Bestsellerautorin Penny Jordan - Verführt!

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ZUM LIEBEN VERFÜHRT

Entsetzt hört Elizabeth, was der attraktive Milliardär Ilios Manos von ihr verlangt: Sie soll ihn heiraten. Nein, sie will nicht in einer Ehe mit ihm gefangen sein - ohne Liebe! Aber Ilios hat sie komplett in der Hand, denn ihre Schulden lassen ihr keine Wahl. Und das Schlimmste: Elizabeths eigener Körper verrät sie. Bei Ilios‘ erotischen Liebkosungen, bei seinen sinnlichen Küssen erbebt sie sehnsuchtsvoll. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis dieser griechische Gott sie in seiner Villa an der Ägäis verführt und ihr auch noch das Herz raubt …

ZUR LEIDENSCHAFT VERFÜHRT

Begehrenswert, sinnlich, erotisch … Die schüchterne Charlotte fühlt sich wie verwandelt, als sie dem attraktiven Conte Raphael Della Striozzi begegnet. Seinen Garten in der Toskana sollte sie gestalten - mehr nicht! Doch dann überrascht dieser faszinierende Mann sie mit kostbaren Geschenken, lädt sie ein nach Florenz und verführt sie in seinem Luxusapartment zu ungeahnter Leidenschaft. Verzückt genießt Charlotte ihren italienischen Liebestraum, bis sie sich fragen muss: Will Raphael nicht mehr als pure Lust? Ist sie für ihren Traummann nur eine Geliebte auf Zeit?

ZUM HEIRATEN VERFÜHRT

"Du?" Am liebsten würde Ruby dem attraktiven Mann die Tür vor der Nase zuschlagen. Damals, vor fünf Jahren kannte sie den Namen des sexy Milliardärs nur aus der Presse. Doch ein Prosecco zu viel und ein magisches Prickeln führten zu einer unvergesslichen Liebesnacht. Die Ernüchterung folgte am Morgen danach, als Alexander Konstantinakos nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Aber jetzt steht der mächtige Reeder plötzlich vor Ruby. Er kann doch unmöglich wissen, was damals geschah, oder? Also, was will er? Und was hat das gefährliche Glitzern in seinem Blick zu bedeuten?


  • Erscheinungstag 02.12.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773175
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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Penny Jordan

Bestsellerautorin Penny Jordan - Verführt!

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IMPRESSUM

JULIA erscheint 14-täglich im CORA Verlag GmbH & Co. KG,

20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

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Geschäftsführung:

Thomas Beckmann

Redaktionsleitung:

Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)

Cheflektorat:

Ilse Bröhl

Lektorat/Textredaktion:

Sarah Hielscher

Produktion:

Christel Borges, Bettina Schult

Grafik:

Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

Vertrieb:

asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg Telefon 040/347-29277

Anzeigen:

Christian Durbahn

Es gilt die aktuelle Anzeigenpreisliste.

© 2009 by Penny Jordan

Originaltitel: „The Wealthy Greek’s Contract Wife“

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

in der Reihe: MODERN ROMANCE

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe: JULIA

Band 1952 (1/1) 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Übersetzung: Emma Luxx

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

ISBN-13: 978-3-86349-418-6

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

JULIA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Satz und Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

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Penny Jordan

Zum Lieben verführt

PROLOG

Ilios Manos ließ den Blick über das Land schweifen, das seit nahezu fünf Jahrhunderten im Besitz seiner Familie war. Hier auf dieser felsigen Landzunge, die sich im Nordosten Griechenlands in die Ägäis erstreckte, hatte sein Vorfahr Alexandros Manos im sechzehnten Jahrhundert eine Nachbildung von der berühmten Villa Emo des sagenumwobenen Baumeisters Palladio errichten lassen.

Alexandros Manos war ein reicher griechischer Kaufmann mit eigener, zwischen Konstantinopel und Venedig verkehrender Handelsflotte gewesen. Beim Anblick des neuen Familiensitzes seines italienischen Geschäftspartners war er so neidisch geworden, dass er sich heimlich die Baupläne des bedeutendsten Architekten der Renaissance beschafft hatte, um sich in Griechenland eine Kopie der Villa errichten zu lassen. Diese hatte er Villa Manos getauft und sie mitsamt dem Land, auf dem sie stand, zu einem heiligen Vermächtnis erklärt. In seinem Testament legte er fest, dass der Besitz von Generation zu Generation weitervererbt werden und für alle Zeit in Händen der Familie bleiben sollte.

Tatsächlich hatte sich Alexandros Manos hier ein kleines Königreich geschaffen, mit sich selbst als uneingeschränktem Herrscher.

Ilios’ Großvater hatte diese auf drei Seiten vom Meer umschlossene Landzunge mit den Bergen im Norden alles bedeutet. Deshalb hatte er seinen gesamten Reichtum darauf verwendet, das Land zu beschützen. Das Land, nicht jedoch seine Söhne, die für die Verpflichtung, die ihm sein Erbe auferlegte, mit dem Leben hatten bezahlen müssen. Er hatte sie praktisch geopfert.

Und einer dieser Söhne war Ilios’ Vater gewesen.

Ilios hatte von seinem Großvater eine Menge gelernt. Vor allem aber stand für ihn unverrückbar fest, dass jeder Nachkomme von Alexandros Manos die unabweisbare Pflicht hatte, die eigenen Gefühle hintanzustellen, um zu gewährleisten, dass die heilige Fackel an die nächste Generation weitergereicht wurde. Mochte auch die Hand, die diese Fackel trug, sterblich sein, so brannte die Fackel selbst doch ewig. Ilios, der mit den alten Geschichten seines Großvaters aufgewachsen war, wusste nur allzu gut, was es bedeutete, ein Manos zu sein. Man musste bereit sein, für sein Erbe alles und jeden zu opfern.

Und jetzt war Ilios an der Reihe, seine heilige Pflicht zu erfüllen. Dazu gehörte für ihn auch, dem Familienerbe wieder seinen alten Glanz zu verleihen – etwas, das seinem Großvater verwehrt geblieben war.

Als sie noch Kinder gewesen waren, hatte sein Cousin Tino ihn ausgelacht, weil Ilios seinem Großvater versprochen hatte, dass er einen Weg finden werde, um all die Pracht und Herrlichkeit längst vergangener Zeiten wiederaufleben zu lassen. Und später hatte Tino erneut gefeixt, als Ilios sich bereit erklärt hatte, seine Schulden zu übernehmen, allerdings nur unter der Bedingung, dass dieser auf seinen Erbteil verzichtete.

Ilios schaute nachdenklich auf die Villa. In seinen markanten Gesichtszügen hatten die Geschichten von Generationen unbeugsamer Männer ihre Spuren hinterlassen. Sein Gesicht wirkte wie in Stein gemeißelt und erinnerte an die Heldengestalten der griechischen Mythologie. Seine goldenen Augen, ein Erbe der Ehefrau, die Alexandros aus einem Land der nördlichen Hemisphäre mitgebracht hatte, fixierten den Horizont.

Aber jetzt lachte Tino nicht mehr, sondern hatte alle Hände voll damit zu tun, seinen Rachefeldzug zu planen. Gerächt hatte er sich schon immer gern, auch als Junge. Neid und Missgunst seinem Cousin gegenüber hatten seit eh und je zu Tinos hervorstechendsten Charaktermerkmalen gehört. In Tinos Augen war es ein schwerer Nachteil, als Sohn des jüngeren Bruders geboren zu sein, und dafür gab er Ilios die Schuld.

Ilios stand in dem Ruf, ein knallharter Geschäftsmann zu sein. Er war berüchtigt dafür, seinen Angestellten sehr viel abzuverlangen, gleichzeitig aber war er selbst bereit, immer und überall sein Bestes zu geben.

Er hatte in der Baubranche ein Vermögen gemacht. Und das war nicht schwarzer Magie zu verdanken, sondern allein seinem Fleiß, seiner Zähigkeit und seinem unbedingten Willen zum Erfolg.

Ilios wusste, dass es viele Menschen gab, die ihm seinen steilen Aufstieg aus der bitteren Armut seiner Kindheit neideten. Ihrer Meinung nach konnte niemand so reich werden wie er – sein Vermögen bemaß sich nicht nach Millionen, sondern nach Milliarden –, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Aus diesem Grund gab es immer genug Neider, die – nicht anders als sein Cousin – seinen Ruin herbeisehnten.

Für einen kurzen Moment badete die aufgehende Morgensonne sein Profil in purem Gold, sodass sein Gesicht an die goldene Maske Alexander des Großen erinnerte. Alexander der Große stammte aus diesem Teil Griechenlands und war der Familiensaga nach zusammen mit Ilios’ Vorfahren über diese Halbinsel gewandert.

Einige Meter weiter wartete einer seiner Vorarbeiter auf Ilios, und hinter ihm scharrten die Fahrer der schweren Kräne mit den Abrissbirnen schon ungeduldig mit den Hufen.

„Was sollen wir machen?“, fragte der Mann.

Ilios warf einen finsteren Blick auf den erst vor Kurzem fertiggestellten Apartmentkomplex.

„Abreißen. Reißen Sie das Ding ab und sichern Sie die Baustelle.“

Der Vorarbeiter wirkte schockiert.

„Aber Ihr Cousin …“

„Mein Cousin hat hier nichts zu melden. Machen Sie es dem Erdboden gleich.“

Der Vorarbeiter gab den Kranfahrern ein Zeichen. Und noch während die schweren Abrissbirnen in der Morgensonne herumschwenkten und mit ohrenbetäubendem Getöse gegen die Mauern krachten, machte Ilios auf dem Absatz kehrt und ging davon.

1. KAPITEL

„Und was willst du jetzt machen?“, fragte Charley bang.

Lizzie schaute auf ihre jüngeren Schwestern. Sofort meldete sich der vertraute Reflex, die beiden zu beschützen, und verstärkte ihre Entschlossenheit noch.

„Ich habe keine Wahl“, erwiderte sie. „Ich muss hinfahren.“

„Was? Du willst nach Thessaloniki fliegen?“

„Es ist der einzige Weg.“

„Aber wir haben kein Geld.“

Das war Ruby, mit ihren zweiundzwanzig Jahren das Nesthäkchen der Familie. Sie saß am Küchentisch, während sich die Zwillinge – Rubys fünf Jahre alte Söhne – im Zimmer nebenan auffällig still verhielten. Was wahrscheinlich damit zusammenhing, dass die beiden die seltene Erlaubnis erhalten hatten, noch eine weitere halbe Stunde fernzusehen, damit die Schwestern die bedrohliche Lage besprechen konnten.

Richtig, sie hatten kein Geld – und das war ganz allein ihre Schuld, wie Lizzie zugeben musste.

Nachdem vor sechs Jahren ihre Eltern im Urlaub von einer riesigen Welle erfasst worden und ertrunken waren, hatte Lizzie sich geschworen, alles zu tun, um die Familie zusammenzuhalten. Deshalb hatte sie damals ihr Studium abgebrochen und sich bei einer renommierten Londoner Firma für Innenausstattung beworben, in der Hoffnung, mit diesem Erfahrungshintergrund eines Tages vielleicht doch noch ihren Traumberuf als Filmdekorateurin ergreifen zu können. Charley hatte ihr Studium gerade erst begonnen, und Ruby stand kurz vor der mittleren Reife.

Sie hatten ihre Eltern sehr geliebt, deshalb war es ein furchtbarer Schlag gewesen, so aus heiterem Himmel gleich Mutter und Vater auf einmal zu verlieren. Besonders Ruby, die in ihrer Verzweiflung Trost in den Armen eines Mannes gesucht hatte, war untröstlich gewesen. Und dann hatte dieser Mann sie auch noch sitzen gelassen, obwohl sie Zwillinge erwartete.

Aber das Schicksal hielt noch weitere böse Überraschungen für sie bereit. Ihr angebeteter Vater und ihre ebenso heiß geliebte Mutter hatten für ihre Kinder eine Traumwelt erschaffen, die mit der Realität leider nur wenig zu tun gehabt hatte.

Das wundervolle gregorianische Pfarrhaus in dem kleinen Dorf in Cheshire, in dem sie aufgewachsen waren, ächzte unter der schweren Last seiner Hypotheken, ihre Eltern hatten keine Lebensversicherung abgeschlossen, ihre einzige Hinterlassenschaft war ein Riesenberg Schulden gewesen. Am Ende war den drei Schwestern nichts anderes übriggeblieben, als das Haus ihrer Kindheit zu verkaufen, um die Schuldenlast so weit wie möglich zu reduzieren.

In dem Bemühen, alles in ihren Kräften Stehende für ihre Schwestern zu tun, hatte Lizzie in Zeiten des boomenden Immobilienmarkts ihre wenigen Ersparnisse zusammengekratzt, um in einer aufstrebenden Gegend südlich von Manchester eine eigene Firma für Innenausstattungen zu gründen. Auf diese Weise wollte sie es Charley ermöglichen, ihr Studium an der Universität von Manchester fortzusetzen, während Ruby sich um die Zwillinge kümmern konnte. Sie selbst wollte sich als Geschäftsfrau etablieren und so für das Familieneinkommen sorgen.

Und in der ersten Zeit war es auch wirklich gut gelaufen. Lizzie hatte mehrere lukrative Aufträge an Land gezogen, aus denen sich Folgeaufträge entwickelt hatten. Geblendet von ihrem Erfolg, hatte sie die Chance ergriffen, von einem der Bauträger, für die sie tätig war, ein größeres Haus zu erwerben, was natürlich eine höhere Hypothekenbelastung nach sich gezogen hatte. Trotzdem war ihr das Ganze damals als durchaus vernünftig und zweckmäßig erschienen, weil sie mit den Zwillingen den zusätzlichen Platz ja dringend gebraucht hatten. Und ein größeres Auto war auch kein Luxus gewesen. Sie benötigte ein Fahrzeug, um zu den oft außerhalb gelegenen Baustellen zu kommen, und Ruby musste die Zwillinge in den Kindergarten bringen.

Aber dann war die Finanzkrise über sie hereingebrochen, und wieder war schlagartig alles anders gewesen. Die Blase am Immobilienmarkt war so überraschend geplatzt, dass sie es nicht geschafft hatten, ihre Ausgaben herunterzufahren und die Hypothekenbelastung zu reduzieren, weil der Wert des Hauses rapide gesunken war. Und Lizzie hatte plötzlich Probleme gehabt, an neue Aufträge zu kommen. Ihre Rücklagen für schlechte Zeiten hatten sich längst nicht so vermehrt wie erhofft, sodass es jetzt in finanzieller Hinsicht düster aussah.

Charley arbeitete inzwischen als Projektmanagerin für eine örtliche Firma, während Ruby immer noch zu Hause war. Obwohl sie verzweifelt versuchte, einen Job zu finden, um ebenfalls etwas zum Familieneinkommen beizutragen. Doch dagegen wehrten sich Lizzie und Charley vehement. Sie beharrten darauf, dass die Zwillinge eine Mutter brauchten, die für sie da war, genauso wie ihre eigene Mutter immer für sie da gewesen war. Als sie vor sechs Monaten die ersten Auswirkungen der Finanzkrise zu spüren bekommen hatten, war Lizzie noch guter Hoffnung gewesen, dass sie es irgendwie schaffen könnten, wenn sie sich einen Zweitjob suchte.

Doch am Ende hatte sich das alles als Illusion herausgestellt. Die Aufträge waren nicht nur bei ihr, sondern generell eingebrochen, was bedeutete, dass ihre Arbeitskraft schlicht nicht gebraucht wurde. Die meisten Firmen versuchten, sich irgendwie notdürftig über Wasser zu halten. Viele von Lizzies Kunden hatten die Verträge gekündigt, und manche schuldeten ihr immer noch viel Geld, das wahrscheinlich unwiderruflich verloren war.

Genau gesagt war die Auftragslage so deprimierend, dass Lizzie sich vorgenommen hatte, im örtlichen Supermarkt nachzufragen, ob man nicht vielleicht dort irgendeine Arbeit für sie hatte. Und dann war der Brief gekommen. Und jetzt waren sie – oder genauer gesagt war sie – in einer noch auswegloseren Situation.

Zwei ihrer neueren Kunden, für die sie bereits mehrere Aufträge durchgeführt hatte, hatten sie vor einiger Zeit beauftragt, die Innenausstattung für einen Apartmentkomplex in Nordgriechenland zu übernehmen. Die auf einer wunderschönen griechischen Halbinsel gelegene Wohnanlage sollte den Anfang eines luxuriösen und exklusiven Ferienprojekts bilden, einschließlich Villen, drei Fünf-Sterne-Hotels, eines Jachthafens, Restaurants und allem, was sonst noch dazugehörte.

Bei der Ausstattung der Ferienapartments, die in einem „edlen Notting-Hill-Stil“ gehalten sein sollten, hatte ihr der Kunde bis auf eben diese Etikettierung völlig freie Hand gelassen.

Auch wenn es von ihrer Ecke der Industriestadt Manchester bis Notting Hill ein weiter Weg war, hatte Lizzie doch sehr klar vor Augen gehabt, was ihren Kunden vorschwebte: Weiße Wände, luxuriöse Bäder mit blitzenden Armaturen und supermoderne Küchen, spiegelnde Marmorböden, exotische Pflanzen und Blumen, butterweiche Sofas …

Lizzie war mit ihren Kunden, einem Paar mittleren Alters, mit dem sie nie so richtig warm geworden war, nach Griechenland geflogen, um die Apartments zu besichtigen. Ihr erster Eindruck war ziemlich niederschmetternd gewesen, weil sie sich etwas weit Spektakuläreres und Innovativeres vorgestellt hatte als einen sechsstöckigen Betonklotz mitten in der Landschaft, der nur über einen holprigen Feldweg erreichbar war. Die luxuriöse Ferienanlage, von der ihre Kunden gesprochen hatten, ließ sich hier noch nicht einmal erahnen.

Doch als sie es gewagt hatte, leise Zweifel anzumelden, ob die Apartments wirklich gut verkäuflich seien, hatte man ihr versichert, dass sie sich ganz unnötige Sorgen mache.

„Bei dem Spottpreis, den wir investiert haben, können wir den ganzen Komplex für einen Apfel und ein Ei vermieten und würden immer noch Gewinn machen“, hatte Basil Rainhill gescherzt. Zumindest hatte Lizzie es als Scherz aufgefasst. Obwohl man das bei Basil nie so genau wusste.

Er sei mit einem Silberlöffel im Mund geboren worden, hatte seine Frau ihr anvertraut. „Außerdem hat Basil einen untrüglichen Riecher für lohnende Geldanlagen. Es ist eine Gabe, wissen Sie. Sie vererbt sich in seiner Familie weiter.“

Nur dass ihn diese Gabe jetzt verlassen hatte. Kurz bevor die Rainhills unter Hinterlassung eines riesigen Schuldenbergs auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren, hatte Basil Rainhill Lizzie eröffnet, dass er pleite war und sie für ihre Arbeit nicht bezahlen konnte. Zum Ausgleich dafür hatte er ihr einen zwanzigprozentigen Anteil an dem Apartmentkomplex angeboten.

Das Geld wäre Lizzie natürlich lieber gewesen, aber ihr Anwalt hatte ihr geraten, das Angebot anzunehmen. Und so war sie Miteigentümerin an dem Apartmentkomplex geworden.

Bei der Ausstattung der Apartments hatte sie trotz der beschränkten Möglichkeiten ihr Bestes gegeben, und am Ende war sie mit dem Ergebnis sogar recht zufrieden gewesen. Auch wenn ihr die Idee, dass man die Apartments verkaufen könnte, von Anfang an ziemlich unwahrscheinlich erschienen war, hatte sie doch gehofft, dass man sie vielleicht an Urlauber vermieten und auf diese Weise über Umwege doch noch zu ihrem so dringend benötigten Geld kommen könnte.

Aber jetzt hatte sie diesen alarmierenden Brief mit dem unüberhörbar drohenden Unterton erhalten. Der Schreiber, ein gewisser Ilios Manos, erwartete, dass sie nach Thessaloniki kam, um sich mit ihm zu treffen. Angeblich ging es um „die Klärung gewisser rechtlicher und finanzieller Angelegenheiten, die Ihre Geschäftspartnerschaft mit Basil Rainhill und meinem Cousin Tino Manos betreffen“, wie er schrieb. Und am Ende standen da die beunruhigend ominösen Worte: „Sollte ich auf dieses Schreiben von Ihnen keine Antwort erhalten, werde ich meine Anwälte anweisen, die Angelegenheit in meinem Sinne zu regeln.“

Einen ungünstigeren Zeitpunkt für seine Einmischung hätte sich der Mann wahrlich nicht aussuchen können, gleichwohl klang der ganze Tonfall des Briefs in Lizzies Ohren zu bedrohlich, um ihn zu ignorieren. Auch wenn ihr bei der Vorstellung eines Treffens ziemlich mulmig wurde, musste sie doch an das Wohl ihrer Familie denken, das für sie an erster Stelle rangierte. Sie trug für die Menschen, die sie liebte, Verantwortung.

„Wenn dieser Grieche dich unbedingt treffen will, könnte er dir ja wenigstens das Flugticket spendieren“, brummte Ruby.

Aber Lizzie fühlte sich nicht ganz unschuldig.

„Ich habe einfach geschlafen. Mir hätte längst auffallen müssen, dass der Immobilienmarkt völlig überreizt ist.“

„Jetzt hör schon auf, dir ständig für alles die Schuld zu geben“, sagte Charley. „Wie hätte dir denn was auffallen sollen, wenn nicht mal die Regierung etwas gemerkt hat?“

Lizzie rang sich ein Lächeln ab.

„Bestimmt gibt dir die Bank doch noch mal einen Überziehungskredit, wenn du es ihnen erklärst, meinst du nicht?“, warf Ruby hoffnungsvoll ein.

Charley schüttelte den Kopf. „Im Moment beißen da alle auf Granit, sogar relativ erfolgreiche Firmen, wie man weiß.“

Lizzie nagte nachdenklich an ihrer Unterlippe. Sie fühlte sich schrecklich, obwohl sie wusste, dass Charley ihr keine Vorwürfe machte. Ihre Schwestern hatten sich stets auf sie verlassen können. Sie war die Älteste, diejenige, die Verantwortung trug und zu der die anderen aufschauten. Und sie war immer stolz darauf gewesen, dass sie es schaffte, für ihre Schwestern zu sorgen. Obwohl ihr die gegenwärtige Finanzkrise nur allzu deutlich vor Augen geführt hatte, dass dieser Stolz unangebracht und auf Sand gebaut gewesen war.

„Und was willst du jetzt machen?“, warf Ruby ein. „Wie sollst du nach Griechenland kommen, wenn nicht mal Geld für das Flugticket da ist?“

„He, Moment, da fällt mir was ein!“ Lizzie fiel ein Stein vom Herzen. „Ich habe ja noch das Eimergeld, und übernachten kann ich in einem der Apartments.“

Bei dem „Eimergeld“ handelte es sich um Münzen, die Lizzie in wirtschaftlich rosigeren Zeiten in dem dekorativen Zinneimer in ihrem Büro gesammelt hatte. Er stand jetzt in ihrem Schlafzimmer.

Zwei Minuten später beugten sich drei Köpfe über den Eimer, den sie auf den Küchentisch gestellt hatte.

„Meinst du, das reicht?“ Rubys Stimme klang zweifelnd.

Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.

„Neunundachtzig Pfund“, verkündete Lizzie eine halbe Stunde später, als alle Münzen gezählt waren.

„Neunundachtzig Pfund und vier Pence“, korrigierte Charley.

„Und? Reicht das für ein Flugticket?“, fragte Ruby.

„Dafür werde ich schon sorgen“, gab Lizzie entschlossen zurück.

2. KAPITEL

Unmöglich! Das konnte nicht sein! Der Apartmentkomplex konnte nicht einfach verschwunden sein.

Und doch war es so.

Lizzie machte ganz fest die Augen zu und riss sie wieder auf, in der verzweifelten Hoffnung, dass alles nur ein böser Traum war. Doch vergebens. Der Apartmentblock war nicht mehr da.

Er ist nicht mehr da.

An der Stelle, an der sie das vertraute würfelförmige Gebäude erwartet hatte, war nur aufgeworfenes, flüchtig geglättetes Erdreich, in dem immer noch die Spuren der Planierraupen erkennbar waren.

Lizzie hatte einen wenig bequemen Flug hinter sich und eine lange, aufreibende Taxifahrt mit einem griechischen Fahrer, der offenbar geglaubt hatte, seine Männlichkeit unter Beweis stellen zu müssen, indem er mit halsbrecherischem Tempo über die mit Schlaglöchern gepflasterten Straßen raste.

Und hier war sie nun.

Lizzie starrte auf den zerfurchten Boden, wo der Apartmentkomplex gestanden hatte. Dann hob sie den Kopf und ließ den Blick über die Landzunge schweifen, das struppige Gras, die immer noch in winterliches Grau gehüllte Ägäis. Der kalte Wind, der übers Meer herüberwehte, schmeckte nach Salz … oder waren das ihre Tränen?

Was um Himmels willen war hier passiert? Laut Vertrag mit Basil hielt sie einen zwanzigprozentigen Aktienanteil an dem Komplex, was bedeutete, dass ihr zwei Apartments gehörten, von denen jedes einzelne einen behaupteten Schätzwert von zweihunderttausend Euro hatte. Auch wenn hunderttausend in Lizzies Augen realistischer gewesen wären, doch das spielte jetzt ohnehin keine Rolle mehr, weil sich jeder mögliche Wert buchstäblich in Luft aufgelöst hatte – zusammen mit dem Gebäude. Es war Geld, das zu verlieren sie sich schlicht nicht leisten konnte.

Was sollte sie jetzt bloß tun? Sie hatte kaum fünfzig Euro in der Tasche, kein Dach überm Kopf und keinen fahrbaren Untersatz, um in die Stadt zurückzukommen, keine Apartments – nichts. Nur einen Brief mit unüberhörbar drohendem Unterton. Der hatte sich nicht in Luft aufgelöst – ebenso wenig wie der Mann, der ihr ihn geschrieben hatte.

Ilios Manos hatte eine Stinkwut, anders konnte man es nicht bezeichnen. Und wenn er in diesem Zustand war, lud sich die Atmosphäre um ihn herum mit Blitz und Donner auf, genauso wie bei Zeus, dem Göttervater, in den alten griechischen Heldensagen.

Der aktuelle Grund für seine Wut war sein Cousin Tino. Nachdem Tinos ursprünglicher Versuch, Geld aus ihm herauszuholen, gescheitert war, versuchte dieser Idiot doch jetzt tatsächlich, ihm sein Erbe streitig zu machen, indem er behauptete, dass Ilios verheiratet sein müsse, um dieses Erbe überhaupt antreten zu können.

Anfangs war Ilios entschlossen gewesen, Tinos Drohung einfach zu ignorieren, aber seine Anwälte hatten ihn vor einem langen, kostspieligen Rechtsstreit gewarnt und ihm geraten, Tino das verlangte Geld einfach zu geben.

Aber wo gab’s denn so was? Er sollte sich von Tino erpressen lassen? Niemals. Ilios’ Mund wurde ein schmaler Strich.

„Nun, in diesem Fall sollten Sie sich besser schnell nach einer Ehefrau umsehen“, hatte ihm sein Anwalt daraufhin empfohlen.

„Auch wenn ich der Meinung bin, dass Tino am Ende vor Gericht nichts gegen mich ausrichten kann?“, hatte Ilios wütend gefragt.

„Das Problem ist, dass Ihr Cousin im Unterschied zu Ihnen nichts zu verlieren hat. Er könnte Sie über Jahre in einen komplizierten Rechtsstreit verwickeln, der Sie viel Zeit, Nerven und Geld kostet.“

Der für Ilios erst beendet sein würde, wenn er gewonnen hatte. So viel stand fest.

Sein Anwalt hatte ihm geraten, sich die ganze Sache noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen, wahrscheinlich weil er hoffte, dass Ilios am Ende einlenken und Tino die Million geben würde. Eine Summe, die für Ilios zugegebenermaßen ein Klacks war, aber das war nicht entscheidend. Entscheidend war, dass Tino von ihm Geld wollte, das ihm nicht zustand. Und da spielte Ilios nicht mit. Schon aus Prinzip nicht.

Er war gerade dabei, einen alten, kranken Olivenbaum zu fällen, als sein Blick auf das Taxi fiel, das in unglaublicher Geschwindigkeit die holprige Straße zur Landzunge heruntergerast kam. Jetzt hielt es an, um seinen Fahrgast aussteigen zu lassen. Kurz darauf wendete es und fuhr denselben Weg wieder zurück.

Ilios trat, immer noch mit dem Schutzhelm seiner Baufirma auf dem Kopf, bekleidet mit einem kurzärmligen weißen T-Shirt und Jeans, die er in seine Arbeitsstiefel gesteckt hatte, aus dem Olivenhain und beobachtete die Frau, die aufs Meer hinausschaute.

Als Lizzie sich, immer noch starr vor Entsetzen ob ihrer Entdeckung, umdrehte, sah sie den Mann, der zu ihr herüberschaute.

„Zutritt verboten!“, rief er ihr zu. „Das ist ein Privatgrundstück.“

Er sprach Englisch! Offensichtlich wusste er von dem Bauvorhaben, das hier begonnen – und beerdigt – worden war. Aber sein Ton klang so feindselig, dass Lizzie sich aufgefordert fühlte dagegenzuhalten. „Ein Privatgrundstück, das zum Teil mir gehört.“

Auch wenn das vielleicht nicht hundertprozentig korrekt war, musste ihr als Teilhaberin eines Apartmentkomplexes doch sicher auch ein prozentualer Anteil des Grund und Bodens gehören, auf dem dieser stand, oder? Obwohl Lizzie nicht mit Einzelheiten des griechischen Immobilienrechts vertraut war, bewirkte die aggressive Art des Mannes, dass sie prompt sämtliche Krallen ausfuhr. Was ein Fehler war, wie sich gleich darauf herausstellte. Der Mann nahm gefährlich langsam seine vor der Brust verschränkten Arme auseinander, sodass man die dunklen Schmutzflecke auf seinem ansonsten blütenweißen T-Shirt sehen konnte, und kam drohend näher.

„Dieses Land kann nur einem Manos gehören.“

Er war unübersehbar wütend und spießte sie mit seinem harten Blick auf wie eine hilflose Beute. Lizzie wich eingeschüchtert einen Schritt zurück und verhedderte sich dabei in einem dürren Grasbüschel.

Bevor sie fallen konnte, fühlte sie sich von kräftigen Händen gepackt und festgehalten. Langbewimperte goldene Augen fixierten sie mit einer typisch männlichen Unverfrorenheit. Er musterte sie wie … wie ein griechischer Gott, der sich nahm, was ihm beliebte … auch weibliches Menschenfleisch. Sex mit einem Mann wie ihm wäre für eine Frau bestimmt lebensgefährlich. Würde er nur rücksichtslos nehmen, ohne selbst etwas zu geben? Oder würde er sich die Frau, die vermessen genug war, sein Begehren zu wecken, untertan machen, indem er sie mit der ganzen Kraft seiner Sinnlichkeit überwältigte, während er selbst ungerührt blieb? Dieser Mund mit der vollen Unterlippe ließ den Verdacht zu, dass er über eine grausame Sinnlichkeit verfügte.

Lizzie erschauerte, total schockiert über ihre anstößigen Gedanken. Rigoros rief sie sich zur Ordnung und versuchte, sich auf praktische Dinge zu konzentrieren.

Irgendwie schien er mitten in der Bewegung offenbar noch die Zeit gefunden zu haben, diesen Schutzhelm auf seinem Kopf nach hinten zu schieben, sodass sie jetzt sein dichtes dunkles Haar sehen konnte. Er war groß, viel größer als sie – mindestens eins neunzig – und demzufolge natürlich auch weit stärker. Lizzie konnte sehen, dass die Muskeln in seinen Oberarmen kaum angespannt waren, obwohl er sie immer noch festhielt. Aber das hinderte sie nicht daran zu versuchen, sich aus seinem Griff zu befreien.

Der Unbekannte reagierte mit empörender Lässigkeit, indem er sie noch näher an sich heranzog. Er roch nach Erde und harter körperlicher Arbeit und Mann. Ihr Gesicht war so nah an dem mit Schmutzflecken übersäten T-Shirt, dass sie durch den Stoff hindurch den dunklen Schatten seiner Brustbehaarung erkennen konnte. Sie meinte die Feindseligkeit, die er ausstrahlte, fast körperlich spüren zu können. Aber sie war ihm nicht weniger feindselig gesonnen. Genau das war nämlich der Grund für ihr heftiges Herzklopfen. Und nicht der Umstand, dass ihre Sinne vor der intensiven Bewusstheit zurückscheuten, die seine Nähe ihr aufzwang.

Was denn für eine Bewusstheit? Von ihm als Mann? Bewusstheit seiner Männlichkeit? Seiner Sexualität? Bewusstheit, dass in ihr irgendetwas, das sie lange Zeit entschlossen unterdrückt hatte, gegen den Schutzwall drängte, den sie in sich errichtet hatte? Wegen diesem Mann?

So ein Unsinn. Das war völlig unmöglich. Ihr Herz hämmerte wie verrückt in dem Bemühen, Adrenalin durch ihre Adern zu pumpen. Warum reagierte sie so auf ihn? Sie interessierte sich nicht für seine Sexualität. Sie musste sofort aufhören, sich zu wünschen, noch länger von ihm gehalten zu werden.

Ilios war es nicht gewöhnt, dass Frauen sich zur Wehr setzten – im Gegenteil. Normalerweise warfen sie sich ihm an den Hals und beschworen Situationen wie diese hier geradezu herauf. Nur deshalb weigerte er sich jetzt, sie loszulassen.

Als sie sich gegen ihn stemmte, wehte ihm ihr Parfüm in die Nase, ein schwach wahrnehmbarer zarter Duft. Prompt schoss ihm das Blut in die Lenden. Was war das? Begehren? Nach so einer Frau? Lachhaft. Abrupt ließ er sie los und wich einen Schritt zurück.

„Wer sind Sie?“, fragte Lizzie unsicher, bemüht, ihr körperliches und seelisches Gleichgewicht wiederzufinden.

„Ilios Manos“, erwiderte Ilios schroff.

Dieser Mann war Ilios Manos? Der Mann, der ihr den Brief geschrieben hatte? Lizzies Herz hämmerte plötzlich zum Zerspringen.

„Ilios Manos, der Besitzer dieses Grund und Bodens hier, den Sie unbefugt betreten haben, Miss Wareham“, erläuterte Ilios ihr eisig.

„Woher wissen Sie, wer ich bin?“

„Daher“, erwiderte er und deutete auf den Anhänger mit ihrem Namen an ihrem kleinen Rollkoffer, den sie vor Schreck losgelassen hatte.

„Was ist mit dem Apartmentkomplex passiert?“

„Ich habe ihn abreißen lassen.“

„Was? Warum? Dazu hatten Sie kein Recht!“ Ihre Fassungslosigkeit kannte keine Grenzen und machte sie – unbegreiflicherweise – noch empfänglicher für die Wahrnehmung seiner Person. Fast als ob sie in Bezug auf ihn einen sechsten Sinn entwickelt hätte. Vor allem, was seinen vor Männlichkeit strotzenden Körper anbelangte.

„Ich hatte jedes Recht der Welt dazu. Während Sie sich – ich muss es noch einmal betonen – unrechtmäßigerweise auf meinem Grund und Boden befinden.“

Lizzie kämpfte immer noch gegen diese seltsame Wahrnehmungsstörung an.

„Das Land gehört meinem Geschäftspartner Tino Manos, nicht Ihnen.“

„Mein Cousin hat seine Rechte an dem Land an mich abgetreten.“

„Aber Sie können doch nicht einfach ein ganz neues Haus abreißen, das Ihnen gar nicht gehört! Zwei der Apartments befanden sich übrigens in meinem Besitz.“

„Richtig“, stimmte er grimmig zu.

Etwas an der Art, wie er sie musterte, verunsicherte Lizzie ungemein. Es war, als ob sie ihm unbemerkt in die Falle gegangen wäre.

„Sagen Sie, Miss Wareham, wie gierig muss ein Mensch sein, dass er bedenkenlos gegen alle geltenden Regeln verstößt, um etwas zu bekommen, das ihm absolut nicht zusteht?“ Sein Tonfall triefte vor Zynismus, und sein ganzes Verhalten ihr gegenüber war voll bitterer Verachtung.

„Ich … ich weiß nicht, was Sie meinen“, stammelte Lizzie.

„Natürlich wissen Sie das. Sie und mein Cousin sind Geschäftspartner. Das haben Sie eben selbst zugegeben. Sie müssen also gewusst haben, dass die Bauvorschriften nicht eingehalten und die Lieferanten und Arbeiter um ihren gerechten Lohn geprellt wurden, um die Kosten niedrig zu halten und aus dem Bauvorhaben möglichst viel Profit herauszuschlagen.“

„Nein. Das wusste ich nicht“, widersprach Lizzie. Aber sie konnte ihm ansehen, dass er ihr nicht glaubte.

„Haben Sie auch nur eine blasse Ahnung, was Sie mit Ihrer Gier angerichtet haben? Was Sie den Leuten angetan haben, die Sie um ihr sauer verdientes Geld betrogen? Oder ist Ihnen das egal? Nun, ich werde dafür sorgen, dass es Ihnen nicht egal ist, Miss Wareham. Und zwar, indem ich Sie zwinge, jeden verdammten Cent zurückzuzahlen, den Sie mir schulden.“

Ilios konnte sich nicht erinnern, in seinem Leben jemals so wütend gewesen zu sein. Sein Cousin hatte ihn systematisch hintergangen, und jetzt wagte Tino es auch noch, die Rechtmäßigkeit dessen, was Ilios qua Gesetz zustand, anzuzweifeln. Ilios konnte spüren, wie seine Wut noch weiter wuchs. Und da er im Moment seinen Cousin nicht zur Rechenschaft ziehen konnte, würde er sich eben an dessen Komplizin schadlos halten. Er würde dieser Engländerin, die auch noch dreist genug war, ihn anzulügen, eine Rechnung präsentieren, die sich gewaschen hatte.

„Alles, was ich Ihnen schulde?“, fragte Lizzie zurück. Ihr wurde ganz flau im Magen. „Was meinen Sie damit? Ich schulde niemandem etwas.“

Ihre Verlogenheit bestärkte Ilios in seiner Entschlossenheit, es ihr heimzuzahlen. Sie war ein Ausbund an Falschheit, auch wenn sie sich mit einer Aura von Pseudounschuld umgab, die sie mit ihrem betont uneitlen Auftritt – ausgewaschene Jeans, T-Shirt, schlichte Jacke – noch zu unterstreichen versuchte. Ihr zugegebenermaßen ebenmäßiges Gesicht war fast ungeschminkt.

Genauso unwiderstehlich wie dieser verdammt flüchtige Duft war ihr voller rosa Mund – provozierend weich, wie es schien. Wo eine weniger durchtriebene Frau Künstlichkeit bemüht hätte, um ihre Falschheit zu kaschieren, griff Elizabeth Wareham zum Stilmittel der Kunst – der Kunst, bescheiden, verletzlich und aufrichtig zu wirken. Aber darauf fiel er nicht herein. Jemand, der mit seinem Cousin dubiose Geschäfte machte, konnte unmöglich seriös und aufrichtig sein. Gleich und gleich gesellt sich gern, lautete nicht umsonst ein altes Sprichwort. Sie konnte ihre Reize zu verbergen suchen oder auch spielen lassen, so lange sie wollte. Er würde sich von ihr jedenfalls nicht hinters Licht führen lassen.

Als Ilios nicht antwortete, straffte Lizzie die Schultern und wiederholte mit aller Entschiedenheit: „Ich schulde niemandem in Griechenland Geld, und ich verstehe nicht, wie Sie so etwas annehmen können.“

„Ich nehme es nicht an, Miss Wareham, ich weiß es. Weil ich nämlich derjenige bin, dem Sie Geld schulden.“

Lizzie rang nach Luft und versuchte, ruhig zu bleiben. „Aber das ist unmöglich!“, rief sie aus.

Ilios hatte keine Lust, sich ihre Lügen noch länger anzuhören. „Sie schulden mir Geld, weil Sie am Bau dieses Apartmentkomplexes, den mein Cousin auf meinem Grund und Boden errichtet hat, beteiligt waren. Hinzu kommt die noch ausstehende Bezahlung von Rechnungen für erhaltene Waren und Dienstleistungen.“

„Das hat nichts mit mir zu tun. Die Rainhills waren die Auftraggeber“, verteidigte sich Lizzie.

„In dem Vertrag, den mein Cousin mir vorgelegt hat, steht aber unmissverständlich drin, dass Sie die Haftung übernehmen.“

Ich … nein … nein … das … das kann nicht sein“, stammelte Lizzie.

„Ich versichere Ihnen, dass es so ist.“

„Ich habe meinen Vertrag dabei, und da steht alles ganz klar drin“, beharrte Lizzie.

„Verträge kann man ändern.“

„Ich habe ganz bestimmt nichts geändert!“ Lizzies Gesicht brannte vor Ungläubigkeit und Verzweiflung.

„Können Sie das beweisen?“, fragte Ilios Manos kalt.

„In meinem Vertrag steht alles drin.“

„Das war nicht meine Frage. Der Vertrag, der sich in meinem Besitz befindet, legt eindeutig fest, dass Sie für die Abwicklung der Bezahlung zuständig sind. Und dazu kommt dann noch Ihr Anteil an den Kosten, die der Abriss verursacht hat. Außerdem muss das Land wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt werden, und das ist ebenfalls nicht umsonst.“

„Für den Abriss?“, wiederholte Lizzie völlig perplex. „Aber das hat nichts mit mir zu tun. Sie haben das Gebäude doch abreißen lassen, das haben Sie selbst gesagt …“

Sie musste sich sofort setzen. Sie war müde und geschockt und frustriert, aber sie wusste, dass sie vor diesem Mann mit dem versteinerten Gesicht keine Schwäche zeigen durfte. Auch wenn er aussah wie ein griechischer Gott, redete er mit ihr doch so grausam wie der Teufel persönlich, aus irgendeinem unerfindlichen Grund wild entschlossen, sie zu zerstören. Sie war fest davon überzeugt, dass er selbst sich nie auch nur den Hauch einer menschlichen Schwäche gestatten würde oder für jene, die schwach wurden, Entschuldigungen gelten ließ. Aber hier gab es nirgendwo eine Sitzgelegenheit, und verstecken konnte man sich auch nicht. Es gab kein Entkommen vor diesem Mann, der so entschlossen wirkte, sie für etwas, das sie nicht zu verantworten hatte, büßen zu lassen.

„Ich hatte keine andere Wahl, als den Komplex abzureißen“, sagte er. „Selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte ich ihn nicht behalten können. Er wies extreme bauliche Mängel auf. Genauer gesagt war er die reinste Todesfalle. Eine Todesfalle auf meinem Land, getarnt als ein Gebäude, von meiner Baufirma gebaut.“

Während er sprach, stand Ilios wieder lebhaft vor Augen, wie er sich gefühlt hatte, als er erfuhr, dass sein Cousin versuchte, den guten Namen des Unternehmens für seine finsteren Zwecke zu missbrauchen. Allein beim Gedanken daran schäumte er vor Wut.

Sein Unternehmen. Lizzie schaute automatisch auf den Schutzhelm mit dem Firmenlogo. Sie erinnerte sich an Basil Rainhills Grinsen, als er ihr erzählte, dass Manos Construction die Oberaufsicht übernommen hatte. Damals hatte sie geglaubt, er wäre so euphorisch, weil er ein echtes Schnäppchen gemacht hatte, aber jetzt …

„Ich weiß nichts über die Bauarbeiten. Ehrlich gesagt verstehe ich überhaupt nicht, worum es eigentlich geht. Ich war für die Innenausstattung zuständig, mehr nicht.“

„Wirklich, Miss Wareham, ich bitte Sie! Erwarten Sie ernsthaft, dass ich Ihnen glaube, obwohl ich einen Vertrag in Händen habe, aus dem eindeutig und zweifelsfrei hervorgeht, dass Sie einen zwanzigprozentigen Aktienanteil an dem Komplex halten?“

„Aber doch nur, weil die Rainhills mich für meine Arbeit nicht bezahlen konnten. Deshalb haben sie mir die Beteiligung angeboten.“

„Hören Sie, wie Sie zu Ihrem Anteil gekommen sind, interessiert mich nicht. Ich möchte einfach nur, dass Sie für die entstandenen Unkosten aufkommen.“

„Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein“, sagte Lizzie immer noch wie betäubt.

Sie wagen es, meine Worte anzuzweifeln?“ Ilios packte sie wieder an den Oberarmen. Was fiel ihr ein? Der Wunsch, sie zu bestrafen, sie zu zwingen, ihre Beleidigung zurückzunehmen … sie zu küssen, bis sich ihren Lippen nur noch ein leises Stöhnen der Kapitulation entrang, überwältigte ihn fast, sodass er mit all seiner Kraft um Selbstkontrolle ringen musste, um zu verhindern, dass die Barrieren zivilisierten Benehmens fielen.

Lizzie wusste, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Ilios Manos war kein Mann, der sich der Lüge bezichtigen ließ. Sein Stolz war ihm auf die Stirn tätowiert, er spiegelte sich in jedem seiner Gesichtszüge und vermutlich auch in jedem einzelnen seiner Gedanken.

Er hielt sie immer noch fest, die Berührung versengte ihre Haut. Ihre Brust hob und senkte sich, als sie empört nach Luft schnappte. Sofort glitt sein Blick über ihren Körper hinweg, fast als ob er wüsste, dass ihr Fleisch prompt auf seine Berührung reagiert und sie an einen unbekannten Ort katapultiert hatte. Wo sie sich mit einer Lizzie konfrontiert sah, die ihr gänzlich fremd war. Ihr Herz hämmerte unregelmäßig, ihre Sinne waren sich seiner Nähe überdeutlich bewusst, und ihre Blicke wurden von ihm angezogen wie von einem Magneten, sie klebten an seinem breiten Oberkörper, auf seinem Hals, seinem Mund.

Sie schwankte hilflos zwischen Ungläubigkeit und dem drängenden Wunsch, ihm noch näher zu sein. Ihre Brüste schwollen an und begannen zu schmerzen, als Reaktion auf eine schier unwiderstehliche Macht. Wie konnte ihr das passieren? Wie konnte ihr Körper auf Ilios Manos reagieren, als ob … als ob sie ihn begehrte? Es muss irgendeine seltsame Art von Schock sein, entschied Lizzie zitternd, als er sie losließ und fast von sich stieß.

„Ich habe nie behauptet, dass Sie lügen“, widersprach Lizzie heftig. „Ich glaube einfach nur, Sie sind falsch informiert. Aber davon abgesehen, warum machen Sie nicht Ihren Cousin für den Schaden haftbar, der Ihnen entstanden ist, statt mich zu schikanieren?“

Angriff war immer noch die beste Verteidigung, und sie hatte wahrlich Grund genug, sich zu verteidigen gegen das, was sie eben gefühlt hatte. Wie hatte das passieren können? Das war so gar nicht typisch für sie. So war sie nicht. So konnte sie einfach nicht sein. Sie musste an ihre Familie denken. Es war schlichtweg undenkbar, dass sie sich von einem Mann, den sie eben erst kennengelernt hatte, sexuell erregt fühlte, einem Mann, dem sie ganz offensichtlich unsympathisch war. Nein, das war unvorstellbar.

Entschieden ermahnte sie sich und sagte: „Immerhin gehören mir nur zwanzig Prozent des Apartmentblocks. Ihrem Cousin gehört das Land sowie ein Teil der Apartments, außerdem war er verantwortlich für den Bau, zumindest nach allem, was ich von den Rainhills weiß. Ich habe ihn selbst nie kennengelernt. Mich hat man nur beteiligt, weil man, wie schon gesagt, meine Arbeit nicht bezahlen konnte. Das ist alles.“

Das war Ilios bekannt, aber gerade jetzt war er nicht in Stimmung, sie aus der Verantwortung zu entlassen. Erst recht nicht, nachdem sein Cousin seinen Zorn neu entfacht hatte. Ilios wollte Rache, und er würde Rache bekommen. Obwohl er es hasste, anderen zu drohen, war er wild entschlossen, diese Person hier nicht ungeschoren davonkommen zu lassen.

„Mein Cousin ist schwer verschuldet. Dass die Rainhills untergetaucht sind, wissen Sie ja bestimmt. Und selbst wenn Ihr eigener Anteil an dem Apartmentblock nur zwanzig Prozent beträgt, enthält der Vertrag, den Sie unterschrieben haben, die Klausel, dass alle Unterzeichner füreinander haften. Das bedeutet, dass ich von Ihnen die gesamte Summe eintreiben kann.“

„Das … das kann nicht sein“, stammelte Lizzie in blankem Entsetzen.

Ilios schaute sie an. In ihrer Stimme schwang jetzt unüberhörbar Panik mit. Er konnte sehen, dass sie zitterte.

Alles nur Show, dachte er grimmig. Bloß Theater, mehr nicht.

„Ich versichere Ihnen, dass es so ist“, sagte er ungerührt.

„Aber so viel Geld kann ich unmöglich aufbringen.“ Genau genommen konnte sie überhaupt kein Geld aufbringen.

„Nein? Nun, ich muss Ihnen aber leider sagen, dass ich volle Entschädigung erwarte. Nicht nur für das Geld, das man mir schuldet, sondern auch für eine mögliche Rufschädigung meines Unternehmens. Eines Unternehmens, das ich im Schweiß meines Angesichts aufgebaut habe, aber das kann sich jemand wie Sie gar nicht vorstellen, dazu fehlt Ihnen die Fantasie. Sie haben auch eine Firma?“

„Ja“, gab Lizzie zurück. „Aber ich musste Konkurs anmelden. Die Immobilienkrise …“

Warum erzählte sie ihm das, wo sie nicht einmal ihren Schwestern reinen Wein eingeschenkt hatte über die schlimme Lage, in der sie sich befanden?

Ilios konnte ihr ansehen, wie hart das alles für sie war, aber er war entschlossen, jeden Funken Mitgefühl im Keim zu ersticken. Mitgefühl zu zeigen war eine Schwäche, und Schwäche konnte Ilios sich nicht leisten.

„Sie besitzen Immobilien? Das Haus, in dem Sie wohnen, nehme ich an?“, drängte er.

„Ja, aber da sind Hypotheken drauf, außerdem teile ich es mir mit meinen beiden Schwestern, von denen die eine zwei kleine Kinder hat und finanziell ganz von mir abhängig ist.“

Wieder wunderte sich Lizzie über ihre Auskunftsfreudigkeit – reine Panik wahrscheinlich.

„Hat Ihre Schwester denn keinen Vater für ihre Kinder? Und was ist mit Ihren Eltern?“

„Es gibt weder einen Vater noch Eltern. Obwohl Sie das absolut nichts angeht und für unsere Diskussion auch völlig unerheblich ist. Ich habe das Geld nicht, das Sie von mir verlangen, und ich wüsste auch nicht, wie ich es aufbringen sollte. Alles, was ich besitze, ist mein Körper und …“

„Und den bieten Sie mir als Bezahlung an?“

„Na hören Sie mal! Wie kommen Sie denn darauf!“, fauchte Lizzie empört.

Ihr prompter Rückzug, verbunden mit ihrer Vehemenz, fachte Ilios’ Zorn noch weiter an. Wollte sie damit andeuten, dass er ihr nicht gut genug war? Dass sie sich ihm moralisch überlegen fühlte? Nun, er würde ihr ganz schnell das Gegenteil beweisen.

„Jetzt tun Sie nicht so unschuldig, Ihr Angebot war unüberhörbar. Ich bin schließlich nicht von gestern.“

Lizzie konnte ihm ansehen, dass er sie um jeden Preis demütigen wollte. Weil er ihre sexuelle Reaktion auf ihn gespürt hatte?

„Das stimmt nicht, ich meine … ich wollte damit nur sagen, dass ich nichts besitze, was sich zu Geld machen ließe, um Sie zu bezahlen.“

„Außer Ihrem Körper.“

„Das habe ich nicht gemeint“, wiederholte Lizzie, jetzt vor Angst erstarrt. „Es ist einfach nur …“ Sie hielt sich den Kopf, weil vor Aufregung ihre Schläfen hämmerten. „Ich habe das Geld einfach nicht, verstehen Sie?“

Ilios hatte genug. Seine Wut ließ sich kaum mehr bezähmen. Er würde sich schon holen, was ihm zustand – wie auch immer.

„Also gut dann“, sagte er, und Lizzie bekam vor Erleichterung ganz weiche Knie. Offenbar hatte er endlich eingesehen, dass es sinnlos war zu versuchen, Geld aus ihr herauszupressen, das sie nicht hatte.

„Wenn Sie nicht mehr haben als Ihren Körper, werde ich mich wohl oder übel damit begnügen müssen. Eins jedenfalls ist sicher: Ungeschoren kommen Sie mir nicht davon.“

3. KAPITEL

Lizzie starrte Ilios völlig schockiert an.

„Das … das kann nicht Ihr Ernst sein!“, flüsterte sie tonlos. Im selben Moment flammte etwas Wildes und Leidenschaftliches in ihr auf – eine Art Sehnsucht, eine Erregung, ein heftiger Sog weiblichen Verlangens, von dem ihr ganzer Körper erfasst wurde, sodass sie zutiefst beschämt und verwirrt zurückblieb. Sie konnte diesen Mann nicht wollen – schon gar nicht unter derart abstoßenden Umständen.

„Es ist aber mein Ernst“, versicherte Ilios.

„Ich fasse es nicht, dass jemand so … so grausam und unmenschlich sein kann, so ohne einen Funken Mitgefühl.“

In Lizzies Tasche summte es, zum Zeichen dafür, dass eine SMS eingegangen war. Als sie, dankbar für die Ablenkung, nach ihrem Handy zu kramen begann, warf Ilios ihr einen verächtlichen Blick zu.

„Auch wenn Sie es gar nicht erwarten können, die Nachricht Ihres Lovers zu lesen, möchte ich doch sehr …“

„Sie ist von meinen Schwestern“, fiel Lizzie ihm ins Wort, ohne ihren Blick vom Display zu lösen. „Sie wollen nur wissen, ob alles in Ordnung ist …“

„Sagen Sie einfach, was für ein elender Schuft ich bin.“

„Bestimmt nicht“, widersprach Lizzie. „Ich möchte nämlich nicht, dass sich irgendwer Sorgen macht. Ich bin die Älteste. Ich habe die Pflicht, meine Familie zu beschützen.“

Ilios sagte nichts. In der Beschützerrolle wollte er sich diese Frau nicht unbedingt vorstellen.

„Die Sonne geht bald unter.“ Er deutete auf den Horizont. „Ich muss nach Thessaloniki zurück, deshalb schlage ich vor, dass wir unsere Diskussion dort fortsetzen.“

Das war ihre Chance auf eine dringend benötigte Verschnaufpause. Sie brauchte dringend etwas Abstand, um wieder klar denken zu können. Sie hasste den Gedanken, zu flüchten statt standzuhalten, aber bei diesem Mann schienen die normalen Regeln außer Kraft gesetzt.

„In Ordnung“, stimmte sie zu und griff wieder nach ihrem Handy.

„Was haben Sie vor?“, fragte Ilios.

„Ein Taxi rufen“, gab Lizzie zurück.

Ilios schüttelte den Kopf. „Das bringt nichts. Die Gegend hier ist zu abgelegen, da lässt sich kein Taxi rauslocken, außerdem benötigen Sie keins. Sie fahren mit mir.“

„Nein! Ich meine … nein danke. Ich bin lieber unabhängig“, beharrte Lizzie mit heftigem Herzklopfen.

„Stellen Sie sich nicht so an“, beschied Ilios sie ungnädig. „Ich versichere Ihnen, dass ich nicht vorhabe, mich an Ihnen zu vergreifen, auch wenn Ihr Körper das Einzige ist … na, Sie wissen schon. Im Übrigen schulden Sie mir so viel Geld, dass es mit einer schnellen Nummer auf dem Rücksitz garantiert nicht getan wäre.“

Noch während er sprach, griff Ilios nach ihrem Rollkoffer, sodass Lizzie nichts anderes übrigblieb, als zähneknirschend zu nicken.

„Hier geht’s lang“, verkündete er.

Er war von der Villa Manos zu Fuß über die Landzunge gelaufen, und es erschien ihm einfacher, auf demselben Weg wieder dorthin zurückzukehren. Lizzie hier warten zu lassen, während er das Auto holte, war sicher keine gute Idee. Er traute ihr nicht über den Weg, und er hatte keine Lust, sich von ihr ein zweites Mal übers Ohr hauen zu lassen.

Der schmale Weg stieg steil an. Vermutlich, um sie im Blick behalten zu können, bestand Ilios darauf, dass sie vorgehen sollte. Unter normalen Umständen hätte sie einen Abendspaziergang in so einer herrlichen Umgebung genossen. Was wohl der Grund dafür war, dass sie immer wieder ein paar Schritte vom Weg abwich, um noch mehr von der Landschaft sehen zu können.

Ilios beobachtete, wie der Wind in Lizzies Haar spielte, deshalb dauerte es einen Moment, bis er die Gefahr erkannte, in der sie schwebte.

Lizzie hatte fast den Rand der Landzunge erreicht, als sie hinter sich Ilios’ laute Stimme hörte: „Halt, stehen bleiben! Nicht bewegen!“

Das war ja wirklich das Allerletzte! Verlangte er jetzt auch noch von ihr, dass sie mit Scheuklappen durch die Gegend rannte? Durfte sie sich nicht einmal mehr umschauen? Lizzie war wild entschlossen, sich von ihm nicht länger bevormunden zu lassen, und ging trotzig weiter.

Als Ilios sah, dass seine Warnung wirkungslos verpuffte, ließ er ihren Rollkoffer los und setzte ihr nach.

Erst im allerletzten Moment dämmerte Lizzie die Erkenntnis. Dafür musste jedoch erst der Boden unter ihren Füßen nachgeben. Der Rand des Erdreichs bröckelte ab, und sie wusste, dass sie jeden Moment in die Tiefe stürzen würde. Genauer gesagt stürzte sie bereits – glücklicherweise aber nicht zusammen mit Erdreich und Geröll ins Meer, sondern auf den harten Boden der Landzunge. Und abgefedert von Ilios Manos’ Armen. Er war ihr nachgerannt, hatte sie von hinten gepackt und mit so viel Wucht zurückgerissen, dass sie beide eng umschlungen auf der Erde landeten.

Er hatte ihr aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben gerettet.

„Sind Sie verrückt geworden? Was machen Sie denn?“

„Auf jeden Fall hatte ich nicht vor, ins Meer zu springen, falls Sie das erwartet haben“, gab Lizzie spitz zurück. „Abgesehen von allem anderen habe ich nämlich keine Lebensversicherung, es wäre also sinnlos, wenn ich mich umbringe.“

„Heißt das, Sie hatten nicht vor, mir mit einer theatralischen Geste zu beweisen, dass Sie es vorziehen zu sterben, als sich entehren zu lassen?“, fragte er zynisch. „Gut so, weil Sie damit nur Ihre Zeit vergeudet hätten. Mit den Schulden, die Sie bei mir haben, haben Sie sich nämlich bereits selbst entehrt.“

„Ich wollte einfach nur die Aussicht genießen, sonst gar nichts. Woher sollte ich wissen, dass es gefährlich ist? Hier sind nirgends Warnschilder.“

„Wozu auch? Dieses Land ist Privateigentum, es ist ausschließlich für mich und zu meinem eigenen Vergnügen da. Jemand anders hat hier nichts verloren.“

Sie lagen immer noch auf der Erde, Lizzie wurde vom Gewicht seines Körpers niedergedrückt. Sie wusste, dass sie wenigstens versuchen sollte, ihn abzuwerfen, aber seine Worte – Privateigentum … ausschließlich für mich und zu meinem eigenen Vergnügen … – begannen in ihrer Fantasie höchst seltsame Blüten zu treiben. Sie beschworen ein sinnliches Szenario herauf, bei dem sie erfasst wurde von unbändigem Verlangen.

Solche Gefühle waren ihr normalerweise fremd. Und sie wollte sie nicht – schon gar nicht im Zusammenhang mit Ilios Manos, der nur entschlossen war, ihre Schwäche auszunutzen, so viel stand fest. Einen wildfremden Mann zu begehren, war für sie bisher unvorstellbar gewesen, so etwas passte nicht zu ihr. Es war mehr als besorgniserregend. Lizzie wünschte sich verzweifelt, ihre Gefühle ignorieren zu können, aber das war nicht möglich. Dafür waren die Empfindungen schlicht zu überwältigend.

Ilios konnte unter seiner Hand den Schlag ihres Herzens fühlen, hart und schnell wie das Herz eines gefangenen Vogels. Plötzlich war es, als gehörte sie ihm, genauso wie ihm auch dieses Land mit allem, was sich darauf befand, gehörte. Verbrieft durch uralte Gesetze und in jeder Zelle seines Körpers festgeschrieben. Sie gehörte ihm. Er hielt sie immer noch umschlungen. Ihre rechte Brust schmiegte sich warm und fest in die Wölbung seiner Hand, um einiges runder und voller, als ihre schlanke Gestalt vermuten ließ.

Unwillkürlich umfasste er ihre Brust fester und strich mit der Daumenkuppe versuchsweise über eine Knospe, die sich angesichts der Berührung spürbar verhärtete. Während er mit der anderen Hand ihren Körper näher an sich heranzog, verlagerte er sein Gewicht und schob ein Knie zwischen ihre von einer Jeans umschlossenen Schenkel.

Lizzies Welt – die Welt, die sie kannte – geriet außer Kontrolle. Die Hitzewellen, die durch ihren Körper vagabundierten, mussten etwas mit der globalen Erwärmung zu tun haben, die offenbar völlig aus dem Ruder gelaufen war. Ihre Brüste – und zwar alle beide, nicht nur die eine Brust, die er streichelte – lechzten nach seiner Berührung, während das verführerische männliche Knie, das sich zwischen ihre Schenkel geschoben hatte, in ihr den Wunsch erweckte, sich daran zu reiben und sich ihm und der köstlichen Sinnlichkeit, die es versprach, zu öffnen.

Dieser Mann war …

Dieser Mann war ihr Feind!

Was machte er da? Ilios hatte noch nie etwas für flüchtigen Sex übriggehabt, und doch streichelte er diese Frau, die da unter ihm lag, als ob es um sein Leben ginge. Als ob das Verlangen, das in seinen Adern pulsierte, so stark, so übermächtig und fordernd wäre, dass er keine andere Wahl hatte, als sich zu ergeben.

Einen Moment später versuchte Lizzie mit aller Kraft, ihn von sich zu stoßen. Sobald Ilios es merkte, rollte er sich von ihr herunter, genauso wütend auf sie wie auf sich selbst.

„Was fällt Ihnen ein? Dazu hatten Sie kein Recht“, fauchte Lizzie ihn an, in dem verzweifelten Wunsch, die gesamte Schuld an dem Vorfall auf ihn abwälzen zu können.

„Da war Ihr Körper aber offensichtlich anderer Meinung.“

Natürlich hatte einem Mann mit seiner sexuellen Ausstrahlung und dementsprechender Erfahrung ihre Reaktion nicht entgehen können. Lizzies Gesicht brannte vor Scham, als sie sich an die Flut wilder Gefühle erinnerte, die er in ihr ausgelöst hatte.

„Ach, denken Sie doch, was Sie wollen“, brummte sie wütend. „Ich kenne jedenfalls die Wahrheit.“

Natürlich kannte sie die. Und die Wahrheit war …

Sie wollte lieber nicht daran denken, was die Wahrheit war oder wie es sich angefühlt hatte, in seinen Armen zu liegen, von ihm berührt zu werden, bis ihre Sinne entflammt und ihre Abwehrkräfte erlahmt waren. Sie wollte an nichts anderes denken als daran, dass sie möglichst schnell möglichst viel Abstand zwischen sich und Ilios Manos legen musste.

„Wohin gehen wir?“, fragte Lizzie unsicher, nachdem sie wieder auf den Beinen war und einen Sicherheitsabstand zwischen sich und Ilios gelegt hatte.

„Bestimmt nicht zu einer einsamen Höhle, in der ich Sie gefangen halten kann und erwarte, dass Sie mir jeden Wunsch von den Augen ablesen, falls Sie sich etwas in der Art vorstellen. Wir befinden uns auf dem Weg zur Villa Manos, wo ich mein Auto abgestellt habe.“

„Zur Villa Manos? Wohnen Sie dort?“, fragte Lizzie einfach nur, um etwas zu sagen. Lieber über irgendeine Villa reden als an den gefährlichen Effekt denken, den seine vorhergehende Bemerkung auf sie gehabt hatte.

„Nein. Ich wohne in Thessaloniki, im Firmensitz von Manos Construction. Die Villa Manos ist alt und baufällig. Tino hat immer gehofft, dass wir sie eines Tages aus Sicherheitsgründen abreißen müssen, damit auf ihrem Grund und Boden etwas Neues entstehen kann. Aber das wissen Sie natürlich längst, er ist ja schließlich Ihr Geschäftspartner.“

Sie hatten die Kuppe des Hügels fast erreicht. Lizzie, die leicht außer Atem war, fuhr herum und erwiderte aufgebracht: „Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ich habe Ihren Cousin nie kennengelernt. Hoffentlich ist diese Botschaft jetzt endlich bei Ihnen angekommen.“

Ilios erklomm schweigend mit langen Schritten die letzten Meter bis zur Hügelkuppe. Lizzie war abrupt stehen geblieben und betrachtete fasziniert den Anblick, der sich ihr bot.

Unter ihr breitete sich, übergossen von den letzten Strahlen der goldenen Abendsonne, am Ende einer langen, von Zypressen gesäumten Auffahrt ein wunderschönes Anwesen aus. Es lag leicht erhöht inmitten einer italienisch anmutenden Parkanlage, perfekt eingerahmt von den dunkelgrünen Zypressen und der Ägäis im Hintergrund.

„Die Villa Emo“, sagte Lizzie andächtig mit leicht heiserer Stimme. Sie wandte sich Ilios zu und ergänzte ungläubig: „Oder zumindest eine ziemlich originalgetreue Kopie.“

Zu beiden Seiten des Haupthauses erstreckte sich in perfekter Symmetrie je ein Bogengang – bei der Originalvilla waren das ursprünglich Farmgebäude gewesen, wie Lizzie wusste – mit kunstvoll überdachten Taubenschlägen am Ende. Das Hauptgebäude hingegen stellte eine unverfälschte Kopie des italienischen Originals dar.

„Sie ist wirklich wunderschön“, staunte Lizzie ehrfürchtig, wobei sie sich fragte, wie um Himmels willen die Villa, die der berühmte italienische Baumeister Andrea Palladio für die Familie Emo gebaut hatte, ihren Weg auf diese entlegene Landzunge Griechenlands gefunden hatte.

„Eine tödliche Schönheit, könnte man auch sagen. Weil der Wunsch von jemandem, sie zu besitzen, in Widerstreit geriet mit der unbeugsamen Entschlossenheit meines Großvaters, sie unter gar keinen Umständen herzugeben – eine Entschlossenheit, die meinen und Tinos Vater das Leben gekostet hat.“ In Ilios’ Stimme schwang tiefe Verbitterung mit.

Ohne Lizzie ein Zeichen zu geben, begann er, den steilen Hang zur Villa hinabzusteigen. Lizzie folgte ihm automatisch. Nachdem sie ihn eingeholt hatte, brach es aus ihr heraus: „Was ist passiert … mit Ihrem Vater, meine ich?“ Immerhin hatte sie ebenfalls ihre Eltern verloren und wusste aus eigener Erfahrung, wie schmerzhaft ein solcher Verlust war.

„Was passiert ist?“ Ilios blieb so unvermittelt stehen, dass Lizzie um ein Haar mit ihm zusammengeprallt wäre. Sie konnte es nur verhindern, indem sie sich instinktiv an seinem Oberarm festhielt, aber sie ließ sofort wieder los. Zu ihrer eigenen Sicherheit und zur Wahrung ihres Seelenfriedens. Wobei sie allerdings nicht verhindern konnte, dass sie ein weiteres Mal von einer Woge des Verlangens überschwemmt wurde. Wieso hatte dieser Mann bloß so eine Wirkung auf sie? Lizzie konnte die Frage nicht beantworten, und eigentlich wollte sie es auch gar nicht. Sie wünschte sich einfach nur, dass es anders wäre.

Da Ilios fortfuhr, versuchte sie, sich auf das zu konzentrieren, was er sagte, und nicht auf das, was sie fühlte.

„Die damals regierende Junta sah sich genötigt, meinen Großvater vor die Wahl zwischen der Villa und dem Leben seiner Söhne zu stellen, nachdem mein Großvater sich geweigert hatte, die Villa an einen ihrer Generäle zu verkaufen. Da sind sie bei meinem Großvater allerdings an den Falschen geraten. Er entschied sich nämlich für die Villa.“

„Und gegen sein eigen Fleisch und Blut?“ Was für ein Horror! Lizzie erschauerte. „Wie konnte er so etwas tun?“

Inzwischen waren sie bei den Ausläufern der Parkanlage angelangt, aber Ilios schlug einen Weg ein, der um den Park herumführte. Lizzies Enttäuschung hielt sich in Grenzen. Obwohl sie den Park natürlich gern aus der Nähe gesehen hätte, war sie in Gedanken immer noch bei dem, was Ilios ihr eben erzählt hatte.

„Sie ließen ihm keine Wahl“, erwiderte Ilios, während sie den kiesbestreuten Hof betraten, wo der Wagen parkte.

Lizzie stutzte. Aber sein Großvater hatte doch eine Wahl gehabt, oder nicht?

„Und was ist passiert … mit Ihrem Vater?“

„Er wurde erschossen. Sie wurden beide erschossen, wenn auch nicht zum gleichen Zeitpunkt. Tinos Vater – er war der jüngere Bruder – hatte man ursprünglich freigelassen. Angeblich war es ihm gelungen, die Junta davon zu überzeugen, dass es ihm gelingen könnte, seinen Vater zu überreden, seine Meinung doch noch zu ändern. Und nachdem sein Versuch erfolglos geblieben war, erlitten beide dasselbe Schicksal. Mit dem einzigen Unterschied, dass mein Vater mit verbundenen Augen vor ein Hinrichtungskommando treten musste, während mein Onkel auf der Flucht erschossen wurde.“

Lizzie erschauerte.

„Wie entsetzlich … Ihre arme Mutter.“

„Ich glaube nicht, dass sie es allzu schwer nahm. Meine Eltern waren nur ein paar Monate verheiratet – eine arrangierte Ehe, wie das bei den meisten Dynastien so üblich ist –, und bei meiner Geburt war die Junta bereits gestürzt.“

Lizzie graute vor dem, was er sagte.

„Dann haben Sie Ihren Vater nie kennengelernt?“

„Nein.“

„Und was passierte mit Ihrer Mutter?“

„Sie hat wieder geheiratet – einen Cousin, in den sie schon vorher verliebt war. Ich wuchs bei meinem Großvater auf.“

„Ihre Mutter hat Sie weggegeben?“

Ihr Mitgefühl, das mit jeder einsilbigen Antwort von ihm wuchs, begann, gigantische Ausmaße anzunehmen. Anders als er waren sie und ihre Schwestern von ihren Eltern immerhin geliebt worden und hatten Erinnerungen an eine wunderschöne Kindheit, auch wenn sie ihre Eltern viel zu früh verloren hatten. Was für ein Unterschied zu einer so kalten Kindheit, wie Ilios sie erlebt haben musste.

„Ihrer Meinung nach hatte meine Mutter ihre Pflicht erfüllt, indem sie meinen Vater geheiratet und ihm einen Sohn geboren hatte. Anschließend sah sie es als ihr gutes Recht an, dem Ruf ihres Herzens zu folgen, der aber nicht mich meinte.“

„Und wo ist sie jetzt? Haben Sie Kontakt?“

„Sie kam zusammen mit ihrem zweiten Mann bei einem Sturm auf hoher See ums Leben.“

Natürlich war es verständlich, dass jemand ein Schmuckstück wie dieses Anwesen in der Familie behalten wollte, aber doch gewiss nicht um den Preis des Lebens der eigenen Kinder? Wie konnte ein Mann seine eigenen Söhne opfern, so wie Ilios’ Großvater es getan hatte?

„Die Villa Manos ist kein normales Erbe, sondern ein heiliges Vermächtnis“, erklärte Ilios kalt, fast als ob er ihre Gedanken gelesen hätte. „Jeder Manos, der den Schlüssel dazu in der Hand hält, muss für einen Nachkommen sorgen, an den er diesen Schlüssel weitergeben kann. Da mein Cousin der ältere von uns beiden ist, wuchs er – wie ich auch – in der Überzeugung auf, dass unser Großvater den Schlüssel an ihn weitergeben würde.“

„Und warum hat er es nicht getan?“, konnte Lizzie sich nicht verkneifen zu fragen.

„Ich beschloss schon in sehr jungen Jahren, draußen in der Welt mein Glück zu machen, während Tino lieber auf der faulen Haut lag und von dem wenigen lebte, was der Familie geblieben war. Das brachte unseren Großvater wohl am Ende zu der Überzeugung, dass unser Familienerbe bei mir in besseren Händen ist. Der Grund und Boden wurde ursprünglich zwischen Tino und mir aufgeteilt, aber das Haus fiel an mich.“

In mehrfacher Hinsicht eine griechische Tragödie, dachte Lizzie, während sie Ilios zu einem luxuriösen Wagen folgte, den sie bei näherem Hinsehen als einen Bentley identifizierte. Als Ilios ihr die Beifahrertür aufhielt, wusste Lizzie, dass sie keine andere Wahl hatte als einzusteigen.

Was für ein grausames blutbeflecktes Erbe, dachte Lizzie bedrückt, während die Limousine die mit Schlaglöchern übersäte Straße hinunterfuhr.

Als sie auf die Hauptstraße nach Thessaloniki abbogen, dämmerte es bereits. Für Lizzie, die um fünf Uhr früh aufgestanden war, war es ein langer Tag gewesen, und die ganze Aufregung trug zu ihrer Erschöpfung noch bei. Das leise gleichmäßige Summen des Motors wirkte so einschläfernd, dass ihr immer wieder die Augen zufielen. Und irgendwann schlief sie tatsächlich ein.

Ilios musterte sie verstohlen aus dem Augenwinkel. Der Knochenbau ihres hellhäutigen Gesichts wirkte zart und elegant, die ebenmäßigen Gesichtszüge hatten etwas klassisch Zeitloses. Die Loyalität, die sie ihrer Familie entgegenbrachte, glich der Familienloyalität, die einer der Grundpfeiler der traditionellen griechischen Gesellschaft war. Und noch während er sie betrachtete, begann ihm zu dämmern, dass sie keine jener Frauen war, die ein Mann einfach mal nebenbei vernaschte, sondern dass sie eine Frau zum Heiraten war.

Ilios atmete laut aus.

Als der Bentley einem tiefen Schlagloch ausweichen musste, erwachte Lizzie. Sie fuhr hoch, runzelte die Stirn und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.

„Oh, ich muss unbedingt eine SMS schreiben“, sagte sie und begann auch schon, in ihrer Tasche nach ihrem Handy zu fahnden.

„Wird der Lover sonst ungeduldig?“, spöttelte Ilios.

„Nein! Es gibt keinen Lover“, gab Lizzie gereizt zurück.

Dunkle Augenbrauen hoben sich. „Warum so pampig? Es ist doch völlig normal, wenn eine Frau in Ihrem Alter einen Mann im Bett und im Leben hat. Wie alt sind Sie? Vier… fünfundzwanzig? Immerhin schwer vorstellbar, dass Sie noch Jungfrau sind.“

„Natürlich nicht!“, sagte Lizzie empört. „Im Übrigen bin ich siebenundzwanzig.“

Natürlich nicht. Auch wenn ihre letzte sexuelle Beziehung – ihre einzige, um genau zu sein – Jahre zurücklag. Damals hatte sie noch studiert. Und es war auch keine ernste Geschichte gewesen. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, sich zu fragen, ob sie mit diesem Jungen ihr Leben verbringen wollte. Und dieser umgekehrt mit Sicherheit auch nicht. Damals war alles anders. Sie war jung gewesen, und das Leben hatte Spaß gemacht. Aber dann waren ihre Eltern umgekommen, und der Spaß war vorbei gewesen.

„Und pampig bin ich auch nicht. Es liegt einfach nur daran, dass ich Wichtigeres im Kopf habe als Männer.“

„Zum Beispiel?“

„Zum Beispiel muss ich an meine Familie denken. Ich habe zwei Schwestern und zwei kleine Neffen. Und genau gesagt sind es eben jene Neffen, denen ich jetzt sofort eine SMS schicken muss. Weil ich heute nicht da sein kann, um ihnen eine Gutenachtgeschichte vorzulesen, obwohl ich eigentlich an der Reihe wäre.“ Lizzies Stimme klang erstickt. „Meine Familie ist mir tausendmal wichtiger als Männer. Sie hat für mich oberste Priorität. Meine Schwestern und meine Neffen brauchen mich, ich kann sie nicht im Stich lassen. Sie bedeuten mir viel mehr als irgendein … irgendein flüchtiges sexuelles Abenteuer.“

Ilios versuchte, die Gefühlsregungen zu überhören, die in ihrer Stimme mitschwangen, wenn sie von ihrer Familie redete. In seinem Leben war kein Platz für Emotionen, weder jetzt noch sonst irgendwann.

„Auf schlechten Sex kann man jederzeit verzichten“, beschied er Lizzie kühl. „Vielleicht sind Sie ja nichts anderes gewöhnt. Ein guter Liebhaber zeichnet sich dadurch aus, dass er seiner Partnerin unvergessliche Stunden schenkt.“

„Das sagt sich so leicht“, erwiderte Lizzie in dem hoffnungslosen Bemühen, dieselbe Lakonie und Abgebrühtheit an den Tag zu legen wie er. In Wahrheit hatte seine dahingeworfene Bemerkung eine heftige und ganz und gar unerwünschte Wirkung auf sie. Sie fühlte sich plötzlich mit Fragen konfrontiert, die sie nicht beantworten konnte. Zum Beispiel, was für eine Art Liebhaber Ilios Manos wohl sein mochte.

„Gar nicht. Man muss einfach nur wissen, wie.“

Lizzie schnappte nach Luft.

Natürlich war Ilios Manos ein erfahrener Liebhaber. Natürlich wusste er ganz genau, wie man einer Frau Lust schenkte – selbst einer, die so unerfahren war wie sie.

Plötzlich geriet sie heftig ins Trudeln. Sie wurde von einer Flut gefährlicher Empfindungen und Sehnsüchte überschwemmt und – Himmel, ja – auch Bildern von sinnlich ineinander verschlungenen Körpern, sodass sie fast das Gefühl hatte zu ertrinken. Hör sofort auf, warnte sich Lizzie panisch. Das konnte sie sich nicht durchgehen lassen, auf gar keinen Fall. Das war viel zu gefährlich.

Entschlossen konzentrierte sie sich auf das Tippen der SMS an die Zwillinge und versprach ihren Schwestern, sich zu melden, sobald es Neuigkeiten gab.

„Ich nehme an, dass Ihre Schwestern über den Anlass Ihrer Reise informiert sind?“, erkundigte sich Ilios.

Autor

Penny Jordan

Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...

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