Baccara Exklusiv Band 255

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SÜSSE KÜSSE FÜR DIE EWIGKEIT von KIMBERLY TROUTTE

Vor zehn Jahren hat Julia ihn verraten. Jetzt ist Matt zurück in seiner Heimatstadt – und Julia ist wieder frei. Sofort knistert es zwischen ihnen. Der Pilot beschließt, Julia nach allen Regeln der Kunst zu verführen – und dann zu verschwinden. Doch sein Herz fordert etwas anderes …


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  • Erscheinungstag 08.02.2025
  • Bandnummer 255
  • ISBN / Artikelnummer 9783751530866
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kimberley Troutte

1. KAPITEL

Matt Harper schwebte im siebten Himmel.

Lächelnd ließ er die Hand über ihre sexy Kurven wandern und brachte sie höher. Noch höher. Sie schnurrte förmlich unter ihm, und er spürte die Vibrationen tief in seinem Innern. Sie war höllisch heiß, voller Kraft und Finesse, geschmeidig und intelligent. Heute würde er sie bis an ihre Grenzen bringen und darüber hinaus. Sie war wie gemacht für einen Mann wie ihn – und nicht für den alten Mann, der sie gekauft hatte, um sie nur anzustarren. Was für eine Verschwendung. Es brach Matt das Herz, wenn er daran dachte, dass dieses fünfundsechzig Millionen schwere Schätzchen nur herumstehen und Staub ansetzen könnte.

Seine Freundin für diesen Tag war eine neue Gulfstream G650ER – ein hübsches kleines Flugzeug, das sein Vater für Harper Industries gekauft hatte. Warum? Es war ja nicht so, dass sein Vater zu den Ölbohrtürmen fliegen und seine Arbeiter erschrecken wollte, so wie früher. Wenn die Gerüchte stimmten, dann mied sein Vater die Öffentlichkeit und versteckte sich in Casa Larga – der Sommerresidenz der Familie. Matt wusste nichts darüber, denn er hatte seinen Vater seit zehn Jahren nicht gesehen.

Er drehte nach links ab, und das Anwesen der Harpers kam in Sicht. Verdammt, er wäre wirklich lieber irgendwo in einem Kampfgebiet als hier.

Warum, zum Teufel, hatte sein Vater ihn herbeordert?

Er landete auf dem Privatflugplatz der Harpers und stellte den Motor aus. Wenn er doch nur die brutalen Erinnerungen abstellen könnte, die auf einmal auf ihn einprasselten.

So wie früher die Fäuste seines Vaters.

Er war wieder siebzehn Jahre alt, schmeckte das Blut in seinem Mund, hatte die Fäuste erhoben und wartete nur darauf, dass RW ihn noch einmal schlagen würde. Sein Vater hatte ihm schon immer gern Befehle erteilt, doch dieses Ultimatum hatte ihn ernsthaft getroffen.

„Da du die Finger nicht von dem Mädchen lassen kannst, hast du jetzt die Wahl: Entweder gehst du unverzüglich auf die Air-Force-Akademie, oder du wirst dich wundern, was mit deiner kleinen Freundin passiert. Ich verfüge über Infos, mein Junge, die ihre ganze Familie ruinieren können. Willst du, dass ihr das zustößt?“

Niemand konnte einen so aus dem Hinterhalt überfallen wie ein Harper, schließlich entstammten sie einer Familie von Piraten.

War die Drohung echt? Weder damals noch heute wusste Matt es, aber er hatte Julia geliebt. Also blieb ihm keine Wahl, um sie und ihre Familie zu schützen. Noch am selben Tag war er auf die Militärakademie gebracht worden. Er hatte Julia nicht einmal mehr einen Abschiedskuss geben können, war aber überzeugt gewesen, bald zu ihr zurückzukehren. Was für ein Irrtum.

Zehn Jahre später war es ihm gelungen, die Sache mehr oder weniger abzuhaken. Doch trotz vieler umwerfender Frauen hatte er das Mädchen, das er damals zurücklassen musste, nie ganz vergessen. Julia hatte versprochen, für immer zu ihm zu gehören, bis sie drei Monate nach seiner Abreise einen anderen geheiratet hatte. Der Schmerz darüber war schlimmer als alle Verletzungen gewesen, die er bei der Air Force erlitten hatte. Damals hatte er sich geschworen, niemals nach Plunder Cove zurückzukehren.

Bis RW ihm ein Angebot unterbreitet hatte: Er sollte die Gulfstream nach Plunder Cove fliegen, dann würde Harper Industries das letzte Flugzeug kaufen, das Matt noch für seine Flotte in Südostasien brauchte. Ein Investor war abgesprungen, und Matts neue Fluglinie brauchte dieses Flugzeug. Also hatte er sich auf den Deal eingelassen. Und so einfach hatte RW Harper, Pirat und Ölbaron, ihn kaufen können.

Wenigstens würde er nicht lange genug in Plunder Cove bleiben, um Julia Espinoza, oder wie auch immer sie jetzt heißen mochte, zu treffen.

Matt hielt vor Juanita’s Café. Es war früher einer seiner Lieblingsorte in Pueblicito gewesen, dem winzigen Dorf am Rande des Familienanwesens.

Mit acht Jahren war er das erste Mal hierhergekommen – überwältigt von den interessanten Gerüchen und Lebensmitteln. Die spanischen Schilder hatte er nicht verstanden, aber die mexikanischen Süßigkeiten waren einfach zu verlockend gewesen, also hatte er eine Handvoll gestohlen. Seine Mutter war entsetzt gewesen, zum einen, weil er in diesen schmutzigen Laden gegangen war, zum anderen, weil er etwas von diesen Leuten genommen hatte. Sie hatte ihn gezwungen, zurückzugehen und die Sachen zu bezahlen.

Juanita selbst hatte ihn mit einem ernsten Blick bedacht und ihm erklärt, er müsse seine Schuld abarbeiten. Er hatte den gesamten Laden gefegt. Es war das erste Mal gewesen, dass er gearbeitet und das Gefühl gehabt hatte, etwas geschafft zu haben. Am nächsten Tag war er wieder hingegangen und hatte gefragt, ob er noch etwas stehlen dürfe.

„Warum? Hast du deine Lektion nicht gelernt?“, hatte sie gefragt.

„Doch. Ich will wieder fegen. Arbeit macht Spaß.“

Juanita hatte gelacht und ihn umarmt. Sie duftete gut, und ihre Arme waren warm und weich gewesen. Er wünschte, seine Mutter würde ihn auch mal so umarmen.

„Claro, amorcito.“ Sie hatte ihm den Besen in die Hand gedrückt. „Den darfst du benutzen, wann immer du willst. Ich bezahle dich in dulces.“

Also hatte er in seinen Sommerferien viel Zeit bei Juanita verbracht und dafür so viele Süßigkeiten bekommen, wie er wollte. Und Churros. Himmel, die hatte er ganz vergessen.

Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, als er draußen an einem Tisch darauf wartete, dass Juanita seine Bestellung aufnahm. Es kam ihm fast so vor, als wäre er nie weg gewesen, nur dass Julia heute nicht zu ihm kam.

Eine junge Frau stellte einen Korb mit Chips und eine Schüssel mit Salsa auf den Tisch. „Wollen Sie schon bestellen, Mister?“

„Sie sind nicht Juanita.“

„Genau. Und Sie sind nicht George Clooney. Juanita macht heute ihren anderen Job. Ich bin Ana.“

Nanu? Steckte Juanita in finanziellen Schwierigkeiten? „Wo? Ich bin ein alter Freund von ihr und nur ein paar Tage hier. Ich würde sie gern treffen.“

„Sorry. Es ist ein geheimer Job. Sprich, ich weiß nicht, wo sie ist. Wollen Sie was trinken?“

Matt war enttäuscht. Juanita war die Einzige, die sich wirklich für ihn interessiert hatte. „Ein Bier, bitte. Haben Sie heute Churros?“

„Jeden Tag. Bin sofort zurück.“

Er aß Chips mit höllisch scharfer Salsa und war froh, als Ana ihm das Bier brachte.

Am Nebentisch saßen zwei Frauen, die sich lautstark über Kleider und Schuhe unterhielten.

„Mir ist es total egal, ob ihr euch alle als Piraten verkleidet. Ich ziehe mein neues Kleid an. Wann wird man schließlich schon mal auf das Harper-Anwesen eingeladen.“

Matt verschluckte sich fast. Die Frauen kamen ihm nicht bekannt vor, und niemals würde RW Harper völlig Fremde in sein Haus einladen.

„Entschuldigung. Haben Sie gerade gesagt, dass bei den Harpers eine Party stattfindet?“

„Ja, Mr. RW Harper hat höchstpersönlich den ganzen Ort eingeladen.“

Jetzt wusste Matt, dass etwas nicht stimmte. Seine Eltern hatten immer darauf bestanden, nichts mit den Angestellten zu tun zu haben, und da die meisten Menschen, die für die Harpers arbeiteten, in Pueblicito wohnten, war der gesamte Orte tabu. Matt hatte sich nicht darum geschert. „Und was ist der Anlass dafür?“

„Keine Ahnung. Aber wenn Sie noch ein Date brauchen …“ Sie hob die Hand.

Die andere Frau gab ihr einen Klaps auf den Arm. „Maria, lass das. Du bist mit Jaime verabredet.“

Die Frau schmollte. „Jaime hasst Tanzen. Aber wenn ich mir die Muskeln von dem hier anschaue … Ich würde mal sagen, der kann eine Frau zum Schwitzen bringen.“ Sie drehte sich wieder zu Matt herum. „Sie sind bestimmt ein guter Tänzer, oder?“

Er lachte. „Mir hat man beigebracht, dass Tanzen was für Mädels ist.“

„Quatsch. Was denken Sie denn, mit wem die Mädels tanzen?“

„Meistens tanzen wir miteinander, während die Kerle mit den Füßen scharren“, ertönte eine Stimme hinter ihm. „Tut mir leid, meine Cousinen sind ein bisschen aufgeregt wegen der Party. Keine Ahnung, warum. Ich würde das Haus dieses Angebers nicht mal betreten, wenn man mich bezahlen würde.“ Sie trat um ihn herum und nahm sich einen Chip aus dem Korb ihrer Cousinen. „Nicht dass ich eingeladen wäre.“

Julia.

Matt hatte das Gefühl, einen Stromschlag bekommen zu haben, und rang nach Luft. Sein Herz … schlug das überhaupt noch?

In Julias dunklem Haar schienen sich die Sonnenstrahlen zu fangen; es glänzte wunderbar. Er wusste, dass es seidig-weich war, und wenn er sanft daran zog, würde sie den Kopf zurücklegen und den langen Hals entblößen, damit er sie dort küssen konnte. Sie würde anfangen zu zappeln und versuchen, nicht zu kichern, wenn er an ihrer weichen Haut knabberte, weil sie so kitzelig war. Verdammt, das hatte er geliebt!

Feine Linien waren um ihre dunkelbraunen Augen und um ihre sinnlichen Lippen zu erkennen, aber ansonsten war sie noch immer so, wie er sie in Erinnerung hatte. Ihre Stimme klang noch so, wie er sie in seinen Träumen hörte. Obwohl er selbst sich in vielerlei Hinsicht verändert hatte, kam sie ihm immer noch … perfekt vor.

„Du darfst ja auch gar nicht hin, chica“, sagte Maria.

„Du hättest Mr. Harper erst nach der großen Party verärgern sollen.“ Die andere Frau schnalzte mit der Zunge. „Kann ich dein rotes Kleid anziehen?“

Julia zuckte mit den Schultern und setzte sich zu den Frauen. Sie war größer, als er sie in Erinnerung hatte, und diese Kurven … Verdammt! Die kleine Julia war zu einer umwerfenden Frau herangewachsen.

„Sicher, Linda. Warum nicht? Wo sollte ich es schon tragen?“

Sie wandte sich zu Matt herum, neigte den Kopf und kniff die Augen ein wenig zusammen. „Kennen wir uns?“

Julia konnte seine Augen hinter der verspiegelten Pilotenbrille nicht erkennen, aber irgendwie kam ihr der Mann bekannt vor. Er war ziemlich groß und hatte breite Schultern. Seine Arme waren muskulös und gebräunt. Sein dunkles Haar war militärisch kurz geschnitten, und er trug einen gut getrimmten Bart. Äußerst attraktiv.

Er nahm sich einen Chip mit Salsa und fing prompt an zu husten.

„Vorsicht, das Zeug ist scharf“, warnte sie ihn.

Er wirkte so kräftig, sein Kinn kantig. Nicht schlecht. Seine Nase war gerade, und eine Narbe zeugte davon, dass er schon so manchen Kampf ausgefochten hatte. Gefährlich.

Wie würde es sich wohl anfühlen, mit den Handflächen über seine bärtigen Wangen zu streichen? Weich? Kratzig? In einem Mundwinkel sah sie eine weitere Narbe. Wäre er dort wohl empfindlich beim Küssen? Er musterte sie. Sein Gesicht wirkte hart, wie in Stein gemeißelt, so wie einer dieser griechischen Götter, über die sie auf dem College gelesen hatte. Nur dass die keine Pilotenbrillen trugen.

Oh Mann, starre ich ihn etwa an?

Ja, Julia, das tust du.

„Äh, Sie sehen aus wie jemand, den ich mal kannte. Mein Fehler.“

Er hob das Kinn. „Ihr Fehler?“

„Ja, sorry.“ Sie wandte sich wieder ab, um mit ihren Cousinen zu reden, doch ihre Gedanken waren bei dem gut aussehenden Fremden. Aus unerfindlichen Gründen dachte sie plötzlich an Matt und bekam feuchte Augen.

„Hörst du mir überhaupt zu, chica? Welche Schuhe soll ich zu deinem roten Kleid anziehen?“, fragte Linda.

Julia hob die Hand und wirbelte noch einmal zu dem Fremden herum. „Bist du in einem meiner Seminare? Umweltwissenschaften? Jura?“

Seine Bierflasche blieb auf halbem Weg zum Mund in der Luft hängen, und die dunklen Augenbrauen hoben sich oberhalb der Brille.

„Sieht er etwa aus wie einer deiner hübschen Jungs vom College? Kein Stück. Er ist Pilot. Ich habe das schnieke Flugzeug gesehen, als es über dem Flugplatz gekreist ist“, meinte Maria.

Der Mann hob sein Bier … und schwieg.

Julia überlegte, ob er wohl für Mr. Harper arbeitete. War er ein Geschäftspartner? Freund? Und zog er gerade ein finsteres Gesicht? Sie konnte es wegen dieser blöden Brille nicht erkennen.

„Wir haben dich belästigt. Ignorier uns einfach“, sagte Julia leise und bedeutete ihren Cousinen, sich wieder abzuwenden.

Linda achtete nicht sie. „Ein Pilot! Das ist ja so interessant.“ Das Wort klang eher, als wollte sie sagen: sexy. „Bleibst du denn zur Party heute Abend?“

„Vielleicht.“

Sein Blick war auf Julia gerichtet. Wieso zog sich ihr der Magen plötzlich zusammen?

„Oh, dann solltest du Julia mitnehmen. Jemand muss sie ja mal wieder ausführen“, sagte Maria.

„Nein, ich kann nicht“, erwiderte Julia.

„Klar, schon verstanden.“

Moment, wollte er mit ihr zur Party gehen? Das war ja nicht mehr passiert, seit … Keine Ahnung, dachte sie. „Es liegt nicht an dir. Es ist … Ich darf da nicht hin.“

Er richtete sich auf und wirkte verärgert. „Erlaubt dein Mann dir nicht, das Haus zu verlassen?“

„Ich bin nicht verheiratet. Es ist nur …“ Sie errötete, wie immer, wenn sie verlegen war. „RW Harper hat verfügt, dass ich Casa Larga nicht betreten darf.“

Der Fremde starrte sie an. Sie sah sich in seiner Brille gespiegelt und ärgerte sich darüber, wie klein sie aussah. Wie zerbrechlich. Sie drückte den Rücken durch.

„Genau. Unsere kleine Julia will Mr. Harper verklagen“, erklärte Maria. „Als wenn eine einzelne Frau sich mit einem der mächtigsten Männer Amerikas anlegen könnte.“

Linda schüttelte den Kopf. „Hättest bis nach der Party warten sollen. So was Aufregendes ist hier noch nie passiert.“

Amüsierte den Piloten das etwa? Schnell sagte Julia: „Pass auf. Jemand muss den Kerl aufhalten. Es ist schon schlimm genug, dass seine Bohrtürme da draußen stehen …“ Sie deutete zum Meer. „Wir wissen alle, was geschieht, wenn einer davon leckschlägt. Aber jetzt will er auch noch im Brutgebiet der Seeregenpfeifer bauen! Er muss aufgehalten werden. Sie stehen hier bereits auf der Roten Liste der gefährdeten Vögel.“

„Komm schon, chica. Du regst dich schon wieder über diese kleinen Vögel auf. Und wir haben Gesellschaft.“ Linda lächelte. „Gut aussehende Gesellschaft.“

„Was will Harper bauen?“, fragte der Fremde.

„Sie weiß es nicht. Es sind nur Gerüchte“, meinte Maria.

„Ich habe Spuren in der Nähe der Nester gesehen. Einem Mann wie Harper ist es egal, wen er verletzt.“ Aus irgendeinem Grund schnürte sich ihr die Kehle zu. Wieso war sie heute so emotional? Sie schnappte sich Marias Bier und trank einen Schluck.

„Du brauchst Beweise, bevor du jemanden wie Mr. Harper verklagen kannst. Du hättest warten sollen“, warf Linda ein.

„Beweise?“, fragte der Mann.

„Ja“, sagte Julia. „Ich vermute, dass er schon Pläne gemacht hat. Ich habe gesehen, wie Leute von Baufirmen reingefahren sind. Anwälte. Ein Tischler. Wenn ich die Pläne nur mal sehen könnte, um herauszufinden, was er vorhat …“ Wieso erzählte sie ihm das? Wenn er nun für Harper arbeitete? „Aber ich gehöre nicht zu den Frauen, die bei anderen einbrechen.“

„Ich könnte dir helfen.“

Seine Stimme. Irgendetwas daran versetzte sie in Aufregung. Sie konnte den Blick nicht von seinem Mund losreißen. Die Narbe darunter gab den vollen Lippen noch einen Extrakick. Wie es wohl wäre, diese Narbe zu küssen? Oder irgendeinen anderen Körperteil des Mannes? Es war so lange her …

Maria stieß sie mit dem Ellenbogen an.

Julia blinzelte. „Wie?“

„Ich schmuggle dich rein“, sagte er. „Harper erwartet mich. Komm heute Abend als mein Date mit.“

„Super Idee. Ihr könnt euch als Piraten verkleiden“, rief Linda.

Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, und Julia schmolz fast dahin. Eine Sekunde lang sah er beinahe so aus wie … Nein. Sie würde jetzt nicht an Matt denken. Solche Gefühle auf einen Fremden zu projizieren würde sie nur in Schwierigkeiten bringen.

„Warum willst du mir helfen?“

„Jemand muss die Sache stoppen. Hätte nichts dagegen, wenn du es wärst.“

Warum? Er kannte sie doch gar nicht. Es war durchaus möglich, dass Harper diesen Mann schon beeinflusst hatte. Komm einem Piraten in die Quere, und du musst zahlen – das hatte sie am eigenen Leib erfahren müssen.

Aber Linda hatte recht. Hier passierte nie etwas Aufregendes. Das letzte Mal war sie zusammen mit Matt auf dem Anwesen gewesen. Sie würde einen starken Mann an ihrer Seite brauchen, der sie vor schmerzlichen Erinnerungen bewahrte. „Hol mich in der Bougainvillea Lane 3 c ab. Soll ich den Weg beschreiben?“

Er schnaubte. „Das finde ich schon.“

Mit seinen drei Straßen war Pueblicito wahrscheinlich der kleinste Ort, den er je gesehen hatte.

„Ihre Churros, Mister.“ Ana, die Kellnerin, stellte einen Teller mit einem Berg des Krapfengebäcks vor ihn hin.

„Danke.“ Er fuhr mit dem Finger durch die Zucker-Zimt-Mischung und probierte, ehe er zufrieden seufzte.

„Heiß und süß?“ Ihre Stimme klang heiserer als sonst, und ohne darüber nachzudenken, leckte sich Julia die Lippen.

Er richtete den Blick auf sie, und noch einmal wünschte sie sich, dass er die Brille abnahm, damit sie ihm in die Augen sehen konnte.

„Okay, ich muss los.“ Sie stand auf, ehe sie sich noch mehr blamierte. „Ich besorge uns Piratenkostüme. Wir sehen uns um sieben.“

Sie ging los und merkte auf einmal, dass sie nicht einmal den Namen des Piloten kannte. Verdammt, war sie so verzweifelt auf eine Verabredung aus?

„Ich werde da sein, Julia“, rief er ihr hinterher.

Sie stolperte fast, als er ihren Namen sagte, aber sie blickte sich nicht um. Es klang vertraut. Überwältigend. Sexy. Sie kämpfte gegen das Verlangen an und zwang sich, weiterzugehen. Der Pilot war nicht der Junge, dem sie ihr Herz geschenkt hatte, sosehr sie es sich auch wünschen mochte. Ihre einzige wahre Liebe war schon vor Jahren im Kampf gefallen.

Matt Harper war tot.

2. KAPITEL

Matts Körper schien in Flammen zu stehen, und nichts hätte er lieber getan, als Julia mit ihrem süßen kleinen Hintern gegen die nächste Wand zu drängen und sie zu küssen, bis sie keine Luft mehr bekam.

Verdammt, das war echt armselig. Sie hatte ihn nicht einmal erkannt.

Julia ging davon, und er schaffte es nicht, die Augen von ihr abzuwenden. Armselig.

„Sorg dafür, dass sie Spaß hat. Aber brich ihr nicht das Herz“, drohte Maria ihm.

„Ich werde nicht lange genug hier sein, um Herzen zu brechen.“ Er trank sein Bier aus.

Linda zwinkerte Maria zu. „Gut. Er ist genau das, was sie braucht.“

„Ein heißer Pilot, der ihr Herz im Sturm erobert und davonfliegt, ehe er besitzergreifend werden kann?“

Linda schnaubte. „Maria, entweder schickst du Jaime in die Wüste, oder du lernst, mit ihm zu leben.“

„Ich sage doch nur, dass wir alle mal ein bisschen Spaß gebrauchen können, aber Julia verdient es am meisten. Nach dem, was passiert ist …“ Sie blickte zu Matt. „Na ja, sie hat einiges durchgemacht.“

Was genau hatte sie verdient? Himmel, er hatte Höllenqualen wegen eines Mädels gelitten, das ihn vergessen hatte, kaum dass er gegangen war. Sie hatte ihn einen Fehler genannt. Er sollte sich ein Flugzeug chartern und sofort wieder aus Plunder Cove verschwinden.

Trotzdem fragte sich Matt, was Julia durchgemacht hatte. Hatte sein Vater seine damalige Drohung wahr gemacht? Steckte sie in Schwierigkeiten?

„Ich bin froh, dass du sie mit auf die Party nimmst. Sie braucht ein bisschen Spaß im Leben“, sagte Maria.

Spaß? Er war mehr an Antworten interessiert. Warum hatte sein Vater ihn hierher beordert? Um ihn damit zu quälen, ihm seine Ex-Freundin vorzuführen? Wenn ja, dann würde er ein Wörtchen mit ihm reden, bevor er verschwand. Aber erst würde er dafür sorgen, dass Julia sicher war.

Das waren seine Gründe, warum er sie auf die Party mitnehmen wollte. Es hatte nichts damit zu tun, wie sexy sie ausgesehen hatte – und was er alles für heiße Dinge mit ihr tun wollte. Andererseits … eine zwanglose Nacht mit ihr war vielleicht genau das, was er brauchte.

Noch ein letztes Mal würde er ihr Fehler sein, und dann würde er für immer verschwinden.

Matt bezahlte und verabschiedete sich von Julias Cousinen. Auf dem Weg zum Parkplatz tätigte er einen Anruf. „Bring das Batmobil, Alfred.“

Zweifellos besaß sein Vater einen überteuerten Sportwagen, den er sich ausleihen konnte, denn Geschwindigkeit war das Einzige, worin Matt und RW sich einig waren.

Fünf Minuten später blickte er auf, als ein Lamborghini Veneno auf den Parkplatz einbog.

„Heilige Scheiße.“

Veneno war das italienische Wort für Gift. Lamborghini hatte genau drei dieser Autos für jeweils mehrere Millionen Dollar verkauft. Fasziniert schlenderte Matt zur Fahrerseite.

Das Fenster glitt herunter, und eine belustigte Stimme fragte: „Sie haben geläutet?“

Matt lehnte sich hinab. „Hallo Alfred. Schön, Sie zu sehen.“

Der Chauffeur seines Vaters, der eigentlich Robert hieß, hatte inzwischen keine Haare mehr, dafür aber tiefere Falten.

„Ich bin immer noch Alfred? Ich dachte, Sie hätten Ihre Batman-Besessenheit überwunden.“ Das Funkeln in seinen Augen verriet, wie sehr er sich darüber freute, dass Matt den Spitznamen benutzte.

Matt und sein kleiner Bruder Jeff hatten jahrelang gespielt, Batman und Robin zu sein. Dementsprechend wurde aus dem Familien-Chauffeur Alfred. Und auch wenn Robert zunächst die Nase gerümpft hatte, hatte er sich schnell an das Spiel gewöhnt.

Alfred stieg aus, nahm Matts Gepäck und verstaute es.

„Lassen Sie mich fahren“, sagte Matt.

„Ihr Vater hat mich fast umgebracht, als ich Sie damals den Bugatti habe fahren lassen.“

Matt grinste. „Mich auch, aber das war es wert.“ Vor allem die Spritztour, die er mit Julia gemacht hatte. Er streckte die Hand aus.

„Na gut, aber wenn hinterher auch nur ein Kratzer dran ist, dann kündige ich.“ Alfred drückte Matt den Schlüssel in die Hand und setzte sich auf den Beifahrersitz.

„Es überrascht mich, dass Sie nicht schon längst gekündigt haben.“ Matt ließ den Motor an, der röhrend zum Leben erwachte.

„Ha, was würdet ihr Harpers denn ohne euren fantastischen Fahrer tun?“

Matt blickte auf den Tachostand. „Sieben Meilen? Das würde ich nicht gerade Fahren nennen. Streichelt der alte Mann dieses Wägelchen nur?“ Matt bemerkte, dass Alfred zusammenzuckte, ehe er wieder eine neutrale Miene aufsetzte. „Was ist los? Ist mein Vater tatsächlich zu einem Eremiten geworden?“

„Er hat schwere Zeiten hinter sich, Matthew. Ich bin froh, dass ihr Kinder alle gekommen seid.“

„Jeff und Chloe sind auch hier? Wie hat er das denn geschafft?“

„Es steht mir nicht zu, darüber zu reden. Sie und Ihre Geschwister werden heute Abend darüber informiert.“

„Auf der Party.“

„Ja.“ Alfred verschränkte die Arme und blickte starr geradeaus. Seine Lippen waren offensichtlich versiegelt. Als Matt losfuhr, meinte er nur: „Versuchen Sie bitte, auf der Straße zu bleiben.“

„Haben Sie ein bisschen Vertrauen. Ich fliege jetzt Jets. Da werde ich doch wohl mit so einem kleinen Auto fertigwerden.“ Er trat aufs Gaspedal.

„Heilige Muttergottes.“ Alfred bekreuzigte sich.

Matt lachte. „Entspannen Sie sich. War ich wirklich so schlimm als Teenager?“

„Erschreckend.“ Aber er sagte es lächelnd. „Immer in Eile, so schnell wie möglich von hier wegzufliegen.“

„Ja, das stimmt.“

„Ich habe das verstanden, Matthew. Ich war in grauer Vorzeit auch mal ein Teenager.“ Er lachte leise.

Merkwürdig, Matt hatte ihn noch nie lachen gehört. Es war bestimmt nicht leicht, all die Jahre als Fahrer für die Harpers zu arbeiten.

„Und wie es scheint, haben Sie genau das bekommen, was Sie sich gewünscht haben, Captain Harper. Sie sind weggeflogen.“

Genau das, was er sich gewünscht hatte? Schön wär’s. „Tut mir leid, wenn ich Ihnen damals das Leben schwer gemacht habe.“

Was hatte sein Vater wieder für einen diabolischen Plan ausgeheckt? Matt würde es heute Abend erfahren, mit Julia an seiner Seite. Er würde sie beschützen und den alten Mann daran hindern, irgendwem wehzutun.

Wie in alten Zeiten.

Julia lief in ihrem kleinen Schlafzimmer auf und ab. „Ich fasse es nicht, dass ich mich darauf eingelassen habe. Wieso habe ich das getan?“

„Weil der Pilot einfach unglaublich heiß war?“ Linda fächerte sich Luft zu.

Ja, ja, das war er. Trotzdem wusste sie noch immer nicht, warum er ausgerecht sie eingeladen hatte.

„Was soll ich denn bloß anziehen?“

„Jedenfalls nicht dein rotes Kleid. Das hast du mir schon versprochen“, erklärte Linda. Sie und Maria saßen auf Julias Bettkante und lackierten sich die Nägel.

„Okay, aber was soll ich anziehen? Harper darf mich nicht erkennen, sonst wirft er mich raus.“

„Das macht bestimmt Eindruck auf den Piloten“, meinte Maria.

„Frag doch Tia Nona. Sie hat reichlich Piratenkostüme.“

„Wieso?“

Linda zuckte mit den Schultern. „Weil sie auf Piraten steht?“

Julia schnaubte. „Wohl kaum. Sie hat mich immer vor Piraten gewarnt – vor allem vor Matt Harper. Was ziemlich lästig war, schließlich war er überhaupt nicht so wie seine Piraten-Vorfahren.“

„Meinst du die Harpers, die auf Piratenschiffen gesegelt sind, oder die, die unsere Vorfahren gekauft haben, damit sie für sie schuften?“, fragte Maria.

„Sie haben unsere Vorfahren gegen Vieh eingetauscht. Kühe waren mehr wert als unsere Leute. Harpers sind Diebe.“ Linda blies auf ihre Nägel.

Maria schüttelte den Kopf. „Nein, sie sind Piraten.“

Julia brauchte keine Geschichtsstunde. „Matt war nicht so wie sie. Er war … süß.“

„Von wegen, der Junge war alles andere als süß. Er hat schwarze T-Shirts getragen, Jeans mit Löchern und ist auf Motorrädern herumgebraust.“

Julia lächelte. Oh ja, er hatte so was von sexy auf diesen Bikes ausgesehen. „Er hat nie einen Unfall gebaut. Und wenn ich mitgefahren bin, ist er besonders vorsichtig gefahren.“

„Er hat die Schule geschwänzt“, fügte Maria hinzu. „Dich viel zu spät nach Hause gebracht.“

„Nur ein paar Mal.“

„Hat Juanita Süßigkeiten geklaut“, warf Linda ein.

„Da war er acht! Und er hat dafür bezahlt. Verdammt, ich wusste gar nicht, dass ihr ihn so gehasst habt.“

„Erst als er dir das Herz gebrochen hat“, sagte Maria.

„Er ist gestorben, Maria! Als er für unser Land gekämpft hat.“

Linda zuckte erneut mit den Schultern. „Er hat sich nicht von dir verabschiedet.“

Richtig.

Julia setzte sich zwischen die beiden Frauen, die wie Schwestern für sie waren. Eigentlich waren sie nicht einmal echte Cousinen, da Julia adoptiert worden war. Doch die Frau, die sie wie ein eigenes Kind aufgezogen hatte, war Linda und Marias Tante, sodass sie ihre Cousinen wurden. Alle akzeptierten sie als echte Verwandte.

Ihre leibliche Mutter hatte sie verlassen, ihren Vater hatte sie nie kennengelernt, und der einzige Mann, den sie je geliebt hatte, war weggeflogen.

Matt war der Einzige gewesen, von dem sie fest geglaubt hatte, dass er sie nicht verlassen würde. Sie hatte ihm ihr Herz und ihren Körper geschenkt und ihm gesagt, dass sie ihn liebte. Am nächsten Tag war er zur Air-Force-Akademie gegangen. Keine Briefe. Keine Anrufe. Sie hatte nie wieder etwas von ihm gehört.

Liegt es an mir?

Sie holte schniefend Luft, und sofort umarmten ihre Cousinen sie.

„Ihr ruiniert euch eure Nägel“, sagte sie leise.

„Das kann man wieder hinkriegen“, meinte Maria.

Das ja, anderes nicht. Julia schloss die Augen.

Sie würde Matt nie wieder in den Armen halten. Ihn nie wieder küssen. Spüren, wie er ihr mit den Fingern durchs Haar strich. Seinen Herzschlag hören. Es würde kein Matt und Julia gegen den Rest der Welt geben. Er war nicht mehr da, seine Asche war im Meer verstreut.

Sie war damals in ein tiefes schwarzes Loch gefallen. Der Schmerz über den Verlust hatte sie fast um den Verstand gebracht. Sie hatte Matt überall gesehen. Ein Mensch, der am Strand spazieren ging, ein schnelles Auto, das an ihr vorbeiraste, ein Mann, der bei Juanita einkehrte – immer sah sie Matt.

Aber sie war nicht allein. Ihre Cousinen und Tanten hatten darum gekämpft, sie zu retten. Und mühevoll war sie langsam aus dem schwarzen Tal aufgetaucht, weil die anderen sie gezwungen hatten, die Augen zu öffnen und zu sehen, wie viel Liebe ihr entgegengebracht wurde. Sie hatten ihr geholfen, sich wieder zu fangen, damit sie das Geschenk, das ihr ihr Pirat hinterlassen hatte, schätzen und lieben konnte – es war der schönste und kostbarste Schatz überhaupt.

„Mama? Wo bist du?“

„Hier drinnen, Henry.“ Sie lächelte ihre Cousinen dankbar an und stand auf. „Komm, hilf mir, ein Kostüm auszusuchen.“

3. KAPITEL

„Er ist hier!“, rief Henry.

Oh nein. „Ich bin noch nicht fertig! Sag ihm … lass ihn …“

Julia versuchte, sich die Netzstrümpfe anzuziehen, als sie die Stimme ihres Sohnes hörte. „Hallo, ich bin Henry. Freut mich, Sie kennenzulernen. Mom sagt, Sie sind Pilot.“

„Deine Mom?“

Seine Stimme war so tief und voll, dass ihr ein wohliger Schauer über den Rücken lief. Er war also überrascht, dass sie ein Kind hatte? Ups. Hatte sie das nicht erwähnt?

„Nimm dir ein Bier aus dem Kühlschrank. Henry kann dir zeigen, wo das Kostüm liegt“, rief sie. „Wenn du dich verdrücken willst, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt.“

„Ich warte. Keine Eile“, antwortete er.

Wow. Er blieb. Das war ein gutes Zeichen. Es war albern, wie froh sie darüber war, dass sie heute Abend nicht allein sein würde.

„Hübsches Haus habt ihr hier, Henry“, sagte er.

Oh, jetzt bemühte er sich, nett zu sein. Ihr Haus war winzig und alt, genau wie all die anderen Häuser, die die Harpers schon vor über hundert Jahren für die Arbeiter hier errichtet hatten. Sie hatte versucht, es mit sonnigen Farben und Bildern von Henry zu verschönern.

„Sind Sie mit Ihrem Flugzeug schon in vielen Orten gewesen? In Mexiko? Oder Los Angeles?“, wollte Henry wissen.

Das waren die beiden Orte, die ihr Sohn gerade in der Schule behandelt hatte. Julia lächelte und rollte den Strumpf hoch.

„Das Flugzeug, mit dem ich heute gekommen bin, gehört mir nicht. Aber ich bin bei der Luftwaffe mit Kampfflugzeugen geflogen“, sagte er.

„Echt? Cool. Waren Sie auch in Ganistan?“

„Afghanistan?“

„Ja, genau. Da ist mein Daddy gestorben.“

Julia schnappte nach Luft. Wer hatte Henry das erzählt? Sie hatte ihm nur wenige Details über den Tod seines Vaters verraten, weil … weil sie auch kaum welche kannte. Bis heute fiel es ihr schwer, mit ihm über den Tod seines Dads zu sprechen.

„Das tut mir leid.“ Der Mann klang ehrlich. „Ich war da und kann dir sagen, dass ich jeden Mann und jede Frau, die dort drüben kämpfen, für Helden halte.“

„Mom sagt, dass er ein toller Mann war. Der Einzige, den sie je geliebt hat.“

Julia presste sich eine Hand aufs Herz. Sie war froh, dass Henry ihr gelegentlich zuhörte, aber solch eine Unterhaltung war bestimmt etwas unangenehm für ihr Date.

„Gib ihm das Kostüm, Henry!“, rief sie.

„Okay. Hier. Als Erstes diesen Hut. Cool! Jetzt die Augenklappe.“

„Wie sehe ich aus?“

„Perfekt! Wie ein echter Pirat.“ Henry klang stolz.

„Wie Jack Sparrow?“

„Nee, wir brauchen einen richtigen Piratennamen. Wie wurden Sie in der Air Force genannt?“

Julia spitzte die Ohren. Wie hieß der Mann?

„Captain.“

„Das ist es! Aye, aye, Captain.“ Henry kicherte.

Hm, nicht gerade hilfreich.

Sie stieg in den weiten roten Rock mit dem langen Schlitz an der Seite und schlüpfte in die weiße Bluse, die die Schultern entblößte. Als sie sich im Spiegel ansah, hatte sie das Gefühl, wie eine Nutte auszusehen. Nein, nicht ganz. Wie Julia Espinoza, die vorgab, eine Nutte zu sein. Auch mit dem knallroten Lippenstift würde sie noch jeder erkennen. Okay, dann musste sie wohl doch die Perücke mit der langen blonden Mähne von Tia Nona aufsetzen.

Als sie herauskam, entdeckte sie einen beeindruckenden Piraten auf ihrer Veranda, der sich gerade über den Eidechsenkäfig beugte. Sein Hinterteil sah verdammt gut aus in dieser schwarzen Hose. Dazu trug er ein cremefarbenes Hemd und Henrys gelbes Tuch um den Kopf. Wow.

„Und was meinst du?“ Sie hielt die Luft an.

Er drehte sich zu ihr um. Seine Augen – oder besser gesagt, sein Auge, da eins unter der Klappe verborgen war – waren blau. Langsam ließ er den Blick über sie gleiten, von der mit Spitze besetzten Bluse, die ihre Brüste betonte, über den roten Rock und die Netzstrümpfe bis zu den roten Stöckelschuhen und wieder zurück.

Es war ein feuriger Blick, den er ihr zuwarf, und Julias Haut begann zu kribbeln.

„Das echte Haar gefällt mir besser.“

Er stand also nicht auf Blondinen.

„Okay. Aber würdest du mich hiermit wiedererkennen?“

„Immer.“

Sie schluckte. Sie hatte den Mann gerade erst getroffen, und doch erwachte etwas in ihrem Innern, was lange im Dornröschenschlaf gelegen hatte. Es regte sich und sehnte sich nach seinen Lippen.

Mist, das Nuttenkostüm zeigte Wirkung.

Er drehte sich wieder zum Käfig herum und redete mit Henry. „Der alte Harper sieht nur das, was er sehen will. Wir werden ihn reinlegen.“

Sie trat näher. „Also … du willst Captain genannt werden?“

Er nickte. „Bereit?“

Nein.

Vielleicht.

Oh Gott, was mache ich hier?

Sie biss sich auf die Lippen und nickte.

Im selben Moment kam Tia Nona zur Veranda gehumpelt. „Was ist hier denn los? Noch eine Party? Oh, Julia, mein Rock passt dir ja gut, aber sei vorsichtig mit der Bluse. Deine Schätzchen könnten heraushüpfen.“

„Tia Nona! Wir haben Besuch.“ Julia hob die Stimme für die alte Frau.

„Ich bin nicht blind, mija.“

Sie trat näher, um sich den Mann genauer anzusehen, geriet aber plötzlich ins Stolpern. Captain fing sie gerade noch auf.

„Alles in Ordnung?“, fragte Julia, weil sie sah, dass ihre Tante ganz blass und zittrig aussah.

Tia Nona musterte den gut aussehenden Fremden. „Sie … Sie sind …“

Er hielt sie noch immer fest. „Heute Abend nennt man mich Captain, Ma’am.“

Tia Nona blinzelte langsam und berührte seine bärtige Wange mit ihren gekrümmten Fingern. Julia war das unglaublich peinlich. Was war nur in ihre Tante gefahren? Der Mann bewegte sich nicht und zuckte auch nicht zusammen. Julia war fasziniert. Sie hatte keine Ahnung, was hier passierte, aber sie registrierte, dass seine Miene voller Mitgefühl war, während er stillhielt.

„Passen Sie gut auf Julia auf, Captain. Sie ist alles, was ich habe“, sagte Tia Nona. „Verstanden?“

„Ja, Ma’am.“

Madre mía, das hoffe ich. Seid vorsichtig.“ Sie ließ ihn los. Zu Julia sagte sie: „Vergiss niemals, nene.“ Ohne noch mehr zu sagen, humpelte sie ins Haus.

Vergiss niemals, Kleines? Wovon redete ihre Tante?

„Das war merkwürdig“, sagte Henry.

„Sie sah müde aus.“ Besorgt und alt, fand Julia. Vielleicht wurde sie dement?

Was sollte sie ohne ihre Tante tun? Sie hatte sich immer um sie gekümmert, auch als Matt sie verlassen hatte. Tia Nona hatte ihr geholfen, die Scherben wieder zusammenzufügen. Tia Nona war die Mutter, die Julia nie gehabt hatte.

„Sei artig, Henry. Geh rechtzeitig ins Bett, und wenn du etwas brauchst, geh nach nebenan zu Tina. Sie bleibt mit ihrem Baby zu Hause.“ Sie küsste ihren Sohn, doch er entwand sich ihr schnell.

„Aye, aye, Captain.“ Henry salutierte vor ihnen beiden.

„Quatschkopf.“

Ihr Date eskortierte sie hinunter zur Auffahrt, wo ein silbernes Motorrad stand.

„Moment mal, das ist ja eine Harley.“

„Überraschung.“

Julia wurde von Gefühlen überwältigt. Als sie das letzte Mal auf einem Motorrad gesessen hatte, hatte sie die Arme um Matt geschlungen. Sie hatte sich an ihn geschmiegt, und er hatte sie beschützt. Wenn sie auf seiner Maschine saßen, waren sie frei, niemand konnte sie einholen oder ihnen wehtun. Alles Schlechte blieb zurück. Es war wie Fliegen. Sie hatte ihm ihr Leben anvertraut. Ihre Liebe.

Nie wieder hatte sie jemandem so bedingungslos vertraut.

Sie ließ Captains Arm los und machte einen Schritt zurück. „Ich kann damit nicht fahren.“

„Wieso? Ich dachte, du magst Motorräder?“

Wer hatte ihm das denn erzählt? Linda und Maria hatten das wohl ausgeplaudert.

Sie mochte Motorräder, aber dies hier war kein gewöhnliches. Oh Gott, es sah genauso aus wie das von Matt, und das war wie ein Stich mitten ins Herz.

„Es tut mir leid. Es geht nicht.“

„Sag mir, was das Problem ist, und wir beheben es.“

Was zum Teufel war denn mit Julia los? Erst tat sie so, als würde sie sich nicht an ihn erinnern, und jetzt brach sie hier vor seiner Maschine fast zusammen? Wieso?

„Das ist etwas sehr Persönliches.“ Sie seufzte. „Was nicht gerade erhellend ist, oder? Ich hätte Verständnis, wenn du mit jemand anderem zur Party gehen willst. Ohne mich hättest du bestimmt mehr Spaß.“

„Ich will aber Spaß mit dir haben.“ Wie in alten Zeiten, nur besser.

„Aber ich weiß nicht, wie ich … das hier … bewältigen soll.“ Sie zeigte zwischen ihnen hin und her.

„Hör zu, Julia. Wir tanzen, trinken Champagner, essen, lachen. Es ist nur eine Party. Komm mit mir.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das wäre nicht fair dir gegenüber.“ Sie zog die Brauen zusammen. „Wenn du wüsstest, was gut für dich ist, dann würdest du auf die Harley steigen und abhauen. Du willst heute Abend bestimmt keine verkorkste Frau an deiner Seite.“

Er strich ihr leicht übers Kinn. „Verkorkst?“

Tränen schossen ihr in die Augen.

Oh verdammt. Julia war immer stark und mutig gewesen. Hatte ihr Mann ihr wehgetan? Wenn ja, dann konnte er sich glücklich schätzen, dass er nicht aus Afghanistan zurückgekehrt war, sonst hätte er ihn sich vorgenommen.

Noch immer hatte er es nicht verdaut, dass Julia ein Kind mit diesem Idioten gezeugt hatte. Das brachte ihn fast um. Er selbst hatte nie Kinder haben wollen, dafür waren seine eigenen Erfahrungen zu schlecht gewesen. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass Julia jemanden heiraten könnte, um Mutter zu werden. Hatte sie es deshalb getan?

„Ich kann nicht mit dir auf dem Motorrad fahren“, sagte sie.

Verdammt, was war passiert? Sie hatte es immer geliebt, mit ihm durch die Gegend zu rasen. Sein Plan hatte vorgesehen, dass sie die Arme um ihn schlang und sich ihre Brüste gegen seinen Rücken pressten. Sie würden ein wenig herumfahren, bevor er sie küssen und daran erinnern würde, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Anschließend würden sie auf die Party gehen und den Rest des Abends tanzen. Mit ein bisschen Glück würde er in ihren Armen aufwachen.

Nur leider schien sein Plan nicht zu funktionieren.

„Julia, rede mit mir.“

„Die Harley erinnert mich an …“ Sie atmete tief durch. „An Dinge, die ich zu vergessen versuche.“

Das war ein Schlag, den er nicht hatte kommen sehen. „Na schön“, erklärte er grimmig und stieg aufs Motorrad. „Du willst nicht mit mir kommen. Schon verstanden.“

„Nein!“ Sie legte ihm eine Hand auf den Rücken. Er spürte ihre Berührung im ganzen Körper. „Hab ein bisschen Geduld mit mir, bitte. Ich war lange nicht mehr mit einem Mann weg, aber ich würde gern mit dir kommen.“

„Ja?“

Ihr Blick wanderte zu seinen Lippen. „Ja, wirklich gern.“

Ihre sinnliche Stimme war sein Verderben. Zu gerne hätte er sie geküsst, doch sie wirkte so verletzlich, daher wollte er sie nicht drängen … noch nicht.

Er reichte ihr einen Helm, und endlich schwang sie sich auf das Motorrad und schlang die Arme um ihn.

Sie würden heute Abend neue Erinnerungen schaffen. Erinnerungen, die er mitnehmen konnte, wenn er Plunder Cove für immer verließ.

4. KAPITEL

Matt liebte es, mit Julia auf dem Rücksitz auf seiner alten zuverlässigen Harley zu fahren. Es fühlte sich vertraut und so verdammt gut an. Statt durch die Kurven zu rasen wie früher, fuhr er langsam die Küste entlang. Julia schien es nicht zu stören, dass er die Fahrt ausdehnte, denn sie legte den Kopf an seinen Rücken und entspannte sich.

Es war ein warmer Abend, und die leichte Brise, die ihm ins Gesicht wehte, roch nach Meer und Julia.

Viel zu schnell erreichten sie die lange Auffahrt von Casa Larga, die heute von zahlreichen Lampen erhellt wurde und seltsam einladend wirkte. Die vielen geparkten Autos verrieten ihm, dass Julias Cousinen recht gehabt hatten – alle waren hier. Ehe er den Motor ausschaltete, genoss er noch kurz das Gefühl von Julia, die sich an ihn presste.

Seine Julia. Ein letztes Mal.

Anschließend stieg er ab und reichte Julia die Hand. „Bereit?“

Sie ergriff die Hand. „Ja?“

„Das Fragezeichen habe ich gehört, Schätzchen. Es wird alles gut. Glaub mir.“

Sie biss sich auf die Lippe. „Ich versuche es.“

Er lachte und flüsterte ihr ins Ohr: „Denk einfach an das Motto heute Abend … Spaß haben.“

Ihm entging nicht, dass sie leicht erzitterte. Anscheinend war sie immer noch kitzelig. „Gut zu wissen.“

„Spaß haben“, wiederholte sie.

„Wir haben eine Mission – oder gleich zwei. Erstens müssen wir reinkommen und mehr herausfinden, damit wir die Ausrottung der Seeregenpfeifer verhindern können. Und zweitens werden wir Spaß haben. Okay?“

Sie nickte.

„Sehr schön.“ Er ging mit ihr in Richtung Haustür.

Plötzlich blieb sie jedoch stehen. „Oh nein. Vor der Tür steht ein Sicherheitsmann.“

„Dann nehmen wir einfach den Hintereingang.“ Er würde den Leibwächter seines Vaters überall erkennen. Es war einer der beiden Idioten, die ihn vor zehn Jahren vom Grundstück eskortiert hatten.

Julia hob eine Augenbraue. „Du hast seit heute Nachmittag einen Hintereingang gefunden? Sehr fleißig.“

Was sollte er darauf sagen? Wenn sie nur selbst nachdachte, würde sie sich erinnern, wie man durch den Garten ins Haus gelangte. Es war ja nicht das erste Mal, dass er Julia hereinschmuggelte. Er nahm ihre Hand und ging mit ihr durch den Rosengarten. Vor ihnen lag die Gartenlaube, wo er Julia geküsst hatte, als sie das letzte Mal hier gewesen waren.

„Wir müssen ja noch nicht reingehen.“

„Okay“, meinte sie mit zittriger Stimme.

„Du brauchst nicht nervös zu sein.“

„Bist du es denn nicht?“

„Ein wenig.“ Verdammt, nein, sogar sehr. Wegen der Party. Wegen Julia. „Aber wir schaffen das.“

„Das ist mir alles so fremd. Letzte Woche habe ich noch Prüfungen in Umweltwissenschaften und Jura abgelegt, und ich bekam ein Hausverbot für Casa Larga. Und jetzt bin ich hier zu einer … einer … Verabredung.“

Das Wort schien ihr nicht so leicht über die Lippen zu kommen, doch er wollte darüber nicht weiter nachdenken, also wechselte er das Thema. „Gefällt dir dein Studium?“

Ihre Augen leuchteten auf. „Und wie! Ich möchte gern Anwältin für Umweltrecht werden. Die armen Vögel können sich nicht gegen diese rücksichtslosen Unternehmer wehren.“

„Wie RW Harper.“

„Genau. Und all die anderen, die die Umwelt zerstören, um sich selbst zu bereichern. In der Zwischenzeit sterben immer mehr Arten aus, und unsere Luft und das Wasser werden verunreinigt. Ich möchte, dass mein Sohn und alle anderen noch etwas von dieser Erde haben.“

Die Leidenschaft, mit der sie sich für die Sache engagierte, ließ ihr Gesicht leuchten, und Matt fand sie einfach nur unwiderstehlich. Sanft strich er ihr über die Wange. „Da stimme ich dir zu.“

Sie schloss die Augen und schmiegte kurz das Gesicht in seine Hand. „Deshalb gebe ich mir solche Mühe beim Studium. Noch zwei Semester, dann kann ich die Anwaltsprüfung ablegen. Abgesehen von meiner Aufgabe als Mutter ist es das, was mein Leben lebenswert macht. Es ist etwas, worin ich gut bin.“

Es gefiel ihm, dass sie sich einer so ehrenwerten Aufgabe widmete. Sie war schon immer ein fürsorglicher Mensch gewesen, aber gleichzeitig auch ein Hitzkopf, daher war es nur folgerichtig, dass aus ihr eine starke Frau geworden war, die wusste, was sie wollte, und die sich für die unschuldigen Wesen dieser Erde einsetzte.

„Das gefällt mir: Julia Espinoza, Retterin der Erde.“

„Jetzt machst du dich über mich lustig.“

„Nein, überhaupt nicht. Deine Augen leuchten auf, wenn du über diese Sache sprichst. Starke Frauen sind sexy. Es ist großartig, wenn man das tut, wofür man geschaffen ist.“

„Ja“, erwiderte sie leise.

Sanft strich er mit dem Daumen über ihre Unterlippe. Seidig und warm. Keine andere Frau hatte solch einen wundervollen Mund. Matt beugte sich vor, um seine Lippen dorthin zu bringen, wo sie hingehörten.

Julia zuckte zusammen, als eine Frau aufschrie. „Was war das?“

Noch eine Frau quietschte, und ein Schwall spanischer Worte folgte. Julia lief los, und Matt folgte ihr zu dem großen Delfin-Brunnen, wo zwei ältere Frauen hineingeklettert waren und sich mit Wasser bespritzten.

„Tia Alana! Tia Flora! Was treibt ihr da?“, rief Julia. „Kommt da raus, ehe euch jemand sieht.“ Julia blickte zu Matt. „Sie sind völlig durchgedreht.“

„Pass auf, sonst seid ihr auch gleich dran“, drohte Alana und hob den Arm, um sie nass zu spritzen. „Señor Harper hat gesagt, wir sollen Spaß haben, also haben wir Spaß.“

Julia schüttelte entsetzt den Kopf, bevor sie Matts Hand nahm und ihn wegzog. „Ich will nicht hier sein, wenn die Sicherheitsleute eintreffen.“ Während sie den Weg entlanggingen, fügte sie hinzu: „Ich habe eine große Familie, und sie sind alle ein wenig verrückt.“ Sie lächelte. „Aber ich liebe sie.“

„Du kannst dich glücklich schätzen, eine Familie zu haben, die sich um dich sorgt.“

Sie waren am Haus angekommen.

„Hast du keine Familie?“

Er sah sie direkt an. „Ich habe niemanden.“

Verdammt. Das hatte er nicht sagen wollen. In der Regel ignorierte er seine Gefühle. Julia hatte ihm schon immer seine Emotionen entlocken können.

„Wirklich?“ Die Mischung aus Mitgefühl, Traurigkeit und Sehnsucht in ihrer Miene rief in ihm den Wunsch hervor, Antworten zu verlangen.

Ich hatte jemanden, aber du hast uns aufgegeben. Warum hast du aufgehört, mich zu lieben?

Er biss die Zähne zusammen und verdrängte den Gedanken. Stattdessen öffnete er die Seitentür und trat in die Küche, wo er hastig etwas Käse und zwei Gläser Champagner stibitzte. „Wegzehrung.“ Er reichte Julia ein Stück Käse. „Du wirst Kraft brauchen, damit du beim Tanzen mit mir mithalten kannst.“

„Ich dachte, du hättest gesagt, Tanzen wäre nur was für Frauen.“

„Das hat man mir beigebracht, aber ich habe auch ein bisschen was dazugelernt.“

„Das möchte ich sehen.“

„Sollst du auch.“ Er verschränkte die Finger mit ihren und zog sie durch den Flur in Richtung der Musik. „Ich werde es dir heute Abend zeigen, Schätzchen.“

Oh, madre mía.

Julia hatte nichts dagegen, auch etwas dazuzulernen – von diesem heißen Typen.

Sie hatte nur mit einem einzigen Mann geschlafen – Matt Harper. Und er war damals mit siebzehn noch gar kein Mann gewesen. Inzwischen hatte sie sich schon gefragt, ob sie wohl jemals Sex mit einem erwachsenen Mann haben würde. Zurzeit brauchte sie keinen Ehemann, keine ernsthafte Beziehung. Wie sollte sie dafür auch noch Zeit finden? Sie hatte ihren Sohn, ihre Familie, das Studium, den Tierschutz und ihre angehende Karriere. Und niemand sollte das Gefühl haben, ganz hinten auf der Prioritätenliste zu stehen.

Aber sie vermisste die Leidenschaft. Und die Berührungen. Als Captain ihr vorhin etwas ins Ohr geflüstert und sie berührt hatte, waren ihr förmlich die Knie weich geworden. Sie fühlte sich auf einmal so … begehrt.

Was natürlich Quatsch war. Ein Mann, den sie gerade erst getroffen hatte, könnte sie niemals so bewundern, wie Matt es getan hatte.

Captain war ein attraktiver Pilot, der zufällig vor ihrer Tür gelandet war. Er war eine gute Wahl für ein paar heiße Stunden. Solange es ihr gelang, die Erinnerungen, die sie dauernd überwältigen wollten, in Schach zu halten … Das Motorrad, der Garten, wo sie mit Matt Händchen haltend spazieren gegangen war, die Gartenlaube, wo sie ihren ersten Kuss bekommen hatte … Matt war allgegenwärtig.

Wie sollte sie Captain sagen, dass er genauso ging wie ihr ehemaliger Freund? Dass er fast genauso roch? Und seine Stimme, die zwar tiefer war, hatte einen ähnlichen Klang. Als er ihre Wange berührt hatte, hatte sie die Augen geschlossen, und aus Captain wurde Matt. Du meine Güte! Das konnte sie ihm doch nicht erzählen.

Der einzige Unterschied war die Art, wie er Motorrad fuhr. Matt hätte die Kurven sehr viel schneller genommen und sich hineingelehnt, als wäre er eins mit der Maschine. Dieser Mann hier fuhr ihr viel zu vorsichtig.

Aber sie mochte ihn. Er war sexy, stark, sanft … und, hatte sie schon erwähnt, sexy? Es hatte ihr einen Stich ins Herz versetzt, als er zugegeben hatte, wie allein er war. Ihr Instinkt riet ihr, ihn unter ihre Fittiche zu nehmen, vielleicht weil sie seine tiefe Traurigkeit so gut nachempfinden konnte.

Wenn ein aufregender Mann ihr für eine kurze Weile die Nächte versüßte, konnte sie vielleicht die Wunde in ihrem Herzen, die einfach nicht heilen wollte, vergessen.

„Bereit, dich mitreißen zu lassen?“, fragte er, die Hand auf der Türklinke.

Musik und Gesprächsfetzen drangen durch die Tür. Julia wusste, was sie sehen würde, sobald sie geöffnet war – den großen Saal. Als sie das letzte Mal hier drinnen gewesen war, hatte sie mit Matt getanzt. Auf der Feier zu seinem siebzehnten Geburtstag. Okay, sie hatte getanzt, und er hatte auf ihren Füßen herumgetrampelt. Doch das war nebensächlich gewesen, denn an dem Abend hatte er ihr gesagt, dass er sie liebte.

Tränen stiegen ihr in die Augen. Nein. Hör auf. Matt ist tot.

„Julia?“

Sie holte tief Luft und zupfte ihre Bluse zurecht. „Dann lass mal sehen, was du so draufhast, Captain.“

„Aber gerne doch.“ Er stieß die Tür auf.

5. KAPITEL

„Die Musik unten wird ja immer lauter.“ RW schenkte Champagner ein und reichte Angel das Glas. „Auf dich, Darling.“

Sie stieß mit dem Glas gegen seine Wasserflasche. „Auf zweite Chancen.“

Darauf wollte er gern anstoßen. Sie war seine zweite Chance, selbst wenn sie es nicht sein wollte. Nicht sein durfte, weil sie seine Therapeutin war. Bisher hatte er nicht gewusst, wie es sich anfühlte, wenn jemand ihn verstand.

Angel hatte ihm das Leben gerettet, so einfach war das. Und jetzt drängte sie ihn zur letzten Phase seiner Therapie. Gemeinsam hatten sie einen Plan ausgeheckt, um all die Wunden, die durch seine Krankheit entstanden waren, zu heilen. Er glaubte nicht daran, dass der Plan funktionieren würde, doch für sie wollte er es zumindest versuchen.

Nach dem ersten Schluck fragte sie: „Sind alle da?“

„Chloe und Jeffrey sind heute Morgen angekommen. Matthew habe ich noch nicht gesehen, aber mir wurde berichtet, dass er hier irgendwo ist. Ich warte noch darauf, dass er auftaucht.“ RW versuchte, sich zu entspannen. „Ich bin mir aber sicher, dass er einen großen Auftritt hinlegen wird.“

„Gib ihm Zeit. Er wird schon einlenken.“

„Vielleicht. Er ist schließlich ein Harper. Wir sind alle ein bisschen stur.“

„Als ob ich das nicht wüsste!“ Sie zwinkerte ihm zu.

Ach, ohne diese Frau wäre er verloren. „Du hast mich verändert. Das weißt du, oder?“

Sie betrachtete ihn. „Auf jeden Fall siehst du ziemlich gut als Pirat aus.“

Das hatte er nicht gemeint. Zu gern würde er sie fragen, ob sie sich sein Angebot noch einmal überlegt hatte. Aber sie brauchte Zeit.

Sie trank das Glas leer und stellte es auf den Tisch. „Also gut, Pirat. Runter mit dir auf deine Party. Denk einfach an den Plan. Er wird funktionieren.“

Als sie ihn anlächelte, beruhigten sich seine Nerven. Sie war die Einzige, der das gelang. Mit ihr an seiner Seite konnte er sogar daran glauben, dass er bereit war, den Plan umzusetzen und seine Kinder nach Hause zu holen. Zärtlich strich er über ihre nackte Schulter. Sie war so weich, so perfekt. „Bleibst du?“

„Besser nicht.“

„Warum? Ich habe den ganzen Ort eingeladen. Niemand wird zwei und zwei zusammenzählen. Außerdem habe ich das Piratenkostüm für dich besorgt. Keiner wird dich erkennen.“

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. „Das Risiko kann ich nicht eingehen.“

Die Dunkelheit breitete sich wieder in ihm aus und versuchte, ihn zu verschlucken. Mit heiserer Stimme flehte er sie an: „Ich schaffe es nicht ohne dich, Angel. Bitte.“

RW Harper war niemand, der um etwas bat, aber es hatte sich alles geändert, als Angel in sein Leben getreten war.

Sie schaute ihm in die Augen, und er vermutete, dass sie all die Dämonen dort sah. Die, die ihn und alle, die er liebte, fast umgebracht hätten. Die Dämonen, die sie bekämpfte. Das war vermutlich der Grund, warum sie nickte.

6. KAPITEL

Julia schnappte nach Luft, als Captain sie in den überfüllten Saal zog. Es sah genauso aus wie zu Matts Geburtstag vor zehn Jahren. Das Ganze versetzte ihr einen Stich ins Herz, und auf einmal fühlte sie sich klein und hilflos.

Sie entzog ihm ihre Hand. „Ich muss hier weg.“

Als er sie ansah, entdeckte er vermutlich die Qual in ihren Augen. Doch statt sie loszulassen, trat er ganz nahe an sie heran und legte ihr die Hände auf die Schultern.

„Niemand wird dir hier wehtun. Versprochen. Bitte bleib.“

Er log. Ihr tat schon das Herz weh. „Du verstehst das nicht.“

Eine Fanfare ließ sie zusammenzucken. Die Band begann zu spielen, und die Sänger stimmten eins von Julias Lieblingsliedern an.

„Denk an die Vögel, die du retten willst. Außerdem …“ Captain beugte sich zu ihr. „Ich kann dir ja nicht zeigen, was ich draufhabe, wenn du nicht mit mir auf die Tanzfläche kommst.“

Julia biss sich auf die Lippe. Die Seeregenpfeifer brauchten sie. Und sie liebte dieses Lied.

Und sie wollte diesen Mann.

Julia reichte ihm die Hand und ließ sich mitziehen. „Dieses Lied eignet sich wirklich gut für …“

Er wirbelte sie herum. „Salsa. Entspann dich.“ Und schon tanzte ...

Autor

Janice Maynard
Janice Maynard wuchs in Chattanooga, Tennessee auf. Sie heiratete ihre High-School-Liebe während beide das College gemeinsam in Virginia abschlossen. Später machte sie ihren Master in Literaturwissenschaften an der East Tennessee State University. 15 Jahre lang lehrte sie in einem Kindergarten und einer zweiten Klasse in Knoxville an den Ausläufern der...
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Deborah Fletcher Mello
Deborah Fletcher Mello schreibt, seit sie denken kann, und sie kann sich nicht vorstellen, jemals etwas anderes zu tun. Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt sie 2009 den RT Reviewers’ Choice Award. Immer wieder erfindet sie originelle Geschichten und beeindruckende Heldinnen und Helden. Deborah ist in Connecticut geboren und aufgewachsen, fühlt...
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