Bestsellerautorin Cathy Williams

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GEHEIMNIS EINER TROPENNACHT

Rose hat sich geschworen, standhaft zu bleiben! Aber der attraktive Nick Papaeliou setzt alles daran, sie zu verführen. Beharrlich lautet Roses Antwort Nein, denn schließlich ist Nick ihr Boss! Bis sie ihn auf eine Geschäftsreise nach Borneo begleitet. Der Zauber dieser fremden Welt fasziniert sie, bei Tauchausflügen im blauen Ozean kommt sie Nick näher, und bei einem Spaziergang am weißen Strand gerät ihr strenger Vorsatz ins Wanken! Dann bricht eine Tropennacht mit ihren süßen Geheimnissen an, die nur darauf warten, von Nick und ihr entdeckt zu werden …

EINE LIEBE FÜRS LEBEN

Die schüchterne Charlotte traut ihren Augen nicht, als sie bei einer Hausbesichtigung in London plötzlich ihrer ersten großen Liebe Riccardo di Napoli gegenübersteht. Vor acht Jahren hatte sie sich unrettbar in den gut aussehenden Italiener verliebt. Bis es ihr fast das Herz brach, weil in seiner Welt der Reichen und Schönen kein Platz für sie schien. Jetzt sind sofort all die Gefühle von damals wieder da. Die Wut, dass er sie so einfach gehen ließ - und diese unvernünftige Sehnsucht nach seiner Nähe. Doch Riccardo und seine adlige Familie dürfen auf keinen Fall von ihrem Geheimnis erfahren!

IM GARTEN MEINER LIEBE

In seiner Luxusvilla auf Long Island will Amy ihren heimlich geliebten Chef verführen - und lernt dabei den Gärtner kennen. Einen ausgesprochen attraktiven Gärtner, dessen Charme sie sofort ins Träumen bringt. Und als der gut aussehende Rafael sie zum Sightseeing nach New York einlädt, stürzt sie sich kopfüber in einen prickelnden Flirt mit ihm. Nichts ahnend genießt sie ihr Glück an seiner Seite. Bis sie entdeckt: Rafael ist nicht der, der er zu sein scheint. Hat er nur mit ihr gespielt, während in ihrem Herzen die zarte Pflanze der Liebe erblüht ist?

VERLIEB DICH NIE IN DEINEN CHEF

"Verlieb dich nie in deinen Chef!" Auch dann nicht, wenn er der begehrteste Junggeselle der Londoner Society ist, attraktiv und charmant ist und dazu noch einen entzückenden Sohn hat! Als Heather ihre Arbeitsstelle als Kindermädchen bei Millionär Leo West antritt, ist sie entschlossen, nur ihre Pflichten zu erfüllen. Dass Leo ein stadtbekannter Playboy ist, ist ihr egal: Sie entspricht mit ihren üppigen Kurven sowieso nicht seinem Geschmack. Doch weit gefehlt: Ihre naive Unschuld reizt den Frauenhelden - Leo will sie nicht nur als Nanny, er will sie auch in seinem Bett …


  • Erscheinungstag 08.12.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774776
  • Seitenanzahl 624
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Cathy Williams

Bestsellerautorin Cathy Williams

Cathy Williams

Geheimnis einer Tropennacht

IMPRESSUM

JULIA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2007 by Cathy Williams
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 1849 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Trixi de Vries

Fotos: RJB Photo Library

Veröffentlicht im ePub Format im 12/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-132-1

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

1. KAPITEL

Nick Papaeliou hatte noch nie einen so seltsamen Abend erlebt.

In der Öffentlichkeit ausgetragene Auseinandersetzungen waren ihm ein Gräuel. Er wollte stets alles unter Kontrolle haben, sogar seine Gefühle. Und was war vor kaum einer Stunde passiert? Seine Freundin, besser gesagt Exfreundin, hatte sich betrunken und in aller Öffentlichkeit Streit mit ihm gesucht. So ein Verhalten war natürlich unverzeihlich und der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Susannas Wunsch nach einer ‚festen Beziehung‘ war ihm schon lange auf die Nerven gegangen. Jetzt hatte ihr Verhalten ihm den perfekten Grund geliefert, Schluss zu machen. Er hätte die Beziehung längst beendet, wenn er nicht mitten in schwierigen Verhandlungen gesteckt hätte.

Und dann diese Party heute Abend, bei der es sich nicht um eine langweilige Veranstaltung mit Models handelte, sondern um die Einladung eines Modeschöpfers, der nach Höherem strebte. Der Wein floss in Strömen und löste so manche Zunge. Auch Susannas. Vor vierzig Leuten hatte das Model ihm eine Szene gemacht – hatte getobt, geschluchzt, gebettelt.

Natürlich hatte er die Party umgehend verlassen. Am Laptop in seinem Penthouse würde er die hässliche Szene schnell vergessen. So hatte er es geplant, doch es war ganz anders gekommen.

Unauffällig musterte er die blonde junge Frau an seiner Seite im Taxi. Sie hatte auf der Party gekellnert und hatte das Haus gleichzeitig mit ihm verlassen. Obwohl er sich zu dieser Schönheit überhaupt nicht hingezogen fühlte, hatte er sie auf einen Kaffee in einem Café in der Nähe eingeladen und sich ihre Geschichte angehört. Wie so viele andere Frauen ihres Alters träumte sie von einer Karriere als Schauspielerin. Aufgeregt und voller Optimismus erzählte sie von ihren Plänen.

Ihre unbeschwerte Jugendlichkeit hatte ihn gerührt. Gleichzeitig hatte er ihr behutsam zu verstehen gegeben, dass er nicht an einer Beziehung interessiert war.

Aber wie lange wollte er sein Junggesellenleben eigentlich noch führen? Als Nick Mitte zwanzig war, war sein Vater gestorben, seine Mutter war ihm vor acht Jahren gefolgt. Fehlte ihm der Druck der Eltern, zu heiraten und die obligatorischen zwei Komma zwei Kinder in die Welt zu setzen? Oder lag es an der steilen Karriere, die ihm Reichtum und Macht eingebracht hatte? Für eine Frau war in seinem Leben auf Dauer einfach kein Platz.

Und jetzt hatte er die liebenswerte Lily kennengelernt, die freiberuflich als Model arbeitete und auch sonst fast jeden Job annahm, um sich bis zu dem ersehnten Durchbruch als Schauspielerin über Wasser zu halten. Diese junge Frau löste fast Vatergefühle in ihm aus.

Deshalb saß er jetzt neben ihr im Taxi. Sie hatte ihn auf einen Absacker zu sich eingeladen. Seine Ausflüchte, er müsse nach Hause, um zu arbeiten, hatte sie nicht gelten lassen.

„Niemand arbeitet mitten im Winter um Mitternacht an einem Samstag.“ Lily war schockiert.

Er fand ihre erfrischende Naivität amüsant. Außerdem rührte es ihn, wie sie versuchte, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Auch sie war ja Zeugin der unschönen Szene mit Susanna gewesen. Außerdem schien sie großen Respekt vor ihm zu haben. Ihre großen blauen Augen verrieten sie. Nick war es gewöhnt, seine Mitmenschen zu beeindrucken.

Nach langer Fahrt durch ein Gewirr von Straßen mit unbeleuchteten Reihenhäusern hielt das Taxi schließlich am Zielort. Lily bestand darauf, den Fahrpreis zu entrichten, obwohl sie doch wissen musste, dass es sich bei ihrem Begleiter um einen Milliardär handelte.

„Wir leben sehr bescheiden“, sagte sie entschuldigend, als sie in der Handtasche nach dem Haustürschlüssel suchte.

Nick machte eine höfliche Bemerkung, musste jedoch zugeben, dass ‚bescheiden‘ noch untertrieben war. Die ganze Gegend machte einen heruntergekommenen Eindruck, und dieses Haus bildete keine Ausnahme.

Solchen Verhältnissen war er durch harte Arbeit längst entwachsen. Seine Eltern waren griechische Einwanderer und mit dem zufrieden gewesen, was sie sich erschaffen hatten. Schon als Kind hatte Nick sich in den Kopf gesetzt, es zu etwas zu bringen. Nach Abschluss des Studiums mit Auszeichnung hatte er einen so kometenhaften Aufstieg in der Finanzwelt hingelegt, dass seine Kollegen aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen waren. Schritt für Schritt hatte er sein eigenes Finanzimperium aufgebaut. Er war der Boss, auf ihn hörte man im Big Business.

Wer so wohlhabend und einflussreich war, verfügte natürlich auch über das dazugehörende Drum und Dran. Nick nannte ein Anwesen im sonnigen Süden und einen Landsitz sein Eigen. Leider fand er nur selten Zeit, sich dort aufzuhalten. Meistens hielt er sich in seinem Penthouse in einem der Nobelviertel Londons auf. Selbstverständlich ließ er sich in seiner Luxuslimousine chauffieren und nahm den Hubschrauber, wenn er es besonders eilig hatte.

Jetzt fand er sich also im Flur eines renovierungsbedürftigen Hauses wieder. Zwar hatte sich jemand die Mühe gemacht, die Wände in einem freundlichen Gelbton zu streichen, doch der abgetretene Teppich machte den positiven Eindruck gleich wieder zunichte.

Während Lily sich erleichtert ihrer Stiefel entledigte, machte Nick die Haustür zu und nahm dabei nicht die sich nähernden Schritte wahr. Erst als er Lilys erschrockenen Aufschrei hörte, wurde ihm bewusst, dass sich noch jemand im Haus befand.

„Rosie! Wieso bist du noch auf?“ „Wer ist das?“, fragte eine ungewöhnlich rauchige Frauenstimme.

Nick drehte sich um und sah in Augen von einem unglaublichen Blau, die ihn wütend anfunkelten. Sie gehörten einer Frau, die all ihre Reize unter einem voluminösen Bademantel, unter dem noch ein schrecklich kitschiger Schlafanzug hervorlugte, versteckte.

„Also wirklich, Rose! Wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass du nicht auf mich zu warten brauchst. Ich bin doch kein kleines Kind mehr.“

Die Frau, die Nick auf Ende zwanzig schätzte, machte ein ungläubiges Gesicht.

„Das wage ich zu bezweifeln, Lily. Du kannst doch nicht um ein Uhr nachts mit einem wildfremden Mann hier aufkreuzen! Wieso ist es eigentlich so spät geworden? Du wolltest heute doch früher nach Hause kommen.“

„Das hatte ich auch vor, aber dann … Das ist übrigens Nick, Rose. Nick Papaeliou. Du hast sicher schon von ihm gehört.“

„Nein, habe ich nicht“, antwortete Rose kurz angebunden. „Du weißt ganz genau, dass ich keine Ahnung von den Models habe, mit denen du herumhängst.“

„Model?“ Nick traute seinen Ohren nicht. Und wieso wurde er so unglaublich verächtlich gemustert? „Sie halten mich für ein Model?“

„Was denn sonst?“

„Bitte entschuldigen Sie sie, Nick. Sie meint es nicht so. Rose ist sehr um mich besorgt. Ständig hat sie Angst, ein großer böser Wolf könnte über mich herfallen. Eigentlich finde ich das ja sogar ganz cool. Wozu sind große Schwestern sonst da?“

„Rose ist Ihre Schwester?“ Nick betrachtete die kleine wohlgeformte Frau etwas genauer. Noch immer blickte sie ihn abweisend an. Ihre Wangen hatten sich leicht gerötet.

„Sie brauchen mich gar nicht so erstaunt anzusehen“, sagte Rose kühl.

„Eigentlich sind wir Stiefschwestern“, erklärte Lily lächelnd. „Ist das nicht unglaublich? Man hört immer wieder, dass Stiefgeschwister sich nicht verstehen, aber Rose und ich gehen durch dick und dünn.“ Zärtlich lächelte sie ihr zu. Sie überragte ihre Stiefschwester um mindestens 15 Zentimeter. „Ich habe Nick auf einen Absacker eingeladen, Rosie. Kümmerst du dich bitte darum? Ich muss mal kurz nach oben.“

Wie üblich nahm Lily zwei Stufen auf einmal. Das hatte sie schon als Kind getan. Die süße, immer fröhliche Lily, die in jedem Menschen nur das Gute sah. Auch in diesem Mann, der ihr immer noch verblüfft nachsah. Wahrscheinlich fragte er sich, wie diese langbeinige Blondine mit dem bis zur Taille reichenden Haar eine Stiefschwester haben konnte, die das genaue Gegenteil von ihr war.

Rose betrachtete ihn nun eingehend. Der Mann sah unverschämt gut aus, hatte ein markantes, sinnliches Gesicht, schwarzes Haar und unglaublich lange Wimpern. Es kostete sie erhebliche Willensstärke, den Blick nicht zu senken. Wahrscheinlich handelte es sich bei diesem Nick um einen drittklassigen Schauspieler, der ihr eine Rolle vorspielte.

„Bleiben Sie immer auf, bis Ihre Schwester nach Hause kommt, Rose?“ Sie überhörte die Frage, bedachte ihn nur mit einem geringschätzigen Blick, wandte sich um und ging in die Küche.

„Es ist mir egal, ob Sie mich für unhöflich halten, Mr. Papaeliou. Lily wird immer wieder von nichtsnutzigen, gut aussehenden Männern enttäuscht. Das möchte ich in Zukunft verhindern.“

Offensichtlich hatte sie sich gerade selbst ein heißes Getränk gemacht, denn das Wasser im Kessel war noch heiß. Statt einem Glas Portwein oder Likör schenkte sie ihm einen Becher Kaffee ein, den sie ihm abweisend reichte. Dann baute sie sich mit verschränkten Armen vor Nick auf.

„Meine Schwester hat ihr Leben ganz gut im Griff, wenn man davon absieht, dass sie zu vertrauensvoll ist. Jedenfalls kann sie darauf verzichten, sich mit einem drittklassigen Schauspieler einzulassen.“

Zum ersten Mal in seinem Leben war Nick sprachlos. „Drittklassiger Schauspieler?“, fragte er schließlich ungläubig.

„Was sonst? Ihr Machogehabe können Sie sich für Ihre Actionfilme aufheben. Mich beeindrucken Sie damit nicht. Leider fliegt Lily auf gut aussehende Typen. Aber bisher hat sie noch jeder enttäuscht.“

Fassungslos hatte Nick sich ihre Kommentare angehört. Am liebsten hätte er diese Rose sofort über seine Person aufgeklärt, doch er hatte keine Lust, morgens um ein Uhr mit einer Frau zu streiten, die ihn angriffslustig wie ein Rottweiler anfunkelte. Also rang er sich lediglich ein Lächeln ab und sagte kühl: „Dann sind Sie also ihr Wachhund. Sehr nobel von Ihnen. Weiß Lily das? Oder verbellen Sie ihre Verehrer nur, wenn Ihre Schwester Ihnen mal kurz den Rücken zuwendet?“ Er stellte den vollen Becher Kaffee auf den Küchentisch. „Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, aber weder bin ich ein strohdummes Model, das mit dem nächstbesten attraktiven Mädchen ins Bett geht noch ein drittklassiger Schauspieler.“

„Nein? Ist doch egal, ob Model, Schauspieler, Regisseur – es spielt keine Rolle. Lily hat gerade eine unglückliche Beziehung hinter sich, und ich möchte verhindern, dass sie gleich wieder Schiffbruch erleidet. Sie haben also keine Chance, tut mir leid.“

Nick, der es gewöhnt war, dass ihm die gesamte Damenwelt zu Füßen lag, hatte den Eindruck, im falschen Film zu sein. Erst die Szene mit Susanna, über die bestimmt irgendein Klatschblatt berichten würde und nun diese Auseinandersetzung mit einer wildfremden Frau, die kein Blatt vor den Mund nahm.

Bevor er auf Roses Anschuldigungen reagieren konnte, kam Lily in die Küche gestürmt und entschuldigte sich für ihre lange Abwesenheit. Sie hatte das dringende Bedürfnis nach einer Dusche verspürt, um den Gestank nach Zigarettenrauch loszuwerden. Alle Partygäste hatten geraucht. Ob es sich tatsächlich um Tabak gehandelt hatte, entzog sich ihrer Kenntnis.

Selbst zu dieser nachtschlafenden Zeit und nach einem anstrengenden Arbeitstag wirkte Lily unglaublich frisch und lebendig und sehr, sehr jung. Wie konnte ihre Schwester nur ansatzweise glauben, dass er, Nick Papaeliou, der jede Frau haben konnte, sich zu Lily hingezogen fühlen könnte?

„Habt ihr euch schon ein wenig angefreundet?“, fragte Lily fröhlich. Nick fing Roses abweisenden Blick auf. Lily trank ein Glas Wasser und wandte sich um, sodass sie Rose und Nick im Blick hatte.

„Klar“, behauptete Nick gewandt und lächelte Rose bedeutungsvoll zu. „Wir verstehen uns blendend.“

„Das ist ja wunderbar!“ Lily strahlte. „Du musst wissen, Rose, dass der arme Nick sich vorhin von seiner Freundin getrennt hat. Da mochte ich ihn nicht seinen trüben Gedanken überlassen und habe mich seiner angenommen.“

Das bedeutungsvolle Lächeln verschwand, als Rose wissend die Augenbrauen hochzog und nickte.

„Ich habe gar keinen trüben Gedanken nachgehangen, Lily.“ Nick war sich Roses wissendem Blick nur zu bewusst. „Das Ende unserer Beziehung hatte sich schon lange angekündigt. Spätestens morgen hätte ich mit Susanna Schluss gemacht.“ Es sah ihm überhaupt nicht ähnlich, sich mit Menschen, die er gerade erst kennengelernt hatte, über sein Privatleben zu unterhalten.

„Wieso besuchen Sie eine Party mit einer Frau, der sie den Laufpass geben wollen?“, fragte Rose mit Unschuldsmiene. „Die arme Frau hat sicher gedacht, Sie machen sich etwas aus ihr.“

Nick biss sich auf die Lippe. „Wenn Sie Susanna kennen würden, kämen Sie nicht auf die Idee, sie als ‚arme Frau‘ zu bezeichnen.“

„Trotzdem …“ Rose schwieg vielsagend.

Einen Moment lang vergaß Nick Lily. „Trotzdem was?“

„Trotzdem muss es schrecklich sein, wenn jemand in aller Öffentlichkeit mit einem Schluss macht. Die Zeitungen sind ja voll von Berichten über Stars und Sternchen, die öffentlich ihre schmutzige Wäsche waschen. Aber noch schlimmer ist es, wenn man es in Anwesenheit von Freunden tut. Die arme Susanna muss ziemlich verzweifelt gewesen sein.“

Das Gespräch verwirrte Lily zunehmend.

Nick hatte alles um sich herum vergessen. Selbst Lily nahm er nicht wahr, obwohl sie ihm direkt gegenüberstand. „So, jetzt muss ich aber gehen“, sagte er schließlich.

„Ach, wie schade. Dann werde ich Ihnen wohl ein Taxi rufen müssen. Es kann allerdings dauern, bis eins hier ist. Wie Sie sicher bemerkt haben werden, wohnen wir ziemlich außerhalb.“ Rose wandte sich ihrer Schwester zu. „Du siehst erschöpft aus, Lily. Warum gehst du nicht ins Bett? Ich werde Nick Gesellschaft leisten, bis das Taxi kommt.“

„Sei nicht albern, Rose.“ Lily gähnte herzhaft. „Ich kann Nick doch nicht auf einen Drink einladen und mich dann verziehen.“

„Ich hatte schon etwas zu trinken. Ihre Schwester hat mir einen Becher Kaffee gemacht.“

„Aha. Rose hält nicht viel von Alkohol, Nick.“ Lily lächelte entschuldigend.

„Ich glaube kaum, dass Mr. Papaeliou sich für meine Trinkgewohnheiten interessiert, Lily.“

„Ich heiße Nick.“

Diese Bemerkung wurde geflissentlich überhört. „Du schläfst ja schon im Stehen ein, Schwesterherz. Abmarsch ins Bett. Ich begleite Mr. Pa… Nick hinaus.“

„Aber …“

„Ich kann ja ausschlafen, aber du willst doch morgen früh gleich ins Fitnessstudio.“

„Also gut.“

Energisch schob Rose ihre Schwester zur Treppe. „Schlaf gut, Lily.“

Sowie Lily nach oben verschwunden war, zog Nick sein Jackett gerade, lehnte sich an die Wand und sah Rose an.

Die wurde sich plötzlich ihrer unangemessenen Bekleidung bewusst. Die gedämpfte Beleuchtung im Flur, die Tatsache, dass Lily wahrscheinlich in diesem Moment ins Bett kroch, die Art und Weise, wie Nick sie betrachtete … Nervös zog Rose den Bademantel fester um sich, damit auch ja keins der tänzelnden Rentiere, mit denen ihr Pyjama gemustert war, hervorblitzte. Sie hatte sich über das Weihnachtsgeschenk ihrer humorvollen Freundin gefreut. Doch jetzt wollte sie Autorität ausstrahlen und musste vermeiden, dass Nick einen Blick auf die trunken wirkenden Tiere erhaschte.

„Da Sie Lily jetzt ja ins Bett verfrachtet haben, wollen Sie Ihre Anschuldigungen wohl fortsetzen, oder?“ Nick kam ihr bedrohlich näher.

Rose musterte ihn beunruhigt. „Ich habe sie nicht ins Bett verfrachtet“, entgegnete sie.

„Den Eindruck machte es aber. So, dann rufen Sie mir jetzt bitte ein Taxi, damit wir es hinter uns bringen.“ Nick folgte ihr in die Küche und sah zu, wie sie sich an den Küchentisch setzte und in ihrem Handy nach der Telefonnummer der Taxizentrale suchte, die sie nun anrief. Dabei behielt sie ihn im Auge. Sie dachte gar nicht daran, sich von ihm einschüchtern zu lassen – von einem Mann, der die Frauen wechselte wie seine Hemden und sie ohne Schuldgefühle in aller Öffentlichkeit an die Luft setzte. Die arme Susanna!

Bis zur Ankunft des Taxis galt es fünfzehn Minuten zu überbrücken. Rose wollte gerade fortfahren, Nick die Meinung zu sagen, als der auf sie zukam und sich zu ihr hinunterbeugte. Sie spürte die volle Kraft seiner Persönlichkeit.

„Bevor Sie das tun, würde ich auch gern etwas sagen.“ Nick lächelte.

Was bildet der sich eigentlich ein?, überlegte sie und zwang sich zur Ruhe. Aus dieser Nähe betrachtet, waren seine Augen tiefgrün. Sie glitzerten eiskalt wie grüne Diamanten.

„Ich finde, Sie sollten sich mehr auf ihr eigenes Leben konzentrieren und Ihre Schwester ihr eigenes Leben führen lassen. Es ist doch unnatürlich, dass Sie wie eine Glucke auf ihre Heimkehr warten.“ Er wusste selbst nicht, was ihn dazu bewog, sich in die Angelegenheiten dieser Frau zu mischen. Es konnte ihm doch egal sein, wie sie ihr Leben gestaltete. Jeder musste selbst wissen, was er tat und was er ließ.

Rose saß wie vom Donner gerührt reglos auf dem Küchenstuhl. Insgeheim wusste sie, dass Nick recht hatte. Aber es war ihr nun einmal zur Gewohnheit geworden, sich um Lily zu kümmern. Die konnte sie nicht so einfach abschütteln. Ihre Eltern – ihre gemeinsame Mutter und Lilys Vater – waren gestorben, als die Schwestern noch klein waren. Rose und Lily waren bei ihrer Tante und deren Mann aufgewachsen, die sich selbst als Reisende auf der Suche nach dem Sinn des Lebens bezeichneten. Das bedeutete, dass sie ständig umherzogen, ohne sich um die Bedürfnisse der kleinen Mädchen zu scheren.

Rose, die fast sieben Jahre älter war als ihre Stiefschwester, hatte seit ihrem zehnten Lebensjahr für Lily gesorgt. Inzwischen war aus der Kleinen eine zweiundzwanzigjährige erwachsene Frau geworden. War sie wirklich noch darauf angewiesen, dass ihre vernünftige Schwester jeden Abend auf sie wartete?

„Es ist mir völlig egal, was Sie denken.“

„Was würde Ihre Schwester davon halten, wenn sie wüsste, dass Sie mir praktisch den Umgang mit ihr verbieten?“

„Sie würde mir dankbar sein.“

„Oder sie würde es als Einmischung in ihr Leben betrachten.“

„Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind, dass Sie sich einbilden, so mit mir reden zu können?“, fragte Rose erbost.

„Jedenfalls kein Model oder Schauspieler und auch kein lüsterner Regisseur.“ Nick richtete sich auf, zog sich einen Küchenstuhl heran und setzte sich direkt vor Rose.

„Es ist mir völlig gleichgültig, welchen Beruf Sie ausüben, Mr. Papaeliou.“

„Ich bin in der Finanzwirtschaft tätig. Und ich habe es wirklich nicht nötig, Frauen für – nicht vorhandene – halbseidene Projekte anzulocken.“

„Das ändert nichts an der Tatsache, dass Sie Ihrer Freundin vor allen Leuten den Laufpass gegeben und sich innerhalb von Minuten das nächste Opfer gesucht haben.“

Nick war außer sich vor Wut. Noch nie war er Ziel eines so unfairen Verbalangriffs geworden. Noch dazu von einer Person, die ihn überhaupt nicht kannte! Normalerweise behandelten seine Mitmenschen ihn mit Samthandschuhen. Die einzige Ausnahme bildeten seine Exfreundinnen, die schon mal hysterisch oder ausfallend reagierten, wenn er sie verließ. Doch damit konnte er umgehen. Da er keiner Frau etwas versprochen hatte, war er sich keiner Schuld bewusst und hatte ein reines Gewissen. Worte wie Liebe und dauerhafte Beziehung nahm er gar nicht erst in den Mund. Roses Unterstellungen machten ihn sprachlos, doch statt sich zu verteidigen stand er auf und verließ die Küche.

Rose folgte ihm wortlos. Es war alles gesagt. Nick zog sich seinen Mantel über und ging zur Haustür.

Bei dieser Beleuchtung wirkte der Mann unglaublich sexy. Rose zog den Bademantel noch enger um sich, als ein Schauer der Erregung über ihren Rücken lief. Dieser Mann könnte jede Frau haben, dachte sie. Ein einziger Blick genügte, um Frauenherzen dahinschmelzen zu lassen. Gut, dass sie gerade noch rechtzeitig erkannt hatte, was für ein Herzensbrecher er war. Was hätte die arme Lily sonst wieder durchgemacht!

„Danke für den Kaffee“, sagte er kühl. „Und für die Gardinenpredigt. Ich möchte Ihnen einen Tipp geben: Machen Sie etwas aus Ihrem Leben, gehen Sie am Wochenende aus, dann hören Sie auch auf, sich unnötige Sorgen um Ihre Schwester zu machen. Ich warte draußen auf das Taxi.“

Als er die Tür öffnete, fuhr der Wagen auch schon vor.

Nick war wütend und verletzt und bekam von der Heimfahrt wenig mit. In seinem Penthouse blinkte der Anrufbeantworter. Als Nick Susannas weinerliche Stimme hörte, löschte er die Nachricht ohne sie bis zum Ende angehört zu haben.

Die Gedanken an die verflixte Rose, diesen kleinen Racheengel, ließen sich leider nicht löschen – im Gegenteil: sie verfolgten ihn bis zum Morgen.

Dem Racheengel ging es nicht besser. Nachdem Rose wütend die Haustür zugeknallt hatte und ins Bett gegangen war, kreisten ihre Gedanken um Nick. ‚Machen Sie etwas aus Ihrem Leben‘, hatte er gesagt und damit genau ins Schwarze getroffen. Sie war jetzt neunundzwanzig Jahre alt, und was tat sie? Sie trug noch immer Pyjamas mit albernen Mustern und kümmerte sich um ihre Schwester, obwohl Lily inzwischen wirklich alt genug war, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Wann hatte sie zuletzt eine Party besucht? Ihr Onkel und ihre Tante, die darauf bestanden hatten, mit Tony und Flora angeredet zu werden, hatten alles getan, damit sie und die Mädchen ein wildes Leben ohne jegliche Verantwortung führen konnten. Das Leben war wunderbar und aufregend. Man sollte ihm mit Neugier und Begeisterung begegnen.

Rose wusste nicht, wie oft sie sich das hatte anhören müssen. Tony und Flora hatten auch behauptet, dass Bildung eine gute Sache war, aber in Maßen. Der beste Lehrmeister sei sowieso das Leben selbst. Diese Einstellung war Rose von Anfang an gegen den Strich gegangen. Das Nomadenleben war nichts für sie. Und gegen Hülsenfrüchte und Soja hatte sie eine starke Abneigung entwickelt. Aus Protest aß sie Hamburger und Pommes frites und steckte ihre Nase in Bücher, bis Tony und Flora sie schließlich nicht mehr drängten, sich zu amüsieren. Standhaft hatte sie sich geweigert, Zigeunerröcke und Patchworkjacken aus Secondhandläden zu tragen. Und sie hatte dafür gesorgt, dass auch Lily mit beiden Beinen auf dem Boden stand, trotz des Hippielebens, das ihre Verwandten führten.

Eigentlich hatte sie für Parties nie Zeit gehabt. Als Tony und Flora sich schließlich in ihrem Wohnmobil nach Cornwall aufmachten und die Schwestern ihrem Schicksal überließen, hatte Rose angefangen zu studieren und hart gearbeitet, um sich etwas aufzubauen. Ein gesichertes Einkommen war ihr sehr wichtig. Nicht zuletzt, um Lily ein Heim bieten zu können.

Lily führte ein recht unstetes Leben. Immer wieder wechselte sie die Jobs, bewarb sich hier mal für eine kleine Rolle, dort für einen Werbespot, ging jedoch meistens leer aus. Sie brauchte eine feste Größe in ihrem Leben, und das war Rose. Auf Rose war Verlass. Rose tröstete sie, wenn sie mal wieder an den Falschen geraten war.

Rose war klug genug, am nächsten Morgen kein Wort über die Vorfälle der vergangenen Nacht zu verlieren.

Doch eines Abends, als sie gemeinsam beim Essen saßen, sprach sie das Thema an. „Hast du eigentlich noch mal was von diesem Typen gehört? Wie hieß er doch gleich? Der dich neulich nach der Party nach Hause begleitet hat.“

Lily wickelte Spaghetti auf ihre Gabel und lächelte. „Du meinst Nick. Nick Papaeliou. Du willst mir doch nicht weismachen, dass du seinen Namen vergessen hast, Rosie? Ja, ich bin zweimal mit ihm ausgegangen.“

Rose verschluckte sich und trank schnell einen Schluck Wasser. „Zweimal? Das hast du bisher mit keinem Wort erwähnt.“

„Ich wollte es dir ja erzählen, Rosie, aber …“

„Aber was?“ Der schuldbewusste Blick ihrer Schwester war ihr nicht entgangen. Lily konnte ihr nicht einmal in die Augen sehen.

„Ich hatte Angst, du könntest mich ausschimpfen. Nick hatte den Eindruck, dass du ihn nicht leiden kannst.“

„Tatsächlich? Wie kommt er denn darauf? Der Mann muss verrückt sein.“

„Das ist er ganz sicher nicht. Er hat alles, was man sich nur wünschen kann. Er hat erzählt, du hättest ihn für einen drittklassigen Schauspieler gehalten.“ Lily lachte amüsiert. „Ich hätte gern sein Gesicht gesehen, als du ihm das an den Kopf geworfen hast. Er war entrüstet, als er mir das erzählt hat.“

„Kann sein, dass ich so etwas zu ihm gesagt habe“, antwortete Rose. „Ich will dir ja nicht den Spaß verderben, Lily, aber einen besonders verlässlichen Eindruck hat der Mann nicht auf mich gemacht.“

„Was meinst du mit verlässlich?“

„Jemand, der für einen da ist, wenn es einem schlecht geht. Er sieht ja ganz beeindruckend aus, aber das weiß er auch. Auf solche Typen ist selten Verlass.“

„Und ich suche mir ja immer die falschen Männer aus“, sagte Lily reumütig.

Rose nickte nachdrücklich.

„Aber Nick ist anders, Rosie. Es ist mir egal, ob er gut aussieht oder reich ist. Ich finde ihn einfach nur nett.“

Nett? Sprach Lily von dem gleichen Mann wie sie?

Aber warum sollte er eigentlich nicht nett sein zu Lily? Sie war bildhübsch und sexy. Wohingegen er Rose sein wahres – ausgesprochen arrogantes – Gesicht gezeigt hatte.

„Wenn du ihn besser kennen würdest, wärst du meiner Meinung. Ganz bestimmt. Ach ja, was ich noch sagen wollte …“

„Was denn?“

„Nick hat uns beide für nächsten Samstag zu einer Party eingeladen. Er ist wirklich cool. Jedenfalls besteht er darauf, dass du mitkommst. Ist er nicht süß? Wir müssen uns natürlich etwas Schickes zum Anziehen kaufen. Es ist eine kleine Party in einem sehr exklusiven Klub, der Nick gehört. Es sind nur Prominente eingeladen. Und wir natürlich. Ist das nicht aufregend?“

„Das finde ich gar nicht.“ Rose geriet in Panikstimmung. „Ich weiß nicht, also, ich bin nicht sicher, ob …“ Allein der Gedanke, in einen kleinen, sehr feinen Klub zu gehen, der Nick Papaeliou gehörte, versetzte sie in Angst und Schrecken.

„Du musst ihm eine zweite Chance geben, Rose!“ Und dann zog Lily ihren höchsten Trumpf hervor. „Wenn ich dir wirklich so wichtig bin, wie du immer behauptest, dann kommst du mit.“

2. KAPITEL

Nick nahm sich einen Drink und warf nervös einen Blick auf seine Armbanduhr. Auf der Party, die er extra für Lily arrangiert hatte – obwohl sie das niemals erfahren würde – herrschte eine ausgelassene Stimmung. Er hatte alle wichtigen Leute der Theaterwelt eingeladen, dazu einige Sponsoren, die sich für Kunst interessierten und als besonderen Anreiz diverse Supermodels.

Obwohl die Einladung sehr kurzfristig war, hatte niemand abgesagt. Wenn Nick Papaeliou eine seiner seltenen Parties gab, wollte keiner fehlen.

Leider ließ die Hauptperson noch auf sich warten. Auch ihre Schwester war noch nicht aufgetaucht.

Immer wieder blickte Nick erwartungsvoll zur Tür. Er ahnte, warum die beiden zu spät kamen. Entweder hatte Rose beschlossen, der Party fernzubleiben, oder sie setzte alles daran, möglichst spät aufzutauchen. Es wäre wesentlich einfacher gewesen, nur Lily einzuladen, doch Roses Abweisung hatte ihn so sehr herausgefordert, dass er unbedingt beweisen wollte, wie wenig es ihm darum ging, mit Frauen wegen ihrer Schönheit anzubandeln.

Jetzt ging die Tür auf und er erblickte Lily. Sie trug ein dezentes hellblaues Seidenkleid mit rundem Ausschnitt. Suchend sah sie sich nach Nick um, während er neugierig an ihr vorbeiblickte. War Rose mitgekommen oder nicht?

Er stellte sein Glas ab und ging Lily entgegen. Als er näher kam, entdeckte er Rose, die sich halb hinter der Tür versteckte.

„Da bist du ja.“ Herzlich lächelte er Lily zu und begrüßte dann Rose. „Schön, dass Sie es auch einrichten konnten. Ich hatte schon befürchtet, Sie hätten für sich beschlossen, dass diese Gesellschaft für Sie nicht interessant genug sein könnte.“

Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Vier Tage lang hatte Rose alles versucht, sich vor dieser Party zu drücken. Es war ihr gar nicht recht gewesen, dass Lily auch in ihrem Namen zugesagt hatte. Zunächst hatte sie behauptet, nichts zum Anziehen zu haben. Dann war ihr die Entschuldigung eingefallen, Lily nicht im Weg stehen zu wollen. Auch damit war sie auf taube Ohren gestoßen. Schließlich war sie mit der Wahrheit herausgerückt: Parties, die von Menschen besucht wurden, die gesehen werden wollten und die ständig nach noch interessanteren Gesprächspartnern Ausschau hielten, waren einfach nichts für sie.

Außerdem wollte sie Nick auf keinen Fall wiedersehen. Es ging ihr gegen den Strich, dass er sich mit ihrer Schwester traf und sich arrogant über Roses nachdrücklichen Wunsch, Lily in Ruhe zu lassen, hinweggesetzt hatte.

Ihre ablehnende Haltung verstärkte sich mit jeder Minute.

Er sah fantastisch aus. Im blütenweißen Hemd und schwarzer Hose wirkte er alles andere als konventionell, sondern unergründlich und unglaublich sexy. Vielleicht lag es an den aufgekrempelten Ärmeln oder an seinem sonnengebräunten Teint.

Rose war froh, die Wand hinter sich zu spüren, die ihr in diesem Moment Halt bot. „Das ist sie auch nicht“, antwortete sie kurz angebunden.

„Worauf wartet ihr?“, fragte Nick. „Kommt näher und lernt all diese hübschen Menschen kennen.“ Diese Bemerkung konnte er sich einfach nicht verkneifen. Natürlich wusste er, dass Rose nun erst recht nervös wurde.

Lilys Reaktion war völlig entgegengesetzt. Strahlend hakte sie sich bei ihm ein und wartete gespannt darauf, dass er sie zu den anderen Partygästen führte. Rose ignorierte den Arm, den er ihr bot.

Sie fühlte sich sowieso schon unwohl genug in ihrem Outfit, da wollte sie sich nicht auch noch ins Rampenlicht setzen lassen. Die Leute würden sich bestimmt fragen, was diese kleine pummelige Person in dem schwarzen Kleid hier verloren hatte. Lily dagegen machte eine gute Figur neben Nick.

Rose folgte den beiden mit einigen Schritten Abstand und war froh, dass ihre Schwester Nick mit ihrem überschäumenden Temperament ablenkte.

„Was möchtet ihr trinken?“

„Ich hätte gern ein Glas Champagner“, antwortete Lily und ließ interessiert den Blick über die vielen Leute schweifen.

„Und Sie?“

Rose fing seinen amüsierten Blick auf. „Im Moment bin ich wunschlos glücklich“, behauptete sie.

„Das stimmt nicht. Ich hole Ihnen ein Glas Wein. Dann entspannen Sie sich vielleicht etwas.“

„Ich bin völlig entspannt.“

Er begegnete ihrer kleinen Schwindelei mit einem vergnügten Lächeln. „Dann sind Sie eine großartige Schauspielerin. Man könnte glatt glauben, Sie wären lieber am anderen Ende der Welt, als auf meiner Party.“

Die ganze Sache begann ihm langsam Spaß zu machen. Selbstlosigkeit zählte eigentlich nicht zu seinen ausgeprägten Tugenden, obwohl er natürlich großzügig für wohltätige Zwecke spendete. Doch das erledigte seine Finanzabteilung für ihn. In Lilys Fall setzte er sich zum ersten Mal uneigennützig ein. Außer ihrem Dank erhielt er keine Gegenleistung für seine gute Tat. Viel Wert legte er nicht auf Dankbarkeit, sie war ihm eher unangenehm. Allerdings … wenn er es recht bedachte, wäre es ein ziemlich erhebendes Gefühl, wenn Rose ihm dankbar wäre.

Er vergewisserte sich, dass sie noch da stand, wo er sie zurückgelassen hatte. Lily schien jedoch unruhig zu werden. Als er schließlich mit den Getränken zurückkehrte, war Rose allein.

„Lily ist verschwunden“, sagte sie, als er vor ihr stand.

„Das sehe ich.“

„Sie hat Leute entdeckt, mit denen sie neulich Theater gespielt hat.“

„Wie unhöflich von ihr, Sie nicht vorzustellen.“

„Das wollte ich nicht.“ Rose sah ihn herausfordernd an. „Es ist wichtig, dass sie versucht, sich ein Netzwerk aufzubauen. Als Schauspielerin muss man sich ins Gespräch bringen. Man darf sich nicht hinter den Kulissen verstecken.“ Sie nahm ihm das Weinglas ab.

Den Champagner stellte Nick auf einen der vielen Bistrotische, die im Raum verteilt waren. Auch einige hohe Barhocker waren aufgestellt worden, die meisten waren aber unbesetzt. Wahrscheinlich war es eher hinderlich, sich auf einen Barhocker zu setzen, wenn man mit vielen Menschen reden wollte.

„Wie recht Sie haben“, sagte Nick zustimmend.

„Bitte lassen Sie sich durch mich nicht aufhalten.“

„Ich muss mir kein Netzwerk mehr aufbauen.“ Lässig zuckte er die Schultern. Die Gäste sind hier, um sich zu amüsieren und um Gelegenheit zu haben, Kontakte zu knüpfen. Die Theaterleute unterhalten sich mit Geschäftsleuten, die ihre Projekte finanzieren, und die Geschäftsleute machen sich an die Models heran, während die Models die Nähe der Prominenten suchen.“

„Und Sie sind nur ein Beobachter.“

Nick fing ihren kühlen, abschätzigen Blick auf. „Was ist dagegen zu sagen?“

„Sie sind der Forscher, der den Rest der Welt durchs Mikroskop betrachtet. Offenbar macht es Ihnen Spaß, die interessanten kleinen Käfer zu beobachten.“

„Ich frage mich gerade, ob ich Sie überhaupt auf die Gäste hier loslassen kann. Womöglich verschrecken Sie die Leute mit Ihrem losen Mundwerk.“

„Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Ich habe lediglich eine Vermutung geäußert.“

„Wenn man im Leben Erfolg haben will, muss man sich in andere Menschen hineinversetzen können.“ Er betrachtete sie genau und stellte fest, dass ihre Persönlichkeit ihn faszinierte. Es war spannend, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und mal etwas Neues auszuprobieren. Zuerst hatte Lily ihn mit ihrer unbekümmerten Art für sich eingenommen, und nun wollte er mehr über ihre Schwester erfahren.

Geld zu scheffeln war so berechenbar. Zwar reizte es ihn, Geschäfte erfolgreich abzuschließen, doch die Euphorie verflog schnell wieder. Und Frauen konnten ihn auch nicht mehr überraschen. Bis jetzt. Er beschloss, Rose einige Minuten Gesellschaft zu leisten, damit sie sich nicht unter die anderen Partygäste mischen musste. Anders ausgedrückt: Er tat ihr einen Gefallen.

„Was Sie nicht sagen.“ Sie musterte ihn höflich, aber desinteressiert.

„Nehmen wir Sie als Beispiel, Rose.“ Jetzt widmete sie ihm ihre volle Aufmerksamkeit. Ihre Abwehrhaltung war deutlich spürbar. „Sie hassen es, auf dieser Party zu sein und ärgern sich, dass Lily Sie hergeschleppt hat. Die süße Lily, die aber ziemlich stur sein kann.“

„Was soll das? Ich habe doch schon zugegeben, dass ich mir nichts aus solchen Gesellschaften mache.“

„Sie halten sich für etwas Besseres. Gleichzeitig fühlen Sie sich völlig fehl am Platz. Stimmt’s?“ Es war ihm noch nie passiert, dass eine Frau sich in seiner Gesellschaft langweilte.

„Nein. Das stimmt nicht.“ Sie hätte nie dieses unförmige schwarze Kleid anziehen sollen. Hochgewachsene, schlanke Frauen konnten sich leisten, so etwas zu tragen, weil man ahnen konnte, dass sich darunter eine schlanke Figur verbarg. Natürlich fühlte sie sich unwohl und fehl am Platz, aber musste er ihr das unbedingt unter die Nase reiben?

„Wieso haben Sie mich überhaupt eingeladen, wenn Sie genau wussten, dass es mir hier nicht gefallen würde? Wenn Sie wirklich so ein guter Menschenkenner sind, wie Sie behaupten, dann musste Ihnen doch klar sein, dass ich nicht zu diesen Leuten hier passe.“

„Es ist aber gut, sich seinen Ängsten zu stellen.“

„Ach, Sie tun mir also einen Gefallen …?“

„So ist es. Aber besonders dankbar sind Sie mir nicht dafür.“

Rose trank ihr Glas aus und verzog das Gesicht – alles andere als ladylike! Dann tauschte sie das leere Glas gegen das volle Champagnerglas und nahm einen Schluck. Die Kohlensäure stieg ihr sofort in die Nase. Schnell trank sie noch einen Schluck, und schon war das Glas leer. Am liebsten hätte sie gleich nach dem nächsten gegriffen. Es missfiel ihr, dass Nick sich offensichtlich über sie lustig machte.

„So, ich muss mich jetzt mal um die anderen Gäste kümmern.“

„Nur zu, lassen Sie sich durch mich nicht aufhalten.“

„Das tun Sie aber“, behauptete Nick. Der Alkohol hatte ihren Wangen einen rosigen Schimmer verliehen. „Ich bin der Gastgeber, und es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass hier keine Mauerblümchen herumstehen und sich sinnlos betrinken.“

Wie konnte er so etwas sagen! Rose war empört. Sie war Lilys Anstandsdame und Nick eine Last. Wahrscheinlich würde er sie gleich einem anderen Gast anvertrauen oder sie zu ihrer Schwester geleiten, weil er befürchtete, sie könnte sich sonst danebenbenehmen. Eine Unverschämtheit, sie so zu demütigen!

„Ich denke gar nicht daran, mich sinnlos zu betrinken“, antwortete sie erbost. „Keine Sorge, ich werde Sie schon nicht vor Ihren erlauchten Gästen bloßstellen.“

„Mich bloßstellen?“

„Genau.“

„Was hat es mit mir zu tun, wenn Sie aus der Rolle fallen?“ Irritiert führte er sie zu einem Barhocker. Die Frau war schwierig und taktlos, und er hätte sich gar nicht mit ihr abgeben sollen. Doch irgendwie hatte er das Bedürfnis, sie unter seine Fittiche zu nehmen. Schließlich war sie Lilys Schwester. Und Lily wäre es sicher sehr unangenehm, wenn Rose sich danebenbenahm. Also musste er den Gentleman spielen und sich um sie kümmern, statt sich mit den anderen Gästen zu unterhalten. Das war halb so schlimm, denn alle schienen sich auch ohne sein Zutun prächtig zu amüsieren.

Unauffällig hatte er Lily beobachtet. Sie machte ihre Sache sehr gut, trank wenig und unterhielt sich angeregt mit den verschiedensten Gesprächspartnern. Wirklich ein kluges Kind.

„Sie wollten sich doch unter die anderen Partygäste mischen“, sagte Rose und nippte an dem Orangensaft. Das Glas hatte plötzlich vor ihr auf dem Bistrotisch gestanden. „Ich bin nicht besonders nett, oder?“, fragte sie dann unvermittelt.

Nick hatte sich neben sie auf einen Barhocker gesetzt und stimmte ihr durch heftiges Nicken zu.

„Sie aber auch nicht.“

Lächelnd zog er die Augenbrauen hoch. „Das ist die schlechteste Entschuldigung, die ich je gehört habe.“

„Es sollte keine Entschuldigung sein.“

„Aha, dann war das also nur so eine Art Selbsterkenntnis.“

Rose hatte genug und beschloss, das Thema zu wechseln. Seine Blicke machten sie befangen, und das war zum Verrücktwerden. „Das ist ein wirklich netter Klub hier.“

„Wollen Sie jetzt höfliche Konversation machen, Rose?“

„Wie um alles in der Welt, sind Sie zu so viel Geld gekommen?“

„Das ist wieder die alte Rose. Ohne Taktgefühl sagen Sie Ihre Meinung frei heraus.“

„Sie wollten doch keine Höflichkeitsfloskeln von mir hören.“ Rose hatte wenig Erfahrung im Flirten, aber sie spürte, dass es zwischen ihr und Nick knisterte. Das war aufregend und beängstigend zugleich. Und seine Augen waren einfach faszinierend. Ihr Herz begann, aufgeregt zu pochen, als sie seinen Blick auf sich spürte. Alle ihre Sinne schienen plötzlich in Alarmbereitschaft zu sein. „Ich warte noch auf Ihre Antwort“, sagte sie schließlich.

„Ich habe mir das alles selbst erarbeitet“, antwortete er und bat einen auf sein Zeichen herbeieilenden Kellner um ein Glas Whisky mit Soda.

„Und wie?“

„Das ist eine schrecklich langweilige Geschichte.“

„Typisch, wenn jemand Sie genauer unter die Lupe nehmen möchte, schalten Sie auf stur.“

Da seine Biografie sowieso im Internet zu finden war, konnte er Rose auch selbst etwas über seinen Aufstieg erzählen. „Also gut, wenn Sie es unbedingt hören wollen: Es ist die Geschichte eines Einwanderers aus Griechenland, der sich hier in eine englische Schönheit verliebt hat.“ Seine Eltern hatten ihn unterstützt und gefördert, wo sie nur konnten. „Meine Eltern haben Tag und Nacht gearbeitet, um meine Ausbildung zu finanzieren.“

„Das ist wundervoll.“

„Finden Sie?“

„Natürlich.“ Es musste wunderbar sein, Eltern zu haben, die einem eine gute Ausbildung ermöglichten. „Wo leben Ihre Eltern jetzt?“ „Nirgends. Sie sind schon lange tot.“ Er wandte den Blick ab. Es schmerzte ihn, darüber zu reden, obwohl es schon so lange her war. Außerdem hatte er das Gefühl, bereits zu viel von sich preisgegeben zu haben.

„Das tut mir sehr leid.“

„So, jetzt muss ich mich aber wirklich unters Volk mischen“, behauptete er, stand auf und blickte sie an. „Wenn Sie mögen, stelle ich Ihnen einige Gäste vor. Sie können aber auch gern hier sitzen bleiben. Ganz, wie es Ihnen beliebt.“

Der kurze Waffenstillstand zwischen ihnen war also bereits beendet. Rose war insgeheim erleichtert darüber, denn Nick war ihr gerade ein wenig sympathischer geworden, und das missfiel ihr sehr.

„Gehen Sie ruhig. Ich möchte Ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Außerdem muss ich sowieso mal sehen, wo Lily steckt.“

Im Klub herrschte eine ausgelassene Stimmung. Die Partygäste waren nach einigen Gläsern Champagner viel lockerer geworden und beachteten Rose kaum. Fast hatte sie das Gefühl, unsichtbar zu sein.

Sie fand Lily umringt von einigen Männern. Sie selbst sagte nicht viel, schien ihnen aber aufmerksam zuzuhören. Sehr gut. Es war gut, dass sie Kontakte zu Menschen knüpfte, die ihre Karriere vielleicht fördern konnten. Rose wünschte ihr viel Glück dazu.

Unauffällig mischte sich Rose unter die Leute, die Lily umgaben, trank noch ein, zwei Gläser Wein und fand es gar nicht mehr so schlimm, sich mit den anderen Partygästen zu unterhalten.

Nick schien sich irgendwo im Hintergrund zu halten. Jedenfalls konnte sie ihn nirgends entdecken.

Gegen Mitternacht beschloss Rose, dass es langsam Zeit wurde, sich zu verabschieden. Allerdings stand sie mit dieser Meinung ganz offensichtlich alleine da. Der Champagner floss weiterhin in Strömen, Lily unterhielt sich angeregt mit zwei Männern, aber Rose hatte genug.

Sie hatte Unterhaltungen über andere Leute beigewohnt, hatte sich langweilige Gespräche über Drehbücher angehört, die von Regisseuren abgelehnt worden waren, die keine Ahnung hatten, und hatte mitbekommen, wie sich jemand darüber beschwerte, dass Lottoeinnahmen für sinnlose Projekte verschwendet wurden, statt in Kunst investiert zu werden.

Die Appetithappen, die von ausgesprochen aufmerksamen Kellnern gereicht wurden, waren köstlich, doch irgendwann war es auch mal genug. Und sie hatte keine Ahnung, wie viele Gläser Wein oder Champagner sie dankend abgelehnt hatte. Wahrscheinlich hätte man einen Weinkeller damit füllen können.

Nachdem sie eine Viertelstunde lang vergeblich versucht hatte, Lilys Aufmerksamkeit zu erregen, gab Rose es auf und verließ den Raum. Sie verspürte das dringende Bedürfnis nach frischer Luft.

Sie befand sich auf einem Korridor, der offenbar rund um den Klubbereich führte. Den vielen Türen auf der anderen Seite nach zu schließen, befanden sich dort Büroräume. Allerdings vermutete Rose das nur, denn alle Türen waren geschlossen. Der helle Marmorboden war sehr beeindruckend. An den Wänden hingen abstrakte Gemälde, die im spärlichen Licht wenig anziehend wirkten.

Rose beschloss, Lily noch eine halbstündige Frist einzuräumen. Aber dann würde sie darauf bestehen, den Klub zu verlassen. Gerade wollte sie sich wieder unter die Menge mischen, als sie unter einer der Türen Licht durchschimmern sah.

Kurz entschlossen ging sie auf die Tür zu und stieß sie auf. Die letzte Person, die sie hier erwartet hätte, war Nick.

Er saß am PC. Offensichtlich handelte es sich um sein Büro.

„Entschuldigung“, sagte Rose verlegen und wollte sich wieder zurückziehen. Doch Nick hatte sie bereits entdeckt, rollte mit dem Schreibtischsessel zurück und sah sie nur an. Rose suchte nach einer ausführlicheren Entschuldigung, brachte jedoch kein Wort hervor.

Nick lehnte sich zurück und legte die Beine auf den Schreibtisch. „Suchen Sie etwas Bestimmtes?“, fragte er amüsiert.

Rose räusperte sich. „Nein, ich wollte nur …“

„… der heiteren Stimmung entfliehen? Kommen Sie rein und machen Sie die Tür hinter sich zu. Keine Sorge, ich beiße nicht. Jedenfalls nicht unaufgefordert.“

Die sonst so ruhige, tüchtige, beherrschte Rose fühlte sich plötzlich wie benebelt. Natürlich hätte sie seine Einladung ablehnen und Lily suchen sollen, zumal sie sich wie eine Fliege im Spinnennetz vorkam.

Doch sie betrat das Büro und schloss die Tür hinter sich. Allerdings fühlte sie sich plötzlich ganz schwach. Sie blieb an der Tür stehen, statt sich in den Sessel zu setzen, auf den Nick zeigte.

„Setzen Sie sich.“

„Ich … ich wollte eigentlich gerade gehen.“ Wenigstens gehorchte ihre Stimme ihr noch. „Im Klub wurde es mir zu stickig. Ich brauchte frische Luft, und dann sah ich Licht unter der Tür durchschimmern. Was tun Sie hier eigentlich?“ Sie hatte sich wieder gefangen und schaffte es sogar zum Sessel.

„Wonach sieht es denn aus?“

„Finden Sie es nicht unhöflich, wenn der Gastgeber die Party verlässt, um zu arbeiten?“

„Meine Gäste kommen sehr gut eine halbe Stunde ohne mich zurecht.“ Nick betrachtete sie mit undurchdringlichem Blick. Das Kleid wirkte irgendwie seltsam an ihr. Wahrscheinlich trug sie normalerweise keine Kleider und hatte dieses nur unter Protest gekauft. Es stand ihr nicht. Die anderen weiblichen Partygäste hatten sich an diesem Abend die allergrößte Mühe mit ihrem Äußeren gegeben, um positiv aufzufallen. Nur Rose hatte sich in dieses unauffällige Kleid gezwängt, das all ihre Reize verbarg, damit sie ja niemand beachtete.

Lebhaft versuchte sich Nick die Figur vorzustellen, die sich unter dem schwarzen Gewand verbarg. Es überraschte ihn sehr, womit seine Gedanken sich beschäftigten. „Außerdem hatte ich keine Wahl. Ein Anrufer aus Australien hat mich gebeten, ihm per E-Mail umgehend einige Daten zu übermitteln.“

„Arbeiten Sie Tag und Nacht?“

„Nicht ganz.“ Hastig wandte er den Blick ab. Die Brüste, die sich unter dem Kleid abzeichneten, regten seine Fantasie an. „Lily scheint sich gut zu unterhalten.“

„Ja, das stimmt.“

„Aber Sie langweilen sich offensichtlich hier.“

„Ganz und gar nicht“, widersprach sie höflich.

„Jedes Mal, wenn ich Sie angesehen habe, wirkten Sie gelangweilt.“

„Haben Sie mich etwa beobachtet?“

Ihr vorwurfsvoller Tonfall missfiel ihm. „Als Gastgeber muss ich mich doch davon überzeugen, dass meine Gäste sich wohlfühlen.“

„Deshalb sind Sie auch in Ihrem Büro verschwunden … Es war aber sehr interessant, auf Menschen zu treffen, die ganz andere Berufe ausüben.“

„Komisch, irgendwie nehme ich Ihnen das nicht ab.“ Als sie keine Antwort gab, fragte er: „Welchen Beruf üben Sie eigentlich aus?“

„Wie bitte?“

„Womit verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?“

„Ich … ich bin in der Computerbranche tätig.“ Das musste in seinen Ohren ziemlich langweilig klingen, denn er umgab sich ja eher mit den Reichen und Schönen. Wie kam ein Geschäftsmann eigentlich zu so guten Beziehungen zur Filmindustrie und Theaterwelt? Vermutlich ging er ständig mit glamourösen Schönheiten aus. Geld und Schönheit fanden wohl immer zueinander.

„Wie interessant.“

„Meinetwegen brauchen Sie kein Interesse zu heucheln.“

„Das würde ich nie tun! Wofür halten Sie mich? Erzählen Sie doch mal, was genau Sie machen.“

„Nichts Aufregendes.“

Jeder andere Mensch hätte jetzt aufgegeben. Aber nicht Nick. Ihre abweisende Haltung reizte ihn nur noch mehr nachzuhaken. Er schaltete den PC aus und musterte Rose gespannt. „Können Sie mir das etwas eingehender erklären?“

Sie erwiderte seinen Blick. „Mir ist schon klar, dass Sie mich bemitleiden, aber …“

„Wie kommen Sie denn darauf?“

„Weil ich nicht Ihren Vorstellungen entspreche. Ich gehöre nicht zu den interessanten Frauen, mit denen Sie sich sonst umgeben.“

„Sie haben doch selbst gerade gesagt, wie interessant es ist, Menschen kennenzulernen, die andere Berufe ausüben.“

„Also gut, wenn Sie es wirklich wissen wollen: Ich bin Informatikerin und erstelle Programme, mache Updates, entwerfe Websites und so weiter. Eigentlich ist es ein richtig fesselnder Beruf.“

„Das glaube ich Ihnen aufs Wort. Ich frage mich nur, wieso Sie und Ihre Schwester so völlig verschiedene Laufbahnen eingeschlagen haben. Informatik und Schauspielerei …“

„Ja, das ist schon merkwürdig.“ Rose stand auf. „Ich muss jetzt wirklich Lily suchen. Es wird Zeit für den Heimweg.“

Nick hatte beruflich schon mit vielen intelligenten, ehrgeizigen Frauen zu tun gehabt. Wie oft hatte er mit Rechtsanwältinnen bis in die Morgenstunden über Vertragsentwürfen gesessen. Einige Damen hatten sogar versucht, mit ihm zu flirten. Doch außerhalb des Konferenzraums interessierte er sich nicht für sie, weil er befürchtete, sie würden auch privat ständig hoch intellektuelle Gespräche führen wollen. Und er entspannte sich nun einmal am besten in der Gesellschaft eines blonden Dummchens.

So war es jedenfalls bisher gewesen. Doch plötzlich brannte er darauf, zu erfahren, wie diese intelligente Informatikerin ihre Freizeit gestaltete.

„Bleiben Sie sonst nicht so lange auf?“, fragte er vage.

Die Frage ärgerte Rose. „Doch schon“, schwindelte sie. „Aber ich habe keine Lust, mich noch stundenlang mit Menschen, die ich nicht kenne, über Dinge zu unterhalten, die mich nicht interessieren.“

„Was täten Sie denn lieber?“

„Am liebsten würde ich ins Bett gehen.“

„Mit jemand Bestimmtem?“

Fassungslos sah sie ihn an. So eine Unverfrorenheit! Die Atmosphäre im Büro schien plötzlich elektrisch aufgeladen zu sein.

„Das dürfte Sie wohl kaum etwas angehen“, antwortete sie schließlich kühl, wandte sich um und machte sich auf den Weg zur Tür. Er mochte ja Multimillionär sein, das gab ihm aber noch lange nicht das Recht, solche Fragen zu stellen.

Sie zuckte zusammen, als er sie plötzlich überholte und ihr den Weg versperrte.

„Es interessiert mich aber“, sagte er lässig. „Was tun Sie in Ihrer Freizeit, wenn Sie bis zum Morgengrauen ausgehen?“

Er sah auf sie herab und nahm ihr fast die Luft zum Atmen. Machte er sich etwa über sie lustig? Vermutlich. Jedenfalls konnte sie sich kaum vorstellen, dass ihre Antwort ihn ernstlich interessierte. Seine eigene Party langweilte ihn, und er wollte sich auf ihre, Roses, Kosten amüsieren. Dessen war sie sich ganz sicher.

Wenigstens wusste sie nun, woran sie mit ihm war, doch wie sollte sie an ihm vorbeikommen? Freiwillig würde er sie wohl nicht ziehen lassen.

So ein Scheusal! Er sah blendend aus und konnte mit seinem Charme sicher jede Frau um den kleinen Finger wickeln. Aber an mir wird er sich die Zähne ausbeißen, schwor sie sich. Mit mir spielt er nicht Katz und Maus! Ich bin für seine Späße nicht zu haben.

„Ich muss das nicht haben“, erklärte sie kühl. „Es reicht ja, wenn Lily sich ins Nachtleben stürzt.“

„Und in was stürzen Sie sich?“ Nick war beeindruckt von ihrer Haltung. Allerdings sah man ihren erröteten Wangen an, dass sie sich in dieser Situation unwohlfühlte. Merkwürdig, sie war die erste Frau, der es völlig egal zu sein schien, dass er sich für sie interessierte. Diese Tatsache stellte eine große Herausforderung für ihn dar.

„In Unterhaltungen mit Freunden“, antwortete Rose ruhig. „Ich mache mir nichts aus übertriebenem Alkoholkonsum und lauter Musik.“

Nick hörte ihre Missbilligung deutlich heraus.

„Klingt amüsant.“

„Ja, das ist es auch.“

„Und was machen Sie anschließend?“

„Anschließend an was?“

„Nachdem Sie die Welt in Ordnung gebracht haben.“

„Reden Sie doch keinen Unsinn.“ Rose wusste genau, dass er sie nur reizen wollte. Sie dachte gar nicht daran, darauf hereinzufallen. „Und wenn es so wäre, dann würde das immer noch mehr Spaß bringen, als sich langsam volllaufen zu lassen und über seine Mitmenschen herzuziehen.“

„Sprechen Sie von einer bestimmten Person?“

„Von mehreren sogar. Um genau zu sein: Ich meine Ihre Freunde da draußen.“

Wenn sie gehofft hatte, ihn damit zu beleidigen, wurde sie enttäuscht. Nick brach nämlich in herzliches Gelächter aus.

Sein Lachen war … Sie konnte ihn nur ansehen. Heiße, prickelnde Schauer liefen ihr über den Rücken, und sie fühlte sich plötzlich sehr schwach.

„Freut mich, dass Sie das amüsiert“, sagte sie schließlich mit leicht panischer Stimme. Ich muss hier raus, dachte Rose. Ich muss hier sofort raus!

„Ja, das ist wirklich sehr komisch. Aber Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.“

„Ich war mir nicht bewusst, dass Sie mir eine gestellt hatten.“ Betont gelangweilt sah sie ihn an. Irgendwann musste er doch merken, dass sie das Gespräch gern beendet hätte.

„Ich habe gefragt, was Sie tun, nachdem Sie mit Ihren Freunden wichtige Themen diskutiert haben – in ruhiger Umgebung, bei einem Glas anregenden Mineralwasser.“ Nick lächelte frech. Er selbst hatte sich in sein Büro geflüchtet, weil ihn der Partylärm gestört hatte. Diese Veranstaltung war ja nur arrangiert worden, um Lily die richtigen Kontakte in der Filmindustrie und Theaterwelt zu verschaffen. Was war er doch nur für ein selbstloser Mensch!

Arbeit lenkte ihn eigentlich immer ab. Doch jetzt interessierte sie ihn nicht. Er amüsierte sich königlich. Und es war ihm sehr wichtig, mehr über diese kleine Frau zu erfahren, die so aussah, als würde sie ihm am liebsten einen Boxhieb verpassen.

„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden“, behauptete sie. „Übrigens wird es für Sie Zeit, zur Party zurückzukehren. Sonst wird noch ein Suchtrupp mobilisiert.“

„Das kann ich mir kaum vorstellen. Die meisten Gäste sind schon so betrunken, dass sie meine Abwesenheit überhaupt nicht bemerkt haben. Ich werde Ihnen sagen, wovon ich rede: Ich möchte wissen, ob Sie nach den tiefschürfenden Gesprächen nach Hause gehen und ausgelassenen Sex haben.“

„Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass Sie das überhaupt nichts angeht.“ Sie musste jetzt wirklich hinaus, denn irgendwas passierte hier gerade mit ihr. Sie wusste zwar nicht was, ahnte jedoch, dass es gefährlich für sie werden könnte. Glücklicherweise gab Nick in diesem Moment den Weg frei.

Er öffnete ihr sogar die Tür, doch bevor sie sich in die rettende Menge stürzen konnte, beugte er sich zu ihr hinunter. Sie spürte seinen warmen Atem an ihrem Ohr und erschauerte.

„Heißt das, Sie haben keinen wilden Sex?“

Am liebsten wäre sie davongelaufen. Doch die Genugtuung gönnte sie ihm nicht. Mit hocherhobenem Kopf schritt sie von dannen, ohne Nick noch eines Blickes zu würdigen.

3. KAPITEL

Rose konnte sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren. Sowie sie auf ihren Computermonitor blickte, sah sie statt des Programmdurchlaufs ein Gesicht. Sein Gesicht! Es war zum Verrücktwerden. Inzwischen lag die Party eine Woche zurück, und noch immer musste sie ständig an Nick denken. Von wegen ‚aus den Augen, aus dem Sinn‘!

Glücklicherweise arbeitete sie nicht in einem kleinen Betrieb, wo es sicher schon einem Mitarbeiter aufgefallen wäre, dass sie seit fünfzehn Minuten auf dieselbe Seite starrte. Vor fünf Jahren hatte sie das Stellenangebot dieser Firma gerade deshalb angenommen, weil es sich um ein riesiges Unternehmen handelte. Es lag vor den Toren Londons und war mit dem Auto leicht zu erreichen, sodass Rose nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen war. Die Anonymität einer so großen Firma gefiel ihr. Außerdem war ihr Arbeitsplatz hier sicherer, als in einem Kleinbetrieb, der sofort Personal entlassen musste, wenn die Aufträge einmal ausblieben. Dort wäre es auch nicht möglich gewesen, unbemerkt vor sich hinzuträumen.

Zwischendurch sah sie immer wieder auf die Uhr. Hoffentlich war bald Feierabend, damit sie nach Hause fahren, die Beine hochlegen und sich von Fernsehshows unterhalten lassen konnte, statt über den arroganten Freund ihrer Schwester nachzudenken.

Noch fünfzehn Minuten, dachte sie gerade, als Maggie aufgeregt zu Roses Arbeitsplatz eilte und ihr zuflüsterte, ein Mann erwarte sie am Empfang.

„Was für ein Mann?“, fragte Rose misstrauisch und nutzte die Störung als willkommene Entschuldigung, den PC auszuschalten. In aller Ruhe suchte sie ihre Sachen zusammen.

„Ein Traummann.“

„Kenne ich nicht, oder warte mal! Kannst du ihn beschreiben? Wie sieht er aus?“ Ihr wurde heiß.

„Groß und dunkelhaarig und zum Verlieben.“

„Was um alles in der Welt will der denn hier?“

„Wer ist es denn?“, fragte Maggie, die vor Neugier fast geplatzt wäre.

„Der Freund meiner Schwester.“ Rose legte noch einige Akten in den Aktenkoffer und ließ ihn zuschnappen. „Er ist der arroganteste Mann auf der ganzen Welt. Er benimmt sich ausgesprochen ungehobelt. Er …“

„Typisch Lily. Die hat aber auch immer ein Glück mit den Männern“, sagte Maggie neidisch. „Es muss ganz schön hart sein, eine Schwester zu haben, mit der man nicht mithalten kann. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass …“

„Ich weiß genau, was du sagen willst, Maggie. Du hast ja recht. Sie sieht wirklich fantastisch aus, ist aber überhaupt nicht eingebildet.“ Rose stand auf, schlüpfte in ihren Mantel und hatte ein komisches Gefühl im Magen bei der Vorstellung, in wenigen Minuten Nick gegenüberzustehen. „Allerdings muss ich sagen, dass jede Frau mit etwas Verstand die Finger von so einem Mann lassen sollte. Für ihn zählt nur die Eroberung. Sowie er bei einer Frau gelandet ist, hält er schon nach der nächsten Ausschau.“

Immer mehr Kollegen verließen das Büro – in Erwartung des bevorstehenden Wochenendes. „Weißt du, Maggie, so einen Mann sollte jede Frau links liegen lassen.“

„Herzlichen Dank.“

Nicks Stimme war so nah, dass Rose im ersten Moment dachte, sie hätte sich nur eingebildet, sie zu hören. Aber nein, er stand direkt hinter ihr und Maggie. Langsam wandte sie sich um und hoffte, einigermaßen gefasst zu wirken. Jedenfalls war sie gefasster als Maggie, die sich umständlich vorstellte und sich dann verlegen und stotternd entschuldigte und hektisch davonlief. Rose wäre ihr am liebsten gefolgt.

„Was haben Sie hier eigentlich verloren?“ Angriff ist die beste Verteidigung, dachte sie. „Ist Lily auch da?“

„Nein, sollte sie hier sein?“

„Warum sind Sie hergekommen? Wollen Sie uns ausspionieren?“ Offensichtlich war er direkt aus seinem eigenen Büro zu ihr gekommen. In seinem perfekt sitzenden Anzug sah er einfach fantastisch aus. Wie unfair, dass jemand nach einem langen Arbeitstag so frisch wirken konnte. In Nicks Gegenwart kam Rose sich sehr unzulänglich vor. Das Haar fiel ihr widerspenstig ins Gesicht, Lipgloss hatte sie auch seit Stunden nicht mehr aufgelegt, und die Nase glänzte im kalten Neonlicht.

„Wir müssen uns über Ihre Schwester unterhalten.“

„Warum?“ Rose fühlte Panik in sich aufsteigen. Aus Erfahrung wusste sie, dass es nichts Gutes bedeuten konnte, wenn jemand ein Gespräch mit diesen Worten einleitete. Tony und Flora hatten ihr nächstes großes Abenteuer immer mit der Floskel angekündigt: „Wir müssen uns mal unterhalten.“

„Könnten wir vielleicht irgendwo ungestört miteinander reden?“ Nick nahm sich vor, sie erst später auf ihre unziemlichen Äußerungen zu seiner Person anzusprechen. Jetzt musste er Rose zunächst aus dem hektischen Eingangsbereich herausführen. Ständig fing er neugierige Blicke auf. Ihm selbst machte das wenig aus, doch er befürchtete, Rose könnte dies zum Anlass nehmen, ihm erneut den Kopf zu waschen. Er hörte sie schon behaupten, dass er ihr Leben durcheinanderbringen würde.

Vielleicht hätte er doch nicht herkommen sollen. Eigentlich war es ja auch sein Leben, das seit der Begegnung mit den beiden Schwestern aus den Fugen geraten war. Lily war ja wirklich bildhübsch und ein süßes Ding. Es tat ihm gut, sie zu unterstützen.

Aber ihre Schwester?

„Sie können mir auch hier sagen, was los ist“, sagte Rose. Was hatte Lily nur wieder angestellt? Ging es um Drogen oder Schulden? Oder war sie etwa schwanger von diesem Mann und traute sich nicht, ihrer Schwester selbst reinen Wein einzuschenken?

Verzweifelt überlegte Rose, wie lange sie Nick schon kannte.

„Nun kommen Sie schon, Rose.“

„Mit Ihnen gehe ich nirgendwohin.“

„Also gut, Sie haben es nicht anders gewollt. Soll ich wirklich wieder verschwinden, ohne dass Sie mich angehört haben? Bestehen Sie darauf?“

„Nein, aber es ist nur … ich kann hier noch nicht weg. Es gibt für mich jede Menge Arbeit.“

„Ach? Haben Sie deshalb Ihren Mantel angezogen und den PC ausgeschaltet?“

Rose senkte verlegen den Blick. Je länger sie mit ihm diskutierte, desto mehr neugierige Blicke erntete sie. „Wieso kommt Lily nicht selbst zu mir? Steckt sie in Schwierigkeiten?“

„Nein, sie scheint sich nur zu fürchten, es Ihnen selbst zu sagen. Daher habe ich mich bereit erklärt, mit Ihnen zu reden. So, jetzt kommen Sie endlich, Rose.“

Kurz darauf verließen sie das Gebäude. Wieso redet Lily nicht selbst mit mir? überlegte sie. Sie hatten doch immer alles miteinander besprochen. Jedenfalls bevor Nick auf der Bildfläche erschienen war.

Sie bedachte ihn mit einem wütenden Seitenblick. „Sie werden mit meinen Fahrkünsten vorliebnehmen müssen.“ „Wir nehmen meinen Wagen. Ich bringe Sie dann später zu Ihrem Auto zurück.“

Rose wollte schon widersprechen, als ihr bewusst wurde, dass er nur darauf wartete. Also überraschte sie ihn mit Zustimmung. „Okay.“

„Okay? Einfach so? Ohne feministisches Geschwätz, dass sie selbst fahren können?“

„Ich stehe nicht auf feministisches Geschwätz, wie Sie es zu bezeichnen belieben, sondern vertrete meine Meinung.“

„Sie nehmen den Mund ganz schön voll.“

„Das tue ich nicht, und ich verbitte mir Ihre ständigen Unterstellungen.“

„Und ich verbitte es mir, dass Sie hinter meinem Rücken über mich tratschen. Offensichtlich denken Sie ständig an mich, sonst würden Sie so etwas nicht sagen.“

„Sie irren sich gewaltig!“ Vor lauter Wut und Aufregung war ihr entgangen, dass sie Nicks Limousine erreicht hatten.

Höflich hielt er ihr die Beifahrertür auf. Rose ließ sich auf den Sitz gleiten und zog den Mantel fest um sich, als böte er ihr Schutz.

Eigentlich war es für Nick völlig undenkbar, so früh Feierabend zu machen, doch er bereute seinen spontanen Entschluss nicht. Erstens tat er Lily einen Gefallen, zweitens gefiel ihm die Gesellschaft ihrer Schwester. Jahrelang hatte er immer genau die Frau bekommen, die er wollte. Mit der Zeit wurde ihm das zu langweilig. Die widerspenstige, temperamentvolle Rose war eine echte Herausforderung für ihn.

Es interessierte ihn auch, mit wem sie zusammenarbeitete. Als er am Steuer Platz genommen hatte, fragte er: „Wo können wir uns in Ruhe unterhalten?“

„Jetzt! Um halb sechs?“

„Vielleicht sollten wir zu Ihnen nach Hause fahren. Es ist ja nicht weit.“

„Nein!“ Schon wieder eine Überreaktion. Wahrscheinlich bildete Nick sich jetzt sonst was ein. Rose riss sich zusammen. „Ich kenne eine Brasserie – Joe’s Brasserie, um genau zu sein. Die liegt in der Fields Road, etwa eine halbe Stunde Fahrzeit von hier.“ Sie wandte sich ab und blickte starr aus dem Fenster. Nicks Nähe war ihr nur zu bewusst. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, auf so engem Raum mit ihm zusammen zu sein. Er gehörte doch zu Lily und in Lilys Welt.

Trotzdem hatte sie interessiert das Muskelspiel seiner Schenkel beobachtet, als er sich ans Steuer gesetzt hatte. Na ja, das war wohl nur menschlich. Außerdem konnte sie Nick nicht ausstehen. Also spielte es auch keine Rolle, denn sie nahm Lily ja nichts weg.

„Sie sind völlig verkrampft. Ist es so schlimm, mit mir im Wagen zu sitzen?“

„Wie kommen Sie denn darauf?“ Rose sah ihn an und blinzelte. Sein intensiver Blick brachte sie aus dem Gleichgewicht. „Ich bin lediglich etwas angespannt, weil ich nicht weiß, was Sie mir gleich erzählen werden. Jedenfalls habe ich das unbestimmte Gefühl, dass es mir nicht gefallen wird.“

„Dann schieben Sie die Gedanken daran erst einmal fort und erzählen mir stattdessen von ihrer Arbeit. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie für so ein riesiges Unternehmen tätig sind.“

Rose sah wieder aus dem Fenster. Sie hatte keine Lust, über sich und ihren Job zu reden. Aber sie hatte wohl keine Wahl. „Mir gefällt meine Arbeit. Die Größe des Unternehmens stört mich nicht. Ich schätze, Ihre Büros sind auch nicht gerade winzig und gemütlich.“

Nick lachte amüsiert. „Nein, aber das Design ist besser.“

„Wieso?“ Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein großes Firmengebäude aus Glas und Stahlbeton weniger seelenlos und anonym konzipiert sein konnte, als das Unternehmen, in dem sie angestellt war.

„Wir verwenden Raumteiler und viele Pflanzen.“

„Aha. Und Sie haben das selbst konzipiert?“

„Ich habe alle Bauschritte persönlich abgezeichnet. Das passt wohl nicht zu dem Bild eines Sklaventreibers, das Sie sich von mir gemacht haben, der seine Angestellten an die Arbeitstische kettet und die Peitsche schwingt, oder?“

„Sie haben es erfasst.“

Nick lachte laut und bedachte sie mit einem anerkennenden Seitenblick. Rose war die erste Frau, die ihn zum Lachen brachte. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung“, sagte er, noch immer lachend. „Ist dies das Restaurant, das Sie vorgeschlagen haben?“

Rose nickte und stellte erleichtert fest, dass die Brasserie bereits gut besucht war. Wenigstens war sie dann nicht ganz allein mit Nick.

Sein Lachen hatte etwas in ihr ausgelöst. Jedenfalls war ihr ganz heiß geworden.

„So“, sagte sie ohne weitere Vorrede, als sie kurz darauf an einem runden Chromtisch saßen und ihre Bestellung aufgegeben hatten. Orangensaft für sie und Bier für ihn. „Was wollten Sie mir denn nun über Lily erzählen?“

„Sie kommen also gleich zum Kern der Sache. Gut.“ Nick sah sie an. „Was hat Lily Ihnen über … unsere Beziehung erzählt?“

„Wir unterhalten uns nicht über Sie.“

„Merkwürdig. Es scheint Ihnen ja nichts auszumachen, mit anderen Leuten über mich zu reden.“

Rose wurde verlegen, hielt jedoch seinem Blick stand. „Ich fürchte, es würde ihr nicht gefallen, was ich ihr zu sagen hätte. Und ich möchte sie nicht in die Verlegenheit bringen, sich entweder gegen Sie oder für mich entscheiden zu müssen.“

„Das ist aber sehr großzügig von Ihnen.“ Diese Frau nahm wirklich kein Blatt vor den Mund.

„Ich weiß, dass Sie hin und wieder mit Lily ausgegangen sind. Aber ich habe keine Ahnung, wie ernst die Beziehung ist. Ist es Ihnen ernst mit Lily?“

„Sehr ernst sogar.“ Nick lehnte sich entspannt zurück und trank einen großen Schluck Bier. Es war sehr erfrischend. „Jetzt müssen Sie mir Lily eigentlich ausreden. Es geht ja nicht, dass Ihre Schwester sich mit dem bösen schwarzen Wolf einlässt, oder?“

„Ich hätte das gern von Lily selbst gehört.“

„Sie hat wahrscheinlich Angst davor, mit Ihnen zu reden. Bisher haben Sie ihr ja nie erlaubt, auf eigenen Füßen zu stehen.“

„Hat sie das behauptet?“

„Ich lese lediglich zwischen den Zeilen.“

„Dann haben sie sich verlesen. Sie wissen doch überhaupt nichts von uns.“

„Ich habe aber Augen im Kopf. Sie stellen die Regeln auf, und Lily gehorcht.“

„Wenn Sie schwanger ist, dann verlange ich, dass Sie sich wie ein Ehrenmann benehmen und sie heiraten.“

Zum ersten Mal in seinem Leben war Nick sprachlos. Wortlos betrachtete Rose seinen verblüfften Gesichtsausdruck und wartete darauf, dass Nick das Schweigen zuerst brach.

In seiner Gegenwart äußerte sie die unglaublichsten Dinge. Es passierte ihr sonst eigentlich nicht, dass sie einfach unverblümt sagte, was ihr gerade in den Sinn kam. Insgeheim freute sie sich jedoch über Nicks fassungslose Miene.

Gleichzeitig befürchtete sie, dass Lily sich bis über beide Ohren in diesen Mann verliebt hatte. Allerdings konnte sie sich nicht vorstellen, dass ihre Schwester so dumm war, ungewollt schwanger zu werden. Aber wenn es so wäre, dann würde sie ihr natürlich zur Seite stehen – wie immer.

„Sie glauben, dass …“ Ungläubig schüttelte Nick den Kopf. „Reden Sie eigentlich immer drauf los, ohne vorher mal nachzudenken?“

„Was soll ich denn denken?“, fragte Rose wütend. „Sie tauchen völlig unerwartet bei mir in der Firma auf und …“

„Ich wollte Ihnen nur einen Gefallen tun.“

„Lassen Sie mich bitte ausreden! Sie tauchen in der Firma auf und behaupten, Sie hätten mir etwas zu sagen, was so schlimm ist, dass meine Schwester sich nicht traut, es mir selbst mitzuteilen.“

„Und Sie denken, das Schlimmste, was einer Frau passieren kann, ist schwanger zu werden.“

„Das denke ich überhaupt nicht. Wenn zwei Menschen sich lieben und in einer festen Beziehung leben, ist es das Schönste auf der Welt, ein gemeinsames Kind zu bekommen. Aber in Lilys Fall …“ Sie musterte ihn wütend und verstummte, weil er sie nur verständnislos ansah.

„Sie sind doch immer wieder für eine Überraschung gut, Rose. Ich hätte nie gedacht, dass sie so romantisch sind und an ein Happy End glauben.“

„Das ist ja auch völlig unerheblich. Tatsache ist, wenn Lily schwanger ist …“

„Jetzt reicht es aber! Sie ist nicht schwanger.“ Nick beugte sich vor, und Rose musste den Reflex unterdrücken, ihren Stuhl zurückzuschieben. Nicks Nähe war überwältigend. „Jetzt will ich Ihnen mal etwas sagen, Rose. Ich bin kein Vollidiot. Was den Umgang mit Frauen betrifft, bin ich kein Kostverächter. Aber eins schwöre ich Ihnen: Ich weiß genau, was ich zu tun habe, damit ich meine jeweilige Freundin nicht ungewollt schwängere. Darauf können Sie sich hundertprozentig verlassen. Halten Sie mich für so dumm, mich von einer berechnenden Frau zur Heirat zwingen zu lassen, damit sie meine Konten plündern kann?“

„Wie können Sie nur so zynisch sein!“

Nick bedachte sie mit einem zornigen Blick. Andere Menschen begegneten ihm mit Respekt und Bewunderung – auch Frauen. Aber die Frau, die ihm kreidebleich gegenübersaß, hatte nur Verachtung für ihn. Sie saß über ihn zu Gericht. Über ihn, Nick Papaeliou, der noch jeden zum Fürchten gebracht hatte.

Er glaubte seinen Ohren nicht zu trauen.

„Sie können kein besonders glücklicher, selbstbewusster Mensch sein, wenn Sie jeder Frau, die sich mit Ihnen verabredet, unterstellen, Sie wäre nur hinter Ihrem Geld her.“ „Jetzt habe ich aber genug. Das muss ich mir ja wohl nicht anhören.“

„Und wenn Sie sich einbilden, es gäbe Frauen, die hinterhältig genug sind, sich von Ihnen schwängern zu lassen, um ans große Geld zu kommen.“

Mittlerweile hatte Nick sich wieder einigermaßen in der Gewalt. „In welcher Welt leben Sie eigentlich, Rose?“, fragte er und musterte sie mit eisigem Blick. „Als Computerfreak gibt es für Sie wohl nur die virtuelle Welt, den Bezug zum wahren, wirklichen Leben haben Sie längst verloren. Sonst wäre Ihnen nämlich bewusst, dass es auf dieser Welt nur ums Geld geht. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, mit wie vielen geldgierigen Frauen ich es schon zu tun gehabt habe.“

„Das tut mir sehr leid.“

„Ich brauche noch einen Drink.“ Er machte der Bedienung ein Zeichen. „Lily ist nicht schwanger. Mehr brauchen Sie nicht zu wissen.“

„Jetzt bin ich aber erleichtert.“ Sie lächelte verhalten. „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich etwas vom Thema abgekommen bin.“

„Etwas?“

„Sie waren eben auch sehr emotional.“

Jetzt war er wieder schuld. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Dabei hatte er ihr doch nur die Wahrheit gesagt. Aber er durfte nicht vergessen, dass er es nicht mit einer durchschnittlichen modernen Frau zu tun hatte.

„Entschuldigung angenommen“, stieß er hervor. „Wann verraten Sie mir denn nun, warum Sie mich sprechen wollten?“

Nick atmete tief durch. „Ich habe Ihre Schwester sehr gern. Bevor Sie mir jetzt gleich wieder an den Kragen gehen, möchte ich betonen, dass wir nichts miteinander haben.“

„Wie soll ich das verstehen?“

„Muss ich denn noch deutlicher werden?“ Ungeduldig lockerte er seine Krawatte und knöpfte die beiden obersten Hemdknöpfe auf. Bildete er sich das nur ein, oder war es im Restaurant tatsächlich so stickig? „Lily und ich schlafen nicht miteinander. Unsere Beziehung ist ganz anders.“ Er war sehr stolz darauf, eine rein platonische Freundschaft zu einer wunderschönen Frau zu pflegen. Nach all den zerbrochenen Beziehungen war das sehr erholsam und erfrischend. Die meisten Frauen hatten zu viel von ihm erwartet. Er war es leid, sie zu enttäuschen, weil er von ihnen nur eine unverbindliche Beziehung wollte, sie aber fest mit ihm liiert sein wollten.

„Und um was für eine Beziehung handelt es sich?“, fragte Rose.

„Lily ist sehr talentiert. Ich habe viele Kontakte zur Filmindustrie und versuche, Ihrer Schwester zu helfen.“

„Wobei?“

„Bei ihrer Karriere.“

„Ach? Sie vermitteln ihr Kontakte zu Schauspielern, Produzenten, Regisseuren, oder wie soll ich das verstehen?“ Rose hatte keine Ahnung, was sich hinter den Kulissen der Filmindustrie abspielte.

„Ja, ich habe sie mit Leuten zusammengebracht, die ihrer Karriere förderlich sein können.“

„Das … ist sehr nett von Ihnen.“ Allerdings verstand sie noch immer nicht, wieso Nick sie deshalb so dringend hatte sprechen wollen. „Warum konnte Lily mir das nicht selbst sagen, statt ein großes Geheimnis daraus zu machen?“

„Haben Sie schon mal etwas von Damien Hicks gehört?“

„Sollte ich?“

„Bitte beantworten Sie meine Frage, Rose.“

„Nein, der Name sagt mir nichts.“

„Er ist ein Filmproduzent auf dem Weg nach ganz oben.“

Und ausgerechnet den sollte sie kennen? Rose lächelte vor sich hin. „In meinem Berufsumfeld tauchen eher wenige Filmproduzenten auf. Kann man sie an besonderen Merkmalen erkennen?“

„Sie rauchen gern Zigarren“, antwortete Nick trocken. „Ich habe Damien auf den Malediven kennengelernt, als eine meiner Firmen dort Werbeaufnahmen machte. Das ist jetzt fünf Jahre her. Seitdem ging es für ihn steil bergauf. Ich war so begeistert von den Werbeaufnahmen, dass ich Damien bei der Finanzierung seines ersten Kurzfilms geholfen habe. Er ist immer auf der Suche nach jungen Talenten.“

„Und Lily ist ein junges Talent.“ Rose lächelte. „Merkwürdig, dass sie mir davon gar nichts erzählt hat. In der letzten Zeit hat sie ja viele Rückschläge einstecken müssen.“

„Damien muss die Hauptrolle in seinem neuen Film besetzen, Rose. Er hat unzählige Schauspielerinnen gecastet, und seine Wahl ist auf Lily gefallen – ohne mein Zutun. Ich habe sie ihm lediglich vorgestellt. Den Rest hat sie selbst erledigt.“

„Wieso habe ich das ungute Gefühl, dass die Sache einen Haken hat?“

„Die Filmaufnahmen werden ausschließlich in Amerika stattfinden. Lily hatte Angst, Ihnen das zu sagen. Es ist auch durchaus möglich, dass Lily weitere Angebote aus Hollywood erhält. Dort drüben gibt es viel mehr Möglichkeiten für sie. Alle werden sich um sie reißen, wenn sie den Film mit Damien Hicks abgedreht hat. Vermutlich wird sie sich vor Angeboten kaum retten können.“

Rose spürte, wie sie blass wurde.

„Das kommt jetzt für Sie bestimmt überraschend und ist auch nicht sehr angenehm, aber …“

„Lily will also nach Amerika ziehen?“

„Zumindest für einige Zeit.“

„Aha.“

„Sie möchte gern mit Ihrem Segen gehen.“

„Aha.“ Rose konnte sich kaum an ein Leben ohne ihre Schwester erinnern. Sie waren immer füreinander da gewesen. Bisher hatte sie nie daran gedacht, dass sie einmal getrennte Wege gehen könnten. „Natürlich hat sie meinen Segen“, sagte Rose leise. „Ich will ja nur ihr Bestes. Dieses Angebot scheint die Chance für sie zu sein. Selbstverständlich werde ich Lily nicht im Weg stehen.“ Ihr wurde plötzlich schwarz vor Augen.

„Kommen Sie, Rose. Ich bringe Sie an die frische Luft.“

„Ja.“ Sie stand schwankend auf und holte tief Luft. „Es geht schon wieder. Sie brauchen mich nicht zu begleiten. Ich komme schon allein zurecht.“

„Sie sollten sich mal im Spiegel betrachten. Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen, Rose.“

Sie wandte sich ab und griff nach ihrer Handtasche. Das ist alles seine Schuld, dachte sie. Natürlich gönnte sie Lily diese einmalige Chance, aber wie sollte sie ohne ihre kleine Schwester leben? Die Vorstellung, Lily würde in Zukunft jenseits des Atlantiks wohnen, trieb ihr die Tränen in die Augen.

Sie wehrte sich nur halbherzig gegen Nicks Angebot, sie nach Hause zu fahren und fand sich kurz darauf in seinem Wagen wieder.

Wenig später führte Nick sie ins Haus. „Setzen Sie sich. Ich hole Ihnen etwas zu trinken.“

„Ich habe keinen Durst.“ Rose rang sich ein betont heiteres Lächeln ab. „Mir geht es prima.“

„Lily kommt gleich nach Hause. Möchten Sie wirklich, dass sie Sie in diesem Zustand sieht?“

„In welchem Zustand befinde ich mich denn?“ Herausfordernd funkelte sie ihn an, wobei sie gleichzeitig zu lächeln versuchte. Doch es half alles nichts. Ihre Lippe begann zu beben und schon war es passiert: Rose konnte die Tränen nicht mehr zurückdrängen. Sie spürte, wie Nick sie an sich zog, und fühlte sich plötzlich seltsam geborgen.

Nick zog sie so fest an sich, wie er konnte. Sie schmiegte sich an ihn. Da er selbst keine Geschwister hatte, konnte er nicht nachvollziehen, wie sehr Rose an Lily hing. Langsam begann er zu begreifen, warum Lily ihre Schwester nicht selbst in ihre Pläne eingeweiht hatte. Rose weinte hemmungslos an seiner Brust. Das Hemd war schon ganz nass. Immer wieder schluchzte sie unterdrückt.

Er suchte in seiner Hosentasche nach einem Taschentuch und trocknete ihr die Wangen. Schließlich löste sie sich von ihm. Doch sie sah so verzweifelt aus, dass er sie am liebsten sofort wieder an sich gezogen hätte.

Natürlich hatte er Erfahrung mit weinenden Frauen. Wie oft hatte das Ende einer Beziehung zu reichlichem Tränenvergießen geführt. Doch diese Tränen hatten ihn wütend gemacht. Bei Rose war es ganz anders. Für sie empfand er tiefes Mitgefühl.

„Ich sorge dafür, dass Sie ihr Taschentuch zurückbekommen“, sagte Rose und rang sich ein Lächeln ab. Behutsam tupfte er ihr mit dem Finger eine Träne von der Wange. Erst jetzt schien Rose bewusst zu werden, an wessen Brust sie sich ausgeweint hatte. Schnell wich sie weiter zurück.

„Vielen Dank, dass Sie mich heimgefahren haben“, sagte sie und blickte auf. Sie las Mitgefühl in seinem Blick. Jetzt hält er mich bestimmt für eine Memme, die den Gedanken ans Alleinsein nicht ertragen kann, dachte sie. „Ich fühle mich schon viel besser“, behauptete sie. „Ich freue mich riesig für Lily und hoffe, dass alles gut geht.“

„Sie brauchen jetzt etwas zu trinken. Möchten Sie eine Tasse Tee?“ Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt Tee gekocht hatte.

„Danke, ich wäre jetzt gern allein.“

„Nein.“

„Was soll das heißen?“

Erleichtert beobachtete er, wie ihr alter Kampfgeist wieder zum Vorschein kam. Trotzdem dachte er gar nicht daran, sie sich selbst zu überlassen. „Setzen Sie sich.“ Er zeigte Richtung Wohnzimmer. „Ich bin in fünf Minuten bei Ihnen.“

In weniger als fünf Minuten. Er hatte nämlich beschlossen, ihr statt Tee lieber etwas Hochprozentiges zu servieren. Das beruhigt die Nerven, dachte er.

„Mir geht es wirklich gut“, sagte Rose und erhob sich halb, als er ihr das Glas reichte. „Was ist das?“

„Ein altes Familienrezept gegen nervliche Anspannung.“

Neugierig schnupperte sie am Glas. „Und was ist das?“

„Wodka mit Fruchtsaft.“ Er setzte sich zu ihr aufs Sofa und sah zu, wie sie zögernd einen Schluck trank. „Lily spielt übrigens mit dem Gedanken, Damiens Angebot abzulehnen, falls Sie nicht mit Ihrer Abreise zurechtkommen“, sagte Nick leise.

„Das kommt gar nicht infrage!“ Rose trank noch einen Schluck und sah Nick über den Glasrand hinweg an. „Unglaublich, wir kennen Sie erst seit einem Monat, und Sie haben unsere Leben schon komplett auf den Kopf gestellt.“

„Es war nur eine Frage der Zeit, wann Sie mir die Schuld geben würden.“

Rose fiel ein, wie wohl sie sich an seiner Brust gefühlt hatte, und warf ihm einen traurigen Blick zu. „Ich gebe Ihnen doch gar nicht die Schuld. Das war nur so eine Phrase.“ Sie fühlte sich so schwach und hilflos, aber auch seltsam geborgen.

„Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wie vielfältig das Leben sein kann, wenn man nur mal wagt, aus seinem Schneckenhaus hervorzugucken?“

„Nein, ich fühle mich in meinem Schneckenhaus ganz wohl. Als Kind musste ich genug herumexperimentieren. Das reicht mir für den Rest meines Lebens.“

„Ihre Tante und Ihr Onkel …“

„… mussten immer wieder etwas Neues ausprobieren. Alle sechs Monate sind wir umgezogen, weil das angeblich so gut für uns war.“

„Vielleicht ist Lily die Abenteuerlustigere von Ihnen beiden.“

Rose hörte die Zuneigung in seiner Stimme und konnte sich vorstellen, warum Lily seinen Beschützerinstinkt geweckt hatte. Sie hatte nun einmal ein sanftes, mädchenhaftes, gewinnendes Wesen. Zum ersten Mal in ihrem Leben empfand Rose Eifersucht auf ihre Schwester. Vor Schreck stockte ihr der Atem.

„Ja, das ist sie wohl“, antwortete sie kühl und stand auf. „So, und jetzt gehen Sie bitte. Ich möchte, dass Sie verschwunden sind, wenn Lily nach Hause kommt. Ich möchte mich in Ruhe mit ihr unterhalten. Sie brauchen keine Angst zu haben: Ich werde ihrer Karriere ganz bestimmt nicht im Weg stehen.“

Widerstrebend stand Nick auf. Er war Zeuge von Roses Verletzlichkeit gewesen. Am liebsten hätte er noch weitere Facetten ihrer Persönlichkeit entdeckt, doch sie brachte ihn bereits zur Tür.

„Wahrscheinlich werden wir uns nicht so bald wieder über den Weg laufen“, sagte sie höflich, als er seinen Mantel überzog und in den Taschen nach dem Schlüssel suchte.

„Wie kommen Sie darauf?“

„Weil ich davon ausgehe, dass Lily bald abreist. Der Filmproduzent will doch sicher bald seine Arbeit aufnehmen, oder?“

„Ja, vermutlich.“

„Ich möchte, dass Sie mir versprechen, Lily nichts von meiner …“

„Von Ihrem Weinkrampf zu erzählen?“

„Von meiner vorübergehenden Schwäche“, berichtigte Rose und sah ihn herausfordernd an.

Sie schob ihn zur Haustür und öffnete sie, bevor er es verhindern konnte. Dabei wäre er so gern noch geblieben.

„Von mir erfährt sie kein Wort“, versprach er.

Rose nickte und machte wortlos die Tür hinter ihm zu.

4. KAPITEL

Ihre E-Mails an Lily waren betont heiter formuliert.

Nachdem Lily vor drei Wochen nach Amerika abgereist war, wurde es Rose mit jedem Tag klarer, dass ihre Schwester für das Leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wie geschaffen war. Sie war ganz begeistert von den Dreharbeiten und schwärmte Rose seitenweise von dem fabelhaft talentierten Damien Hicks und ihren aufregenden Schauspielerkollegen vor.

Sie teilte sich mit vier anderen Kolleginnen ein ‚Condo‘, wie sie es nannte, das über einen eigenen Swimmingpool verfügte. Die Kolleginnen waren auch Nachwuchsschauspielerinnen. In jedem zweiten Satz tauchte das Adjektiv ‚erstaunlich‘ auf. Alles war erstaunlich: die Filmcrew, die Nachbarn, das Leben an sich. Rose freute sich, dass Lily es offensichtlich so gut getroffen hatte.

Bei ihr selbst lief es leider gerade nicht so gut. Das Schicksal hatte bis zu Lilys Abreise gewartet, bevor es zuschlug.

Im Badezimmer hatte sie eine feuchte Stelle entdeckt, die jeden Tag größer wurde. Der schnell herbeigerufene Klempner hatte ihr erklärt, die Wasserleitungen wären hoffnungslos veraltet und müssten ausgebessert oder ganz ersetzt werden.

Rose hatte sich fürs Ausbessern entschieden.

Als Nächstes hatte die Waschmaschine ihren Dienst versagt. Also musste eine neue her. Und jetzt saß Rose in der Küche und betrachtete einen feuchten Fleck an der Decke. Das sah nicht gut aus für die Wasserleitungen und noch viel weniger für ihr Sparkonto, auf dem bald Ebbe herrschen würde.

Verzweifelt überlegte sie, wie sie Lily möglichst vorsichtig beibringen konnte, dass sie dringend Geld brauchte. Ihre Schwester hatte sich bereits dafür entschuldigt, bisher noch kein Geld überwiesen zu haben. Leider reichte es bei ihr zunächst nur für die Miete und zur Finanzierung eines Lebensstils, der einem angehenden Hollywoodstar gerecht wurde. Für das verfallende Haus in ihrer alten Heimat blieb einfach nichts mehr übrig.

Natürlich gönnte sie Lily ihren Spaß. Doch Roses eigenes Einkommen reichte hinten und vorne nicht mehr, und es fiel ihr immer schwerer, fröhliche E-Mails zu verschicken, wenn ihr das Dach auf den Kopf fiel.

Und zwar wörtlich.

Eine Woche später war der feuchte Fleck noch größer geworden, obwohl das Badezimmer nicht mehr benutzt wurde, weil die Handwerker dort ihre Arbeit aufgenommen hatten. Seit zwei Tagen waren sie nun damit beschäftigt, neue Leitungen zu installieren, denn allein mit Ausbessern war nichts mehr zu machen gewesen. Entnervt richtete Rose den Blick gen Küchendecke. Wovon sollte sie das nur alles bezahlen?

Lily befand sich gerade auf dem Weg nach Arizona, wo einige Wochen lang gedreht werden sollte. Sie freute sich schon sehr auf die Arbeit.

Und ich sitze hier und warte, dass mir die Decke auf den Kopf fällt, dachte Rose und erschrak, als es klingelte. Erstaunlich, dass sie das Klingeln trotz des Baulärms gehört hatte.

Wer mochte das sein? Vermutlich ein netter Nachbar, der ihr berichten wollte, dass irgendwelche Vandalen ihr Auto demoliert hatten. Vielleicht hatte auch jemand bemerkt, dass sich das Haus nach einem Erdrutsch zur Seite neigte. Jedenfalls war Rose auf alles gefasst.

Sie strich sich über die alte Latzhose, die sie über einem verschossenen Pullover trug, und öffnete die Haustür. Und wer stand da, frisch und sexy und wie aus dem Ei gepellt?

Der Mann, den sie in ihren E-Mails mit keiner Silbe erwähnt hatte. Der Mann, der ihr ständig im Kopf umherspukte. Der Mann, der ihr jede Nacht den Schlaf raubte.

Bei seinem Anblick spürte sie sofort Schmetterlinge im Bauch. Als sie in seine meergrünen Augen blickte, wurden ihr die Knie schwach. Es kostete sie erhebliche Anstrengung, sich zusammenzureißen.

„Hallo. Was wollen Sie denn hier?“

„Wie immer sind Sie sehr direkt. Was ist hier eigentlich los?“

„Wieso?“ Sie fing seinen neugierigen Blick auf, mit dem Nick zu ergründen versuchte, woher der Lärm in ihrem Haus kam. „Ach das. Die Handwerker führen einige Reparaturen durch.“

„Wollen Sie mich nicht hineinbitten?“

„Hat Lily Sie gebeten, hier aufzukreuzen?“ Sie hatte die finanziellen Schwierigkeiten doch mit keinem Wort erwähnt. Aber vielleicht hatte ihre einfühlsame Schwester zwischen den Zeilen gelesen und Nick mitgeteilt, dass irgendwas nicht zu stimmen schien. Nick mit dem Herz aus Gold, der schon so unglaublich viel für sie getan hatte. Könnte er bitte so lieb sein, mal kurz bei Rose vorbeizuschauen, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war?

Diese Vorstellung passte Rose gar nicht. Am liebsten hätte sie Nick die Tür vor der Nase zugeschlagen.

„Ich war gerade zufällig in der Gegend.“

„Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen.“

„Hören Sie auf zu streiten und lassen Sie mich herein, Rose.“ Energisch stieß er die Tür weiter auf und spazierte ins Haus.

Nick, der zum ersten Mal seit Jahren ohne Freundin war, hatte sich eingestehen müssen, dass er in den vergangenen Wochen immer wieder an Rose gedacht hatte. Sein Leben war hektisch wie immer, der Terminkalender voll, und gerade war er von einer seiner vielen Auslandsreisen zurückgekehrt. Nachts hatte er sich ihr Gesicht vorgestellt und sich gefragt, wie es ihr ginge.

Behutsam hatte er begonnen, Lily nach ihrer Schwester auszufragen. Im Vertrauen hatte sie ihm schließlich verraten, dass Rose beim letzten Telefonat irgendwie seltsam geklungen hatte. Zwar hatte sie behauptet, alles wäre in Ordnung, doch ihr besorgter Tonfall hatte sie verraten.

Das war die perfekte Ausrede für Nick gewesen, Rose aufzusuchen. „Ich werde mal nach dem Rechten sehen“, hatte er Lily versprochen. „Du darfst dir keine Sorgen machen. Die Dreharbeiten könnten darunter leiden, wenn es dir nicht gut geht.“

So ganz hatte er noch nicht begriffen, wieso er sich mit einer Frau abgab, die ihn ständig auf die Palme brachte. Doch wenn es um Frauen ging, hatte sein Bauchgefühl ihn noch nie getrogen. Daher verließ er sich auch jetzt auf seinen Instinkt.

„Wieso wird in Ihrem Haus gehämmert?“

„Das habe ich Ihnen doch eben schon erklärt: Es werden einige kleine Reparaturarbeiten ausgeführt“, antwortete Rose und folgte ärgerlich seinem Blick. Eine feine Staubschicht bedeckte das Treppengeländer.

Was mochte Lily ihm erzählt haben? Hatte sie ihn etwa gebeten, nach dem Rechten zu sehen? Wie peinlich! Doch die unschuldige kleine Lily, die in jedem Menschen nur das Gute sah, hatte sich offenbar überhaupt nichts dabei gedacht.

Rose nahm sich vor, ihrer Schwester die Augen zu öffnen, sobald sie wieder in England war. Das Mädchen hatte einfach keine Menschenkenntnis.

„Nach einer Kleinigkeit klingt das aber nicht gerade.“

„Sie haben mir immer noch nicht verraten, was Sie hier wollen. Falls Lily Sie geschickt hat, können Sie ihr sagen, sie soll sich keine Sorgen machen.“

„Auch wenn das Haus einstürzt?“

„Mein Haus stürzt nicht ein!“

Nick hatte ganz vergessen, wie widerspenstig Rose sein konnte. Er hatte auch vergessen, wie amüsant er das fand. Es war erfrischend, sich mit jemandem zu unterhalten, der nicht zu allem Ja und Amen sagte. „Sie könnten mir eine Tasse Kaffee machen und mir erzählen, warum Sie so gestresst aussehen.“

Rose sah ihn groß an. Natürlich war sie gestresst. Eine ganze Armee von Klempnern trieb sie in den Ruin, der Mann, den sie nie wiedersehen wollte, spazierte hier einfach so herein, weil ihre reizende, besorgte Schwester ihn gebeten hatte, mal nach dem Rechten zu sehen, und da sollte sie nicht gestresst sein?

Erst jetzt wurde ihr bewusst, in welchem Aufzug sie sich befand. Sie trug ihre ältesten Klamotten, weil sie ihre guten Sachen vor dem Staub schützen wollte und der gute Nick sah mal wieder fantastisch aus in seinen hellen Jeans und einem Rugby-Shirt.

„Bei Ihrem Anblick bin ich gleich noch mehr gestresst“, sagte sie wütend.

„Dann geben Sie also zu, dass Sie Probleme haben. Lily ist es gleich aufgefallen, wie merkwürdig Sie am Telefon geklungen haben.“

Rose hätte ihre Schwester erwürgen können! „Dann sind Sie also hergekommen, um mich davon abzuhalten, mich von der nächsten Brücke zu stürzen.“

„So würde ich das nicht ausdrücken.“

In diesem Moment ertönte ein fürchterliches Krachen. Rose stöhnte und wartete auf die nächste Hiobsbotschaft von Andy. Was war denn nun schon wieder passiert? Offenbar stand das Haus tatsächlich kurz vor dem Einsturz.

Schnell lief sie die Treppe hinauf. Andy sah ihr mit betretener Miene entgegen.

„Tut mir leid, Rose.“

Nick war ihr gefolgt und verschaffte sich einen Überblick. „Wir haben etwas ziemlich Unangenehmes entdeckt.“ Rose wagte nicht zu fragen, was das war. Sie sah den Klempner nur wortlos an. Voller Mitgefühl begegnete er ihrem Blick. Sie befürchtete das Schlimmste.

„Asbest.“

Entsetzt ballte Rose die Hände zu Fäusten und stützte ihr Kinn auf. „Was soll das heißen?“

„Wir haben es unter den Dielen gefunden. Leider sind wir im Entfernen von Asbest nicht geschult. Deshalb müssen wir die Arbeit unterbrechen, bis ein Fachmann das Zeug entfernt hat. Es tut mir wirklich schrecklich leid, Rose.“

„Das ist doch wohl ein Witz.“

„Leider nicht.“

„Hast du eine Ahnung, was mich das kosten wird?“

„Nein.“ Ratlos zuckte er die Schultern, während seine Kollegen die Dielen zurücklegten. „Mach dir keine zu großen Gedanken deswegen, es lässt sich ja sowieso nicht ändern.“ Rose verabschiedete die Handwerker und war so niedergeschlagen, dass sie Nicks Anwesenheit kaum bemerkte.

Schließlich riss sie sich zusammen und wandte sich zu ihm um. „Das war’s dann wohl. Das Haus fällt in sich zusammen. Meine Ersparnisse sind futsch, ich bin total gestresst. Sie haben Lily einiges zu berichten. Obwohl es mir lieber wäre, Sie würden dieses Desaster mit keinem Wort erwähnen. Schließlich soll Lily in Amerika unbeschwert Karriere machen und sich keine Sorgen um ihre alte Schwester machen müssen.“

„Wie lange herrscht hier schon so ein Chaos?“ „Seit einigen Wochen. Es fing einen Tag nach Lilys Abreise an.“ Sie war zu müde, mit Nick zu streiten.

Er ging ihr voran in die Küche, hantierte herum und wenige Minuten später stand ein Becher Tee mit viel Zucker vor ihr.

Dankbar trank sie den süßen Tee in kleinen Schlucken.

„Und Sie haben keinen Ton gesagt, um Lily nicht zu beunruhigen.“

„Was hätte das denn gebracht? Lily wäre hierher geeilt, hätte auch nichts tun können, und ihre Karriere wäre beendet gewesen, bevor sie überhaupt angefangen hat.“

„Also haben Sie beschlossen, allein mit dem Problem fertig zu werden.“ Er setzte sich ihr gegenüber an den Küchentisch und betrachtete sie nachdenklich. „Aber die Rechnungen können Sie nicht allein bezahlen.“

„Ich werde einfach mehr Überstunden machen.“ Sie brauchte sein Mitleid nicht.

„So viele Überstunden kann kein Mensch machen“, bemerkte Nick trocken und richtete den Blick an die Zimmerdecke.

„Doch. Ich schaffe das schon.“ Angespannt fügte sie hinzu: „Mit solchen Problemen werden Sie wohl normalerweise nicht konfrontiert, oder? Sie brauchen nur mit den Fingern zu schnippen, und schon lösen sich Ihre Probleme in Wohlgefallen auf. Ich wette, dass ich die einzige Frau in Ihrem Bekanntenkreis bin, die ihre Rechnungen nicht so ohne Weiteres bezahlen kann.“

„Es hilft Ihnen nicht unbedingt aus Ihrer Finanzmisere, wenn Sie mich angreifen.“

Rose sah ihn nur wortlos an. Seine Wortwahl missfiel ihr sehr. „Ich muss Sie jetzt bitten zu gehen. Ich würde gern mit meinem Finanzberater von der Bank telefonieren.“

„Am Samstag?“

„Das ist die Lösung. Warum habe ich nicht eher daran gedacht? Ich bitte ihn einfach um ein Darlehen.“ „Das müssen Sie aber zurückzahlen.“ „Na und? Wenigstens kann ich dann die Bauarbeiten bezahlen. Hatte ich Sie nicht gerade gebeten zu gehen?“

„Wo wollen Sie denn in der Zwischenzeit wohnen?“

„Hier.“

„In all dem Staub? Noch dazu Asbeststaub? Wollen Sie die ganze Zeit mit Atemschutzgerät durchs Haus laufen?“

„Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe.“ Rose war den Tränen nahe.

„Damit Sie sich Ihrem Selbstmitleid hingeben können?“

„Was reden Sie denn für einen Unsinn!“ Zornig funkelte sie ihn an. „Ich habe eine Lösung gefunden. Montag spreche ich mit der Bank, und dann geht es hier weiter.“

„Sie können aber nicht hier wohnen bleiben.“

„Ach ja, das hatte ich ganz vergessen. Ich muss ja noch meinen Butler beauftragen, mir eine Suite im Savoy zu mieten, bis die Bauarbeiten abgeschlossen sind.“

Nick musste sich das Lachen verkneifen. „Ich habe eine bessere Idee. Sie brauchen Geld, und ich habe welches.“

„Ich würde Ihr Geld aber nicht annehmen. Sie haben schon genug für meine Schwester getan. Ich brauche nichts von Ihnen.“

Wie konnte sie nur so stur sein? Nick verspürte das überwältigende Bedürfnis, ihr die Zügel aus der Hand zu nehmen, über ihr Leben zu bestimmen und die Festung zu sprengen, die sie um sich aufgebaut hatte.

„Sie lassen sich von Emotionen leiten, Rose. Damit kommen Sie aber nicht weit. Wenn Sie die Bank um ein Darlehen bitten, müssen Sie das jahrelang zurückzahlen, zuzüglich der nicht unbeträchtlichen Zinsen.“

„Ich soll also lieber Ihr Geld annehmen? Und was haben Sie davon?“

Das Bild der nackten Rose in seinem Bett erschien vor seinem geistigen Auge. Nick blinzelte schnell.

„Sie hätten Ihrer Schwester längst von den Schwierigkeiten hier erzählen müssen. Ich verstehe ja, dass Sie alles Negative von ihr fernhalten wollen, aber Sie muss doch wissen, was hier los ist. Lily wird deshalb nicht alles stehen und liegen lassen und zurückkommen, denn sie weiß, dass das keine Lösung ist. Wenn Sie ihr aber nicht bald die Wahrheit sagen, fühlt sie sich bestimmt hintergangen.“

„Bilden Sie sich nur nicht ein, dass Sie meine Schwester besser kennen als ich“, erwiderte Rose ärgerlich. Allerdings musste sie insgeheim zugeben, dass Nick recht hatte.

Als er ihren nachdenklichen Gesichtsausdruck bemerkte, nutzte Nick geschickt seinen Vorteil. „Sie müssen es ihr sagen, Rose. Wenn sie im Ungewissen bleibt, macht sie sich nur unnötig Sorgen. Und dann kommt sie womöglich doch her, um selbst nach dem Rechten zu sehen. Es sei denn …“

„Es sei denn – was?“

„Es sei denn, sie wüsste, dass ich mich um Sie kümmere.“ Seit wann kümmerte er sich um eine Frau? Seine Spielregeln waren immer ganz einfach gewesen: keine Verpflichtungen, keine Abhängigkeit. Aber bei Rose war alles anders. Sie passte nicht in sein übliches Beuteschema. Und doch hatte sie etwas an sich, das sein lebhaftes Interesse geweckt hatte. Nur was es war, hatte er bisher noch nicht herausgefunden. Aber es machte Spaß, am Ball zu bleiben. Endlich mal eine neue Herausforderung!

„So weit kommt es noch!“

„Ich möchte Ihnen doch nur helfen“, sagte Nick ärgerlich. „Warum können Sie meine Hilfe nicht einfach annehmen?“

„Weil ich mir Sie in der Rolle des edlen Ritters nicht vorstellen kann. Sie fühlen sich verpflichtet, mir zu helfen, weil Sie ein schlechtes Gewissen haben. Zufällig haben Sie dieses Theater hier mitbekommen, und meinen jetzt, etwas tun zu müssen, weil Sie mit Lily befreundet sind. Die unscheinbare große Schwester, die hier versucht, die Sache in den Griff zu bekommen, tut Ihnen leid.“

„Ich habe ja nicht vor, Ihnen das Geld zu geben und dann zu verschwinden. Offenbar ist Ihnen entgangen, dass ich Geschäftsmann bin.“

„Also gut, was schlagen Sie vor? Aber glauben Sie ja nicht, ich könnte mich darauf einlassen.“

„Sie sind so ein Sturkopf!“

„Ich bin eben ungern jemandem etwas schuldig.“

„Abgesehen von der Bank.“

„Das kann man nicht vergleichen.“ Verlegen musste sie einsehen, dass sie jetzt in der Zwickmühle saß.

„Okay, hier ist mein Vorschlag: Sie nehmen zwei Monate Urlaub …“

„Wie bitte?“ War der Mann jetzt völlig verrückt geworden? „Haben Sie mir eigentlich in den vergangenen Minuten zugehört?“ Fassungslos griff Rose nach den Teebechern und stellte sie ins Spülbecken. Dann wirbelte sie herum, verschränkte die Arme und funkelte Nick wütend an. „Sie haben doch selbst mitbekommen, was hier los ist und wie es um meine Finanzen steht. Und da schlagen Sie mir vor, zwei Monate Urlaub zu machen? Wenn ich nicht arbeite, verdiene ich auch kein Geld. Und wenn ich kein Geld verdiene, kann ich die Rechnungen erst recht nicht bezahlen. Das ist wirklich ein ausgezeichneter Vorschlag!“

„Was verdienen Sie im Monat?“

„Das werde ich Ihnen gerade auf die Nase binden.“ Sie hätte schon längst um eine Gehaltserhöhung bitten sollen. Sie leistete hervorragende Arbeit und wesentlich mehr Überstunden als ihre Kollegen. Hätte sie gewusst, was sie in das Haus investieren musste, wäre sie schon längst zu ihrem Vorgesetzten gegangen. Doch bisher war sie mit dem Geld ja gut über die Runden gekommen.

Autor

Cathy Williams

Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...

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