Bianca Extra Band 123

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KÜSS MICH, STARKER RETTER von CHRISTY JEFFRIES
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  • Erscheinungstag 30.05.2023
  • Bandnummer 123
  • ISBN / Artikelnummer 9783751516846
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Christy Jeffries, Heatherly Bell, Joanna Sims, Judy Duarte

BIANCA EXTRA BAND 123

1. KAPITEL

Elise Mackenzie konnte es sich nicht leisten, wählerisch zu sein, was ihre beruflichen Möglichkeiten anging. Aber wenigstens hatte sie einen Job gefunden, bei dem sie mit Tieren zu tun hatte. Hunden und Katzen war es egal, wie viele Follower sie auf Social Media hatte oder dass ihr schickstes Outfit von einem Flohmarkt stammte, den Elises Tante Regina für die Kirche organisiert hatte.

Wobei.

Rein technisch gesehen hatte Elise den Flohmarkt auf die Beine gestellt, weil ihre Tante sich mal wieder zu viel ehrenamtliches Engagement vorgenommen hatte. Das würde aber niemand erfahren, weil Elise lieber im Hintergrund blieb. Ihre verstorbene Mutter war genauso gewesen. Ihr Vater hatte immer gescherzt, dass er zwar ein begnadeter Redner sei, dieses Talent aber leider nicht an seine einzige Erbin weitergegeben hatte.

„Pah“, schnaubte Elise, als sie einen Zehn-Kilo-Sack Katzenfutter aus dem Kofferraum wuchtete. „Erbin“ hörte sich an, als hätte sie ein Riesenhaus oder ein Vermögen von ihm geerbt – zusätzlich zu ihrer Arbeitsmoral und diesem uralten Minivan.

Bis vor einer Woche hatte Elise noch nicht mal ein eigenes Bankkonto gehabt. Auch wenn das peinlich war für eine Fünfundzwanzigjährige, ihr Job bei Barkyard Boarding war ihre erste richtige Arbeit. Tante Regina hatte Elise zwar eine Kreditkarte gegeben, um Einkäufe zu erledigen. Aber als Elise vor zwei Wochen ausgezogen war, hatte sie die Karte zurückgelassen.

Einerseits, weil sie nicht mehr mit dem berüchtigtsten Mitglied der örtlichen Schickeria, das vor fast einem Monat auf mysteriöse Art und Weise wie vom Erdboden verschwunden war, in Verbindung gebracht werden wollte. Andererseits aber vor allem, weil sie sich selbst beweisen musste, dass sie, Elise Mackenzie, auf eigenen Füßen stehen konnte.

Leider war nach Abzug von Steuern und Miete kaum noch genug von ihrem Gehalt übrig, um Lebensmittel und Katzenfutter zu kaufen.

Und dennoch. Elise hatte noch nie so deutlich gespürt, dass sie ihr Schicksal selbst in der Hand hatte.

Oder wenigstens hatte sie dieses Gefühl, bis ein blauer Pick-up hinter ihrem Van hielt. Trotz der warmen Septembersonne lief ihr ein Schauer den Rücken hinunter.

Harris Vega.

Sie stolperte beinahe über ihre eigenen Füße, als sie sich umdrehte. Das ist doch nur Harris, sagte sie sich. Er ist nur ein Mann. Und dein neuer heißer Vermieter. Wobei es nicht neu war, dass er heiß war. Das war er schon immer. Dass er ihr Vermieter war, das war neu.

Und er war heiß.

Himmel. Genau aus diesem Grund redete Elise nicht gerne mit Menschen. Sie wollte es nicht riskieren, aus Versehen laut zu sagen, was ihr gerade durch den Kopf ging.

Sie bemühte sich, die Riesentüte Katzenfutter möglichst anmutig abzustellen. Doch in letzter Sekunde entglitt sie ihr, und zehn Kilo Trockenfutter landeten mit einem dumpfen Knall auf dem Boden.

Warum war Harris hier? Hatte er erfahren, dass sie gerade ihren ersten Gehaltsscheck bekommen hatte, und sich deswegen sein Angebot noch mal überlegt, auf eine Kaution und einen Teil der Miete zu verzichten, wenn sie dafür ein paar kleinere Renovierungsarbeiten am Haus durchführte?

Harris kam auf sie zu – ein athletisch gebauter Mann, schlank, über eins achtzig groß, ein strahlendes Lächeln auf den Lippen. Sein dunkelbraunes Haar und seinen sonnengebräunten Teint hatte er vielleicht seinen mexikanischen Wurzeln zu verdanken. Aber seine abgetragene Jeans und sein lässiger Gang hatten eher mit dem Selbstvertrauen zu tun, das er sich als einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner – und attraktivsten Junggesellen – von Spring Forest erworben hatte. Elise brachte keinen Ton heraus. Ein halbherziges Winken zur Begrüßung war das höchste der Gefühle.

„Wie ich sehe, bist du mir zuvorgekommen“, sagte er.

„Womit?“ Ihre Stimme hörte sich ganz dünn an.

Er deutete auf den Sack. „Die Katzen zu füttern. Ich habe genau das gleiche Trockenfutter gekauft. Keine Ahnung, wer sich den Markennamen ‚Feline Finest‘ – für die Katze nur das Feinste – ausgedacht hat, aber die Vorbesitzerin hat gesagt, das ist die einzige Sorte, die ihre kostbaren Lieblinge fressen.“

„Oh.“ Erleichterung sorgte dafür, dass sich Elises Anspannung löste. „Mrs. O’Malley hat mir einen Brief geschickt. Sie hat sogar einen Rabatt-Coupon beigelegt.“

„Da hast du Glück gehabt. Ich habe den vollen Preis gezahlt. Ich habe versucht, ihr klarzumachen, dass wilde Katzen mit allem zufrieden sind, was man ihnen vorsetzt, aber sie hat sich geweigert, ins Pflegeheim zu gehen, wenn ich ihr nicht hoch und heilig verspreche, dass ich nur diese Marke kaufe.“

Elise beobachtete, wie er leichthändig einen identischen Zehn-Kilo-Sack auf die Schulter nahm. Er hob den Arm, um seine unhandliche Last festzuhalten. Das hatte zur Folge, dass der Saum seines Hemdes nach oben rutschte, was wiederum seine Bauchmuskeln entblößte. Hastig schaute sie weg, bevor er sie dabei ertappen konnte, wie sie ihn anstarrte.

„Also vermute ich mal, dass die gute Mrs. O’Malley uns beiden das gleiche Versprechen abgenommen hat.“

„Na ja, ausdrücklich versprochen habe ich nichts“, sagte Elise. „Mir ist nur aufgefallen, dass die Katzen sich jeden Abend hinten am Zaun zusammenrotten. Als ich ihr einen Brief geschrieben habe, habe ich sie nach den Katzen gefragt.“

„Ach ja?“ Er weitete die hellbraunen Augen. „Ich hab gar nicht gewusst, dass ihr Brieffreunde seid.“

Elise biss sich nervös auf die Unterlippe. „Also, eigentlich kenne ich sie gar nicht. Aber als ich die Durchreiche im Esszimmer geputzt habe, habe ich ein paar alte Fotos gefunden. Da habe ich den Postboten gefragt, ob es eine Briefweiterleitung für sie gibt. So habe ich rausgefunden, dass sie jetzt im Horizons Memory Center lebt. Das ist das Heim, in dem mein Vater auch war. Ich erinnere mich, dass ihm die Eingewöhnung sehr schwergefallen ist. Da habe ich mir gedacht, sie freut sich vielleicht über einen Brief.“

Harris musterte sie durchdringend. Sie fragte sich schon, ob er gar nicht sie, sondern irgendwas in den Hortensienbüschen hinter ihr anstarrte. Leider war es sehr lange her, seit jemand Elise so angesehen hatte, wie Harris es jetzt tat.

Um sich von seinem Blick nicht nervös machen zu lassen, räusperte sie sich und ging zur Hintertür. „Also, willst du sehen, was ich bis jetzt geschafft habe? Außen bin ich noch nicht zu viel gekommen. Aber ich hab es geschafft, den Teppichboden aus den Schlafzimmern zu reißen. Der Holzboden ist in erstaunlich gutem Zustand. Er muss natürlich abgeschliffen und wieder eingelassen werden. Ich hab mir aber schon ein paar Farbmuster für die Wände besorgt. Ich hab nur nicht gewusst, ob ich da deine Zustimmung einholen oder einfach meinen Favoriten nehmen soll – ‚Moonlight Serenade‘. Der Name ist ein bisschen extravagant, aber der Farbton ist ziemlich neutral und passt zu den meisten Einrichtungsstilen, falls der nächste Mieter …“

Elise hielt lange genug inne, um sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Sie hatte so viel vor sich hingeplappert, um ihre Nerven zu beruhigen, dass sie keine Acht drauf gegeben hatte, ob Harris ihr gefolgt war. Das hatte er jedoch getan, und zu seiner neugierigen Miene hatte sich ein breites Grinsen gesellt. Warum lächelte er so?

„Der nächste Mieter? Willst du etwa schon wieder ausziehen?“

„Nein! Ich habe nur gedacht, dass du das Haus ja irgendwann verkaufen willst, und dann …“ Sie verstummte. Warum schaffte sie es nicht, einen einzigen verdammten Satz zu beenden, wenn er sie so ansah?

„Oh, ich glaube nicht, dass ich dieses Haus so bald verkaufen will. Vor allem, wenn hier wilde Katzen herumstrolchen, die wir beide füttern wollen.“

Diesmal war es Elise, die ihn musterte.

Sie war so daran gewöhnt, dass ihre Tante zu viel an sich riss und dann ihre Zusagen nicht einhielt, dass sie Mühe hatte zu glauben, dass Harris ein Versprechen halten würde, das er einer alten Dame gegeben hatte – zumal die wahrscheinlich nie erfahren würde, ob er sich daran hielt oder nicht.

Vielleicht sollte sie nicht so überrascht sein. Schließlich hatte sie vor, genau das Gleiche zu tun.

Sie deutete auf den schweren Sack, den er immer noch geschultert hatte, und bemühte sich, seinen muskulösen Oberkörper zu ignorieren. „Äh, also, hat Mrs. O’Malley dir irgendwelche Anweisungen gegeben, wie die Fütterung der Raubtiere vonstattengehen soll? Oder wie oft?“

„Sie hat gesagt, drei Abende in der Woche. Ein Freund hat Mrs. O’Malley immer dabei geholfen, aber ich habe gerade herausgefunden, dass er im Krankenhaus ist. Ich bin nicht sicher, wann er das letzte Mal hier war.“

„Oh, wie schrecklich. Ich wohne jetzt schon eine ganze Woche hier, und soweit ich weiß, hat sie seither niemand gefüttert.“

Ein lautes Maunzen ertönte auf der anderen Seite des Zauns. Harris hob den Sack auf die andere Schulter. Dadurch knirschte das Trockenfutter im Inneren laut. Eine graue Bengalkatze sprang auf einen Zaunpfahl.

„Ich glaube, die haben gerade die Essensglocke gehört“, sagte Harris. Sein Grinsen schwand jedoch schnell. Stattdessen runzelte er besorgt die Stirn. „Weißt du, wie viele Katzen das sind?“

„Ich bin sicher, es können nicht viele sein“, versuchte Elise ihn zu beruhigen. Leider übertönte weiteres Miauen ihre Antwort. „Vielleicht sind sie einfach nur besonders hungrig.“

„Genau das befürchte ich. Was ist, wenn die mich aus Versehen für ihre Mahlzeit halten?“

Sie musste ein Kichern unterdrücken. Dieser selbstbewusste und offensichtlich starke Mann konnte doch unmöglich Angst vor ein paar kleinen Katzen haben.

„Also bitte, ich glaube kaum, dass du so lecker bist.“ Erst als Harris eine Augenbraue hochzog, wurde ihr bewusst, was sie gerade gesagt hatte. Hitze stieg ihr in die Wangen. „Ich meine ja nur … nicht, dass ich wüsste, wie du schmeckst.“

Er senkte den Blick auf ihren Mund. Instinktiv biss sie sich auf die Unterlippe. War das nur ihre Einbildung, oder kniff er die Augen zusammen? Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie denken, dass Harris Vega gerade überlegte, wie es wäre, sie herausfinden zu lassen, wie lecker er wirklich war.

„Ich habe das Gefühl, die Barrikaden brechen gleich“, sagte Harris, ohne den Blick von Elise abzuwenden. Sie brauchte ein paar Sekunden, bis ihr klar wurde, dass er nicht über die Barrikaden sprach, die sie im Lauf der Jahre zum Schutz ihrer Gefühle errichtet hatte.

Er meinte den heruntergekommenen Gartenzaun, der nicht stabil genug war, um das Gewicht von so vielen hungrigen Katzen auszuhalten.

„Hast du eine Schere griffbereit?“, rief Harris ihr zu. „Es ist wahrscheinlich sicherer, die Tüte aufzuschneiden und ihnen das Futter hinzuwerfen.“

„Im Haus“, antwortete Elise. „Aber ich weiß nicht, ob die hungrigen Massen bereit sind, so lange zu warten. Das könnte riskant sein.“

Harris fragte sich, ob die schüchterne junge Frau gerade tatsächlich einen Witz gemacht hatte. Leider konnte er ihre Miene nicht deuten, weil er zu sehr damit beschäftigt war, die Armee auf vier Pfoten im Auge zu behalten, die sich gerade vor ihm in Stellung brachte. „Okay. An meinem Schlüsselring in meiner linken Hosentasche ist ein Taschenmesser. Da komme ich mit meiner freien Hand nicht hin. Kannst du mir das schnell geben?“

„Du meinst, ich soll … äh… es rausziehen?“ Elise stockte, was daraufhin deutete, dass ihre Wangen wieder diesen bezaubernden rosa Farbton angenommen hatten. „Aus deiner Hosentasche?“

„Ich verspreche, ich will mich nicht an dich ranmachen.“ Harris wollte die Frau nicht verschrecken. Vor allem, weil er nach dieser Aktion vielleicht jemanden brauchen würde, der ihn für eine Tollwutimpfung zum Arzt fuhr.

Er glaubte zu hören, dass sie sagte: „Wieso sollte ich so etwas denken?“ Aber ihre leise Stimme wurde von dem lauten Gemaunze um sie herum übertönt.

Dann nahm er den schwachen Duft von Lavendel wahr, als sie sich im näherte.

Er biss die Zähne zusammen. Als er schließlich spürte, wie jemand sanft an seiner Jeans zupfte, fuhr er beinahe zusammen.

Genau wie die graue Bengalkatze, die jetzt ein paar Meter vor ihnen im Gras saß.

„Stillhalten, sonst wittern die deine Angst, wilde Katzen sind keine Menschen gewohnt“, flüsterte Elise, als sie die Hand in seine Tasche gleiten ließ. Harris hielt den Atem an.

„Meinst du, wir könnten aufhören, das Wort ‚wild‘ zu benutzen?“ Er holte tief Luft. „Ich meine ja nur, die alte Mrs. O’Malley ist nie angegriffen worden. Richtig?“

Aber Elise antwortete nicht. Sie hatte schon sein Taschenmesser gezückt und setzte die Klinge geschickt ein, um in den Katzenfuttersack zu stechen und dann eine saubere Linie hineinzuschneiden – nur ein paar Zentimeter von seinem linken Ohr entfernt.

„Oh, jetzt hast du es auf einmal eilig?“ Er glaubte nicht, dass er sich noch mehr verspannen konnte. „Wenn du mir eine Schnittwunde zufügst, riechen diese Bestien das frische Blut.“

„Keine Sorge. Ich habe mehr Erfahrung darin, mit einem Messer zu hantieren, als Männern in die Jeans zu fassen.“

Diesmal wandte Harris ruckartig den Kopf und wurde wieder mit dem Anblick ihrer geröteten Wangen belohnt. „Denk nur nicht, dass ich darüber später nicht mehr erfahren will. Falls wir hier lebend herauskommen.“

„Ich sterbe eher vor Scham, als dass du ein paar hungrigen Kätzchen zum Opfer fällst.“ Geschickt klappte Elise das Messer zu und steckte es in die eigene Hosentasche. „Auf drei. Ich mach das Tor auf. Dann kannst du Futter in ihre Richtung werfen. Bist du so weit?“

Harris wusste nicht, ob sein Blut wegen des Adrenalins in Wallung geraten war, oder weil es so unerwartet und berauschend war, dass die zurückhaltende Elise Mackenzie das Kommando übernommen hatte. Bevor die Röte in ihren Wangen verblasst war, rief sie schon „drei“ und lief auf das Tor zu.

Harris hatte keine Wahl. Er musste handeln.

Er zerrte den Sack durch die schmale Öffnung und ließ ihn mit einem dumpfen Knall fallen. Der Schnitt in der Plastikhülle sorgte dafür, dass ein Teil des Trockenfutters herausfiel. Vier Katzen kamen näher, um den Sack zu inspizieren, aber keine von ihnen stürzte sich auf das Futter, wie er es erwartet hatte.

„Warum fressen die nicht?“, fragte Elise.

„Keine Ahnung.“

Sie zeigte auf drei Metalltröge. „Vielleicht warten sie darauf, dass wir das Futter in diese Dinger füllen?“

„Ernsthaft? Nachdem sie eine Woche nicht gefüttert worden sind?“

Elise strich sich eine Locke aus dem Gesicht. „Schau mal, an der Tonne da drüben hängt eine Schaufel.“

Harris machte einen Schritt auf den Sack zu, den die Katzen immer noch nicht angerührt hatten. Elise holte die Schaufel. Die Katzen wandten sich augenblicklich von Harris ab und rannten zu ihren Futterstellen.

„Wie viel soll ich ihnen geben, was meinst du?“, fragte Elise.

Harris zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich schätze, ein paar Schaufeln voll. Hier kommen noch ein paar.“ Harris fing an, laut zu zählen. „Ich kann nicht glauben, dass Mrs. O’Malley das dreimal in der Woche gemacht hat. Wie hat sie es überhaupt geschafft, das Futter hierherzukriegen?“

„Ich vermute mal, mit der Schubkarre, die da drüben den Zaun abstützt.“ Elise ging hin, um sie zu holen. Harris’ Blick wurde davon angezogen, wie sich ihre Jeans an ihre schlanken, aber muskulösen Beine schmiegten.

Als er beobachtete, wie sie den verrosteten Koloss herumwuchtete, wurde ihm klar, dass er die Frau unterschätzt hatte. Sie war schlank, aber stark. Sie war schüchtern, aber sie scheute sich nicht, das Kommando zu übernehmen. Er durfte nicht vergessen, dass sie seine Mieterin war und er solche Gedanken nicht haben sollte. „Ja, vielleicht kommt dein Vermieter mal dazu, den Zaun zu reparieren.“

Das Lächeln, das sie ihm daraufhin schenkte, verflog, als die Schubkarre mit dem Reifen in ein Schlagloch geriet und ihre Achse brach. „Sieht aus, als ob ich noch paar Sachen auf meine Einkaufsliste für den Baumarkt setzen muss.“

„Ja, aber ich will nicht, dass du das mit deinem Geld bezahlst.“ Harris wusste nicht, wie ihre finanzielle Lage aussah, aber gut war sie bestimmt nicht. Nicht, nachdem ihre Tante unter so fragwürdigen Umständen die Stadt verlassen hatte. „Ich hab ein Konto beim Baumarkt. Lass alles, was du fürs Haus kaufst, auf meine Rechnung setzen.“

Sie öffnete und schloss mehrmals den Mund, bevor sie schließlich sagte: „Danke. Das wäre großartig.“

Genau wie an dem Tag, als er ihr das Haus in der Maple Street für eine reduzierte Miete angeboten hatte, wandte Elise sich ab, bevor er ihre Gefühle deuten konnte.

Als sie schließlich alle drei Futterstationen gefüllt hatte, war der Sack immer noch halb voll. Harris schüttete den Rest in die Stahltonne, die mit einem luftdichten Deckel und Riegeln gesichert war.

Als Elise die Schaufel wieder in die Halterung an der Tonne hängte, fragte Harris: „Was hältst du von einem Geschäft?“

„Was meinst du damit?“

„Also, als ich Mrs. O’Malley versprochen habe, mich um die Katzen zu kümmern, da waren bei mir in der Firma alle Stellen besetzt, und ich habe gedacht, ihr Freund würde mithelfen. Aber jetzt fehlen mir vier Leute. Und der Freund von Mrs. O’Malley kommt zwar diese Woche aus der Klinik, aber er wird noch eine Weile das Bett hüten müssen.“

„Oh, da helfe ich gerne.“ Elise wischte sich die Hände an ihrer Jeans ab. „Ich bin daran gewöhnt, Helfer in der Not zu spielen. Meine Tante hat sich auch immer mehr aufgeladen, als sie schaffen konnte. Es war immer mein Job, dafür zu sorgen, dass nichts verbummelt wurde.“

Harris hatte das Gefühl, als ob ein Zehn-Kilo-Sack Feline Finest in seinem Magen gelandet wäre. Regina Mackenzie war berüchtigt für ihre Unzuverlässigkeit. Er hoffte, dass Elise ihn nicht ernsthaft mit dieser Tante Regina vergleichen wollte.

Er fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht, das mit mehr Bartstoppeln bedeckt war, als es seine Mutter gebilligt hätte.

„Es ist nicht so, dass ich mich ums Füttern nicht kümmern kann. Das krieg ich hin.“ Auch wenn er offensichtlich nicht in der Lage war, sich mehr als ein- oder zweimal in der Woche zu rasieren. „Ich kann nur nicht versprechen, dass ich zu einer bestimmten Zeit hier sein kann. Und ich würde dich ungern stören, falls du was vorhast oder einen Gast hast.“

Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Wen sollte ich zu Gast haben?“

„Vielleicht eine Freundin. Oder deinen Freund.“ Jetzt hörte er sich an, als würde er sie ausfragen, ob sie einen festen Freund hatte. „Jedenfalls will ich nicht einfach so hier auftauchen und …“ Er verstummte, als sie die Hand um seinen Oberarm legte.

„Harris, ich helfe wirklich gern. Außerdem hast du mir schon die halbe Miete erlassen, weil ich mich um das Haus und den Garten kümmere. Sagen wir einfach, das gehört dazu.“

„Schön. Aber ich bezahle das Katzenfutter. Und du rufst mich an, wenn du mich brauchst. Falls du es mal nicht schaffst. Oder wenn es irgendwelche Probleme gibt.“

Elise starrte ihn an. Er wüsste gerne, was sie dachte. Doch dann schaute sie an ihm vorbei. Er folgte ihrem Blick.

Neben einer Fichte entdeckte Harris einen dünnen, rot getigerten Kater. „Warum kommt der nicht her, um mit den anderen zu fressen?“

„Das frage ich mich auch. Er sieht aus, als könnte er Futter vertragen.“

„Vielleicht hat er Angst vor den anderen Katzen.“

„Vielleicht. Aber die scheinen gar nicht auf ihn zu achten. Er könnte auch vor dir Angst haben.“

„Vor mir?“ Seine Stimme klang lauter, als Harris es beabsichtigt hatte. „Was hab ich denn getan?“

„Leise. Manche Tiere haben eben Angst vor großen Männern.“

„So groß bin ich auch nicht.“ Aber Harris konnte nicht anders, als die Schultern noch etwas mehr zu straffen. „Außerdem, woher willst du wissen, dass du ihn nicht verschreckt hast?“

„Ich mach doch niemandem Angst“, sagte Elise und machte einen vorsichtigen Schritt auf den roten Kater zu.

Das Tier huschte hinter den Baum.

„Ich glaube, das ist Oliver. Der Kater, nach dem die kleine Brooklyn Hobbs sucht.“ Die Neunjährige hatte überall in der Stadt Suchplakate aufgehängt.

„Er sieht viel dünner aus als auf dem Plakat, aber ich denke, du hast recht“, sagte Harris erleichtert. Die ganze Stadt drückte die Daumen, dass das kleine Mädchen und sein Kater wieder vereint werden würden. „Ich geh ihn holen.“ Harris machte ein paar Schritte, bevor Elise seine Hand packte.

„Verjag ihn nicht. Du brauchst zuerst einen Plan.“

Er musterte ihre verschränkten Finger. „Mein Plan ist, mir zu nehmen, was ich will.“

2. KAPITEL

Erneut spürte Elise, wie ihr die Wangen glühten. Instinktiv zog sie ihre Hand weg. Entspann dich, sagte sie sich. Ist ja nicht so, als ob Harris gesagt hat, dass er dich will.

„Wenn du nicht den Baum da raufklettern willst“, sagte sie, so ruhig sie konnte, „dann solltest du dir vielleicht eine andere Strategie überlegen. Hast du irgendwelche Leckerli für Katzen dabei?“

„Alles, was ich habe, sind ein halber Proteinriegel und eine Flasche warmes Gatorade. Oh, und eine Tüte Sonnenblumenkerne mit Essiggurkengeschmack.“

Elise rümpfte die Nase. „Die würden nicht mal Eichhörnchen anrühren. Okay, ich glaube, in der Speisekammer ist noch eine Dose Thunfisch. Versprich mir, dass du nichts tust, was Oliver verschreckt, während ich weg bin.“

Auf seine Antwort wartete sie gar nicht erst und sprintete zur Veranda.

Sie schnappte sich die Thunfischdose und rannte wieder nach draußen. Beim Laufen zog sie den Metallring am Deckel nach oben. Böser Fehler. Die Sauce spritzte über ihren Hals und ihr Oberteil.

Als sie die Futterstationen wieder erreichte, hatte sich Harris scheinbar nicht vom Fleck gerührt. Aber der rote Kater war weg. Elise sah sich um. „Wo ist er hin?“

Harris zuckte mit den Schultern. „Ich hab nur drei oder vier Schritte gemacht. Und dann war er den Baum rauf, bevor ich ihn daran hindern konnte.“

Offensichtlich versuchte Harris Vega wirklich immer, sofort zu bekommen, was er wollte. Elise rollte mit den Augen. „Vielleicht solltest du dich neben das Tor stellen, während ich versuche, ihn runterzulocken.“

„Mit einer leeren Dose?“ Harris wirkte nicht überzeugt.

Elise schaute nach unten und sah, dass nicht nur die Sauce aus der Dose gespritzt war. Sie hatte auch den ganzen Fisch verloren. Mist.

„Ich schau mal, ob ich im Garten noch ein Stückchen finde …“ Sie verstummte, als sie den grauen Bengalkater bemerkte. Der folgte hastig der Fährte aus verschüttetem Thunfisch. Sie seufzte. „Also, dann müssen wir es vielleicht doch mit dem Proteinriegel probieren.“

„Oder, äh…“ Harris starrte auf die Stelle über ihrem Busen, wo ihre Bluse mal durch einen Knopf zusammengehalten worden war. „Wir könnten das da nehmen.“

Elise folgte seinem Blick und bemerkte ein Stück Thunfisch, das genau am vorderen Verschlusshaken ihres BHs hängen geblieben war.

Sie schnappte nach Luft und griff nach dem Brocken Fisch, während sie sich schwor, nie wieder zu versuchen, Knöpfe von Hand anzunähen.

Harris’ Lippen zuckten, als ob er darum kämpfte, sich das Lachen zu verbeißen. „Gib her, dann bring ich ihm den Fisch, während du dich um … äh… dein Oberteil kümmerst.“

Elise war das so peinlich, dass sie am liebsten sofort wieder ins Haus gerannt wäre. Aber noch mehr wollte sie die entlaufene Katze einfangen.

„Ich setze mich einfach hierher.“ Elise hielt ihre Bluse vor der Brust zusammen und ließ sich mühsam in den Schneidersitz sinken, während sie die Hand mit dem Fisch ausstreckte. „Und halte es ihm hin. Wenn er herkommt, nimmst du ihn sanft auf den Arm.“

Harris nickte. Dann sah er zum Baum hinüber. „Er schaut uns gerade an.“

„Keine abrupten Bewegungen!“

Eine Minute verging. Und dann fünf Minuten. Harris verlagerte mindestens hundertmal das Gewicht von einem Fuß auf den anderen und schaute auf seine Uhr. Elises Arm wurde langsam müde. Vorsichtig sprang Oliver auf einen niedrigeren Ast.

Harris machte einen Schritt vorwärts. „Ich glaube, ich kann ihn erreichen …“

„Wag es nicht, dich zu bewegen!“, flüsterte Elise so heftig, dass es sich anhörte, als ob sie fauchte. „Setz dich neben mich, damit du nicht bedrohlich wirkst.“

„Nicht bewegen und mich setzen? Beides gleichzeitig geht nicht, Lise.“

Lise. Noch nie hatte ihr jemand einen Spitznamen gegeben. Die unerwartete Vertraulichkeit sorgte dafür, dass ihr warm ums Herz wurde. Diesmal war ihre Stimme weicher, als sie flüsterte: „Setz dich.“

Als er sich neben sie kniete, überdeckte der Moschusduft seines Duschgels beinahe den Thunfischgeruch. Beinahe.

Noch ein Blick auf die Uhr. „Ich glaube nicht, dass er runterkommt.“

„Der kommt schon. Wir müssen geduldig sein.“

„Hab ich schon erwähnt, dass Geduld nicht unbedingt mein Ding ist.“

„Das war gar nicht nötig.“ Elise konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Aber als Harris nichts weiter sagte, wandte sie lange genug den Blick von dem Kater ab, um zu sehen, was Harris machte – und ertappte ihn dabei, wie er sie anstarrte.

Ihr Herz klopfte heftig. Eine Sekunde lang dachte Elise daran, den Stoff ihres Oberteils einfach loszulassen, nur um zu sehen, was er tun würde. Aber sie schaffte es, ihre rebellischen Gedanken wieder unter Kontrolle zu bekommen.

„Du sollst nach dem Kater Ausschau halten“, mahnte sie.

Harris schaute rasch weg, aber er leugnete nicht, dass er sie angestarrt hatte. Stattdessen senkte er die Stimme. „Hier kommt er. Nein, schau ihn nicht an. Konzentrier dich weiter auf mich. So ist gut. Er ist fast da. Halt still. Lass ihn an deiner Hand schnuppern. Ich warte, bis er frisst, bevor ich ihn hochhebe.“

„Bitte, mach, dass das klappt“, flüsterte Elise und saß so still wie möglich, während der Kater einen ersten vorsichtigen Bissen nahm. Sobald Oliver den Rest des Thunfischbrockens hinuntergeschlungen hatte, hob Harris das Tier leichterhand – und überraschend sanft – hoch.

Oliver maunzte und spreizte die Pfoten, aber er wehrte sich nicht. Harris murmelte dem verängstigten Kater beruhigend zu. Dann erhob er sich langsam. „Ich glaube, er hat immer noch Hunger. Hast du noch mehr Thunfisch in deiner Bluse?“

Elise hatte nicht vor, sich noch mal zu entblößen, um nachzusehen. Wenigstens nicht, solange Harris zusah. „Nein. Aber wir können ihm etwas von dem Trockenfutter geben.“

„Ich glaube, ich sollte ihn lieber nicht loslassen. Vielleicht können wir ihm etwas Futter in den Katzenkorb tun.“

„Hast du denn einen Katzenkorb dabei?“, fragte sie.

„Nein. Ich hatte gehofft, dass hier einer ist.“

Elise musterte die Futterstationen. „Vielleicht im Schuppen. Aber wenn einer da drin ist, dauert es eine Ewigkeit, ihn zu finden.“

„Okay. Das Tierheim ist ja nicht weit weg. Ich fahre, und du hältst Oliver.“

Elise erstarrte. Ihre Füße fühlten sich schwer wie Blei an, als sie Harris und Oliver widerwillig folgte. Sie hatte angefangen, im Tierheim auszuhelfen, als ihr Vater gestorben war. Bei den Tieren, die auch nirgends hingehörten, hatte sie Trost gefunden. Aber jetzt würde sie das Fellknäuel fürs Leben zum ersten Mal wieder besuchen, seit Tante Regina verschwunden war – gleich nachdem sie versprochen hatte, eine Wohltätigkeitsveranstaltung für das Tierheim auszurichten. Was würden die Eigentümerinnen, Bunny und Birdie Whitaker, sagen, wenn sie Elise jetzt zu Gesicht bekamen?

Denk nicht darüber nach. Konzentrier dich darauf, was Brooklyn Hobbs sagen wird, wenn sie ihren Kater wiedersieht.

Harris blieb auf der Beifahrerseite seines Pick-ups stehen, den Kater auf dem Arm. Oliver war ruhiger, hatte die Augen aber immer noch weit aufgerissen. „Ich würde dir ja die Tür aufmachen, aber ich will nicht riskieren, meinen Griff zu lockern.“

Wann hatte das letzte Mal jemand – noch dazu ein Mann – für Elise eine Tür aufgehalten? Wahrscheinlich nicht seit ihrer letzten Verabredung … Aber das hier war kein Date. Sie zog zu heftig am Türgriff und verlor fast das Gleichgewicht, bevor sie in den Wagen kletterte. Dann wurde ihr klar, dass sie immer noch Harris’ Schlüssel in der Tasche hatte. Elise stemmte die Hüften hoch, um sie herauszuzerren. Harris räusperte sich. Seine Stimme hörte sich tiefer an als normal, als er sagte: „Wirf sie einfach auf die Mittelkonsole.“ Dann setzte er Oliver auf ihren Schoß.

In ihren Armen entspannte sich der Kater sofort. Sie waren schon zur Ausfahrt hinausgefahren, als der hungrige Kater den Thunfischgeruch bemerkte. Sie bogen gerade ab, als Elise quietschte: „Oh nein.“

„Was ist los?“, fragte Harris.

„Wir … äh… haben vergessen, das Trockenfutter mitzunehmen.“

Harris musste sich das Lachen verbeißen, als Oliver seine Nase unter den Sicherheitsgurt schob, um die restliche Thunfischsauce von Elises Haut zu lecken.

„Hör auf zu lachen“, befahl sie Harris. „Das ist unangenehm.“

„Aber schau nur, wie ruhig er ist. Ich würde auch so schnurren, wenn ich …“

Wenigstens musste sie das nervöse Tier nicht mehr krampfhaft festhalten. Sie kamen an einem von Brooklyn Hobbs’ Plakaten vorbei, das an einer Straßenlaterne hing. Elise seufzte. „Wenigstens haben wir dich gefunden, Kleiner“, sagte sie zu dem Kater. „Vielleicht sollten wir als Nächstes Suchmeldungen nach Tante Regina aufhängen.“

„Verschwindet deine Tante immer so plötzlich?“, fragte Harris.

„Es ist schon ein paarmal vorgekommen, dass sie unerwartet verreist ist. Aber sie war noch nie so lange weg. Ich war schon beim Spring Forest Police Department. Aber weil ihr Auto auch weg ist, gehen sie davon aus, dass sie die Stadt freiwillig verlassen hat.“

Sie riskierte einen Blick in Harris’ Richtung und sah noch, wie er den Mund öffnete, um ihn sofort wieder zu schließen. Aber bevor sie ihn bitten konnte, ihr zu sagen, was er glaubte, bogen sie auf den Parkplatz von Fellknäuel fürs Leben ein.

Der freiwillige Helfer an der Rezeption griff sofort nach dem Scanner, um sich zu vergewissern, dass es sich tatsächlich um den entlaufenen Kater von Brooklyn Hobbs handelte. Oliver krallte sich mit schreckgeweiteten Augen an Elise fest.

„Der arme Kerl hat bestimmt viel mitgemacht“, sagte der Helfer. „Der Tierarzt will ihn sicherlich untersuchen, aber unsere Tierarzthelferinnen sind heute schon alle weg. Würde es euch was ausmachen, ihn zu halten, während ich die Familie Hobbs anrufe?“

So kam es, dass Harris neben Elise mit einem nervösen Oliver im Untersuchungszimmer saß, als der Tierarzt mit einem strahlenden Lächeln hereinkam. „Wie ich höre, werdet ihr gleich ein kleines Mädchen sehr, sehr glücklich machen.“

„Doc J, ich habe gar nicht gewusst, dass Sie wieder in der Stadt sind.“ Harris stand auf, um die Hand des Arztes zu schütteln. Er hatte den pensionierten Tierarzt schon immer gemocht.

Doc J zupfte am Kragen seines weißen Kittels. „Also, Bunny hat mir eine gehörige Standpauke wegen meines Umzugs nach Florida gehalten.“

„Ich hoffe, sie hat Ihnen auch gesagt, dass Sie fünfzigtausend Dollar mehr für ihr Haus bekommen könnten, wenn Sie mir erlauben, die Speisekammer in ein Arbeitszimmer umzubauen.“

„Nein, mein Junge, das nicht. Aber sie hat mich gezwungen zuzugeben, dass ich unglücklich war so weit weg von Birdie. Also bin ich zurückgekommen. Und das Haus will ich auch nicht mehr verkaufen.“

Bunny und Birdie Whitaker waren Schwestern, beide über siebzig Jahre alt und hatten vor vielen Jahren das Tierheim Fellknäuel fürs Leben gegründet. Bunny hatte letztes Jahr alle mit einem geheimen Liebhaber überrascht. Die ganze Stadt erfuhr, dass Doc J und Birdie zusammengefunden hatten – aber die Beziehung schien beendet, als der Tierarzt nach Florida gezogen war.

Aber jetzt hörte es sich ganz so an, als ob sie wieder zueinandergefunden hätten. So oder so wünschte Harris ihnen alles Gute.

Doc J fing an, den Kater zu untersuchen, während Elise ihn auf dem Arm hatte. Dann bat er sie, das Tier auf den Untersuchungstisch zu setzen. Oliver gefiel das kein bisschen. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen.

„Oliver?“, rief ein kleines blondes Mädchen und kam ins Zimmer gerannt. „Bist du’s wirklich?“

Der Kater erstarrte. Dann fing er augenblicklich an zu schnurren, als Brooklyn Hobbs ihn an sich schmiegte. „Oh, Oliver. Ich hab dich so vermisst. Ich hab nie aufgehört, dich zu suchen. Ich hab dich so lieb …“ Was die Kleine noch sagte, konnte man nicht mehr verstehen, weil sie das Gesicht im verfilzten roten Fell des Katers verbarg.

Brooklyns Mutter stand noch in der Tür. „Ich kann nicht glauben, dass Sie ihn gefunden haben!“, sagte Renee Hobbs und wischte sich eine Träne von der Wange. „Nach so langer Zeit war ich sicher …“

Harris verstand, was die Mutter sagen wollte. „Also, er ist auf jeden Fall ein cleverer Bursche, dass er sich so lange allein durchgeschlagen hat.“

„Danke, dass Sie ihn gefunden haben“, sagte Brooklyn zu Harris.

„Also, eigentlich war ich das gar nicht. Das war Miss Elise hier. Sie hat Oliver von deinen Plakaten wiedererkannt.“ Aber Elise blieb stumm. Harris redete weiter, damit sie nichts sagen musste. „Das war wirklich klug von dir, dass du so viele Plakate aufgehängt hast, Brooklyn.“

„Die hab ich selber gemalt, und dann hat Mommy Kopien gemacht. Also, wo war er?“

Harris bemühte sich, so lebhaft zu wirken wie seine Mutter, wenn sie ihren Schülern eine Abenteuergeschichte erzählte. „Oliver hat in der Katzenkolonie in dem Wäldchen hinter der Maple Street gelebt.“

„Was ist eine Katzenkolonie?“

„Das ist eine Gruppe von Katzen, die Freunde sind und zusammen wohnen und essen.“

„Haben sie denn keine Besitzer, die sie füttern und liebhaben?“ Das Mädchen riss besorgt die Augen auf. Harris konnte sich nur vorstellen, wie sie auf die Information reagieren würde, dass es viele herrenlose Katzen gab.

Harris sah hilfesuchend Doc J an. Aber der Tierarzt hatte das Stethoskop auf. Elise biss sich auf die Unterlippe. Harris zuckte mit den Schultern. „Die meisten von ihnen haben kein normales Zuhause. Sie leben in der Wildnis. Da können sie kommen und gehen, wie es ihnen gefällt.“

„Wie die Leute vom Jahrmarkt?“

„Ja. So in der Art. Nur statt Eis oder Zuckerwatte bekommen sie Trockenfutter und Thunfisch.“ Bei diesen Worten bekam Harris einen Ellbogen in die Rippen gestoßen, und er unterdrückte ein Schmunzeln. Brooklyn kicherte.

„Also, er hat Gewicht verloren“, fing Doc J an und unterbrach sich, als er bemerkte, wie Brooklyn Tränen wegblinzelte. „Aber mit etwas gutem Futter wird das wieder. Ich gebe ihm noch eine Salbe …“

Harris tat sein Bestes, um das Kind von der Wunde abzulenken, die ihm an Olivers Hinterbein aufgefallen war, während Doc J dem Kater eine Spritze gab und einen Kragen um den Hals legte. Brooklyn und ihre Mutter bedankten sich noch mehrmals, bevor sie sich schließlich mit einem glücklichen Oliver auf dem Arm verabschiedeten.

„Das war toll, wie du das mit ihr gemacht hast“, sagte Elise, nachdem das Mädchen mit seiner Mutter weggefahren war.

„Danke.“ Harris rieb sich die Rippen. „Man sagt, dass ich durchaus charmant sein kann.“

„Ich bin sicher, das hat man dir tatsächlich so gesagt.“ Ihr Lächeln war so strahlend, und ihre braunen Augen leuchteten so hell, dass Harris fast der Atem stockte.

Er räusperte sich noch einmal. „Also, ich weiß ja nicht, wie’s dir geht, aber ich bin am Verhungern. Was hältst du davon, wenn wir uns was zu essen besorgen?“

„Oh.“ Elise sah sich auf dem leeren Parkplatz um. „Ich äh… ich habe meine Handtasche gar nicht dabei.“

„Aber ich habe meine Brieftasche dabei.“

„Du kannst doch nicht dauernd anbieten, für mich zu zahlen, Harris. Ich bin vielleicht pleite, aber ich habe immer noch meinen Stolz.“ Das war das erste Mal, dass sie seinen Namen gesagt hatte. Aber er konnte sich darüber nicht freuen, denn ihre Worte gaben ihm das Gefühl, als hätte er irgendeine ungeschriebene Regel gebrochen. „Außerdem habe ich meine Handtasche in meinem Auto gelassen. Mit ein paar Tüten Lebensmitteln.“

„Schon kapiert. Dann fahr ich dich nach Hause.“ Er hielt die Beifahrertür für sie auf und erwartete fast, dass sie sich auch dagegen sträuben würde. Aber sie stieg ein und schnallte sich hastig an.

Als er in seinen Pick-up stieg, sagte er sich, dass er ihr Zeit geben würde, um sich zu entspannen. Dann würde er das Thema wechseln und Elise wieder aus ihrem Schneckenhaus locken.

Doch als er den Motor anlassen wollte, hörte er nur ein Ächzen. Er versuchte es noch mal, aber der Wagen sprang immer noch nicht an. „Das ist merkwürdig. Das macht er sonst nie.“

Elise biss sich auf die Lippe. Eine Reaktion, die in ihm die Sorge hervorrief, dass sie befürchtete, mit ihm allein auf diesem Parkplatz festzusitzen.

„Es ist nicht die Batterie, denn die Scheinwerfer funktionieren.“ Er drückte ein paar Knöpfe und versuchte es dann noch einmal. Diesmal tat sich gar nichts. Er unterdrückte ein Stöhnen.

Da fragte Elise leise: „Würde es dir was ausmachen, wenn ich mal einen Blick unter die Motorhaube werfe?“

Als Elise vierzehn war und zu ihrer Tante ziehen musste, hatte Regina alle Habseligkeiten ihres Vaters – auch seine Werkzeugsammlung – verkauft, um das Pflegeheim zu bezahlen. Ihre Tante hatte versucht, Elise damit aufzumuntern, dass Männer Frauen nicht mochten, die mehr über Autos wussten als sie.

Aber Tante Regina war wahrscheinlich auch nie mit ihrem heißen Vermieter irgendwo gestrandet gewesen.

Nachdem Harris die Motorhaube geöffnet hatte, brauchte Elise keine Minute, um dem Problem auf den Grund zu gehen. „Da, an der Zündkerze, ist ein Draht lose. Wenn du einen Drehmomentschlüssel und eine Spitzzange im Werkzeugkasten hast, kann ich den wieder festmachen.“

„Wahnsinn. Das ist jetzt ziemlich peinlich.“ Harris fuhr sich mit der Hand durchs dunkle Haar.

„Schon okay. Das wäre vielen Leuten nicht aufgefallen.“

Oh je. Vielleicht hatte ihre Tante recht gehabt.

Harris holte sein Werkzeug. Doch als er es Elise reichte, wirkte er nicht verärgert. Er lächelte sogar. „Mit Autos konnte ich noch nie gut. Was echt verrückt ist, weil mein Dad eine Autowerkstatt hatte, die mein Bruder jetzt weiterführt. Mein Talent liegt eher beim Bauen. Ich verspreche, dass ich durchaus geschickt mit den Händen bin.“

Elise versteckte den Kopf unter der Motorhaube, bevor er sehen konnte, dass sie schon wieder errötete.

Als sie den Draht anzog, konnte sie an nichts anderes denken als daran, wie großartig es wäre, Harris’ Hände auf ihrem Körper zu spüren.

Sie holte tief Luft, bevor sie sagte: „Okay, versuch’s noch mal.“

Als er diesmal den Motor anließ, sprang der Wagen sofort an.

„Spitze, Lise!“, rief Harris. „Du bist immer für eine Überraschung gut.“

Stolz war ein Gefühl, das Elise nicht vertraut war. Aber sie verspürte definitiv Befriedigung, als sie die Motorhaube mit einem festen Schlag schloss und die Hände an ihrer Jeans abwischte. „Mein Dad war so was wie ein Autonarr.“

„Ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder in North Carolina weiß, wie sehr John Mackenzie Autos geliebt hat. Ich erinnere mich noch an die Werbespots für Mackenzie Motors.“

Elises Vater hatte gleich nach der Highschool bei einem Gebrauchtwagenhändler angefangen. Schon bald war er einer der besten Verkäufer gewesen. Dann hatte er sein erstes eigenes Autohaus gekauft. Und dann noch ein paar. Als Elise neun Jahre alt war, besaß er Niederlassungen in mehreren Bundesstaaten. Prominente und Profisportler standen Schlange, um in seinen skurrilen Werbespots aufzutreten. Aber dann war Elises Mutter krank geworden, und ihr Vater hatte sein Geschäft verkauft, um sich um seine Frau und seine Tochter zu kümmern. Von da an war alles bergab gegangen.

Sie schüttelte den Kopf, entschlossen, sich nur auf glückliche Erinnerungen zu konzentrieren. „Tja, ich habe den größten Teil meiner Kindheit auf Autoausstellungen verbracht. Und damit, ihm in der Werkstatt zuzugucken.“

„Anscheinend hast du nicht nur zugesehen.“ Harris deutete mit einem Kopfnicken auf den Drehmomentschlüssel, den sie immer noch in der Hand hatte.

Wieder stieg ganz unerwartet Stolz in ihr auf. Elise hatte vielleicht noch nie einen richtigen Job gehabt, bevor sie bei Barkyard Boarding angefangen hatte. Aber sie hatte schon mit dreizehn Jahren Motoren überholt. Das war etwas, was sie nur mit ihrem Dad geteilt hatte. Er war stolz auf sie gewesen.

„Wahrscheinlich erinnerst du dich nicht“, sagte Harris, als er Richtung Stadt fuhr. „Aber wir sind uns schon mal begegnet, als wir Kinder waren.“

Elise erinnerte sich nicht, ihn schon mal getroffen zu haben – aber möglich erschien ihr das durchaus. Spring Forest war John Mackenzies Heimatstadt. Sogar nach dem Tod ihrer Großeltern waren sie noch oft hergekommen, um Onkel Tom und seine Frau Regina zu besuchen, die gerne extravagante Partys gab. „War das bei einer der Partys meiner Tante?“

„Ha! Niemals. Mein Vater war Automechaniker und Immigrant. Meine Familie war nicht unbedingt auf Augenhöhe mit der besseren Gesellschaft damals.“

Obwohl Harris lachte, wusste Elise, dass sein Leben als Amerikaner mexikanischer Herkunft und als Kind einer Arbeiterfamilie ganz anders gewesen sein musste als ihre eigene privilegierte Kindheit. Schuldgefühle machten ihr das Herz schwer. „Tut mir leid, Harris. Das war gedankenlos von mir.“

Sein Lächeln war warmherzig und aufrichtig. „Schon okay. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich Reginas Partys gehasst hätte.“

„Also, ich konnte sie definitiv nicht ausstehen. Aber ich mag Partys generell nicht.“

„Ja, daran erinnere ich mich noch am besten, was unsere erste Begegnung angeht. Das war beim alljährlichen Firmenpicknick von Mackenzie Motors. Mein Dad hat damals für die Firma gearbeitet. Ich war so elf oder zwölf. Du warst so ein winziges, kleines Ding.“ Harris ließ den Blick über ihren Oberkörper gleiten. „Bist du immer noch.“

Wenn das so weiterging, würden ihre peinlich roten Wangen nie wieder verblassen. Zum Glück wurde die Ampel grün. „Dann haben unsere Eltern uns bei dem Firmenpicknick einander vorgestellt?“

„Nicht ganz. Du hast ganz allein bei deiner Mutter gesessen. Mein Dad hat gesagt, ich soll dich fragen, ob du mit mir und ein paar anderen Kindern spielen willst. Ich hab zu ihm gesagt, du siehst eingebildet aus.“

Sie fuhr herum. „Ich war nicht eingebildet!“

„Nein, das ist mir jetzt auch klar. Du bist nur furchtbar schüchtern.“

„Ich bemühe mich ja, das nicht zu sein.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Es ist nur so, dass ich nicht besonders gut im Umgang mit Menschen bin.“

„Du bist heute den ganzen Nachmittag bestens mit mir klargekommen. Nur im Tierheim hat es dir irgendwie die Sprache verschlagen.“

„Ich habe einfach nicht gedacht, dass ich noch viel sagen muss. Schließlich hast du das Reden übernommen.“ Ganz zu schweigen davon, dass sie auf keinen Fall auffallen und nach ihrer Tante gefragt werden wollte. „Wie gesagt, du hast das großartig gemacht mit Brooklyn Hobbs. Wie du sie abgelenkt hast. Wie du das dargestellt hast, als ob Oliver nur ein tolles Abenteuer mit seinen wilden Katzenfreunden erlebt hat. Das hat mich …“

Sie verstummte wieder. Aber Harris ließ nicht locker. „An wen habe ich dich erinnert?“

Sie holte tief Luft. „An meinen Dad. Er hatte auch dieses Talent, Leuten die Befangenheit zu nehmen. Wahrscheinlich hat er deswegen so viele Autos verkauft.“

„Das werte ich definitiv als Kompliment. John Mackenzie war ein guter Mann. Er hat ein großes Erbe hinterlassen.“ Er schenkte ihr ein verständnisvolles Lächeln.

Elise wurde leichter ums Herz, weil sie hoffte, dass Harris vielleicht andeuten wollte, dass sie das war. Aber vielleicht meinte er nur die legendären Werbespots ihres Vaters. Denn nur der Himmel wusste, dass von John Mackenzies finanziellem Erbe kein einziger Cent mehr übrig war.

„Elise? Ist alles okay?“, fragte Harris, als er am nächsten Freitagabend ans Telefon ging. Er war gerade dabei gewesen, seine Materialliste für die kommende Woche durchzugehen.

„Oh, äh. Ja. Mehr oder weniger. Es ist nur so, dass ich ein paar Schwierigkeiten mit der Dusche habe.“

Harris schob seinen Laptop auf den Nachttisch und richtete sich auf. Er hörte ihrem Tonfall an, dass sie versuchte, das Problem herunterzuspielen.

„Was für Schwierigkeiten?“

„Also, ich habe versucht, den Duschkopf auszuwechseln. Und … äh… sagen wir mal, ich bin das genaue Gegenteil von dir. Mein Talent mit Werkzeug funktioniert nur bei Autos. Nicht bei Sanitärinstallationen.“

„Ich zieh nur schnell was an. Dann bin ich gleich bei dir“, sagte er. Dann hörte er, wie sie nach Luft schnappte.

„Nein! Du musst doch nicht unterbrechen … äh… mit was auch immer du beschäftigt warst und … äh… dich anziehen.“ Die letzten zwei Worte entschlüpften ihr als Quietschen. „Das kann bis morgen warten.“

Was genau dachte sie, was er an einem Freitagabend unbekleidet anstellte?

Ohhh.

„Ich habe nur Papierkram erledigt. Im Bett. Allein.“ Er musste ein Lachen unterdrücken. „Es macht mir wirklich nichts aus, rüberzukommen und schnell den Duschkopf auszutauschen.“

„Ja, also das ist das eigentliche Problem. So einfach ist das jetzt nicht mehr. Der Duschkopf war nicht sehr kooperativ. Es gab so etwas wie einen Kampf und, na ja, ich fürchte, ich hab das Rohr abgebrochen. Die gute Nachricht ist, dass ich den Hauptwasserhahn gefunden habe.“

Harris musste sich auf die Backe beißen. Er hätte zu gerne gesehen, wie sich Elise in einen Ringkampf mit einem veralteten Duschsystem stürzte. Allerdings wusste er auch, dass es sie wahrscheinlich genauso viel Entschlossenheit gekostet hatte, die Niederlage einzugestehen und ihn um Hilfe zu bitten. „Ich hätte mir das alles ansehen sollen, bevor du eingezogen bist. Ich verspreche, ich bin kein Vermieter, der nie was repariert, um einen Dollar zu sparen.“

„Harris, meine Miete ist halb so hoch, wie sie sein sollte. Ich hab nie erwartet, dass hier alles perfekt in Schuss ist. Und ich verspreche, die Reparatur kann bis morgen warten. Ich habe dich nur so spät gestört, weil ich wollte, dass du die Sache mit dem Rohr von mir erfährst und nicht von Reverend Johnson nebenan. Ich fürchte, ich habe ihn und ein paar andere Nachbarn durch mein lautes Fluchen mit etwas unpassender Wortwahl aufgeweckt, als ich in der Dunkelheit auf der Suche nach dem Hauptwasserhahn im Hof herumgestolpert bin.“

Harris schaffte es kaum, sich das Lachen zu verbeißen. „Na schön. Wenn du dir ganz sicher bist. Aber morgen früh komme ich gleich als Erstes zu dir.“

„Immerhin habe ich jetzt wirklich jeden, der an diesem Ende der Maple Street wohnt, kennengelernt. Das ist ganz was Neues für mich.“

Harris schmunzelte immer noch, als er am nächsten Morgen zur Maple Street fuhr.

Als er ein paar Minuten später an Elises Tür klopfte, schmunzelte er noch mehr. Sie hatte Frühstück für ihn gemacht. „Komm rein und iss erst mal was.“

„Also, zu einem ordentlichen Frühstück sage ich nicht Nein.“ Er setzte sich an den Küchentisch, auf dem Teller mit fluffigen Pfannkuchen, Speck, Rührei mit Käse und sogar eine Kanne mit heißem Kaffee standen. „Wie hast du das alles ohne fließendes Wasser hingekriegt?“

Elise deutete mit dem Daumen auf die Tür zum Windfang. Dort standen mindestens zehn große Krüge. „Ein paar Nachbarn haben die gestern Abend noch rübergebracht.“

„Wie kaputt ist das Rohr denn?“ Er nahm einen Happen Pfannkuchen mit Ahornsirup und schloss verzückt die Augen. „Wahnsinn. Das ist unglaublich. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann mir jemand das letzte Mal etwas gekocht hat. Ich meine, jemand, der nicht mit mir verwandt ist oder in einem Restaurant arbeitet.“

Elise konnte nicht verbergen, wie ihr Blick über Harris’ Oberkörper glitt. Unwillkürlich spannte er die Armmuskeln an, als ob er beweisen wollte, dass er gut in Form war.

Sie gab einen erstickten Laut von sich. „Dann isst du nur in Restaurants?“

„Meistens. Hängt ganz davon ab, ob ich eine funktionsfähige Küche habe.“

Sie neigte den Kopf. „Renovierst du deine Küche so oft?“

„Nein. Ich meine, ich habe eigentlich kein richtiges Haus. Normalerweise wohne ich in dem Haus, das ich gerade herrichte.“

„Wie viele Häuser besitzt du denn? Außer diesem, meine ich.“

„Im Augenblick neun. Denke ich.“

„Denkst du?“

Er machte kurz im Kopf Inventar. „Und ein paar Geschäfte in der Stadt. Wenn ich ein Gebäude hergerichtet habe, verkauf ich es meistens gleich wieder. Also ändert sich die Anzahl oft.“

„Wird das nicht verwirrend? Keinen festen Ort zu haben?“

„Oh, ich habe ein Büro. Draußen auf der alten Henderson Farm. Da hab ich auch eine Scheune in eine Art Lager umfunktioniert und den Dachboden zu einem Apartment umgebaut. Aber vor ein paar Jahren hat mein Vorarbeiter eine Bleibe gebraucht. Also habe ich darauf bestanden, dass Buster dort einzieht.“

Elise kratzte sich am Kopf. „Also könntest du in einem Apartment wohnen, das du nach deinem Geschmack hergerichtet hast. Oder sogar in diesem Haus hier oder in irgendeinem anderen Haus, das dir gehört. Stattdessen ziehst du von Baustelle zu Baustelle … Wieso das denn?“

„Weil andere Leute die Häuser mehr brauchen als ich.“ Er war satt, aber alles schmeckte so gut, dass er sich noch einmal nahm.

Und Elise schien es nicht eilig zu haben, das Gespräch zu beenden. Sie hatte das Kinn in beide Hände gestützt, während sie ihn musterte. Sah er sie am Ende auch so an, wenn er sie beobachtete? Kein Wunder, dass sie jeden Blickkontakt mied.

Harris, der nie lange genug stillsaß, dass jemand ihn genau unter die Lupe nehmen konnte, erhob sich. „Wie wär’s, wenn wir uns jetzt dieses kaputte Rohr ansehen?“

3. KAPITEL

„Gab es zu der Dusche nicht auch eine Abtrennung?“, fragte Harris, nachdem er ein neues Stück Kupferrohr angelötet hatte. „Ich hätte schwören können, dass die Dusche hier diese komischen Milchglastüren aus den Siebzigern hatte.“

„Ich denke schon. Ich hab die Türen hinten im Garten gefunden.“

Harris blieb der Mund offen stehen. „Warum in aller Welt hat Mrs. O’Malley funktionstüchtige Glastüren rausgeschmissen?“

„Wahrscheinlich, weil sie diese Ecke als Lagerraum genutzt hat. Ich hab hier eine alte Nähmaschine gefunden, mehrere Ballen Stoff und ungefähr zehn Jahrgänge Handarbeitszeitschriften. Oh, und eine Packung Glitzerfarbe.“

„Dann hat sie ihre Vorräte im Bad gelagert?“ Er zeigte auf den neuen Duschkopf. „Gibst du mir den mal?“

Sie machte die Packung auf, bevor sie ihm den schlichten Duschkopf reichte. „Mein Dad war auch so, als bei ihm Alzheimer diagnostiziert wurde. Er hat Sachen an allen möglichen und unmöglichen Orten abgestellt und konnte sich nie von irgendwas trennen.“

Harris hielt inne und warf ihr einen Blick zu. Elise wünschte, sie hätte ihren Vater nicht erwähnt. Es war immer so unangenehm, wenn die Leute nicht wussten, was sie sagen sollten.

„So, das wär’s“, sagte er, als er den Schraubenschlüssel noch ein letztes Mal ansetzte. „Ich mach mal das Wasser an.“

Elise hätte nicht gedacht, dass sie die Art von Frau war, die wegen einer Dusche einen Gefühlsausbruch bekam. Aber als das Wasser in einem festen Strahl aus dem Duschkopf kam, jubelte sie.

„Dann nehme ich mal an, dass wir erfolgreich waren“, sagte Harris, als er wieder ins Bad kam.

„Nicht wir“, korrigierte Elise ihn. „Du.“

„Ja, aber nur weil du mich mit dem besten Kaffee und den leckersten Pfannkuchen von ganz North Carolina gestärkt hast.“

„Ich bin sicher, das waren sie nicht. Vor allem, weil ich außer Übung bin. Meine Tante hat auf einer kohlenhydratreduzierten Ernährung bestanden und mir nicht erlaubt, irgendwas zu essen, was ihrer Meinung nach dick macht.“

Harris kniff die Augen zusammen. „Sie hat ernsthaft gedacht, dass du abnehmen musst?“

„Nein. Aber sie hat sehr viel Wert auf das äußere Erscheinungsbild gelegt. Ich habe schnell gemerkt, dass ich sie am leichtesten daran hindern konnte, mich auf Partys mitzuschleppen, indem ich so reizlos geblieben bin wie möglich.“

„Also, wenn du mich fragst“, sagte Harris, während er den Blick über ihren Körper gleiten ließ, „ich denke, dass du fantastisch aussiehst, so wie du bist.“

Als ihr die Hitze ins Gesicht stieg, verließ Elise fluchtartig das Bad, bevor sie sich zum Narren machte.

Schon wieder.

Mist. Harris wollte Elise nicht verschrecken. Er hatte nur gedacht, dass sie es verdient hatte, die Wahrheit zu hören. Herauszufinden, dass sie eine rebellische Ader hatte, machte sie außerdem noch viel attraktiver.

Na schön. Elise Mackenzie war einfach attraktiv. Es war kein Verbrechen, das zu bemerken.

Das Problem war, dass Elise offensichtlich nicht versuchte, mit ihm zu flirten. Also warum konnte Harris nicht aufhören, sich zu wünschen, dass sie genau das tun würde?

„Hör auf, Mann“, murmelte er, während er sein Werkzeug wegpackte. „Sie ist deine Mieterin.“

Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass er für professionelle Distanz sorgen konnte, ging er wieder in die Küche. „Also, jetzt wo die Dusche funktioniert, was ist dein nächstes Projekt?“

Und bei dieser Frage strahlte sie erst richtig.

Harris gab sich Mühe, sich darauf zu konzentrieren, was Elise sagte, und nicht auf ihr lebhaftes Gesicht, als sie über ihre Pläne sprach, ein Schleifgerät zu mieten und die Böden neu einzulassen. Sie zog ein Notizbuch heraus. Er musste lächeln, als sie eine ganze Liste mit Ideen durchging. Es war unmöglich, sich von ihrem Enthusiasmus nicht anstecken zu lassen.

„Also, es ist ganz klar, dass einige Möbel nicht mehr zu retten sind.“ Elise ging inzwischen im Wohnzimmer auf und ab. Harris wusste gar nicht, wann sie die Küche verlassen hatten. Er musste ihr jedoch schon durch das Schlafzimmer und das Esszimmer gefolgt sein, weil er jede Menge Ideen zu ihren Vorschlägen im Kopf hatte. „Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich diese beiden Sessel neu polstern kann. Der Esstisch scheint in gutem Zustand zu sein, aber ich habe keine Ahnung, wo die Stühle dazu sind. Ich habe gedacht, ich fahr mal zu einem Secondhandladen in Raleigh und schaue, was ich da so finde.“

„Ich hätte das vielleicht schon erwähnen sollen, aber ich habe in meinem Lager Möbel, die wir benutzen, wenn wir Häuser für eine Besichtigung herrichten. Du solltest mal nachsehen, ob was dabei ist, das du brauchen könntest.“

„Ernsthaft?“ Elise riss die Augen auf und strahlte noch mehr. „Ich meine, ich weiß ja, das wäre nur auf Zeit und dass du mir nichts schenkst, aber ich mach dir für ein ganzes Jahr Pfannkuchen, wenn du mir ein Sofa leihst, das nicht aussieht, als ob eine ganze Eichhörnchenfamilie drin gehaust hat.“

„Das wäre ein faires Geschäft.“ Ihm ging das Herz auf, weil er ihr so viel Freude gemacht hatte. „Kannst du mir die erste Portion morgen vorbeibringen?“

Als Elise am nächsten Morgen in ihrem alten, unscheinbaren Minivan vor seiner Firma hielt, fragte sich Harris, wie die einzige Tochter des erfolgreichsten Autohändlers im ganzen Bundesstaat in so schlechten finanziellen Verhältnissen gelandet war. Dahinter musste eine Geschichte stecken. Oder wenigstens eine Erklärung, wie schlechte Investitionen oder krankhafte Geldverschwendung. Leider schien beides möglich, in Anbetracht der Tatsache, dass ihr Vater an Alzheimer erkrankt gewesen war.

Jetzt machte sie den Kofferraum auf. Mehrere Behälter kamen zum Vorschein. Harris lief das Wasser im Mund zusammen. „Ich habe nicht gedacht, dass der Jahresvorrat an Pfannkuchen auf einmal geliefert wird.“

Sie schenkte ihm ein so strahlendes Lächeln, dass er beinahe stolperte.

„Das sind nicht nur Pfannkuchen. Ich habe mal probiert, mein Essen eine Woche im Voraus vorzubereiten. Leider bin ich nicht daran gewöhnt, alles auf einmal zu kochen. Also hab ich zu viel gemacht.“

Er musterte die Behälter. „Jetzt mach ich mir Sorgen, dass ich den Eindruck erweckt habe, meine Möbelsammlung wäre größer und besser, als es tatsächlich der Fall ist.“

„Du sprichst mit einer Frau, die in einem Haus wohnt, in dem alle Vorhänge mit tanzenden Katzen bedruckt sind.“

Harris grinste. „Packen wir das Essen in den Kühlschrank im Pausenraum. Dann kannst du dir ein paar Bilder aussuchen, die zu den Katzenvorhängen passen.“

Zwanzig Minuten später war Elise dabei, auf einem Block Listen anzulegen, und benutzte Klebenotizen, um die Gegenstände zu markieren, die sie haben wollte.

„Bist du sicher, dass es dir nichts ausmacht, wenn ich die Kommode auch noch mitnehme? Ich hatte gehofft, dass ich die im zweiten Schlafzimmer neu streichen kann, aber auf der Rückseite war überall so ein komischer weißhaariger Schimmel.“

„Okay, also das ist ekelhaft. Aber das erinnert mich an was. Ich habe arrangiert, dass am Dienstag ein Sperrmüllcontainer vor dein Haus gestellt wird. Mir war nicht klar, wie viel Gerümpel Mrs. O’Malley hinterlassen hat. Ich sorge dafür, dass Buster und ein paar der Jungs vorbeikommen, um dir helfen.“

Sie drehte einen Metallständer um, in dem Teppiche verstaut waren. „Ich habe gedacht, dass du zurzeit nicht genug Leute hast?“

„Stimmt.“ Er wandte sich der weißen Schreibtafel an der Wand vor seinem Büro zu. „Aber nach Halloween wird es ruhiger. Einer meiner Leute kommt aus der Familienzeit zurück, und Busters Cousin will bei mir anfangen, sobald das Militär seine Entlassungspapiere fertig hat. Was ich wirklich dringend brauche, ist ein Einrichtungsexperte.“

Elise unterbrach ihre Bemühungen, einen Teppich auszurollen. „Ein Einrichtungsexperte?“

„Ich habe vor ein paar Jahren schon mal eine Interior-Designerin angeheuert. Das hier hat sie organisiert.“ Er zeigte auf das Lager. „Adina war ein Genie, wenn es darum ging, Häuser für den Verkauf herzurichten. Manchmal haben wir deutlich mehr Geld bekommen, als wir verlangt haben, wenn wir das Haus möbliert übergeben haben.“

„Wahnsinn. Der Job klingt fantastisch. Warum ist sie weggegangen?“

„Weil sie ein Angebot von einer dieser Fernsehserien für Hausrenovierungen bekommen hat.“ Harris erwähnte nicht, dass dieses Angebot auch für ihn galt. Aber er hatte kein Interesse daran, im Fernsehen aufzutreten oder Spring Forest zu verlassen. „Natürlich habe ich mich sehr für sie gefreut, aber ich finde keinen Ersatz für sie. Ich habe schon gehofft, dass du …“ Er unterbrach sich, als Elise den Kopf schüttelte. „Warum sagst du jetzt schon Nein? Ich habe doch noch gar nicht gefragt.“

„Harris, ich bin keine Einrichtungsexpertin. Ich kann ja kaum ein Fischgrät- von einem Chantilly-Parkett unterscheiden.“

Er zeigte mit dem Finger auf sie. „Aber du weißt, dass es einen Unterschied gibt. Ich brauche jemanden, der sich für neue Projekte begeistert und eine Vision hat. So wie du. Diese ganzen Ideen, die du mir präsentiert hast. Die hören sich toll an – aber vor allem ist das viel mehr, als mir je eingefallen wäre. Neulich hat Buster gesagt, dass unsere Häuser langsam wie von der Stange aussehen.“

Elise öffnete und schloss ihren Mund mehrmals. Schließlich sagte sie: „Aber ich habe schon einen Job.“

„Das hier wäre ja nur Teilzeit. Du könntest dir deine Zeit selbst einteilen.“

„Meinst du nicht, dass das irgendwie unangenehm werden könnte, wenn wir … äh… zusammenarbeiten?“

„Wieso das denn?“

Sie kniff die Augen zu. „Weil du mich schon für viel zu wenig Geld in der Maple Street wohnen lässt. Wenn du mir jetzt noch aus Mitleid einen Job gibst, dann werden die Leute denken … na ja, du weißt schon …“

„Nein, das ist nur Geschäftssinn. Vega Homes boomt, und ich könnte echt Unterstützung in meiner Firma brauchen.“ Er erwähnte nicht, dass das außerdem nur ausgleichende Gerechtigkeit war. Ihr Vater hatte das Potenzial in seinem Dad gesehen und ihm eine Chance gegeben – jetzt tat er das Gleiche für sie.

„Ich habe aber keine Berufserfahrung als Interior-Designerin. Ich meine, ich habe meiner Tante geholfen, wenn sie ein Zimmer neu gestalten wollte. Aber ich habe definitiv nicht die Qualifikation, jemanden zu ersetzen, der einen Job in einer Fernsehserie an Land gezogen hat.“

Harris zeigte nur auf ein klei...

Autor

Christy Jeffries
Christy Jeffries hat einen Abschluss der University of California in Irvine und der California Western School of Law. Das Pflegen von Gerichtsakten und die Arbeit als Gesetzeshüterin haben sich als perfekte Vorbereitung auf ihre Karriere als Autorin und Mutter erwiesen. Mit zwei Energiebündeln von Söhnen, der eigenwilligen Großmutter und einem...
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