Bianca Exklusiv Band 284

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HELL LEUCHTET DER LIEBESSTERN von THAYNE, RAEANNE
Wayne Daltons Tag fängt nicht gut an: Sein Sohn setzt versehentlich die Küche in Brand. Seine Tochter schmollt. Seine Mutter ist mit einem zwielichtigen Künstler durchgebrannt. Doch unverhofft taucht die Tochter besagten Künstlers auf - und verzaubert Waynes einsames Herz …

SPRICHT DEIN BLICK DIE WAHRHEIT? von PADE, VICTORIA
Obwohl er von seiner verstorbenen Frau belogen und betrogen wurde, wagt Luke Walker es, seiner hübschen Schwägerin Karis zu vertrauen. In zärtlichen Stunden mit ihr erlebt er eine nie gekannte Wärme und Leidenschaft. Bis Karis ihm gesteht, was sie bisher verschwiegen hat ...

GROßES HERZ SUCHT GROßES GLÜCK von GREEN, CRYSTAL
Ashlyn hat ein großes Herz - das sie oft in Schwierigkeiten bringt: Heimlich will sie einer Nachbarin Geld zustecken. Aber als sie um deren Haus herumstreicht wie eine Diebin, wird sie auf frischer Tat von dem neuen Sheriff ertappt: ausgerechnet Sam Reno - ihr Jugendschwarm!


  • Erscheinungstag 26.05.2017
  • Bandnummer 0284
  • ISBN / Artikelnummer 9783733733049
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

RaeAnne Thayne, Victoria Pade, Crystal Green

BIANCA EXKLUSIV BAND 284

1. KAPITEL

An Wayne Daltons sechsunddreißigstem Geburtstag brannte seine Mutter mit einem wildfremden Mann durch.

Sie hinterließ ihrem Sohn eine Schokoladentorte auf der Arbeitsfläche in der Küche, zwei neue Kriminalromane von seinen Lieblingsautoren und eine kurze, aber eindeutige Nachricht in ihrer schwungvollen Handschrift.

Mein Lieber,

herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Es tut mir leid, dass ich ihn nicht mit Dir feiern kann, aber wenn Du diese Zeilen liest, werden wir in Reno und ich die neue Mrs. Quinn Montgomery sein. Ich weiß, ich hätte es Dir sagen sollen, aber mein Kuschelbär fand es so besser. Romantischer. Ist das nicht süß? Du wirst ihn mögen, das verspreche ich. Er sieht gut aus, ist lustig und lässt mich wieder träumen. Sag den Kindern, dass ich sie liebe und bald zurück bin.

PS. Natalie muss heute ihre Buchbesprechung in der Schule abgeben. Achte darauf, dass sie sie nicht vergisst!

PPS. Tut mir leid, dass ich Dich im Stich lassen muss, aber ich dachte mir, Seth und Natalie kommen eine Woche ohne mich zurecht. Und Du auch. Du wirst mit allem fertig.

Versteh mich nicht falsch, Wayne, aber Du solltest nicht vergessen, dass Deine Kinder wichtiger als Deine verdammten Rinder sind.

Bin nach den Flitterwochen wieder da.

Wayne starrte fünf Minuten lang auf die Nachricht. Die einzigen Geräusche in der Küche der Cold Creek Ranch stammten vom Kühlschrank und der Uhr, die Andrea so sehr geliebt hatte. Sie hing über dem Herd und hatte die Form eines rosigen Schweins.

Was zum Teufel sollte er jetzt tun?

Seine Mutter und ihr Kuschelbär hätten sich keinen schlimmeren Zeitpunkt aussuchen können, und das wusste Marjorie auch ganz genau. Wayne brauchte ihre Hilfe! Er musste sechshundert Rinder auf den Markt bringen, bevor der erste Schnee fiel. Außerdem fand in Cheyenne ein Reitturnier mit angeschlossener Auktion statt, und in einer knappen Woche wollte ein Fernsehteam auf die Ranch kommen, um einen Bericht über die Zukunft der amerikanischen Rinderzucht zu drehen.

Die Reporterin erwartete, dass Wayne ihm die bahnbrechenden Neuerungen zeigte, die er in den letzten Jahren eingeführt hatte, und die Cold Creek Ranch von ihrer besten Seite präsentierte.

Wie sollte er das alles schaffen, wenn er auch noch Codys Windeln wechseln, Tanner einfangen und Natalies Lunchbox füllen musste?

Wayne überflog die Nachricht ein zweites Mal, und langsam ging sein Entsetzen in Empörung über. Irgendetwas von dem, was seine Mutter geschrieben hatte, schien ihn besonders zu ärgern. Er überlegte noch, was es war, da knarrte die Hintertür, und kurz darauf betrat sein jüngster Bruder die Küche, unrasiert und verschlafen.

„Kaffee. Ich brauche ihn heiß und schwarz und habe gerade gemerkt, dass ich keinen mehr habe.“

Wayne ließ seinen Ärger an ihm aus. „Du siehst grauenhaft aus.“

Seth zuckte mit den Schultern. „Ich bin spät nach Hause gekommen. Im Bandito war Ladies’ Night, und ich konnte all die süßen Mädchen nicht allein Billard spielen lassen. Wo ist der Kaffee?“

„Es gibt keinen. Und auch kein Frühstück. Du hast nicht zufällig Mom aus dem Haus schleichen sehen, als du dich um zwei Uhr morgens – zweifellos mit einem oder zwei der süßen Mädchen – ins Gästehaus geschleppt hast?“

Sein Bruder blinzelte mehrmals. „Was?“

Wayne warf ihm die Nachricht zu, und Seth rieb sich die Augen, bevor er sie aufhob.

„Wusstest du davon?“, fragte Wayne.

Seth ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Nichts Genaues.“

Was wusstest du denn?“, knurrte sein Bruder.

„Dass sie irgendeinem Typen, den sie durch ihre sogenannte Lebensberaterin kennengelernt hat, E-Mails geschickt hat. Ich hätte nicht gedacht, dass es so ernst ist. Jedenfalls nicht ernst genug, um nach Reno durchzubrennen.“

Plötzlich wurde Wayne klar, was ihn an diesem ganzen Fiasko am meisten entsetzte. Wenn Du das hier liest, werde ich die neue Mrs. Quinn Montgomery sein, hatte seine Mutter geschrieben.

Montgomery war der Nachname dieser Spinnerin, der seine Mutter in den letzten sechs Monaten ein kleines Vermögen gezahlt hatte – und das nur, um ihrem Leben „mehr Sinn“ zu geben.

Caroline Montgomery.

Er kannte den Namen gut, denn er hatte ihn oft genug auf den fetten Schecks gelesen, die Marjorie ausgeschrieben hatte.

Das war allein Caroline Montgomerys Schuld. Sie musste seine Mutter auf die Idee gebracht haben, dass sie nicht glücklich war und mehr aus sich machen sollte. Dass sie Spaß, Abenteuer, Romantik brauchte. Und dann hatte sie Marjorie mit irgendeinem gerissenen älteren Herrn – vielleicht ihrem Bruder oder Onkel? – bekannt gemacht, um etwas mehr Würze in die triste Existenz einer einsamen Witwe zu bringen.

Was war denn an Marjories Leben so schlecht gewesen, dass sie einen wildfremden Mann brauchte, um es zu verbessern?

Sicher, seine Mutter hatte ein paar Macken. Heute war nicht nur Waynes Geburtstag, es war auch der achtzehnte Todestag seines Vaters, und seitdem hatte seine Mutter eine Marotte nach der anderen gepflegt. Sie machte Yoga, sie interessierte sich mehr für ihre Chakren als für ihren Kontostand, und sie ging zu Treffen in der Bibliothek von Pine Gulch, bei denen sie und ihre Freundinnen jedes feministische, männerfeindliche Selbsthilfebuch lasen, das sie in die Finger bekamen.

Er hatte wirklich versucht, sie zu verstehen. Marjories Ehe mit Hank Dalton war nicht gerade glücklich gewesen. Sein Vater hatte seine Mutter mit der gleichen Herablassung behandelt, unter der auch seine Kinder gelitten hatten. Hanks Tod war für Marjorie wie eine Befreiung gewesen, und Wayne konnte ihr nicht verdenken, dass sie danach etwas über die Stränge geschlagen hatte.

Außerdem, als er sie in den schrecklichen Tagen nach Andreas Tod gebraucht hatte, war seine Mutter zur Stelle gewesen. Ohne dass er sie fragen musste, hatte sie ihre Kristalle und die Yoga-Matte eingepackt und war wieder auf die Ranch gezogen, um ihm zu helfen. Sonst wäre er verloren gewesen, ein alleinerziehender Vater mit drei Kindern, die jünger als sechs waren, eines davon erst eine Woche alt.

Er wusste, dass sie mit ihrem Leben nicht zufrieden war, hatte aber nicht damit gerechnet, dass sie so weit gehen würde. Und das hätte sie auch nicht getan, wären da nicht diese gerissene Caroline Montgomery gewesen und der männliche Verwandte, mit dem diese Frau offenbar unter einer Decke steckte.

Als von oben ein wütender Aufschrei kam, hätte Wayne am liebsten mit der Stirn auf die Tischplatte gehämmert. Erst halb sieben am Morgen, und es fing schon an. Wie um alles in der Welt sollte er das alles schaffen?

„Soll ich Cody holen?“, fragte Seth nun, als Waynes Sohn immer lauter nach seiner Großmutter verlangte. Gramma, Gramma, Gramma.

Wayne war versucht, Ja zu sagen, beherrschte sich jedoch. Es waren seine Kinder, und er musste allein mit ihnen fertig werden.

Er zog die Jeansjacke aus und hängte den Stetson an den Haken an der Tür.

„Ich mache das schon. Kümmere dich um das Vieh, und dann müssen wir das Heu einfahren, das wir gestern gemäht haben. Es soll am Nachmittag regnen, daher müssen wir uns beeilen. Was die Kinder angeht, da wird mir schon etwas einfallen. Ich komme so bald wie möglich nach.“

Seth nickte. „Na gut. Viel Glück.“

Du wirst es brauchen. Sein Bruder sprach es nicht aus, aber Wayne hörte die Worte dennoch.

Er war ganz Seth’ Meinung.

Zwei Stunden später wurde Wayne klar, dass er wesentlich mehr als nur Glück brauchen würde.

„Halt doch endlich still“, befahl er dem zappelnden Cody und versuchte, ihm eine Windel anzuziehen, während Tanner und Natalie sich in der Küche lauthals stritten.

„Daaad!“, rief seine achtjährige Tochter. „Tanner wirft mit Cornflakes nach mir. Sag ihm, dass er aufhören soll! Das neue Shirt, das Grandma mir gekauft hat, ist schon ganz nass und fleckig!“

„Tanner, hör auf“, befahl Wayne. „Natalie, wenn du dich nicht beeilst, wirst du den Schulbus verpassen, und ich habe keine Zeit, dich hinzufahren.“

„Nie hast du Zeit für etwas“, murmelte sie, bevor er etwas Warmes an der Brust fühlte. Als er den Blick senkte, sah er in Codys strahlendes Gesicht.

„Cody Pipi.“

Wayne biss die Zähne zusammen. „Ja, das habe ich gemerkt.“

Eilig zog er seinem Sohn den Overall und das Spider-Man-Shirt an und wehrte sich gegen das schlechte Gewissen.

Er machte seine Sache nicht sonderlich gut. Er liebte seine Kinder, aber es war viel leichter gewesen, ihr Vater zu sein, als Andrea noch gelebt hatte.

Andrea hatte die Familie zusammengehalten. Sie hatte an die Impfungen gedacht, Natalies Haar zu einem süßen kleinen Pferdeschwanz gebunden und stundenlang Brettspiele mit ihnen gespielt. Seine Rolle war die des gutmütigen Vaters gewesen, der die Kinder zu Bett brachte und sich am Sonntag manchmal die Zeit nahm, mit ihnen zu Mittag zu essen.

Die zwei Jahre seit Andreas Tod hatten ihn nur darin bestärkt, dass Kindererziehung nicht seine Stärke war. Ohne Marjorie hätte er nicht gewusst, was er tun sollte.

Vermutlich hätte er jämmerlich versagt, genau wie jetzt.

Er wollte Cody in die Küche tragen, aber der kleine Junge hatte andere Vorstellungen. „Runter, Daddy. Runter.“

Wayne stellte ihn ab, und sein Sohn rannte los. „Natalie, kannst du kurz auf Cody aufpassen?“, rief er. „Ich muss mich umziehen.“

„Nein, kann ich nicht“, antwortete sie. „Der Bus ist da.“

„Vergiss deine Buchbesprechung nicht“, sagte er, aber die Tür fiel ins Schloss, und er war ziemlich sicher, dass Natalie ihn nicht mehr gehört hatte.

Er befahl Tanner, sich fünf Minuten lang zu benehmen, brachte Cody nach oben und zerrte das letzte saubere Hemd aus dem Schrank. Mom hätte wenigstens bis nach dem Waschtag warten können, dachte er. Jetzt würde er auch das noch erledigen müssen.

Er schnappte sich Cody und ging wieder nach unten. Sie hatten fast den Fuß der Treppe erreicht, als es an der Haustür läutete.

„Ich mache auf!“, rief Tanner und eilte nach vorn, noch immer im Schlafanzug.

„Nein, ich! Ich!“ Cody wand sich aus Waynes Armen und rutschte die letzten Stufen hinunter. Wayne war nicht sicher, wie die beiden es schafften, aber die Jungen waren vor ihm an der Tür.

Tanner öffnete sie und riss die Augen weit auf, als er eine fremde Frau vor sich sah. Wayne konnte es ihm nicht verdenken, denn die Besucherin sah sehr hübsch aus. Ihr braunes Haar war zu einem lockeren Nackenknoten gebunden, die Augen schokoladenbraun, das Gesicht zart und anmutig.

Sie trug eine rostbraune Jacke, eine hellbraune Hose und eine strahlend weiße Bluse, dazu eine bronzefarbene Halskette, passende Ohrringe, ein Armband mit einem Talisman und eine schmale goldene Uhr.

Er hatte keine Ahnung, wer sie war, und sie schien auch keine Eile zu haben, es ihm zu erklären. Vermutlich eine Touristin, die in Jackson die falsche Ausfallstraße genommen hat und nach dem Weg fragen will, dachte er.

„Kann ich Ihnen helfen?“

„Oh. Ja.“ Sie blinzelte. „Bin ich hier richtig auf der Cold Creek Ranch?“

Nein. Keine Touristin. Während Tanner hinter seinen Beinen hervorlugte und Cody die Arme nach ihm ausstreckte, ließ Wayne den Blick von ihrem Haar zu den teuren Schuhen wandern.

Falls sie eine Vertreterin war, die ihm Rancherbedarf verkaufen wollte, würde er ihr wahrscheinlich alles abnehmen, was sie anzubieten hatte.

„Sie haben uns gefunden“, erwiderte er.

Sie lächelte erleichtert. „Da bin ich aber froh. Die Wegbeschreibung war nicht sehr genau, und ich war schon auf zwei anderen Ranches. Könnte ich bitte Marjorie Dalton sprechen?“

Ja, das würden im Moment alle Menschen gern tun. „Leider haben Sie kein Glück. Sie ist nicht hier.“

Direkt vor seinen Augen schien sich die attraktive, selbstsichere Frau in ein bemitleidenswertes Geschöpf zu verwandeln. Sie ließ die Schultern hängen, machte den Mund auf, ohne etwas zu sagen, und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, nahm er in ihnen zum ersten Mal Erschöpfung war, und am liebsten hätte er sie in die Arme genommen und getröstet.

„Können Sie mir … wissen Sie, wo ich sie finden kann?“

Er hatte nicht vor, einem fremden Menschen zu erzählen, wo seine Mutter sich aufhielt. „Warum sagen Sie mir nicht, was Sie von ihr wollen, und ich richte es ihr aus?“

„Es ist kompliziert. Und privat.“

„Dann werden Sie wohl in einer Woche wiederkommen müssen.“ Frühestens. Er konnte nur hoffen, dass Marjorie bis dahin dort war, wohin sie gehörte.

„In einer Woche?“ Die Besucherin erbleichte. „Nein! Ich bin zu spät. Sie ist nicht hier, oder?“

„Das habe ich doch gerade gesagt.“

„Nein, ich meine, ist sie wirklich nicht hier? Nicht nur in der Stadt, zum Einkaufen? Die beiden sind miteinander durchgebrannt, richtig?“

Misstrauisch sah er sie an. „Wer sind Sie, und was wollen Sie von meiner Mutter?“

Die Frau seufzte müde. „Sie müssen Wayne sein. Ich habe schon viel über Sie gehört. Mein Name ist Caroline Montgomery. Marjorie und ich schreiben uns seit Monaten E-Mails. Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll, Mr. Dalton … aber ich glaube, Marjorie ist mit meinem Vater durchgebrannt.“

Der große, gut aussehende Mann, der mit zwei kleinen Jungen – einer auf dem Arm, der andere hielt sich an seinem Gürtel fest – vor ihr stand, wirkte gar nicht schockiert. Nein, es war kein Schock, der seinen Mund schmal und die blauen Augen kühl werden ließ.

Caroline spürte seinen Zorn so deutlich, dass sie instinktiv zurückwich, bis sie gegen einen Verandapfosten stieß.

„Ihr Vater!“, knurrte er. „Ich hätte es wissen müssen. Wie war das noch mit den Äpfeln, die nicht weit vom Stamm fallen?“

Wäre sie nicht so müde, weil sie die ganze Nacht unterwegs gewesen war, hätte sie vielleicht begriffen, wovon er redete. „Wie bitte?“

„Was ist los, Lady? Haben Sie Marjorie nicht schon genug Geld für Ihre sogenannte Lebensberatung abgeknöpft? Wollen Sie Ihr alles abnehmen, was sie hat?“

Sie kam nicht dazu, ihm zu antworten.

„Ist das Ihre Masche? Wie viele wohlhabende Witwen haben Sie schon ausgeplündert? Sie ziehen sie an Land, spionieren ihre finanzielle Situation aus, und den Rest erledigt Ihr alter Herr?“

Caroline wurde übel, und sie zitterte vor Wut darüber, dass Quinn sie einmal mehr in eine peinliche Lage gebracht hatte. Angesichts der wenig Vertrauen erweckenden Vergangenheit ihres Vaters war es kein Wunder, dass Marjories Sohn sich so aufregte.

Aber vor diesem arroganten Mann würde sie auf keinen Fall zu Kreuze kriechen. Daher straffte sie entschlossen die Schultern. „Sie täuschen sich.“

„Ach, wirklich?“

„Ja! Ich war über diese Geschichte genauso empört wie Sie. Mein Vater hat mir nichts davon erzählt – dass er und Marjorie sich kennen, weiß ich erst, seit er mich gestern Abend per E-Mail informiert hat, dass er sich mit Marjorie trifft und sie beide nach Reno fahren.“

„Warum sollte ich Ihnen das glauben?“

„Mir ist vollkommen egal, ob Sie mir glauben! Es ist die Wahrheit.“

Wie oft hatte sie sich Quinns wegen schon verteidigen müssen? Sie hatte sich geschworen, damit aufzuhören, aber jetzt fragte sie sich, ob sie es jemals schaffen würde.

Was hatte ihr Vater vor? Sie würde gern glauben, dass er wirklich so verliebt war, wie er in seiner E-Mail angedeutet hatte.

Ich wollte nicht, dass es passiert. Es hat uns beide vollkommen überrascht. Aber schon nach ein paar kurzen Monaten weiß ich, dass ich nicht mehr ohne sie leben kann. Marjorie ist meine andere Hälfte – das fehlende Teil im Puzzle meines Lebens. Sie kennt alle meine Fehler, aber sie liebt mich trotzdem. Kann ein Mann mehr Glück haben?

Caroline war romantisch genug, um zu hoffen, dass Quinn es ernst meinte. Ihre Mutter war jetzt seit zweiundzwanzig Jahren tot, und soweit sie wusste, war das Liebesleben ihres Vaters so aufregend wie ihr eigenes – in etwa so aufregend, wie Farbe beim Trocknen zuzusehen.

Doch wie konnte sie ihm glauben, nachdem er so oft geschwindelt und betrogen hatte? Noch dazu, wenn das fehlende Teil seines Puzzles ausgerechnet eine ihrer Klientinnen war? Unmöglich. Sie konnte es einfach nicht.

Was, wenn Quinn gerade etwas Neues im Schilde führte? Etwas, was Marjorie Dalton schadete – und damit auch Marjories Ruf? Sie wäre ruiniert. Alles, wofür sie in den letzten fünf Jahren so hart gearbeitet hatte, ihr sicheres, bequemes, respektables Leben wäre schlagartig dahin.

Caroline wusste, was auf dem Spiel stand: ihr Ansehen, das auf dem umkämpften Markt der Lebensberatung der entscheidende Vorteil war. Kaum hatte sie seine E-Mail gelesen, hatte sie ein mulmiges Gefühl bekommen. Sie hatte gewusst, dass sie ihren Vater aufspüren musste, um ihn nach seinen Absichten zu fragen – oder ihn davon abzubringen, eine Frau zu heiraten, die er nur aus dem Internet kannte.

In fünf Monaten sollte ihr erstes Selbsthilfebuch erscheinen, und wenn der Verleger von dieser Sache erfuhr, würde er nicht begeistert sein.

Deshalb war sie die ganze Nacht unterwegs gewesen, um jetzt, um neun Uhr morgens, vor einem attraktiven Rancher und seinen beiden süßen kleinen Jungen zu stehen.

Aber sich Marjories Sohn zum Feind zu machen wäre sicher wenig hilfreich. Daher holte sie tief Luft, setzte ein freundliches Lächeln auf und gab ihrer Stimme den sanften, beruhigenden Klang, den sie bei ihren Klienten so erfolgreich einsetzte. „Es tut mir leid. Eine lange Nacht liegt hinter mir. Ich musste auf dem Flug von Santa Cruz zwei Mal umsteigen und dann noch von Idaho Falls eine Stunde lang mit dem Auto fahren, daher bin ich nicht gerade in Bestform. Vielleicht lassen Sie mich herein, damit wir in Ruhe darüber sprechen können, wie wir mit unseren durchgebrannten Eltern umgehen.“

Bevor er antworten konnte, klingelte das Handy an seinem Gürtel.

Mit grimmiger Miene winkte er sie ins Haus.

„Ja?“, brummte er, während der Junge an seinem Arm zu zappeln begann. Wayne Dalton stellte seinen Sohn hin, ohne das zunehmend hitzigere Gespräch zu unterbrechen, bei dem es offenbar um ein Problem mit irgendeiner Landmaschine ging.

Caroline schnappte ein paar bekannte Ausdrücke wie Lichtmaschine und Zündspule auf, aber der Rest klang für sie wie eine Fremdsprache.

„Dann haben wir keine andere Wahl. Die Ballenpresse muss heute noch repariert werden. Das Heu muss so schnell wie möglich in die Scheune“, sagte er scharf.

Während sie einer technischen Diskussion lauschte, von der sie kein Wort verstand, sah Caroline sich in Wayne Daltons Haus um.

Obwohl es hohe Decken und einen einzigartigen Blick auf die Teton-Berge hatte, war es alles andere als protzig eingerichtet. Die Möbel sahen bequem, aber alt aus. In einer Ecke lagen Spielsachen, und auf dem Couchtisch stapelten sich Zeitschriften.

Das Zimmer, in dem sie sich befanden, diente offensichtlich als Treffpunkt der Daltons. Im Fernsehen lief ein Zeichentrickfilm, und dorthin war auch der kleine Junge geeilt, nachdem Wayne ihn abgestellt hatte. Er griff gerade nach einem Spielzeugtraktor und begann den Teppich zu pflügen, behielt jedoch mit einem Auge den großen Bildschirm im Blick.

Der ältere Junge war verschwunden. Wo mochte er wohl sein?

Wayne legte auf. „Entschuldigung. Wo waren wir stehengeblieben?“

„Wir wollten gerade besprechen, wie wir mit unseren Eltern umgehen sollen, glaube ich.“

„Wie ich es sehe, haben wir nicht allzu viele Möglichkeiten. Es ist zu spät, um ihnen zu folgen. Vermutlich sind sie gegen Mitternacht aufgebrochen, also haben sie neun Stunden Vorsprung. Sie werden verheiratet sein, noch bevor wir die Staatsgrenze von Nevada erreicht haben. Abgesehen davon, dass ich im Moment nicht von der Ranch wegkann, würde ich gar nicht wissen, wo ich sie in Reno suchen sollte. Meine Mutter geht nämlich nicht an ihr Handy.“

„Quinn auch nicht“, antwortete Caroline betrübt.

„Ich kann nicht fassen, dass sie einfach gegangen und die Kinder im Stich gelassen hat. Das ist Ihr Werk.“

„Mein Werk?“

„Sie haben ihr eingeimpft, dass sie ihre Träume verwirklichen soll. Und wer weiß, was für einen Unsinn Sie noch verzapft haben.“

„Sie finden nicht, dass es wichtig ist, seine Träume zu verwirklichen?“, entgegnete sie.

„Doch, aber nicht, wenn es bedeutet, seine Pflichten zu vernachlässigen.“

„Seit wann ist Marjorie für Ihre Kinder verantwortlich?“, entfuhr es ihr.

Wieder wurde sein Blick so zornig, dass sie unwillkürlich einen Schritt nach hinten machte. Dieses Mal musste sie zugeben, dass sie es verdient hatte.

„Tut mir leid. Das hätte ich nicht sagen dürfen. Marjorie kümmert sich jetzt seit zwei Jahren um Natalie und Cody und empfindet es keineswegs als Last“, fügte sie hinzu.

„Richtig. Deshalb bezahlt sie auch einer wildfremden Frau ein kleines Vermögen, damit diese ihr erklärt, was in ihrem Leben alles nicht stimmt und wie sie es in Ordnung bringen kann.“

„Das tue ich nicht“, beteuerte Caroline. „Ich versuche lediglich, meinen Klienten zu einem glücklicheren und erfüllteren Leben zu verhelfen, indem ich sie auf ihr selbstzerstörerisches Verhalten hinweise und ihnen konkrete Schritte vorschlage, wie sie es ändern können. Sie und Ihre Kinder haben Marjorie nie unglücklich gemacht.“

Bevor sie aber fortfahren konnte, läutete sein Handy schon wieder. Nach dem vierten Mal fluchte er leise und meldete sich.

Das Telefonat glich dem ersten, aber Wayne Dalton wirkte immer frustrierter.

„Ruf einfach den Service in Rexburg an und frag, ob sie Ersatz haben, dann kannst du Drifty hinschicken, um ihn zu holen“, sagte er schließlich verärgert. „Ich komme, sobald ich kann. Wenn wir die ganze Mannschaft einsetzen, schaffen wir es vielleicht trotzdem noch, das Heu hereinzuholen, bevor es regnet.“

Er legte auf und drehte sich wieder zu ihr. „Ich habe heute keine Zeit für Sie, Miss Montgomery. Tut mir leid, dass Sie den weiten Weg umsonst gemacht haben, aber es ist wohl zu spät, wegen der beiden Turteltauben etwas zu unternehmen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass Sie und Ihr Vater eine Menge Ärger bekommen werden, falls Sie es auf das Geld abgesehen haben, das diese Ranch abwirft.“

„Ich nehme Ihre Warnung zur Kenntnis“, erwiderte Caroline und fragte sich, wieso eine so fröhliche und lebenslustige Frau wie Marjorie einen so arroganten Sohn hatte.

Vielleicht sollte ich nicht so streng sein, dachte sie auf dem Weg zur Tür. Als Witwer mit drei Kindern und einer großen Ranch hatte er vermutlich alle Hände voll zu tun.

Sie wollte gerade hinausgehen, da drang von hinten ein stechender Geruch ins Wohnzimmer.

„Riechen Sie etwas?“, fragte sie.

„Wir sind auf einer Ranch. Da gibt es alle möglichen Gerüche.“

„Nein, der hier ist anders. Es riecht verbrannt.“

Er schnupperte kurz, und seine Augen wurden schmal. Er sah sich um, bis sein Blick auf seinen jüngsten Sohn fiel, der allein vor dem Fernseher spielte.

„Tanner!“, rief er. „Was tust du?“

„Nichts!“, antwortete eine ängstliche Stimme. „Ich tue gar nichts. Komm nicht in die Küche, Daddy. Bitte!“

Wayne schloss kurz die Augen, bevor er losrannte.

Es ging Caroline zwar nichts an, aber ihr blieb keine andere Wahl, als ihm zu folgen.

2. KAPITEL

Wayne Dalton dicht auf den Fersen, betrat Caroline eine große, altmodische Küche, die in einem sonnigen Gelb gestrichen war. Es gab einen professionell wirkenden Herd mit sechs Flammen, einen langen Frühstückstresen und einen wuchtigen Tisch aus Pinienholz mit mindestens acht Stühlen.

Unter anderen Umständen wäre es ein einladender Raum gewesen, aber im Moment war er schwarz vor Rauch und roch nach verbranntem Papier und etwas Süßlichem.

Vom Herd züngelten Flammen hoch, und Caroline sah sofort, was die Ursache war – ein Rolle Küchenpapier hatte Feuer gefangen und drohte, die Schränke zu erfassen.

Der ältere von Wayne Daltons Söhnen stand auf einem Stuhl, den er offenbar an den Herd gezogen hatte, und sein Schlafanzug kam dem kleinen Feuer gefährlich nahe.

„Es tut mir leid, Daddy“, schluchzte der Junge.

„Steig sofort vom Stuhl!“, befahl Wayne streng.

Caroline spürte, dass nur die Angst um seinen Sohn den Rancher so scharf klingen ließ, aber der Junge erstarrte vor Schreck und rührte sich nicht von der Stelle, bis sein Vater ihn vom Stuhl hob und auf den Boden stellte.

Wayne warf die brennende Papierrolle ins Spülbecken und inspizierte den Schaden, den das Feuer angerichtet hatte.

Der Junge stand noch immer wie gelähmt da, als würde er nicht recht begreifen, was geschehen war. Er sah blass aus, wie unter Schock.

Wie hieß er noch? Tucker? Taylor? Tanner. Genau. „Tanner, was hältst du davon, wenn wir hinausgehen und das hier deinem Daddy überlassen?“, schlug Caroline mit sanfter Stimme vor.

Er warf ihr einen ängstlichen Blick zu, bevor er zaghaft die Hand in ihre schob und sich ins Wohnzimmer führen ließ, wo sein kleiner Bruder noch immer mit den Spielzeugautos beschäftigt war.

Caroline wollte Tanner gerade fragen, ob er gern fernsehen würde, da fiel ihr auf, dass er die linke Hand an die Brust presste. Sie beugte sich zu ihm hinunter. „Tanner, kann ich mir deine Hand ansehen? Hast du dir wehgetan?“

Sein Kinn zitterte kurz, dann nickte er stumm und nahm die Hand vom Schlafanzug. Er gab einen leisen Schmerzenslaut von sich, als er die Finger spreizte – was kein Wunder war.

Caroline zuckte zusammen. Die Handfläche war gerötet und voller Brandblasen. „Du Armer!“

Tränen traten in seine großen blauen Augen und rollten über die blassen Wangen. „Ich wollte kein Feuer machen. Wirklich nicht! Ich wollte nur Marshmallows rösten, wie Natalie und Grandma es mit Onkel Seth gemacht haben, als wir zusammen beim Zelten waren. Glauben Sie, mein Daddy wird böse auf mich sein?“

Höchstwahrscheinlich, dachte sie. Wayne Dalton schien auf die ganze Welt böse zu sein. Wie würde er sich seinem Sohn gegenüber verhalten?

„Bestimmt macht er sich nur Sorgen um dich“, versicherte sie Tanner.

„Er wird richtig wütend sein. Ich soll nämlich nicht allein in der Küche sein.“ Er weinte immer heftiger, und sie wusste, dass sie ihn irgendwie ablenken musste.

„Wir versorgen jetzt erst einmal deine Hand, und dann machen wir uns über deinen Dad Gedanken, einverstanden?“

Er nickte, und Caroline überlegte angestrengt, was sie über Erste Hilfe wusste.

„Wir müssen die Hand sofort mit Wasser kühlen“, sagte sie. „Kannst du mir zeigen, wo das Badezimmer ist?“

„Ja. Gleich dort drüben ist eins.“

Sie führte ihn hinein, füllte das Waschbecken mit Wasser und tauchte seine Hand hinein.

„Das tut weh“, sagte er.

„Ich weiß, Honey. Aber wir müssen etwas gegen die Verbrennung tun, damit der Schmerz weniger wird.“

„Tanner aua?“

Caroline schaute nach unten und sah, dass der Jüngere ihnen ins Bad gefolgt war. Fünfzehn Sekunden später war sie nicht mehr sicher, was ihn mehr interessierte – sein verletzter Bruder oder der Toilettendeckel, mit dem er zu klappern begann.

Vielleicht sollte sie ihm eine Geschichte erzählen.

„Hallo, mein Junge“, begann sie.

„Er heißt Cody“, verkündete Tanner und hörte kurz auf zu schluchzen. „Er ist zwei, und ich bin fünf. Ich habe gerade Geburtstag gehabt.“

„Fünf ist ein tolles Alter“, erwiderte sie, aber weiter kam sie nicht, denn vor der Tür ertönte eine laute und zornige Stimme.

„Tanner Michael Dalton! Wo steckst du? Komm sofort her und hilf mir, das Chaos zu beseitigen, das du angerichtet hast!“

Unwillkürlich machte Caroline einen Schritt auf den Jungen zu. Was für ein unsympathischer Mann, dachte sie, bis ihr einfiel, dass er wahrscheinlich nichts von der Verletzung seines Sohns wusste.

„Wir sind im Bad!“, rief sie auf den Flur. „Könnten Sie kurz herkommen?“

Fünf Sekunden lang herrschte angespannte Stille, dann drang Waynes ärgerliche Stimme wieder herein. „Was ist denn? Ich bin hier beschäftigt.“

Plötzlich stand er in der Tür und sah aus, als wäre er gerade dabei gewesen, die Welt zu retten, und Caroline hätte ihn nur hereingebeten, um zu fragen, wie er ihren Lippenstift fand.

Aber bei ihr war sein Sohn, und sie dachte nicht daran, sich von Wayne ein schlechtes Gewissen machen zu lassen. Trotzig hob sie das Kinn und hielt seinem strengen Blick stand.

„Wir sind auch beschäftigt. Und zwar mit etwas, was Sie sich anschauen sollten.“

Er quetschte sich in das Badezimmer, das kaum genug Platz für Caroline und die beiden Jungen bot.

„Was gibt es denn?“

Sie zeigte auf Tanners gerötete Hand, und sein Vater wurde blass.

Er flüsterte einen Fluch, was er offenbar nicht oft tat, denn Tanner starrte ihn überrascht an.

Caroline musste zugeben, dass Waynes besorgtes Gesicht ihn wesentlich sympathischer erscheinen ließ.

„Tanner!“, rief er. „Du hast dich verbrannt?“

„Es war ein Unfall, Daddy.“

„Warum hast du denn nichts gesagt?“

Tanner zuckte mit den schmalen Schultern. „Ich wollte ein großer Junge sein – kein Baby.“ Er begann zu schluchzen. „Es tut mir leid, Daddy. Ganz bestimmt. Ich tue es nie wieder. Wirklich nicht, das verspreche ich. Es tut so weh.“

Wayne drückte ihn an sich. „Schon gut, mein Junge. Wir kümmern uns darum. Wir suchen Onkel Jake, und der hilft dir.“

Cody blickte von seinem Bruder zu ihrem Vater und brach in Tränen aus.

Nach einem Moment trat ein panischer Ausdruck in Waynes Augen.

Schließlich bekam Caroline Mitleid mit dem Mann und nahm Cody auf den Arm. „Es ist alles in Ordnung, Schatz. Dein Bruder hat nur ein bisschen Aua.“

Der blonde kleine Engel wischte sich die Nase mit dem Zeigefinger ab. „Tanno aua.“

„Ja. Aber er wird bald wieder gesund. Das verspreche ich.“

„Onkel Jake wird dir helfen“, fügte Wayne hinzu. „Komm schon, wir suchen ihn.“

Er ging hinaus, und als Caroline das enge Badezimmer verließ, atmete sie erleichtert auf.

Wayne trug Tanner zur Haustür, und sie folgte mit dem jüngeren Sohn auf den Armen.

„Soll ich mit Cody hierbleiben, während Sie Tanner zum Arzt bringen?“

Es dauerte einige Sekunden, bis Wayne sich zu ihr umdrehte. Sie fand seine Sorge um seinen Sohn rührend – bis sie das Misstrauen in seinem Blick bemerkte.

„Nein“, erwiderte er. „Cody kann mit uns fahren.“

„Sind Sie sicher? Es macht mir nichts aus.“

„Lady, ich kenne Sie nicht. Ich werde meinen Sohn auf keinen Fall mit Ihnen allein lassen.“

„Soll ich Sie begleiten und auf ihn aufpassen, während Sie mit dem Arzt reden?“

Er runzelte die Stirn.

Du meine Güte, glaubte er etwa, dass sie das Kind entführen wollte?

„Nein. Bei mir ist er gut aufgehoben. Bestimmt wird sich in Jakes Praxis jemand um Cody kümmern können, während Tanners Hand versorgt wird.“

Er hob den Kleinen auf und trug beide Söhne zu dem schlammbedeckten Pick-up in der Einfahrt.

Unsicher, was sie tun sollte, blieb Caroline auf der Veranda stehen und beobachtete, wie er die Jungen anschnallte. Wayne schien ganz vergessen zu haben, dass sie noch da war, denn er setzte sich ans Steuer und fuhr davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Jetzt, da die Wirkung des Adrenalins nachließ, wurde ihr bewusst, wie erschöpft sie war. Der kühle Oktoberwind strich durch ihr Haar, während sie daran dachte, warum sie hergekommen war. Ihr Vater hatte sich mit einer ihrer Klientinnen eingelassen und war mit ihr nach Reno unterwegs, um sie dort zu heiraten.

Da es vermutlich zu spät war, um die beiden daran zu hindern, sollte sie am besten nach Kalifornien zurückfliegen.

Andererseits sah die Küche schlimm aus. Sie konnte sie sauber machen und vielleicht sogar etwas kochen, damit die drei Daltons nach der Rückkehr vom Arzt etwas Warmes zu essen hatten.

Das war das Mindeste, was sie tun konnte. Schließlich wäre dies alles nicht passiert, wenn ihr Vater nicht mit Marjorie durchgebrannt wäre.

Sie hatte sich fest vorgenommen, nie einen Schaden wiedergutzumachen, den ihr Vater angerichtet hatte. Aber davon konnte jetzt nicht die Rede sein. Sie half nur einem Mann, der mit einer Ranch und zwei kleinen Kindern alle Hände voll zu tun hatte.

War das Haarspalterei? Nein. Aber so ganz überzeugt war sie nicht, als sie in die verqualmte Küche ging und die Ärmel aufkrempelte.

„So, Partner, jetzt hast du eine Mumienklaue, mit der du Natalie einen ordentlichen Schrecken einjagen kannst, wenn sie aus der Schule kommt.“

Tanner lachte fröhlich und bewegte vorsichtig die verbundene Hand. „Es tut noch weh.“

„Tut mir leid, Junge“, sagte sein Onkel Jake und klopfte ihm auf die Schulter. „Ich kann dir Medizin gegen die Schmerzen geben, aber wenn man versucht, ganz allein ein Feuer zu löschen, bleibt das nicht ohne Folgen. Beim nächsten Mal rufst du deinen Daddy sofort.“

„Es wird kein nächstes Mal geben. Richtig, Tanner?“, meinte Wayne streng. „Du hast deine Lektion gelernt und wirst nie wieder ganz allein Marshmallows – oder irgendetwas anderes – rösten.“

Sein Sohn seufzte. „Nein.“

Jake richtete sich auf. „Du warst wirklich tapfer, als ich deine Hand untersucht habe. Ich bin stolz auf dich, Partner. Jetzt musst du ein großer Junge sein und auf dich aufpassen. Der Verband darf nicht nass werden, und du musst ihn sauber halten, okay? Hör auf deinen Dad und tu, was er sagt.“

„Na gut.“ Tanner sprang von der Liege. „Bekomme ich jetzt den Lolli von Carol?“

„Klar. Sag ihr, dass ein so tapferer Junge wie du sich sogar zwei Lollis verdient hat.“

„Und einen Aufkleber?“

Sein Onkel lächelte. „Und einen Aufkleber.“

Tanner hob die verbundene Hand, eilte hinaus und ließ Wayne mit dessen jüngerem Bruder allein.

Anders als der alte Doc Jorgenson, der – als sie beide noch Kinder waren – die Praxis mit knorrigen Händen und einem Zahnstocher im Mundwinkel geführt hatte, trug Jake keinen Kittel. Nur das Stethoskop um den Hals und die Hemdtasche voller Zungenspatel verrieten, dass er Arzt war.

Wayne beobachtete, wie sein Bruder etwas in den Computer eingab, und fragte sich, wie aus dem kleinen Quälgeist, der seine abgelegten Stiefel und einen zu großen Cowboyhut getragen hatte, ein so fähiger Mediziner geworden war.

Es war nicht das Leben, das Wayne sich für sich oder seinen Bruder vorgestellt hatte, aber er hatte immer gewusst, das Jake nicht zum Rancher geschaffen war. Sein mittlerer Bruder war drei Jahre jünger als er und hatte immer große Träume gehabt.

Schon als Kind las er alles, war er in die Finger bekam, und wurde selten ohne Buch gesichtet. Wenn sie auf den Schulbus warteten oder sich eine Pause gönnten, nachdem sie einen Weidezaun repariert hatten, nutzte er jeden freien Moment, um zu lernen.

Wayne erinnerte sich gut daran, wie Jake beim Viehtrieb mit einem Auge nach streunenden Rindern Ausschau gehalten und mit dem anderen in das Buch in seiner Hand geblickt hatte.

Er liebte Jake, auch wenn er nicht behaupten konnte, ihn jemals verstanden zu haben.

Aber es gab keine Sekunde, in der er nicht stolz auf Jakes Fleiß und Zielstrebigkeit gewesen war. Und auf die Hingabe, mit der er sich um seine Patienten kümmerte. Vor allem aber darauf, dass sein Bruder nach Pine Gulch zurückgekehrt war, anstatt mit seinen Fähigkeiten in der Großstadt viel mehr Geld zu verdienen.

Nach einigen Sekunden klappte Jake das Notebook zu. „Ich würde dir ja gern zum Geburtstag gratulieren, aber dazu ist es wohl zu spät.“

Wayne verzog das Gesicht. „Das kannst du laut sagen. Heute ist ein höllischer Tag.“ Es war schon Mittag, und er hatte so gut wie nichts geschafft. Er hatte eine Million Dinge zu erledigen, und jetzt musste er sich auch noch um einen kleinen Feuerwehrmann kümmern, der seinen Verband nicht schmutzig machen durfte.

Seine Mutter sollte hier sein. Krankenpflege war nicht seine Stärke. Hatte sie denn gar nicht daran gedacht, dass einer der Jungen vielleicht ihre mitfühlenden Küsse und tröstenden Worte brauchen würde?

„Was meinst du, was wir Moms wegen tun sollten?“, fragte er.

Jake lehnte sich gegen die Liege. „Was können wir tun? Sieht aus, als wäre das Kind schon in den Brunnen gefallen.“

„Das heißt ja nicht, dass es uns gefallen muss.“

„Ich weiß nicht. Sie war so lange allein. Es ist jetzt achtzehn Jahre her, dass Dad gestorben ist, und schon davor war ihr Leben nicht gerade rosig. Wenn dieser Montgomery sie glücklich macht, sollten wir sie darin unterstützen.“

Entgeistert starrte Wayne seinen Bruder an. Die beste Ausbildung nützte einem Mann nichts, wenn ihn sein gesunder Menschenverstand im Stich ließ. „Wie meinst du das – sie unterstützen? Sie kennt den Kerl ja nicht mal! Wie können wir sie darin unterstützen, mit einem Mann durchzubrennen, mit dem sie bisher nur durch E-Mails und heimliche Telefonate Kontakt hatte? Und was für ein Mensch heiratet eine Frau, die er noch nie mit eigenen Augen gesehen hat? Ich wette, das Ganze ist ein Schwindel. Und seine Tochter steckt mit dahinter.“

„Das kannst du nicht wissen.“

„So muss es aber sein. Sie sucht mit ihrem Lebensberatungsquatsch ältere Frauen, findet ein leichtes Opfer wie Mom, und dann taucht ihr Vater auf und nimmt sie mit seinem Charme aus.“

„Du bist wirklich ein Romantiker“, sagte Jake trocken.

„Ich habe keine Zeit für Romantik, verdammt. In sechs Tagen kommt ein Fernsehteam auf die Ranch. Wie soll ich mich darauf vorbereiten, wenn ich in jeder Sekunde auf drei Kinder aufpassen muss?“

„Du könntest es absagen.“

Er funkelte Jake an. „Sehr hilfreich, danke.“

„Warum denn nicht? Es sind doch nur ein paar Filmaufnahmen.“

„Nur ein paar Filmaufnahmen, auf die ich fast ein Jahr lang hingearbeitet habe! Es wird eine großartige Werbung für die Ranch sein. Wir gehören zu der Handvoll Betriebe im Land, die ihr Vieh mit diesen Hightech-Speicherchips versehen haben. Du weißt genau, wie viel wir investiert haben, um die Ranch an die Spitze zu bringen. Dafür öffentliche Anerkennung zu bekommen wäre ein riesiger Schritt für die Cold Creek. Ich begreife nicht, warum Mom mit ihrem tollen Rendezvous nicht wenigstens bis nach den Aufnahmen gewartet hat.“

„Was willst du jetzt mit den Kindern machen?“

„Darüber zerbreche ich mir noch den Kopf. Du bist doch der Intellektuelle in der Familie. Irgendwelche Ideen?“

„Du könntest ein Kindermädchen einstellen. Hat Mom nicht geschrieben, dass sie in einer Woche zurück ist?“

Wayne wollte antworten, aber im Wartezimmer begann Cody wieder zu weinen. Seufzend ging er nach nebenan.

Jake folgte ihm.

„Richtig. In einer Woche“, bestätigte Wayne. „Hoffentlich habe ich bis dahin nicht den Verstand verloren.“

Auf der sechs Meilen langen Fahrt von Jakes Praxis in Pine Gulch zur Cold Creek Ranch schlief Cody ein. Tanner dagegen war noch immer so aufgeregt, dass er unaufhörlich redete und Wayne keine Chance zum Nachdenken ließ.

Er sprach sogar noch weiter, als das Handy läutete und sein Vater von Seth erfuhr, dass das dringend benötigte Ersatzteil für die Ballenpresse erst am nächsten Tag in Rexburg eintreffen würde. Ohne dieses Teil würden sie das Heu nicht einfahren können und möglicherweise die ganze Ernte einbüßen, wenn es bis dahin regnete.

„Ich bin schon fast zu Hause“, sagte Wayne missmutig. „Ich mache den Jungen noch schnell etwas zu essen, dann komme ich hin, und wir sehen, ob wir das Ding provisorisch in Gang setzen können.“

Am Himmel ballten sich dunkle Wolken, als er durchs Tor fuhr und die Anspannung im Nacken fühlte.

Manchmal hasste er die Verantwortung, die die Ranch mit sich brachte. Von ihm hingen der Lebensunterhalt seiner Familie und dreier weiterer Männer ab, und eine falsche Entscheidung würde für sie alle den Ruin bedeuten.

Er konnte es sich nicht leisten, eine Woche lang Kindermädchen zu spielen. Aber wen konnte er um Hilfe bitten? Er ging sämtliche Freunde und Nachbarn durch. Die Eltern seiner verstorbenen Frau hatten ihre Ranch vor einem Jahr verkauft und waren als Missionare nach Südamerika gegangen.

Viviana Cruz, der die kleine Ranch im Westen gehörte, war die beste Freundin seiner Mutter. Leider besuchte sie gerade ihre Tochter in Arizona.

„Darf ich fernsehen?“, fragte Tanner, als Wayne ihn losschnallte.

„Natürlich. Aber keine Seifenoper.“ Er musste lächeln, als Tanner eine Grimasse zog.

„Die mag ich gar nicht“, antwortete sein Sohn. „Grandma sieht sich manchmal welche an, aber die sind so langweilig!“

Beruhigt hob Wayne den schlafenden Cody an die Schulter und folgte Tanner ins Haus. Mit angehaltenem Atem legte er seinen Jüngsten ins Bett, deckte ihn zu und ging leise nach unten.

Tanner saß schon vor dem Fernseher.

„Kannst du überhaupt etwas hören?“, fragte Wayne, denn der Ton war leise gestellt.

Der Junge legte einen Finger an den Mund. „Nicht so laut, Daddy. Sonst weckst du die Lady.“

Er runzelte die Stirn. „Welche Lady?“

Tanner zeigte auf die zweite Couch.

Caroline Montgomery hatte sich die Schuhe ausgezogen und schlief. Ihr hübsches Gesicht wirkte entspannt und friedlich.

Wie es aussah, fühlte sie sich inzwischen hier wie zu Hause.

Wayne war nicht sicher, warum der Anblick ihn wütend machte, aber er konnte dagegen ebenso wenig tun wie gegen das Unwetter, das sich über der Ranch zusammenbraute.

„Hey, Lady! Aufwachen!“

Caroline hörte die Stimme wie aus weiter Ferne, denn sie war in einem schönen Traum gefangen. Sie ritt auf einer kleinen Stute einen Bergpfad hinauf, die Luft war würzig und klar, der Weg von Pinien und Espen gesäumt. Sie hatte noch nie im Leben auf einem Pferd gesessen und hatte erwartet, dass sie Angst haben würde, aber jetzt genoss sie es, sich an den Rhythmus des riesigen, geschmeidigen Tiers anzupassen. Die Berge versprachen einen inneren Frieden und eine Gelassenheit, nach der sie immer gesucht hatte.

„Lady!“, wiederholte die Stimme lauter und riss sie aus dem Sattel und in die Realität. „Können Sie mir erklären, was Sie hier noch wollen?“

Verwirrt blinzelte Caroline sich wach. Anstatt durch eine herrliche Landschaft zu reiten, lag sie in einen großen Raum und starrte auf ein Bild, auf dem ein Mann auf einem Pferd über einen Bergpfad ritt. Unter dem Bild stand jemand, der wütend war und einen schwarzen Cowboyhut trug, und es dauerte einen Moment, bis sie wusste, wer er war.

Wayne Dalton.

Marjorie Daltons ältester Sohn. Blitzartig fiel ihr alles wieder ein – Quinns schwärmerische E-Mail über seine neue Liebe, die schockierende Erkenntnis, dass es sich bei der Frau um eine ihrer Klientinnen handelte, dann der hektische Aufbruch nach Idaho, um zu verhindern, dass ihr Vater eine Dummheit beging.

Sie war zu spät gekommen. Statt Marjorie und Quinn hatte sie diesen mürrischen, misstrauischen Mann und seine beiden liebenswerten kleinen Söhne gefunden.

Caroline atmete tief durch und setzte sich auf. „Entschuldigen Sie bitte“, murmelte sie. „Ich wollte nicht einschlafen, sondern auf Sie warten, aber mir müssen die Augen zugefallen sein.“

„Warum?“

„Wahrscheinlich weil ich die ganze Nacht unterwegs war.“ Sie gähnte verlegen, aber er schien es gar nicht zu bemerken.

„Das wollte ich nicht wissen. Ich habe gefragt, warum zum …“ Er sah seinen Sohn an und senkte die Stimme. „Warum haben Sie auf uns gewartet? Wir haben alles gesagt, was gesagt werden musste.“

Sie folgte seinem Blick zu dem Jungen und dem Verband um seine Hand. „Ich wollte sicher sein, dass es Tanner gut geht.“

„Das tut es. Eine Verbrennung zweiten Grades. Es hätte schlimmer sein können.“

„Onkel Jake hat ekliges Zeug draufgetan“, verkündete Tanner. „Und ich muss den Verband eine ganze Woche dranlassen, nur im Bett nicht. Damit ich keine ’fektion bekomme. Das hier ist meine Mumienklaue.“

Er machte eine drohende Geste, und Caroline musste lachen.

„Du musst alles tun, was dein Onkel gesagt hat. Schließlich willst du keine Entzündung bekommen.“

„Ich weiß.“ Tanner seufzte dramatisch. „Und ich darf nie wieder allein Marshmallows rösten, sonst schleift Daddy mich hinter Jupiter her, bis meine Haut abgeht.“

„Jupiter?“

„Sein Pferd. Es ist riesig und gemein.“

Sie verzog das Gesicht.

Wayne warf seinem Sohn einen tadelnden Blick zu. „Das mit dem Pferd war nicht ernst gemeint, das weißt du doch, oder? Du solltest nur wissen, dass du streng bestraft wirst, wenn du wieder auf dem Herd spielst.“

„Ich weiß. Ich habe versprochen, dass ich es nie, nie wieder tue.“

„Gute Entscheidung“, lobte Caroline. „Denn ohne deine Haut würdest du ziemlich krass aussehen.“

Lachend wandte Tanner sich wieder dem Fernseher zu.

Caroline konzentrierte sich auf seinen Vater. Er betrachtete sie so aufmerksam, dass sie wünschte, ihr Haar wäre nicht so zerzaust.

Das Schweigen wurde immer unangenehmer.

„Ich habe Suppe für Sie und die Jungen gekocht“, brach sie es. „Sie steht auf dem Herd.“

Er runzelte die Stirn. „Sie haben was getan?“

„Ich dachte mir, Sie sind vielleicht hungrig, wenn Sie zurückkommen, darum habe ich Kartoffeln und Käse aus der Speisekammer geholt.“

Ihre Antwort ließ seinen eben noch nachdenklichen Blick wieder wütend werden.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass ich Sie eingeladen habe, sich hier wie zu Hause zu fühlen“, erwiderte er leise, aber aufgebracht.

„Das haben Sie auch nicht. Ich wollte nur helfen.“

„Meine Mutter ist offenbar dumm genug, um Ihren Vater zu heiraten, aber das gibt Ihnen noch lange keine freie Hand auf der Cold Creek, Lady.“

Sie versuchte, ruhig zu bleiben. Die Beherrschung zu verlieren würde zu nichts Gutem führen. Er sah sie als Eindringling an, und seine Reaktion war verständlich.

„Mein Name ist Caroline“, sagte sie leise.

„Meinetwegen können Sie die Königin von England sein. Das hier ist meine Ranch, und Sie begehen Hausfriedensbruch.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Wollen Sie mich ins Gefängnis werfen lassen, weil ich so unverschämt war, Ihnen und Ihren Söhnen eine Suppe zu kochen?“

„Das ist ein äußerst reizvoller Gedanke, glauben Sie mir!“

Obwohl sie wusste, dass er sie nur verunsichern wollte, machte ihr die Vorstellung Angst, wieder hinter Gittern zu landen. Unwillkürlich dachte sie an die nackten Betonwände in Washington, an die Hoffnungslosigkeit und das entwürdigende Gefühl, dauernd beobachtet zu werden.

„Aber ich wollte doch nur helfen und dachte mir, dass Tanner etwas Warmes braucht.“

„Ich brauche Ihre Hilfe nicht, Miss Montgomery. Ich brauche gar nichts von Ihnen. Dass Sie meiner Mutter geholfen haben, hat mir erst die ganzen Probleme eingebrockt.“

Dieser Mann wusste wirklich, wo ihre wunden Punkte lagen. Erst drohte er mit ihrem schlimmsten Albtraum, und dann appellierte er an ihr schlechtes Gewissen.

Bevor sie antworten konnte, klingelte sein Handy, und von oben kam ein lautes Schluchzen, als Cody aufwachte.

Wayne rieb sich eine Schläfe.

„Da bin ich anderer Meinung“, entgegnete sie. „Sie brauchen Hilfe. Und wenn Sie Ihren Zorn auf mich herunterschlucken und mir endlich in Ruhe zuhören würden, hätte ich einen Vorschlag für Sie.“

Er hielt das Handy ans Ohr und eilte zur Treppe.

Als Wayne fünf Minuten später wieder nach unten kam, saß Tanner am Küchentisch, löffelte mit der unverletzten Hand Suppe und erzählte Caroline aufgeregt von seinem Besuch beim Arzt und den Aufklebern, die er von seinem Onkel Jake bekommen hatte – und dass Amber, eine von Onkel Jakes Krankenschwestern gesagt hatte, sein Onkel Seth sei unglaublich sexy.

Dieser Seth klingt interessant, dachte Caroline, vergaß den Mann jedoch, als Wayne mit Cody hereinkam. Der Rancher war groß, kräftig und einschüchternd, aber mit dem schläfrigen Kind auf dem Arm und der kleinen Hand an seinem Nacken wirkte er einfach nur wie ein besorgter Vater.

Der Junge musterte sie vorsichtig, bis sie lächelte, und lächelte zurück, was Wayne Daltons Stirnrunzeln nur noch vertiefte.

„Möchten Sie und Cody etwas Suppe?“, fragte sie.

Wayne wollte ablehnen, doch ausgerechnet in diesem Moment meldete sich sein Magen vernehmlich. Außerdem roch die Suppe wirklich lecker – und nach einem Gewürz, das er nicht kannte.

„Ich habe kein Rattengift hineingetan. Ehrenwort.“

Dass seine ungebetene Besucherin ihn offenbar amüsant fand, gefiel ihm nicht. Er mochte sie ganz einfach nicht. Caroline Montgomery besaß sämtliche Eigenschaften, die ihn an einer Frau abschreckten. Sie war überheblich und schulmeisterlich, und er traute ihren Motiven nicht.

Das Problem war nur, dass er aus ihr nicht schlau wurde. Welche Frau legte achthundert Meilen zurück, um ihren Vater zu suchen, und blieb dann – wenn sie ihn nicht fand – im Haus eines Wildfremden, um für ihn und seine Kinder Suppe zuzubereiten?

Sie stellte ihm einen dampfenden Teller auf den Tisch und einen zweiten für Cody zum Abkühlen auf die Arbeitsfläche.

Wayne hatte tatsächlich Hunger. Das Frühstück war lange her und der Schock über den Brief zu groß, als dass es ihm geschmeckt hätte. Erst als er Cody in den Hochstuhl neben Tanner setzte, bemerkte er, dass die Küche im Licht der Nachmittagssonne glänzte.

„Sie haben sauber gemacht.“ Es klang fast vorwurfsvoll, doch Caroline lächelte nur.

„Ich dachte mir, Sie haben im Moment genug zu tun. Außerdem war es ja auch zum Teil meine Schuld. Wenn Sie nicht damit beschäftigt gewesen wären, mich anzuschreien …“ Wieder lächelte sie. „Entschuldigung. Wenn Sie nicht so laut und nachdrücklich mit mir gesprochen hätten, hätten Sie Tanner wahrscheinlich besser im Auge behalten können, und er hätte sich nicht verletzt.“

„Er hätte eine andere Möglichkeit gefunden“, murmelte er. „Darin ist das Kind ein Genie.“

„Er scheint viel Energie zu haben, aber er ist süß. Das sind sie beide.“

„Ja. Wenn sie essen.“

„Das sollten Sie jetzt auch tun.“

Richtig. Er mochte keine Frauen, die Männer herumkommandierten. Auch wenn sie noch so anmutig lächelten und nach Vanille-Eis dufteten.

Trotzdem probierte er gehorsam die Kartoffelsuppe, die seinen Söhnen zu schmecken schien. Kein Wunder, dachte er überrascht. Sie war lecker, gehaltvoll und cremig.

Nachdem er die Hälfte davon in etwa anderthalb Minuten verspeist hatte, brach Caroline das Schweigen. „Ich weiß, dass Marjorie Ihnen geholfen hat, auf die Kinder aufzupassen. Haben Sie jetzt jemand anderen?“

Plötzlich schmeckte ihm die Suppe nicht mehr ganz so gut. „Noch nicht. Aber mir wird schon eine Lösung einfallen.“

Bevor sie antworten konnte, stieß Tanner laut auf, und seine beiden Söhne brachen in begeistertes Lachen aus.

„Hey, das war nicht sehr höflich“, tadelte Wayne. „Entschuldige dich bei Miss Montgomery.“

„Natalie sagt, dass manche Leute irgendwo so Danke sagen, wenn das Essen echt gut ist.“

„Wir sind hier aber nicht irgendwo. Auf der Cold Creek tut man das nicht.“

Auch Cody musste aufstoßen, und Tanner schien es äußerst komisch zu finden.

„Siehst du? Du bringst deinem kleinen Bruder schlechte Manieren bei. Entschuldige dich bei Miss Montgomery.“

„Entschuldigung“, sagte Tanner.

„Entschuldigung“, wiederholte Cody.

„Können wir jetzt spielen?“, bat sein Bruder. „Wir sind fertig.“

Wayne wischte ihnen die Gesichter mit einem feuchten Tuch ab, nahm Cody aus dem Hochstuhl und stellte ihn auf den Boden. „Aber seid vorsichtig“, ermahnte er Tanner, der nickte und dem Kleineren aus der Küche folgte.

„Was machen Sie mit den beiden, während Sie arbeiten?“, fragte Caroline.

„Mir wird schon etwas einfallen“, erwiderte er zum zweiten Mal.

Sie legte die Hände auf den Tisch, und ihm fiel auf, dass die Nägel nicht sehr lang, aber manikürt und in hellem Pink lackiert waren. Er wusste nicht, warum er das bemerkte, doch dass er es tat, ärgerte ihn.

„Ich melde mich freiwillig.“

Verwirrt starrte er sie an. „Wozu?“

„Ich helfe Ihnen bei den Kindern. Ich arbeite freiberuflich und kann mir die Zeit einteilen. Zufällig habe ich gerade welche.“

Was zum Teufel führte sie im Schilde? „Sie bieten an, für meine Kinder den Babysitter zu spielen, während Ihr Vater und meine Mutter in Reno ihre Flitterwochen verbringen?“

„Genau.“

„Wie kommen Sie darauf, dass ich Ihr Angebot annehme?“

„Warum denn nicht?“

„Weil Sie eine Fremde sind. Weil ich Ihnen nicht traue.“

„Ich kann Ihre Bedenken durchaus verstehen. Wenn ich Kinder hätte, würde ich auch nicht wollen, dass ein Fremder auf sie aufpasst. Aber ich habe in Boston zwei Jahre lang als Kindermädchen gearbeitet, um meine College-Ausbildung zu finanzieren. Ich habe reichlich Erfahrung mit Kindern aller Altersstufen und Hausarbeit jeder Art.“

„Nein.“

„Einfach so? Sie wollen nicht mal darüber nachdenken?“

„Was gibt es denn da nachzudenken? Würden Sie Ihre Kinder einem wildfremden Menschen überlassen?“

„Vermutlich nicht“, gab sie zu. „Aber in einer Notlage würde ich es vielleicht doch tun – nachdem ich den wildfremden Menschen überprüft habe.“

Erneut läutete sein Handy. Eines Tages würde er das verdammte Ding aus dem Fenster werfen.

Er sah Seth’ Nummer auf dem Display und seufzte. „Ja?“, meldete er sich.

„Wo zum Teufel bleibst du? Du wolltest doch herkommen.“ Seth klang frustriert.

„Ich versuche es.“

„Die Wolken ziehen nicht weiter. In spätestens einer Stunde wird es regnen, und wir können die Ernte abschreiben. Ich dachte mir, ich rufe Guillermo Cruz an und frage, ob wir uns Lunas Ballenpresse ausleihen können.“

Die Rancho de la Luna gehörte Viviana Cruz, ihrer Nachbarin. Die Ranch war zwar viel kleiner als die Cold Creek, aber Guillermo Cruz hielt die Maschinen seiner Schwägerin tadellos in Ordnung.

Es war eine gute Idee. Eine, auf die Wayne selbst gekommen wäre, wenn die Kinder ihn nicht abgelenkt hätten. „Ja, tu das“, sagte er. „Ich bin bei dir, sobald ich von hier verschwinden kann. Vielleicht können wir die andere Presse provisorisch reparieren, dann haben wir zwei Pressen und schaffen es gerade noch.“

Als er das Gespräch beendete, stellte er fest, dass Caroline Montgomery ihn aufmerksam beobachtete.

„Wie ich es sehe, haben Sie keine große Wahl, Mr. Dalton“, sagte sie leise. „Tanner wird gepflegt werden müssen, wenigstens für ein paar Tage. Die Brandwunde muss sauber gehalten werden, also können Sie ihn und Cody nicht mitnehmen.“

„Ihr Vater hat sich wirklich den idealen Zeitpunkt ausgesucht.“

„Das tut mir leid. Lassen Sie mich Ihnen wenigstens für einen oder zwei Tage helfen, bis Sie etwas anderes arrangiert haben. Wenn ich schon mal hier bin, kann ich mich auch nützlich machen.“

Erneut rieb er sich die Schläfe.

Ein Windstoß ließ die Küchenfenster klirren, und Wayne dachte daran, was das Winterfutter sie kosten würde, wenn sie das Heu nicht einfahren konnten, bevor es zu regnen begann.

„Sie haben recht. Ich … weiß Ihr Angebot zu schätzen“, gab er widerwillig nach, und sie warf ihm einen belustigten Blick zu.

„Wen kann ich anrufen, um Ihre Angaben nachzuprüfen?“, knurrte er.

Sie riss eine Seite aus dem Block neben dem Telefon und notierte ein paar Telefonnummern.

Noch auf dem Weg ins Büro neben der Küche fragte Wayne sich, ob er verrückt geworden war.

Er erreichte nur eine gewisse Nancy Saunders, die ihm davon vorschwärmte, wie liebevoll Caroline sich vor zwölf Jahren um ihre Kinder gekümmert hatte und dass sie bis heute in Verbindung geblieben waren.

Als er in die Küche zurückkehrte, räumte sie gerade den Tisch ab.

„Habe ich den Test bestanden?“

„Vorläufig“, murmelte er, nahm den Hut vom Haken und zog die Jeansjacke wieder an.

„Natalie kommt gegen halb vier nach Hause und kann Ihnen helfen. Der Eisschrank ist voller Vorräte. Ich weiß nicht, wann ich mit der Arbeit fertig bin – wahrscheinlich erst, wenn es dunkel ist. Sie und die Kinder können ruhig schon zu Abend essen. Meistens stellt meine Mutter Seth und mir etwas kalt.“

„Das ist Ihr Bruder.“

„Richtig. Er wohnt im Gästehaus, isst aber normalerweise mit der Familie.“

„Was essen Sie gern?“

„Alles, was genießbar ist.“ Er ging zur Tür und schrieb seine Handynummer auf den Notizblock. „Unter dieser Nummer können Sie mich erreichen.“

Auf dem Weg zum Pick-up flüsterte ihm eine innere Stimme ein, dass er es bereuen würde, Caroline Montgomery in sein Leben gelassen zu haben. Er versuchte, sie zu ignorieren.

3. KAPITEL

Durchs Küchenfenster sah Caroline Wayne nach, als er zum Wagen rannte, als wäre eine Herde wütender Bisons hinter ihm her.

Sie konnte noch immer nicht fassen, dass er ihr Angebot, ihm zu helfen, angenommen hatte. Er musste verzweifelt sein, sonst hätte er seine Kinder niemals in ihrer Obhut gelassen.

Obwohl sie sich dagegen wehrte, faszinierte der Mann sie irgendwie. Dass sie ihn auch noch attraktiv fand, konnte nur an seinen strahlend blauen Augen und der kraftvollen Ausstrahlung liegen. Sie hatte keine Schwäche für große, zornige Männer. Wahrlich nicht. Ihre Freunde waren eher nachdenklich, in sich gekehrt gewesen. Zuletzt war sie mit einem Professor für Geschichte an der Universität von Santa Cruz ausgegangen, und gegensätzlicher konnten zwei Männer kaum sein.

Trotzdem. Wayne Dalton hatte etwas …

Was hatte Quinn ihr nur eingebrockt?

Sie hatte sich geschworen, so etwas wie das hier nie wieder zu tun. Es brachte ihr nichts als Ärger ein. Am schlimmsten waren die vier Monate im Gefängnis in Washington gewesen, nachdem ihr Vater sie – hinter ihrem Rücken – in eine seiner Betrügereien verwickelt hatte.

Obwohl sie nichts davon gewusst hatte, war sie als Komplizin festgenommen worden und hatte einen hohen Preis bezahlt, bis der Richter sie schließlich freigesprochen hatte.

Selbst danach hatte sie es nicht fertiggebracht, die Verbindung zu Quinn abzubrechen. Dabei riet sie ihren Klienten dauernd, Beziehungen aufzugeben, die ihnen nur schadeten. War sie etwa gerade dabei, eine weitere einzugehen?

Von Marjorie wusste Caroline, dass Waynes Ehefrau vor zwei Jahren gestorben war. Seine Mutter liebte ihre Enkelkinder über alles, hatte sich jedoch auf der Ranch einsam gefühlt und nach Zuwendung gesehnt.

Natürlich war Caroline dafür nicht verantwortlich, doch dass die Frau ausgerechnet an Quinn geraten war, bereitete ihr ein schlechtes Gewissen.

Ohne sie hätten die beiden sich niemals kennengelernt, und Marjorie wäre noch zu Hause.

Nein, Caroline blieb keine andere Wahl, als für ihre Klientin einzuspringen. Es war die einzige Lösung, und sie fühlte sich dazu verpflichtet.

Nachmittags um halb vier hatte Caroline noch immer keine Ahnung, wie Marjorie es in ihrem Alter schaffte, mit den beiden kleinen Energiebündeln mitzuhalten.

Sie selbst war dreißig Jahre jünger als ihre Klientin und schon jetzt vollkommen erschöpft. Cody saß keine Minute still, und Tanner war kein einfacher Patient, sondern wollte permanent unterhalten und getröstet werden.

Caroline hatte den beiden mindestens ein Dutzend Geschichten vorgelesen, einen Turm aus Bauklötzen errichtet und Spielzeugautos durchs ganze Haus geschoben. Sie hatten einen Wettbewerb veranstaltet, wer am längsten auf einem Bein hopsen konnte, hatten ein Zelt aus Wolldecken gebaut und – während der letzten halben Stunde – Fangen gespielt.

Wer brauchte schon Pilates oder Aerobic?

„Jungs, warum machen wir nicht einen Snack für eure Schwester? Dann freut sie sich, wenn sie nach Hause kommt“, schlug sie vor.

„Darf ich den Löffel ablecken?“, fragte Tanner.

„Das kommt darauf an, was wir backen. Wie wäre es mit Brokkolikeksen?“

Tanner zog eine Grimasse, die sein Bruder prompt nachmachte. Sie gingen in die Küche, um die Zutaten zu sichten und einigten sich auf Reiswaffeln.

Sie rösteten gerade Marshmallows in der Mikrowelle, als die Haustür aufging. Caroline hörte, wie ein Rucksack auf dem Fußboden landete, dann ertönte eine Mädchenstimme.

„Grandma! Hey, Grandma! Ich habe heute beim Mathetest am besten abgeschnitten! Und für meine Buchvorstellung habe ich nur fünfundneunzig von hundert möglichen Punkten bekommen, weil Miss Brown fand, dass ich zu schnell gesprochen habe.“

Sekunden später erschien ein Mädchen mit langem dunklem Haar im Durchgang zur Küche und musterte Caroline misstrauisch.

„Wer sind Sie? Wo ist meine Grandma?“

Oh. Hatte Wayne seiner Tochter etwa nichts von Marjorie und Quinn erzählt?

„Das ist Caroline“, verkündete Tanner. „Sie kann einen Turm aus Klötzen bauen, der tausend Fuß hoch ist.“

Das war zwar leicht übertrieben, aber Caroline widersprach nicht. „Hi. Du musst Natalie sein. Ich bin Caroline Montgomery und helfe deinem Dad für ein paar Tage aus.“

„Wo ist meine Grandma?“, wiederholte Natalie mit gerunzelter Stirn.

„Na ja, die macht … eine kleine Reise“, antwortete Caroline nach einem Moment.

„Sieh mal, Natalie. Ich habe eine Mumienklaue.“ Tanner kletterte vom Stuhl und wedelte mit der verbundenen Hand.

„Was hast du dieses Mal angestellt?“, fragte seine Schwester mit gerümpfter Nase.

„Ich habe mich verbrannt, als ich auf dem Herd Marshmallows rösten wollte. Es gab ein kleines Feuer. Onkel Jake hat ekliges Zeug draufgeschmiert. Willst du mal sehen?“

„Du bist echt ein Trottel.“

Tanner streckte seiner Schwester die Zunge heraus. „Selber.“

„Nein, du.“

„Natalie, möchtest du uns helfen? Wir wollen einen Snack für dich zubereiten. Es wird nicht lange dauern“, griff Caroline ein, um die Situation zu entschärfen.

Das Mädchen runzelte die Stirn. „Meine Grandma macht mir nach der Schule immer ein Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade.“

Caroline atmete tief durch. „Das kann ich dir auch machen, wenn du willst.“

Natalie zuckte mit den Achseln. „Eigentlich habe ich gar keinen Hunger. Vielleicht später.“ Sie machte eine Pause. „Mit wem ist Grandma unterwegs? Mit Señora Cruz? Sie wohnt nebenan auf der Luna Ranch und ist ihre beste Freundin.“

Nach kurzem Zögern entschied Caroline sich für die Wahrheit. Wenn Wayne nicht wollte, dass seine Tochter von Quinn erfuhr, hätte er es Caroline sagen müssen.

„Nein. Sie ist mit meinem Dad verreist.“

„Heißt Ihr Dad zufällig Quinn?“, fragte das Mädchen.

Also wusste Natalie mehr über das Liebesleben ihrer Großmutter, als ihr Vater es getan hatte. „Ja. Kennst du ihn?“

„Grandma hat oft mit ihm telefoniert. Ich habe nur ein einziges Mal mit ihm gesprochen. Er ist lustig.“

Oh, ihr Vater konnte richtig charmant sein, keine Frage.

„Wohin sind sie gefahren?“

Jetzt wurde es etwas zu heikel. „Das solltest du besser deinen Dad fragen.“

„Kommen sie morgen zurück?“

„Das bezweifle ich.“

„Aber ich habe nach der Schule ein Pfadfindertreffen. Grandma sollte mich hinfahren.“

„Das kann ich wahrscheinlich übernehmen. Wir müssen es nur mit deinem Dad besprechen.“

„Ich will es nicht verpassen“, sagte Natalie.

„Bestimmt hat dein Vater nichts dagegen.“

Der Rest des Tages verlief nicht gerade optimal. Bei Tanner ließ die Wirkung des Schmerzmittels nach, und er wurde den Verband bald leid. Er wollte nach draußen in den Sandkasten, er wollte mit Knetmasse spielen, er behauptete sogar, dass er abwaschen wollte, dass er gern abwusch, dass er sterben würde, wenn er nicht abwaschen durfte.

Caroline tat ihr Bestes, um ihn abzulenken – aber ohne großen Erfolg.

Je näher das Zubettgehen kam, desto deutlicher spürte auch Cody, dass seine Großmutter fort war. Er wurde immer anhänglicher und weinerlicher. Mehrmals öffnete er die Haustür. „Grandma nach Hause?“, fragte er jedes Mal traurig, und es brach Caroline fast das Herz.

Natalie half zwar bei Cody, aber ansonsten stritt sie sich andauernd mit Tanner und kritisierte alles, was Caroline tat – wie sie die Nudeln ins kochende Wasser gab, wie sie die Kruste am Apfelkuchen formte und mit welchen Buntstiften sie Elmo und das Krümelmonster ausmalte.

Caroline fiel auf, dass das Mädchen niemals erzählte, wie ihr Vater etwas tat, sondern immer nur von der Großmutter sprach. Keines der Kinder schien es ungewöhnlich zu finden, dass sie ihn den ganzen Abend hindurch nicht zu Gesicht bekamen.

Die Ärmsten, dachte sie. Erst verlieren sie ihre Mutter, und dann haben sie auch noch einen Vater, der keine Zeit für sie hatte.

Erst als sie im Kühlschrank eine Torte entdeckte und Natalie danach fragte, wurde er endlich erwähnt.

„Oh, die ist für meinen Dad. Heute ist sein Geburtstag, aber wir haben ihn ganz vergessen.“

„Ich habe ein Geschenk gemacht!“, rief Tanner. „Es ist in meinem Zimmer.“

„Geschenk, Geschenk“, wiederholte Cody und folgte seinem Bruder nach oben.

„Sollen wir den Apfelkuchen für deinen Dad aufheben?“, schlug Caroline vor.

Das Mädchen zuckte leicht mit den Schultern. „Meinetwegen. Aber Grandma hat die Torte gemacht. Sie kann richtig gut backen. Wahrscheinlich will er den Kuchen gar nicht.“

Seufzend stellte Caroline den Kuchen zum Abkühlen auf die Arbeitsfläche.

Trotz ihrer mürrischen Art war Natalie eine große Hilfe, als es darum ging, die Jungen zu Bett zu bringen. Sie half sogar dabei, eine Plastiktüte um Tanners Hand zu wickeln, damit er baden konnte.

Doch danach war es mit ihrer Kooperation vorbei, als Caroline sie gegen acht fragte, ob sie nicht auch zu Bett gehen wolle.

Natalie wich ihrem Blick aus. „Ich habe keine fest Zeit. Ich gehe schlafen, wenn ich müde bin. Meistens erst um zehn oder elf.“

„Wirklich?“

„Ja. Meiner Grandma ist es egal, wann ich zu Bett gehe. Meinem Dad auch. Meistens arbeitet er sowieso noch. Manchmal sehe ich noch fern, wenn er zu Hause ist und schon schläft.“

Caroline glaubte ihr nicht recht, fragte jedoch nicht nach. Ihre Beziehung war auch so angespannt genug. Andererseits durfte sie das Mädchen nicht so lange aufbleiben lassen, nur um den Frieden zu wahren.

„Ich habe in meinem Koffer ein toll duftendes Duschbad. Wie wäre es, wenn du das benutzt und danach bis neun fernsiehst? Abgemacht?“

Natalie stimmte sofort zu, und Caroline ahnte, dass sie fast hereingelegt worden wäre. Als Natalie aus dem Bad kam, fanden sie im Programm nichts Interessantes, daher legte sie eine DVD ein.

Während der Vorspann lief, holte Natalie zwei Quilts aus der antiken Truhe in einer Ecke des Wohnzimmers.

„Die hat meine Mom genäht“, sagte sie wie beiläufig.

Caroline strich über die roten, blauen und grünen Stoffquadrate. „Sie sind hübsch! Deine Mom muss sehr talentiert gewesen sein. Dürfen wir sie nehmen?“

Natalie nickte. „Beim Fernsehen tun wir das immer. Grandma sagt, das ist, als würde Mom uns in die Arme nehmen. Die, die Sie haben, ist Dads Lieblingsdecke.“

Caroline wurde warm ums Herz. Sie legte den Quilt um sich, sah sich den Film an, lauschte dem Regen, der gegen sieben eingesetzt hatte, und dachte über die Familie nach, in deren Leben Quinns Reise sie so plötzlich gebracht hatte.

Sie würde ihn umbringen.

Wayne sah auf die Uhr, die an der Mikrowelle leuchtete, und stöhnte innerlich auf. Halb elf. Er hatte eine wildfremde Frau über zehn Stunden lang mit seinen Kindern – zu denen ein Fünfjähriger mit einer verbrannten Hand gehörte – allein gelassen.

Dabei hatte er sich fest vorgenommen, nach Hause zu kommen, bevor die Kinder zu Bett gingen. Aber da der Regen erst nach Anbruch der Dunkelheit eingesetzt hatte, hatten sie das ganze Heu ernten können, es jedoch noch aufladen und in die Scheune schaffen müssen.

Und jetzt schlich er sich in sein eigenes Haus, erschöpft und mit Muskelkater.

Caroline würde kein Verständnis dafür haben. Für sie war er nichts als ein Rabenvater.

Er konnte von Glück sagen, wenn sie noch hier war.

Was für ein seltsamer Gedanke. Er wollte sie nicht hier haben. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn sie in Kalifornien geblieben wäre. Ihre Anwesenheit machte ihn nervös, vor allem die braunen Augen und ihr Vanilleduft.

Die Küche war blitzblank, und auf dem Tisch warteten einige Geburtstagsgeschenke auf ihn, zusammen mit einem lecker aussehenden Apfelkuchen.

Sein Magen meldete sich, und beinahe hätte Wayne sich eine Gabel genommen und den Kuchen komplett aufgegessen. Aber er beherrschte sich, denn erst musste er sich bei Caroline dafür entschuldigen, dass er ihr seine Kinder aufgebürdet hatte.

Aus dem Wohnzimmer kam leise Musik. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch ging er nach nebenan.

Im Durchgang blieb er stehen und runzelte die Stirn. Auf dem Bildschirm flimmerte das Menü einer Disney-DVD, abgesehen davon war es dunkel. Als seine Augen sich daran gewöhnt hatten, sah er, dass beide Sofas besetzt waren. Auf dem einen lag Natalie, auf dem anderen Caroline, und beide schliefen fest.

Seine Tochter hatte sich mit einem von Andreas Quilts zugedeckt. Vermisste sie ihre Mutter auch so sehr wie er?

Sie bewegte sich, wurde jedoch nicht wach, als er sie in ihr Zimmer trug. Langsam wird sie erwachsen, dachte er wehmütig. Sie war schwerer als beim letzten Mal. Bald würde sie ein Teenager sein, und bei der Vorstellung lief es ihm kalt den Rücken herunter. Eine Achtjährige war schon schwierig genug.

Er legte sie aufs Bett und betrachtete sie im Mondschein.

Sie sah ihrer Mutter so ähnlich.

Nach einem Moment ging er zur Tür, aber Natalies schläfrige Stimme ließ ihn innehalten.

„Daddy?“

Wayne drehte sich um. „Ich bin jetzt zu Hause. Schlaf weiter, Sonnenschein.“

„Du nennst mich nie mehr Sonnenschein.“

„Das habe ich doch gerade getan, oder?“

Lachend kehrte sie ihm den Rücken zu.

Unten stellte er erleichtert fest, dass sein Gast noch schlief, mit angezogenen Knien und den Händen unter der Wange. Eine Locke war ihr ins Gesicht gefallen. Zu gern hätte er sie zurück hinters Ohr geschoben, aber er riss sich zusammen.

Was war los mit ihm? Irgendwie war es falsch, sie so zu betrachten. Wahrscheinlich würde sie es als unverzeihliche Verletzung ihrer Privatsphäre ansehen. Kalifornische Lebensberaterinnen waren in der Hinsicht garantiert äußerst empfindlich.

Er musste sie wecken, auch wenn ihm aus vielerlei Gründen davor graute.

„Miss Montgomery? Caroline?“

Ihre unglaublich langen Wimpern zuckten, dann öffnete sie die Augen. Einen Moment lang starrte sie ihn verwirrt an, bevor sie ihn erkannte. „Sie sind zurück. Wie spät ist es?“

Auf geht’s, dachte er. Zeit für die Strafpredigt. Er seufzte. „Viertel vor elf.“

Sie setzte sich auf und schob die Locke hinters Ohr. „Sie arbeiten aber lange.“

„Zeigen Sie mir einen Rancher, der das nicht tut.“ Er lächelte matt. „Dies ist eine hektische Jahreszeit. Man muss das letzte Heu hereinholen und alles für den ersten Schnee vorbereiten.“

„Die Kinder hatten eine kleine Geburtstagsfeier für Sie geplant. Wir haben einen Kuchen gebacken. Natalie hat gesagt, dass Sie lieber Torte essen. Jetzt haben Sie die freie Auswahl.“

Er kratzte sich die Wange. „Hat Natalie zufällig auch erwähnt, dass ich Geburtstage nicht besonders mag? Und ich kann nicht behaupten, dass dieser einer meiner schönsten ist.“

„Sie haben noch eine Stunde. Machen Sie das Beste daraus.“

Plötzlich kam ihm die absolut verrückte Idee, sie auf die Couch zu drücken und den verlegen lächelnden Mund zu küssen, bis keiner von ihnen mehr einen klaren Gedanken fassen konnte.

Er fühlte, wie ihm warm wurde, und hoffte inständig, dass es dunkel genug war, um es vor ihr zu verbergen – und dass an der Westküste Gedankenlesen nicht zu den Fähigkeiten einer Lebensberaterin zählte.

Aber jetzt, da seine Fantasie schon mal in Aktion war, fragte er sich, ob sie den Kuss erwidern würde und ob ihre Haut so weich war, wie sie aussah.

Er würde es nicht herausfinden, verdammt. Hastig zügelte er sich.

„Ich werde mir den Geburtstagskuchen schmecken lassen und dann zu Bett gehen“, sagte er.

Allein, wie seit zwei Jahren.

„Was ist mit den Kindern?“

„Ich könnte ihnen etwas übrig lassen.“

„Sie waren enttäuscht, dass sie Ihnen die Geschenke nicht geben konnten.“

Das schlechte Gewissen ließ ihn schärfer antworten, als er beabsichtigt hatte. „Das hier ist eine Ranch. Die Kinder verstehen, dass ich Verpflichtungen habe. Ich werde versuchen, sie beim Frühstück zu sehen, dann können wir die Geschenke auswickeln.“

Sie öffnete den Mund, und er machte sich auf eine Standpauke gefasst.

„Schön“, sagte sie nur, wenn auch kühl.

Wayne schluckte seinen letzten Stolz herunter. „Es tut mir leid, dass ich Sie so lange mit ihnen allein gelassen habe. Ich hätte anrufen sollen, aber wir mussten uns beeilen, um das Heu vor dem Regen in die Scheune zu bringen.“

„Tanners Hand tat wieder weh, deshalb habe ich ihm noch eine Tablette gegeben. Ich hoffe, das ist Ihnen recht.“

„Ja. Ich weiß Ihre Unterstützung zu schätzen.“

„Gern geschehen.“

„Macht es Ihnen wirklich nichts aus, noch einen oder zwei Tage zu bleiben, bis mir eine andere Lösung einfällt?“

„Natürlich nicht.“

Er verstand nicht, warum sie ihm half, aber er war zu müde und hungrig, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

„Gibt es hier ein Gästezimmer, in dem ich übernachten kann?“, fragte sie. „Ich habe mein Gepäck im Wagen gelassen, weil ich nicht sicher war, wohin ich es bringen soll.“

„Oh. Daran hätte ich selbst denken sollen. Unten sind zwei Gästezimmer, oben noch zwei. Von den acht Schlafzimmern im Haus werden im Moment nur vier benutzt, weil Cody und Tanner sich eines teilen.“

Autor

RaeAnne Thayne

RaeAnne Thayne hat als Redakteurin bei einer Tageszeitung gearbeitet, bevor sie anfing, sich ganz dem Schreiben ihrer berührenden Geschichten zu widmen. Inspiration findet sie in der Schönheit der Berge im Norden Utahs, wo sie mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern lebt.

Foto: © Mary Grace Long

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