1001 Nacht mit meinem Wüstenprinzen

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Scheich Tariq ist fasziniert von der schönen neuen Kinderärztin in seiner Klinik. Doch dann sieht er den kostbaren Anhänger an Lilas Hals: Ist es etwa das Schmuckstück, das ihm einst gestohlen wurde? Sosehr er Lila begehrt, er muss herausfinden, ob sie eine Diebin ist!


  • Erscheinungstag 31.10.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719777
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Ringsum von Fremden umgeben, saß Lila in dem riesigen Jet. Wussten diese Leute alle, wo es hinging, oder war es auch für sie eine Reise ins Unbekannte?

Bei dem Gedanken an das unbekannte Ziel hatte Lila ein flaues Gefühl im Magen. Um sich von ihren Befürchtungen abzulenken, dachte sie an ihre Familie, die vollzählig am Flughafen erschienen war, um sie zu verabschieden.

Ihre Pflegeeltern Hallie und Pop und die ganze Geschwisterschar, mit der sie zusammen aufgewachsen war. Die Liebe dieser beiden wundervollen Menschen hatte sie zu Brüdern und Schwestern gemacht. Mittlerweile gab es sogar Schwager und Schwägerinnen, Nichten und Neffen.

Eine echte Familie.

Das nächste Flugzeug war kleiner, wenn auch luxuriöser ausgestattet. Aber erst als sie auf ihrer schier endlos erscheinenden Reise an Bord der dritten Maschine ging, wurde Lila von wahrem Luxus empfangen. Kein großes Flugzeug, aber mit sesselartigen Sitzen wunderschön gestaltet. Dazu aufmerksame Stewards, die köstliche Häppchen und verführerische Süßigkeiten anboten.

Schließlich beugte sich einer der Stewards zu ihr und zeigte aus dem Fenster. „Wir werden gleich auf dem Karuba Airport landen. Während wir kreisen, können Sie die zerklüfteten Berge, die Wüstendünen und die rosa Flamingos am See erkennen. Sie werden sehen, wie schön unser Land ist, und es wird Sie wie ein Geliebter empfangen.“

Der ernsthafte Ausdruck in den Augen des Mannes, der sein Land offensichtlich sehr liebte, zeigte Lila, dass er keinerlei Flirtabsichten hatte.

Ein Land, das sie wie ein Geliebter empfangen würde?

Wie poetisch!

Riesige Felsbrocken bildeten glatte braune Tafelberge und Pyramiden, dazwischen tiefe, üppig grüne Täler. Oasen? Den Flamingosee sah sie jedoch nicht. Und der Sand war goldbraun, nicht rosa.

Vermutlich nur eine undeutliche Erinnerung.

Weich setzte die Maschine auf der Landebahn auf, wurde langsamer und rollte auf ein schneeweißes Gebäude mit zahlreichen Kuppeln und Türmen zu, deren Spitzen golden in der Sonne glänzten.

Ein Märchenpalast als Flughafen-Terminal?

Die Passagiere verließen das Flugzeug durch einen Tunnel, der in das kühle, klimatisierte Gebäude führte, wo die üblichen Pass- und Zollkontrollen stattfanden.

In der Schlange stehend, musterte Lila ihre Mitreisenden. Manche waren Einheimische, die nach Hause kamen. Die Frauen in Burkas, unter denen gelegentlich hübsche bunte Kleidung sichtbar wurde. Mehrere Männer waren in schwarze, goldbestickte Gewänder gekleidet, andere wiederum trugen maßgeschneiderte Geschäftsanzüge.

Karuba, ein kosmopolitisches Land?

Jetzt kam Lila an die Reihe. Sie reichte dem Mann am Schalter ihren australischen Pass sowie das ausgefüllte Einwanderungsformular und wartete, während der Pass mehrmals sorgfältig kontrolliert wurde. So wie auch sie eine eindringliche Musterung über sich ergehen lassen musste. Der Beamte blickte vom Passbild zu ihrem Gesicht, als hätte sich auf der Reise plötzlich ihr Aussehen verändert.

Dann prüfte er das Formular, das sie vor dem Verlassen des Flugzeugs ausgefüllt hatte. Hinter ihr wurden die Leute allmählich unruhig, und Lila spürte, wie ihre Besorgnis wuchs.

In einem makellosen dunklen Anzug, mit blütenweißem Hemd und roter Krawatte erschien ein zweiter Mann, der sie durch das Schalterfenster hindurch anlächelte.

„Dr. Halliday, wir müssen mit Ihnen sprechen“, sagte er liebenswürdig. „Wenn Sie bitte mitkommen würden?“

„Brauchen Sie Hilfe?“, erkundigte sich ein Passagier hinter ihr.

„Ich glaube nicht. Ich soll hier im Krankenhaus arbeiten. Vielleicht will mich einer der Mitarbeiter abholen“, erwiderte sie. „Trotzdem vielen Dank.“

Lila nahm ihr Bordcase, um dem Mann zu folgen. Dabei ging er innen an der Glaswand entlang und sie außen. Unwillkürlich griff sie nach dem Anhänger an ihrem Hals und spielte damit herum, wie immer, wenn sie unsicher oder nervös war.

Als sie sich an der Tür zu einem langen Gang trafen, sagte er: „Hier entlang. Wir werden Sie nicht lange festhalten.“

Festhalten? Das klang unangenehm nach Gefangenschaft.

Lila wurde in einen kleineren Raum geführt, wo der gut gekleidete Beamte ihr einen Stuhl anbot und dann ihr gegenüber Platz nahm.

„Waren Sie früher schon einmal in unserem Land?“ Seine ausgesuchte Höflichkeit ließ Lila frösteln.

„Nein, noch nie“, antwortete sie. „Ich bin hier, um in der pädiatrischen Abteilung des Krankenhauses zu arbeiten. Das ist mein Fachgebiet.“

Vielleicht hätte sie noch hinzufügen sollen, dass sie glaubte, ihre leiblichen Eltern könnten möglicherweise aus Karuba stammen. Aber zu Hause hatten alle ihr gesagt, dass dies sehr unwahrscheinlich wäre. Der einzige Hinweis darauf, den Lila gesehen hatte, war ein Kästchen, das ihr irgendwie vertraut vorkam. Daher beschloss sie, es lieber nicht zu erwähnen.

Der Mann musterte sie diskret, was ihr Unbehagen noch verstärkte.

„Ich habe die Kontaktdaten des Arztes aus dem Krankenhaus, der mich eingestellt hat“, erklärte sie. „Vielleicht wären Sie so freundlich, ihn anzurufen?“

In ihrer Handtasche suchte sie nach der E-Mail, die sie von dem Mann erhalten hatte und in der ihre Anstellung bestätigt wurde. Als sie das Blatt herausholte, erinnerte sie sich daran, was für eine Ausstrahlung er sogar auf dem Computer-Bildschirm gehabt hatte.

Tariq al Askeba – entweder der Chefarzt des gesamten Krankenhauses oder der Pädiatrie. Das war ihr nicht ganz klar.

Als sie dem Beamten die E-Mail reichte, zog dieser die Brauen zusammen.

„Sie sollen mit Scheich al Askeba zusammenarbeiten?“, fragte er.

„Ja. Und ich möchte mich so schnell wie möglich mit ihm in Verbindung setzen, damit er klären kann, was hier los ist.“

Jetzt wirkte der Mann noch bestürzter. „Er ist ja schon auf dem Weg hierher. Sind Sie vielleicht eine Freundin von ihm?“

„Ich werde seine Mitarbeiterin sein“, entgegnete Lila.

„Dann kann er das sicher klären“, versicherte der Mann.

Doch seine zunehmende Nervosität verstärkte auch Lilas Besorgnis. Glücklicherweise öffnete sich gleich darauf die Tür, und eine hochgewachsene, majestätisch wirkende Gestalt in einem schneeweißen Gewand und einem geflochtenen schwarzen Kopfring, mit dem die ebenso weiße Kopfbedeckung befestigt war, trat ein.

Ein Adler, war Lilas erster Gedanke. Gab es überhaupt weiße Adler?

Die tiefliegenden Augen, die leicht gebogene Nase und der sinnliche Mund, der von einem kurz geschnittenen Bart umrahmt war, zeigten ihr, um wen es sich handelte.

Selbst auf dem verschwommenen Computervideo hatte Scheich al Askeba eine unglaubliche Ausstrahlung gehabt. Aber mit allen Zeichen seiner königlichen Würde ausgestattet, wirkte er absolut eindrucksvoll.

Eindrucksvoll, aber nach den müden Linien um Mund und Augen zu schließen, auch erschöpft.

Lila erhob sich, streckte ihre Hand aus und stellte sich vor. Mit seinen langen, schmalen Fingern berührte er flüchtig ihre Hand. Eine höfliche Geste, mehr nicht.

Seine dunklen Augen unter den geschwungenen schwarzen Brauen schienen sie genau zu durchschauen. „Dr. Halliday, verzeihen Sie mir. Ich bin Tariq al Askeba. Es tut mir leid, dass man Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet hat. Eigentlich hatte ich die Absicht, Sie abzuholen. Aber … Nun ja, es war eine lange Nacht.“

Er musterte sie eindringlich, und in seine Erschöpfung schien sich jetzt auch Verwirrung zu mischen. Er wandte sich an den anderen Mann und sprach schnell mit ihm. Die Worte klangen fast wie Musik, und sie riefen ein Echo in Lilas Erinnerung wach, sodass ihr unerwartet Tränen in die Augen stiegen.

„Wir haben Sie aufgeregt.“ Als er sich wieder zu ihr umwandte, bemerkte er offensichtlich ihre Traurigkeit.

„Nein, alles in Ordnung“, erwiderte sie. „Ich würde nur gerne wissen, was hier los ist. Wieso bin ich in diesem Raum? Warum wurde ich von den übrigen Passagieren getrennt?“ Sie bemühte sich um einen ruhigen, gelassenen Tonfall, spielte jedoch nervös mit ihrem Anhänger.

„Darf ich?“ Scheich al Askeba kam noch näher auf sie zu.

Seine Nähe verursachte in Lila ein Gefühl, das sie noch nie zuvor erlebt hatte.

Macht?

Aber wieso? Er war schließlich auch nur ein Mann.

Er streckte die Hand aus und beruhigte ihre nervösen Finger mit einer schnellen Berührung, ehe er den Anhänger in die Hand nahm, damit er ihn genauer betrachten konnte. Lila spürte die Wärme seiner Finger auf ihrer Haut.

Sie versuchte tief durchzuatmen, um das unbehagliche Gefühl loszuwerden, das sie in seiner Gegenwart empfand.

„Das gehört Ihnen?“, fragte der Scheich schließlich.

„Natürlich“, antwortete sie. „Meine Mutter hat mir diesen Anhänger geschenkt, als ich klein war.“

Er richtete sich auf und blickte auf sie herab. Mit seinen dunklen Augen musterte er eindringlich ihr Gesicht. „Ihre Mutter?“

Sein glühender Blick schien Lila zu durchbohren, als könnte er alles sehen. Und als er ein einziges Wort sagte, war es kaum hörbar. „Nalini?“

Irgendwoher, durch den Nebel von Zeit und Schmerz, hallte ein leises Echo in ihr wider.

„Wie bitte?“, flüsterte sie.

„Nalini“, wiederholte er.

Lila schloss die Augen und schüttelte den Kopf.

„Sie kennen den Namen“, beharrte der Scheich.

Sie schaute auf. Seine Augen waren so dunkel wie ihre eigenen, sein Gesicht schien aus demselben Stein gehauen wie die Berge, die sie vom Flugzeug aus erblickt hatte.

Zögernd und mit belegter Stimme brachte sie hervor: „Es könnte der Name meiner Mutter gewesen sein. Vielleicht. Nach dem Unfall in Australien haben die Polizisten mich immer wieder danach gefragt, aber ich wusste ihn nicht. Ich war noch zu klein.“

Ihr war zumute, als würde ihr ganzer Körper in Stücke zerbrechen. Aber ebenso klar wie die Stimmen der beiden Männer hier im Raum hörte sie auf einmal eine andere Männerstimme rufen: „Komm, meine schöne Nalini. Komm.“

Sie waren an einem Strand, den Lila plötzlich deutlich vor sich sah. Ihr Vater, der in den Wellen planschte und nach Nalini rief.

Die Stimme ihres Vaters?

Ja, es war der Name ihrer Mutter!

Der Scheich ließ den Anhänger wieder los und legte Lila die Hand auf die Schulter. „Ihre Mutter ist tot?“

Sein Tonfall war sanft, aber das ging jetzt zu weit.

Lila war so voller Freude gewesen, als sie endlich den Namen des Landes herausgefunden hatte, das sie für die Heimat ihrer Mutter hielt, dass sie alles darangesetzt hatte, um dort eine Stelle zu finden. Zum ersten Mal in ihrem Leben verließ sie Australien, weil sie in ein Land reisen wollte, von dem sie erst kurz zuvor überhaupt etwas gehört hatte. Aber bei der Ankunft fast wie eine Verbrecherin behandelt zu werden, und zwar ohne jede Erklärung, das war einfach zu viel.

„Hören Sie.“ Lila stand auf, um mehr Raum einzunehmen, obwohl das bei einer Größe von eins fünfundsechzig nicht gerade viel nützte. „Ich bin mit allen notwendigen Papieren in Ihr Land gekommen, um hier zu arbeiten. Und ich habe keine Ahnung, warum ich festgehalten werde. Ich möchte wissen, was los ist, und ich möchte mit meinem Konsul sprechen. Bitten Sie ihn am besten auch gleich, einen Anwalt mitzubringen.“

Der Scheich trat zurück. „Entschuldigen Sie. Bitte nehmen Sie wieder Platz. Ich kann Ihnen alles erklären. Aber vielleicht wollen Sie eine kleine Erfrischung – Tee, Kaffee, ein kühles Getränk?“

Ohne ihre Antwort abzuwarten, gab er dem anderen Mann einen leisen Befehl und winkte ihn aus dem Raum.

„Es geht um den Anhänger.“ Er setzte sich ihr gegenüber, während auch Lila auf ihren Stuhl zurücksank. „Der Einwanderungsbeamte hat ihn erkannt. Um sicher zu sein, müsste ich ihn genau untersuchen. Aber er sieht einem Schmuckstück sehr ähnlich, das zusammen mit einigen anderen wertvollen Dingen vor vielen Jahren aus dem Palast verschwunden ist.“

Erneut griff Lila danach und fand Trost in dem vertrauten Gefühl. „Verschwunden?“, fragte sie.

Der Scheich zögerte, und dann erschien der andere Mann wieder, gefolgt von zwei Frauen, die Tabletts trugen. Auf dem einen eine Kaffeekanne, Teekanne, Tassen, Teller und mehrere Softdrinks, auf dem anderen eine Auswahl an Speisen von winzigen Sandwiches über Oliven bis hin zu verschiedenen Käsesorten und Früchten.

„Bitte sehr.“ Ihr neuer Chef wies auf die Tabletts, die auf dem Tisch abgestellt wurden. „Bedienen Sie sich.“

Glaubt er im Ernst, dass ich jetzt was essen kann? fragte sich Lila. Hat er keine Ahnung, wie sehr sich mein Magen gerade zusammenzieht? Wie viel Angst ich habe?

„Es wäre mir lieber, wenn wir die Sache hier zu Ende bringen könnten“, erklärte sie möglichst fest. „Sie vermitteln mir das Gefühl, eine Verbrecherin zu sein, obwohl ich nichts falsch gemacht habe.“

„Darf ich mir den Anhänger noch einmal ansehen?“ Der Scheich streckte die Hand aus. Auch wenn seine Worte harmlos klangen, schwang ein deutlicher Befehlston darin mit.

„Ich nehme ihn nicht ab!“ Sie hatte nicht vor, sich weiter in die Enge treiben zu lassen. „Er war das letzte Geschenk, das ich von meiner Mutter bekommen habe. Das Einzige, woran ich mich von diesem Tag erinnere. Der Tag, an dem meine Eltern starben. Meine Mutter hat mir den Anhänger um den Hals gelegt und mir gesagt, dass er jetzt mir gehören würde. Er würde mich beschützen – mein Ta’wiz.“ Sie umschloss ihn mit ihren Fingern, um ihn vor den neugierigen Augen dieses Fremden zu verbergen.

„Sie sind beide gestorben?“

Scheich al Askebas Stimme war sanft, doch Lila ließ nicht zu, dass sie ihre Schutzmauer durchdrang. Sie hatte die Geschichte schon mehrmals erzählt und konnte es auch noch einmal tun. Ohne Tränen. Der furchtbare Schmerz – verborgen unter dem Mantel der Zeit.

„Bei einem Autounfall. Das Auto fing Feuer. Ein Lkw-Fahrer, der sah, wie es passierte, holte mich vom Rücksitz, bevor der Wagen explodierte.“

„Wie alt waren Sie?“

Lila schüttelte den Kopf. „Wir schätzten ungefähr vier, meine neue Familie und ich. Aber wir wussten es nie mit Bestimmtheit.“

„Und Ihre Mutter hieß Nalini?“

Sie nickte. „Ich glaube ja, aber ich hatte es vergessen.“ Mit einem verzweifelten Blick schaute sie zu dem Scheich auf. „Wie konnte ich den Namen meiner eigenen Mutter vergessen? Warum konnte ich mich nicht daran erinnern? Aber als Sie ihn genannt haben, sah ich ihr Bild vor mir.“

Sie schloss die Augen, um ihre Tränen zu verbergen. Dann spürte sie, wie seine kühlen Finger ihre berührten und sie leicht zur Seite schoben. Er hob den Ta’wiz an, woraufhin er einen überraschten Laut ausstieß.

„Sie haben Verbrennungen erlitten?“

„Das Auto ist in Flammen aufgegangen.“

„Und der Anhänger hat Ihre Haut verbrannt. Ein toller Schutz!“

„Nein, ich habe überlebt!“, widersprach sie, verärgert darüber, dass er sich so in ihr Leben drängte. „Er hat mich beschützt.“

Doch nun drehte er auch ihre Hand um und sah die verblassten Narben an den Fingerspitzen.

„Sie haben ihn festgehalten?“, murmelte er wie zu sich selbst. Dann drückte er kurz ihre Finger, ließ sie wieder los und erhob sich. Nachdem er sich noch einmal für die Unannehmlichkeiten entschuldigt hatte, setzte er hinzu: „Ich hatte eigentlich eine Unterkunft im Krankenhaus für Sie vorgesehen. Ein kleines Apartment über einem Restaurant im Erdgeschoss. Aber ich denke, im Augenblick sollten Sie lieber im Palast wohnen. Dort sind Sie sicher, und vielleicht können Sie uns dabei helfen, ein altes Rätsel zu lösen.“

„Im Palast?“, wiederholte Lila. „Nein, ich wäre sehr glücklich mit einem Apartment am Krankenhaus. Je eher ich mich dort einrichten kann, desto eher wird es ein Zuhause für mich. Es tut mir leid, ich habe keine Ahnung, was hier los ist, und es gefällt mir überhaupt nicht.“

Scheich al Askeba lächelte müde. „Vielleicht, Nalinis Tochter, sind Sie gerade nach Hause gekommen.“

Immer wieder warf Tariq verstohlene Blicke auf die junge Frau, die derjenigen, die er als Kind geliebt hatte, so ähnlich sah.

Damals war er acht gewesen, und Nalini war wunderschön. Als Schwester von Zweiter Mutter war sie ins Haus gekommen, um dieser Gesellschaft zu leisten. Eine Vertraute.

Sehr schnell jedoch war Nalini zum allgemeinen Liebling geworden. Alle Kinder aus dem Palast folgten ihr, lachten, spielten lustige Spiele und konnten endlich einmal Kinder sein an einem Ort, der bis dahin eher konservativ und langweilig gewesen war.

Während die Erinnerungen in ihm aufstiegen, reichte Tariq seinem Gast eine Tasse Kaffee und erklärte: „Wir werden fahren, sobald Ihr Gepäck hier ist.“

Lila nahm die Tasse entgegen, wobei ihre Blicke sich trafen. In ihren mandelförmigen Augen blitzte Ärger auf. „Und wenn ich nicht im Palast wohnen möchte?“, fragte sie kampflustig.

„Vielleicht ja nur vorübergehend. Aber wenn Sie tatsächlich Nalinis Tochter sind, gehören Sie zur Familie, und als Verwandte müssen Sie in unserem Haus untergebracht werden.“

Wie konnte Tariq ihr sagen, dass seit dem Verschwinden von Nalini und dem Amulett die Dinge für die Familie nicht gut gelaufen waren und momentan alles noch schlimmer wurde? Obwohl er ein moderner Mann war, erschien es ihm als unverzichtbar, dass das Amulett in den Palast zurückkehrte, wo seine Macht vielleicht wieder Hoffnung und Harmonie herstellen konnte.

„Weil ich eine Verwandte bin? Oder weil Sie glauben, dass meine Mutter den Anhänger gestohlen hat?“, gab Lila herausfordernd zurück. Sie stellte das kleine Tässchen auf dem Tisch ab. „Wie kommen Sie darauf, dass sie es war? Sie könnte es ja auch irgendwo gesehen und gekauft haben! Vielleicht stammte sie aus Karuba und war wirklich die Nalini, die Sie kannten. Dann hätte der Anhänger sie an ihre Heimat erinnert. Aber so etwas aus einem Palast zu stehlen, wie kann das überhaupt passieren?“

Sie war schön, wie sie mit ihren blitzenden Augen dasaß! Die schlichte cremefarbene Tunika und die weite Hose betonten ihren eleganten Körper eher, als dass sie ihn verhüllten. Die Farbe brachte die klassische Reinheit ihrer Züge zur Geltung und verlieh ihrem honigfarbenen Teint einen warmen Ton.

Von solchen Äußerlichkeiten wollte Tariq sich jedoch nicht ablenken lassen. „Nalini lebte im Palast, weil sie zur Familie gehörte. Und das betrifft auch Sie, falls Sie eine Verwandte sind“, erwiderte er bestimmt. Da öffnete sich die Tür, und das Nicken eines Mannes war das Zeichen dafür, dass sie den Flughafen verlassen konnten. „Kommen Sie. Es gibt angenehmere Orte, wo wir darüber sprechen können, und vermutlich auch einen besseren Zeitpunkt. Nach Ihrer langen Reise sind Sie sicher erschöpft und sollten sich ausruhen. Wir werden uns später unterhalten.“

Er wollte ihr vom Stuhl aufhelfen, doch sie ignorierte seine Hand und stand selbstständig auf. Sehr gerade, beinahe trotzig.

Tariq schimpfte mit sich selbst. Er war mit der Situation von Anfang an nicht gut umgegangen. Eine lange Nacht, die er damit verbracht hatte, Knochenmarkspender-Register zu durchforsten, hatte zu nichts geführt. Und dann der Anruf vom Flughafen, als er eigentlich endlich ein paar Stunden Schlaf gebraucht hätte.

So erschöpft wie er war, hatte ihn der Anblick dieser jungen Frau, die Nalini so ähnlich war, völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Unvermittelt war er in die Vergangenheit zurückversetzt worden, in eine Zeit voller Spannungen, Bitterkeit und sogar Hass.

Außerdem trug sein Gast den Ta’wiz, den heiligsten der Gegenstände, die zeitgleich mit Nalinis Verschwinden ebenfalls aus dem Palast verschwunden waren. Zoll- und Einwanderungsbeamte hielten seit Jahrzehnten Ausschau nach den Schmuckstücken. Und den Ta’wiz kannten alle am besten. Man glaubte, der ausgehöhlte Kristall mit der fein gearbeiteten goldenen und silbernen Fassung würde den Geist der Vorfahren des Volkes in sich tragen.

Der Beamte musste ihn nicht einmal genau betrachten, denn er hatte sicher die Ausstrahlung des Amuletts wahrgenommen. Genau wie Tariq sie gespürt hatte, sobald er den Raum betrat. Es hieß, dieses schlichte Schmuckstück hätte spirituelle Eigenschaften, und die stärkste davon wäre ein starker Schutz.

Er winkte Dr. Halliday zur Tür und folgte ihr. Neben ihrer zierlichen Gestalt fühlte er sich, als würde er wie ein böser Dschinn über ihr aufragen.

Lila, das war ihr Name. Jetzt wünschte Tariq, er hätte sie am Flughafen empfangen anstatt eine verzweifelte Computersuche nach der magischen Formel durchzuführen, die seinem Bruder das Leben retten könnte. Dann hätte er Lila richtig begrüßen und zum Krankenhaus bringen können.

Natürlich konnte er ihr den Ta’wiz nicht einfach abnehmen. Aber wenn dieser wieder in den Palast zurückkehrte, würden sich vielleicht einige der Verunsicherungen und Missgeschicke der vergangenen Jahre verringern, und der Friede könnte wiederhergestellt werden.

Energisch schüttelte Tariq solche Gedanken ab. Sein Land war innerhalb weniger Jahrzehnte aus einer Sammlung von Nomadendörfern zu einer politisch bedeutenden Macht aufgestiegen. Er hatte Sorge, dass diese Entwicklung für viele Leute zu schnell geschehen war.

Wie in einem unwirklichen Traum folgte Lila dem Mann, der sie vorhin in den kleinen Raum geführt hatte, durch mehrere Gänge bis zu einem überdachten Parkplatz.

Ein Fahrer in gestreifter Hose und einem langen gestreiften Kaftan sprang aus dem einzigen Wagen, der dort stand, eine große schwarze Limousine, und öffnete die Tür zum Rücksitz. Als er sich vor Lila verbeugte, fiel ihm das Ende seines Turbans über die Schulter.

Zweifelnd blickte sie sich um, doch ihr neuer Chef war direkt hinter ihr und bestätigte mit einem Nicken, dass sie einsteigen sollte.

Nicht dass sie eine andere Wahl gehabt hätte. Es sei denn, sie wäre spontan in den grellen Sonnenschein hineingelaufen und immer weitergerannt.

Doch wohin?

Ihre Heimat, ihre Familie waren weit weg. Außerdem war sie schließlich hergekommen, um etwas über ihre echte Familie, ihre leiblichen Eltern und deren Land zu erfahren. Also würde sie sich eben mit der herrischen Art des Scheichs abfinden und die Dinge einfach auf sich zukommen lassen.

Jedenfalls im Moment.

Unwillkürlich tastete Lila nach dem Anhänger und schüttelte ihn ein wenig, als könnte sie dadurch die winzigen Sandkörnchen hören, die die nette junge Frau am internationalen Tag der Universität für sie hineingetan hatte.

Auch wenn es kein rosafarbener Sand war.

Sie wusste, dass es einmal rosafarbenen Sand gegeben hatte.

Inzwischen saß Scheich al Askeba neben ihr im Wagen. Nicht sehr nahe, weil die Rückbank ohne Weiteres Platz für vier Personen bot. Dennoch spürte Lila seine Gegenwart, als würde die Luft zwischen ihnen vibrieren.

„Woher wussten Sie, dass Sie nach Karuba kommen sollten? Haben Ihre Eltern Ihnen davon erzählt?“, fragte er.

Lila wandte sich ihm zu, sah allerdings nur sein markantes Profil, da er sie nicht anschaute, sondern geradeaus blickte.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe einfach immer nur gesucht“, antwortete sie leise. Dabei erinnerte sie sich an die vielen Male, als eine vermeintliche Spur sich in Nichts aufgelöst hatte.

„Aber wenn Ihre Eltern tot waren, woher wussten Sie, wonach Sie suchen sollten?“ Jetzt sah er sie an.

„Eigentlich wusste ich es nicht. Aber manchmal hörte ich einen Ton oder eine kleine Melodie, und dann tat es hier weh.“ Sie drückte die Faust vor die Brust. „Oder ich sah etwas, ein Muster, eine Farbe, das mir das Gesicht meiner Mutter ins Gedächtnis rief. Ich bin in einer ländlichen Kleinstadt aufgewachsen. Deshalb musste ich warten, bis ich zum Studieren in eine Großstadt kam, ehe ich wirklich anfangen konnte zu suchen. Aber dann kamen das Studium und die Prüfungen …“

„Das heißt, Sie haben erst vor Kurzem etwas über Karuba herausgefunden?“

Lila lächelte. „So könnte man es sagen. Manchmal gab ich eine Zeit lang auf, dann kam eine Erinnerung, und ich machte wieder weiter. Zwei Tage, bevor ich Ihnen meine E-Mail-Bewerbung für die Stelle im hiesigen Krankenhaus geschickt habe, hörte ich von einem internationalen Studententag einer nahegelegenen Universität.“

„Und Sie sind auf der Suche nach einer Tonfolge oder einem Muster hingegangen?“

„Das hört sich an, als hätte ich einen Plan gehabt, aber so war es nicht.“ Plötzlich wünschte sie sich, dass er sie verstehen könnte. „Es war einfach nur die Suche nach einem ersten Hinweis, der irgendwohin führen würde. Nach dem Autounfall hat die Polizei monatelang versucht, meine Eltern zu identifizieren, um herauszufinden, wer sie waren und woher sie kamen. Wahrscheinlich wollten sie nach Verwandten von mir suchen. Aber alle Spuren führten in eine Sackgasse.“

Autor

Meredith Webber
Bevor Meredith Webber sich entschloss, Arztromane zu schreiben, war sie als Lehrerin tätig, besaß ein eigenes Geschäft, jobbte im Reisebüro und in einem Schweinezuchtbetrieb, arbeitete auf Baustellen, war Sozialarbeiterin für Behinderte und half beim medizinischen Notdienst.
Aber all das genügte ihr nicht, und sie suchte nach einer neuen Herausforderung, die sie...
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