Bianca Exklusiv Band 368

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FLIRT MIT DEM SCHICKSAL von CHRISTYNE BUTLER
Wie kann er sich nicht an sie erinnern? Tanya ist fassungslos. Ausgerechnet sie ist die neue Therapeutin von Devlin Murphy, der sich nach einem schrecklichen Unfall nur langsam erholt. Vielleicht helfen ihm ihre sanften Berührungen, ins Leben und in die Liebe zurückzufinden?

ES WAR EINMAL IN DEINEN ARMEN von MARIE FERRARELLA
„Du trägst noch immer dieses Parfum“, flüstert Sebastian, als sie sich in seinen Armen wiegt – zum selben Lied wie vor zehn Jahren. Doch nach dieser Nacht wird sie wieder ein Ozean trennen. Kein Mann gibt wegen eines einzigen Tanzes sein gewohntes Leben auf – oder etwa doch?

DER ANDERE BRÄUTIGAM von CHRISTINE RIMMER
Ihr Lachen bezaubert ihn, und ihre Augen versprechen das Paradies – Rafe kann dieser Frau nicht widerstehen! Obwohl er weiß, dass er von verbotenen Früchten nascht, denn Genevra wollte seinen verstorbenen Bruder heiraten. Jetzt umarmt sie Rafe und schwört ihm die ewige Liebe …


  • Erscheinungstag 11.11.2023
  • Bandnummer 368
  • ISBN / Artikelnummer 9783751516778
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Christyne Butler, Marie Ferrarella, Christine Rimmer

BIANCA EXKLUSIV BAND 368

1. KAPITEL

„Hey, Cowboy.“ Die blonde Kellnerin beugte sich über die Theke. „Ich weiß genau, was du brauchst.“

Devlin Murphy schaute auf. Ihm lief schon das Wasser im Mund zusammen. Vor ihm stand die Spezialität des Blue Creek Saloons: ein Burger mit richtig dicken Pommes frites. Allerdings war er kein Cowboy, obwohl er einen schwarzen Stetson aufhatte. Sie war wohl neu hier. Aber es war auch schon eine Weile her seit seinem letzten Besuch hier.

Acht Monate, um genau zu sein.

Seine Brüder hatten ihn zwar dazu ermuntert, sein altes Revier unsicher zu machen, seit er – im wahrsten Sinne des Wortes – wieder auf den Beinen war. Aber Devlin war noch nicht soweit gewesen.

Doch der Frühling war ungewöhnlich früh nach Destiny in Wyoming gekommen, also hatte Dev an diesem warmen Nachmittag Ende April beschlossen, wieder ins Reich der Lebenden zurückzukehren.

Er schob seinen Hut zurück und gab sich Mühe, verwegen zu lächeln, anstatt das Gesicht vor Schmerz zu verzerren. Das war gar nicht so einfach, denn wieder einmal hatte er das Gefühl, als würde sich weiße Glut von seiner Schulter zum Ellbogen durchfressen.

„Ach ja? Was denn?“

„Bin gleich wieder da.“ Sie zwinkerte ihm zu. Doch das hatte keinerlei Wirkung auf ihn. Noch vor einem Jahr hätte er hemmungslos mit ihr geflirtet und die Bar mit ihrer Telefonnummer, wenn nicht sogar in ihrer Begleitung verlassen.

Heute? Hatte er kein Interesse.

Wenn das mal nicht ein echter Tiefschlag war. Der soziale Tiefschlag, der auf den gesundheitlichen folgte. Denn das Schicksal hatte ihm übel mitgespielt, als er zusammen mit seinem ältesten Bruder Adam im Helikopter abgestürzt war. Dev selbst war der Pilot des Hubschraubers gewesen.

Drei Tage lang blieben sie im Grand Tetons Nationalpark verschollen. Adam war mit ein paar Schrammen und blauen Flecken davongekommen. Aber Dev musste fünf Monate im Krankenhaus verbringen, weil er sich ein Bein und beide Arme gebrochen hatte.

Inzwischen konnte er wieder ein selbstständiges Leben führen. Nur was die Physiotherapie anging, kam er nicht weiter. Wenn er sich überhaupt noch die Mühe machte hinzugehen, waren die Behandlungen schmerzhaft und zeigten keine Wirkung.

Dass er sich ausgerechnet an die Theke gesetzt hatte, bereute Dev jetzt. Er hatte freien Blick auf die Flaschen, die nur darauf warteten, für Drinks und zum Mixen von Cocktails verwendet zu werden. Diese Flaschen waren seine altbekannten Freunde. Jim Beam, Jack Daniels und Johnny Walker.

Ja, die drei kannte er schon lange. Aber er hatte jetzt schon seit sechs Jahren nicht mehr ihre Gesellschaft genossen. Das hieß aber noch lange nicht, dass er keine Lust mehr darauf hatte. Nein, die Versuchung war ihm erhalten geblieben.

In diesem Augenblick kam die Barkeeperin zurück und stellte ihm ein Glas frisch gezapftes Bier hin.

Jeder schmerzende Muskel in Devlins Körper verspannte sich.

„Hier, bitte.“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Du siehst aus wie ein Mann, der sich ein kaltes Bier redlich verdient hat.“

Dev starrte das Glas an. Die goldene Farbe wirkte so verlockend auf ihn wie ein Goldschatz auf einen müden Piraten. Weißer Schaum schwappte gegen den Rand. Außen am Glas lief der Beschlag in Tropfen hinunter, bis er die Papierserviette durchnässte.

Dev schluckte schwer und ballte die Hände zu Fäusten. Verdammt, herzukommen war eine blöde Idee gewesen.

„Äh.“ Dev räusperte sich. „Also, ich trinke keinen …“

„Lisa, warum kümmerst du dich nicht um die Gäste hier drüben?“ Eine energische Frauenstimme unterbrach ihn. „Ich übernehme für dich.“

Mit dem Geschick langjähriger Übung ließ Racy das Bier verschwinden und stellte ihm stattdessen ein großes Glas Eiswasser hin. „Tut mir leid. Sie ist neu hier.“

Dev nickte und seufzte tief.

„Schön, dich wiederzusehen“, fuhr Racy fort und lächelte ihn an. „Du warst viel zu lange nicht mehr hier.“

„Ich war viel zu lange gar nirgends.“

„Normalerweise sitzt du nicht an der Bar.“

„Stimmt.“

„Und du kommst selten allein.“

„Die anderen sind alle bei der Arbeit“, sagte er schließlich.

Racy stützte sich mit den Ellbogen auf die Bar. Sie warf ihm einen strengen Blick zu. „Nur du nicht?“

„Doch, ich arbeite schon wieder, mache nur gerade Pause.“

Endlich war er wieder voll berufstätig. Dev entwarf Sicherheitssysteme für das Familienunternehmen, Murphy Mountain Log Homes. Aber wenn er länger als eine Stunde an den Computern saß, fingen seine Schultern an zu pochen, bis der Schmerz seine Ellbogen durchzuckte und seine Finger taub wurden.

„Ich habe einfach frische Luft gebraucht.“

„In einer Bar?“

„Ich hatte einfach Lust.“ Verdammt, das kam jetzt ganz falsch rüber. „Auf einen Burger.“

„Soll ich jemanden für dich anrufen?“

Bei ihrer leisen Frage erstarrte Dev.

„Wie zum Beispiel den Sheriff von Destiny?“, fragte er scharf.

„Wenn du mit Gage reden willst, kommt er. Er ist dein Freund.“ Mitleid schimmerte in Racys braunen Augen. „Das weißt du doch, oder?“

Der Anflug von Streitlust legte sich so schnell wieder, wie er gekommen war.

Verdammt, er und Gage waren schon befreundet gewesen, als sie noch zusammen in der High School Football gespielt hatten. Gage hatte Dev zu seinem ersten Treffen bei den Anonymen Alkoholikern gefahren. „Ja, das weiß ich.“

„Oder willst du vielleicht mit jemand anderem sprechen?“

Damit meinte sie seinen Paten.

Mac war von Anfang an für Dev da gewesen. Sie hatten sich bei einem Treffen kennengelernt und sich angefreundet, weil sie beide das Fliegen liebten. Kurze Zeit später hatte Dev den älteren Mann gebeten, ihm zur Seite zu stehen. Als jemand, an den er sich zu jeder Tages- und Nachtzeit wenden konnte. Als einen Menschen, der den Kampf verstand, den Dev auszufechten hatte, um nüchtern zu bleiben.

Um zu überleben.

Dev holte tief Luft. Seine schlimmste Krise war vorbei. Er hatte sich schon oft mit der Versuchung auseinandersetzen müssen und würde das auch wieder tun. Jeden Tag musste er das Verlangen überwinden, vor allem in den letzten paar Monaten. „Nein, danke. Mir geht’s gut.“

Sie nickte wieder.

„Ehrlich, Racy. Lass mich einfach mein Essen genießen.“ Er hielt inne. Sein Blick glitt zum anderen Ende der Bar. „Und die Aussicht.“

Racy grinste. „Vergiss es, Murphy. Das Mädchen ist erst dreiundzwanzig.“

„Autsch. Jetzt fühle ich mich aber alt.“

„Du bist nicht alt. Sie ist nur zu jung.“

Dev wandte sich seinem Burger zu. Als ein Brummton erklang, ließ Racy den Lappen fallen und zog ihr Handy aus der Hosentasche. Sie strahlte, als sie das Mobiltelefon ans Ohr presste.

„Hey, Liebling. Wie geht’s dem attraktivsten Sheriff der ganzen Welt?“ Sie zwinkerte Dev zu, dann lachte sie. „Ja, ich kann von hier aus sehen, wie du rot wirst.“

Devlin schüttelte den Kopf. Manchmal überraschte es ihn immer noch, dass Racy und Gage, die so unterschiedlich waren wie Tag und Nacht, sich ineinander verliebt und geheiratet hatten. Dabei war er Trauzeuge gewesen und nahm sich die Beziehung der beiden zum Vorbild.

Die Hochzeit seines Bruders Adam und seiner Fay hatte er nicht miterleben können. Er hatte ein Video der Feier im September im Krankenhaus gesehen. Wenigstens war er im Februar mehr oder weniger wieder auf den Beinen gewesen, als ihr Sohn auf die Welt gekommen war.

„Wie wäre es mit frisch gebackenem Apfelkuchen mit Vanilleeis zum Nachtisch?“

Mit dieser Frage schreckte Racy Devlin aus seinen Gedanken auf. „Nein, danke.“

Er rutschte vom Barhocker. Dann stützte er sich schwer auf die Theke, während er den Geldbeutel aus der Hosentasche zog. Sein Physiotherapeut behauptete ja, dass er noch einen Stock brauchte. Aber den hatte Dev im Jeep gelassen.

„Wird Zeit, mich wieder an die Arbeit zu machen.“

Lächelnd drückte Racy ihm die Hand. „Hast du vor, unterwegs bei der Feuerwehr reinzuschauen?“

Die Frage traf ihn unvorbereitet. „Nein. Warum?“

„Nur so. Die reden nur immer von dir, wenn die Truppe zusammenkommt. Ich habe gedacht, die würden sich freuen zu wissen, dass ihr bester Mann wieder auf den Beinen ist.“

Ja, auf den Beinen war er. Aber nicht annähernd in der Verfassung, wieder bei der Freiwilligen Feuerwehr mitzumachen. Wenn er das je wieder sein würde. Außerdem war er einfach noch nicht wieder bereit dazu, seinen ehemaligen Kollegen gegenüberzutreten.

Dev steckte den Geldbeutel wieder ein und sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass er nicht stürzen würde, sobald er sich umdrehte. „Mach’s gut, Racy. Danke für das gute Essen.“

„Richte deiner Familie viele Grüße aus.“

Auf dem Weg nach draußen konnte er nur daran denken, wie sehr er das ständige Hinken hasste. Seine Familie behauptete zwar, dass es gar nicht so auffiel. Aber ihm machte jeder schwankende Schritt erneut bewusst, wie sehr sich sein Leben verändert hatte.

Er überquerte den Parkplatz, öffnete die Tür seines Jeeps und stieg ein. Dabei versuchte er, die Schmerzen zu ignorieren, die immer schlimmer wurden. Dieser Ausflug war wirklich keine gute Idee gewesen.

Seine Familie hatte Dev nach dem Unfall bedingungslos unterstützt. Wegen seiner Armbrüche hatte Dev nichts selbst machen können, vom Essen bis zum Waschen. Für ihre Hilfe war er seiner Familie unendlich dankbar. Doch jetzt brauchte er Abstand. Um nachzudenken. Um durchzuatmen.

„Warum musstest du ausgerechnet ins Blue Creek?“, fragte er sein Spiegelbild im Rückspiegel, als er den Motor anließ und aus dem Parkplatz fuhr. „Warum nicht Sherry’s Diner? Oder ein Sandwich in Doucette’s Bakery?“

Es ging ihm nicht gut. Der Anblick und der Geruch des Alkohols im Blue Creek hatten Bedürfnisse in ihm geweckt, die er glaubte, längst im Griff zu haben.

Dev drehte das Radio laut, als sein Blick auf die Getränkehandlung White’s Liquors fiel. Ihm wurde klar, dass er den Laden jetzt sechs Jahre lang nicht mehr betreten hatte.

Seine Hände krampften sich ums Lenkrad. Er holte tief Luft, ließ los und legte den Gang ein. Unterwegs rief er Mac an. Es klingelte dreimal, dann erklang ein Rauschen und Mac meldete sich: „Dev?“

Der Empfang war furchtbar schlecht, aber Dev war froh, Mac zu hören. „Ja, ich bin’s. Kannst du reden?“

„… am Flughafen.“

Einen Augenblick setzte Dev beinahe das Herz aus. Dann konnte er Mac nicht sehen. Der Flughafen war der allerletzte Ort, wo er hin wollte.

„Du … zu mir … sehen uns da.“

Dev stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. „Schon unterwegs.“

„… gestern angekommen.“

Während Mac irgendetwas erzählte, fuhr Dev auf die Feuerwehr zu. Er zwang sich, weiter auf die Straße zu schauen und erlaubte sich nicht mal, aus den Augenwinkeln einen Blick auf die offenen Garagen zu werfen. Dort waren ein paar Feuerwehrleute gerade dabei, den Löschzug zu waschen.

„Mac, die Verbindung ist miserabel.“ Als Dev aus der Stadt fuhr, wurde ihm leichter ums Herz. „Du kannst mir alles erzählen, wenn ich da bin. Ich warte auf der Veranda auf dich.“

Kurze Zeit später fuhr Dev an der Einfahrt zur Ranch seiner Familie und an der Abzweigung zu Adams Haus vorbei.

Auf Macs Grundstück angekommen, wollte er wie immer neben dem einstöckigen Farmhaus anhalten. Doch dann bemerkte er ein fremdes Auto neben dem Metallhangar hinter dem Haus. Dev fuhr dort hin und parkte seinen Wagen neben dem braunen Sedan mit Kennzeichen aus Colorado. Er runzelte die Stirn.

Er hatte erst vor einer Woche mit Mac gesprochen, und der hatte nichts von Besuchern gesagt.

Dann bemerkte Dev, dass das Tor zum Hangar ein Stück weit offenstand. Er legte seinen Hut auf den Beifahrersitz und kletterte aus dem Jeep.

Nachdem er die dunkle Halle betreten hatte, brauchte Dev einen Augenblick, bis sich seine Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten. Er ging um die Tragfläche des historischen Flugzeugs herum, das Mac in liebevoller Arbeit wiederhergerichtet hatte. Er ließ die Hand über den glatten Rumpf gleiten und spürte den vertrauten Knoten im Magen.

Kurz nachdem Mac bei den Anonymen Alkoholikern sein Pate geworden war, hatte er Dev erlaubt, ihm bei der Restaurierung zu helfen. Und um zu feiern, dass Dev zwölf Monate trocken war, hatte Mac ihn auf einen ersten Flug mitgenommen. Er hatte Dev auch dazu gebracht, sich für Hubschrauber zu interessieren. Als Dev seinen Pilotenschein gemacht hatte, war Mac dabei gewesen.

Doch das war alles Vergangenheit. Dev würde nicht mehr fliegen.

Also ging er weiter und ignorierte seine Schmerzen, bis er hätte schwören können, dass er …

… ein Windspiel hörte?

Er fragte sich, ob Mac das Radio angelassen hatte. Aber sein Freund war eher ein Fan von klassischem Rock ‚n‘ Roll. Das Geräusch kam aus dem hinteren Bereich des Hangars, wo Mac auf der einen Seite sein Büro und auf der anderen Seite ein Fitnessgerät untergebracht hatte.

Als Dev dort ankam, blieb er wie angewurzelt stehen. Direkt vor ihm reckte sich ein äußerst wohlgeformter weiblicher Po in die Luft. Die Frau hatte sich wie eine Brezel verbogen. Als sie sich langsam aufrichtete, entpuppte sie sich als hochgewachsen. Dank des knappen Tanktops und der figurbetonenden Leggings konnte er sehen, wie muskulös ihr schlanker Körper war.

Weil er die Unbekannte nicht erschrecken wollte, räusperte Dev sich. Keine Reaktion. War die Musik so laut, dass sie ihn nicht hören konnte?

Er versuchte es noch mal. Aber sie nahm nur mit einer eleganten Bewegung eine andere Position ein. Sie balancierte auf einem Bein, die Arme hoch über den Kopf gestreckt. Dann legte sie den Kopf in den Nacken, bis ihr dunkler Pferdeschwanz ihre Schulterblätter kitzelte.

Beeindruckend. Sogar als er noch zwei gesunde Beine gehabt hatte, wäre er nach zwei Sekunden auf dem Hintern gelandet.

Sie war also der Eindringling. Harmlos. Dev lehnte sich an Macs Schreibtisch. Er verschränkte die Arme und beschloss, das Schauspiel zu genießen.

Er ließ den Blick von Kopf bis Fuß über sie gleiten. Als sein Körper auf ihren Anblick reagierte, war er überrascht. Das war seit Monaten nicht passiert.

Wer war sie?

Mac hatte eine Tochter aus einer früheren Ehe. Aber dafür war die Frau zu jung. Dev vermutete, dass sie Ende zwanzig war, ein paar Jahre jünger als er.

Sie konnte unmöglich Macs Freundin sein, oder doch? Soweit er wusste, hatte Mac zurzeit nur Augen für Ursula, der Eigentümerin des Schönheitssalons von Destiny.

Vielleicht war die Frau auch eine verlorene Seele, die Hilfe brauchte? Sein Freund hatte im Lauf der Jahre vielen Mitgliedern der Anonymen Alkoholiker geholfen.

Dev unterdrückte sein wachsendes Interesse. Es war höchste Zeit, sie auf sich aufmerksam zu machen.

Er wandte den Blick von ihren nackten Füßen ab, räusperte sich noch mal und sagte: „Miss, ich will Sie nicht erschrecken …“

Sie fuhr herum. Plötzlich bekam er eine volle Ladung Schaumstoffziegel an den Kopf geworfen.

Mehr überrascht als verletzt, wich er zurück und fluchte leise, als der vertraute, brennende Schmerz sein Bein durchzuckte. „He, aufhören!“

Tanya Reeves stand mit erhobenem Arm da. Ihr Atem ging stoßweise. Sie war bereit, ihren letzten Yogaziegel auf den hochgewachsenen Fremden zu werfen. Ihr Herz raste. Das Gefühl von Ruhe und Frieden, das sie sich mit ihren Yogaübungen mühsam erkämpft hatte, war verflogen.

„Wer sind Sie?“, fragte sie. „Was machen Sie hier? Wagen Sie es nicht, einen Schritt näher zu kommen.“

„Ich habe noch keinen einzigen Schritt gemacht.“

Sie ließ den Ziegel fallen und schnappte sich ihr Handy. „Das sollten Sie auch nicht. Ich rufe die Polizei.“

„Das nützt nichts.“

Sie wich einen Schritt zurück, strich sich die verschwitzten Haarsträhnen aus der Stirn zurück und nahm Haltung an. Es war zwar schon ein paar Jahre her, seit sie Karateunterricht genommen hatte, aber ein paar kräftige Fußtritte konnte sie immer noch austeilen. „Das werden wir ja sehen.“

Der Mann setzte sich wieder auf den Schreibtisch. Einen Mundwinkel verzog er zu einem verhaltenen Lächeln.

Einem Lächeln, das ihr bekannt vorkam …

„Hier ist kein Empfang“, fuhr er fort.

Sie warf einen Blick auf ihr Handy. Verdammt!

„Keine Angst. Bei mir passiert dir schon nichts.“

Sie schnaubte ungläubig.

„Ich schätze, du glaubst mir nicht.“

Tanya entspannte sich, blieb aber auf sicherem Abstand. „Wenn ich deinen Namen kennen würde und wüsste, was du hier machst, würde mir das leichter fallen.“

Er lächelte, offen und natürlich. Seine eisblauen Augen wirkten wärmer. Bei seinem Anblick bekam sie Herzklopfen.

Weil seine Augen ihr auch bekannt vorkamen …?

Nein, unmöglich. Es lag bestimmt nur daran, dass er groß war und gut aussah. Lässig und sexy in Jeans und blau gestreiftem Button-down-Hemd, das sich eng um seine breiten Schultern spannte.

Sie senkte den Blick zu seinen Füßen – und wieder blieb ihr die Luft weg. Jawohl, er trug auch noch Cowboystiefel. Sie hatte eine große Schwäche für Männer in Cowboystiefeln. Tanya sah ihm wieder in die Augen, zog eine Augenbraue hoch und wartete ab.

„Ich bin mit dem Mann befreundet, der hier wohnt“, sagte er schließlich. „Mein Name ist Murphy. Devlin Murphy.“

Devlin?

Urplötzlich erinnerte sie sich wieder an eine Nacht in Reno vor über zehn Jahren. Wer hätte gedacht, dass sie hier ausgerechnet dem betrunkenen Dummkopf über den Weg laufen würde, mit dem sie einmal einen fast perfekten Abend verbracht hatte?

Einem Dummkopf, der ganz offensichtlich keine Ahnung hatte, wer sie war.

„Jetzt bist du dran.“

Tanya blinzelte und bemühte sich, Erinnerungen an überfüllte Kasinos und dunkle Klubs zu verdrängen, in denen dieser Mann sie in den Armen gehalten hatte. „Was?“

„Es ist nur fair, wenn du mir jetzt deinen Namen sagst.“

Einen Augenblick lang fragte sie sich, ob er sich an sie erinnern würde. Bis Devlin seinen Namen gesagt hatte, hatte sie nicht gewusst, wer er war. Zehn Jahre waren eine lange Zeit.

„Tanya“, antwortete sie schließlich. „Tanya Reeves.“

Sie beobachtete jede seiner Gesichtsregungen. Nichts deutete darauf hin, dass er sie erkannte. Okay, das tat weh. Aber sie sollte nicht überrascht sein. An dem Abend, an dem sie sich kennengelernt hatten, hatte er ziemlich heftig gefeiert. Die Party hatte bis in die frühen Morgenstunden gedauert. Dann waren sie zusammen in seinem schicken Hotelzimmer gelandet …

„Schön, dich kennenzulernen, Tanya“, unterbrach er ihre Gedanken. „Dann darf ich dich jetzt mal fragen, wie du hier reingekommen bist?“

Sie stemmte die Hände in die Hüften. Daran, um Hilfe zu rufen, dachte sie nicht mehr. „Wie ich … Wie bist du hier reingekommen?“

„Ich habe einen Schlüssel. Aber den habe ich nicht gebraucht, weil die Tür offen war.“

Nein, das stimmte nicht. Sie hatte darauf geachtet, die Tür hinter sich zu schließen.

„Du musst mit der Klinke wackeln, damit das Schloss greift“, fuhr er fort, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte. „Sonst weiß man nie, wer plötzlich reinkommt.“

Tanya verschränkte die Arme. Auf einmal wurde ihr bewusst, wie wenig sie anhatte.

Verdammt, als sie Devlin Murphy kennengelernt hatte, da hatte sie nicht viel mehr angehabt als Federn und Pailletten. Jede Menge Pailletten.

„Danke für den Tipp. Werde ich mir merken.“

„Also, dann hast du vor …“ Er brach ab und schwenkte eine Hand. „Das wieder zu machen?“

„Jeden Tag.“

Er presste den Mund zu einer harten Linie zusammen und klammerte sich an der Schreibtischkante fest. Warum missfiel ihm der Gedanke so sehr, dass sie hier trainierte?

„Und was ich da gemacht habe, das nennt man Yoga. Anusara Yoga, um genau zu sein“, fügte sie hinzu. „Das ist nicht so anspruchsvoll wie die anderen Formen. Aber nach einer Nacht auf der alten Matratze in der Blockhütte … He, alles in Ordnung?“

Er ließ den Tisch los, aber Tanya sah, dass ihm der Schweiß auf der Stirn stand.

„Ja, mir geht’s gut.“

Sie hatte von dem schrecklichen Unfall gehört, in den er im letzten Sommer verwickelt war – die Geschichte war sogar in Denver in der Zeitung gewesen. In den letzten Berichten hatte es geheißen, dass Devlin monatelang im Krankenhaus sein würde.

„Ich frage nur, weil du aussiehst, als ob du Schmerzen hast.“

Er biss die Zähne zusammen. „Nein. Hast du gesagt, dass du in der Blockhütte übernachtet hast?“

Tanya nickte. Sie glaubte ihm nicht, dass alles in Ordnung war. „Mac hat mir ein Zimmer im Farmhaus angeboten, aber ich bin daran gewöhnt, allein zu leben. Er hat auch gesagt, wo der zweite Schlüssel für dieses Gebäude ist und dass ich jederzeit …“

Überraschung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „Warum sollte Mac dir einen Schlüssel zum Hangar geben?“

„Warum sollte er dir einen geben?“, erwiderte sie.

„Weil wir Freunde sind.“

„Und ich gehöre zur Familie.“

Devlin blieb der Mund offen stehen. „Wie bitte?“

„Steve Mackenzie ist mein Großvater.“ So schockiert, wie er aussah, fragte sich Tanya, ob Devlin und Mac wirklich so gute Freunde waren, wie er behauptete. „Hast du nicht gewusst, dass er eine Familie hat?“

„Eine Tochter, ja. Aber sie haben nicht mehr miteinander geredet – ich meine, sie waren – sie haben gerade erst angefangen …“

„Sich zu versöhnen?“, schlug sie vor, als er stotterte. „Das stimmt. Meine Mutter und er haben jahrelang kein Wort miteinander geredet. Aber letzten Herbst hat sich das geändert. Und meine Mom hat gedacht, es wird Zeit, dass wir uns wiedersehen.“

„Wiedersehen?“

Diesmal lächelte Tanya. „Meine Mom und ich haben bei Mac hier in Destiny gelebt, bis ich acht Jahre alt war.“

„Ach ja, Mac hat mal erwähnt, dass seine Tochter ein paar Jahre bei ihm gewohnt hat.“ Er schenkte ihr das charmante Lächeln, an das sie sich so genau erinnerte. „Dann bist du zu Besuch hier.“

Ihr Herz klopfte schon wieder wie wild. Sie legte ihr Handy weg und schnappte sich ihr Handtuch. Tanya presste es gegen die Brust. Sie war dankbar, dass es ihren Körper bedeckte, als sie sich den Schweiß abwischte. „Ehrlich gesagt bin ich hier, um Mac zu helfen.“

„Wie das?“

„Ich nehme an, du weißt, wie schlimm die Arthritis in seinen Händen ist?“ Devlin nickte. Daher fuhr sie fort: „Also, ich bin Akupunkteurin. Als er bei uns in Denver war, haben wir ein paar Sitzungen gemacht. Das schien ihm mit den Schmerzen zu helfen. Als sich jetzt die Gelegenheit ergeben hat, herzukommen und ihn wieder zu behandeln, habe ich natürlich zugestimmt.“

„Hast du Akupunktur gesagt?“, fragte Devlin. „Mit Nadeln?“

„Ja, genau das hat sie gesagt.“

Als sie die ruhige, raue Stimme ihres Großvaters hörte, drehte Tanya sich um.

„Hey, Mac“, sagte sie. Sie benutzte seinen Spitznamen. Um ihn „Großvater“ zu nennen, war ihre Beziehung noch zu unausgegoren. „Seit wann bist du hier?“

„Erst seit ein paar Minuten und anscheinend gerade rechtzeitig.“ Er kam auf sie zu. Dann blieb er zwischen ihr und Devlin stehen und betrachtete die Schaumstoffziegel auf dem Fußboden. „Schön, dich zu sehen, Dev. Ich wollte dir ja von Tanyas Besuch erzählen, aber mein Handy hatte nicht richtig Empfang.“

Mac ließ einen abgenutzten Rucksack neben sich auf den Boden fallen. Er hob die Hände, ballte die Hände zu Fäusten und streckte die Finger wieder. „Diese verdammte Arthritis. Ich bin wirklich froh, dass Tanya da ist.“

„Ja, habe ich schon gehört“, sagte Dev schließlich. „Aber Nadeln? Ehrlich?“

Mac lachte und schob den Schirm seiner Baseballmütze weiter nach oben. „Ja, das ist wohl keine große Überraschung, dass ich das nicht erwähnt habe.“

Tanya erwiderte sein Lächeln.

„Dann kann ich vermutlich jetzt zugeben, dass ich Hintergedanken hatte, als ich Tanya wieder nach Destiny gelockt habe“, sagte Mac.

Tanya durchschaute den listigen Ausdruck in den dunkelbraunen Augen des alten Mannes, als er Devlin ansah. „Oh nein. Auf keinen Fall.“

„Tanya, du bist genau das, was er braucht.“

Sie schüttelte den Kopf. Denn sie wusste genau, dass sie instinktiv richtig gelegen hatte, was die Schmerzen anging, die Dev verbergen wollte. Aber das galt auch für ihren Instinkt, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen – was ihren Job und Männer betraf.

Devlin Murphy würde ihr nur Schwierigkeiten machen. „Kein Interesse, Mac.“

„Du hast Wunder vollbracht, was mich angeht. Ich will doch nur, dass du das für meinen Freund auch tust.“

„Freund?“, meldete sich Devlin zu Wort. „Warte mal, meinst du etwa mich?“

Tanya ignorierte ihn und drehte sich zu ihrem Großvater um. „Du weißt doch genau, dass ich in ein paar Monaten zur Fortbildung nach London ziehe. Ich habe nicht genug Zeit, um einen Therapieplan zu entwickeln.“

„Ich will doch nur, dass du die Therapie unterstützt, die Dev gerade macht“, drängte Mac. „Er braucht jede Hilfe, die er kriegen kann.“

Mag schon sein, aber meine Hilfe nicht.

„Doch, auch deine Hilfe“, fuhr Mac fort, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Niemand in der Stadt kann das, was du machst.“

„Dann muss er eben nach Laramie oder Cheyenne fahren.“ Tanya wandte sich ab und hängte sich das Handtuch um den Hals. Sie schnappte sich ihre Yogamatte, rollte sie eilig zusammen und stopfte sie in ihre Tasche. „Da muss es Spezialisten geben.“

„Ja, klar.“ Mac deutete mit dem Daumen auf Dev. „Der Typ lässt mehr Therapiestunden ausfallen, als er bucht. Der würde so etwas nie auf eigene Faust ausprobieren.“

„Warum denkst du dann, dass er mit mir kooperieren würde?“

„He, kann ich auch mal was sagen?“, fragte Devlin.

„Nein!“

Wieder antworteten beide gleichzeitig. Tanya warf Mac einen bösen Blick zu und durchquerte den Raum, um die Yogaziegel aufzuheben, die sie nach Devlin geworfen hatte.

Was bildete der alte Mann sich eigentlich ein?

Da hatte sie doch tatsächlich geglaubt, dass sie und Mac sich in den letzten Monaten näher gekommen waren. Sie hatte gehofft, durch ihren Aufenthalt in Destiny an die besondere Beziehung wieder anzuknüpfen, die sie in ihrer Kindheit gehabt hatten. Stattdessen wollte er, dass sie sich ohne Bezahlung um seine Freunde kümmerte!

An der angesehenen Akademie für traditionelle chinesische Medizin in England zugelassen zu werden, war für sie ein Geschenk des Himmels. Denn sie hatte gerade die Klinik verlassen, in der sie die letzten vier Jahre gearbeitet hatte. Man hatte sie vor die Wahl gestellt, zu kündigen oder gekündigt zu werden. Sie hatte ihren Job geliebt. Ihn zu verlieren war schlimm gewesen.

Außerdem hatte sie damit nicht nur ihren Arbeitsplatz verloren. Erst jetzt sah sie endlich Licht am Ende eines langen, dunklen Tunnels. Als Mac vorgeschlagen hatte, ihre letzten zwei Monate in den Vereinigten Staaten bei ihm zu verbringen, war sie überglücklich gewesen. Es hatte ihr viel bedeutet, dass er sie hier bei sich in Destiny haben wollte.

Doch erst jetzt verstand sie den wahren Grund dafür.

Sie sammelte ihre Yogaziegel ein, drehte sich um und stand dem einen Mann in dieser Stadt gegenüber, den sie nie wieder berühren wollte.

„Was genau machst du denn?“ Die leise Frage und die Ehrlichkeit in Devlins Blick dämpften ihre Entrüstung und brachten sie dazu, ihm zu antworten.

„Wie schon gesagt, ich bin Akupunkteurin.“ Tanya leierte ihre Qualifikationen herunter. „Ich bin außerdem Masseurin. Allerdings habe ich mich in letzter Zeit vor allem mit Schwimmtherapie beschäftigt. Abgesehen davon bin ich noch Phytotherapeutin für chinesische Pflanzenheilkunde.“

„Das ist ziemlich beeindruckend.“

„Danke. Jedenfalls glaubt Mac das offensichtlich.“ Nachdem sie ihre Tasche gepackt hatte, machte sie einen Bogen um beide Männer und ging zum Ausgang des Hangars.

„Tanya, warte. Bitte, lass mich ausreden“, rief Mac ihr nach. „Tut mir leid, dass ich dich damit so überfallen habe. Taktgefühl war noch nie meine Stärke.“

Obwohl sie nicht so recht wusste, warum, blieb Tanya stehen. „Ja, das wird mir allmählich auch klar.“

„Ich schwöre, ich habe dich nicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hergelockt. Weißt du noch, wie wir uns darüber unterhalten haben, wie ich dir während deines Aufenthalts hier helfen könnte, noch was für deinen Lebensunterhalt in Europa zu sparen?“

Tanya nickte und biss sich auf die Unterlippe. Verdammt, jetzt hatte er ihren wunden Punkt erwischt. Ihre Finanzen. Dass sie nicht mehr fest angestellt war, hatte ihre Ersparnisse mehr in Mitleidenschaft gezogen als gedacht.

„Als mir die Idee kam, dass du Dev helfen könntest – und ich schwöre, das ist mir erst vor ein paar Nächten eingefallen“, fuhr Mac fort und kam ein paar Schritte auf sie zu, „da hatte ich vor, seine Behandlung zu bezahlen.“

Und damit hatte er sie. Das zusätzliche Einkommen würde bedeuten, dass sie nach ihrem Studium in London noch ein wenig Europa genießen konnte. Es gab so viele fantastische Sehenswürdigkeiten, die sie besuchen wollte.

„Auf keinen Fall.“ Dev trat zu ihnen. Sein Blick blieb Tanyas erfahrenem Blick nicht verborgen. „Ich zahle selbst für mich.“

„Das war meine Idee“, protestierte Mac. „Also zahle ich.“

„Vergiss es, alter Mann. Wenn ich mich auf diesen Kram einlasse, dann bezahle ich das auch. Außerdem hört sie sich nicht sehr begeistert über einen weiteren Patienten an.“

„Was für Kram?“, fragte Tanya herausfordernd. Es war schließlich nicht so, als ob sie bereits zugestimmt hätte. Allerdings gefiel ihr dieser Teil ihrer Arbeit mit am besten – die Ungläubigen von den Vorteilen ihrer Behandlung zu überzeugen. „Du bist doch praktisch in Ohnmacht gefallen, als ich das Wort ‚Akupunktur‘ auch nur erwähnt habe.“

„Ja, also, mit Nadeln habe ich’s nicht so.“ Er straffte die Schultern und belastete hauptsächlich sein linkes Bein.

Oh ja, dieser Mann litt wirklich. Er tat sein Bestes, diese Tatsache zu verheimlichen. Wahrscheinlich gelang es ihm auch, unerfahrenen Beobachtern etwas vorzumachen. Aber sie konnte seinen Schmerz beinahe spüren.

Das Bedürfnis, sein Leiden zu lindern, war wichtiger als alle ihre Bedenken, warum sie das tun oder lassen sollte. „Da bleibt mir nicht viel Spielraum.“

„Ach, ich weiß nicht“, meinte Dev. Auf einmal klang seine Stimme viel entspannter. Dann folgte sein typisches Lächeln. „Eine Massage ist immer angenehm.“

Hmm. Das Bedürfnis, ihm einen Fußtritt zu verpassen, war wieder da. „Ja, den Spruch habe ich auch noch nie gehört.“

Glücklicherweise verbargen die Schatten, wie rot sie wurde. Tanya verfluchte sich dafür, dass sie errötete. Das passierte ihr sonst nicht. Problemlos hatte sie Profisportler und Millionäre in die Schranken verwiesen, die während der Sitzungen mit ihr flirten wollten. Denn sich mit einem Patienten einzulassen, das kam nicht in Frage.

Auch wenn Devlin technisch gesehen nicht wirklich ihr Patient sein würde. Selbst wenn sie auf diesen verrückten Vorschlag einging …

Sie erwiderte seinen Blick und kämpfte erneut gegen die Erinnerungen an ihre gemeinsame Nacht an. Eine Nacht, die zu einem anderen Leben zu gehören schien.

Das traf es genau.

Sie hatte keine Ahnung, wie sehr Devlin sich im Laufe der Jahre verändert hatte. Gut möglich, dass er inzwischen verheiratet war und drei Kinder hatte. Aber sie war auch ganz anders als das Mädchen von damals.

Könnte sie es tun?

Könnte sie tatsächlich mit ihm arbeiten?

Mac räusperte sich. „Also ich will natürlich nicht, dass dir das irgendwie unangenehm ist“, sagte er. „Vielleicht sollten wir das Ganze vergessen. Ich kann dir auch einfach das Doppelte bezahlen für meine Behandlungen.“

„Meine Patienten fühlen sich oft anfangs unbehaglich. Wenigstens, bis sie die Ergebnisse der Behandlungen beurteilen können.“ Tanya sorgte dafür, dass sich ihre Stimme kühl und sachlich anhörte. „Ich denke, dass Devlin sich eine Akupunkturbehandlung ansehen sollte, bevor wir uns entscheiden.“

„Klar. Aber ich ändere meine Meinung nicht.“ Dev wollte zurückweichen. Doch dann hinderte er sich daran. „Mac kann mich ja mal anrufen, wenn ihr das macht.“

„Oh, das ist nicht nötig. Ich habe das Blockhaus vorbereitet. Wir können gleich loslegen.“

Sein Lächeln verschwand. „Du meinst, jetzt sofort?“

„Also, wie wäre es, wenn ich schon mal rübergehe und dusche?“ Tanya lächelte. „Ihr beide findet ja sicher irgendwas, über das ihr euch eine halbe Stunde lang unterhalten könnt.“

Mac musterte seinen Freund. „Ja, das ist kein Problem.“

„Oh, und, Mac? Du solltest eine Kleinigkeit essen und dir was anderes anziehen, irgendwas Lockeres, wie ein Jogginganzug. Denk dran, was beim ersten Mal passiert ist.“

Er nickte. „Ich weiß.“

Dev machte große Augen. „Was ist denn passiert?“

„Ich habe mich übergeben.“ Mac stieß ein schroffes Lachen aus.

„Und du willst das noch mal machen?“

Tanya stimmte in das Lachen ihres Großvaters ein. „Das konnte ich auch erst nicht glauben. Aber er war so mutig, ein paar Tage später eine zweite Sitzung zu probieren. Die hat er problemlos überstanden.“

Dev schaute von ihr zu Mac und verschränkte die Arme. „Vielleicht ist das auch nicht mutig, sondern einfach nur verrückt.“

„Also, manche Leute würden sagen, dass da nur ein kleiner Unterschied besteht“, antwortete sie. „Vermutlich kommt das ganz auf deine Perspektive an.“

2. KAPITEL

„Warum hast du mir nie von deiner Enkelin erzählt?“ Dev stand neben Mac und wartete, während sein Freund den Hangar absperrte.

„Und warum kannst du nicht aufhören, den Po meiner Enkelin anzustarren?“

Weil Dev keine Ahnung hatte, was er dazu sagen sollte, hielt er lieber den Mund. Er war nur froh, dass Tanya schon im Haus verschwunden war und Macs Kommentar nicht gehört hatte.

Mac ging zum Farmhaus, und Dev lief neben ihm her. Dabei bemerkte er, dass Mac langsamer wurde und sich dem Tempo seiner vorsichtigen Schritte anpasste. Dev dachte daran, seinen Stock aus dem Jeep zu holen. Aber er wollte nicht, dass Tanya ihn damit sah.

„Den Stock benutzt du noch immer nicht, was?“

„Doch.“ Schmerz durchzuckte Dev, von der rechten Hüfte durch den Oberschenkel. „Manchmal.“

Mac schüttelte nur den Kopf und ging ins Haus, nach oben. Dev blieb unten, in der Küche. Er lehnte sich gegen die Arbeitsfläche, anstatt sich an den Tisch zu setzen. Denn wenn er jetzt Platz nahm, würde er wahrscheinlich nicht mehr hochkommen.

Trotzdem, es fühlte sich gut an, die Beine ein wenig zu entlasten. Eigentlich spielte es ja keine Rolle, ob Tanya ihn mit dem Stock sah oder nicht. Sie hatte offensichtlich bemerkt, dass er verletzt war. Ihre direkten Fragen hatten das schon deutlich gemacht, bevor Mac diese verrückte Idee ausgebrütet hatte.

Vorhin hatte manchmal etwas in ihrem Blick gelegen, das nichts mit dem Verhältnis zwischen Patient und Therapeutin zu tun hatte und alles mit der Beziehung zwischen Mann und Frau. Lang hatte dieser Moment nicht gedauert. Sie hatte es geschafft, den Funken Interesse zu unterdrücken, Sekunden nachdem er in ihren Augen aufgeleuchtet hatte. Aber einen kurzen Augenblick lang …

Er schaute aus dem großen Fenster über der Spüle zum Blockhaus hinüber. Es fiel ihm nicht schwer, sich Tanyas durchtrainierten Körper mit Duschgel eingeschäumt unter dem heißen Wasserstrahl der Dusche vorzustellen …

„Was grinst du so?“ Mac kam in die Küche. Er trug jetzt Jogginghosen. „Oder will ich das lieber nicht wissen?“

Wahrscheinlich nicht, also zuckte Dev nur die Schultern.

Mac machte den Kühlschrank auf, holte Wurstaufschnitt, Käse, Senf und zwei Wasserflaschen heraus. Er warf Dev eine Flasche zu und setzte sich an den Tisch. Dann nahm er zwei Scheiben Brot aus der Packung. „Willst du auch was?“

„Nein, danke. Ich habe vorhin im Blue Creek einen Burger gegessen.“

Mac nahm einen Bissen von seinem Sandwich. „Du hättest ins Café beim Flughafen kommen sollen. Alle haben nach dir gefragt.“

Dev verkrampfte die Finger, bis die Plastikflasche nachgab. „Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich den Flughafen meide und nicht vorhabe, noch mal zu fliegen.“

„Aber da warst du noch im Krankenhaus. Ich habe gedacht, mit etwas Abstand änderst du deine Meinung vielleicht.“

„Habe ich aber nicht.“

„Ich habe den Bericht gelesen. Es war nicht deine Schuld.“

Technischer Defekt durch einen Schaden in der Verkabelung. Sein Bruder Adam hatte an seinem Bett im Krankenhaus gesessen und Dev den Bericht ein paar Monate nach dem Unfall vorgelesen.

Ergebnis der Untersuchung: keine Schuld des Piloten. Ausspruch von Anerkennung für die Landung eines beschädigten Luftfahrzeugs ohne Todesopfer. Pilotenschein vollumfänglich wiedererteilt.

Nein, danke.

Dev nahm noch einen tiefen Schluck Wasser. „Wie schon gesagt: Mit dem Fliegen bin ich fertig.“

Mac öffnete seine eigene Wasserflasche. „Ich schätze, dann ist es gut, dass Liam und Bryant letzten Monat angefangen haben, Stunden zu nehmen. Was ich so gehört habe, machen die beiden sich ganz gut. In ein paar Wochen sollten sie ihren Pilotenschein haben.“

Ein Summen dröhnte ihm in den Ohren. Als er heftig schluckte, wurde das Geräusch nur lauter, bis ihm der Schädel brummte. „Meine Br… meine Brüder nehmen Flugstunden?“

„Das hast du nicht gewusst?“ Mac erstarrte mit dem letzten Stück von seinem Sandwich auf halbem Weg zum Mund. „Sorry, Mann. Als sie mit deinem Vater vorbeigekommen sind, um sich über die Anschaffung eines neuen Hubschraubers zu informieren, habe ich gedacht, dass Liam und Bryant dich vertreten sollten. War das nicht immer der Plan, als ihr beschlossen habt, dass der Helikopter gut fürs Geschäft ist?“

Ja, in den Monaten vor dem Absturz hatte sich die Begutachtung der verschiedenen Baustellen aus der Luft schon gelohnt. Nicht zu vergessen, wie leicht und schnell sie mit dem Hubschrauber bei Aufträgen außerhalb von Destiny vor Ort sein konnten.

Dev konnte sich nicht daran erinnern, ob jemand aus seiner Familie die Anschaffung eines neuen Helikopters erwähnt hatte oder gar wer das verdammte Ding fliegen würde.

„Alles okay?“

Dev blinzelte. Ihm wurde klar, dass er die leere Wasserflasche anstarrte, die er krampfhaft festhielt. Als er seinen Griff lockerte, knackte das Plastik. „Ja, alles okay.“

Mac nickte nur. Dann trank er sein Wasser aus. „Ich will jetzt nicht vom Thema ablenken, aber bist du sicher, dass du zuschauen willst, wie ich mich in ein menschliches Nadelkissen verwandle?“

Nein, war Dev nicht. Aber das war immer noch besser, als jetzt nach Hause zu fahren und sich mit seinen Brüdern auseinanderzusetzen. „Klar. Warum nicht? Erwarte nur nicht, dass ich meine Meinung ändere.“

Mac warf ihm einen Blick zu, als sie wieder nach draußen gingen, um dem ausgetretenen Pfad zum Blockhaus zu folgen. „Warum solltest du? Du hast doch schon gesagt, dass du an ihren Methoden kein Interesse hast.“

Genau, er hatte kein Interesse. Jedenfalls nicht, wenn es um Nadeln ging. Dev merkte, dass sein Freund auf eine Antwort wartete. Aber inzwischen waren sie bei der Blockhütte angekommen. Also sagte er nur: „Lass es mich mal so formulieren: Sie macht mich neugierig.“

„Hör zu, angesichts der Tatsache, dass Tanya und ich gerade erst dabei sind, unsere Beziehung wieder hinzubiegen, habe ich eigentlich kein Recht dazu, das zu sagen …“ Mac hielt inne. „Aber ich sage es trotzdem.“

Dev wartete. Er war sich nicht ganz sicher, wie er reagieren würde, falls Mac ihn bitten würde, keine Zeit mit Tanya zu verbringen. Er wusste nicht, warum eine Frau, die er gerade erst kennengelernt hatte, ihn so faszinierte. Aber sie war die erste Frau seit einem Jahr, die ihn dazu brachte, sich wieder wie er selbst zu fühlen. Das konnte er nicht so einfach ignorieren.

„Dir zu sagen, dass du dich von meiner Enkelin fernhalten sollst, hat sowieso keinen Sinn“, fuhr Mac leise fort. „Aber … Sie hat es nicht leicht gehabt, die letzten paar Monate. Ich weiß nicht genau, was los ist. Aber sie war ziemlich deprimiert. Bis sie herausgefunden hat, dass sie für diesen Kurs genommen worden ist.“

„Was hat das mit mir zu tun?“

„Ich will nicht, dass irgendwas – oder irgendwer – sie daran hindert, nach London zu gehen.“

„Hey, ich habe nur gesagt, dass ich mich für sie interessiere. Das ist alles.“

„Brich ihr nicht das Herz.“

Tanyas Herz war der Teil von ihr, an dem er das geringste Interesse hatte. Dabei waren ihm die Gefühle einer Frau nicht egal. Er hatte allen Frauen immer klar gemacht, dass er es nicht ernst meinte. „Ich? Ich bin ein eingefleischter Junggeselle. Das weißt du doch.“

Mac seufzte. „Solange du das nicht vergisst – und die Tatsache, dass ich Kleinholz aus dir mache, wenn du ihr wehtust –, ist alles okay.“

Ein eingefleischter Junggeselle?

Das beantwortete zumindest die Frage, ob er Frau und Kinder hatte.

Tanya war rechtzeitig an der Haustür gewesen, um das Ende des Gesprächs zwischen Mac und Dev mitzubekommen. Die Warnung ihres Großvaters brachte Tanya zum Lächeln. Aber sie war völlig überflüssig.

Devlin konnte ihr nicht wehtun. Nach dem, was sie gerade durchgemacht hatte, konnte ihr nie wieder jemand so wehtun.

Vor allem, weil sie selbst dafür verantwortlich gewesen war und aus ihren Fehlern gelernt hatte.

Tanya öffnete die Tür und bemerkte sofort den schuldbewussten Gesichtsausdruck beider Männer. Aber sie sagte nichts und ließ sich nicht anmerken, dass sie die beiden gehört hatte. „Hey, ich bin gerade mit Umziehen fertig.“

„Tja, da sind wir.“ Mac lächelte.

Sie trat zurück und ließ sie herein. Sie beobachtete Devlins Gesicht, als er sich im Blockhaus umsah und die zugezogenen Vorhänge, die leise Musik und die brennenden Kerzen zur Kenntnis nahm.

Tanyas tragbarer Massagetisch war in der Mitte der Blockhütte aufgebaut. Sie hatte ein weißes Bettlaken darüber ausgebreitet und eine leichte Decke bereitgelegt.

Als Devlin ihr Arbeitsgerät bemerkte – eine handgeschnitzte Holzkiste, die offen auf dem Tisch stand, in der sich die noch verpackten Nadeln befanden –, zuckte er zusammen. Dann ging er weiter. Als er das alte, eiserne Bettgestell in der hinteren Ecke des Raumes bemerkte, das halb verborgen hinter einem Raumteiler stand, hielt er inne.

„Wahnsinn, die Hütte sah ganz anders aus, als ich das letzte Mal hier war.“ Dev drehte sich zu ihr um. „Kaum wiederzuerkennen.“

„Du hast schon mal hier übernachtet?“

„Ein- oder zweimal im Lauf der Jahre.“ Er verzog das Gesicht zu einem halben Lächeln. „Du hast übrigens recht, was die Matratze angeht. Die ist ein bisschen durchgelegen.“

Zum zweiten Mal an diesem Tag bekam Tanya heiße Wangen. Hitze durchflutete sie – obwohl sie nur eine Yogahose, ein weißes Tanktop und eine dünne Strickjacke trug. „Ich werde mich bestimmt daran gewöhnen.“

„Du hättest etwas sagen sollen“, erklärte Mac. „Die können wir ersetzen.“

„Sei nicht albern.“ Sie ging um den Tisch herum. Dann streckte sie die Hand aus, um ihre Utensilien zu ordnen, obwohl alles schon in perfekter Ordnung war. „Ich bin doch nur ein paar Monate hier.“

„Die alte Couch ist ziemlich bequem.“ Dev ging darauf zu. Tanya beobachtete ihn und bemerkte, dass er das rechte Bein noch stärker belastete als vorher. „Aber jetzt sieht sie viel zu sauber aus, um sich darauf zu setzen.“

„Weiß ist Tanyas Lieblingsfarbe. Sobald ich wusste, dass sie zu Besuch kommt, habe ich die Wände und die Schränke neu gestrichen“, sagte Mac.

Sie ließ die Arme sinken. „Es war wirklich nicht nötig, die Blockhütte nur für mich herzurichten.“

„Das würdest du nicht sagen, wenn du wüsstest, wie es hier vorher ausgesehen hat.“ Dev musterte sie von Kopf bis Fuß. „Glaub mir, das ist ein Riesenfortschritt. Auch wenn der Stil nicht sehr … aufregend ist.“

„Ich mag es lieber friedlich und ruhig.“ Tanya weigerte sich standhaft zu glauben, dass ihre plötzliche Atemnot etwas mit dem Interesse zu tun hatte, das sie in Devlins blauen Augen aufblitzen sah.

Nervös. Sie war einfach nur nervös, weil sie Mac wieder behandeln würde.

Wieder schaute sie weg. Dann klopfte sie auf den Massagetisch. „Mac, warum legst du dich nicht schon mal auf den Rücken? Dev, du kannst dich da drüben hinsetzen. Es sei denn, du willst noch näher am Geschehen dran sein …“

Dev setzte sich steif auf den Sofarand. Sein Lächeln war verschwunden. „Das ist mir nahe genug.“

Tanya wusch sich noch mal die Hände. Als sie wieder an Macs Seite war, hatte er bereits die Hosenbeine seiner Jogginghose hochgerollt und sich ausgestreckt. Sie steckte das Bettlaken und die Decke um ihn herum fest. Nur die Unterschenkel und die Arme ließ sie entblößt.

„Ich erkläre dir noch mal alles so wie beim ersten Mal, damit Dev versteht, was passiert.“ Sie lächelte Mac zu und nahm sich eine Nadelpackung aus der Kiste. „Bist du soweit?“

Mac streckte die Finger und legte seine Hände dann entspannt auf den Bauch. „Fertig.“

Sie sah auf und konzentrierte sich auf Dev. „Ich habe keine Ahnung, wie viel du über Akupunktur weißt …“

Er zog die Augenbrauen heftig zusammen. „Man wird mit jeder Menge Nadeln malträtiert.“

„Na ja, nicht mit ‚jeder Menge‘. Lass uns mal von vorne anfangen. Die chinesische Medizin geht davon aus, dass es in jedem Körper zwei entgegengesetzte Kräfte gibt, die man Yin und Yang nennt. Wenn diese Kräfte im Gleichgewicht sind, dann sind Körper und Seele gesund. Um dieses Gleichgewicht herzustellen, ist eine Energie hilfreich, eine Art Lebenskraft, die Qi genannt wird. Das klingt nach Schi, wird aber Q-i buchstabiert. Das Qi fließt auf verschiedenen Bahnen durch den ganzen Körper. Wenn eine dieser Bahnen blockiert ist und die Energie deswegen nicht fließen kann, kann man krank werden.“

„Ist das jetzt der Zeitpunkt, ab dem ich dich mit ‚Meister‘ anreden sollte?“

Tanya lächelte. „Bei der Akupunktur geht es darum, Druck auf bestimmte Punkte entlang dieser Energiebahnen auszuüben. Dadurch werden die Blockaden beseitigt, die das Qi daran hindern, zu fließen. Dann kann der Körper wieder gesund werden. Ergibt das soweit einen Sinn?“

Er wirkte nicht überzeugt. „Wenn du das sagst.“

„Ja, ich habe auch zuerst gedacht, dass das alles nur Hokuspokus ist.“ Mac drehte den Kopf und sah Dev an. „Jetzt bin ich bekehrt.“

Tanya sah die Zweifel in Devs Augen. Aber sie fuhr fort und hielt die kleine Packung hoch, die sie in der Hand hatte. „Hier drin befindet sich eine Nadel. Akupunkturnadeln sind massiv, hauchdünn und steril einzeln verpackt. Sie werden nur ein einziges Mal benutzt und dann entsorgt.“

Dev wurde sichtbar bleich, als sie die versiegelte Verpackung aufriss.

Sie ließ die Hände sinken und hielt die Nadel zwischen Zeigefinger und Daumen, sodass Dev sie nicht sehen konnte. Mit der freien Hand tastete sie nach der ersten Einstichstelle unterhalb von Macs Knie.

„Okay, los geht’s.“ Sie sah Mac an. „Hol jetzt tief Luft …“

Er gehorchte. Tanya klopfte kurz auf das stumpfe Ende und schon saß die Nadel.

„Ich habe gedacht, das soll Mac mit der Arthritis in seinen Händen helfen“, sagte Dev mit etwas rauer Stimme. „Warum steckst du ihm die Nadeln in die Beine?“

„Der menschliche Körper hat fast zweitausend Akupunkturpunkte. Jeder einzelne hat eine bestimmte Wirkung aufs Qi. Die Punkte, die Mac helfen werden, habe ich bereits ausgesucht. Davon befindet sich eine ganze Anzahl auf den Händen, aber auch an anderen Körperstellen.“

„Wie lange muss er denn als menschliches Nadelkissen herumliegen?“

„Letztes Mal hat die Behandlung zwanzig Minuten gedauert. Heute probieren wir es mit einer halben Stunde.“ Sie nahm eine neue Nadel zur Hand. „Noch mal einatmen, Mac.“

Ein kurzer Blick sagte ihr, dass Dev sie noch immer beobachtete. Aber er war inzwischen kreidebleich. „Alles okay?“

„Ja, mir geht’s prima.“

„Du würdest dich vielleicht besser fühlen, wenn du dich hinlegst …“

„Ich habe gesagt, dass es mir gut geht.“

Es ging ihm nicht gut. Das konnte Tanya sehen. Aber sie machte weiter.

Mit ruhiger Stimme erklärte sie jeden Arbeitsschritt. Am Ende waren es acht Nadeln, zwei in jedem Bein und zwei in jeder Hand.

„Okay, was jetzt kommt, nennt man die ‚acht Punkte‘. Das sind die ‚Schwimmhäute‘ zwischen den Fingern. Die Behandlung an diesen Stellen hilft, wenn man Schmerzen oder Taubheitsgefühle in den Fingern hat.“ Als Tanya mit einer Hand fertig war, griff sie nach dem letzten Satz Nadeln. „Mac, vielleicht kannst du Dev beschreiben, wie sich das anfühlt, während ich mich um die andere Hand kümmere.“

„Würde ich gerne, aber er ist weg.“

Tanya fuhr hoch. Sie schaute von der Couch zu Mac. „Was? Wo ist er hin?“

„Als du diese Fingergeschichte erwähnt hast, ist er zur Tür raus.“

Tanya war überrascht, dass sie das nicht mitbekommen hatte. Also versuchte sie, durchs Fenster zu erkennen, ob Dev wirklich weg war oder nur draußen auf der Veranda frische Luft schnappte.

„Los, geh schon.“

Sie sah Mac wieder an. „Was?“

„Schau nach, was los ist. Ich komme schon klar.“

„Erst wenn die Ruhephase kommt.“ Sie konzentrierte sich darauf, die letzten Nadeln zu setzen. Dann vergewisserte sie sich, dass Mac es bequem hatte. „Bist du sicher, dass es dir gut geht?“

Mac lächelte. „Jetzt lauf ihm schon nach. Er ist vielleicht langsam, aber er könnte inzwischen schon auf halbem Weg nach Hause sein.“

Tanya ging hinaus. Die Tür ließ sie offen, falls ihr Großvater nach ihr rief. Sie entdeckte Dev in einem roten Jeep neben dem Hangar. Er ließ gerade den Motor an, als sie durch das Beifahrerfenster schaute.

Tanya bemerkte, dass seine Gesichtsfarbe wieder normal war, obwohl sie ihm immer noch ansehen konnte, wie unwohl er sich fühlte. „Mac hat gemerkt, dass du verschwunden bist. Er wollte, dass ich nach dir sehe.“

„Kein Grund zur Sorge. Mir geht’s …“

„Prima. Ja, das hast du schon gesagt.“ Nicht, dass sie ihm glaubte. „Dann nehme ich an, du hast kein Interesse an Akupunktur.“

„Vermutlich bin ich nicht tapfer oder verrückt genug.“ Er nahm den Cowboyhut, der auf dem Beifahrersitz lag, und setzte ihn auf.

Sie hätte froh sein sollen, dass er Nein sagte. Sich während ihres Aufenthalts hier mit Devlin einzulassen, wäre verrückt. Aber als Heilerin wollte sie ihm dringend helfen. „Heißt das, dass du überhaupt kein Interesse an meiner Hilfe hast?“

„Oh, Interesse habe ich schon.“ Er schenkte ihr das gleiche strahlende Lächeln, mit dem er sie vor zehn Jahren am Roulettetisch verführt hatte. „Jede Menge sogar.“

„Für jemanden, der vor einer Woche gesagt hat, dass er Interesse an meiner Hilfe hat, gibst du dir aber keine große Mühe.“

Dev bemühte sich um einen fröhlichen Tonfall, als er Tanya von seiner Seite des Tisches aus zuzwinkerte. „Na ja, ich bin ein bisschen aus der Übung. Keine Sorge, das kommt schon wieder mit der Zeit.“

Sie belohnte ihn mit einem leichten Lächeln. Aber in ihrem Blick erkannte er immer noch Besorgnis – oder eher noch Mitleid. „Damit meine ich deine Krankengymnastik.“

Ja, das war ihm auch klar.

Obwohl er beinahe ohnmächtig geworden war, als er zugesehen hatte, wie sie ein Dutzend Nadeln in seinen Freund gesteckt hatte, hatte er einer Zusammenarbeit mit ihr zugestimmt. Aber sie hatte darauf bestanden, sich erst mal mit seinem Physiotherapeuten Pete zu treffen und ihn zu seinem heutigen Termin zu begleiten.

„Und du hast mehr oder weniger verschwiegen, wie schwer verletzt du wirklich warst.“

Dev zuckte die Schultern und bemühte sich, nicht das Gesicht zu verzerren. Verdammt, nachdem er sechzig qualvolle Minuten lang in jede Richtung gedehnt, gestreckt und gedreht worden war, tat ihm jeder Muskel im Leib weh.

„Nach acht Monaten habe ich einfach genug davon.“

Sie beugte sich vor und sprach betont leise. Dabei war das Lokal – Sherry’s Diner, ein in Destiny eigentlich beliebtes Restaurant – praktisch leer. „Was du durchgemacht hast, ist schrecklich. Aber seit dem letzten Sommer hast du enorme Fortschritte gemacht. Warum gibst du jetzt auf?“

Dev weigerte sich, diese Frage auch nur ansatzweise ernst zu nehmen. Stattdessen schenkte er ihr sein berühmt-berüchtigtes Lächeln. „Wer sagt denn, dass ich aufgebe? Vielleicht warte ich ja nur darauf, von dir gerettet zu werden.“

„Nur dass du an den Therapiemethoden, auf die ich spezialisiert bin, kein Interesse hast.“ Tanya richtete sich auf und streckte die Hand nach ihrem Eistee aus. „Abgesehen von einer Massage, natürlich. Pete hat auch gesagt, dass du dich weigerst, Schmerzmittel zu nehmen.“

Jetzt war Dev an der Reihe, sich zurückzulehnen. Er starrte den Tisch an. Als ihn von der Hüfte zum Knie ein brennender Schmerz durchfuhr, war er jedoch ganz sicher daran gescheitert, die Miene nicht zu verziehen. „Das stimmt.“

„Gar keine?“

Er nickte. Dann schaute er auf. Es überraschte ihn nicht, dass sie ihn ungläubig anstarrte.

„Warum denn nicht?“

„Weil ich trockener Alkoholiker bin.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. Das hatte sie nicht gewusst.

„Ich war siebenundzwanzig, als ich den Anonymen Alkoholikern beigetreten bin“, fuhr er fort. „Das ist diesen Sommer acht Jahre her.“

„Hast du Mac dort kennengelernt?“

„Ja, bei meinem ersten Treffen. Mac war immer für mich da. Und ist es heute noch.“

Tanya senkte den Blick auf ihren Teller. „Mac … mein Großvater hat viele Jahre gebraucht, um zuzugeben, dass er ein Problem hat.“

„Hast du nicht erzählt, dass du mal bei ihm gewohnt hast?“

„Ich war noch ein Baby, als mein Vater abgehauen ist und meine Mom und ich zu Mac ziehen mussten. Damals haben sie sich ein paarmal übel deswegen gestritten.“

Dev versuchte sich vorzustellen, als Kind in solchen Verhältnissen leben zu müssen. Er griff nach seinem Eiswasser. „Seid ihr deswegen weggezogen, als du acht Jahre alt warst?“

Einen Augenblick lang starrte Tanya ihn an. Dann seufzte sie.

„Eines Abends hat meine Mom unsere Koffer gepackt und wir sind weggefahren. Vermutlich hat sie es einfach nicht mehr ausgehalten. Ich weiß noch, wie sie gesagt hat, dass Mac wahrscheinlich eine Woche braucht, bis er überhaupt merkt, dass wir weg sind.“

„Und ihr seid dreiundzwanzig Jahre lang weggeblieben.“

Tanya atmete tief durch. „Ja. Wir haben erst letztes Jahr als Familie wieder zusammengefunden.“

„Ich weiß, dass Mac sehr froh darüber ist. Und darüber, dass du hier bist“, sagte Dev lächelnd. „Und nicht nur wegen deines Voodoozaubers.“

„Ach ja. Womit wir wieder beim Thema wären. Und bei meiner ursprünglichen Frage, warum du keine Schmerzmittel nimmst.“

Sie war eine kluge Frau.

„Ist das nicht offensichtlich?“

Tanya starrte ihn einen Augenblick lang an, den Kopf zur Seite geneigt. Dadurch fiel ihr das glatte, glänzende Haar, das sie in einem hochgebundenen Pferdeschwanz trug, über die Schulter nach vorne. Verdammt sexy. „Du hast Angst, dass deine Sucht eine neue Ausdrucksform findet.“

Sie war wirklich klug. „Davor habe ich mehr Angst, als einen Arm oder ein Bein zu verlieren. Obwohl mir das auch Angst gemacht hat.“

Sie musterte ihn eine Zeit lang. Dev spürte, wie ihm heiß wurde. Er war es nicht gewöhnt, über diesen Teil seiner Genesung zu sprechen.

„Und weil du keine Schmerzmittel nimmst, schwänzt du wann immer möglich die Physiotherapie?“

„Na ja, das tut hinterher eben scheußlich weh.“ Dev hob die Hände. Die Arme auszubreiten schaffte er nicht ganz. „Normalerweise beiße ich einfach die Zähne zusammen.“ Dev lachte und ließ die Hände sinken. Sie rollte die Augen. „He, ich komm schon klar …“

„Und niemand hat dir je alternative Methoden zur Schmerztherapie vorgeschlagen?“

„So wie das, was du machst?“

„Ja. Da gibt es ganz verschiedene Möglichkeiten. Akupunktur natürlich. Aber auch Hypnose, Reiki, Meditation, Aromatherapie oder Elektrotherapie.“

„Na ja, erwähnt wurde das schon, aber …“

„Du bist kein Fan von alternativen Heilmethoden.“ Tanya verschränkte die Arme und lehnte sich auf den Tisch. „Dann erklär mir bitte noch mal, warum du mit mir arbeiten willst?“

Jetzt war Dev an der Reihe, sie anzustarren, während das Schweigen sich hinzog.

Verdammt, sie war richtig hübsch. Und in ihren cremefarbenen Kostümhosen und dem schlichten, weißen Oberteil wirkte sie außerdem sehr professionell.

Er musterte ihre pfirsichweiche Haut, die wunderschönen Augen mit den langen, dunklen Wimpern und den Mund, der ihm wie fürs Küssen gemacht zu sein schien.

Sein Körper reagierte auf seine Gedanken. Warum auch nicht? Schließlich war er sowieso schon von Kopf bis Fuß schmerzhaft angespannt.

„Ich weiß es nicht genau“, antwortete er schließlich. „Du bist offensichtlich gut. Und du glaubst an das, was du tust. Du kennst bestimmt jede Menge Tricks. Außerdem vertraue ich dir.“

Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Das sagst du, als ob dich das überrascht.“

Er lachte leise. „Ja, so ist es auch. Ich weiß wirklich nicht, warum ich dir vertraue. Wer weiß? Vielleicht ist das zwischen uns irgendwie vorherbestimmt. Ich komme einfach nicht darüber hinweg, wie bekannt du mir vorkommst.“

„Tue ich das?“

Drei kurze Worte, aber Dev bemerkte, wie sich ihr Gesichtsausdruck änderte. Sie lächelte immer noch, aber ihr Lächeln wirkte nicht mehr so unbefangen. „Ich weiß, das hört sich merkwürdig an. Aber ich habe fast das Gefühl, wir sind uns schon mal begegnet. Vielleicht in einem früheren Leben?“

Bevor Tanya antworten konnte, tauchte die Bedienung mit der Rechnung auf. Tanya war dankbar für die Unterbrechung. In dem Moment, als Dev auf ihre Frage, warum er mit ihr arbeiten wollte, verstummt war, hatte sie heftiges Herzklopfen bekommen.

Devs ablehnende Haltung, was Schmerzmittel anging, war nicht neu für sie. Sie hatte schon andere Patienten mit Suchtproblematik erfolgreich behandelt. Aber diese Patienten hatten bewusst nach anderen Therapiemöglichkeiten gesucht und waren alternativen Heilmethoden gegenüber aufgeschlossen gewesen.

Dev wollte mit ihr zusammenarbeiten, weil er ihr vertraute.

Das war natürlich ein wichtiger Grund. Aber wollte er ihren Beruf und seinen Unfall nur ausnutzen, um mehr Zeit mit ihr zu verbringen? Erinnerte er sich endlich an ihre gemeinsame Nacht in Reno?

Dev bezahlte und gab ein großzügiges Trinkgeld. Dann lächelte er nicht mehr die Kellnerin, sondern wieder Tanya charmant an. „Also, wo waren wir?“

Dabei, das Thema zu wechseln. „Ich habe gedacht, wir teilen uns die Rechnung fürs Essen.“

„Kein Problem. Das kann ich mir schon leisten.“

Obwohl er es beiläufig sagte, legte sie die Finger fester um ihr Glas. „Egal, was mein Großvater letzte Woche gesagt hat, ich habe noch ein paar Dollar im Geldbeutel.“

„So habe ich das nicht gemeint.“ Dev legte seine Hand auf ihre. „Nächstes Mal kannst du zahlen.“

Tanya holte noch mal tief Luft und entspannte sich. „Wer sagt denn, dass es ein nächstes Mal geben wird?“

„Oh, da bin ich mir sicher. Wir sind doch gerade erst dabei, uns kennenzulernen.“

Sie dachte gerade, was für eine gute Gelegenheit das für eine kurze Unterbrechung und einen Ausflug zur Damentoilette war, als plötzlich eine leise, tiefe Stimme ertönte.

„Hey, Dev. Was für ein Zufall, dich hier zu treffen. Noch dazu mit einer schönen Frau.“ Ein dunkelhaariger Mann, der eine Brille mit schwarzem Gestell trug, kam auf sie zu.

Tanya fiel sofort die Familienähnlichkeit zwischen dem Neuankömmling und Devlin auf. Die Murphys waren sechs Brüder. Sie fragte sich, welcher von ihnen dieser Mann war.

„Halt den Mund, Liam.“

Devs unhöfliche Begrüßung schien dem Mann nichts auszumachen. Mit einem Lächeln, das d...

Autor

Christyne Butler
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Marie Ferrarella

Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...

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Christine Rimmer
Christine Rimmers Romances sind für ihre liebenswerten, manchmal recht unkonventionellen Hauptfiguren und die spannungsgeladene Atmosphäre bekannt, die dafür sorgen, dass man ihre Bücher nicht aus der Hand legen kann. Ihr erster Liebesroman wurde 1987 veröffentlicht, und seitdem sind 35 weitere zeitgenössische Romances erschienen, die regelmäßig auf den amerikanischen Bestsellerlisten landen....
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