Baccara Gold Band 25

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GLUTVOLL GEKÜSST UND EISKALT VERFÜHRT? von JAN COLLEY
Für Madeline ist es Schicksal, als sie Lewis in dem exklusiven Winterresort begegnet. Wenigstens eine wilde Nacht mit ihm will sie erleben – und ahnt nicht, dass es ihr neuer Chef ist, der sie eiskalt verführt, um sie als Spionin seines Erzfeindes zu entlarven …

VERFÜHRT, VERLIEBT – VERRATEN? von YVONNE LINDSAY
Seit Callie für den atemberaubenden Unternehmer Josh Tremont arbeitet, steht sie unter seinem erotischen Bann. Dabei hat sie den Job doch nur angenommen, weil sie seine Geschäftsgeheimnisse für ihre Ex-Chefs herausfinden soll … und hat sich prompt in ihn verliebt!

VERFÜHRT VON MEINEM FEIND? von ANDREA LAURENCE
Victoria fand ihren Boss unwiderstehlich. Bis Wade Mitchell sie feuerte! Jetzt kreuzen sich ihre Wege erneut. Wade ist immer noch der Verführer in Person. Doch nur, weil er es auf ihr Land abgesehen hat, das ist Victoria klar. Rache ist süß: Sie wird ihn küssen – aber ihm niemals geben, was er wirklich will …


  • Erscheinungstag 03.12.2021
  • Bandnummer 25
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501415
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jan Colley, Yvonne Lindsay, Andrea Laurence

BACCARA GOLD BAND 25

1. KAPITEL

„Es ist mir eine große Freude, Ihnen heute Madeline Holland vorstellen zu dürfen. Ab sofort wird sie als verantwortliche Managerin mit Sitz in Sydney für die Premier Hotels Group zuständig sein.“

Nachdem der wohlwollende Applaus verklungen war, schaute der Vorsitzende der Konferenz über seine Lesebrille zu Madeline. „Bitte erzählen Sie uns ein wenig von Ihnen, meine Liebe. Ich weiß, dass Sie lange für Global Hospitality gearbeitet haben und …“

Madeline erwiderte sein Lächeln, strich ihren dunkelroten Kostümrock glatt und wollte gerade aufstehen, als die Tür aufflog und mit einem Knall gegen die Wand prallte.

Alle Anwesenden wandten sich dem Störenfried zu. Neben Madeline saß ihre beste Freundin Kay, die als Regionalmanagerin der Hotelgruppe hier in Queenstown, Neuseeland, auch für die Sicherheit zuständig war. Madeline spürte, dass Kay sofort bereit war einzugreifen, falls es nötig sein würde.

In der Tür stand ein großer, schlanker, elegant gekleideter Mann, der einen Aktenstapel in der Hand hielt. Madeline stockte der Atem, als sie ihn sah, und ihre Knie begannen zu zittern. Denn mit eben jenem Mann hatte sie gestern eine heiße Nacht verbracht.

Sein dunkelblondes Haar trug er relativ lang, seine Nase war markant, seine Oberlippe eher sinnlich, und der Dreitagebart unterstrich seine lässig-elegante Erscheinung. Madelines Lächeln gefror regelrecht, als sie an die leidenschaftliche Nacht mit ihm zurückdachte. Sie erinnerte sich genau an das Funkeln seiner grünen Augen, die jetzt glücklicherweise hinter einer Sonnenbrille verborgen waren.

Oh nein, dachte sie und sank auf ihrem Stuhl zurück. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Ob er gewusst hatte, wer sie war? Vielleicht hatte er sich schon in der Nacht vorgenommen, hier in dieses Meeting zu platzen. Und sie hatte nichts davon gemerkt, sondern war in seinen Armen vor Lust vergangen.

Auf ihrem Stuhl machte sich Madeline so klein wie möglich.

Ehe der Mann den Raum betrat, schien er die Versammlung mit einem kurzen, abschätzenden Blick zu überfliegen. „Guten Tag, Ladies und Gentlemen“, begann er ohne Umschweife. „Mein Name ist Lewis Goode.“ Er verteilte die Akten an die Anwesenden, und Madeline sah betreten zu Boden. Sie hoffte inständig, dass er sie nicht ansprach. Ihr Herz klopfte wie wild bei dem Gedanken, dass er sie mit einem anzüglichen Lächeln, einer schlüpfrigen Bemerkung vor allen anderen bloßstellen konnte.

Doch nachdem er die Akten losgeworden war, ging er zum Vorsitzenden, reichte ihm die Hand, lächelte gewinnend und setzte sich auf einen freien Platz. Dort nahm er die Sonnenbrille ab, steckte sie in seine Jacketttasche, sah auf und musterte die Anwesenden. „Es gibt einige unter Ihnen, die mich bereits kennen.“

Den Vorstandsvorsitzenden, die auf den Plätzen direkt neben ihm saßen, warf er ein Lächeln zu, dann schaute er zum Rest der Belegschaft.

Madeline rutschte noch tiefer. Sie umklammerte die Tischkante, als müsste sie sich vor dem Ertrinken retten. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Eigentlich wäre sie ja noch nicht einmal hier gewesen, ebenso wie Kay, denn sie beide gehörten nicht zur obersten Führungsriege des Unternehmens. Doch da Kay dieses Jahrestreffen hier in Queenstown organisiert hatte, hatte sie darum gebeten, teilnehmen und Madeline als jüngstes Mitglied im Management vorstellen zu dürfen.

„Für diejenigen, die mich noch nicht kennen, hier einige Informationen“, fuhr Lewis Goode fort. „Ich halte ab sofort die Aktienmehrheit an der Premier Hotels Group und fungiere somit von jetzt an als alleiniger Geschäftsführer.“

Verblüffung zeichnete sich auf einigen Gesichtern ab, doch die meisten der Direktoren wirkten gleichmütig. Madeline hingegen schlug die Hand vor den Mund, um nicht entsetzt aufzuschreien.

Sie hatte mit ihrem neuen Chef geschlafen!

„Gestern Morgen hat das australische Kartellamt der Übernahme zugestimmt, die ich seit einem Jahr geplant habe“, sprach er weiter. „Denjenigen im Vorstand, die mich unterstützt haben, möchte ich danken. Jenen, die das nicht getan haben …“ Er machte eine bedeutungsschwere Pause. „Jenen, die das nicht getan haben, möchte ich mitteilen, dass ich nichts mehr schätze als Loyalität. Und zwar mir gegenüber. Falls Sie diese Loyalität nicht leisten können, sollten Sie mich umgehend davon in Kenntnis setzen. Ich werde dann dafür sorgen, dass Sie eine ordentliche Abfindung erhalten.“

Die Blicke richteten sich neugierig auf die Vorstandsvorsitzenden, doch deren Mienen blieben undurchdringlich.

„Wie Sie alle wissen“, sagte Goode, „gibt es bei einer Firmenübernahme immer auch Umstrukturierungen. Ich werde alles einer eingehenden Prüfung unterziehen. Ebenso müssen sich alle Manager erneut um ihren Job bewerben.“

Kay wandte sich zu Madeline und sah sie entschuldigend an. Schließlich hatte Madeline einen ziemlich guten Job aufgegeben, um für Premier Hotels zu arbeiten. Was Kay natürlich nicht wissen konnte, war, dass sie an mehr schuld war als an Madelines Jobwechsel. Denn sie hatte, ohne es zu wollen, für das magische Zusammentreffen von Madeline und Lewis gesorgt.

Für eine unvergessliche Nacht …

„Das trifft allerdings nicht auf meinen Vorgänger Jacques de Vries zu, der das Unternehmen sofort zu verlassen hat.“ Unruhe breitete sich im Rau aus, denn Jacques de Vries war der Gründer dieser internationalen Hotelkette und so etwas wie eine Galionsfigur für die Hotels. Lewis machte erneut eine Pause und sah Madeline direkt in die Augen. „Und Madeline Holland wird wie vorgesehen ihren Posten als Managerin der australischen und neuseeländischen Hotels antreten.“

Madeline atmete tief durch, und Kay sah lächelnd zu ihr hinüber. In ihrer Miene stand deutlich Erleichterung zu lesen, und Madeline wusste genau, was das zu bedeuten hatte. Vermutlich wäre es Kay zu peinlich gewesen, die Freundin nach zwölf Jahren Abwesenheit wieder nach Neuseeland gelockt zu haben, um dann mit ansehen zu müssen, wie sie sofort gefeuert wurde.

Wie gut, dass Kay nichts ahnt, dachte Madeline verzweifelt. Wie soll ich aus diesem Schlamassel je wieder rauskommen?

Sie fühlte Lewis’ Blick immer noch auf sich ruhen und wäre am liebsten davongelaufen.

Lewis lächelte schwach, als könnte er ihre Gedanken lesen. „Ihnen eilt ein guter Ruf voraus, was Organisation und Verwaltung betrifft, Miss Holland“, sagte er. „Ihre erste Aufgabe wird darin bestehen, die Zentrale von Premier Hotels von Singapur nach Sydney zu verlagern. Ich freue mich auf eine enge Zusammenarbeit mit Ihnen.“

Kay stieß sie an und lächelte, doch Madeline war immer noch wie benommen von den Gefühlen, die sein Blick und sein Lächeln bei ihr auslösten. Ihr war auch nicht entgangen, dass er die Worte „enge Zusammenarbeit“ besonders betont hatte. Ganz abgesehen davon, dass er sich jetzt endgültig verraten hatte: Wenn er wusste, dass sie in Fachkreisen einen guten Ruf besaß, dann war ihm vergangene Nacht auch klar gewesen, mit wem er ins Bett ging.

Nach außen hin bemühte sie sich, gelassen zu wirken, aber unterschwellig bahnte sich Wut ihren Weg, trotz aller Ängste, die sie gerade durchstand.

Endlich wandte Lewis den Blick von ihrem erhitzten Gesicht. „Ich freue mich auch darauf, Sie alle besser kennenzulernen. Unsere Jahreskonferenz, die wir in den nächsten Tagen in diesem wunderbaren Eckchen Neuseelands abhalten, wird mir dazu Gelegenheit geben. Jetzt allerdings würde ich mich gern mit den Aufsichtsräten beraten und bitte die anderen Teilnehmer, uns zu entschuldigen.“

Stühle wurden gerückt, es gab Geflüster, als diejenigen, die nicht dazugehörten, aufstanden, ihre Aktentaschen und Papiere nahmen und den Raum verließen. Madeline senkte den Kopf und zwang sich, auf dem Weg nach draußen nicht zu drängeln. Glücklicherweise wurde Kay sofort von einigen Kollegen in Beschlag genommen, sodass Madeline Zeit hatte, sich zu sammeln.

Die Angestellten drängten sich um Kay. „Wussten Sie davon?“

Kay schüttelte den Kopf. „Ich hatte Gerüchte gehört, aber niemand hat erwartet, dass es so schnell geht.“

Madeline lehnte sich gegen die Wand, ohne dem Stimmengewirr allzu viel Beachtung zu schenken. Aufgeregt erkundigten sich die Mitarbeiter nach den wenigen Details, die schon bekannt waren. Wie hatte es passieren können, dass der mächtige Jacques de Vries derart ausgebootet wurde?

Der ehemalige Firmenchef war Madeline herzlich egal. Dafür hätte sie gern gewusst, was sich der neue Boss dabei gedacht hatte, mit ihr ins Bett zu gehen. Ohne es zu wollen, stiegen die Bilder der leidenschaftlichen Nacht vor ihr auf. Immer noch spürte sie den warmen, durchtrainierten Männerkörper unter ihren Händen, und die Erinnerung an die Liebesnacht mit ihm sandte einen heißen Schauer über ihren Rücken.

Um möglichst niemandem aufzufallen, drückte sie sich an die Wand, während sie fühlte, wie ihre Brustspitzen sich zusammenzogen. Achtundzwanzig Jahre war sie alt und stand dennoch hilflos da, schamerfüllt und ohne jedes Selbstvertrauen. Unwillkürlich dachte sie an eine andere Episode in ihrem Leben, die schließlich dazu geführt hatte, dass sie vor zwölf Jahren ihre Mutter, ihre Freunde und ihre Heimatstadt verlassen hatte. Madeline hatte hart an sich gearbeitet, um das beständige Gefühl der Wertlosigkeit und Unsicherheit loszuwerden. Eigentlich hatte sie geglaubt, damit erfolgreich gewesen zu sein.

Bis Lewis Goode gekommen war und sie verführt hatte.

Kay löste sich aus der Gruppe und kam zu ihr. „Ich brauche einen Drink“, murmelte sie. „Gehen wir in mein Büro oder an die Bar?“

„In dein Büro“, erwiderte Madeline sofort. Bloß nicht mit anderen Leuten reden müssen!

„Es tut mir leid, Honey“, sagte Kay. „Ich hatte keine Ahnung, dass so etwas passieren würde.“ Sie blieb am Schreibtisch ihrer Sekretärin stehen und sah Madeline an. „Möchtest du Chardonnay?“

Madeline nickte, und Kay bat die Sekretärin, eine Flasche und zwei Gläser von der Bar zu holen. Danach ging sie mit Madeline in das Büro.

„Ich hätte dich warnen müssen, dass etwas im Busch ist“, gab Kay zu.

Scheinbar ungerührt zuckte Madeline die Achseln. Sie war ihrer alten Schulfreundin viel zu dankbar, denn während sie selbst die Karriereleiter erklommen hatte, war es Kay gewesen, die sich um Madelines Mutter gekümmert hatte. Irgendwann später hatte die Freundin bemerkt, dass die alte Frau an Alzheimer litt, und Madeline schließlich zur Rückkehr bewegt. Kay hatte auch dafür gesorgt, dass Madelines Mutter in ein betreutes Wohnheim kam.

Nun ließ sich Kay auf den Schreibtischsessel sinken und lud Madeline mit einer Handbewegung ein, sich ebenfalls zu setzen. „Ich hätte gedacht – wie übrigens alle anderen auch –, dass Jacques de Vries sich das Heft niemals aus der Hand nehmen lässt. Er hat das Unternehmen ja gegründet.“ Kay nahm ihr Handy und begann in Windeseile eine SMS zu tippen. „Offensichtlich stand der Aufsichtsrat nicht mehr hinter ihm.“

Madeline hatte den Firmengründer nie kennengelernt, aber sein Name war in der Hotelindustrie legendär. Die Premier Hotels Group operierte zum größten Teil in Australien, Neuseeland und Asien, doch es gab auch ein paar Hotels in den Vereinigten Staaten, wo sich auch der Firmensitz ihres ehemaligen Arbeitgebers Global Hospitality befand.

Kay lächelte. „Du bist bestimmt erleichtert, dass du dich nicht noch einmal bewerben musst. Ich frage mich, ob das auch für die Regionalmanagerin gilt.“

„Keine Ahnung“, bemerkte Madeline. „Erzähl mir was über Lewis Goode.“ Denn was wusste sie schon von ihm? Sie kannte seinen Blick voller Verlangen, den Duft seiner Haut, die Lust, die seine erfahrenen Finger, sein verführerischer Mund ihr bereiten konnten. „Ich habe seinen Namen schon mal gehört.“ Allerdings nicht letzte Nacht. „Mir war nicht bewusst, dass er auch in Hotels investiert.“

„Hat er bis jetzt auch nicht, soweit mir bekannt ist.“ Kay wies auf einen Stapel Wirtschaftsmagazine, die auf dem kleinen Konferenztisch lagen. Madeline langte hinüber, nahm ein paar und blätterte darin.

Schon auf dem zweiten Titel entdeckte sie das markante Gesicht von Lewis Goode. Anscheinend las sie die falschen Zeitschriften. Denn dieses Gesicht hätte sie bestimmt nicht vergessen.

„Er führt ein ganzes Firmenkonglomerat“, berichtete Kay. „Das bekannteste seiner Unternehmen ist Pacific Star Airlines. Er hat die Fluglinie vor fünf Jahren fast umsonst bekommen, und jetzt ist sie die zweitgrößte im pazifischen Raum.“

Madeline zwang sich, ihren Blick von dem Titelfoto zu lösen, schlug die Zeitschrift auf und suchte den Artikel. Wahrscheinlich war ihr Lewis Goode nur entgangen, weil sie in einem anderen Teil der Welt gearbeitet hatte. Und für den Job bei Premier Hotels hatte sie sich vor weniger als einem Monat beworben.

Woher wusste er also, wer sie war? Und weshalb hatte er sich ihr nicht vorgestellt? Doch sie wusste, weshalb. Ihr Zusammentreffen in dem verschneiten Chalet, das zur Hotelanlage Alpine Fantasy gehörte, hatte etwas Magisches gehabt. Sie hatten verabredet, den Zauber dieser einen Nacht nicht durch so profane Dinge wie Namen oder Titel zu zerstören. Es war ein Spiel gewesen, doch Lewis Goode hatte geschummelt. Was hatte er davon? Es schien ihr so billig, und sie hatte nicht die geringste Lust, ihm bei der Firmenübernahme behilflich zu sein.

Genau genommen befand sie sich in keiner beneidenswerten Situation. „Hoffentlich spielt er mit seinen Flugzeugen und überlässt das Hotelgeschäft den Leuten, die etwas davon verstehen“, meinte sie.

„Ich habe gehört, er soll ziemlich gut sein und die Dinge gern selbst in die Hand nehmen“, erwiderte Kay.

Wenn du wüsstest, dachte Madeline.

„Ich sollte mir Sorgen um mich machen“, fuhr Kay grimmig fort. „Unter uns, Madeline – und weil du ja jetzt meine neue Chefin bist: Wir müssen uns hier ziemlich nach der Decke strecken. Bete für eine grandiose Skisaison.“

Madeline hörte für einen Moment auf, sich selbst zu bemitleiden, und versuchte zu begreifen, was die Freundin ihr gerade gesagt hatte. Beide Frauen hatten sozusagen bei null angefangen und sich über die Jahre hochgearbeitet. In ihrer Freizeit hatten sie studiert, um beruflich voranzukommen. Madeline war dann ins Ausland gegangen, um in einer anderen Hotelkette Berufserfahrung zu sammeln. Dort machte sie die Jobs, die sonst keiner haben wollte, und ihre Erfolge verhalfen ihr zu raschen Sprüngen auf der Karriereleiter. Nach zehn Jahren war Kay hier in Queenstown Regionalmanagerin geworden, und das, obwohl sie ein Jahr ausgesetzt hatte, als ihre Zwillinge geboren wurden.

„Selbst wenn die Hotelgruppe in Schwierigkeiten steckt, kann er doch nicht einfach das Touristenzentrum Neuseelands aufgeben“, sagte Madeline.

Queenstown war zu allen Jahreszeiten ein beliebter Ort für Abenteuertouristen. Es gab daher unzählige Unterkünfte der verschiedensten Kategorien. Premier besaß mit seinen Hotels Waterfront, Lakeside und Mountainview Häuser an den begehrtesten Plätzen der Stadt. Als Madeline und Kay damals ins Hotelfach gegangen waren, hatten die drei Premier-Hotels direkt neben den Namen der besten Arbeitgeber in Queenstown gestanden.

Die Tür wurde geöffnet, und die Sekretärin trat ein. Sie trug ein Tablett mit einer Flasche Chardonnay sowie zwei Gläsern. „Draußen ist ein Mr. Lewis Goode, der Sie sprechen möchte“, berichtete sie. „Allerdings hat er keinen Termin.“

Madeline hob abrupt den Kopf. Er war hier? Sie sprang sofort auf und schaute sich nach einem Fluchtweg um.

Kay atmete tief durch. „Gut, Felicity. Bringen Sie noch ein Glas.“

Als die Sekretärin den Besucher hineinbat, kam Lewis geradewegs auf Kay zu und reichte ihr mit einem angedeuteten Lächeln die Hand. Madeline stand nervös daneben und rieb ihre feuchten, kalten Hände am Stoff ihres Kostüms.

„Ich wollte Sie treffen, bevor die Konferenz beginnt“, sagte Lewis zu Kay. „Soweit ich weiß, organisieren Sie dieses Event.“

„Ja.“ Kay wirkte fast entspannt. „Das ist eines meiner vielen Talente. Haben Sie Madeline Holland schon offiziell kennengelernt?“

Er wandte sich Madeline zu, und sofort begann ihr Herz wie wild zu schlagen. Doch als sie in seine grünen Augen blickte, war da kein Abglanz der vergangenen Leidenschaft zu entdecken. Kühl und abschätzend musterte er sie und lächelte knapp, als amüsierte ihn etwas.

„Nein, nicht offiziell“, erwiderte er und streckte die Hand aus. „Madeline.“

Zögernd reichte sie ihm die Rechte, weil sie genau wusste, dass sich ihre Finger vor Nervosität ganz kalt anfühlten. Seine Haut dagegen war warm und trocken, und sein Händedruck war fest. Als er ihre Hand freigab, meinte Madeline, die Berührung immer noch zu spüren.

„Sie haben zehn Jahre lang für Global Hospitality gearbeitet?“, fragte er.

Madeline nickte, weil sie wahrscheinlich nur ein Krächzen herausgebracht hätte.

„Wieso sind Sie zu Premier gewechselt?“, wollte er wissen.

„Ich …“ Madeline schluckte, um ihre Nervosität in den Griff zu bekommen. „Ich wollte wieder in der Nähe meiner Heimat sein.“

Er runzelte die Stirn. „Heimat?“

„Meine Mutter lebt hier in einem Pflegeheim.“

„Madeline und ich sind zusammen aufgewachsen“, erklärte Kay. „Wir haben sogar gemeinsam als Zimmermädchen hier im Premier Waterfront Hotel angefangen, als wir sechzehn waren.“

Lewis warf Madeline einen erstaunten Blick zu. „Das wusste ich nicht.“

Die Tür zum Büro wurde geöffnet, und Kays Sekretärin trat ein, um das dritte Weinglas zu bringen.

„Ich hoffe, dass Sie ein Glas Chardonnay mit uns trinken“, lud Kay ihn ein. „Wir wollten auf Madelines Heimkehr anstoßen.“

Ein paar Sekunden lang hoffte Madeline inständig, dass er ablehnen würde. Doch dann wandte er sich lächelnd an Kay. „Wenn Sie mich nicht als Eindringling empfinden, gern.“

„Überhaupt nicht.“ Schwungvoll nahm Kay die Weinflasche und begann einzuschenken, während Madeline hilflos auf die goldfarbene Flüssigkeit starrte, die in die Gläser rann. Sie musste sich zwingen, nicht ständig zu Lewis zu schauen, und sie fragte sich, ob auch Wölfe mit ihrer Beute spielten wie Katzen, ehe sie zum tödlichen Biss ansetzten.

„Genießen Sie Ihre Heimkehr, Madeline?“, erkundigte sich Lewis höflich. Doch in ihren Ohren klang seine Frage mehrdeutig, denn er sprach ihren Namen mit einem sinnlichen Unterton aus. Obwohl sie den Namen Madeline immer altmodisch und verstaubt gefunden hatte, gefiel er ihr auf einmal beinahe.

Doch dann begriff sie, was er eigentlich meinte: Hattest du Spaß letzte Nacht, Madeline?

Anscheinend hatte er vor, sich auf ihre Kosten zu amüsieren. Das würde sie sich nicht gefallen lassen. Energisch hob sie den Kopf.

Kay reichte ihnen je ein Weinglas und warf Madeline einen fast vorwurfsvollen Blick zu. Offenbar fragte sie sich, weshalb die Freundin so verstockt schwieg. Krampfhaft umklammerte Madeline den Stiel ihres Weinglases und wünschte, die Erinnerung an Lewis’ Händedruck würde endlich verblassen.

Kay hüstelte. „Bleiben Sie zur Konferenz, Mr. Goode?“

Lächelnd wandte sich Lewis von Madeline zu Kay. „Nennen Sie mich Lewis, bitte. Ja, ich bleibe für die gesamte Dauer der Konferenz.“

„Queenstown ist ein Ort, an dem gestresste Manager aus aller Welt neue Energie tanken“, erläuterte Kay lächelnd. „Ich jage die Konferenzteilnehmer auf ein paar ziemlich wilde Abenteuertrips. Meine persönliche kleine Rache an der gesamten Chefetage.“

Lewis erwiderte ihr Lächeln. „Dann sollten wir das Angebot annehmen, Madeline, oder?“

„Ich habe zurzeit Urlaub“, erwiderte sie steif und nippte an ihrem Wein. „Mein Arbeitsvertrag beginnt am Ersten des nächsten Monats.“

Sein Lächeln war höflich, doch seine Stimme klang unnachgiebig, als er sagte: „Aber für die Jahreskonferenz werden Sie doch sicher Zeit haben, nicht wahr?“

Am liebsten hätte sie scharf gekontert, doch sie kniff und fand sich gleichzeitig feige. Stumm stand sie dabei, während Kay und Lewis sich unterhielten. All ihre Träume von einer triumphalen Heimkehr, von Karriere und Glück zerplatzten. Wenn herauskam, dass sie mit dem Boss geschlafen hatte, dann konnte sie in Queenstown niemandem mehr in die Augen sehen, ganz zu schweigen von ihren Untergebenen im Büro in Sydney.

Lewis genoss Madelines Unbehagen, während er mit einem Ohr Kays Geplapper zuhörte.

Seiner Meinung nach war Madeline Holland eine erstklassige Schauspielerin. Selbst in den leidenschaftlichsten Momenten hatte sie nicht erkennen lassen, dass sie wusste, wer er war. Jacques hatte seine Spionin gut ausgewählt.

Doch etwas anderes hätte er von Jacques de Vries auch gar nicht erwartet. Denn der Patriarch war der Konkurrenz immer einen Tick zuvorgekommen – bis heute Morgen.

Lewis nippte zufrieden an seinem Wein und freute sich an seinem Erfolg, den er seit zwei Jahren geplant und für den er hart gearbeitet hatte. Die meisten der Aufsichtsräte hatte er schon vor Monaten ins Boot geholt, doch dann hatte er erst mal abwarten müssen, bis die Kartellbehörde der Firmenübernahme zustimmte.

Als er daran dachte, wie entgeistert und wütend Jacques gewesen war, lächelte er unwillkürlich. Lewis selbst hielt sich nicht für einen gemeinen Menschen, aber in diesem Fall war Rache tatsächlich süß. Jacques hatte sich für unbesiegbar gehalten, doch heute hatte er lernen müssen, dass niemand unantastbar war, vor allem nicht Menschen, die ihre Macht auf die Unterwürfigkeit und Heuchelei ihrer Mitarbeiter gründeten.

„Sie haben den Hass Ihrer Untergebenen für Furcht und Respekt gehalten, Jacques“, hatte er dem alten Mann vorhin gesagt, ehe er ihn aus der Präsidentensuite verwies und ihm Hausverbot für das Hotel erteilte. „Es ist mir leichtgefallen, die Aufsichtsräte für mich zu gewinnen.“

Nun warf er der nervösen Frau, die neben ihm stand und es geflissentlich vermied, ihn anzusehen, einen forschenden Blick zu. Heute Morgen, als er gegangen war, hatte er sie aus seinem Kopf verdrängt, weil Arbeit auf ihn wartete. Nun gönnte er sich einen Moment des Nachdenkens.

Ihre Wimpern und Augenbrauen waren dunkel, doch ihr dichtes langes Haar, das sie jetzt in einem hübschen Knoten trug, war blond. Ein ungewöhnlicher Schönheitsfleck lenkte unwillkürlich die Aufmerksamkeit auf ihre hohen Wangenknochen. Lewis bewunderte erneut den warmen Ton ihres Teints. Noch vor wenigen Stunden hatte er seine Lippen auf ihre zarte Haut gepresst, während sie noch schlief. Jetzt, da er neben ihr stand, nahm er ihren eleganten Duft wahr und atmete tief durch. Offensichtlich bemerkte sie es, denn sie runzelte die Stirn und richtete ihre tiefblauen Augen unverwandt auf ihre Schuhe.

Ja, dachte er, Madeline Holland vergaß ein Mann nicht so schnell. Er hatte sich entschieden, sie als Mitarbeiterin zu behalten, nachdem er ihre Unterlagen studiert hatte. Was für sich sprach, war außerdem, dass sie gegenüber dem alten Chef zu keinerlei Loyalität verpflichtet war. Das hieß, man konnte sie nahtlos in die neue Firma integrieren. Mit ihr zu schlafen war zwar nicht geplant gewesen, doch es kam als netter Bonus dazu.

Die intensiven Gefühle jedoch, die das Zusammensein mit Madeline in ihm ausgelöst hatte, kamen völlig unerwartet. Er hatte die Nacht im Alpine Fantasy Retreat verbringen wollen, um lästigen Fragen bis zur Konferenz aus dem Weg zu gehen. Als die neuseeländische Schönheit auftauchte, ging er sofort davon aus, dass das einer der Winkelzüge von Jacques de Vries war. Lächerlich, dachte er, doch er nahm sich, was ihm so freigiebig geboten wurde. Es wurde eine aufregende, eine unvergessliche Nacht. Und nun war Madeline seine Mitarbeiterin.

Lewis war überaus zufrieden mit seinem Werk und lächelte Madeline gewinnend an. Sie hatte sich ihren Bonus verdient, und tatsächlich hatte ihr entsetzter Gesichtsausdruck, als er vorhin in die Konferenz geplatzt war, so etwas wie Mitgefühl in ihm hervorgerufen. Allerdings hatte auch er keine Ahnung gehabt, dass er sie bei diesem Meeting antreffen würde, denn sie hatte nicht auf der Einladungsliste gestanden.

Als er bemerkte, dass Kay eine Antwort von ihm erwartete, riss er sich von Madelines Anblick los. „Wie bitte?“

Kay fragte, ob er bei der Gala am nächsten Abend an derselben Stelle und für dieselbe Dauer Sprechzeit wie Jacques de Vries beantragen würde, der ja nun nicht mehr als Redner in Erscheinung treten würde.

„Natürlich“, erwiderte er höflich. „Allerdings glaube ich nicht, dass ich so geschwätzig bin wie er.“ Lewis sah auf seine Armbanduhr und stellte sein halb leeres Glas auf den Schreibtisch. Die Abenddämmerung tauchte den See und die Berge, die vom Büro aus zu sehen waren, in purpurfarbenes Licht. Da ihm klar war, dass die Straßen hier oben schnell zufroren und die Fahrt zum Chalet etwa vierzig Minuten dauerte, musste er sich verabschieden.

„Kay, ich möchte morgen ins Penthouse hier im Hotel ziehen“, sagte er. „Wie ich höre, ist die Präsidentensuite frei geworden.“ Er ignorierte den erschrockenen Laut, den Madeline von sich gab, doch nun war er zumindest sicher, dass auch sie im Hotel wohnte. „Außerdem will ich“, fuhr er zu Kay gewandt fort, „dass wir uns in den nächsten Tagen einmal treffen, damit ich mir ein Bild von der geschäftlichen Situation der drei Hotels hier machen kann.“

Danach bedankte er sich für den Drink und ging, nicht ohne seine Hoffnung auszudrücken, beide Damen morgen Abend bei der Gala zu sehen.

Madeline murmelte nur, dass sie noch nicht genau wüsste, ob sie kommen würde, was Kay zu enttäuschen schien, doch Lewis nickte nur zum Abschied. „Wir sehen uns morgen“, sagte er fest.

2. KAPITEL

Am nächsten Abend sah Madeline sich während des Dinners in dem großen Ballsaal des Premier Waterfront Hotels um. Kay als Organisatorin des Festes hatte sich selbst übertroffen: Der Raum wirkte wie ein Palast aus einem Wintermärchen. Sterne glitzerten von oben, an die Wände wurden Bilder von Schneeflocken projiziert, und von der acht Meter hohen Decke hingen Lichterketten. Die fünfhundert ausgewählten Mitarbeiter aus aller Welt saßen an großen runden Tischen vor einer Bühne. An jedem fanden zehn Leute Platz. Und in der Mitte jeder Tafel glitzerte ein mit Kunstschnee bedeckter Miniatur-Winterwald.

Madeline bewunderte Kays Geschmack und Organisationstalent und beobachtete die Freundin, die auf der Bühne die Gäste empfing. Alle Kollegen an Madelines Tisch waren voll des Lobes für das Arrangement, auch die Weine waren exzellent.

Als Madeline ihren Blick über die festlich gekleideten Gäste gleiten ließ, wurde ihr bewusst, dass sie selbst eine solch hochkarätige Veranstaltung nie hätte organisieren können. „Kays Talent ist in einem Hotel verschwendet“, bemerkte sie zu Kays Ehemann John, der neben ihr saß und vor Stolz fast platzte. „Sie sollte ins Eventmanagement gehen.“

Als sie ihren Blick weiter durch den Saal schweifen ließ, blieb er am Chef-Tisch hängen, wo Lewis Goode neben den Aufsichtsräten saß und darauf wartete, dass Kay ihn den Anwesenden offiziell vorstellte. Es waren bereits Gerüchte im Umlauf, was der neue Chef für die Hotels in Queenstown plante. Madeline fragte sich, ob er wohl vorhatte, Kay eine faire Chance zu geben, oder bereits beschlossen hatte, die nachgewiesenermaßen unrentablen Häuser von einem neuen Team leiten zu lassen. Sie nahm sich vor, mit allen Mitteln darum zu kämpfen, dass Kay ihren Job behielt.

In diesem Augenblick erhob sich Lewis Goode, kam auf die Bühne und schüttelte Kay die Hand.

„Für ein Event dieser Größe“, begann er, „benötigt man normalerweise einen ganzen Stab von Mitarbeitern. Kay hingegen hat es geschafft, diese Pracht hier mit wenigen Angestellten herbeizuzaubern. Das zeigt, wie hoch ihr Ansehen in unserem Unternehmen ist und wie motivierend und inspirierend ihre Arbeit auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirkt.“

Strahlend verließ Kay unter begeistertem Applaus die Bühne und setzte sich zwischen ihren Ehemann und Madeline. Dies war der Moment, in dem Lewis Goode seinen leitenden Angestellten zum ersten Mal Auge in Auge gegenüberstand.

Es gelang ihm, sein Publikum in den folgenden zwanzig Minuten so zu fesseln, dass man in der Stille eine Nadel hätte zu Boden fallen hören können. Obwohl Madeline nicht ganz unvoreingenommen zuhören konnte, bewunderte sie seine selbstbewusste Haltung und sein immenses Wirtschaftswissen. Niemand, der seine Rede hörte, würde danach daran zweifeln, dass Lewis Goode ein brillanter, erfahrener Unternehmer war, der genau wusste, was er wollte. Er warb um das Engagement seiner Mitarbeiter, um, wie er sagte, Premier Hotels wieder an die Spitze der internationalen Hotelketten zu führen.

„Viel zu lange ist dieses Unternehmen von seiner obersten Führung nur als Goldesel benutzt worden, den es auszubeuten galt auf Kosten der Qualität und der Mitarbeiter“, sagte Lewis Goode. „In den vergangenen Jahren wurde weder expandiert noch erneuert, noch wurden die Mitarbeiter geschult, wie es sich gehört. Deshalb hoffe ich, dass Sie es alle begrüßen werden, dass ab sofort ein neuer Wind weht.“ Der tosende Applaus ließ erkennen, dass wohl die meisten der anwesenden Manager auf seiner Seite standen. Madeline fragte sich jedoch, ob auch die Einheimischen die Pläne zur Umstrukturierung begrüßen würden.

Lewis Goode verließ unter Ovationen die Bühne. Schon flogen Worte wie „Charisma“ und „beeindruckende Ausstrahlung“ durch den Raum.

„Toll!“, sagte Kay und wandte sich an Madeline. „Ich würde ihm jederzeit in die Schlacht folgen.“

Zögernd stimmte Madeline ihr zu. Wie hätte sie ihrer Freundin auch sagen können, dass sie dem Charme von Lewis Goode bereits verfallen war, wenn auch auf sehr intime Weise? Ihr peinliches Geheimnis lag ihr wie ein Mühlstein auf der Seele. Zu gern hätte sie Kay alles gebeichtet, doch die Freundin hatte genug zu tun mit der Organisation dieses Abends, dazu kam, dass Lewis die drei Hotels in den nächsten Tagen in Kays Begleitung einer Inspektion unterziehen wollte.

„Apropos toll“, fuhr Kay fort und wies auf Madelines Cocktailkleid. „Ob deine Mutter mit diesem Kleid für ‚Madeline die Gute‘ wohl einverstanden wäre?“ Sie lachten beide über den Spitznamen, den Madeline auf der Schule gehabt und der ihr Image über Jahre verdorben hatte.

Denn Madelines Mutter war das Gespött der ganzen Stadt gewesen. Man nannte sie die Bibel-Lady, weil sie immer an Straßenecken stand und den Leuten die Gefahren von Alkohol und Sex predigte. Als Kind und Heranwachsende war Madeline von ihren Mitschülern entweder bemitleidet oder ausgelacht worden. Freunde durfte sie nicht mit nach Hause bringen, ihre Schuluniform schlotterte um sie wie ein Sack, und ihre Mutter schnitt ihr selbst das Haar. Make-up war verboten, weil es Teufelszeug sei. Je älter Madeline wurde, desto mehr neckten die Mitschüler sie, aber ihrer Mutter schien das völlig egal zu sein.

Nun strich Madeline das schwarze Cocktailkleid glatt und zupfte an dem modischen Ballonrock, der kurz über dem Knie endete. „Das hast du ausgesucht“, erinnerte sie Kay an den gemeinsamen Shoppingausflug in Sydney vor einem Monat, als die Freundin angereist war, um Madeline für das Vorstellungsgespräch den Rücken zu stärken.

„Entspann dich“, meinte Kay, als sie sah, dass Madeline an der Korsage herumnestelte, die ihr hübsches Dekolleté betonte. „Du siehst großartig aus.“

Nein, Madeline bereute den Kauf wirklich nicht. Ihre gesamten Sachen befanden sich in einem Container auf der Reise von ihrem letzten Einsatzort nach Sydney, wo sie im Darling Harbour Premier Hotel eine vorübergehende Bleibe gefunden hatte, solange sie noch kein eigenes Apartment besaß. Da fast ihre gesamte Garderobe unterwegs war, hätte sie sowieso für diesen Abend nichts anderes zum Anziehen gehabt.

Als Kay sich an einen der anderen Gäste am Tisch wandte und ein Gespräch mit ihm begann, spürte Madeline plötzlich, dass jemand sie beobachtete. Ohne es zu wollen, driftete ihr Blick zu dem Tisch, an dem Lewis mit den Aufsichtsräten saß. Verblüfft bemerkte sie, dass er sie unverwandt musterte und sie auch dann nicht aus den Augen ließ, als er zuhörte, was einer der hochkarätigen Manager zu ihm sagte.

Madeline wandte sofort den Blick ab und fragte sich erneut, wie sie bloß einen solchen Fehler hatte begehen können. Denn eigentlich war sie ja ein braves Mädchen, das seine Schüchternheit nie wirklich überwunden hatte, die Resultat der strengen Erziehung war. Ihr Liebesleben war ein Witz. Außerdem hatte sie Jahre damit verbracht, hart zu arbeiten und sich nebenher weiterzubilden, um die Karriereleiter emporzusteigen. An ihrem Arbeitsplatz waren Affären für sie tabu, und da sie wenig Freizeit hatte, gab es auch kaum Gelegenheit, Männer kennenzulernen. Die paar Erfahrungen, die sie im Urlaub gemacht hatte, waren kurz, heftig und ab und zu sehr schön gewesen. Aber sie blieben geheim und endeten mit der Abreise.

Na gut, sagte sie sich. Immerhin wollte ich im Alpine Fantasy Retreat Urlaub machen. Trotzdem war es Irrsinn, mich mit einem Fremden einzulassen, den ich erst ein paar Stunden kannte.

Madeline war absolut nicht die Frau, für die Lewis Goode sie wahrscheinlich hielt.

Vorn auf der Bühne begann nun eine Band zu spielen, das Licht wurde gedimmt, und die Stimmung im Saal wechselte, weil nun der entspannte Teil des Abends folgte. Kay und John unterhielten sich leise miteinander, während Madeline etwas gelangweilt den Rand ihres Champagnerglases gegen ihre Lippen tippte und die neuen Kollegen betrachtete. Sie kannte hier außer Kay und John niemanden. Da sie in den letzten beiden Nächten wenig geschlafen hatte – in der ersten Nacht wegen ihres Abenteuers, in der zweiten, weil sie davon träumte –, nahm sie sich vor, das Fest bald zu verlassen.

„Langweilen Sie sich, Miss Holland?“

Lewis Goode ließ sich auf dem freien Stuhl neben ihr nieder. Sofort wurde Madeline nervös, und sie musste ihr Glas abstellen, weil ihre Hand plötzlich zu zittern begann. „Überhaupt nicht“, antwortete sie und schaute kurz zu Kay, die immer noch angeregt mit ihrem Ehemann plauderte. „Ich wollte gerade aufbrechen.“

Lewis runzelte die Stirn und sah auf seine Armbanduhr. „Vor dem Dessert? Es ist noch nicht einmal zehn Uhr. Wollen wir den neuen Kollegen etwa den Eindruck vermitteln, die neue Führungskraft hätte kein Durchhaltevermögen?“

Sie hob ihre Schultern und wurde sich gleichzeitig bewusst, dass das einen noch tieferen Einblick in ihren Ausschnitt gestattete. „Ich hatte nicht vor, lange zu bleiben.“ Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen.

Er lächelte. „Es wäre doch schade, dieses Kleid in den Schrank zu packen, ohne darin wenigstens einmal über die Tanzfläche gewirbelt zu sein.“ Er stand auf und streckte die Hand aus.

Madeline schloss sekundenlang die Augen und wünschte sich ans andere Ende der Welt. Lewis’ Anwesenheit erinnerte sie sowieso schon ständig daran, wie unbesonnen sie sich verhalten hatte. Nun auch noch mit ihm zu tanzen, unter den Blicken aller Anwesenden, wäre Folter gewesen.

Doch Lewis stand lächelnd vor ihr und schien sich seiner Sache ganz sicher zu sein. Offensichtlich wusste er, dass sie nicht kneifen würde.

Leise seufzend stand sie auf, ignorierte seine ausgestreckte Hand und hakte sich stattdessen bei ihm unter. Mit steifen Schritten folgte sie ihm auf die Tanzfläche.

Als er sie zu sich drehte und ihre Taille umfasste, musste Madeline ihre ganze Willenskraft aufbieten, um sich nicht von dem wilden Klopfen ihres Herzens beeinflussen zu lassen. Sie hoffte inständig, dass er nicht merkte, wie sehr seine Nähe sie verwirrte.

„Warum tun Sie das?“, flüsterte sie.

Lewis beugte sich zu ihr, und sie nahm seinen Duft wahr. Beinahe hätte sie sich weggeduckt, so lebhafte Erinnerungen an die leidenschaftliche Nacht weckte das Aroma.

„Was?“, erwiderte er leichthin. „Tanzen mit meiner neuen Mitarbeiterin? Ganz einfach. Wir sind die Neuen in dem Laden, deshalb sollten wir zusammenhalten.“

Sie bemühte sich, aus seinen Worten einen ironischen Unterton herauszuhören, doch es gelang ihr nicht.

„Ihr Ruf in dieser Stadt eilt Ihnen voraus“, bemerkte er dicht an ihrem Ohr.

Madeline erschrak. Also hatte er von ihrer Jugendsünde erfahren, jenem Vorfall, dessentwegen sie Queenstown verlassen hatte. Vielleicht hatte er sich deshalb in dem Chalet an sie herangemacht? Vermutlich hielt er sie für eine Frau mit lockeren Moralvorstellungen. Und er war ihr Chef. Vielleicht hatte er aber auch nur erfahren, dass ihre Mutter exzentrisch war.

„Wo auch immer ich hinkomme“, fuhr Lewis leise fort, „sagen die Leute: ‚Aus der kleinen Miss Holland ist ja richtig was geworden.‘“

Madeline wusste, dass die meisten daran noch ein „Wenn man bedenkt, dass …“ angehängt hätten, doch sie lächelte. Seit Jahren hatte sie Queenstown gemieden und sich vor ihrer Rückkehr gefragt, wie man sie empfangen würde. Ein Job mit Sydney als Hauptquartier schien ihr das Beste. So blieb sie auf Distanz, konnte aber schnell hier sein, falls ihre Mutter sie brauchte.

Lewis lehnte sich ein wenig zurück, sodass er ihr Gesicht betrachten konnte. „Sie sind heute Abend ziemlich zugeknöpft. Also, machen wir ein bisschen Small Talk. Waren Sie in der letzten Zeit mal im Kino?“

Das ist nicht fair, dachte sie, denn sie erkannte dahinter die Absicht, sie an ihren Kinobesuch im Alpine Fantasy Retreat zu erinnern. Dort hatte die Affäre ihren Anfang genommen.

Sie begriff, dass er – im Gegensatz zu ihr – überhaupt kein Problem mit dem kleinen Ausrutscher hatte. Offensichtlich hielt Lewis Goode nichts von Galanterie. Typisch Mann, dachte sie. Anscheinend teilte er ihre Ansicht nicht, dass Hingabe aus purer Lust sie beide erniedrigte, nicht nur sie allein.

„Wussten Sie, wer ich war, als Sie mich im Chalet verführt haben?“, flüsterte sie, während sie über die Tanzfläche glitten.

„Ich habe Sie verführt? Hm, irgendwie dachte ich, wir hätten es beide gewollt.“

„Wussten Sie es?“, beharrte sie.

Er senkte den Kopf. „Ich hatte mir Ihre Unterlagen angeschaut. Sie waren ein sehr charmanter Spion.“

„Was meinen Sie mit ‚Spion‘?“

Seine Augen glitzerten. „Miss Holland, machen Sie mir nichts vor. Ich weiß doch, dass Jacques Sie in der Lodge einquartiert hat, um mich auszuspionieren.“

Obwohl sie sich verspannte, gelang es Madeline, nicht aus dem Takt zu kommen. Sie hatte nicht die geringste Lust, ihre Kollegen auf die Idee zu bringen, dass zwischen ihr und Lewis Goode etwas lief. Doch die Erkenntnis, dass er sie für nichts weiter als eine Verführerin hielt, von Jacques de Vries auf ihn angesetzt, verletzte sie tief. „Nur zu Ihrer Information, Mr. Goode“, erklärte sie steif. „Ich habe Jacques de Vries nie kennengelernt. Kay hat mir zur Begrüßung den Aufenthalt im Chalet ermöglicht, es sollte eine Art Geschenk sein. Sie können sie gern fragen, wenn Sie mir nicht glauben.“ Madeline brachte etwas Abstand zwischen ihn und sich, wodurch sie sich beim Tanzen jetzt weniger fließend bewegen konnte. Dass er dachte, sie hätte mit ihm geschlafen, weil ihr Boss sie zu ihm geschickt hatte … Entsetzlich! Verzweifelt bemühte sie sich, ihre Wut herunterzuschlucken, um nicht hier auf der Tanzfläche eine Szene zu machen.

Lewis umfasste ihre Hand fester und zog Madeline wieder enger an sich. Sofort spürte sie die elektrisierende Spannung, die seit der ersten Begegnung zwischen ihnen knisterte. Nicht jetzt, dachte sie panisch und bemühte sich um Haltung.

„Tanzen Sie“, murmelte er.

Sie zwang sich, im Rhythmus zu bleiben, konnte aber nicht verhindern, dass sie errötete.

Lewis atmete tief durch. „Immerhin müssen Sie mir zugestehen, dass der Verdacht nahelag“, meinte er dicht an ihrem Ohr. „Kein Mensch wusste, dass ich schon in der Stadt war, weil ich vorhatte, mich erst bei der Konferenz vorzustellen. Und plötzlich waren da Sie.“

„Mein Schlüssel …“, flüsterte sie, um die Umstände klarzustellen, doch gleichzeitig dachte sie: Es ist doch egal. Er wusste genau, dass sie ihren Schlüssel auf dem Kinositz vergessen hatte. Das war der Ausgangspunkt für alles Weitere gewesen.

Während sie sich bemühte, nicht die Fassung zu verlieren, beugte er sich vor und sah ihr in die Augen. „Na schön, im Zweifel also für den Angeklagten. Das tue ich, um das zukünftige Verhältnis zwischen Chef und Mitarbeiterin nicht zu gefährden.“ Er zuckte die Achseln. „Vergessen wir das Ganze.“

„Vergessen?“ Schön wär’s! „Ich soll vergessen, dass Sie im Vorteil waren, weil Sie wussten, wer ich war, während ich umgekehrt keine Ahnung hatte?“

Er verstärkte seinen Griff um ihre Taille und zog Madeline so eng an sich, dass sie seine Beine an ihren spürte.

„Keine Namen“, flüsterte er. „Erinnern Sie sich? Das war übrigens Ihre Idee.“

Madeline sah betroffen zu Boden, weil Lewis recht hatte. Die Anziehungskraft zwischen ihnen war so stark gewesen, dass sie jede Vorsicht vergessen und sich auf ein gefährliches Spiel eingelassen hatten. Keine Namen, keine persönlichen Details, hatte Madeline vorgeschlagen. Das Einzige, was sie ihn gefragt hatte, war, ob er in Queenstown lebte. Es stellte sich heraus, dass er Australier war und auf Geschäftsreise.

Das genügte ihr. Welchen Job er hatte, wo seine Familie lebte, welche Konsequenzen eine leidenschaftliche Nacht mit ihm hatte, das alles interessierte sie nicht. Schon kurz nachdem sie ihm begegnet war, wusste sie, dass sie demnächst in ihrem großen Himmelbett landen würden. Sie gingen spazieren, aßen zusammen zu Abend und tranken Wein. Fünf Stunden später hatte er sie das erste Mal geküsst. Danach hatte es kein Halten mehr gegeben, und sie hatten sich im Rausch der Lust verloren.

Das mochte sich billig anhören, aber das war es nicht. Keine einzige Sekunde ihres Zusammenseins hatte einen faden Beigeschmack gehabt. Jedenfalls nicht, solange es gedauert hatte. „Werden Sie … werden Sie es ausplaudern?“, fragte sie zögernd.

„Nach dem Motto ‚Mach eine Eroberung, und prahle damit‘?“, fragte er und ließ den Blick zu ihrem Mund schweifen. „Sie müssen zugeben, dass es mir einen Vorteil verschafft. Ich kann eine Verbündete gut gebrauchen.“

Madeline wurde blass und wollte ihm ihre Hand entziehen, doch Lewis hielt sie fest. Er wies auf die anderen Tänzer. „Falls Sie Klatsch und Tratsch nicht mögen, sollten Sie versuchen, keine Szene zu machen. Das würde die Leute nämlich erst recht neugierig machen.“

Madeline wusste, dass das stimmte. Sie atmete tief durch und versuchte, wieder in den Rhythmus des Tanzes zu finden.

„Schon besser“, murmelte er, ohne sie anzusehen.

Sie zwang ihren Körper zu entspannen. Erstaunlicherweise gelang es ihr, und sie tanzten eine Weile harmonisch, ohne zu reden. Lewis war ein guter Tänzer, aber das hatte Madeline bereits gewusst, denn in jener leidenschaftlichen Nacht hatten sie auch getanzt, nur zu einem anderen Song. Es war eine langsame Soulnummer gewesen, draußen lag Schnee, und im Chalet waren die Lichter gedimmt, es brannte ein Feuer im Kamin … Allein die Erinnerung daran, gepaart mit der Wärme seiner Hand, die jetzt auf ihrem Rücken lag, erregte Madeline.

Wie sollte sie jemals mit diesem Mann zusammenarbeiten, wenn jeder Blick, jede Geste sie daran erinnerte, was sie getan hatten? Seine Anziehungskraft war einfach zu stark, und obwohl sie ihn dafür genauso hasste wie sich selbst, konnte sie es nicht ändern. Sie begehrte ihn immer noch.

„Das funktioniert nicht“, sagte sie leise, und ihr war egal, ob er es hörte.

Lewis lächelte. „Ich weiß genau, dass Sie nicht feige sind, Madeline. Sie wären auf der Karriereleiter nicht so weit hinaufgeklettert, wenn Sie Schwierigkeiten aus dem Weg gehen würden.“

Kann sein, dachte sie, aber ich hatte auch nie jemanden kennengelernt, dem ich mich so wenig entziehen konnte wie dir.

„Im Übrigen“, fuhr er dicht an ihrem Ohr fort, „verfüge ich über genügend Selbstbeherrschung, um meine Hände im Büro im Zaum zu halten. Und falls nicht, dann müssen wir eben Ihre Jobbeschreibung ändern.“

Mistkerl!, dachte sie aufgebracht.

Madeline straffte die Schultern und wusste, dass jetzt der Moment gekommen war, um ihm seine Grenzen aufzuzeigen. Sonst gab es für sie keine Chance, in diesem Unternehmen erfolgreich zu sein. Und das war es doch, was sie wollte, oder? „Ich dachte, Sie hätten vorhin meine Position bestätigt, Mr. Goode.“

„Soweit ich mich erinnere, sind Sie sehr flexibel, was Ihre … Position betrifft.“

Irgendetwas erlosch in ihr. Er brachte ihr keinen Respekt entgegen. Nie würde sie seinen Respekt wiedererlangen. Madeline löste sich von ihm. Es war ihr egal, was ihre Kollegen dachten. Seine Kollegen, korrigierte sie im Stillen. „Es funktioniert nicht“, wiederholte sie. „Morgen früh haben Sie meine Kündigung auf dem Tisch.“

Damit drehte sie sich um und eilte, so schnell sie es auf ihren hochhackigen Pumps vermochte, Richtung Ausgang. Auf dem Weg griff sie sich ihre Handtasche vom Tisch und nickte Kay, die sie überrascht ansah, kurz zu.

Hoch erhobenen Hauptes verließ sie den Ballsaal, doch der kurze Moment mit Kay brachte ihr zu Bewusstsein, was sie aufgab. Was hatte sie bloß getan! Das hier war ihr Traumjob, und sie hatte hart dafür gearbeitet, um ihn zu bekommen. Wie konnte sie nur so dumm sein, auf Lewis’ Taktik hereinzufallen und zu kündigen?

Es überraschte sie, dass er so unverschämt geworden war, denn in der Nacht im Chalet, das war nicht nur Sex gewesen. Die meiste Zeit hatten sie geredet, über allgemeine Dinge: was sie vom Leben erwarteten, was sie erreichen wollten, was sie aufhielt, was sie mochten oder mieden. Lewis kannte also ein paar ihrer Träume und Hoffnungen, und die Art, wie er sie geliebt hatte, war gleichermaßen wild und liebevoll gewesen. Und nun behandelte er sie wie Dreck.

Ihre hohen Absätze klapperten auf dem Marmorboden der Hotellobby, als sie hinüber zum Lift ging. Mit der Hand umklammerte sie ihre Abendtasche und wünschte, es wäre Lewis’ Hals, in den sie ihre Fingernägel bohrte. Doch im Grunde war Madeline wütend auf sich. Welcher Mann hätte das Angebot zurückgewiesen, eine willige Gespielin für eine Nacht zu haben? Sogar jetzt verzehrte sie sich nach ihm, obwohl sie sich beschämt und enttäuscht fühlte. Und sie wünschte sich, von ihm begehrt zu werden.

Die Stahltüren des Aufzugs glitten auseinander, und sie betrat hastig den Lift, um endlich allein zu sein. Doch plötzlich war Lewis an ihrer Seite. Er war so groß, so überwältigend attraktiv, und er stand ganz dicht vor ihr. Erschrocken sah Madeline zu ihm auf.

„Oh nein“, murmelte er. „Du rennst mir nicht weg. Und das mit der Kündigung kannst du genauso vergessen.“

Seine direkten Worte schockierten sie, und sie stand einfach nur stumm da, wie gebannt von seinem Blick.

„Wenn du eine Dummheit begehst, dann müssen es andere Leute ausbaden“, fuhr er fort. „Die Leute hier in der Stadt und deine Freundin Kay zum Beispiel.“

„Wieso? Wie denn?“, brachte sie mühsam hervor.

Seine Stimme klang hart. „Glaubst du, ich habe etwas übrig für ein paar heruntergekommene Hotels am Ende der Welt? Ich würde diese drei Häuser hier im Handumdrehen schließen!“

Sie waren allein im Lift, die Türen geschlossen, doch da niemand einen Knopf gedrückt hatte, fuhren sie auch nicht. Dieser Aufzug führte nirgendwohin, genau wie Madeline beruflich nirgendwohin kam, wenn es so weiterging.

„Das würdest du nicht tun“, sagte sie leise.

„Da irrst du dich“, entgegnete er. „Über Premier Hotels in Queenstown macht man sich in der Branche nur noch lustig. Ich könnte viel Geld sparen, wenn ich mich davon trenne.“

Madeline versuchte verzweifelt, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie durfte nicht zulassen, dass Kays Zukunft zerstört wurde. Doch die körperliche Nähe zu Lewis ließ ihr Herz schneller schlagen. „Was willst du?“, flüsterte sie.

„Was ich will?“, wiederholte er sanfter, und der Ausdruck seiner Augen veränderte sich. Doch genau das machte Madeline noch mehr Angst.

Er strich ihr zart über die Wange und bewies ihr, dass ihre Ängste nicht unbegründet waren.

„Das hattest du doch schon“, flüsterte sie und hoffte inständig, dass sie ihm widerstehen konnte.

„Dachtest du wirklich, dass mir eine Nacht genügen würde?“ Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und schaute auf ihren Mund.

„Aber du dachtest doch, ich wäre eine Prostituierte, die Jacques de Vries auf dich angesetzt hat“, widersprach sie. „Du verachtest mich doch. Und jetzt willst du wohl, dass ich deine persönliche …?“

„Es ist seltsam“, gab er zu und trat einen Schritt näher. „Immer wenn ich mir sage, es wäre besser, es zu lassen, dann sehe ich dich an, berühre dich, und dann …“

Ihr Puls begann zu rasen, und sie begriff, dass es aussichtslos war. Sie könnte ihm niemals widerstehen. Sie fühlte sich zu stark zu ihm hingezogen, dieses Knistern war zu mächtig. Es machte sie willenlos, lieferte sie ihm aus.

Plötzlich setzte sich der Lift mit einem Ruck in Bewegung. Madeline verlor das Gleichgewicht und fiel gegen Lewis’ breite Brust. Sie wollte sich vor seiner Berührung retten und hob die Arme, doch er war schneller und umfasste ihre Hände. Seine Haut war warm, ihre kühl, seine Finger waren lang und kräftig, ihre schmal und zart. Perfekte Gegensätze.

„Und dann“, fuhr er unbeirrt fort, „denke ich jedes Mal: nur noch ein Kuss, noch eine Berührung …“

Er senkte den Kopf, sodass sich ihre Lippen fast berührten. Sie spürte seinen Atem auf der Haut, und ihr Herz klopfte so laut, dass sie meinte, er müsste es hören. Unwillkürlich hob sie das Kinn und bot ihm ihren Mund.

Das Gefühl, das sie durchströmte, als er sie küsste, war noch stärker als beim ersten Mal. Vielleicht lag es an der gewagten Situation, daran, dass es jetzt eigentlich verboten gewesen wäre, ihn zu küssen. Er war ihr Boss, und sie befanden sich an einem öffentlichen Ort.

Er küsste sie hart und fordernd. Und sie konnte nichts anderes tun, als die Augen zu schließen und die Arme um seinen Nacken zu schlingen.

Er vertiefte den Kuss und zog sie so dicht an sich, dass sie seinen muskulösen Körper spürte. Es war ein rauschhafter Moment, und der Gedanke, jederzeit entdeckt zu werden, steigerte ihre Leidenschaft so sehr, dass Madeline den Kuss hemmungslos erwiderte. Sie presste sich an Lewis, rieb sich an ihm, seufzte und zeigte ihm deutlich, wie erregt sie war. Sie umfasste seine Schultern und ließ die Hände über seinen Rücken bis zu seinem festen Po gleiten.

Er stöhnte auf und schob eine Hand in ihr Haar. Er zog den Kamm heraus, mit dem sie sich die blonden Locken aufgesteckt hatte, und löste die Pracht, bis sie in weichen Wellen über ihre nackten Schultern fiel. Lustvoll seufzend fasste er in die seidige Mähne und zog Madelines Kopf zurück, damit sie ihm ihren Hals darbot. Gleich darauf verteilte er heiße Küsse auf ihrer Haut.

Heiße Schauer rieselten durch Madelines Körper.

Die Spur seiner Lippen führte hinunter zum Ansatz ihrer Brüste, wo er kurz innehielt und einatmete. Mit einer Hand streichelte er ihren Rücken und umfasste schließlich ihren Po fester.

Madeline spürte, wie ihr die Knie nachzugeben drohten. Sie klammerte sich an ihn und seufzte sehnsüchtig. Endlich küsste er sie erneut. Verführerisch liebkoste er ihre Zunge und glitt rhythmisch in das warme Innere ihres Mundes, das Liebesspiel vorwegnehmend. Während sie einander so hielten, fühlte Madeline sich außerhalb von Zeit und Raum.

Bis das durchdringende „Ping“ ertönte und der Lift mit einem Ruck anhielt.

3. KAPITEL

Die Wirklichkeit holte Madeline wieder ein. Sie machte sich von Lewis los und vermied es, seinem Blick zu begegnen. Doch indem sie ihm auswich, begegnete sie sich selbst … und zwar im Fahrstuhlspiegel. Es war grotesk. Ihr Lippenstift war verschmiert, ihr Haar in völliger Unordnung. Irgendwie war der Rock ihres Cocktailkleides bis zu den Hüften hochgerutscht und gab den Blick auf Beine frei, die unübersehbar zitterten.

Angewidert von ihrem eigenen Anblick und voller Angst, ertappt zu werden, schob sie hastig ihr Kleid hinunter und zerrte an ihrem Haar, um es halbwegs wieder in Form zu bringen. Lewis bückte sich, hob den Kamm auf und reichte ihn ihr. Sie schlug den Blick nieder.

Beschämt und wütend zugleich, musste sie feststellen, dass sie es niemals schaffen würde, Lewis zu widerstehen. Er brauchte nur mit den Fingern zu schnippen, und schon kam sie angerannt.

Die Fahrstuhltür glitt auseinander, und ein junges Paar kam herein. Da sie im obersten Stockwerk angekommen waren, schob Madeline sich hastig an den Neuankömmlingen vorbei nach draußen. Dabei kramte sie hektisch nach der Chipkarte für ihr Zimmer. Als sie Schritte hinter sich hörte, sank ihr Mut, denn sie wusste, dass die Präsidentensuite am anderen Ende des Flurs lag.

Fast hatte er sie eingeholt, und vor lauter Nervosität ließ sie die Chipkarte fallen. Lewis Goode bückte sich tatsächlich und hob sie auf. Verzweifelt streckte sie die Hand danach aus, doch er lehnte sich lässig an die Wand und schaute Madeline amüsiert an. „Willst du mich nicht hineinbitten?“, fragte er.

Wortlos schüttelte sie den Kopf und stand da, die Hand immer noch nach ihrer Karte ausgestreckt. Sie hatte in ihrem Berufsleben Frauen kennengelernt, die jede Chance auf eine Karriere verspielten, weil sie sich mit Kollegen eingelassen hatten. Man respektierte sie einfach nicht mehr. Bei Männern galten andere Spielregeln, doch für eine Frau waren Affären im Büro der absolute Karrierekiller. Und wer mit dem Boss schlief, machte sich nicht nur die Männer zu Feinden, sondern vor allem sämtliche Kolleginnen.

Lewis wirkte seltsamerweise einen Moment lang enttäuscht. Dann schob er die Chipkarte in den Türöffner. „Ich habe es ernst gemeint, Madeline. Wenn du Premier Hotels zu diesem Zeitpunkt verlässt, wird das Konsequenzen haben. Die Zukunft dieser drei Hotels in Queenstown liegt in deiner Hand.“

Madeline öffnete die Tür einen Spaltbreit. „Ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, wie wir das mit uns hinkriegen sollen.“

Lewis verließ seine lässige Position an der Wand, kam zu ihr und reichte ihr die Chipkarte. „Was wir in unserer Freizeit tun, geht niemanden etwas an. Ich brauche dich, um mich ins Hotelgeschäft einzuweisen. Soweit ich es beurteilen kann, sind die Hotels hier alles andere als in Schuss. Entweder es gelingt dir, mich für sie zu begeistern, oder deine Freundin und der Rest der Angestellten können sich neue Jobs suchen. Wenn ich diese unprofitablen Hotels dichtmache, setze ich eine Menge Kapital frei, das ich anderweitig gewinnbringend investieren könnte.“

„Heißt das, ich muss mit dir schlafen, damit die anderen ihren Job behalten?“, fragte sie aufgebracht.

„Nein. Wenn du mit mir schläfst, solltest du das tun, weil du es möchtest. Aber sobald du den Job hinschmeißt, bedeutet das das Aus für deine Kollegen.“

Von gegenüber ertönte wieder das Signal des Lifts. Madeline fasste sich ein Herz und stieß endlich die Tür zu ihrer Suite auf. Drinnen wartete sie nicht, ob Lewis ihr folgte, sondern warf die Tür einfach ins Schloss. Dann lehnte sie sich schwer atmend dagegen. Er hatte sich verdammt klar ausgedrückt. Sie hatte die Wahl. Aber was für eine Wahl!

Am nächsten Morgen wachte Madeline mit Kopfschmerzen auf. Daran war vermutlich der Schlafmangel der vergangenen Tage schuld. Ehe sie ihr Zimmer verließ, spähte sie durch den Spion und nahm dann die Treppe statt des Lifts. Die Erinnerung an das derangierte Bild, das sie gestern im Spiegel geboten hatte, war Grund genug für diesen Frühsport.

Ihre Mutter machte nachmittags gern ein Nickerchen, also besuchte Madeline sie meistens morgens und abends. Oft schaute ihre Mutter fern – etwas, das sie Madeline früher nur äußerst selten erlaubt hatte, weil sie fand, dass Fernsehen die Jugend verdarb. Es hatte Jahre gedauert, bis die Alzheimerkrankheit angefangen hatte, sich deutlich bemerkbar zu machen. Doch nun hatte Madeline von Mal zu Mal das Gefühl, dass ihre Mutter weniger wahrnahm, schlechter reagierte und sie ab und zu nicht einmal mehr erkannte.

Heute tätschelte sie Madelines Arm und machte eine Bemerkung über „eitle Menschen, die sich in teure Stoffe kleideten“.

Früher hatte es bei den Hollands immer geheißen: einfaches Essen, schlichte Kleidung, harte Arbeit. Für Madeline bedeutete das fade Mahlzeiten und langweilige Klamotten. Es war jedoch nicht immer so gewesen.

„Du hattest selbst mal ein Kleid in dieser Farbe“, erwiderte sie und nahm die faltige Hand ihrer Mutter, um sie auf ihren mitternachtsblauen Pullover zu legen. „Ich kann mich noch gut erinnern, dass Dad mit uns mal ausgegangen ist. Du hast so hübsch ausgesehen.“

Der Anflug eines Lächelns veränderte das Gesicht der dementen alten Frau. „Eine Hochzeit. Die Robinsons. Du warst erst fünf.“

„Du hast mit Dad getanzt.“

In den müden Augen ihrer Mutter schimmerten plötzlich Tränen, und Madeline spürte voll kindlicher Rührung, dass sie die guten Jahre doch nicht geträumt hatte. Bis zum unerwarteten Tod ihres Vaters war sie für ihre Eltern das Ein und Alles gewesen.

„Sie haben sich scheiden lassen“, murmelte die alte Frau nun bitter und presste die dünnen Lippen zusammen. „Hat man ja kommen sehen. In der Kirche hat man sie nach der Hochzeit nie wieder gesehen.“

Madeline seufzte. Nein, es war nicht alles öde und traurig gewesen. Aber die fröhlichen Zeiten waren lange her, und vor allem waren sie zu kurz gewesen.

„Geben Sie mir mein Spinnrad, Schwester“, befahl Mrs. Holland jetzt und sah missbilligend zu Madeline auf. „Untätige Hände …“

Sie hatte eine böse Erkältung und fing an zu husten, bis es ihren schmalen Körper schüttelte. Madeline half ihr, sich aufzurichten, und klopfte ihr sanft den Rücken. Dabei fiel ihr zum ersten Mal auf, dass ihre Mutter zerbrechlich wirkte. Hatte sie abgenommen?

„War der Arzt heute schon hier?“, fragte sie die Krankenschwester, nachdem sie eine halbe Stunde vergeblich versucht hatte, ihre Mutter dazu zu bewegen, eine Tasse Tee zu trinken. „Meiner Mutter scheint es nicht besonders gut zu gehen.“

„Der Arzt macht morgen früh seine Runde“, erklärte die Krankenschwester. „Wir werden Ihre Mutter überwachen. Wenn sie Fieber bekommt oder uns sonst etwas auffällt, rufen wir den Arzt.“

„Und mich“, fügte Madeline hinzu und vergewisserte sich, dass ihre Handynummer beim Pflegepersonal bekannt war.

Nach dem Besuch bei ihrer Mutter fuhr sie hinaus zur Farm, die der Familie gehörte. Sie lag ein Stück außerhalb der Stadt, und Madeline hatte sich endlich dazu durchgerungen, einen Makler mit dem Verkauf zu beauftragen. Letztes Wochenende war das meiste Inventar bei einem Haus-Flohmarkt verkauft worden. Jetzt blieb ihr noch, die Kleider und persönlichen Dinge ihrer Mutter zu packen und das Haus gründlich zu putzen. Danach konnte der Besichtigungsreigen durch die potenziellen Käufer beginnen.

Die Farm war in keinem guten Zustand, weil ihrer Mutter zuletzt offensichtlich die Kraft gefehlt hatte, alles in Stand zu halten. Es machte Madeline unerwartet wehmütig, als sie durch die Zimmer und die angrenzenden Gebäude streifte. Das meiste Land war verkauft worden, als ihr Vater vor über zwanzig Jahren bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen war.

Nachdem Madeline bereits mit sechzehn Jahren fortgegangen war, hatte ihre Mutter ganz allein hier gelebt. Was bin ich bloß für eine Tochter, dachte Madeline, als sie in ihrem Mädchenzimmer auf dem Fensterbrett saß und die atemberaubende Landschaft betrachtete.

Madeline war zur Welt gekommen, als ihre Eltern schon über vierzig gewesen waren. Wenn sie wenigstens ein Junge gewesen wäre oder das leiseste Interesse an der Farm gezeigt hätte, wäre vielleicht alles anders gekommen. Schließlich befand sich die Farm bereits seit drei Generationen im Besitz der Familie.

Doch nachdem ihr Vater gestorben war, veränderte sich ihre Mutter. Sie wurde fromm und machte ihrer Tochter ständig und unmissverständlich klar, dass sie nicht ihren Vorstellungen entsprach. Es entstand eine muffige, kleinliche und deprimierende Atmosphäre, sodass Madeline seit Teenagertagen nur noch davon träumte, endlich abhauen zu können.

Ihr Handy klingelte. Madeline meldete sich sofort, weil sie annahm, es gehe um ihre kranke Mutter.

„Madeline?“, sagte eine tiefe Männerstimme. Sie versuchte, die Nummer zu identifizieren. „Hier ist Lewis. Kay hat mir deine Nummer gegeben. Wo bist du?“

Die friedliche, fast nostalgische Stimmung fiel von ihr ab. „Im Haus meiner Mutter.“

„Es gibt in zwanzig Minuten einen Workshop, an dem ich dich bitte teilzunehmen. Konferenzraum drei. Ich erwarte dich also.“

Damit beendete er das Gespräch.

Madeline ließ sich vom Fensterbrett gleiten und fluchte leise. Was glaubte der Typ eigentlich, wer er war? Schließlich hatte sie noch Urlaub. Sie schaute auf ihre Armbanduhr und rannte zu ihrem Auto. Dabei beschwerte sie sich halblaut über Lewis’ Befehlston und seine arrogante Art, doch sie war Profi genug, um zu wissen, dass sie nicht kneifen konnte. Im Hotel zog sie sich rasch um und betrat das Besprechungszimmer genau eine Minute zu spät.

Lewis schaute auf und verfolgte sie mit seinem Blick, als sie zu ihrem Platz ging. Madeline ignorierte ihn und las den Titel der Veranstaltung auf dem großen Bildschirm am Ende des Raums.

Ein Symposium über Mülltrennung in der Hotelindustrie? Sie verbarg ihre Verärgerung, presste die Lippen zusammen und hoffte, sie würde nicht einschlafen. Es war schon dumm genug, hier herumsitzen zu müssen, obwohl sie eigentlich ihre Freizeit genießen wollte. Hätte er da nicht wenigstens ein Thema wählen können, das sie interessierte?

Während der nächsten Stunde saß sie da und kochte innerlich. Doch plötzlich wandte Lewis sich an sie. „Unsere neue Managerin Madeline hat weltweit schon einige Hotels geleitet. Vielleicht könnte sie uns Erhellendes darüber mitteilen, was in anderen Ländern in puncto Mülltrennung üblich ist.“

Madeline erschrak, doch sie verbarg es geschickt. „Ich habe nichts vorbereitet.“

„Dann aus dem Stegreif“, schlug Lewis vor.

Madeline versuchte, hinter der charmanten Maske seines Gesichts zu erkennen, was er wirklich dachte. Sollte das ein Test werden? Wollte er, dass sie sich blamierte?

Doch Madeline hatte nicht vor, ihm das Spiel zu überlassen. Sie stand auf, räusperte sich und sprach zehn Minuten lang frei über Mülltrennung. Und erst als sie sich, begleitet von freundlichem Applaus, wieder setzte, merkte sie, dass sie schwitzte.

Als das Meeting beendet war, wollte sie den Kollegen nach draußen folgen, aber Lewis hielt sie mit einem Blick auf. Zögernd setzte sie sich wieder.

„Gut gemacht“, lobte er, als sie allein waren.

Madeline atmete tief durch. Sie hatte das Gefühl, mehr zu verdienen als das. „War das ein Test?“

Gleichgültig zuckte er die Achseln. „Ein Test?“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Oder die Bestrafung dafür, dass du verschwunden warst?“ Er stützte das Kinn auf beide Hände und sah ihr in die Augen. „Vielleicht habe ich mich einfach nur gelangweilt und wollte etwas Schönes zum Anschauen.“

Madeline schluckte den aufsteigenden Zorn hinunter. „Wie du weißt, beginnt mein Arbeitsvertrag am Ersten des nächsten Monats. Ich brauche die Zeit, um den Umzug nach Sydney zu organisieren.“

Lewis wandte sich von ihr ab, als öde sie ihn an, und warf einen Blick in seine Aktentasche. „Die Konferenz dauert noch vier Tage, und da du meine engste Mitarbeiterin sein wirst, erwarte ich, dass du an sämtlichen Workshops und Unternehmungen teilnimmst. Danach hast du immer noch zwei Wochen Zeit für deinen Umzug.“

Für einen Moment saß sie nur stumm da, weil sie fürchtete, die Kontrolle zu verlieren. Doch dann atmete sie tief durch und fasste einen Entschluss. Sie würde sich keine Blöße geben, sondern durch und durch professionell reagieren.

Falls Lewis enttäuscht war, weil sie nicht wütend wurde, zeigte er es jedenfalls nicht. Nachdem er einen Blick auf seine Armbanduhr geworfen hatte, stand er auf. „Komm, wir wollen doch den …“ Er schaute auf das Programm, das er in der Hand hielt. „Wir wollen doch den Vortrag ‚Persönlich, vertraulich – Personal!‘ im Auditorium nicht verpassen.“

„Ich habe heute Nachmittag bereits einen Termin.“ Der Makler wollte sich nachher die Farm ansehen.

„Dann musst du ihn halt verschieben“, erklärte Lewis und lächelte so gewinnend, dass ihr unwillkürlich heiß wurde. Sein Lächeln hatte die Macht, sie alles um sich herum vergessen zu lassen. So war es auch im Chalet gewesen, in jener einzigen, wilden Nacht …

„Ich liebe diese Texter, die sich solche Sachen ausdenken, du nicht?“, bemerkte er und grinste. „‚Persönlich, vertraulich – Personal!‘“ Er verließ den Konferenzraum und lachte leise, während Madeline ihre Sachen nahm und ihm folgte. Dabei konnte auch sie ein Lächeln nicht unterdrücken.

Die nächsten drei Tage vergingen wie im Flug. Lewis bestand darauf, dass sie an sämtlichen Workshops, Meetings und Cocktail-Partys teilnahm sowie jene Veranstaltungen besuchte, die Kay zusätzlich organisiert hatte, um das Team zusammenzuschweißen. Madeline war zwar in Queenstown aufgewachsen, doch die vielfältigen Wintersportmöglichkeiten, die die Region bot, hatte sie nie wahrgenommen, obwohl sie, seit sie in Europa gearbeitet hatte, das Skifahren passabel beherrschte.

Jetzt stürzte sie sich mit den anderen ins Wildwasser-Abenteuer auf dem Shotover River und schoss in einem Kanu durch zerklüftete Felslandschaften. Sie fuhr Ski und Schlitten, und es gab einen Moment, in dem sie sich im Geiste von der Welt verabschiedete, als sie beim Parasailing mit hundertfünfzig Sachen hinter einem Flugzeug her über eine tiefe Schlucht sauste.

Sie ließ sich auf alles ein, nahm jede Herausforderung an, denn das war es, was einen auf der Karriereleiter voranbrachte. Zwar war sie weder beim Abfahrtslauf noch beim Rodeln die Schnellste, doch Madeline wäre lieber gestorben, als zu kneifen und ihre Kollegen triumphieren zu lassen. Ganz zu schweigen von Lewis. Denn nach allem, was zwischen ihnen passiert war, hatte sie sich vorgenommen, unter allen Umständen seinen Respekt zu erringen.

Außerdem machte es einen Riesenspaß!

Allerdings waren diese ganzen verrückten Aktivitäten auch anstrengend. Doch abends warteten Cocktail-Empfänge oder Besuche bei ihrer Mutter, der die Erkältung immer noch sehr zu schaffen machte. In ihrer knapp bemessenen Freizeit fuhr sie hinaus zur Farm, um zu packen und zu putzen. Ab und zu übernachtete sie auch auf der Farm, einerseits weil es praktischer war, andererseits weil sie keine Lust hatte, Lewis außerhalb des Pflichtprogramms zu begegnen.

Endlich kam der letzte Konferenztag. Sie zog sich warm an, weil Fallschirmspringen im Tandem auf dem Programm stand. Doch als sie zu den anderen stieß, verkündete Lewis, dass er Freiwillige für einen Hubschrauberflug zur Westküste suche, wo eine Höhlenbegehung stattfinden solle.

Madeline bevorzugte den freien Fall aus luftigen Höhen gegenüber engen, dunklen Höhlen, doch Lewis sah sie herausfordernd an, während sich bereits einige Kollegen um ihn drängten, um mitmachen zu dürfen. Also gesellte sie sich zu seiner Gruppe.

Alles fing ganz harmlos an. Der Hubschrauberflug war fantastisch, und auch das Abseilen in hundertdreißig Meter Tiefe ging problemlos vor sich. Als sie in der Höhle waren, nutzten sie Leitern aus Metallseilen, um sich fortzubewegen. Es gab unterirdische Seen und Wasserfälle, aber schon nach einer halben Stunde merkte Madeline, wie Dunkelheit und Enge begannen, ihr die Kehle zuzuschnüren. Angst kroch in ihre Glieder und lähmte sie.

Sie begann schwer zu atmen, doch es war kalter Schweiß, der ihr den Rücken und die Schläfen hinunterrann und den Riemen ihres Helms glitschig werden ließ. Jeder Schritt war Mühsal, und schließlich blieb sie weit hinter den anderen zurück. Noch konnte sie die Gruppe sehen, aber … Was war bloß los mit ihr? Sie hatte das Gefühl, die Höhle würde immer enger und das Licht schwand immer mehr.

Aber sie durfte jetzt nicht schlappmachen. Mit aller Kraft kämpfte sie die aufsteigende Panik nieder und konzentrierte sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Weiter ging es über abschüssige Felsen, durch enge Spalten, an Wasserfällen vorbei. Es war wie ein Albtraum für Madeline, ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gab, und sie hatte das Gefühl zu ersticken.

Plötzlich war Lewis an ihrer Seite und sprach beruhigend auf sie ein. „Es ist alles in Ordnung, Madeline. Atme tief durch.“ Er lockerte ihr Kinnband.

Sie versuchte, Luft zu schöpfen, doch Schweiß lief ihr übers Gesicht, und sie war kurz davor zu schreien.

Lewis legte ihr beschützend einen Arm um die Schultern und drückte sie kurz an sich. „Ich bringe dich hier raus. Warte eine Minute.“ Er rannte nach vorn und sprach mit dem Führer der Gruppe. Madeline war so angsterfüllt, dass ihr schwindlig und übel wurde. Es machte ihr mittlerweile nichts mehr aus, dass die anderen es mitbekamen. Doch dann war Lewis wieder bei ihr, und sie gingen zurück. Es dauerte endlos, doch er redete beruhigend auf sie ein und nahm ihre Hand, sobald die Höhle genug Platz bot.

Endlich erreichten sie den Höhlenausgang und waren wieder an der frischen Luft. Madeline nahm ihren Helm ab und hob ihr Gesicht der Wintersonne entgegen. Lewis kam zu ihr, zwang sie, sich auf den Boden zu setzen, und drückte ihren Kopf zwischen ihre Knie. „Langsam und tief durchatmen“, befahl er.

Einerseits zornig, andererseits höchst erleichtert, dass sich ihr Atem langsam beruhigte und etwas Farbe in ihre Wangen zurückkehrte, hielt er sie in dieser Stellung fest.

„Was hast du den anderen erzählt?“, fragte sie.

„Dass du dir den Knöchel verstaucht hast“, erklärte Lewis knapp. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du Angst hast? Du meine Güte! Bist du so bedacht, bloß keinen Fehler zu machen, dass du dein Leben riskierst, nur damit keiner denkt, du könntest einer Sache nicht gewachsen sein?“

Vorsichtig ließ er sie los, und Madeline hob den Kopf, um ihn anzusehen. „Ich wusste doch gar nicht, dass ich Angst bekommen würde. Ich bin nie zuvor in einer Höhle gewesen.“

Lewis zögerte, weil er sich erinnerte, dass sie etwas in dieser Art auf dem Flug hierher gesagt hatte. „Also, woran liegt es? Fürchtest du dich vor der Dunkelheit? Oder vor der Enge?“

Sie schüttelte den Kopf und wirkte immer noch verstört. „Nein, aber ich bin, glaube ich, noch nie in einer Situation gewesen, in der es gleichzeitig eng und dunkel war.“ Verlegen schlug sie die Hände vors Gesicht. „Es tut mir so leid, Lewis, dass du meinetwegen deinen Ausflug unterbrechen musstest. Bitte geh zurück zu den anderen. Ich komme schon zurecht.“

„Von wegen“, höhnte Lewis. „Schau dich doch an. Du zitterst wie Espenlaub und bist schweißgebadet.“

Und dabei sieht sie immer noch zauberhaft aus, dachte er grimmig. Was bin ich bloß für ein Idiot.

Ungeduldig zerrte sie an den Druckknöpfen ihres Overalls, doch ihre Hände zitterten zu sehr. Schließlich schob Lewis ihre Finger einfach beiseite und öffnete die Knöpfe selbst. „Der Tourleiter hat mir mitgeteilt, dass sich im Transporter ein Erste-Hilfe-Kasten befindet. Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich deinen Fuß bandagiere. Du bekommst sonst die Krise, weil jemand glauben könnte, du wärst nicht perfekt.“

Während Madeline ihren Overall auszog, ging Lewis hinüber zum Wagen, um das Verbandmaterial zu holen. Er ärgerte sich, weil er sie so hart angegangen war. Schließlich wusste er doch ganz genau, dass sie sehr ehrgeizig war und niemals vor einer Herausforderung zurückschreckte.

Madeline saß steif und stumm da, als er ihren Fuß bandagierte, damit alle die Geschichte von dem verstauchten Knöchel glauben würden. Auf dem Rückflug nach Queenstown war sie blass und schweigsam. Sie nahm an, dass ihre Panikattacke Lewis und den anderen völlig egal war. Und vermutlich war es auch gut so. Sie war ja nicht Superwoman, sondern aus Fleisch und Blut.

„Wir treffen uns morgen früh um zehn vor dem Waterfront-Hotel“, verkündete Lewis, als sie später zusammen über den Parkplatz gingen.

Madeline hielt inne. Unter ihren Augen lagen tiefe Schatten. „Die Konferenz ist beendet“, erwiderte sie erstaunt. „Wirst du nicht nach Hause fliegen?“

„Ich habe noch einen letzten Job für dich.“ Ein Job, bei dem er herausfinden wollte, ob Madeline loyal war. Zumindest redete er sich das ein. Wenn er ehrlich gewesen wäre, hätte er auch zugeben können, dass er einfach mehr Zeit mit ihr verbringen wollte.

Am nächsten Morgen sah er erleichtert, dass Madeline wieder völlig hergestellt war. Sie sah wunderschön aus und wirkte so lebhaft wie immer.

„Steig ein“, forderte er sie auf und öffnete die Beifahrertür seines Mietwagens. „Wir fahren hinüber zum Mountainview- und Lakeside-Hotel.“

Madeline schaute ihn überrascht an. „Kommt Kay mit?“

Lewis schüttelte den Kopf und setzte sich ans Steuer.

„Sollten wir ihr nicht wenigstens Bescheid sagen?“, wandte Madeline besorgt ein.

„Ich treffe mich um ein Uhr mit ihr, um die Finanzen zu besprechen“, informierte Lewis sie und fuhr los. „Bis dahin möchte ich mir die beiden Hotels ansehen und dabei von deiner Erfahrung profitieren. Das heißt im Klartext: Sind sie mit ein paar kleinen Investitionen zu retten, oder ist es hoffnungslos?“

„Darf ich Kay denn wenigstens warnen?“, bat Madeline. „Ich habe das Gefühl, sie zu hintergehen, und zwar als Bereichsleiterin ebenso wie als Freundin.“

Lewis hielt vor dem Premier Mountainview-Hotel und stellte den Motor ab. „Du wirst demnächst die Aufsicht über hundertfünfzig Hotels haben“, sagte er ruhig. „Bist du der Aufgabe gewachsen, Madeline?“

Abrupt sah sie zu ihm hinüber. „Ja, das bin ich“, antwortete sie fest.

Da war er ganz ihrer Meinung. „Gut.“ Kurz und zufrieden nickte er. „Also, fangen wir an.“

Lewis hatte so viel Spaß dabei gehabt, Madeline von einem sportlichen Abenteuer ins nächste zu stürzen, dass er seine Pflichten als Manager vernachlässigt hatte. Nun verstieß er vermutlich gegen die Etikette, weil er die Regionalmanagerin nicht über seine Inspektion informierte, aber er hatte vor, sich ein Bild von Madelines Fähigkeiten und ihrer Loyalität zu verschaffen. Da er selbst nur wenig Ahnung vom Hotelbusiness hatte, musste er sich in Zukunft auf sie verlassen können.

Die nächste Stunde verbrachten sie im Premier Mountainview-Hotel, doch als sie es verließen, war Lewis denkbar schlechter Laune. Das Hotel war baulich in einem miserablen Zustand, die Auslastung war zu gering für die Jahreszeit, und es gab Defizite im Bereich Sauberkeit. Darüber hinaus hatte er mit dem Hotelmanager einen kurzen, heftigen Disput über die abgelaufene Zulassungsplakette für den Hotellift gehabt. Als sie nach draußen gingen, kam gerade ein Bus voller Rucksacktouristen an.

„Für eine andere Klientel taugt das Hotel auch nicht“, murmelte Lewis säuerlich.

Sie fuhren hinüber zum Lakeside-Hotel. „Dort essen wir zu Mittag“, entschied er. „Ich habe keine Lust mehr auf heruntergekommene Räume und Badezimmer, die nicht mehr dem neuesten Standard entsprechen.“

„Darf ich dich daran erinnern, dass Kay die Hotels erst vor vierzehn Monaten übernommen hat?“, bemerkte Madeline, während sie die langweilige Speisekarte studierte. „Ihr erster Job war es, das Waterfront-Hotel komplett zu modernisieren, damit die Jahreskonferenz dort stattfinden konnte.“

„Premier steht für Vier Sterne und mehr“, konterte Lewis. „Keines dieser Hotels erreicht dieses Niveau.“ Er sah sich in dem mehr oder weniger leeren Restaurant um.

„Es ist noch nicht ganz Mittagessenszeit“, wandte sie ein.

„Oder die Leute wissen etwas, das uns bisher entgangen ist“, erwiderte er ironisch. Er lehnte sich zurück und schaute hinüber zur Kellnerin. „Bitte bringen Sie uns Mineralwasser.“

Madeline zog die Brauen hoch.

„Wir sitzen hier seit sieben Minuten“, sagte er kurz angebunden. „Was hältst du von der Speisekarte?“

Sie überflog erneut die laminierte Karte, die an einigen Stellen klebrig war. „Sie ist … ein wenig abgenutzt.“

„Sie ist eklig“, korrigierte er freundlich.

„Lewis“, begann Madeline, beugte sich vor und dämpfte ihre Stimme. „Auf der Gala neulich hast du von Missmanagement in großem Stil gesprochen. Kays Vorgänger hat sein gesamtes Budget verschwendet, um Leute im Unternehmen zu bestechen, damit sie ihm den Auftrag geben, die Jahreskonferenz auszurichten. Als er den Job erhielt, hat er den Rest für neue Hotellimousinen ausgegeben.“

„Mir ist außerdem bekannt“, mischte sich Lewis ein, „dass Kay zu diesem Zeitpunkt bereits Regionalmanagerin war. Sie hätte die Vorgänge melden müssen.“

Madeline lächelte zynisch. „Ich habe Jacques nie kennengelernt, aber ich weiß, wie der Hase in der Hotelindustrie läuft. Es gibt ein Netzwerk, alte Seilschaften, und wer dazugehört, muss weder Talent noch Zuverlässigkeit besitzen. Wenn Kay gepetzt hätte, wäre das das Ende ihrer Karriere gewesen.“

Autor

Yvonne Lindsay

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