einem Monat mit den Jungs trainiert. Er ist ein großer Gewinn für den Sportunterricht – jedenfalls hat Elijah mir das erzählt. Wie die meisten von Ihnen wissen, ist Elijah nicht nur unser Sportchef, sondern kümmert sich auch um alles andere, damit der Betrieb hier reibungslos vonstattengehen kann.“

Cora bemerkte den Stolz in Aiyanas Miene, als sie zu ihrem Adoptivsohn hinüberschaute. Sie hatten offenbar ein sehr enges Verhältnis. Das war bereits auf den ersten Blick ersichtlich. So schön das jedoch für Elijah war, so sehr betrübte es Cora. War überhaupt noch Platz für sie in Aiyanas Herzen?

Ehe sie jedoch noch länger darüber nachdenken konnte, fuhr Aiyana bereits fort: „Wir freuen uns allerdings nicht nur über einen neuen Sportlehrer, sondern auch über eine neue Kunstlehrerin.“ Sie streckte die Hand aus. „Cora, würden Sie bitte kurz aufstehen?“

Elijah schien durch Cora hindurchzusehen, als sie sich erhob. Die anderen nickten und lächelten ihr zu, und sie setzte sich schnell wieder hin. Während Aiyana jetzt über verwaltungstechnische Dinge sprach, beugte sich Coras Nachbar näher zu ihr hinüber. „Wo haben Sie denn vorher unterrichtet?“, wollte er wissen.

Sie entschloss sich für die Wahrheit. „Ich hatte noch keine Festanstellung.“

„Sie sind also eine brandneue Lehrerin?“

„Ziemlich neu“, gab sie zu. „Ich habe sechs Jahre lang als Aushilfslehrerin gearbeitet.“

„Haben Sie denn eine Vorstellung davon, wie schwierig einige der Jungs sind, die hierherkommen?“

Aiyana hatte den problematischen Hintergrund der Schüler nur kurz erwähnt, dennoch war sich Cora im Klaren darüber, dass sie es hier nicht nur mit Musterknaben zu tun haben würde. „Ich weiß, dass die meisten Schüler hier aus heiklen Verhältnissen kommen“, antwortete sie. „Aber so viel anders wird es für mich nicht sein. Wenn Sie wüssten, wie Aushilfslehrerinnen von vielen Schülern behandelt werden …“ Sie schnitt eine Grimasse.

Der Mann lachte, wurde aber schnell wieder ernst. „Als Aushilfslehrerin hat man es bestimmt nicht leicht. Bei ihnen leisten sich die Schüler immer wesentlich mehr als bei den festangestellten Lehrern. Dennoch – eine attraktive Frau, so jung wie Sie …“

„Ich bin fast dreißig“, unterbrach sie ihn. Trotzdem zweifelte sie plötzlich an sich. Hatte sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen, nur weil sie in Aiyanas Nähe hatte sein wollen?

„Toi, toi, toi“, sagte der Mann nun. „Ich hoffe, Sie werden der Sache gewachsen sein.“

Cora schaute hoch und stellte fest, dass Elijah sie beobachtete. Er senkte jetzt aber nicht den Blick, wie sie es erwartet hatte, sondern musterte sie weiterhin auf seine rätselhafte Art. Kamen ihm gerade etwa auch erste Bedenken, weil er sich für sie entschieden hatte?

Möglich. Wahrscheinlich. Der Gedanke gefiel ihr überhaupt nicht. Aber wenn sie kämpfen musste, um ihren Platz in der Welt zu finden, dann würde sie es tun. In dieser Beziehung unterschied sie sich wohl kaum von Elijah und den anderen Jungen, die auf dieser Schule gewesen oder noch immer hier waren.

„Wird schon schiefgehen“, ermutigte sie sich selbst – und hoffte, dass sie recht damit behielt.

„Sie haben Sean Travers also schon kennengelernt?“

Cora erkannte Elijahs Stimme, noch bevor sie sich zu ihm umdrehte. Er stand direkt hinter ihr. Sofort beschlich sie ein ungutes Gefühl.

„Der Mann, der neben mir saß?“, fragte sie.

„Ja. Er ist unser Naturwissenschaftler – oder der Hauspessimist, je nachdem, wie gut man ihn kennt.“

Sie biss ein Stück von ihrem Keks ab. „Er glaubt, ich werde nicht in der Lage sein, hier zu unterrichten. Wahrscheinlich wirke ich zu jung und zu wenig durchsetzungsfähig auf ihn, um die Jungs unter Kontrolle zu haben.“

„Nagt das etwa an Ihrem Selbstbewusstsein?“

„Ich gebe zu, dass ich ein bisschen besorgt bin. Alle hier scheinen der Ansicht zu sein, dass ein Mann namens Gary Soundso den Posten hätte haben sollen.“

„Gary Seton.“ Er reichte ihr ein Glas Punsch. „Sie kennen ihn alle, weil er hier aus der Gegend stammt.“

„Aber …“

„Aber es war nicht Ihre Entscheidung“, sagte er nur.

Sie beneidete ihn um seine langen dunklen Wimpern. Sie hatte selbst schöne Augen – die Männer wurden nicht müde, ihr das zu versichern, aber seine fand sie viel schöner. „Nein. Es war Ihre. Verraten Sie mir auch warum?“

„Warum ich mich für Sie entschieden habe?“

„Ich weiß, dass es nicht das ist, was alle hier denken. Das haben Sie ja bereits gesagt.“

Er nahm nun einen Schluck von seinem Punsch. „Was mich angeht, so hatte Ihr Mitbewerber keine … Vision.“

„Muss ich das verstehen?“

Seine breiten Schultern hoben sich. „Seine Arbeiten haben mich nicht beeindruckt.“

„Aber meine schon?“

„Sie haben Talent“, antwortete er leichthin. „Vielleicht mehr, als Sie selber ahnen.“

„Ich unterrichte Kunst aber nur, ich verkaufe sie nicht.“

Elijah beendete den irritierenden Blickkontakt. „Man muss aber gewisse Konzepte von Kunst verstehen, um sie gut unterrichten zu können.“

„Welche Konzepte meinen Sie damit?“ Doch ehe er antworten konnte, verwickelte ihn auf einmal eine Frau um die sechzig in eine Unterhaltung. Cora fühlte sich nun ein wenig wie das fünfte Rad am Wagen, als sie darauf wartete, dass er sich ihr wieder zuwandte. Schließlich verzog sie sich mit ihrem Becher in eine Ecke, von wo aus sie ihre leibliche Mutter unauffällig beobachten konnte, die sich gerade mit ihren Kollegen unterhielt.

Plötzlich klingelte ihr Handy. Sie schaute auf das Display und erkannte die Nummer ihres Vaters. Um ungestört mit ihm reden zu können, ging sie nach draußen. Über dem Campus erstreckte sich ein sternenklarer Himmel.

„Hallo, Dad.“

„Und – gefällt es dir dort?“, erkundigte er sich.

Seine muntere Stimme vertrieb sofort die trübe Stimmung, in die sie hineingerutscht war. „Es ist auf jeden Fall ein Wechsel.“

„Zum Besseren, oder?“

„Klar.“ Sie kickte einen kleinen Kieselstein über den Weg.

„Ist irgendwas nicht in Ordnung?“

„Es ist nur alles so neu und anders. Ich bin einfach nicht daran gewöhnt, dass mir nachts der Geruch von Dung in die Nase steigt. Oder dass die Sterne so hell leuchten.“

„Dung muss vielleicht nicht gerade sein, aber das mit den Sternen hört sich doch nett an.“

„Ich frage mich gerade, warum ich mich bloß dazu entschieden habe, schwer erziehbare Jungs unterrichten zu wollen.“

„Mach dir bloß nicht zu viele Gedanken, mein Schatz. Mit echter Zuneigung erreichst du fast jeden.“

„Es geht aber nicht nur um Zuneigung, Dad. Ich muss sie unterrichten. Was, wenn sie sich querstellen?“

„Wenn du sie liebst, werden sie dir auch vertrauen. Liebe und Vertrauen kommen immer an erster Stelle. Dann wirst du sie auch unterrichten können, das verspreche ich dir.“

Gary Seton fiel ihr jetzt wieder ein. Vielleicht hatte er keine „Vision“, was immer Elijah auch damit gemeint hatte, aber sie war davon überzeugt, dass er die Schüler besser würde disziplinieren können als sie. „Ich bin mir nicht sicher, warum sie gerade mich eingestellt haben“, murmelte sie.

„Wahrscheinlich haben sie in dir das Gleiche gesehen, was deine Mutter und ich in dir sehen.“

„Und das wäre …?“

„Dass du immer alles schaffst.“

Tränen traten ihr jetzt in die Augen. Wenn sie müde war, ließ sie sich immer schnell von ihren Gefühlen überwältigen. Aber sie erlebte gerade einen gewissen Kulturschock, und sie vermisste ihre Familie unglaublich. „Vielleicht war meine Entscheidung, hierherzugehen, doch ein bisschen übereilt, Daddy.“

„Es ist doch nur für ein Jahr, Schatz. Tu einfach dein Bestes. Mehr kann keiner von dir verlangen. Besuche uns aber, sobald du Zeit hast.“

Sie wischte sich nun über die Wangen und sagte ihm, dass sie ihn liebte. Aber nachdem sie die Verbindung unterbrochen hatte, fühlte sie sich noch schlechter. Denn sie hatte gute Eltern. Das Gespräch mit ihrem Vater hatte es gerade wieder bewiesen. Warum also wollte sie diese, mit dem was sie vorhatte, verraten?

Als Cora am nächsten Morgen aufwachte, ging es ihr aber schon viel besser. Den Vormittag verbrachte sie damit, die restlichen Umzugskartons auszupacken. Anschließend fuhr sie in die Stadt, um sich ein wenig umzusehen und einige Lebensmittel einzukaufen. Auf dem Weg wurde sie plötzlich von Elijah überholt. Mit drei Jungen von New Horizons machte er gerade einen Ausritt – er saß auf einem Pferd, und drei Jungen begleiteten ihn. Er machte eine wirklich ausgezeichnete Figur im Sattel. Sie bogen gerade in einen Waldweg ein. Cora bremste und beobachtete das Quartett dabei, wie es auf einer nahe gelegenen Wiese absaß und Vorbereitungen für ein Picknick traf. Sie beschloss spontan, die unbeschwerte Szene zu fotografieren. Dafür schraubte sie das Teleobjektiv auf die Kamera, die ihre Eltern ihr zu Weihnachten geschenkt hatten, näherte sich unbemerkt dem Picknickplatz und drückte ein paar Mal auf den Auslöser. Bei einem Schnappschuss erwischte sie sogar einen lachenden Elijah. Sie hatte ihn noch nie zuvor lächeln gesehen. Aber jetzt schien er ganz in seinem Element zu sein; er alberte und scherzte ausgelassen mit den Jungen, um die er sich wirklich liebevoll zu kümmern schien.

Anschließend schlich sie sich zu ihrem Wagen zurück und versuchte, das schlechte Gewissen zu ignorieren. Immerhin hatte sie ihrem Vorgesetzten – und das war Elijah doch, oder? – in gewisser Weise nachspioniert und ihn sogar mit seinen Schülern fotografiert, ohne dass sie etwas davon geahnt hatten. Jedenfalls hatte sie bei dieser Gelegenheit erkannt, wie gut Elijah mit den Jungen umzugehen verstand und wie sehr sie ihn mochten und ihm vertrauten.

In der Stadt schlenderte Cora jetzt ziellos durch die Straßen und machte noch weitere Aufnahmen. Es gefiel ihr, die neue Umgebung zu erkunden, und sie nahm sich fest vor, einige der Bilder ihren Eltern und ihren Freunden zu schicken. Die Fotos von Elijah und den drei Jungen lud sie allerdings auf ihren Computer, als sie am Abend nach Hause kam. Eine Stunde lang experimentierte sie mit unterschiedlichen Filtern und anderen bildgestalterischen Tricks und Techniken herum. Auf ihrem Lieblingsfoto mit dem lächelnden Elijah fiel das Licht auf geradezu perfekte Weise durch das Geäst der Bäume.

Mit dieser Aufnahme könnte sie einen Preis gewinnen …

„Es lebe der Häuptling von New Horizons“, murmelte sie, ehe sie den Computer herunterfuhr, das Licht ausknipste und ins Bett ging.

Als ihre erste Woche in New Horizons zu Ende ging, freute sich Cora schon regelrecht auf den Unterrichtsbeginn am Montag. Sie hatte schon fast alle Schüler kennengelernt und war gespannt auf die Teilnehmer ihres Unterrichts. Bis auf Sprachnachrichten und Telefonate mit ihren Freunden und ihrem Bruder, der ihr versprochen hatte, sie so bald wie möglich zu besuchen, hatte sie seit ihrer Ankunft praktisch keine sozialen Kontakte knüpfen können. Sie hoffte, dass ihre Arbeit diese Lücke füllen würde. Doug Maggleby, der Mathematiklehrer, der im Haus gegenüber von Sean Travers wohnte, verwickelte sie jedes Mal, wenn er ihr begegnete, in ein Gespräch. Irgendwann versuchte sie, ihm aus dem Weg zu gehen, denn in seiner Gegenwart fühlte sie sich irgendwie seltsam unbehaglich.

Elijah hatte sie allerdings kaum gesehen, seit sie die Fotos von ihm und den Jungen auf ihren Pferden gemacht hatte. Obwohl sie es eigentlich gar nicht wollte, hielt sie jedes Mal nach ihm Ausschau, wenn sie über das Schulgelände lief. Manchmal sah sie ihn dann von Weitem und konnte nicht anders, als ihn zu bewundern. Er war offenbar sehr damit beschäftigt, die Ranch für das neue Schuljahr auf Vordermann zu bringen. Dabei blieb ihm wahrscheinlich gar keine Zeit, auch nur einen Gedanken an sie zu verschwenden.

Auch Aiyana hatte sie schon lange nicht mehr gesehen, da Bette May für die Beschaffung von Coras Unterrichtsmaterialien zuständig war. Erst als sie am Freitagnachmittag in der Cafeteria saß und an einem Schokoladenkeks knabberte, während sie das Informationsmaterial studierte, das Elijah ihr gegeben hatte, kam ihre leibliche Mutter plötzlich herein und setzte sich an Coras Tisch.

„Hallo.“ Fast ein wenig nervös klappte Cora die Broschüre zu, als ihr „Boss“ neben ihr Platz nahm.

„Wie geht es Ihnen denn so, meine Liebe?“, erkundigte sich Aiyana.

„Gut.“ Sie räusperte sich. „Großartig.“

„Das höre ich doch gerne. Ich freue mich, dass ich Sie hier treffe, denn um diese Zeit habe ich immer wahnsinnig viel um die Ohren. Es tut mir leid, dass ich mich nicht so richtig um Sie kümmern konnte. Haben Sie die Materialien schon bekommen, um die Sie gebeten haben?“

„Noch nicht. Aber ich habe erfahren, dass sie bereits bestellt wurden. Sie müssten also bald hier sein. Vielen Dank, dass Sie den Kauf bewilligt haben.“

Sie nahm einen Schluck Kaffee. „Sie kennen meine Einstellung zur Kunst. Was dieses Fach angeht, bin ich überhaupt nicht knauserig.“

„Ihre Einstellung ist sehr erfrischend. Ich bin es nämlich nicht gewohnt, dass man der Kunst einen so hohen Stellenwert einräumt.“

„Wenn man sich mit den Alltäglichkeiten eines Schulbetriebs herumschlagen muss, geraten die wirklich wichtigen Dinge manchmal leider in den Hintergrund. Glücklicherweise haben wir zurzeit ein paar großzügige Spender, die uns die notwendige Unterstützung bereitstellen.“ Sie zwinkerte Cora zu. „Es ist schon ein Unterschied, wenn wir eine ordentliche Anzahl von Schülern haben, die von reichen – und manchmal auch berühmten – Eltern geschickt werden.“

„Entsteht da nicht ein großes soziales Gefälle zwischen den Schülern? Ich meine … Sie haben erwähnt, dass Sie auch Waisen aufnehmen, die niemanden haben, der sie unterstützt.“

„Wir haben bei uns ein paar der reichsten und ein paar der ärmsten Schüler dieses Bundesstaats. Aber wir machen allen von Anfang an klar, dass jeder hier auf der Ranch gleich behandelt wird und somit auch die gleichen Rechte und Pflichten hat. Niemand wird bevorzugt, niemand darf gegen die Regeln verstoßen – egal, wer die Eltern sind.“

„Und daran halten sich tatsächlich alle? Auch die Schüler aus reichem Elternhaus?“

„Einige Schüler habe ich aufgrund dieser Regeln leider im Laufe der Jahre verloren“, gestand sie. „Wenn die Eltern ihre Kinder bei uns anmelden, stimmen sie zunächst einmal zu, aber sie ändern ihre Meinung schnell, wenn sie der Ansicht sind, dass ihr Kind eine Sonderbehandlung braucht.“ Sie schob sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. „Doch ich gebe trotzdem nicht klein bei. Es ist eine Sache der Konsequenz und der Integrität, und wenn die Eltern hinter mir stehen, fügt sich ihr Sohn in der Regel auch und lernt seine Lektionen, von denen sie hoffen, dass wir sie ihm beibringen.“

Cora biss wieder ein Stück von ihrem Keks ab. „Wie macht sich das denn in dem sozialen Gefüge der Kinder bemerkbar?“

„Kommt ganz drauf an. Wir achten sehr darauf, dass kein Kind eingeschüchtert wird. Die meisten merken schnell, dass hier ein paar strengere Regeln herrschen als woanders, aber wenn sie erst einmal sehen, dass alle gleichermaßen fair behandelt werden, akzeptieren sie diese Regeln normalerweise schnell. Ich glaube, dass wir uns gar nicht so sehr von anderen Schulen unterscheiden. Die haben nämlich auch alle disziplinarische Probleme mit ihren Schülern.“

„Aber bei Ihnen landen immerhin die Fälle, mit denen die anderen Schulen nicht zurechtkommen. Haben Sie deshalb am Anfang keine Bedenken gehabt?“

„Also, ich möchte nicht noch einmal von vorn anfangen, das kann ich Ihnen versichern“, antwortete sie mit einem freudlosen Lachen. „Inzwischen ist es natürlich einfacher geworden. Der Laden läuft, und ich habe mir in all den Jahren ein gesundes Selbstbewusstsein erarbeitet. Trotzdem könnte ich das alles nicht ohne die öffentliche Unterstützung bewältigen, die ich bekommen habe – ganz zu schweigen von den engagierten Lehrern und Elijah, der einen sehr guten Draht zu den Jungs hat. Selbst wenn ich dem einen oder anderen einmal kein Benehmen beibringen kann – er schafft es.“

Cora stellte sich Aiyanas Sohn erneut auf dem Rücken des Pferdes vor. „Elijah ist also Ihre Geheimwaffe.“

„Absolut.“

Sie betrachtete aufmerksam Aiyanas Gesicht. Ihre Mutter war immer noch hübsch – trotz der Falten, die sich allmählich um ihre Augen und den Mund zeigten, und trotz der grauen Haarsträhnen. „Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich Sie frage …“

„Sie können mich gerne alles fragen“, unterbrach Aiyana sie.

„Wo kommen Sie ursprünglich her?“

Diese Frage schien sie zu überraschen. Aber sie fing sich rasch. „Meine Mutter ist aus Nicaragua eingewandert, mein Vater war ein weißer Farmarbeiter aus dem Central Valley.“

„Leben sie noch?“

„Ja. Aber meine Mutter ist nicht mehr mit meinem Vater zusammen. Er war leider ziemlich gewalttätig; deshalb habe ich auch keinen Kontakt mehr zu ihm. Seit Jahren ist sie nun mit dem Farmer zusammen, für den sie beide gearbeitet haben. Mit ihm ist sie viel glücklicher. Was ist mit Ihnen? Aus welchem Land kommen Sie?“

Cora glaubte, dass es zu viel Zufall wäre, wenn sie ihr erzählte, dass sie ebenfalls teilweise Nicaraguanerin war. Aber es war gut zu wissen – denn es füllte eine der vielen Leerstellen ihres Lebens. Aiyana hatte gesagt, ihr Vater sei ein Weißer gewesen. Ihrer Haut nach zu urteilen, vermutete Cora, dass auch ihr Vater Weißer gewesen sein musste. „Ich bin wohl ein sogenanntes Mischlingskind.“

„Und Ihre Eltern? Wo sind die momentan?“

„In Los Angeles. Mein Vater ist Makler, und meine Mutter ist eine Art … Dame der Gesellschaft.“

Sie lächelte. „Haben Sie auch Geschwister?“

„Einen älteren Bruder. Er arbeitet als Filmproduzent in Los Angeles. Und wie sieht es bei Ihnen aus?“

„Ich habe einen älteren und zwei jüngere Brüder. Die jüngeren sehe ich aber leider nicht sehr oft.“ Das stimmte sie anscheinend sichtlich traurig.

„Wohnen sie nicht in der Nähe?“

„Sie sind über ganz Kalifornien verstreut. Einer ist Winzer in Napa, der andere Banker in San Francisco. Der älteste betreibt die Farm für meine Mom und meinen Stiefvater in Los Banos, wo ich aufgewachsen bin.“

„Sind sie alle verheiratet?“

„Ja. Und sie haben alle Kinder. Was ist mit Ihrem Bruder?“

Cora beantwortete die Frage, obwohl sie zu gern nachgehakt hätte, warum Aiyana nie geheiratet hatte. „Er ist noch auf dem Markt.“

„Klingt ganz nach meinen Söhnen.“

„Sind sie alle noch ledig und wohnen in der Nähe? Außer Eli natürlich, meine ich.“

„Gavin, mein zweitältester, hat in der Stadt ein Haus, aber er arbeitet hier. Er ist Handwerker; er kann wirklich alles reparieren.“

„Wie alt ist er denn?“

„Achtundzwanzig. Ich habe ihn drei Jahre nach Elijah adoptiert. Dallas ist fünfundzwanzig und Bergsteiger. In der Regel ist er irgendwo in der Weltgeschichte unterwegs. Ich sehe ihn deshalb leider nicht sehr häufig.“ Auch das schien sie zu bekümmern. „Seth ist dreiundzwanzig. Er hat gerade sein Studium in Berkeley beendet und möchte Bildhauer werden. Das ist auch einer der Gründe, warum ich Kunst so sehr mag. Ich weiß nicht, was ich mit ihm getan hätte, wenn ich ihm nicht so viel auf seinem Weg hätte helfen können.“

„Hatte er … Probleme?“

„Meistens unkontrollierte Wutanfälle. Offenbar suche ich gezielt die am meisten geschädigten Jungs aus. Ich versuche immer, ihnen zu helfen.“

Schaffte sie es denn auch immer? Oder waren einige ihrer Söhne zu sehr geschädigt? „Elijah, Gavin, Dallas und Seth … das sind vier Söhne. Ich habe gehört, Sie haben acht. Was ist mit den anderen?“

„Ryan und Taylor sind Zwillinge. Nun, sie sind nicht wirklich verwandt, aber ich nenne sie die Zwillinge, weil sie gleich alt sind und immer alles gemeinsam machen, seit sie auf der Ranch gewesen sind. Sie besuchen noch das College. Ryan möchte gern Astronom werden, und Taylor strebt eine Karriere als Physiker an. Sie sind beide viel zu intelligent“, meinte sie. „Ich habe das Gefühl, seit sie studieren, sind sie noch klüger geworden.“

„Na ja, dafür studiert man ja schließlich“, entgegnete Cora schmunzelnd. „Auf welche Uni gehen sie denn?“

„Aufs MIT. Dann sind da noch Liam und Bentley, die hier studieren. Liam ist schon ziemlich fortgeschritten; Bentley noch ganz am Anfang.“

Cora wischte sich einige Kekskrümel von ihrer Jeans. „Denken Sie manchmal daran, noch mehr Kinder zu adoptieren?“

„Ich sage mir immer, dass ich jetzt aufhören muss.“ Sie schob ihren leeren Kaffeebecher beiseite. „Aber alle paar Jahre lerne ich dann doch wieder einen Jungen kennen, den ich unbedingt mit zu mir nach Hause nehmen möchte.“

„Also vielleicht … doch?“

„Schon möglich. Es kommt ganz auf die Umstände an.“

„Wollten Sie schon immer eine große Familie haben?“ Kaum hatte Cora diese Frage gestellt, hielt sie den Atem an. Die Antwort darauf gab ihr möglicherweise einen Hinweis, warum Aiyana sie nicht gewollt hatte. Aber Aiyanas Gesicht nahm sofort eine abweisende Miene an, und sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe eigentlich niemals daran gedacht, Kinder zu haben.“

Zu gern hätte Cora sie nach dem Grund dafür gefragt. Aber Aiyanas Stimmung hatte sich so plötzlich verändert, dass sie lieber darauf verzichtete.

„Ich muss jetzt gehen.“ Im Aufstehen griff sie nach ihrem leeren Kaffeebecher. „Es war schön, mit Ihnen zu reden, aber ich habe noch viel zu erledigen für die Pizzaparty heute Abend. Sie kommen doch auch, oder? Es ist hier schon eine Tradition geworden, dass sich alle Lehrer am letzten Freitag vor Schulbeginn treffen.“

„Und was ist mit den Schülern?“

„Die bleiben auf ihren Zimmern. Die ‚Flurwachen‘ passen auf sie auf. Also kommen Sie doch auch. Dann lernen Sie auch die anderen Lehrer besser kennen.“

Eigentlich hatte Cora sich auf einen ruhigen Abend gefreut, aber sie konnte Aiyanas Angebot nicht ablehnen, zumal sie auf diese Weise auch Gelegenheit hätte, ihre leibliche Mutter noch besser kennenzulernen. „Gerne“, sagte sie deshalb und fragte sich, ob Elijah auch kommen würde. Prompt rief sie sich zur Ordnung. Du kennst ihn doch kaum, sagte sie sich. Außerdem hatte er ihr doch wohl deutlich zu verstehen gegeben, dass er nicht an ihr interessiert war …

4. KAPITEL

Natürlich war er da. Cora entdeckte Elijah in der Sekunde, als sie die Pizzeria betrat – und bekam prompt ein schlechtes Gewissen, weil sie sich so darüber freute. Ihre Blicke begegneten sich, und sie lächelte ihm zu. Er erwiderte das Lächeln zwar nicht, aber sie hatte das Gefühl, dass er sie trotzdem nicht aus den Augen ließ.

Cora ihrerseits beobachtete Aiyana die ganze Zeit. Sie hoffte auf eine Gelegenheit, erneut mit ihrer Mutter sprechen zu können. Sie wusste nun zumindest schon, dass sie Großeltern hatte, die noch lebten, und mehrere Onkel. Aber Cora wollte noch mehr erfahren. Im Moment unterhielt sich Aiyana jedoch mit anderen Kollegen. Das ging den ganzen Abend über so, sodass Cora keine Gelegenheit zu einem weiteren Gespräch bekam, zumal Aiyana das Restaurant sofort verließ, nachdem alle ihre Pizza gegessen hatten – und noch ehe das Karaoke begann.

„Gehen Sie auch schon?“, fragte Cora ihre Nachbarin, nachdem auch andere Gruppen Anstalten machten, die Zusammenkunft zu verlassen. Darci Spinoza, die Englischlehrerin, schüttelte den Kopf. „Nein. Sie haben doch angekündigt, dass Sie singen werden. Das will ich auf keinen Fall verpassen.“

„Ich auch nicht“, versicherte ihr Doug Maggleby. Cora lächelte gequält. Der Mathematiklehrer hatte offensichtlich schon ein wenig zu tief ins Glas geschaut und war ihr im Laufe des Abends wesentlich nähergekommen, als ihr lieb war. Elijah hingegen hatte noch kein Wort mit ihr gewechselt. Er unterhielt sich die ganze Zeit angeregt mit einem jüngeren Mann, den Cora für Gavin, den Hausmeister, hielt.

Als das Karaoke endlich begann, eilte Cora erleichtert auf die Bühne und sang „Jolene“, was die anderen Gäste mit Begeisterung quittierten. Eine Gruppe von vier Männern, die gar nicht zur Lehrerschaft gehörten, lud sie daraufhin sogar zu einem Drink ein.

„Die fahren voll auf Sie ab“, stellte Doug fest. „Aber wer würde das nicht tun – bei einer so tollen Frau, wie Sie es sind?“ Er lallte ein bisschen.

Cora verzog das Gesicht, aber Darci kam zu ihrer Rettung herbei. „Ich denke, es ist langsam Zeit für Doug, ins Bett zu gehen“, meinte sie. „In diesem Zustand kann er allerdings nicht mehr fahren.“

„Sollen wir ihm ein Taxi rufen?“

Darci lachte. „Nicht in dieser kleinen Stadt. Ich bringe ihn nach Hause – wenn Sie das nicht möchten“, fügte sie leiser hinzu.

Das konnte Cora von ihrer neuen Freundin nicht verlangen, denn diese wohnte im Stadtzentrum und würde deshalb einen großen Umweg fahren müssen.

„Nein, nein, ich kümmere mich schon um ihn“, erwiderte sie daher. „Helfen Sie mir nur, ihn zu meinem Wagen zu bringen.“

Sie mussten Doug nicht lange überreden zu gehen, besonders als er erfuhr, dass Cora ihn nach Hause bringen würde. Doch gerade als sie versuchten, ihn auf den Beifahrersitz ihres Autos zu verfrachten, verließ Elijah mit dem Mann, den sie für Gavin hielt, das Lokal. Er erkannte sofort, was los war, und eilte auf Cora zu. „Lassen Sie nur, ich kümmere mich schon um ihn.“ Er legte den Arm um den Mathematiklehrer und führte ihn zu seinem Wagen.

Cora konnte ihre Erleichterung nicht verbergen. „Sind Sie sicher?“

„Warum soll ich mit dir fahren, wenn ich mit ihr fahren kann?“, protestierte Doug nun wütend.

„Weil ich dir keine Wahl lasse“, antwortete Elijah, und damit war die Diskussion beendet. Der andere Mann kam Elijah zu Hilfe, und kurz darauf fuhren sie gemeinsam davon.

„Gott sei Dank.“ Erleichtert atmete Cora aus.

Darci lächelte. „Tja, Eli ist ein richtiger Kavalier. Er weiß immer, was zu tun ist.“

„Das war aber jetzt eher Zufall“, meinte Cora. „Er hat uns schließlich den ganzen Abend über nicht beachtet.“

„Das soll wohl ein Witz sein. Er hat Sie die ganze Zeit über beobachtet. Jedes Mal, wenn ich in seine Richtung geschaut habe, hat er Sie angeblickt. Ich kenne ihn jetzt schon seit über einem Jahr, aber so habe ich ihn noch nie erlebt. Wahrscheinlich war er sogar ein bisschen eifersüchtig auf Doug“, fügte sie grinsend hinzu.

„Ich weiß nicht“, antwortete Cora gedehnt. „Er wollte mir bestimmt einfach nur helfen. Nichts weiter.“

„Wenn Sie meinen.“ Ihre Stimme verriet jedoch, dass sie nicht davon überzeugt war. Sie ließ es jedoch dabei bewenden. „Es war wirklich schön, den Abend mit Ihnen zu verbringen, und ich bin richtig froh, dass Sie hierhergekommen sind. Seit der Scheidung und meinem Umzug hatte ich nämlich noch nicht viele Gelegenheiten, neue Freunde zu finden.“

„Ich wäre gerne Ihre Freundin.“

Darci strahlte. „Wollen wir dann nicht Du sagen?“

„Gern.“

Darci nahm Cora in die Arme. „Es war ein sehr schöner Abend – trotz Doug“, fügte sie mit einem Schmunzeln hinzu. „Ich freue mich schon auf unser nächstes Treffen.“

„Ich auch“, entgegnete Cora.

Auf der Rückfahrt musste sie ständig daran denken, was ihre neue Freundin über Elijah gesagt hatte, und sie stellte fest, dass es ihr gefiel.

Cora schloss gerade die Haustür auf, als Elijah aus Doug Magglebys Haus trat.

„Danke, dass Sie meinen Nachbarn für mich ins Bett gebracht haben“, sagte sie, als er näher kam.

„Keine Ursache.“

Sie schob sich eine lange braune Haarsträhne hinter das Ohr. „Sie haben mir jedenfalls einen großen Gefallen damit getan.“

„Ich habe Doug einen großen Gefallen getan“, konterte er.

Sie konnte sich die Frage einfach nicht verkneifen: „Sie haben es also nicht für mich getan?“

Elijah zögerte kurz. „Nein.“

„Das glaube ich Ihnen nicht.“

Wie bitte?“

„Sie tun immer so, als seien Sie nicht an mir interessiert, aber …“

Diese neue Frau ist wirklich unvorhersehbar, dachte Elijah. Sie hielt sich nicht an die Regeln – jedenfalls nicht an die, die er gewohnt war. Das Problem dabei war allerdings – sie hatte durchaus recht. Er war an ihr interessiert. Aber davon durfte er sich nicht beeinflussen lassen. „Wie kommen Sie denn darauf?“

„So, wie Sie mich den ganzen Abend über angesehen haben …“

Verdammt! Sie hatte es also doch bemerkt. Er konnte ja nicht ahnen, dass ihre neue Freundin Darci sie darauf hingewiesen hatte.

„Sie haben mir doch selbst gesagt, dass Sie einen Freund haben“, konterte er daraufhin, „als ich Ihnen mit den Umzugskisten geholfen habe.“

„Ja, ich weiß …“

„Und was ist nun? Was ist denn mit Ihrem Freund?“

Trotzig hob sie das Kinn. „Ich habe vor mehr als einem Monat mit ihm Schluss gemacht.“

„Sie haben mich also belogen?“

Sie gab immer noch nicht klein bei. „Wie man’s nimmt …“

„Und warum?“

Ihre Selbstsicherheit schien nun ins Wanken zu geraten. „Ich … ich weiß es nicht. Es ergibt eigentlich gar keinen Sinn. Ich … ich habe etwas gefühlt, was ich nicht fühlen wollte. Da bin ich eben in Panik geraten.“

Ihre Aufrichtigkeit überraschte ihn so sehr, dass ihm kurzzeitig die Worte fehlten. Er wollte unbedingt versuchen, das dünne Eis, auf dem sie sich gerade bewegten, zu verlassen. „Ich bin Ihr Chef, Cora.“

„Das hält Sie also zurück? Berufliche Integrität?“

„Das auch. Aber diese Schule und die Jungen bedeuten mir sehr viel.“

„Das eine schließt das andere doch nicht aus.“

„Ich habe Sie eingestellt, weil Sie meiner Meinung nach die beste Lehrerin für diese Arbeit sind.“ Er hatte gehofft, die Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte, ignorieren zu können, aber er hätte nie damit gerechnet, dass sie ihn so unverblümt darauf ansprechen würde. „Ich bin mir sicher, dass meine Mutter nicht froh wäre, wenn ich ihrer neuen Kunstlehrerin einen Grund zur Kündigung geben würde.“

„Sind Sie sicher, dass es so weit kommen würde, wenn Sie mit mir ausgehen würden?“

„Ich weiß, wie weit ich gehen kann“, wich er ihrer Frage aus. „Ich hatte nämlich schon einige Beziehungen.“

„Und alle mit katastrophalem Ende?“

„Sagen wir mal so …“ Er lächelte gequält. „Meine Erfolgsquote bei Frauen ist recht übersichtlich.“

„Das tut mir leid.“

„Das braucht es nicht“, erwiderte Eli. Sein Psychotherapeut hatte ihm geraten, sich zu öffnen und die unsichtbare Mauer, die er nach den schrecklichen Erfahrungen um sich herum hochgezogen hatte, endlich niederzureißen, und diese Frau schien entschlossen zu sein, ihn dabei zu unterstützen. Der Duft ihres Parfüms stieg ihm in die Nase. Er mochte ihn – ebenso wie ihre seidenweiche Haut. Der Wunsch, sie zu berühren, wurde immer stärker.

„Haben Sie denn Angst vor körperlicher Intimität? Wo genau liegen Ihre Grenzen? Wollen Sie sagen, dass Sie keinen Sex haben können?“

„Sie sind ganz schön neugierig, wissen Sie das?“

„Sagen wir mal so: Ich bin wissensdurstig. Als Lehrer sollte man immer auf dem neuesten Informationsstand sein. Das sehen Sie doch bestimmt genauso.“

Wollte sie ihn provozieren? Oder glaubte sie tatsächlich, er sei unfähig zu körperlicher Liebe? Das musste er sofort klarstellen: „Mein Körper funktioniert einwandfrei. Ich fürchte nur, ich bin nicht in der Lage, Ihnen das Gefühl zu geben, geliebt und wertgeschätzt zu werden. Ja, ich glaube, das ist das richtige Wort.“

„Also würde ich nur verletzt werden, wenn ich mich mit Ihnen einlassen würde?“

„Ja. Denn sie würden sich mit einer Auster einlassen.“

Trotz allem musste sie jetzt lachen. „Sie glauben also, Sie tun mir einen Gefallen, wenn Sie sich von mir fernhalten?“

„Im Großen und Ganzen … ja.“

„Da setzen Sie aber eine Menge voraus, Mr. Turner. Zunächst einmal – woher wollen Sie denn überhaupt wissen, dass ich Sie in mich verliebt machen möchte?“

„Erfahrung“, konterte er trocken. „Ich muss erst noch das Gegenteil kennenlernen.“

„Sind Sie tatsächlich so gefragt, dass Sie sich diese Arroganz leisten können?“

„Misserfolge machen mich nicht arrogant. Sie warnen mich jedoch davor, immer und immer wieder gegen die gleiche Mauer zu rennen.“

„Ich verstehe. Nun, um mich brauchen Sie sich nicht zu kümmern. Ich bin schon ein großes Mädchen.“

„Was Sie natürlich nur so lange behaupten werden, bis unsere Beziehung scheitert. Dann kündigen Sie und gehen zurück nach Los Angeles.“

Sie verdrehte die Augen. „Ich bleibe doch sowieso nur ein Jahr. Egal, was passiert – ich werde nicht kündigen.“

War sie wirklich so tough, wie sie tat? Plötzlich schöpfte er wieder Hoffnung. Er stellte sie sich bereits in seinem Bett vor … sie lag auf dem Rücken, bereit für ihn … „Dann müssen Sie wohl eine Entscheidung treffen.“

„Was denn für eine Entscheidung?“

„Sind Sie bereit für eine rein körperliche Beziehung? Wenn dem so sein sollte, dann wäre ich glücklich, Ihre Erwartungen zu erfüllen. Denn ich bin überzeugt davon, Sie diesbezüglich zufriedenstellen zu können.“

Sie musterte ihn durchdringend. „Ist das alles, was Sie interessiert?“

„Ja. Tut mir leid.“ Er würde nicht noch einmal den gleichen Fehler machen. Aber warum entschuldigte er sich eigentlich? Sie klang doch beinahe … erleichtert, fand er.

Sie nickte langsam. „Gut. Ich werde es mir überlegen. Wir sollten uns vielleicht ein paar Wochen Zeit lassen. Mal sehen, wie wir uns dann fühlen.“

Wochen? Muss es wirklich so lange dauern? Ich habe mich nämlich schon entschieden.“

Sie schien plötzlich verunsichert zu sein. „Da ist noch etwas, das ich Ihnen erzählen sollte …“

„Und das wäre?“

Sie nagte an ihrer Unterlippe. „Ich hatte noch nie eine Beziehung, die nur aufs Körperliche beschränkt war.“

Sein Blick wanderte von ihren Lippen zu ihren Augen. „Nicht einmal einen One-Night-Stand?“

„Nein.“

Wie bitte? Sie kommen doch aus Los Angeles.“

Sie wollte gerade schon empört antworten, als sie sein Schmunzeln bemerkte. „Hören Sie doch auf mit solchen Klischees“, antwortete sie. „Oder ich erzähle Ihnen im Gegenzug etwas von den Farmerjungen, die sich nachts im Ziegenstall rumtreiben.“

Schlagfertig war sie, das musste er anerkennen. Offenbar hatte er sie die ganze Zeit unterschätzt, und er fühlte sich auf einmal immer stärker zu ihr hingezogen. „Können Sie mir denn wenigstens verraten, wie groß meine Chancen sind?“ Er beugte sich ein wenig näher zu ihr.

„Da ich diejenige bin, die den ersten Schritt gemacht hat, würde ich sagen, dass sie gar nicht so schlecht sind.“

„Und warum haben Sie den ersten Schritt gemacht?“, wollte er wissen.

„Hm …“ Sie schaute ihm in die Augen. „Sie haben so etwas …“

Am liebsten hätte er sofort seinen ganzen Charme und seine Verführungskünste aufgefahren, um sie in sein Bett zu locken, aber er wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen. Nachher bereute sie das Arrangement, das er vorgeschlagen hatte, noch, und das wollte er auf keinen Fall.

Stattdessen nahm er ihre Hand und drückte sie sanft gegen seine Brust, sodass sie seinen Herzschlag spüren konnte. Langsam fuhr sie mit der Hand über seinen muskulösen Oberkörper, und sein Glied wurde augenblicklich steinhart. Er beugte sich noch näher zu ihr, doch sie wich ihm geschickt aus.

„Wie ich schon sagte – ich werde zuerst darüber nachdenken.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und ließ ihn stehen.

Die Enttäuschung traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Ein paar Sekunden lang bewegte er sich nicht vom Fleck und versuchte, seine Niederlage zu akzeptieren. „Warten Sie!“, rief er ihr dann hinterher.

Sie drehte sich um, kam aber nicht zu ihm zurück. Also ging er mit ausgestreckter Hand auf sie zu. „Wo ist Ihr Handy?“

Sie zog es aus der Tasche und reichte es ihm. Er tippte daraufhin seine Nummer in ihr Telefon und gab es ihr zurück. „Falls die Antwort Ja ist. Vielleicht brauchen Sie ja gar nicht so lange, wie Sie glauben.“

Fast eine Stunde lang betrachtete Cora die Nummer, die Elijah ihr gegeben hatte. Dann schaute sie erneut auf das Bild, das sie beim Ausritt von ihm gemacht hatte. Sie liebte dieses Foto.

Vielleicht fühlte sie sich auch nur zu ihm hingezogen, weil sie so einsam war, versuchte sie sich einzureden. In ihrem Leben hatte es immerhin gerade einige gewaltige Einschnitte gegeben – Trennung, Umzug, Neubeginn. Vielleicht sollte sie sich lieber ganz und gar auf ihren neuen Beruf konzentrieren – und Aiyana besser kennenlernen. Außerdem konnte sie mit Elijah nichts anfangen, ohne ihm vorher zu erzählen, dass sie Aiyanas leibliche Tochter war. Aber so weit war sie noch nicht. Eigentlich hatte er ihr ja die ideale Lösung vorgeschlagen: die Befriedigung ihrer körperlichen Bedürfnisse ohne irgendwelche Erwartungen.

Da sie nicht schlafen konnte, beschloss sie kurzerhand, einen Spaziergang zum See zu machen. Von dort aus schlenderte sie anschließend zum Stall hinüber und öffnete das Tor. Vielleicht fühlte sie sich ja in Gesellschaft der Pferde nicht mehr so allein.

„Na, großer Junge, wie geht es dir denn?“ Zärtlich tätschelte sie Elijahs großem Pferd die Nüstern. „Kannst du auch nicht schlafen?“

„Alles in Ordnung bei Ihnen?“

Beim Klang von Elijahs Stimme fuhr Cora erschrocken herum. Durch die offene Stalltür sah sie nun eine dunkle Gestalt auf dem Zaun zum Lama-Gehege sitzen.

Sie hielt sich die Hand an das wild klopfende Herz. „Wie lange sind Sie schon hier?“

„Länger als Sie.“

„Sie haben mich also gesehen und nichts gesagt?“

„Ich habe daran gedacht.“

„Da haben Sie aber lange für eine Entscheidung gebraucht.“

„Ich war mir nicht sicher, ob Sie nicht vielleicht ungestört sein wollen.“

Offenbar hatte das Schicksal geplant, dass sie sich beide heute noch einmal begegneten. Vielleicht hatte sie ja auch im Unterbewusstsein darauf gehofft, als sie ihr Haus verlassen hatte. „Was machen Sie denn hier draußen um diese Zeit?“, wollte sie wissen.

„Das Gleiche wie Sie, nehme ich mal an.“

„Sie können nicht schlafen.“

„Ich muss dauernd an etwas denken.“

„An was denn?“

„An Sie!“

In der Dunkelheit versuchte Cora seinen Gesichtsausdruck zu erkennen. Er war also auch einsam. Obwohl er das vermutlich niemals offen zugeben würde. Vielleicht verhielt er sich auch deshalb immer so distanziert – damit niemand merkte, wie einsam er in Wirklichkeit war.

Sie sah den Schatten seiner Hand, die er auf den Nacken legte, dann bewegte er den Kopf hin und her.

„Sieht ganz so aus, als könnten Sie eine Massage gebrauchen“, sagte sie unvermittelt.

Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann fragte er: „Ist das ein Angebot?“

„Sieht ganz so aus, oder?“

„Auch heute Abend schon – oder muss ich dafür ein paar Wochen warten?“

Sie lachte leise. „Fordern Sie Ihr Glück nicht heraus.“

Sie ahnte sein Lächeln mehr, als dass sie es sehen konnte. „Zu mir – oder zu Ihnen?“

„Zu mir.“ Er sprang vom Zaun und kam näher.

„Gibt es dafür einen besonderen Grund?“

„Ich habe keine Nachbarn.“

„Ich glaube nicht, dass Mr. Maggleby heute auf meine Besucher achtet.“

„Trotzdem ist mein Haus besser geeignet“, beharrte er.

Cora holte tief Luft. Sie hatte sich soeben bereit erklärt, die Nacht mit ihm zu verbringen. Jetzt konnte sie nicht mehr zurück.

Aber das wollte sie eigentlich auch gar nicht, denn ihr Angebot war schließlich nicht nur altruistisch. Seit ihrem ersten Treffen hatte sie sich schon gewünscht, ihn zu berühren.

Jetzt hatte sie endlich die Gelegenheit dazu.

Elijahs Haus lag am äußersten Ende der Ranch. Das kommt ihm bestimmt sehr gelegen, dachte Cora, als er die Tür öffnete und ihr den Vortritt ließ. Sie glaubte allerdings nicht, dass er schon viele Leute in dieses Haus eingeladen hatte – selbst die Schüler nicht, an denen ihm so viel lag. Das war offensichtlich sein Rückzugsort, der ihm Schutz bot, wenn er niemanden sehen wollte. Offenbar stellten andere Menschen die größte Herausforderung in seinem Leben dar.

„Möchten Sie etwas trinken?“, fragte er.

Cora schüttelte den Kopf. „Nein, vielen Dank.“

„Sind Sie sicher? Vielleicht ein Glas Wein?“

„Na gut. Ein Glas.“

Während er eine Flasche entkorkte, schlenderte sie durch sein Wohnzimmer, das äußerst pragmatisch und praktisch eingerichtet war – so praktisch, dass die Wände vollkommen kahl waren. Sie entdeckte nichts Persönliches … nichts, das etwas über ihn verriet. Eine solche Einrichtung hatte sie noch nie zuvor gesehen.

Wusste Elijah vielleicht einfach nicht, wie man ein Haus zu einem Zuhause machte? Oder wollte er selbst hier nichts von sich preisgeben?

„Trinken Sie denn nichts?“, fragte sie, als er ihr ein Glas reichte.

„Nein.“

Wie sollte unter diesen Umständen denn eine entspannte Stimmung aufkommen? „Warum nicht?“

„Es interessiert mich nicht.“ Er wollte ganz offensichtlich keinen Wein, sondern etwas ganz anderes.

„Sie haben mir also nur aus Höflichkeit ein Glas angeboten?“

„Ich dachte, es gefällt Ihnen.“

Offenbar verhielt er sich nach gewissen Regeln, die er glaubte, als Gastgeber einhalten zu müssen, und dazu gehörte nun einmal, ihr etwas anzubieten.

Sie stellte ihr Glas ab und trat auf ihn zu. Sie spürte, dass er sich danach verzehrte, sie zu berühren, aber aus irgendeinem Grund wollte er ihr den ersten Schritt überlassen. Vielleicht wollte er sich aber auch einfach nur vergewissern, dass sie ihr Angebot wirklich ernst meinte und nicht im letzten Moment noch ihre Meinung änderte. Jedenfalls verhielt er sich nun, da sie allein hier im Haus waren, sehr viel vorsichtiger als vorhin an seinem Wagen, wo er sie um ein Haar geküsst hätte.

Seine Vergangenheit verfolgt ihn bis heute, wurde Cora plötzlich bewusst. Sie beeinflusste sogar seinen Sex. Er vertraute anderen Menschen nicht, und ihr vertraute er auch nicht. „Wie lange ist es schon her?“, wollte sie nun wissen.

„Was?“

„Dass du mit einer Frau zusammen warst.“

„Ein Jahr.“

Kein Wunder, dass er sie betrachtete wie ein Wolf, der ein Kaninchen jagt. Ein Jahr war eine lange Zeit für einen Mann seines Alters. Aber in dieser kleinen Stadt gab es vermutlich nicht so viele Möglichkeiten wie in Los Angeles. Jetzt, da eine Möglichkeit zum Greifen nahe war für ihn, betrachtete er sie mit hungrigen Augen. Ohne ein weiteres Wort trat Cora auf ihn zu, legte ihre Hand auf seinen muskulösen Brustkorb und küsste ihn wild auf die Lippen. In diesem Moment war es um ihn geschehen. Es war, als hätte jemand einen Schalter in seinem Körper umgelegt. Er erwiderte ihren Kuss voller Leidenschaft, drückte seine Hand an ihre weiche Brust und spürte die harte Spitze, die sich durch den dünnen Stoff abzeichnete, und innerhalb weniger Sekunden begann er, ihr die Kleider auszuziehen.

Einen Moment lang befürchtete er, zu stürmisch vorgegangen zu sein – vielleicht sogar fast aggressiv, aber sie klammerte sich an ihn wie eine Ertrinkende.

Nein, er war nicht zu grob für sie. Es gefiel ihr ganz offensichtlich. Also ergriff er ihre Hand und führte sie über den Korridor in sein Schlafzimmer. Er nahm sich vor, nichts zu überstürzen, aber ihre Küsse waren so heiß, dass er sein Vorhaben schnell vergaß, zumal sie nun begann, sanft an seinen Brustwarzen zu saugen und zu knabbern. Sie biss ihn sogar – allerdings nicht so fest, dass es geschmerzt hätte.

Er hatte immer noch seine Jeans an, als sie in seinem Bett landeten, und es fühlte sich verdammt gut an, Cora auf seinem nackten Oberkörper zu spüren. Sie setzte sich nun auf und begann, langsam den Reißverschluss seiner Hose zu öffnen. Scharf sog er die Luft ein, als sie seinen harten Schwanz umfasste, und nur Sekunden später waren sie beide vollkommen nackt.

Aber jetzt nahm er sich doch Zeit – um ihre vollen Brüste zu bewundern, die schmalen Hüften und ihre langen Beine. Sie war komplett rasiert – was ihn nicht überraschen sollte, denn schließlich kam sie aus Los Angeles. Es gefiel ihm, wie sie unter ihm lag, ihr Körper vom silbernen Mondlicht beschienen, das durch sein Fenster fiel. Sie war genauso schön und vollkommen, wie er es sich vorgestellt hatte.

Er dachte jetzt an all die Möglichkeiten, die er hatte, um sie zum Höhepunkt zu bringen. Er nahm sich vor, alle auszuprobieren – eine nach der anderen. Sie sollte es nicht bereuen, mit ihm ins Bett gegangen zu sein.

Er begann nun, an ihren Brüsten zu saugen und mit seinen Fingern sanft ihren Bauch zu streicheln. Langsam wanderte er tiefer, bis er zwischen ihren Beinen angelangt war und die Feuchtigkeit spürte, die ihn fast um den Verstand brachte.

Sie schlang die Arme um seinen Rücken und wisperte außer Atem: „Ich bin bereit.“

Jetzt gab es für ihn kein Halten mehr. Er spreizte ihre Beine, legte sich auf sie und drang vorsichtig in ihren Körper ein, den sie ihm willig entgegenbog, um ihn ganz in sich aufnehmen zu können.

Sie war so feucht, dass er an sich halten musste, um nicht sofort zu kommen. „Das fühlt sich so gut an“, murmelte er, während er ihren Hals küsste.

„Du fühlst dich auch gut an“, flüsterte sie. „Offenbar stimmt es, was sich die Leute über Männer mit großen Händen und großen Füßen erzählen.“

Ihre Bemerkung hätte ihn fast zum Lachen gebracht, aber dafür ließ sie ihm keine Zeit, denn jetzt legte sie die Hände auf seinen Hintern und presste ihn noch tiefer in sich hinein.

„Warte“, keuchte er. „Ich will dich nicht enttäuschen.“

Sie knabberte sanft an seiner Unterlippe. „Du enttäuschst mich nicht …“

„Aber es ist bereits ein Jahr her“, erinnerte er sie, „ich weiß deshalb nicht, wie lange ich …“

„Pst“, flüsterte sie. „Hör einfach auf zu denken. Lass es geschehen. Tu es genau so, wie du es tun möchtest.“

Ihre Worte machten ihn rasend vor Leidenschaft. Er schloss die Augen und begann, sich wieder in ihr zu bewegen. Immer schneller, immer tiefer … und mit jedem Stoß spürte er die Erlösung näher kommen … als er sich in ihr ergoss, zitterte er am ganzen Körper.

„Du hast ja eine Gänsehaut“, stellte sie fest, als sie sanft über seinen Arm streichelte. „Es muss wohl gut für dich gewesen sein.“

Autor

Marie Ferrarella

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