Berühr mich so wie damals

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Lacy sollte ihn hassen! Vor zwei Jahren ist Sam nach einer Tragödie wortlos aus ihrem Leben verschwunden. Jetzt ist er zurückgekehrt, genauso aufreizend selbstbewusst wie vorher. Angeblich, um das Skiresort seiner Familie zu retten. Aber da ist noch mehr, was er vorhat. Lacy spürt es, als er sie anschaut. So als würde er sie gleich sinnlich berühren, lustvoll küssen und ihr das geben, was ihr in den langen Monaten ohne ihn so sehr gefehlt hat. Vielleicht ist er nicht nur wegen des Resorts zurückgekommen - sondern auch ihretwegen! Aber kann Lacy ihm jemals wieder vertrauen?


  • Erscheinungstag 09.02.2016
  • Bandnummer 1911
  • ISBN / Artikelnummer 9783733721077
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Einen Weg zurück nach Hause gibt es immer“, murmelte Sam Wyatt vor sich hin und blickte auf das Haupthaus der Ferienanlage, die seiner Familie gehörte. „Die große Frage ist nur, ob sich jemand über deine Rückkehr freut.“

Höchstwahrscheinlich würde sich niemand freuen. Er hatte das Skiresort Snow Vista vor zwei Jahren verlassen, nachdem sein Zwillingsbruder gestorben war. Er war einfach gegangen und hatte seine Familie mit allem zurückgelassen, was Jacks Tod betraf.

Die Schuldgefühle hatten ihn fortgetrieben und ihn lange Zeit davon abgehalten, zurückzukehren. Jetzt war es eine andere Art von Schuldgefühlen, die ihn wieder nach Hause gezogen hatte. Vielleicht ist es auch einfach an der Zeit, dachte Sam. Zeit, sich den Geistern der Vergangenheit zu stellen.

Die große Lodge sah von außen noch genauso aus wie damals. Sie bestand aus drei Stockwerken; seine Familie hatte den dritten Stock erst vor ein paar Jahren nachträglich aufsetzen lassen, um dort zu wohnen. Die unteren beiden Stockwerke waren zahlenden Gästen vorbehalten, ebenso wie einige Skihütten auf dem großen Gelände. Die Touristen genossen dort nicht nur absolute Privatsphäre, sondern auch einen unübertrefflichen Ausblick.

Die meisten Touristen, die nach Snow Vista kamen, um Ski zu fahren, logierten allerdings in den Hotels, die rund eine Meile tiefer am Berg lagen. Es gab in der Lodge und den Hütten einfach nicht genug Platz für alle. Vor ein paar Jahren hatten Sam und sein Zwillingsbruder Jack daher Pläne entwickelt, die Anlage der Familie zu erweitern.

Der Besitz der Wyatts hätte das absolute Trend-Resort in den Bergen von Utah werden können. Sams Eltern Bob und Connie waren von der Idee einer Erweiterung begeistert gewesen, doch wie es aussah, waren alle Pläne mit Jacks Tod aufgegeben worden. Ja, die Tragödie hatte so einiges zum Stillstand gebracht.

Sam war nervös. Er packte seine Reisetasche fester. Nach so langer Zeit wieder seiner Familie gegenüberzustehen, würde nicht einfach werden. Aber sein Entschluss stand fest.

„Sam!“

Er erkannte die Stimme sofort. Seine Schwester Kristi kam auf ihn zu. Sie trug einen Parka und Skihosen zu dicken Stiefeln; ihre blauen Augen blitzten. Ihr Blick war allerdings nicht gerade freundlich. Aber mit einer Willkommensparty – oder nur einem freundlichen Empfang – hatte Sam auch nicht gerechnet.

„Hallo, Kristi.“

„Hallo?“ Sie stand jetzt direkt vor ihm und musterte ihn mit gerunzelter Stirn. „Was Besseres hast du nicht zu bieten? Hallo, Kristi? Das ist alles? Nach zwei Jahren?“

Er setzte ihrer Wut nichts entgegen. Eine derart feindselige Reaktion war zu erwarten gewesen. Aber es half nichts, da musste er jetzt durch. „Was wäre dir denn lieber? Was soll ich sagen?“

Verächtlich verzog sie den Mund. „Es ist ein bisschen zu spät, dich jetzt noch nach meinen Wünschen zu erkundigen. Das hättest du tun sollen, bevor du uns Knall auf Fall verlassen hast.“

Sie hatte ja recht, er konnte ihr nicht widersprechen. Ihr böser Blick sagte ihm, dass sie ohnehin keinen Widerspruch geduldet hätte. Es brach ihm fast das Herz, wenn er daran dachte, dass Kristi ihn und seinen Zwillingsbruder früher geradezu vergöttert hatte. Daran, dass sie diese kindliche Bewunderung längst aufgegeben hatte, trug er selbst die Schuld.

Doch er war nicht zurückgekehrt, um alte Entscheidungen zu hinterfragen. Er hatte seinerzeit getan, was er tun musste.

„Wenn du mich damals nach meinen Wünschen gefragt hättest, hätte ich dich gebeten zu bleiben“, sagte Kristi.

Sam bemerkte, dass ihre Augen feucht schimmerten. Doch sie blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten, und dafür war er ihr dankbar.

„Du hast uns verlassen. Einfach so. Als ob wir alle dir überhaupt nichts bedeuteten …“

Er stellte seine Reisetasche ab und fuhr sich nervös mit den Fingern durchs Haar. „Natürlich habt ihr mir etwas bedeutet. Ihr alle. Und ihr tut es immer noch.“

„Das kann jeder sagen.“

Ob es einen Sinn hatte, ihr zu beteuern, dass er fast ständig daran gedacht hatte, zu Hause anzurufen?

Nein, sagte er sich. Es hatte keinen Sinn. Denn er hatte ja nicht angerufen. Er hatte keinen Kontakt zur Familie gesucht, wenn man von ein paar Ansichtskarten absah, die er hin und wieder geschrieben hatte, damit sie ungefähr wussten, wo er war. Bis seine Mutter ihn dann irgendwie in der Schweiz ausfindig gemacht hatte.

Er wusste immer noch nicht, wie sie das geschafft hatte. Aber Connie Wyatt war eine Frau mit eiserner Willenskraft. Wahrscheinlich hatte sie zahllose Hotels durchtelefoniert, bis sie ihn gefunden hatte.

„Kristi, ich möchte das jetzt nicht mit dir diskutieren. Nicht, bevor ich Dad gesehen habe.“ Er hielt einen Moment inne. „Wie … wie geht es ihm?“

Er sah jetzt Besorgnis in ihren Augen, doch auch die Wut war noch da. „Er lebt. Und der Doktor sagt, er wird wieder. Aber ich finde, es ist eine Schande, dass Dad erst einen Herzinfarkt bekommen musste, damit du dich nach Hause zurückbemühst.“

Na, das lief ja wirklich prächtig.

Doch plötzlich schien Kristis Zorn zu erlöschen. Nachdenklich blickte sie zu den Bergen hin. „Ich habe ganz schön Angst gehabt. Mom war natürlich wie immer ein Fels in der Brandung, aber ich war mit den Nerven am Ende. Der Arzt meinte, es hätte viel schlimmer kommen können. Es war mehr so etwas wie ein Warnschuss. Aber gerade deswegen haben wir jetzt ständig das Gefühl …“

Sie vollendete den Satz nicht, aber Sam wusste genau, was sie meinte. Ein Warnschuss – das bedeutete, dass sein Vater jetzt von allen ängstlich beobachtet wurde, als wäre er eine Zeitbombe, die jederzeit explodieren könnte.

Sam konnte sich vorstellen, dass das seinen Vater ganz verrückt machte.

„Na ja“, sagte Kristi, und ihre Stimme klang wieder deutlich kühler. „Falls du erwartet hattest, wir würden dich wie den verlorenen Sohn mit großem Tamtam willkommen heißen, muss ich dich enttäuschen. Wir haben im Moment wirklich andere Sorgen.“

„Das ist schon in Ordnung“, erwiderte er, obwohl ihn die Ablehnung seiner kleinen Schwester bis ins Mark traf. „Ich bin nicht zurückgekommen, weil ich nach Vergebung suche.“

„Warum denn dann?“

Er sah seiner Schwester in die Augen. „Weil ich hier gebraucht werde.“

Sie lachte höhnisch auf. „Vor zwei Jahren hätten wir dich hier gebraucht.“

„Kristi …“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich muss in ein paar Minuten Skiunterricht geben. Wir können später weiterreden. Falls du noch da sein solltest.“ Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um und ging.

Kristi arbeitete als Skilehrerin, seit sie vierzehn war. Alle Kinder der Familie Wyatt waren gewissermaßen auf Skiern aufgewachsen, und der Unterricht war schon immer Teil des Familiengeschäfts gewesen.

Sam sah ihr noch eine Weile nach, dann stapfte er weiter auf die Lodge zu. Ihm war von vornherein klar gewesen, dass es nicht einfach sein würde, nach Hause zurückzukehren. Aber was war in den vergangenen zwei Jahren schon einfach gewesen?

Den Kopf gesenkt und mit schweren Schritten ging er seinem Zuhause entgegen, viel langsamer, als er die Lodge damals verlassen hatte.

Als Sam vor zwei Jahren weggegangen war, waren die Renovierungsarbeiten an seinem Elternhaus, dem Haupthaus des Resorts, schon fast beendet gewesen, aber jetzt sah er alles zum ersten Mal im fertigen Zustand.

Die Frontfenster waren größer als früher und wirkten dadurch einladender. Im großen Empfangsraum waren Dutzende lederbezogene Klubsessel zu kleinen, gemütlichen Sitzgruppen zusammengestellt worden. Das Kaminfeuer verbreitete behagliche Wärme, während draußen ein kalter Wind die Schneeflocken herumwirbelte. Aber hier, im Inneren des Hauses, herrschten Wärme und Behaglichkeit. Hier fühlte man sich wohl, sogar willkommen. Allerdings war die große Frage, ob auch er willkommen sein würde.

Sam nickte Patrick Hennessey zu, der schon damals am Empfang gestanden hatte. Dann ging er an den Treppen vorbei um die Ecke, wo sich der private Fahrstuhl zum dritten Stock befand. Sam hielt den Atem an, während er die vierstellige Geheimzahl in die Tastatur an der Wand eingab. Er kannte die Zahlenfolge immer noch auswendig, aber halb rechnete er damit, dass die Familie den Code nach seinem Verschwinden geändert hatte. Doch das war nicht der Fall. Die Fahrstuhltür öffnete sich, und er trat ein.

Seine Familie hatte den Privatfahrstuhl einbauen lassen, als sie das Haus aufgestockt hatten. So war sichergestellt, dass keiner der Gäste sich versehentlich in den Privatbereich verirrte.

Schon war die kurze Fahrt vorüber, die Fahrstuhltüren glitten zur Seite, und Sam betrat die Wohnräume.

Das Wohnzimmer sah noch genauso aus wie damals mit der Bücherwand, den bequemen Sesseln und dem lodernden Kaminfeuer. Doch das alles nahm er nur am Rande wahr, weil sein Blick sofort auf die beiden Menschen im Zimmer fiel.

Seine Mutter saß in ihrem Lieblingssessel, ein geöffnetes Buch auf dem Schoß, und sein Vater hatte es sich in seinem riesigen Klubsessel gemütlich gemacht. Es schien ihm gut zu gehen, wie Sam erleichtert feststellte. Er schaute sich auf dem Flachbildfernseher, der an der Wand hing, einen alten Western an.

Auf dem langen Flug von der Schweiz in die USA hatte Sam voller Sorge an seinen Vater denken müssen. Sicher, man hatte ihm mitgeteilt, dass es nur ein kleiner Herzinfarkt gewesen war, dass es Bob Wyatt gut ging, und dass er schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Trotzdem hatte Sam große Ängste um seinen Vater ausgestanden.

Erst jetzt war er einigermaßen beruhigt. Sein alter Herr saß genau da, wo er hingehörte, und wirkte so robust und stark, wie er ihn in Erinnerung hatte.

„Sam!“ Seine Mutter warf ihr Buch beiseite, lief auf ihn zu und schloss ihn in die Arme. Fest wie ein Schraubstock hielt sie ihn, wie um zu verhindern, dass er sich wieder aus dem Staub machte.

„Sam, wie wunderbar, dass du hier bist.“ Sie lächelte ihn glücklich an. „Es ist eine Erlösung, dich endlich wiederzusehen.“

Auch Sam lächelte. Erst jetzt wurde ihm so richtig bewusst, wie sehr er sie und die übrige Familie vermisst hatte. Zwei Jahre lang war er ein Weltenbummler gewesen, hatte ein Land nach dem anderen bereist, eine Erfahrung nach der nächsten gesucht. Er hatte aus der Reisetasche gelebt und nie weitergedacht als bis zum nächsten Bahnhof oder Flughafen.

Natürlich war er auch oft Ski gefahren. Er nahm zwar nicht mehr professionell an Rennen und Wettbewerben teil, aber dennoch zog es ihn immer wieder auf die Bretter. Das Skifahren lag ihm einfach im Blut, auch wenn er die meiste Zeit damit verbracht hatte, sich um seine Geschäfte zu kümmern.

Sein Hauptjob war es, Skipisten für die großen Wintersport­orte zu entwerfen. Dazu besaß er noch eine Firma für Skikleidung, die er zusammen mit Jack gegründet hatte und die sehr gut lief. Diese beiden Unternehmen hatten ihn mit Beschlag belegt und dafür gesorgt, dass er nicht allzu viel Zeit zum Grübeln gehabt hatte.

Nun war er zurück. Er spürte den kritischen Blick seines Vaters auf sich ruhen.

Voller Liebe erwiderte er die Umarmung seiner Mutter. „Hallo, Mom.“

Sie ließ ihn los und schüttelte den Kopf. „Ich kann es noch gar nicht glauben, dass du wirklich hier bist. Du musst einen Bärenhunger haben, stimmt’s? Ich mache dir schnell was …“

„Nein, das ist wirklich nicht nötig“, erwiderte er, aber er wusste, dass er sie sowieso nicht davon abhalten konnte. Connie Wyatt nahm jede Situation zum Anlass, die Menschen, die sie liebte, zu verwöhnen.

„Dauert doch nicht lange“, sagte sie und blickte zu ihrem Mann hinüber. „Und du bleibst hübsch im Sessel sitzen, Bob, haben wir uns verstanden? Vor dem Essen mache ich uns noch schnell einen Kaffee.“

Schon war seine Mutter verschwunden. Langsam ging Sam auf seinen Vater zu und setzte sich auf den Schemel zu seinen Füßen. „Hallo, Dad. Du siehst gut aus.“

Bob Wyatt fuhr sich durch sein graues Haar und musterte seinen Sohn. „Es geht mir auch gut. Völliger Unsinn, dass sie so einen Wirbel machen. Der Doktor sagt, es war alles halb so wild. Nur zu viel Stress.“

Ja, zu viel Stress. Kein Wunder. Einen Sohn hatte er verloren, der andere hatte sich aus dem Staub gemacht. Fast im Alleingang hatte er sich deshalb um die Ferienanlage der Familie kümmern müssen. Kein Wunder, dass das einen Mann seines Alters an seine Grenzen gebracht hatte. Schuldgefühle durchzuckten Sam. Ja, durch sein plötzliches Verschwinden hatte er die Familie im Stich gelassen, das ließ sich nicht leugnen.

Sein Vater blickte zur Tür, durch die seine Frau verschwunden war. „Ich fühle mich pudelwohl, aber deine Mutter hat es sich in den Kopf gesetzt, mich zum Invaliden zu erklären.“

„Du hast ihr eben einen Riesenschrecken eingejagt“, sagte Sam. „Und mir auch, ehrlich gesagt.“

Sein Vater musterte ihn schweigend. Erst nach ein paar Minuten sprach er weiter. „Du hast uns vor zwei Jahren auch nicht schlecht erschreckt. Einfach so zu verschwinden und uns nicht mal wissen zu lassen, wie es dir geht oder wo du steckst …“

Sam holte tief Luft. Da waren sie wieder, die Schuldgefühle, die so schwer auf ihm lasteten. Wahrscheinlich würde er sie nie völlig abschütteln können.

„Hier und da mal eine Postkarte, das reicht einfach nicht, Sohn.“

„Ich konnte einfach nicht anrufen“, sagte Sam und wusste, wie feige sich das anhören musste. „Ich hatte Angst davor, eure Stimmen zu hören. Ich konnte nicht … Ach, verdammt, Dad. Ich … ich war psychisch völlig durch den Wind.“

„Tu nicht so, als ob nur du getrauert hast, Sam.“

„Wir hatten es alle schwer, ich weiß“, erwiderte Sam schuldbewusst. „Aber Jack zu verlieren …“ Er seufzte. Die Erinnerung schmerzte noch immer so sehr.

„Sicher, er war dein Zwillingsbruder“, erwiderte sein Vater leise. „Aber genauso war er unser Kind. Ebenso wie Kristi und du es seid.“

Sam musste sich eingestehen, dass er seinen Eltern, als sie ohnehin schon getrauert hatten, durch sein Verschwinden noch mehr Leid zugefügt hatte. Doch er hatte damals keine andere Möglichkeit gesehen.

„Ich … ich musste einfach weg.“

Ein simpler Satz, hinter dem sich all die widerstreitenden Gefühle versteckten, die ihn damals bewegt hatten, sein Zuhause und seine Familie zu verlassen.

„Ich weiß“, sagte sein Vater verständnisvoll und gleichzeitig bekümmert. „Ich muss es ja nicht gutheißen, aber in gewisser Weise verstehe ich es. Tja, und jetzt bist du plötzlich zurück. Für wie lange?“

Mit dieser Frage hatte Sam gerechnet. Das Problem war nur, dass er darauf noch keine Antwort hatte. Er senkte den Kopf. „Ich weiß nicht. Ich weiß es einfach nicht.“

„Immerhin bist du ehrlich.“

„Aber eines kann ich dir versprechen“, sagte Sam, „diesmal gebe ich dir rechtzeitig Bescheid. Auf keinen Fall verschwinde ich noch mal einfach so.“

Sein Vater nickte kurz. „Na schön, mit dieser Antwort muss ich mich wohl zufriedengeben. Hast du schon jemand von den anderen getroffen?“

„Außer Kristi nicht.“ Sam spannte sich an. Er wusste, es würde noch einige unangenehme Konfrontationen geben. Zu viele Menschen hatte er durch sein Verschwinden verletzt. Aber da musste er jetzt durch.

Es war schon schwer genug gewesen, seinen engsten Verwandten gegenüberzutreten. Doch das Schlimmste, das wusste er, würde erst noch kommen.

„Dann solltest du etwas wissen, Sam“, erwiderte sein Vater. „Und zwar, dass …“

In diesem Augenblick öffnete sich die Fahrstuhltür. Sam blickte hin – und erstarrte.

„… Lacy auf dem Weg hierher ist“, vollendete sein Vater den Satz.

Lacy Sills.

Sie betrat das Zimmer. In der Hand hielt sie einen Korb mit Muffins, die verführerisch dufteten. Sams Herz krampfte sich zusammen. Gut sah sie aus! Viel zu gut …

Sie war etwas über einen Meter siebzig groß; ihr langes blondes Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten. Sie trug einen grünen Pullover und schwarze Jeans. Ihr Gesicht war immer noch so entzückend wie damals: volle Lippen, ein zierliches Näschen, blaue Augen. Sie lächelte nicht. Sie sagte nichts. Und das brauchte sie auch nicht.

Ihr Anblick allein genügte. Im Bruchteil einer Sekunde fühlte er sich körperlich erregt – von null auf hundert gewissermaßen. Die perfekte Erektion. Diese Wirkung hatte sie schon immer auf ihn gehabt.

Deshalb hatte er sie ja auch geheiratet.

Lacy stand stocksteif da, unfähig, sich zu bewegen. Selbst das Luftholen fiel ihr schwer. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und in ihrem Kopf wirbelte alles durcheinander.

Vielleicht hätte sie vorher anrufen sollen, um sicherzugehen, dass Connie und Bob allein waren. Andererseits – warum eigentlich? Es war doch wirklich nicht damit zu rechnen gewesen, dass Sam auf einmal hier auftauchen würde! Ganz davon abgesehen, dass sie sich ohnehin nichts vorzuwerfen hatte. Er war es gewesen, der sie alle im Stich gelassen hatte!

Fast schämte sie sich, dass sie innerlich so freudig erregt war, ja, dass sogar körperliches Begehren in ihr aufstieg. Wie war es nur möglich, dass sie immer noch so viel für einen Mann empfand, der sie ohne einen Blick zurück im Stich gelassen hatte?

Oh, wie hatte sie nach Sams Verschwinden gelitten! Sie hatte lange gedacht, dass sie tatsächlich nicht darüber hinwegkommen würde. Aber schließlich hatte sie es doch geschafft. Zumindest hatte sie das geglaubt.

Und jetzt, als es ihr endlich besser ging, tauchte er wieder auf? Wie unfair war das denn?

„Hallo, Lacy.“

Seine Stimme klang tief und samtig wie immer. Und er sah so gut aus. Fast wie nach einem Erholungsurlaub. Etwas lädiert hätte er ruhig wirken können – als Strafe für sein Verhalten.

Alle schwiegen, und die Stille wurde allmählich peinlich. Lacy bekam das Gefühl, auf seine Begrüßung antworten zu müssen.

„Hallo, Sam“, brachte sie schließlich hervor. „Lange nichts voneinander gehört.“

Zwei Jahre. Zwei lange Jahre ohne Nachricht, wenn man von den paar lächerlichen Postkarten absah, die er seinen Eltern geschickt hatte.

Zu ihr hatte er kein einziges Mal Kontakt aufgenommen. Kein Wort des Bedauerns, kein Zeichen, dass er sie vermisste. Nichts. Wie oft hatte sie nachts wach gelegen und sich Sorgen gemacht, ob er überhaupt noch lebte. Dabei verdiente er solche Gefühle gar nicht …

Bob versuchte, die peinliche Situation zu überspielen. „Schön, dass du da bist, Lacy. Hast du was für uns gebacken? Riecht lecker.“

„Hoffentlich schmeckt’s auch so“, erwiderte sie und ging auf Bob zu. Sie hatte oft darüber nachgedacht, wie sie reagieren würde, falls Sam unvermutet wieder auftauchte. Sie hatte sich geschworen, ruhig zu bleiben. Ruhig und kühl. Sam sollte ihr nicht anmerken, wie sehr er sie verletzt hatte.

Sie gab Bob einen Kuss auf die Stirn. Sie sah ihn immer noch als ihren Schwiegervater an, obwohl Sam und sie mittlerweile geschieden waren. Bob und Connie Wyatt waren seit ihrer Kindheit fast wie Eltern für sie gewesen, und daran sollte sich nichts ändern, nur weil ihr Sohn ein Mistkerl war.

„Es sind deine Lieblingsmuffins, Bob“, erklärte sie und überreichte ihm den Korb. „Mit Cranberrys und Orangen.“

Bob sog den verführerischen Duft ein und lächelte. „Du bist eine Meisterbäckerin, Lacy.“

„Und du ein altes Leckermaul“, gab sie zurück.

„Schuldig im Sinne der Anklage.“ Bob wandte den Blick von ihr ab und schaute zu Sam hin. „Setz dich doch einen Augenblick zu uns. Connie bringt uns gleich etwas zu essen.“

Wie oft hatten sie alle früher gemütlich zusammengesessen. Aber die Zeiten waren vorbei. „Danke für das Angebot, aber es geht leider nicht. Ich habe noch ein paar Stunden Skiunterricht zu geben.“

„Sehr schade“, sagte Bob. „Aber wenn es nicht geht …“

Aus seinem Tonfall hörte sie heraus, dass er genau wusste, warum sie sich verabschiedete.

Wenn sie noch länger blieb, würde sie sich nicht mehr zusammenreißen können. Aber in Gegenwart von Sam wollte sie auf keinen Fall Tränen vergießen! Seinetwegen hatte sie schon genug geweint, genug für ein ganzes Leben. Nein, vor ihm würde sie sich keine Blöße geben.

„Ja, Pflicht ist Pflicht“, sagte sie schnell. „Aber keine Sorge, ich schaue morgen wieder nach dir.“

„Darauf freue ich mich schon jetzt“, sagte Bob und tätschelte ihr die Hand.

Lacy wandte sich um und ging in Richtung Fahrstuhl. Dabei würdigte sie Sam keines Blickes. Auf keinen Fall durfte sie sich in seinen grünen Augen verlieren.

Das Leben ging weiter, und das hieß für sie, dass sie jetzt kleinen Kindern und ihren überängstlichen Müttern Skiunterricht erteilen würde. Anschließend würde sie nach Hause gehen, ein bisschen zu viel Wein trinken und sich irgendeinen rührseligen Frauenfilm auf DVD ansehen. Und dann würde sie weinen. Die Tränen herauslassen, die sie sich jetzt noch gerade verkneifen konnte. Deswegen musste sie auch so schnell wie möglich fort von hier!

Doch es lief nicht wie geplant.

„Lacy, warte bitte.“

Sie ging einfach weiter, stellte sich vor den Fahrstuhl und drückte auf den Knopf. Doch gerade, als sich die Türen öffneten, spürte sie Sams Hand auf ihrer Schulter.

Die Berührung – seine erste Berührung seit zwei Jahren – hinterließ ein heißes Gefühl in ihrem Innern. Doch sie löste sich von ihm, indem sie den Fahrstuhl betrat.

Dennoch gab es kein Entkommen. Sam hielt die Fahrstuhltür fest. „Lacy, wir müssen reden.“

„Ach ja?“, fragte sie gereizt. „Warum? Weil du es willst? Nein, Sam. Wir haben nichts mehr zu besprechen.“

„Es …“

Sie funkelte ihn böse an. „Untersteh dich, mir zu sagen, dass es dir leidtut. Wenn du den Spruch loslässt, werde ich dafür sorgen, dass es dir wirklich leidtut.“

„Du machst es mir nicht gerade leicht“, sagte er.

„Ach, du meinst, so wie du es mir vor zwei Jahren leicht gemacht hast?“ Sie flüsterte diese Worte nur, obwohl sie sie ihm am liebsten ins Gesicht geschrien hätte. Aber sie wollte den herzkranken Bob nicht aufregen.

Demonstrativ drückte sie noch einmal den Knopf für das Erdgeschoss. „Ich muss arbeiten. Lass die Tür los.“

„Früher oder später wirst du mit mir reden müssen.“

Als er ihren zornigen Blick sah, ließ er blitzartig die Fahrstuhltür los. Sie schloss sich bereits, als sie sagte: „Ich habe absolut kein Interesse, mit dir zu reden.“

2. KAPITEL

Lacy war froh über die Ablenkung, die der Skiunterricht ihr brachte. So musste sie wenigstens nicht über Sam nachdenken. Und über die Konsequenzen, die es mit sich brachte, dass er zurück war …

„Sind Sie sicher, dass sie nicht noch zu jung zum Skifahren ist?“, fragte eine besorgte Mutter plötzlich. Ihre dreijährige Tochter hielt sich nur mühsam auf ihren Kinderskiern aufrecht.

„Das ist überhaupt kein Problem“, versicherte Lacy. „Mein Vater hat mir schon mit zwei Jahren das Skifahren beigebracht. In so jungen Jahren gehen die Kinder noch völlig unbefangen an das Ganze heran. Das ist sehr hilfreich. Man muss natürlich auf die Kleinen aufpassen, aber so kommt gar nicht erst Angst auf.“

„Dafür habe ich umso mehr Angst“, erwiderte die Mutter und lachte nervös auf. „Ich mache das alles nur meinem Mann zuliebe. Weil er so gerne Ski fährt …“

„Sie finden schon noch Spaß daran. Versprochen.“

„Hoffentlich haben Sie recht“, sagte die Mutter und blickte zur Bergspitze hinauf. „Mike ist mit seinem Bruder irgendwo da oben. Heute Nachmittag löst er mich ab und passt auf Kaylee auf. Dann habe ich nämlich meine erste Unterrichtsstunde.“

„Das heißt, dass Kristi Wyatt Sie unterrichtet“, erklärte Lacy. „Sie ist eine ganz fantastische Lehrerin. Sie werden viel Spaß haben und jede Menge lernen.“

„Ach ja, die Familie Wyatt“, sagte die Frau begeistert. „Die sind so legendär, dass sogar ich als Laie sie kenne. Mein Mann hat immer hier in der Gegend Winterurlaub gemacht, nur um die Wyatt-Brüder Ski laufen zu sehen.“

Lacy lächelte gezwungen. „Da war er nicht der Einzige.“

„Aber dann die Sache mit Jack Wyatt, was für eine furchtbare Katastrophe. Eine Tragödie.“

Es geschah nicht zum ersten Mal, dass jemand die tragische Geschichte aufbrachte, und es würde auch in Zukunft noch oft passieren, da war sich Lacy sicher. Selbst zwei Jahre nach Jacks Tod kamen noch Fans nach Snow Vista, fast wie zu einer Wallfahrt. Jack war unvergessen und Sam ganz genauso. In der Skiwelt hatten die Wyatt-Zwillinge gewissermaßen den Ruf von Rockstars.

Mitgefühl lag im Blick der Frau. Jacks Geschichte war so tragisch, dass sie niemanden kalt ließ. Doch wohl kein Außenstehender konnte wirklich ermessen, wie sehr der schreckliche Verlust die engsten Angehörigen getroffen hatte, sie selbst eingeschlossen. Sie war am Boden zerstört gewesen.

„Ja, Tragödie ist das richtige Wort“, bestätigte Lacy mit zusammengebissenen Zähnen.

„Mein Mann hält sich über die Skiwelt total auf dem Laufenden“, fuhr die Frau fort. „Er hat mir erzählt, dass Jacks Zwillingsbruder Sam Snow Vista nach dem Tod seines Bruders verlassen hat.“

„Ja, stimmt“, erwiderte Lacy einsilbig. Die Unterhaltung verursachte ihr Höllenqualen.

„Angeblich hat er sich aus dem Wettkampfsport völlig zurückgezogen und arbeitet jetzt als Designer für Skiresorts. Obendrein vertreibt er Skimode. Und er hat wohl den größten Teil der vergangenen zwei Jahre in Europa verbracht, wo er auch Dates mit Frauen aus Herrschafts- und Adelskreisen gehabt hat.“

„Habe ich auch gehört“, erwiderte Lacy. Die Unterhaltung wurde ihr immer unangenehmer.

Zwar hatte Sam sie nicht kontaktiert, aber die Medien hatten immer wieder über ihn berichtet. Schließlich war er als Skifahrer weltbekannt gewesen, und das Schicksal seines Bruders hatte ihn für die Klatschpresse noch interessanter gemacht. So war sie recht gut über ihn auf dem Laufenden geblieben. Nicht nur über seine geschäftlichen Erfolge, sondern auch über sein gesellschaftliches Leben – einschließlich seines Liebeslebens.

Es gab zahlreiche Paparazzifotos, die Sam in Damenbegleitung zeigten. Besonders oft in der Begleitung einer dunkelhaarigen Gräfin, die entsetzlich mager aussah. So als hätte sie seit zehn Jahren nichts Vernünftiges mehr zu essen bekommen.

Aber mit wem sich Sam herumtrieb, war seine Sache. Denn er war ja nicht mehr ihr Mann, er war ihr Exmann. Sie waren beide völlig frei, sich zu treffen, mit wem sie wollten. Nicht dass Lacy von diesem Recht Gebrauch machte. Eigentlich hatte sie nie davon Gebrauch gemacht. Aber sie wusste, sie könnte es, wenn sie wollte. Und nur darauf kam es an.

Autor

Maureen Child

Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal.

Ihre liebste...

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