Bianca Extra Band 98

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DER MANN, DER ZU VIEL ÜBER LIEBE WUSSTE von MICHELLE MAJOR
Nach ihrer schrecklichen Trennung will Mara in dem idyllischen Örtchen Starlight einen Neuanfang machen – und läuft dort ausgerechnet dem ruchlosen Anwalt ihres Ex-Mannes über den Weg! Wie kann es nur sein, dass sie sich bald schon in ihren ärgsten Feind verliebt?

SEHNSUCHT AM ENDE DES REGENBOGENS von TERESA SOUTHWICK
„Bist du mein Daddy?“ Luke hat sich wohl verhört! Doch die energische Kleine bleibt beharrlich. Schon will er verneinen, da sieht er die schöne Mutter des Mädchens auf sie zueilen: Shelby, die er so geliebt hat, bis er die Stadt verließ. Was hat sie ihm damals verschwiegen?

WO SICH GLÜCK UND SCHICKSAL KREUZEN von MARIE FERRARELLA
Zwei Nebenjobs, um ihr Studium zu finanzieren – Liz hat eigentlich keine Zeit für die Liebe. Doch als Dr. Ethan O‘Neill sie bittet, ihn zu einer Hochzeit zu begleiten, sagt sie kurzentschlossen Ja. Nur schade, dass es nicht ihre eigene Hochzeit mit diesem Traummann ist …

VERGANGEN, VERGESSEN – NEU VERLIEBT? von BRENDA HARLEN
Brielle ist fassungslos, als Caleb ihr gesteht, dass er nie die Scheidungspapiere unterzeichnet hat. Das heißt, sie waren all die Jahre verheiratet! Außerdem knistert es zwischen ihnen so aufregend, dass sie eine heiße Nacht miteinander verbringen. Mit süßen Folgen …


  • Erscheinungstag 29.06.2021
  • Bandnummer 98
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500388
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Major, Teresa Southwick, Marie Ferrarella, Brenda Harlen

BIANCA EXTRA BAND 98

MICHELLE MAJOR

Der Mann, der zu viel über Liebe wusste

„Ich hasse Sie!“ Verwundert schaut Parker in das wütende Gesicht der wunderschönen Fremden. Was hat er ihr bloß getan? Und was kann er tun, damit sie eines Tages zu ihm sagt: „Ich liebe dich!“?

TERESA SOUTHWICK

Sehnsucht am Ende des Regenbogens

Wie lange wird es dauern, bis Luke ihr größtes Geheimnis herausfindet? fragt Shelby sich bang, als ihr Ex zurückkehrt. Nicht lange! Denn ihr größtes Geheimnis stellt den nichtsahnenden Dad gerade zur Rede …

MARIE FERRARELLA

Wo sich Glück und Schicksal kreuzen

Liz ist die Richtige für ihn, da ist sich Dr. Ethan O’Neill sicher. Er will ein Für-immer mit ihr! Bis er ein unwiderstehliches Jobangebot bekommt – das seine privaten Träume garantiert zerstören würde …

BRENDA HARLEN

Vergangen, vergessen – neu verliebt?

Das überraschende Wiedersehen mit Brielle in Las Vegas stellt Caleb vor die Entscheidung: Soll er endlich die Scheidungspapiere unterschreiben? Oder alles daransetzen, dass sie einen Neuanfang wagen?

1. KAPITEL

Der kühle Septemberwind kitzelte an Mara Reeds Nackenhaaren, während sie tief Luft holte und versuchte, ruhig zu werden. Es gab keinen Grund für die Schweißperle zwischen ihren Schultern, die sich, des herbstlich milden Wetters ungeachtet, einen Weg über ihre Wirbelsäule nach unten bahnte.

Bunte Luftballons, ans Geländer der Veranda gebunden, wehten an dem zweistöckigen Backsteingebäude, auf das ihre Tochter und sie zugingen. Stimmen drangen von der anderen Seite des Hauses zu ihnen – fröhliches Lachen und vergnügtes Kinderkreischen. Mara konnte sich die versammelte Runde aus Familie und Freunden vorstellen, und unwillkürlich schlängelte sich ein Schauder ihren Rücken hinunter.

Manchmal war es wirklich zum Verrücktwerden, sich ein Lächeln aufzwingen und sozial sein zu müssen.

„Mommy, was ist los?“ Evies Augenbrauen zogen sich unter dem Gestell ihrer Brille zusammen, als sie Maras Hand drückte. In ihren braunen Augen, die hinter den Brillengläsern unglaublich groß wirkten, stand Sorge. „Wir kommen zu spät zu Annas Geburtstagsparty. Willst du lieber nicht hingehen?“

Mara lächelte ihre fünfjährige Tochter an und ignorierte den leichten Schmerz in ihren Wangen. „Natürlich gehen wir auf die Party. Wir sind ja schon da, und es wird bestimmt lustig. Es gibt Kuchen und Eis, und Josh hat gesagt, sie haben eine Hüpfburg.“

„Ich will mein neues Kleid nicht dreckig machen“, sagte Evie und löste ihre Hand aus Maras.

„Dem Kleid passiert nichts“, ermutigte Mara ihre Tochter. „Du siehst wunderschön aus, Sweetie. Lass uns reingehen. Anna wartet bestimmt schon auf dich.“

„Sie hat so viele Freunde.“ Evie knabberte an ihrer Unterlippe, während sie die Haustür betrachtete, und Mara war beunruhigt von der Unsicherheit, die ihre Tochter ausstrahlte. Zu gut kannte sie diese Unsicherheit und wollte gar nicht wahrhaben, dass sie die irgendwie an ihre heiß geliebte Tochter weitergegeben hatte.

„Aber nur eine beste Freundin“, erinnerte Mara das Mädchen, „und das bist du.“

Evie nickte, und für einen kurzen Moment war ihr zahnlückiges Lachen zu sehen, dann ging sie in ihrem Partykleid mit dem abstehenden Rock und den glitzernden Ballerinas die Treppe hinauf.

Mara strich mit der Hand ihre glockige Bluse glatt, die sie für den Nachmittag ausgewählt hatte, setzte ein entschlossenes Lächeln auf und folgte ihrer Tochter. Es ärgerte sie, dass sie so reagierte, mit dieser Mischung aus Anspannung, Nervosität und Furcht, die sie in sozialen Situationen üblicherweise verspürte.

Niemand wäre je darauf gekommen, klar. Im letzten Jahr war sie zu einer Meisterin darin geworden, ihre Gefühle zu verstecken, sie zu verdrängen und wegzusperren, bis sie sie selbst fast nicht mehr wahrnahm. Nur selten hatte sie gespürt, wie schlüpfrige Tentakel an ihrer Entschlossenheit zerrten.

Vor einem Jahr war sie in die malerische Stadt Starlight in Washington gezogen, die sich am Fuße der Cascade Mountains östlich von Seattle befand. Sie hatte sofort angefangen, in dem Coffeeshop zu arbeiten, den ihre Tante in der Stadt besaß. Ihre Nervosität machte ihr im „Main Street Perk“ nicht zu schaffen. Während ihrer Schichten, wenn sie Kaffee machte und Essen für die Stammkunden herrichtete, konnte sie ausblenden – vielleicht sogar vergessen –, dass ihr Leben so spektakulär implodiert war.

Dort war sie nicht die geschiedene, alleinerziehende Mutter, die an fast allem gescheitert war. Den Kunden im Coffeeshop war es egal, ob sie innerlich ein Nervenbündel war oder dass sie keinen Small Talk machen könnte, selbst wenn es um ihr Leben ging. Sie versorgte sie mit dem Koffein und den Backwaren, die sie brauchten, um durch den Tag zu kommen, und das reichte im Perk.

Außerhalb der Arbeit machte ihr der leutselige Gemeinschaftssinn, wie er in Kleinstädten üblich ist, zu schaffen. Sie musste sich daran erinnern, dass sie für Evie nach Starlight gezogen war, damit ihre Tochter die schönste Kindheit haben konnte, die Mara ihr, auf sich allein gestellt, bieten konnte. Die Scheidung war furchtbar gewesen, und Mara wusste, sie würde sich immer dafür schuldig fühlen, dass es ihr nicht gelungen war, ihrer Tochter eine Kindheit zu schenken, in der sie bei Eltern aufwuchs, die einander liebten.

Ihre Liebe musste reichen.

Sie gingen ins Haus, und Evie begrüßte schüchtern ihre beste Freundin Anna. Das Geburtstagskind war für sein Alter sehr erwachsen; es hatte blaue Augen und ein strahlendes Lachen, mit dem es jetzt auf sie zurannte und Evie eine Hand entgegenstreckte. Evie ergriff ihre Hand so begeistert, dass Maras Herz sich zusammenzog.

Josh Johnson, Annas Dad, winkte von der Küche, während Anna Evie hinaus auf die Terrasse führte. Als Kind war Mara wie Anna gewesen, frech und furchtlos, jemand, der die Regeln auf dem Schulhof bestimmte und über den Spielplatz herrschte.

Oh, wie sich die Zeiten geändert hatten. Sie gab ihr Bestes, um sich in dieser Stadt zu Hause zu fühlen, aber sie befürchtete, dass sie das Selbstvertrauen, das sie gehabt hatte, bevor ihr Leben in sich zusammengebrochen war, nie zurückgewinnen würde. Wenn das Rezept für Selbstvertrauen doch genauso einfach wäre wie das für ein kompliziertes Kaffeegetränk.

Josh löste sich aus der Gruppe von Frauen, die ihn umgab, und kam auf Mara zu. „Du weißt, dass sie nicht beißen“, ermahnte er sie sanft, als er neben ihr stand und sie mit einer Kopfbewegung auf das Quartett von stylishen Hipster-Müttern aufmerksam machte.

„Ich würde mich besser fühlen, wenn ich Ihnen einfach einen Cappuccino machen könnte und es damit erledigt wäre.“ Mara verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Sie mögen dich.“

„Sie haben Mitleid mit mir.“ Josh fuhr sich mit der Hand durch sein struppiges braunes Haar. „Das kann ich nicht leiden.“

Mara kannte Joshs Ex-Frau Jenn nicht, aber sie hegte trotzdem eine große Abneigung gegen sie. Sie hatte die beiden verlassen, kurz bevor Mara in die Stadt gezogen war. Anna war in Chemotherapie gewesen und hatte gegen ihre Leukämie gekämpft. Josh hatte ihr erzählt, dass die Mutter des Mädchens am Tag der letzten Behandlung gegangen war. Mara hatte genug erlebt, um Empathie für fast jeden Menschen aufbringen zu können, aber sie konnte sich nichts Herzloseres vorstellen, als ein krankes Kind zu verlassen.

„Du brauchst auch kein Mitleid.“ Mara machte eine Handbewegung in Richtung der französischen Fenster und sagte: „Du hast alles im Griff, Mr. Mom. Die Dekoration – es ist ein Paradies für Prinzessinnen.“

„Zwei Tage Lieferzeit und ein Anruf beim Verleiher für die Einhorn-Hüpfburg“, antwortete Josh, „das war einfach.“

„Sei nicht so kritisch mit dir selbst, und nimm das Kompliment an. Ich verteile nicht dauernd welche.“

Josh seufzte. „Stimmt. Außerdem ist diese Party das Einzige, was mir in letzter Zeit gelungen ist.“ Er stupste sie an der Schulter. „Ich bin froh, dass du da bist. Ihr beide, du und Evie. Hier auf der Party und in Starlight.“

„Ich auch.“ Mara lächelte und ignorierte die spürbaren Seitenblicke der Mütter, die sie sich um die Kochinsel drängten. Sie wusste, dass die Eltern der Grundschule sich Gedanken über ihre Beziehung zu Josh machten. Evies erster Tag an der Vorschule in Starlight letzten September war zufällig auch der Tag gewesen, an dem Anna von ihrer Chemo zurückkam. Obwohl die beiden Mädchen sich in ihrer Persönlichkeit völlig voneinander unterschieden, hatte sie sofort etwas miteinander verbunden. Evie störte sich nicht an Annas rasiertem Kopf oder an dem Stigma Krebs, wie andere Kinder es getan hatten. Maras stille, zurückhaltende Tochter war einfach froh darüber, eine Freundin zu haben.

Mara hatte Josh vom ersten Moment an gemocht und bewunderte, was er alles für Anna tat, um den Schaden kleinzuhalten, der durch die Trennung von seiner Ex-Frau entstanden war. Trotz dem, was einige Leute zu wissen glaubten, war ihre Freundschaft rein platonisch. Er sah gut aus mit seinen dunklen Haaren, den jungenhaften Gesichtszügen und seinem offenen, zugänglichen Lachen, das nicht verriet, was er durchgemacht hatte.

Mara war glücklich darüber, einen Freund zu haben, der wusste, wie schwer es war, alleinerziehend zu sein, aber da war nicht ein Funke von Anziehung zwischen ihnen. Selbst wenn sie seit der Scheidung bereit gewesen wäre, wieder auf Dates zu gehen, sie hatte nur geschwisterliche Gefühle für Josh, was ihnen beiden recht war.

Sie stupste ihn zurück – näher kamen sie beide einer freundschaftlichen Umarmung nie. „Lass uns rausgehen, damit du dich im rosigen Schein der pinken Luftballons sonnen kannst.“

„Ich muss mit ein paar Eltern vom Fußballteam reden“, sagte Josh. Er hatte sich freiwillig als Trainer für das neue Mädchenteam der Herbstsaison gemeldet, was ihn in vielerlei Hinsicht zu einem Helden machte. „Willst du mitkommen?“

Mara verzog das Gesicht. „Eher bring ich mich um.“

„Die sind nett“, sagte Josh mit einem Lachen.

„Jeder weiß“, antwortete sie und verdrehte die Augen, „dass Fußballmütter nicht ‚nett‘ sind, selbst dann nicht, wenn die Spieler noch in den Kindergarten gehen. Und ich bin sicher, Väter sind noch viel schlimmer.“

„Du musst ein bisschen unter Leute. Freunde finden.“

„Ich habe eine Freundin hier in der Stadt“, entgegnete Mara. „Und die hat eine Freundin, die ich auch mag. Das sind gleich zwei neue Freundinnen, das heißt, ich bin im Moment ausgebucht. Geh ruhig und sei ein guter Trainer. Ich schaue mal in der Hüpfburg nach Evie.“

Sie ging an mehreren kleinen Gruppen von Eltern vorbei und zwang sich, ein paar Leute anzulächeln, die sie vom Coffeeshop kannte. Es wäre einfach gewesen, sich in ein Gespräch einzuklinken, und wahrscheinlich das, was sie tun sollte. Der Hauptgrund, aus dem sie sich für Starlight entschieden hatte, war die sympathische Community. Sie hatte das Gefühl, dass Starlight ein Ort war, an dem es ihnen gut gehen würde. Mara war letztes Jahr zur Hochzeit ihrer Cousine in der Stadt gewesen und hatte sich schnell entschieden, fest herzuziehen – oder zumindest fest für den Moment.

Es überraschte sie immer noch, dass Tante Nanci sie gerne aufgenommen hatte. Nanci Morgan und ihre Schwester, Maras Mutter Nina, hatten seit Jahren keinen Kontakt mehr. Maras Eltern hatten es auch nicht für nötig gehalten, zur Hochzeit von Nancis Tochter zu kommen. Aber Mara hatte sich gefreut, zur Feier ihrer Cousine Renee zu fahren. Sie war froh, übers Wochenende der Enttäuschung ihrer Eltern zu entkommen, die sie in jedem Gespräch wahrnahm, seit sie nach der Scheidung bei ihnen eingezogen war.

Alles an Starlight hatte sie angesprochen, von der malerischen Innenstadt bis hin zu den Bergen, die sich am Fuße des Tals erhoben, als würden sie die Stadt in einer riesigen Umarmung umfangen. Sie hatte sich einen Ort gewünscht, an dem sie von vorn anfangen konnte, aber es fiel ihr schwer, den Ärger und die Bitterkeit darüber loszulassen, dass ihr das Herz gebrochen worden war. Es fühlte sich an, als hätte man darauf herumgetrampelt; die Scheidung hatte ihr Leben so brutal zerstört, dass Mara an manchen Tagen den Schmerz darüber wie einen physischen Schlag empfand.

Starlight wollte sie herzlich aufnehmen, aber sie konnte dieser Einladung nicht einfach folgen, denn immer wartete sie darauf, dass ihr sprichwörtlich der Boden unter den Füßen weggezogen würde.

Mara konnte nicht sagen, wie viel von Evies Zurückhaltung Teil ihrer Persönlichkeit war und wie viel auf das Trauma zurückzuführen war, das sie erfahren hatte, als sie erleben musste, wie ihre Eltern sich stritten und auseinanderlebten. Mara hatte versucht, die Auseinandersetzungen vor Evie zu verbergen, sie hatte versucht, nur gut über Paul zu sprechen oder gar nicht über ihn zu reden, aber sie wusste, sie war eine schreckliche Schauspielerin. Ihre Tochter war verständig, wie es introvertierte Kinder manchmal sind, sie hatte eine gute Wahrnehmung und war ihrem Alter weit voraus.

Anna half Evie, über ihre Schüchternheit hinwegzukommen, und die beiden Mädchen schienen wie durch ein unsichtbares Band freundschaftlich miteinander verbunden zu sein.

Mara näherte sich der Hüpfburg, sie kniff die Augen zusammen, um durch das Netz an der Seite sehen zu können. Ein halbes Dutzend Kinder, von denen die meisten wohl im Kindergartenalter waren, hüpfte auf dem aufblasbaren Boden der Burg herum, sie kreischten und lachten. Ein Vater war mitten im Getümmel und katapultierte durch sein Körpergewicht die Kinder hoch in die Luft. Maras Mundwinkel verzogen sich zu einem echten Grinsen. Selbst sie konnte der reinen Freude und der Aufregung, die die Kinder verströmten, nicht widerstehen.

Alle außer einem Kind.

Mara schnappte nach Luft, als sie bemerkte, dass Evie in einer Ecke der Hüpfburg stand, die Arme zu beiden Seiten ausgestreckt, wollte sie sich festhalten. Doch alle paar Sekunden machte der Boden eine Welle und warf Evie auf die Knie, bis sie sich wieder aufgerappelt hatte.

Setz dich hin! wollte Mara rufen, während sie zur Vorderseite der aufblasbaren Burg eilte. Es würde ihrer Tochter besser gehen, wenn ihr Schwerpunkt unten war. Evie wurde in solchen Situationen manchmal übel, und Mara konnte sich vorstellen, wie peinlich es ihrer Tochter wäre, wenn die Party damit enden sollte, dass sie das Geburtstagskind ankotzte.

Anna hüpfte mit den anderen Kindern und nahm nicht wahr, wie es Evie ging. Der Vater schien es auch nicht zu bemerken. Mara drängte sich an den beiden Müttern vorbei, die am Eingang aufpassten.

„Keine Schuhe“, sagte ihr die eine, als Mara gerade auf die Hüpfburg klettern wollte.

„Stimmt.“ Mara kickte ihre Ballerinas von den Füßen und stieg auf das große Luftpolster. Sie verlor ihr Gleichgewicht, als sie versuchte, sich aufzurichten, fiel und rollte gegen die Wand der Burg, während sie sich fragte, wie zum Teufel ein paar kleine Kinder so viel Bewegung erzeugen konnten.

Sie rief ihnen zu, sie sollten aufhören herumzuspringen, schloss aber ihren Mund, als sie Evies Blick sah. Ihre Tochter schüttelte fast unmerklich den Kopf, um Mara zu zeigen, dass sie keine Aufmerksamkeit erregen wollte. Mara nickte und lächelte, wie sie hoffte, ein aufmunterndes Lächeln. Wie oft hatte sie Evie im letzten Jahr auf dieselbe Art falsche Hoffnung gemacht?

„Halte durch, mein Mädchen“, murmelte sie atemlos, als sie es wieder auf die Füße geschafft hatte. Die anderen Kinder hatten sie nicht wahrgenommen, also hielt sie sich nah am Rand, und machte langsam einen Schritt nach dem anderen, mit einer Hand an der Wand der Hüpfburg, um ihr Gleichgewicht nicht zu verlieren.

„Mir ist schlecht“, sagte Evie, als Mara sie erreicht hatte.

„Komm, wir gehen an die frische Luft“, sagte Mara, und strich über eine Strähne, die sich aus Evies Zöpfen gelöst hatte und nun an ihrer feuchten Stirn klebte. „Willst du, dass ich dich trage?“

Evie schüttelte den Kopf. „Ich laufe.“

„Mein tapferes Mädchen“, sagte Mara und ließ ihre Stimme gelassen und beruhigend klingen, während sie mit der Hand über Evies Haar strich. Obwohl die Außentemperatur für Anfang September perfekt war, fühlte es sich in der Hüpfburg mindestens zehn Grad wärmer an. Die Luft roch nach einer Mischung aus Schweiß, Füßen und Chemikalien. Kein Wunder, dass es Evie schlecht geworden war. Warum waren Hüpfburgen überhaupt so beliebt?

„Evie, was ist los?“, rief Anna, als sie sich auf den Weg zum Ausgang machten.

„Ich brauche sie mal kurz.“ Mara lächelte und hob ihre Hand mit dem Daumen nach oben. „Wir sind aber gleich wieder an der Hüpfburg.“

Anna nickte, bevor sie weiter hüpfte, und Evie schenkte Mara einen so dankbaren Blick, dass aufsteigende Tränen in Maras Augen brannten.

Eine Geburtstagsparty sollte Spaß machen und kein Ereignis sein, das ihre Tochter noch mehr zum Außenseiter machte.

Warum musste alles immer so schwer sein?

Als sie dem Ausgang näher kamen, stolperte Evie; sie fiel mit dem Gesicht nach vorn auf den Luftboden und verlor dabei ihre Brille.

Mara Magen zog sich zusammen. „Macht nichts, Honey.“ Sie bückte sich und hob die Brille auf, bevor diese noch an der Seitenwand der Hüpfburg eingeklemmt wurde. Als sie sich umdrehte, versperrte ihr jemand mit seinen breiten Schultern den Blick auf ihre Tochter. Der Mann, der mit den Kindern herumgehüpft war, stellte Evie wieder auf ihre Füße, wobei ihr abstehender pinker Rock sich um sie bauschte, und half ihr von der Hüpfburg.

Mara wusste nicht, ob sie dankbar für die Hilfe sein sollte oder ob sie sich Sorgen machen sollte, dass Evie wegen der Aufmerksamkeit in Panik ausbrechen würde.

Solange sie sich nicht übergibt, dachte Mara in der Sekunde, als sie wieder ihr Gleichgewicht verlor. Sie stürzte nach vorne Richtung Ausgang, und weil heute alles schief gehen musste, blieb ihre Bluse an einer Ecke des Plastiktors hängen, das den Ausgang verschloss. Warum nicht noch einen kleinen Striptease hinlegen, bevor sie die Party verließ? Bevor sie den Stoff wieder zurechtgezogen hatte, berührte eine warme, leicht schwielige Hand ihren nackten Rücken.

Sie richtete sich mit einer Drehbewegung auf, um demjenigen zu danken, der ihre Tochter gerettet hatte – und blickte direkt in das Gesicht des Mannes, der dabei geholfen hatte, ihr Leben zu zerstören.

„Sie“, flüsterte sie, und ihr Hals wurde ganz trocken. Ärger kochte in ihr hoch.

Der Pitbull von Scheidungsanwalt, der für ihren Ex-Mann gearbeitet hatte, lächelte sie freundlich an und erkannte sie offensichtlich nicht.

„Hier geht’s ganz schön verrückt zu, nicht wahr?“

Verrückt – genau so fühlte Mara sich. Verrückt vor Wut. Verrückt vor Bitterkeit. Verrückt nach Rache.

Sie tat das Einzige, was sich nicht verrückt anfühlte: beugte sich nach vorn, ganz nah an ihn und flüsterte „Ich hasse Sie“, bevor sie versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen.

Verwirrung zeigte sich auf seinem schönen Gesicht, als er nach ihr griff. „Warten Sie, ich kenne Sie doch gar nicht.“

Sie riss ihren Arm zurück und brachte ihn dabei aus dem Gleichgewicht. Er stolperte und verschwand aus ihrem Blickfeld, fiel aus der Hüpfburg und kam mit einem dumpfen Schlag auf dem harten Boden auf.

„Deine Freundin ist verrückt“, murmelte Parker Johnson und zischte, als sein Bruder ihm einen Beutel gefrorener Erbsen auf die Schwellung an seinem Hinterkopf drückte.

„Das ist sie nicht“, beharrte Josh. „Halt die Erbsen fest, Parker.“

Seine Hand löste Joshs ab, und er versuchte, nicht zusammenzuzucken. „Du hättest ihren Gesichtsausdruck sehen müssen, als sie gesagt hat, dass sie mich hasst. Wenn sie ein Messer in der Hand gehabt hätte, hätte sie mich wahrscheinlich abgestochen.“

„Du warst der Scheidungsanwalt ihres Mannes“, sagte Josh, als würde das alles erklären.

„Ich war der Scheidungsanwalt von vielen Leuten.“

„Und es hat dich noch keiner bewusstlos geschlagen? Das überrascht mich aber.“

Parker senkte seinen Blick und ignorierte die Wahrheit, die in diesem Satz lag. „Sehr lustig.“

In der kleinen Waschküche mit zusätzlicher Gefriertruhe, aus der die Erbsen waren, trat Josh ans Fenster und zog den Vorhang ein Stück zur Seite, um nach draußen sehen zu können. „Wir müssen Happy Birthday singen und den Kuchen anschneiden. Diese Party muss ein bisschen in die Gänge kommen. Ich möchte nicht, dass Annas Feier eine Pleite wird.“

„Geh nur“, sagte Parker. „Mir geht’s gut.“

Josh drehte sich mit einem Seufzer um. „Bist du sicher, dass ich dich nicht in die Notaufnahme fahren soll? Es hat so ausgesehen, als wäre dein Kopf ganz schön fest aufgekommen. Du könntest eine Gehirnerschütterung haben.“

„Ich habe keine Gehirnerschütterung. Ich habe einfach nur Kopfschmerzen, am härtesten hat es meinen Stolz getroffen. Sie hat mich völlig unvorbereitet erwischt.“

„Mara ist wirklich toll, aber die Scheidung war sehr schwer für sie. Sie hat alles verloren. Starlight ist ein guter Ort, um neu anzufangen, aber sie hat Mühe, über ihre Wut hinwegzukommen.“

Parker versuchte, die Schuldgefühle hinunterzuschlucken, die in ihm hochstiegen. Er wäre nicht einer der besten Anwälte Seattles geworden, wenn er sich ein schlechtes Gewissen wegen seines Berufs leisten würde. Wenn er einen Mandanten übernahm, dann lag die Ehe meistens schon in Scherben. Ja, er war ein Halsabschneider. Natürlich waren seine Methoden beinahe skrupellos. Das war es, was ihn zum Besten machte.

Er hatte keine Zeit, sich um die Befindlichkeiten anderer zu kümmern. Wenn es mit einer Ehe bergab ging, dann verursachte Schwäche nur noch mehr Herzschmerz. Diese Lektion hatte er von seinen Eltern gelernt, und bestimmt wusste er viel mehr darüber, was es hieß, alles zu verlieren, als Mara Reed jemals wissen würde.

„Kümmer dich um Anna und die Party“, sagte er zu Josh. „Und freu dich nicht zu sehr darüber, dass eine Frau mich niedergeschlagen hat.“

„Eine Frau, die wahrscheinlich zwanzig Kilo leichter ist als du“, präzisierte Josh mit einem Lächeln. Josh und Parker waren ähnlich gebaut – groß und breitschultrig –, aber das waren auch schon alle äußerlichen Gemeinsamkeiten. Auch ihre Persönlichkeiten waren völlig gegensätzlich. Um ehrlich zu sein, war Parker erstaunt, wie selbstverständlich sein kleiner Bruder in die Vaterrolle hineingewachsen war. „Mara ist richtig schmal gebaut.“

„Was die ganze Geschichte wahrscheinlich noch besser macht …“ Mara war Parker in dem Moment aufgefallen, als sie in die Hüpfburg kletterte und er sich sofort dafür tadeln musste, auf dem furchtbar pinken sechsten Geburtstag seiner Nichte die Figur einer der Mütter zu bewundern. Er hatte mitbekommen, dass sie unbedingt in die Hüpfburg wollte, und dann gemerkt, dass die Aktion nicht zum Spaß war, als sie ungeschickt auf ein Kind zugegangen war, das in einer Ecke kauerte.

Parker war froh über einen Grund gewesen, um das Hüpfen mit den Kindern abbrechen zu können. Als das Mädchen gefallen war, hatte er ihr geholfen, gerade noch rechtzeitig, ihrer unnatürlich grünen Gesichtsfarbe nach zu urteilen.

Danach hatte er die Frau mit einer Hand gestützt, als sie stolperte. Für ihn war es eine harmlose Berührung gewesen, und deshalb hatte ihre Reaktion ihn völlig überrascht. Die Frau war nicht stehen geblieben, nachdem er gefallen war, sondern war hinausgeklettert, hatte ihre Tochter hochgehoben und war in der Menge der anderen Partygäste, die um ihn herumstanden – Leute, die er zum großen Teil schon seit seiner Kindheit kannte –, verschwunden.

Seine Möchtegern-Erzfeindin war eine Fremde, das hatte er zumindest gedacht, bis Josh ihm erklärt hatte, dass ihr Ex-Mann Paul Reed war. Parker hatte den Mann, den er bereits in drei Scheidungen vor dem Gericht vertreten hatte, nicht besonders gemocht, aber Freundschaft war keine Voraussetzung für seinen Job. Tatsächlich versuchte er, sein Berufsleben und sein Privatleben zu trennen, und da er normalerweise sieben Tage die Woche arbeitete, hatte er ohnehin kein Privatleben, das der Rede wert gewesen wäre.

Einige Minuten nachdem sein Bruder zur Party zurückgekehrt war, ließ ein Räuspern Parker zur Tür der Waschküche hinüberblicken.

„Zurück, um mich zu erledigen?“, fragte er, während Mara Reed den Raum betrat.

Sie atmete hörbar ein. „Wie geht es Ihrem Kopf?“

Er nahm den Beutel Erbsen herunter und warf ihn auf den Deckel des Wäschetrockners. „Es hat mich schon schlimmer erwischt.“

„Ich wollte nicht, dass Sie fallen, aber ich kann nicht behaupten, Sie hätten es nicht verdient“, sagte sie und verschränkte ihre Arme vor der Brust.

Er hob eine Augenbraue. „Das ist ja eine interessante Art, sich zu entschuldigen.“

Sie gab ein humorloses Lachen von sich. „Ich bin nicht hier, um mich zu entschuldigen.“

Parker fiel die Kinnlade herunter. „Sie haben mich mehr oder weniger aus der Hüpfburg geschubst.“

„Nicht ganz. Sie haben mit Ihrer Hand nach mir gegriffen, und ich bin Ihnen mit meinen katzenhaften Reflexen ausgewichen. Was kann ich dafür, dass Sie so ungeschickt sind?“

Er musste ihren Mut bewundern. Alles war so schnell gegangen, aber er war sich ziemlich sicher, dass sie ihm einen kleinen Stoß verpasst hatte, als er gestolpert war. Nicht, dass er sie verraten hätte, indem er das herumerzählt hätte. „Wenn Sie nicht nach mir gesucht haben, um sich zu entschuldigen, warum sind Sie dann hier?“

„Sie haben mir alles genommen“, sagte sie statt einer Antwort, ihre heisere Stimme voll Bitterkeit.

„Ihre Wut richtet sich auf den Falschen“, sagte Parker, dem unter der Schwere ihres steinernen Blickes unwohl wurde. „Ich bin nicht Ihr Ex-Mann.“ Er hatte über die Jahre Hunderte von Mandanten vertreten, aber das war das erste Mal, dass ihn jemand außerhalb des Gerichtssaals konfrontierte. Er fühlte sich unwohl in Mara Reeds Gegenwart, als wäre er es gewesen, der ihre Ehe zerstört hatte.

„Nein“, stimmte sie ihm zu, während sie ihn mit ihren haselnussbraunen Augen abschätzig musterte. Trotz ihrer offenkundigen Abneigung, die sich in ihrem Gesicht mit der eigensinnigen Kinnpartie spiegelte, konnte er nicht leugnen, dass sie schön war. Sie hatte dunkles Haar mit einigen heller glänzenden Highlights und eine strahlende Haut, die die besten Renaissancemaler inspiriert hätte.

Sie war überdurchschnittlich groß, und das gefiel ihm an Frauen, da er selbst über ein Meter achtzig groß war. Sie würde perfekt zu ihm passen – ein Gedanke, der ihn fast zum Lachen gebracht hätte, so absurd war er. Er konnte sich keine Situation vorstellen, in der Mara ihm gerne nahe gewesen wäre.

„Sie haben es meinem Ex möglich gemacht, mein Leben zu zerstören“, sagte sie mit einer Stimme, die seltsam emotionslos war. Er wollte es abstreiten, aber die Wahrheit war: Er konnte sich nicht mehr an die Einzelheiten des Falles erinnern, vor allem da es Paul Reeds dritte wesentlich jüngere Frau gewesen war. Er hatte dasselbe Prozedere schon zweimal mit seinem Mandanten durchgemacht. Mara Reed war für ihn ein Name gewesen, eine Rechtsträgerin, die er erledigen musste, als sei er eine ferngesteuerte Drohne, die ihr Ziel erfasst hatte. Diesen Gedanken wandte er oft als Trick an, um die Gegenpartei nicht als Person sehen zu müssen.

„Das war nicht persönlich gemeint.“

Mara zuckte zusammen, und er hätte seine Antwort gerne zurückgenommen. Es war einfach, so etwas in seiner Rolle als Anwalt zu sagen, aber er konnte sich vorstellen, dass seine Worte wie Salz in Maras Wunden brannten. Trotz seiner nun pochenden Kopfschmerzen hatte er sie nicht verletzen wollen. Es war klar, was er als Scheidungsanwalt zu tun hatte, und er hatte sich damit abgefunden, ab und zu unerbittlich zu sein – aber manchmal konnte er sich selbst nicht dafür leiden.

„Es hat mich aber hart getroffen“, flüsterte sie und ging davon.

2. KAPITEL

„Danke, dass du hier die Stellung gehalten hast“, sagte Josh, als er die Küche betrat. „Wie geht es deinem Kopf?“

Parker berührte vorsichtig die hühnereigroße Beule an seinem Hinterkopf. „Okay.“

Josh holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. „Anna hat sich sehr darüber gefreut, dass du da warst.“

„Ich hätte da sein sollen, als sie krank war. Wenn ich gewusst hätte …“

„Ich hatte alles im Griff“, sagte Josh ganz neutral, doch für einen kurzen Moment erkannte Parker seinen lieben, sanften Teddybär-Bruder nicht wieder.

„Deine Tochter hatte Krebs, und deine Frau hat dich verlassen.“ Parker schüttelte seinen Kopf, während er die letzten pinken Luftschlangen einsammelte, die über der Essecke hingen. „Verdammt, Josh, ich bin gut in meinem Job. Ich hätte dir wenigstens bei der Scheidung helfen können.“

„Ich habe keine Hilfe gebraucht, und ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht über Jenn reden will.“

„Willst du darüber reden, wo du heute Abend warst?“ Nach der Party hatte Parker zurück nach Seattle fahren wollen, aber sein Bruder hatte ihn gebeten dazubleiben, damit er schnell etwas erledigen konnte.

„Nicht wirklich.“

„Geht es um eine Frau?“ Parker hatte das Gefühl, dass die Erklärung komplizierter war, aber er musste es wissen. „Wenn es Mara ist …“

„Es gibt keine Frau“, beharrte Josh und stellt sein Bier auf die Arbeitsfläche. „Und schon gar nicht Mara.“ Josh verzog das Gesicht. „Das wäre, als würde ich meine Schwester daten.“

„Wir haben keine Schwester.“ Parker hatte das Gefühl, darauf hinweisen zu müssen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sein Bruder – oder irgendein anderer Mann – sich nicht von Mara angezogen fühlen würde.

„Du weißt, was ich meine. Heute Abend ging es ums Geschäft.“

„Welche Art von Notfall passiert an einem Samstagabend auf dem Bau?“

Josh sah ihn lange an und sagte dann: „Ich habe die ‚Dennison Lumber Mill‘ gekauft.“

Alle Luft wich aus Parkers Lungen. „Wie? Warum?“

„Es war kurz nach Annas Chemo. Jenn war fort, und ich war überfordert. Ich hatte das Gefühl, dass alles außer Kontrolle gerät, und ich wollte …“

„Dir ein verlassenes Gebäude aufhalsen?“ Parker rieb sich mit der Hand übers Gesicht. „Das Gebäude, das das Unglück seines Lebens war? Wenn ich daran denke, wie dieser Ort Dad frustriert hat, und daran, wie er seine Wut an uns ausgelassen hat …“ Mit steifen Schritten ging er ans Ende der Küche und schluckte den Zorn hinunter, der in seinem Hals aufstieg.

Die lange Amtszeit seines Vaters als Bürgermeister von Starlight war von einem großen Misserfolg verdorben worden: Mac Johnson hatte die Sägemühle vor der Schließung bewahren wollen, und die Tatsache, dass es ihm nicht gelungen war, hatte ihn oft wütend gemacht. Hunderte von Arbeitsplätzen waren verloren gegangen. Ein Schlag, den eine kleine Stadt wie Starlight nur schwer verwand. Wie konnte Josh sich nun dieses Gebäude mitsamt seiner Geschichte aufbürden?

„Ich möchte schaffen, was er nicht geschafft hat“, sagte Josh in die Stille hinein, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte. „Ich habe etwas gebraucht – ein Projekt, ein Ziel – irgendetwas, das mir das Gefühl gibt, alles wieder unter Kontrolle zu haben.“

Parker drehte sich zu seinem Bruder um. Er würde sich nicht anmerken lassen, wie beunruhigt er war. „Funktioniert es?“

„Ich kann das Grundstück fast nicht betreten, ohne zu kotzen. Ich hatte vor, es zu einer Fläche mit verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten umzufunktionieren. Aber ich liege so weit hinter meinem Zeitplan und jetzt …“ Josh gab ein humorloses Lachen von sich.

„Sag schon.“

Er sah, wie sein jüngerer Bruders die Kante der Arbeitsplatte umklammerte. Nur vierzehn Monate trennten sie, aber Parker hatte sich immer um Josh gekümmert oder hatte es zumindest versucht, als sie jünger gewesen waren.

Josh war ein stiller Junge gewesen, der nie das feine Gespür dafür entwickelt hatte, unter dem Radar seines Vaters zu bleiben, und deshalb besonders unter der Gewalt gelitten hatte. Als Mac an einem Herzinfarkt starb, war Parker in seinem Abschlussjahr an der Highschool gewesen. Er hatte Starlight und die beklemmenden Erinnerungen hinter sich gelassen und gehofft, dass sein Bruder dasselbe tun würde. Aber Josh war geblieben, er hatte bei Bauunternehmen in der Gegend gearbeitet und schließlich seine Unternehmerlizenz bekommen. Er hatte Jenn in einer Bar in der Gegend kennengelernt und sie nach einer kurzen, stürmischen Romanze in Vegas geheiratet. Parker hatte erst Monate später von der Hochzeit erfahren.

Josh hatte glücklich gewirkt, und Parker war froh darüber gewesen. Er hatte sich nicht mehr um ein enges Verhältnis zu seinem Bruder und seiner kleinen Nichte bemüht. Jeder lebt sein Leben, hatte er sich gesagt. Bis vor wenigen Monaten hatte er geglaubt, dass ein gemeinsames Abendessen im Jahr und ein paar Textnachrichten ausreichten.

Doch das war vorbei.

„Wenn ich nicht pünktlich eröffne, dann werde ich vertragsbrüchig“, sagte sein Bruder und ließ dabei die Augen zufallen, als würde es ihm wehtun, es auszusprechen. „Ich habe zwei Hypotheken auf das Haus aufgenommen, und ich bin etwas im Rückstand mit den Zahlungen. Also …“

Parker murmelte einen Fluch. „Was brauchst du?“

„Ich will kein Geld von dir.“

„Es muss nicht Geld sein.“ Obwohl es einfacher gewesen wäre, einen Scheck auszustellen, wusste Parker, dass es um mehr ging. „Du kannst auf mich zählen. Du musst nie das Gefühl haben, dass du allein bist.“

Josh drückte sich mit den Fingern gegen die Schläfen.

„Ich darf nicht versagen. Dad ist immer davon ausgegangen, dass ich versage.“

„Er ist schon so lange nicht mehr da“, murmelte Parker, obwohl er wusste, wie Erinnerungen einen Menschen gefangen halten konnten.

„Ich will dir helfen“, fuhr Parker fort. Er wusste noch nicht wie, aber er war sich sicher, dass er einen Weg finden würde. Er musste einen Weg finden, gerade wegen der Bedeutung, die die Sägemühle für sie als Kinder gehabt hatte. Wenn es ihnen nicht gelänge, würde es sich anfühlen, als kontrollierte ihr Vater sie noch immer. Er würde diesem hasserfüllten Mann nicht die Macht geben, das Leben seines Bruders aus dem Grab heraus zu zerstören.

„Ich nehme kein Geld von dir“, wiederholte Josh.

„Dann lass mich mitarbeiten.“

Josh lachte. „Auf der Baustelle habe ich keinen Bedarf für einen Scheidungsanwalt.“

„Du weißt, was ich meine. Wie früher. Du und ich, Seite an Seite.“ In ihrer Highschoolzeit hatten Parker und Josh einen Sommer lang Ferienjobs bei einem regionalen Bauunternehmen gehabt. Es war einer der besten Sommer gewesen, an den Parker sich erinnern konnte. Sie hatten einen Grund gehabt, das Haus früh am Morgen zu verlassen und den ganzen Tag zu arbeiten. Die physische Arbeit hatte ihm ein Ventil für seine ganze aufgestaute Frustration gegeben und die Möglichkeit, der Hilflosigkeit, die ihr Zuhause durchdrang, zu entkommen.

„Wovon redest du? Du kannst doch nicht alles stehen und liegen lassen.“

„Ich kriege das schon irgendwie hin.“ Parkers Gedanken rasten schon zu den organisatorischen Einzelheiten. Sein Terminkalender im Büro war voll. Scheidung war ein gutes Geschäft. Aber wenn seine Sekretärin einige seiner Mandanten an seine Kollegen geben konnte und seine restlichen Termine so legen konnte, dass sie alle an einem Tag der Woche stattfanden, dann könnte er wöchentlich zu einem Büromarathon nach Seattle fahren und alles andere aus der Ferne erledigen.

„Wenn es dir ernst ist …“ Josh lächelte ihn dankbar an, und die Hoffnung in den Augen seines Bruders ließ Parkers Hals eng werden.

So herzlos es sich anhörte, es war ein Glücksfall gewesen, dass ihr Vater gestorben war. Obwohl Parker dankbar dafür war, dass er den gewalttätigen Mann losgeworden war, hatte der Herzinfarkt ihm seine Mission genommen, Josh zu retten. Jetzt hatte er eine Chance, es wiedergutzumachen.

„Wann ist der Termin für die Eröffnung?“

„Gestern in drei Wochen.“

„Wie weit liegst du zurück?“

„Fast einen Monat“, gab Josh ruhig zu. „Ein Teil der Pächter ist zurückgetreten. Ich habe mein wichtigstes Restaurant verloren. Nanci Morgan vom Main Street Perk hat sich einverstanden erklärt, eine zweite Filiale ihres Coffeeshops auf der Fläche zu eröffnen, aber das reicht noch nicht. Morgen habe ich einen Termin bei der Bank, um über eine Verlängerung zu sprechen.“

Parker nickte und behielt einen neutralen Gesichtsausdruck bei. Er war sich nicht sicher, ob er es schaffen würde, aber das würde er seinen Bruder nie merken lassen. „Ich komme mit. Finn hat bestimmt Verständnis.“ Einer seiner besten Highschoolfreunde, Finn Samuelson, war vor Kurzem zurück nach Starlight gezogen, um die Führung der ortsansässigen Bank „First Trust“ zu übernehmen. Er war sich sicher, dass Finn ihnen helfen würde.

Beide schwiegen für einen Moment.

„Das klappt schon“, versprach Parker. Er hatte viele Jahre nichts mehr gebaut, aber er würde es schaffen.

Josh machte das alberne Daumen-hoch-Zeichen, an das Parker sich noch aus ihrer Kindheit erinnerte. „Nur mit deiner Unterstützung.“

Parker öffnete seinen Mund, um etwas dagegen zu sagen, dann ließ er ihn wieder zufallen. Er hoffte, dass er dem Vertrauen seines Bruders gerecht werden würde. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, empfand er noch immer Schuldgefühle, weil er seinen kleinen Bruder nicht hatte beschützen können, als sie Kinder gewesen waren. Nun hatte er die Gelegenheit, das wiedergutzumachen, und er würde sie beide nicht wieder enttäuschen.

Mara sah von dem Teig auf, den sie gerade in der Küche ihrer Tante knetete. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Ich konnte nicht schlafen“, erklärte sie. Ihre Tante Nanci stand gähnend in ihrem Lieblingspyjama aus rotem Flanell in der Türöffnung. „Es tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe.“

„Es ist beinahe zwei Uhr morgens“, sagte Nanci mit sanfter Stimme.

Mara blickte von der Uhr, die an der gegenüberliegenden Wand hing, zu den sechs Blechen mit Schnecken auf der Arbeitsfläche. „Ja.“

„Hast du Pauls Anwalt wirklich gestoßen, oder ist er gestolpert? Ich wollte dich vorhin nicht fragen, du hast so aufgebracht gewirkt. Ich würde dir keinen Vorwurf machen, wenn du ihn aus der Hüpfburg befördert hättest, weißt du. Es muss ein Schock gewesen sein, ihn wiederzusehen.“

Mara biss sich auf ihre Unterlippe und seufzte. „Er ist gestolpert, aber es hat mir nicht leidgetan, dass er gefallen ist, Die Leute werden reden und es zu einer Riesensache machen. Wenn du möchtest, dass ich ein paar Tage Urlaub nehme, bis das Gerede aufgehört hat, dann verstehe ich das.“

Nanci entfuhr ein leises Lachen. „Machst du Witze? Ich wette, dass die Leute jetzt in den Shop gerannt kommen, um einen Blick auf dich zu erhaschen. Du weißt ja, wie diese Stadt neue Gerüchte liebt. Obwohl ich glaube, dass keiner der Stammkunden überrascht sein wird. Die meisten von ihnen haben selbst dann ein bisschen Angst vor dir, wenn du freundlich bist.“

Mara nahm das letzte Blech mit den Schnecken hoch, um es in den vorgeheizten Ofen zu schieben. Sie wusste um ihren Ruf, aber das hieß nicht, dass sie darüber glücklich war. „Ich bin nicht angsteinflößend.“

„Genau.“ Nanci lachte wieder und näherte sich den Backgittern mit dem zum Kühlen ausgelegten Gebäck. „Was für ein Glück für uns beide, dass du eine Kaffeekünstlerin bist und wunderbar backst. Die Frühstücksgäste am Sonntagmorgen werden sich über die zusätzlichen Zimtschnecken freuen. Sonst sind wir immer schon um neun Uhr ausverkauft.“

„Ich bin nicht angsteinflößend“, wiederholte Mara mit mehr Nachdruck, als wahrscheinlich notwendig gewesen wäre.

„Einschüchternd passt besser“, sagte Nanci. „In jedem Fall täte Parker gut daran, auf sich aufzupassen.“

„Mit Parker Johnson bin ich fertig“, sagte Mara. „Josh hat erzählt, dass er nur zu Annas Geburtstag hier war. Ich werde ihm aus dem Weg gehen, wenn er wieder zu Besuch kommt.“

„Wahrscheinlich bist du die einzige Frau auf der Welt, die diesem Prachtbild von einem Mann aus dem Weg gehen möchte. Sein Vater hat früher alle Blicke auf sich gezogen, und Parker ist Mac mit seinen durchdringenden Augen und dem kantigen Gesicht wie aus dem Gesicht geschnitten. Ach was, er sieht noch besser aus als sein Vater, und das will etwas heißen.“

Mara wollte überhaupt nicht darüber nachdenken, wie gut Parker aussah oder wie es sich angefühlt hatte, seine warme Hand an ihrem Rücken zu spüren. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass er hier aufgewachsen ist.“

„Warum nicht?“

Mara zuckte mit den Schultern und wischte sich die Hände an einem weißen Geschirrtuch ab. „Ich kann ihn mir nicht als Kind vorstellen. Es scheint mir viel wahrscheinlicher, dass er vollständig ausgewachsen auf die Welt kam, als das rücksichtslose Ungeheurer, das ich kenne.“

„Deine Scheidung war schrecklich, aber wir wissen beide, dass Parker für deinen Ex-Mann gearbeitet hat.“

„Verteidige ihn nicht“, sagte Mara mit zusammengebissenen Zähnen. „Er hat Paul dabei geholfen, mir alles wegzunehmen, was mir wichtig war. Mein Ex-Mann hat mich als verrückt und labil hingestellt. Er hat meinen Ruf und meine Karriere zerstört, nur aus Bosheit. Er konnte mit seiner Geliebten weitermachen, und ich musste noch einmal von vorn anfangen.“

„Ich bin auf deiner Seite“, sagte Nanci und kam auf sie zu, um sie kurz zu umarmen. Bei dieser Geste krampfte sich Maras Herz zusammen, als sei es plötzlich zu groß für ihre Brust.

Mara hatte noch immer keine Ahnung, was die Tante, die sie in ihrer Kindheit kaum gekannt hatte, dazu gebracht hatte, sie unter ihre Fittiche zu nehmen, aber sie war ihr dafür unendlich dankbar.

Sie hatte nicht vorgehabt, in Starlight zu bleiben, als sie zur Hochzeit ihrer Cousine hergekommen war, aber die Stadt hatte ihr die Möglichkeit gegeben, sich ein neues Leben aufzubauen. Jetzt, da sie hier zu Hause waren, würde sie alles tun, um ihrer Tochter in Starlight eine Zukunft zu geben.

„Es gibt da etwas, worüber ich mit dir reden möchte.“ Nanci stibitzte ein kleines Eckchen von einer Zimtschnecke und steckte es sich in den Mund. Ihr Augen schlossen sich, und sie seufzte vor Genuss. „Die ist so verdammt gut“, murmelte sie. „Wie schaffst du es nur, nicht von dem zu essen, was du backst?“

Mara spürte, dass ihre Wangen sich aus Freude über das Kompliment röteten. „Zucker ist nicht mein Ding. Das weißt du doch.“

„Ich verstehe es trotzdem nicht.“

„Worüber wolltest du reden?“, fragte Mara.

„Ich bin aufgewacht, weil Renee mich angerufen hat.“ Nanci wickelte den Rest der Zimtschnecke in Wachspapier. „Es gab Komplikationen mit dem Baby, und der Doktor hat ihr Bettruhe für die letzten Wochen der Schwangerschaft verordnet.“

„Warum hast du nicht gleich etwas gesagt?“ Mara schlang ihre Arme um ihre Tante und seufzte, als die ältere Frau sich gegen sie fallen ließ.

„Ich versuche nicht überzureagieren“, sagte Nanci und richtete sich wieder auf. „Renee braucht jemanden, der die Ruhe bewahrt. Sie hat aus dem Krankenhaus angerufen. Es geht ihr gut, aber die Ärzte behalten sie ein paar Tage da, um die Werte des Babys zu überwachen. Ich habe meinen Flug nach Texas schon gebucht.“

„Natürlich“, stimmte Mara ihr zu. „Was kann ich tun, um dir zu helfen? Ich kümmere mich um das Haus und die Katzen. Wenn ich ein paar Extraschichten im Perk übernehmen soll, kriege ich das mit Evies Stundenplan schon irgendwie hin.“

Nanci legte ihre Hand auf Maras Arm. „Du bist lieb. Ich wäre froh über deine Hilfe im Shop, aber ich brauche dich auch, um die Planung des zweiten Shops zu übernehmen. Josh braucht mehr Hilfe, als er zugibt. Nicht nur mit dem Coffeeshop, sondern mit dem Gesamtkonzept. Er braucht dich.“

„Das kann ich nicht.“ Mara versuchte die Aufregung in den Griff zu bekommen, die bei der Erwähnung des Gesamtkonzepts in ihr aufstieg. „Ich mache diese Art Arbeit nicht mehr. Ich bin jetzt eine Barista.“

Nanci zog eine Augenbraue hoch, und Mara erinnerte sich daran, dass ihre süße, mütterliche Tante ebenfalls eine alleinerziehende Mutter gewesen war und ein erfolgreiches Geschäft betrieb. „Tu nicht so, als seist du nicht überqualifiziert für das, was du hier tust. Ich weiß, dass dein Ex-Mann dir bei der Scheidung übel mitgespielt hat. Du hast mehr als genug abbekommen. Aber er hat dein Talent nicht ausgelöscht, Mara. Ich besitze das Perk seit zehn Jahren, und ich liebe es. Starlight ist mein Zuhause, und jetzt ist es auch deines.“ Sie schüttelte ihren Kopf. „Ich frage mich, ob ich mir mit der Zusage für einen zweiten Standort in Joshs neuer Anlage zu viel zugemutet habe. Ich denke, ich könnte jetzt noch absagen.“

„Nein.“ Das Wort war Mara mit mehr Nachdruck herausgerutscht, als sie erwartet hatte. „Josh kriegt das hin.“

„Das hoffe ich“, sagte Nanci nach einem kurzen Moment. „Und du kannst ihm dabei helfen, es zu schaffen.“

Mara nickte trotz ihrer Zweifel. Sie wusste nicht genau, warum er so viel in die Umnutzung der alten Sägemühle investierte, aber sie wusste, dass es ihm viel bedeutete. Josh war ein Freund, und sie würde ihn nicht enttäuschen.

„Ich tue, was ich kann“, stimmte sie zu.

3. KAPITEL

Am Montagmorgen ließ Mara ihre Tochter an der Schule raus und fuhr dann weiter zu der alten Sägemühle, die Josh in eine Verkaufs- und Restaurantfläche umwandeln wollte. Er hatte ihr nur sehr wenig von seinem Konzept erzählt, aber das, was sie wusste, klang sehr überzeugend. Maras Ex-Mann baute glatte moderne Hotels, und sie hatte ihre Vorliebe für klassische Stilrichtungen seiner Vorstellung von einem minimalistischen Look untergeordnet. Heute war ihr bewusst, dass sie sich von Anfang an an Pauls Wünsche angepasst hatte.

Am Anfang waren sie glücklich gewesen, und sie hatte den Mann, den sie nach nur zwei Monaten Beziehung geheiratet hatte, wirklich geliebt. Doch als sie ein Jahr nach ihrer Hochzeit schwanger wurde, hatte sich alles verändert.

Sie stieg aus ihrem Toyota SUV, einem der wenigen Besitztümer, die sie nach der Scheidung behalten hatte, und lief auf das Gebäude zu. Es war verdächtig leise für eine Baustelle, und sie fragte sich, warum die Bauarbeiten nicht schon in Gang waren.

Es gab drei Gebäude; das größte war zweistöckig und hatte eine überdachte Terrasse an der Vorderseite. Jedes Haus war rostrot gestrichen, und das Schild, das die Sägemühle als die Dennison Lumber Co. auswies, war aus alten Rotholzbrettern gezimmert und passte zum Originalstil.

Mara drehte sich langsam und betrachtete das Grundstück. Sie konnte sich einen Innenhof zwischen dem großen und den beiden kleineren Gebäuden vorstellen, im Raum dazwischen Picknicktische und bunte Blumen in Kübeln.

Dann schüttelte sie ihren Kopf und erinnerte sich daran, dass ihr das Grundstück nicht gehörte. Sie hatte ihren Job in Pauls Firma aufgegeben – genauer gesagt, war sie gefeuert worden –, nachdem in der Presse über sie hergezogen worden war. Es war berichtet worden, dass ihre Unfähigkeit in Sachen Design zu einer verspäteten Eröffnung des zuletzt gebauten Hotels geführt hätte.

Vom Verstand her wusste sie, dass sie nichts falsch gemacht hatte. Ihr Mann und sein Management-Team hatten nach einem Sündenbock für ein Projekt gesucht, das das Budget aus Gründen gesprengt hatte, die nichts mit Maras Arbeit zu tun gehabt hatten. Aber es hatte ihrem Selbstbewusstsein einen Schlag versetzt, und sie hatte durch die Scheidung ihr berufliches Netzwerk und all ihre Freunde verloren.

Maras Mutter hatte es genossen, sie an das alte Sprichwort Jeder bekommt, was er verdient zu erinnern. Eine kleine, nett verpackte Gemeinheit, auf die hin Mara sich gefragt hatte, ob sie ihren bisherigen beruflichen Erfolg nur ihrer Beziehung zu Paul und nicht ihrem Talent zu verdanken gehabt hatte.

„Hallo?“, rief sie, als sie durch den Haupteingang eintrat.

„Hier“, antwortete ein Mann, der nicht nach Josh klang, aus einem Raum auf einer Seite der Hauptfläche. Sie ging auf den Raum zu und versuchte nicht zu enttäuscht darüber zu sein, dass sich noch nicht viel getan hatte. Das Innere des Gebäudes war luftig, mit einer gewölbten Decke, die mit Recyclingholz verkleidet war. Ein paar Trennwände waren auf beiden Seiten aufgestellt worden und unterteilten den weiten Flur, und sie konnte sehen, dass mit der Verkabelung begonnen worden war. Aber es sah definitiv nicht nach einer Halle mit Miniverkaufsflächen und kleinen Restaurants aus, wie sie sie erwartet hatte.

„Ist Josh da?“, fragte sie, als sie das provisorische Büro betrat. In dem kleinen Raum standen ein antiker Schreibtisch, ein Klapptisch, der mit Plänen und Papieren bedeckt war, und ein leeres Bücherregal.

Als Parker sich in dem ledernen Bürostuhl umdrehte, um sie anzusehen, rutschte ihr das Herz in die Hose. „Er ist losgefahren, um eine Ladung Material zu kaufen.“ Man musste ihm lassen, dass sein Gesichtsausdruck neutral blieb. Wenn er so überrascht war, sie hier zu sehen, wie sie ihn, dann ließ er es sich nicht anmerken.

„Was machen Sie hier?“, fragte Mara, ohne sich zu bemühen, den feindlichen Unterton zu unterdrücken. Er fuhr sich mit einer Hand durch sein dunkelblondes Haar, und Mara versuchte nicht darauf zu achten, wie seine Armmuskeln bei jeder Bewegung hervortraten. Parker trug ein ausgeblichenes graues T-Shirt und Jeans. Sie zwang sich dazu, sich ihn in dem maßgeschneiderten Anzug vorzustellen, den er angehabt hatte, als er die Lügen ihres Ex-Mannes vor dem Scheidungsgericht nachgebetet hatte.

Er durchbohrte sie mit einem eisigen Blick aus seinen blauen Augen. „Im Moment fühlt es sich so an, als würde ich Wasser aus dem Schiffskörper der Titanic schöpfen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich nehme an, Sie haben nicht noch einen zweiten Eimer mitgebracht?“

Sie schüttelte ihren Kopf und versuchte zu verarbeiten, was er gesagt hatte.

„Aber warum sind Sie in Starlight? Josh hatte gesagt, Sie würden nach Seattle zurück gehen.“

„Planänderung“, sagte er einfach.

Sie stemmte die Hände in die Hüften und starrte ihn an. „Sie gehören hier nicht hin“, sagte sie, als die unsichtbar knisternde Spannung zwischen ihnen sie überwältigte.

„So was von gar nicht“, stimmte er ihr viel zu bereitwillig zu. Er sah aus dem kleinen Fenster hin zur Vorderseite des Gebäudes. „Aber Josh braucht meine Hilfe, und ich werde ihn nicht wied… nicht im Stich lassen.“ Er stand plötzlich auf, und Mara machte automatisch einen Schritt zurück.

Was meinte er damit: Josh im Stich lassen? Sie hätte schwören können, dass er beinahe wieder gesagt hätte. Sie wusste, dass Josh in Starlight aufgewachsen war. Nichts, was er ihr von seiner Kindheit erzählt hatte, hatte ihr den Eindruck vermittelt, dass er irgendjemandem in seiner Familie nahestand, aber er erzählte nicht viel. Ihre Freundschaft basierte darauf, dass sie alleinerziehend waren. Sie halfen einander, das Auf-sich-selbst-gestellt-Sein zu meistern.

„Ich bin hier, bis das Projekt eröffnet“, präzisierte Parker. „Hoffentlich pünktlich.“

„Sie sind Scheidungsanwalt“, sagte sie, als wüsste er das nicht.

„Sie können das hier als Sabbatical betrachten“, sagte er mit dem falschesten Lächeln, das sie je gesehen hatte. Trotz der Feindseligkeit, die sie für ihn empfand, fuhr ihr ein Kribbeln den Rücken hinunter. Offenbar hatte ihr Körper nicht mitbekommen, dass Parker Johnson unausstehlich war. „Ich trete für ein paar Wochen kürzer, dann gehe ich zurück ins Büro, ausgeruht, frisch und …“

„Bereit weitere Leben zu zerstören?“

Sein Lächeln wurde schwächer, aber es verschwand nicht. Stattdessen kniff er ein wenig die Augen zusammen, als würde er ihre Haltung bewundern.

„Leider bringen Scheidungen das Hässlichste in guten Menschen hervor“, sagte er.

„Mein Ex-Mann ist mit dem Ende unserer Ehe definitiv ohne jeden Funken von Anstand umgegangen“, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.

„Ich bin nicht hier, um mit Ihnen darüber zu streiten.“ Parker stopfte seine Hände in die Taschen und blickte auf den Boden. „Ich vertrete meine Mandanten und helfe ihnen, auch die andere Seite zu sehen. Nicht jedem fällt das leicht.“

„Besonders wenn der Mandant ein rasender Narzisst ist“, fauchte Mara und holte dann tief Luft. Obwohl sie wusste, dass Parker bei ihrer Scheidung nur seinen Job gemacht hatte, waren die Erinnerungen schmerzhaft. Es würde ihr nicht guttun, sie immer und immer wieder zu durchleben. Sie hob eine Hand, als Parker sprechen wollte. „Sind Sie damit einverstanden, wenn wir die Vergangenheit ruhen lassen?“, bot sie an.

„Gerne.“

„Gut.“

Eine unangenehme Stille machte sich in dem muffigen Büro breit, während sie einander mit ihren Blicken auswichen.

Dann räusperte sich Parker. „Sie hatten nach Josh gesucht. Kann ich etwas für Sie tun?“

Sie zog eine Augenbraue hoch.

„Außer mich in Luft aufzulösen.“

Sosehr sie es auch wollte, sie konnte sich nicht gegen das Lächeln wehren, das ihre Lippen nach oben zwang; er hatte ihre Gedanken erraten. „Meine Tante hat mich hergeschickt“, erklärte sie. „Sie eröffnet hier draußen eine Filiale ihres Coffeeshops.“

„Josh hat mir davon erzählt.“ Parker deutete auf die Tür. „Wollen wir eine kleine Tour machen?“

Nein, warnte ihr Kopf sie. Mara musste etwas Distanz zu diesem Mann schaffen, der doch ihr Erzfeind war.

„Klar“, murmelte sie stattdessen.

Er lächelte verkrampft, während sie die Haupthalle der Mühle betraten. „Sie und Josh sind gut befreundet?“

„Ja“, stimmte sie ihm zu und folgte ihm, als er auf das andere Ende des Gebäudes zulief. „Wir haben fast noch nie über die Sägemühle gesprochen. Es ist erstaunlich, wie wenig man über sich selbst reden kann, wenn man stattdessen über Kinder reden kann. Haben Sie Kinder, Parker?“

Seine Schultern versteiften sich leicht, aber er warf ihr ein offenes Lächeln über die Schulter zu. „Nein. Nicht verheiratet und auch nicht in einer Beziehung, falls Sie neugierig sind.“

„War ich nicht“, log sie.

„Das ist die Fläche, auf der das Flagship-Restaurant entstehen sollte.“ Er deutete auf eine unfertige Wand, die von zwei Bolzen eingerahmt wurde. „Gasleitungen, Elektrizität und Rohrleitungen für die Küche sind hier hinten, aber weiter ist es noch nicht.“

„Warum?“, fragte sie mehr sich selbst als den Mann, der neben ihr stand.

Parker antwortete trotzdem. „Dieser Ort steckt voller unschöner Erinnerungen für Josh. Er hat mir gesagt, er hätte die Sägemühle aus einem Impuls heraus gekauft. Er hat nicht damit gerechnet, dass er so viel Zeit hier draußen würde verbringen müssen.“

Mara runzelte die Stirn. „Was für Erinnerungen?“

Plötzlich veränderte sich Parkers Gesichtsausdruck, und sie sah eine Art Verletzlichkeit in seinen blauen Augen, die sie nicht erwartet hatte. Sie zwang sich, einen Schritt von ihm zurücktreten. Sie war nur hier, um sicherzustellen, dass der Coffeeshop im Dennison Mill eröffnete, nichts anderes.

„Er hat Ihnen nichts davon erzählt, wie wir aufgewachsen sind?“, fragte Parker sanft.

„Ich weiß, dass Ihr Vater gestorben ist, als Josh sechzehn war, und Ihre Mutter nach Spokane gezogen ist, nachdem er mit der Highschool fertig war. Aber es war kein Witz, als ich gesagt habe, dass die meisten unserer Gespräche sich um die Kinder drehen.“

„Hat er mich erwähnt?“

„Nicht wirklich“, gab Mara zu und verzog das Gesicht.

Parker gab ein humorloses Lachen von sich. „Hätte ich mir denken können. Unser Dad war hier eine große Nummer, damals, als er Bürgermeister war. Alle haben ihn geliebt, aber er war kein guter Mensch. Es überrascht mich noch immer, dass Josh in Starlight geblieben ist, aber er liebt es hier.“

„Starlight ist eine tolle Stadt.“ Sie holte tief Luft und konnte sich nicht zurückhalten, ihn zu fragen: „Was meinen Sie damit, dass er kein guter Mensch war?“

Er drehte sich ganz zu ihr um, und als sie den tiefen Schmerz in seinem Blick sah, hätte sie am liebsten die Hand nach ihm ausgestreckt. Es war merkwürdig, einen solchen Moment mit Parker zu erleben.

„Er war aggressiv. Gewalttätig. Gemein und kleinlich“, sagte er ohne jede Gefühlsregung.

„Das tut mir leid.“

„Das muss es nicht.“ Er lachte leise in sich hinein. „Aber nach allem, was Josh als Kind erlebt hat, und dem, was im letzten Jahr passiert ist, braucht er ein positives Erlebnis. Deshalb bin ich hier. Und wir bekommen das hin.“

„Ich kann helfen“, platzte es aus ihr heraus, und sie spürte, wie sie rot wurde. Sie hatte sich vorgenommen, nicht mehr zu tun als das, worum ihre Tante sie gebeten hatte. Und da hatte sie noch gedacht, dass Josh sich um alles kümmerte. Josh, ihr unbekümmerter Freund, von dem sie sich weder emotional bedroht fühlte noch an Dinge erinnerte wurde, an die sie sich nicht erinnern wollte. Allein der Gedanke, trotz ihrer widersprüchlichen Gefühle, in der Nähe von Parker zu sein … Würde sie das durchstehen?

„Ein Coffeeshop in diesem Teil der Stadt wird bestimmt Kunden anziehen, aber was wir brauchen …“

„Ich denke, ich kann ein paar Vorschläge für das Gesamtkonzept machen. Ich habe Innenarchitektur studiert.“ Sie hätte ihre Worte gerne so schnell zurückgenommen, wie sie sie ausgesprochen hatte, aber in der Tiefe ihres Herzens liebte sie das Entwickeln von Projekten dieser Art noch immer. Außerdem wollte sie Josh helfen. Seine Freundschaft bedeutete ihr viel. Vielleicht konnte sie etwas beisteuern, ohne allzu fest eingebunden zu werden. „Wenn Sie mir die Pläne zeigen, kann ich vielleicht ein paar Ideen beisteuern, um Zeit zu sparen.“

Er neigte seinen Kopf zur Seite und kratzte sich mit zwei Fingern am Kinn.

Sie sollte sich die Ohren zustöpseln. Mara war seit ihrer Scheidung nicht mehr auf Dates gewesen; das musste die Erklärung dafür sein, dass ein so harmloses Geräusch ihr sexy vorkam.

„Warum?“, fragte Parker. „Wir können Ihnen nichts zahlen. Im Moment kann Josh nicht einmal die meisten seiner Zulieferer bezahlen.“

„Josh ist mein Freund, und je eher Sie aufmachen, desto besser für den Laden meiner Tante. Ich will den beiden helfen.“

„Und es ist kein Problem, dass ich auch involviert bin?“

Die feinen Haare in ihrem Nacken stellten sich auf. „Ich wünschte, Sie würden weggehen, aber ich kann Sie ja ignorieren.“

Er grinste. Verdammt, dieser Typ und sein schönes Gesicht. „Wir müssen mit Josh darüber reden, aber ich bin mir sicher, dass er Ja sagt.“

„Stimmt.“ Mara holte tief Luft; langsam kam bei ihr an, wie sehr sie sich entblößt hatte. Angst kroch ihre Wirbelsäule entlang. „Ich muss jetzt gehen.“

„Möchten Sie die Pläne nicht mehr sehen?“

„Josh hat meine E-Mail-Adresse. Schicken Sie mir die Pläne.“ Sie bekräftigte noch einmal, was sie gesagt hatte: „Ich muss gehen.“

„Hey, Mara“, rief Parker, als sie schon fast am Ausgang des Gebäudes war.

Sie sah ihn über ihre Schulter hinweg an.

„Ich bin schon gespannt darauf, wie Sie mich ignorieren“, sagte er und stand breitbeinig und frech grinsend da.

Ohne zu zögern verabschiedete sie sich mit erhobenem Mittelfinger und ging zur Tür hinaus.

4. KAPITEL

Mara war am Mittwochmorgen völlig in ihre Arbeit vertieft, als Sam Sheehan in den Shop stürzte. Das Main Street Perk war schon den ganzen Morgen über voll gewesen, und sie war damit beschäftigt, Kaffeegetränke zuzubereiten. Sie war darauf konzentriert, den gemahlenen Kaffee festzudrücken und perfekte Espresso Shots zu machen. Es war genau das, was sie nach zwei unruhigen Nächten brauchte, in denen sie von einem gut aussehenden – wenn auch verhassten – Scheidungsanwalt geträumt hatte.

Sam, der in der Stadt ein Versicherungsunternehmen besaß, sprach mit den Kunden in der Schlange. „Ihr könnt euch das Chaos nicht vorstellen. Es ist ein Desaster. Die Decke ist praktisch Schutt, und der Feueralarm hat die Sprinkleranlage ausgelöst.“

Mara, die gerade dabei war, einen Flat White zuzubereiten, stutzte. Sie wandte sich der Theke zu und stellte das Getränk ab. „Welche Schule?“, rief sie.

Eine kleine Gruppe von Leuten hatte sich um Sam versammelt; in ihren Gesichtern stand eine Mischung aus Schock und Neugier.

„Wurde jemand verletzt?“, fragte eine der Frauen.

Ein angsterfüllter Schauer lief Mara den Rücken hinunter, und sie zog ihr Handy aus der hinteren Tasche ihrer Jeans. Zwei verpasste Anrufe von der Grundschule, drei von Josh und eine Menge ungelesener Textnachrichten.

„Sam!“, rief sie, noch während sie die Schürze auszog. Der Gesprächslärm, der den Coffeeshop erfüllt hatte, erstarb plötzlich. „Was ist in der Schule passiert?“

„Das Dach der Sporthalle ist eingestürzt“, sagte er und hob seine Hände, als wollte er damit sagen, sie solle nicht überrascht sein.

„Ich muss gehen“, rief sie Janet, der älteren Frau, die an diesem Morgen mit ihr zusammenarbeitete, über die Schulter zu. Die Kunden in der Schlange machten ihr den Weg frei, das Verständnis und das Mitgefühl in ihren Blicken ließ ihr Herz noch schneller schlagen.

„Natürlich.“ Janet griff schon nach dem Telefon an der Wand. „Ich rufe Toby an. Nimm dir den ganzen Tag frei, Mara. Wir kommen schon klar.“

„Es wurde nichts von Verletzten berichtet“, sagte Sam, als sie auf dem Weg hinaus an ihm vorbeieilte.

„Danke.“ Redete sie noch mit Sam oder war das ein Dankgebet?

Die Starlight-Elementary-Grundschule war nur eine Meile von der Innenstadt entfernt, aber die kurze Fahrt schien ewig zu dauern. Mara hielt sich nicht damit auf, noch einmal auf ihr Handy zu schauen, da sich ihr Magen sowieso schon umdrehte und sie Angst hatte, noch mehr aus der Fassung zu geraten. Als die Schule in ihrem Sichtfeld auftauchte, konnte sie die Lichter der Feuerwehr- und Polizeiautos sowie einen Krankenwagen sehen.

Sie fuhr schnell an die Bordsteinkante heran, stellte den SUV ab und sprang aus dem Auto. Dann rannte sie den Eltern und Kindern entgegen, die am Ort des Geschehens standen.

Keine Verletzten, sagte sie sich noch einmal und versuchte, ihre durcheinandergehenden Gefühle zu beruhigen. Evie ging es gut. Mara musste sie nur finden.

Plötzlich rief jemand ihren Namen. Brynn Hale winkte ihr vom anderen Ende der Menge zu. „Sie ist hier, Mara“, rief sie und winkte. Mara bemühte sich, nicht in Tränen auszubrechen, während sie weiterlief. Reiß dich zusammen, für Evie, sagte sie sich.

„Wo?“, fragte Mara mit leicht zitternder Stimme. Brynn wich ein wenig zur Seite, und da war Evie, in ihren gepunkteten Leggins mit dem passenden T-Shirt, für das sie sich an diesem Morgen entschieden hatte. Mara packte das Mädchen und drückte es fest an ihre Brust, sie atmete tief durch.

„Mommy“, flüsterte Evie. „Du bist hier.“

„Natürlich, Sweetheart! Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, bis ich bei dir war.“

„Ist schon okay, Mommy. Annas Onkel hat mich gefunden.“

Mara blinzelte, dann blickte sie nach oben und sah Parker. „Parker?“

Er lächelte ein wenig, und Anna tauchte auf seiner anderen Seite auf.

„Hi, Mara“, sagte Anna. „Das Dach der Sporthalle ist zusammengebrochen. Das war ziemlich laut.“

„Das war bestimmt schrecklich, Honey“, sagte Mara und drückte Evie noch einmal, „aber wie gut, dass ihr beiden zusammen wart.“

„Wir können für den Rest des Tages nicht mehr zu Schule gehen“, sagte Evie leise. Jetzt, da Mara wusste, dass ihr Mädchen in Sicherheit war, wandte sie ihre Aufmerksamkeit der Schule zu. Ihr Atem stockte, als sie die Zerstörung auf sich wirken ließ. Trümmer waren über den ganzen Schulhof verstreut, und sie konnte sehen, wo das Dach der Sporthalle in sich zusammengestürzt war. Sie schickte ein stummes Dankgebet nach oben, dass niemand verletzt worden war.

„Wir sollten irgendetwas Schönes machen.“ Sie strich über Evies Zöpfe. Sie musste sie beide ablenken. „Wir können zum Mittagessen am Meadow Creek picknicken gehen, wenn du möchtest.“

„Darf Anna mitkommen?“

„Natürlich.“

„Und ihr Onkel?“

Mara blinzelte, unsicher, wie sie antworten sollte. „Gib mir noch eine Minute.“

Sie richtete sich auf und drehte sich zuerst zu Brynn, die ihren zehnjährigen Sohn Tyler an der Hand hielt.

„Was ist eigentlich passiert?“

Die zierliche Brünette schüttelte ihren Kopf, ihre blauen Augen groß vor Sorge. „Sie haben uns noch nichts gesagt. Zum Glück war niemand in der Sporthalle, als es passiert ist.“ Sie verzog ihr Gesicht. „Da kommt noch einiges auf uns zu.“

„Uns?“, fragte Mara.

„Ich bin dieses Jahr Elternvertreterin“, sagte Brynn und zog eine Grimasse.

Mara nickte. Sie hatte Brynn über ihre Freundin Kaitlin Carmody kennengelernt und hatte das Gefühl, dass sie Freundinnen werden könnten. Brynn war ebenfalls alleinerziehend und verwitwet, seit ihr Mann im Sommer bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.

„Ich helfe euch“, bot Mara ohne Zögern an und erntete ein Lächeln von der anderen Frau.

„Danke.“ Brynn blickte über Maras Schulter. „Schön, dass du wieder in der Stadt bist, Parker. Bis bald.“

„Danke fürs Einkleiden“, sagte er und erntete ein kurzes Grinsen von Brynn, bevor sie mit ihrem Sohn ging.

Als Mara sich umsah, sah sie, dass die Menge sich inzwischen auflöste, weil mehr und mehr Eltern mit ihren Kindern vereint waren. Mit einer Hand auf Evies Schulter drehte sie sich zu Parker um.

„Danke, dass Sie zur Stelle waren“, sagte sie steif, dann erst bemerkte sie das viel zu kleine Starlight-Elementary-Shirt, das sich über seiner breiten Brust spannte, und runzelte die Stirn.

„Was ist das für ein T-Shirt?“

Er zog am Saum, der den Bund seiner ausgebleichten Jeans fast nicht erreichte. Das schlecht sitzende Kleidungsstück war ihr nicht früher aufgefallen, da sie ganz auf Evie konzentriert gewesen war. Aber jetzt schien sie ihren Blick nicht von dem Streifen harter Bauchmuskeln losreißen zu können, die sichtbar wurden, sobald er sich bewegte.

„Ich habe mich wieder übergeben“, sagte Evie, bevor Parker antworten konnte, und vergrub ihre Finger in dem Stoff von Maras Stoffhose.

„Nicht schlimm“, fügte Parker mit einem sanften Lächeln hinzu. „Mir war auch ein bisschen übel von all dem Chaos.“

„Tut mir leid.“ Maras Brust wurde eng, als sie Evies Entschuldigung hörte. Das Übergeben hatte mitten in ihrer Scheidung begonnen. Der Kinderarzt hatte sie zu einem Therapeuten geschickt, der Evie Strategien beigebracht hatte, mit der Übelkeit umzugehen. Mara hatte auch ein Rezept für ein Medikament gegen Übelkeit, aber ab und zu gab es doch noch einen kleinen Unfall. Sie wünschte sie hätte eine wasserdichte Methode, um Evies Nerven zu beruhigen.

„Das ist nicht schlimm, Sweetie“, sagte sie und drückte Evies Kopf mit der Hand an ihr Bein. „Heute war ein stressiger Tag und …“

„Ich habe mich über die Möglichkeit gefreut, ein paar Fanartikel von meiner Alma Mater zu bekommen.“ Parker zeichnete mit seinen Fingern das große Katzenemblem auf der Vorderseite seines T-Shirts nach.

Blitzartig durchfuhr Mara der Drang, ihn umarmen zu wollen. Er sah in dem T-Shirt lächerlich aus, aber irgendwie noch unwiderstehlicher. Sie hatte seine unangestrengte Herzlichkeit nicht erwartet, und ihr war unwohl dabei, sich einzugestehen, wie sehr sie ihr kaltes Herz erwärmte.

„Was ist ein Alma Otter?“, fragte Anna, und Evie kicherte.

„Das heißt, dass ich hier in die Schule gegangen bin“, erklärte er.

„Brynn hat mir ein Hemd gesucht, weil meines …“ Seine Stimme verlor sich, dann fügte er schnell hinzu: „Hemden sind leicht zu ersetzen, aber alberne Nichten nicht.“ Er strich mit einer Geste über Annas Haar, die noch liebenswerter wirkte, weil er sich dabei so unbeholfen zu fühlen schien. „Und ich freue mich, den Nachmittag mit dir zu verbringen.“

Mara unterdrückte einen Seufzer darüber, wie süß er sich verhielt. Schauspielerei, erinnerte sie sich selbst. Der wahre Parker war der, den sie vor Gericht gesehen hatte, derjenige, der ohne mit der Wimper zu zucken ihren Ruf ruiniert hatte. Zumindest wollte sie das glauben.

„Wo ist Josh?“, fragte Mara, die etwas Abstand zwischen sich und die ungewollte Anziehung, die sie für diesen Mann empfand, bringen wollte.

„Er hat einen Termin bei der städtischen Baubehörde.“ Parker zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihn angerufen, um ihm zu sagen, dass alles in Ordnung ist. Heute kümmere ich mich um Anna.“

„Onkel Parker hat mir erlaubt, Kekse zum Frühstück zu essen“, berichtete Anna fröhlich. „Er hat keine Ahnung.“

„Du hast gesagt, dein Vater wäre damit einverstanden.“ Parker blickte zu dem cleveren Mädchen hinunter.

Mara konnte ihr Grinsen nicht unterdrücken. „Sie haben wirklich keine Ahnung“, sagte sie und wiederholte Annas Einschätzung.

„Mommy, kommen Anna und ihr Onkel mit zu unserem Picknick?“, fragte Evie.

„Können wir mit, Parker?“ Anna warf ihm ein bittendes Lächeln über die Schulter zu. „Sonst bekomme ich vielleicht kein gesundes Mittagessen.“

„Gesund würde ich hinkriegen“, protestierte er, noch während er Mara einen fragenden Blick zuwarf. „Aber wir haben Zeit.“

„Nun sind Sie vom großen Anwalt zum Arbeiter und dann auch noch zur Ersatznanny geworden. Schon ein ziemlicher Abstieg, was?“ Kaum hatte sie die kleinlichen Worte gesagt, zuckte Mara zusammen. Zum Glück schienen die Mädchen in ihre eigenen Gespräche vertieft zu sein, aber das war keine Entschuldigung für ihr Benehmen.

Zu ihrer Überraschung schien er von ihrer Kritik unbeeindruckt zu sein. „Es ist eine ziemliche Veränderung, aber keine schlechte. Ich glaube, ich habe gar nicht gemerkt, dass ich eine Pause brauche.“ Er holte tief Luft. „Auch wenn ich nicht viel über Kinder weiß, verbringe ich gerne Zeit mit meiner Nichte.“

„Entschuldigen Sie“, sagte Mara. „Ich weiß, dass Sie nur Ihrer Familie helfen wollen. Es fällt mir schwer, mich daran zu gewöhnen, dass der Typ, den ich als Pauls Deppen von Anwalt kenne, tatsächlich ein Herz hat.“

„Es ist in jedem Fall zwei Nummern zu klein, wenn das hilft“, sagte er mit einem Zwinkern.

Mara kicherte, dann klappte sie ihren Mund zu und biss sich auf die Innenseite ihrer Wange. Sie war nicht die Art Frau, die kicherte und flirtete, vor allem nicht mit Parker, trotz der positiven Eigenschaften, die sie neu an ihm entdeckte. Seit ihrer Scheidung hatte sie noch kein Date gehabt, und Parker wäre eine schlechte Wahl gewesen, selbst wenn sie eines gewollt hätte. Was sie nicht wollte. Nicht einmal eine klitzekleines Bisschen.

Als sie bei ihrem Auto ankamen, drehte sie sich zu Parker um. „Wir können uns um zwölf Uhr am Picknickplatz beim Meadow Creek treffen.“

Er nickte. „Machen wir das. Was können wir mitbringen?“

„Getränke“, sagte sie und hoffte, dass er nicht bemerkte, dass sie auf einen Punkt neben seinen Schultern sah. Augenkontakt wäre einfach zu viel gewesen. Parker verwirrte sie auf so viele Ebenen.

„Alles klar“, sagte er und ging dann einen Schritt auf Anna zu.

„Bis gleich, Evie-Stevie“, sagte das Mädchen.

Evie grinste als Antwort. „Bis gleich, Anna-Banana.“

Mara schloss das Auto auf und sah ihrer Tochter dabei zu, wie sie auf den Rücksitz kletterte. Es war erst zehn Uhr dreißig, vielleicht konnte sie noch kurz kalt duschen. Sie musste ihre überhitzten Hormone beruhigen. All ihre Zweifel darüber, ob sie am Mühlen-Projekt mitarbeiten sollte, stürzten wieder auf sie ein. Das Letzte, was sie brauchte, war mehr Zeit mit Parker, also tat sie ihr Bestes und ignorierte, wie sehr sie sich auf diesen Nachmittag freute.

Ein paar Minuten vor zwölf fuhr Parker auf den Meadow-Creek-Parkplatz. Er war zuletzt als Kind auf dem Picknickplatz gewesen, als seine Mutter ihn und Josh auf einen Wochenendausflug mitgenommen hatte, um ihrem Vater aus dem Weg zu gehen.

Parker hatte sich immer davor gefürchtet, dass er nach seinem Vater kommen könnte, und hatte sich angestrengt, seine Gefühle zu kontrollieren. Scheidungsanwalt zu werden hatte sich gleich auf mehreren Ebenen für ihn gelohnt. Zum Beispiel wollte er nicht, dass irgendjemand sich in einer schlechten Ehe gefangen fühlen musste, wie seine Mutter es getan hatte. Aber er konnte auch einen Teil seiner verborgenen Bitterkeit vor Gericht rauslassen, indem er sein Bestes gab, um für seine Mandanten viele, wenn nicht sogar alle ihrer Forderungen durchzusetzen.

Mara stellte infrage, was er in dieser Welt für sicher gehalten hatte. Er hatte ihren Ex-Mann nicht gemocht, aber er hatte Paul Reed geglaubt, als der ihm erklärte hatte, dass Mara eine oberflächliche Frau war, die hinter seinem Geld her war und ihr Kind für finanzielle Vorteile benutzte.

Parker wusste, dass man die Wahrheit für seine Zwecke verdrehen konnte. Leider kam erst jetzt zutage, dass sein Mandant das getan hatte. Wie viele andere Menschen hatte Parker in seiner Laufbahn falsch eingeschätzt?

„Warum bist du traurig, Onkel Parker?“, fragte Anna vom Rücksitz.

Sein Magen zog sich zusammen. Er hatte sich immer etwas auf sein undurchdringliches Pokerface eingebildet, und jetzt fragte ihn ein Kind nach seinen Gefühlen. Wenn ein paar Tage in Starlight ihn so stark beeinflussen konnten, wie würde es ihm dann erst am Ende seines Aufenthaltes gehen?

„Mir geht es gut, Banana. Ich denke nur über ein paar Dinge nach.“ Er schüttelte innerlich den Kopf und blickte in den Rückspiegel. Das Mädchen starrte ihn ernst an, was so gar nicht zu seiner wilden Nichte zu passen schien. „Was ist los?“

„Schluckauf.“ Plötzlich holte Anna tief Luft und schluckte übertrieben. „Ich denke, er ist weg“, sagte sie mit einem breiten Grinsen.

Er löste seinen Sicherheitsgurt und drehte sich zu ihr um.

„Das habe ich manchmal. Ich hatte es noch öfter, als ich in der Chemo war.“

Sein Hals wurde eng. „Du bist ein sehr mutiges Mädchen, Anna.“

Sie legte ihren Kopf auf die Seite, während sie ihn genau betrachtete.

„Das sagt Daddy auch immer.“

„Dein Daddy ist ein schlauer Kerl.“

„Ich weiß.“ Sie lächelte. „Evie ist schon da.“ Sie löste den Sicherheitsgurt, öffnete die Autotür und kletterte aus ihrem Kindersitz.

Parker umklammerte das Lenkrad und schluckte seine Schuldgefühle darüber hinunter, dass er nicht früher für Josh und Anna da gewesen war. Während er mit den oberflächlichsten aller Luxusprobleme beschäftigt gewesen war, hatte sein Bruder eine Stunde entfernt mit einer Scheidung und einem kranken Kind zurechtkommen müssen.

Ein Klopfen am Fenster des Autos ließ ihn aufschrecken und zur Seite blicken, von wo Mara ihn anstarrte. Sie sah verwirrt aus, was Sinn ergab, weil er tief in Gedanken versunken allein im geparkten Auto saß. Und es waren schlechte Gedanken. Gedanken, die ihm nicht guttaten und ihn dazu bringen würden, den Schlüssel in der Zündung zu drehen und so schnell er konnte von Starlight und allen Erinnerungen, die diese Stadt für ihn bereithielt, fortzufahren.

„Alles okay?“, fragte Mara und trat einen Schritt zurück, während sie ihn beobachtete.

„Ja.“ Er öffnete die Autotür und nahm die kleine Kühlbox hervor, die er eingepackt hatte. „Wir waren als Kinder mal hier. Ich hatte vergessen, wie schön es hier um diese Jahreszeit ist.“

Ihre Gesichtszüge wurden weich, als sie nickte. „Der Herbst ist meine Lieblingsjahreszeit. Die bunten Blätter und die kühleren Temperaturen sind perfekt. In ein paar Wochen wird alles ganz bunt sein.“

Mit der Hand auf dem SUV blickte Parker zu den Bäumen, die am Rande des Waldes standen und hielt kurz inne. Er fand es schön, dass sie sich die Zeit genommen hatte, ihre Umgebung wahrzunehmen und ihn darauf hinzuweisen. In der Stadt verbrachte Parker seine Tage mit dem Kopf über Akten oder er ging seine kilometerlange To-do-Liste durch und vergaß dabei, die Schönheit der Welt um sich wahrzunehmen.

Außerdem waren diese wenigen Sätze das Neutralste, was Mara in ihren wenigen Gesprächen gesagt hatte, und er konnte es nicht leugnen: Er wollte mehr davon.

5. KAPITEL

Mara ging den Weg voran zu den Picknicktischen, die nicht weit vom Ufer des Baches unter einem Dach von Douglastannen standen. Obwohl es hier an den Wochenenden oft überfüllt war, waren sie heute allein auf dem Weg.

Die Mädchen plapperten fröhlich hinter ihr, aber es war Parker, bei dem ihre Aufmerksamkeit war. Als er nicht aus dem SUV gestiegen war, war sie zur Fahrerseite gegangen und hatte ihn ins Leere starrend, seine Hände um das Lenkrad geklammert, vorgefunden. Das Fenster war getönt, aber trotzdem hatte sie deutlich den Schmerz erkannt, der sein schönes Gesicht verzerrte.

Verdammt, er war ein Mensch. Sie hatte nicht bezweifelt, dass er einen Puls hatte … aber ein Herz, das war eine ganz andere Sache. Es war so einfach gewesen, ihn und ihren Ex-Mann zu den Bösen zu machen, Parker sogar für schlimmer zu halten als ihren Ex-Mann. Es hatte ihr geholfen zu glauben, dass Pauls gewissenloser Anwalt ihn dazu angestiftet hatte, sie vor Gericht zu zerstören.

Sie wusste, dass das nicht wahr war, aber Paul war der Vater ihres Kindes, auch wenn er Evie seit Weihnachten nicht mehr gesehen hatte und sich selten die Mühe machte, anzurufen und sich nach ihr zu erkundigen. Mara fiel es schwer, sich nicht schuldig zu fühlen, dass sie jemanden geheiratet hatte, zu dem sie überhaupt nicht gepasst hatte. Wenn sie eine bessere Wahl getroffen hätte, hätte Evie jetzt eine richtige Familie; die Art Friede-Freude-Eierkuchen-Familie, die Mara sich für sie wünschte.

Sie holte tief Luft und hoffte, dass der Knoten in ihrem Magen sich lösen würde. Mara drehte sich um und lächelte die Mädchen an. „Ich hoffe, ihr seid beide hungrig.“ Sie zwinkerte Anna zu. „Beim Mittagessen könnten wir deinem Onkel etwas über Ernährung beibringen. Wir wollen ja nicht, dass er denkt, Goldfischli wären proteinhaltig.“

Evie und Anna kicherten, während Parker sich mit der Handfläche auf die Stirn schlug. „Auch nicht die Goldfischli mit extra Käse?“

„Nee“, antwortete Mara und versuchte, nicht zu grinsen.

Er zog seine muskulösen Schultern hoch. „Man lernt nie aus, Mädchen.“

Mara stimmte ihm innerlich zu. Wie die Tatsache, dass der Mann, den du für deinen Erzfeind gehalten hast, vielleicht doch nicht so schlimm ist.

Davon abgesehen, dass sie sich zu Parker hingezogen fühlte, war Mara nicht auf der Suche nach einer Liebesbeziehung. Sie hatte kaum Zeit jeden Tag zu duschen. Mit ihren Schichten im Coffeeshop, der Betreuung von Evie, der Buchhaltung, bei der sie Nanci half, und dem Backen, das sie liebte, fiel Mara jeden Abend erschöpft ins Bett und war froh, wenn sie daran dachte, sich das Gesicht zu waschen und die Zähne zu putzen. Sich für einen Mann fein zu machen, war auf ihrer Prioritätenliste nicht vorhanden, seit sie alleinerziehend war.

„Ich nehme mal an, du magst Erdnussbutter mit Marmelade“, sagte sie, was die Mädchen mit einer Runde Jubel begrüßten.

„Als Kind habe ich es geliebt.“

Er stellte die Tasche mit dem Essen und die Kühlbox nebeneinander auf den Holztisch. „Wenn ich gewusst hätte, was auf dem Menü steht, hätte ich Milch mitgebracht.“

Sie griff in die Tasche. „Das war ein Witz. Ich habe Erdnussbuttersandwiches für die Mädchen und welche mit Hähnchensalat für uns dabei.“

„Jetzt bin ich enttäuscht.“

„Das wirst du nicht mehr sein, wenn du von meinem Hähnchensalat probiert hast.“ Sie warf ihm aus den Augenwinkeln einen Blick zu.

„Tante Nanci sagt, dass Mommys Hähnchensalat im Perk jeden Tag ausverkauft ist“, verkündete Evie und kletterte auf die Bank auf der anderen Seite des Picknicktisches. „Alles, was sie macht, ist superlecker.“

„Dann bin ich ganz gespannt.“

„Sie backt auch besser als Tante Nanci“, fuhr Evie fort, und Mara wunderte sich darüber, dass ihre schüchterne Tochter plötzlich so gesprächig war. Evie sagte normalerweise so wenig wie möglich zu Erwachsenen, vor allem zu Männern. Sie hatte Monate gebraucht, um Josh in die Augen blicken zu können, und er war einer der zugänglichsten Männer, die Mara kannte.

Das absolute Gegenteil seines Bruders.

„Daddy liebt ihre Muffins“, fügte Anna hinzu, die bei einem Gespräch nie außen vor blieb.

„Mommy backt dienstags, donnerstags und samstags und immer, wenn sie schlecht gelaunt ist“, erklärte Evie.

„Gut zu wissen.“ Parker reichte jedem der Mädchen ein Trinkpäckchen.

„Ich backe auch, wenn ich fröhlich bin“, protestierte Mara und sah, wie Evies Blick sich auf den Tisch senkte, als sie die Augenbrauen zusammenzog.

„Du bist nicht oft fröhlich“, sagte ihre Tochter, und der unausgesprochene Vorwurf versetzte Mara ein Stich ins Herz. Sie spürte ihren Puls bis in den Hals. Wie hatte ihre Tochter das nur mitbekommen? Mara strengte sich sehr an, in Evies Gegenwart fröhlich zu sein. Sie las ihr vor, sie sang und spielte mit ihr. Sie lachte, selbst wenn sie weinen wollte, und allem Anschein nach waren ihre Versuche, fröhlich zu wirken, nutzlos gewesen.

Bevor sie sich eine Antwort zurechtlegen konnte, machte Parker sich einen Spaß daraus, so zu tun, als könne er die Chipstüte, die er aus der Tasche genommen hatte, nicht festhalten, und warf sie in die Luft.

Evie und Anna quiekten vor Freude, als er auf die Bank sprang und weiter so tat, als würde die Tüte ihm entwischen, bevor er sie zuletzt wie ein heißgeliebtes Baby hin- und herwiegte. „Wir wollen keine Kartoffelbrösel“, sagte er und streichelte die Verpackungsfolie. „Ich lasse dich nicht wieder los.“

Mara zwang sich zu einem Lächeln, während sie die Sandwiches verteilte, und war dankbar für die Ablenkung, für die er sorgte. Sie war doch glücklich – oder zumindest das, was dem am nächsten kam. Sie würde nicht zulassen, dass ihre Tochter sie unglücklich erlebte.

„Limonade oder Wasser mit Sprudel?“, fragte Parker in sanftem Ton, als wüsste er, wie zerbrechlich sie sich in diesem Moment fühlte, auch wenn sie nichts erklärt hatte.

„Wasser“, antwortete sie und griff nach der Chipstüte. Sie öffnete sie und blickte suchend hinein. „Ich glaube, du hast keinen einzigen zerkrümelt.“

„Ich habe sanfte Hände.“

Beim Klang seiner tiefen Stimme zog sich ihr Bauch zusammen, und sie hätte beinahe die ganze Tüte auf Annas Teller geleert.

Die Mädchen waren in eine wichtige Diskussion über das schönste Rot in ihren Buntstifteschachteln vertieft und nahmen deshalb nichts wahr. Ihr Kommentar über das Glücklichsein lag für Evie schon weit zurück. Mara war diejenige, die in einem Gefühlschaos steckte.

„Wer freut sich schon auf das Fußballspiel am Wochenende?“, fragte sie Evie und Anna.

„Ich“, sagte Anna mit vollem Mund. „Ich werde drei Tore schießen.“

„Ich werde kein Tor schießen“, sagte Evie und legte die angegessene Hälfte ihres Sandwiches auf den Teller.

„Du musst daran glauben“, ermunterte Parker sie.

„Evie hat Angst vor dem Ball“, sagte Anna nüchtern. „Sie hasst Fußball.“

„Sie hasst es nicht“, sagte Mara schnell. Das Herz wurde ihr schwer, als sie sah wie Evies weiche Lippen dünn wurden. „Hasst du es, Sweetheart?“

„Ich bin schlecht“, murmelte Evie. „Die Schlechteste im Team.“

„Daddy gibt dir auf dem Feld eine Position neben meiner“, sagte Anna und klopfte ihrer Freundin auf die Schulter. „Ich spiele einfach für dich mit.“

„Ich wette, du bist nicht schlecht“, sagte Parker zu Evie. „Manche Sportler entwickeln sich einfach langsamer als andere.“

Der Ansatz eines Lächelns flog über Evies Gesicht, bevor sie den Kopf schüttelte. „Ich bin schlecht“, wiederholte sie.

„Wir könnten mehr trainieren“, bot Mara sofort an.

„Vielleicht“, stimmte Evie zu, aber sie sah nicht überzeugt aus.

Mara biss noch einmal in ihr Sandwich. Sie hatte ihr Hähnchensalatrezept, kurz nachdem sie nach Starlight gezogen waren, perfektioniert. Aber jetzt schmeckte er nach nichts.

„Ich bin satt, Mommy“, sagte Evie.

„Ich auch“, verkündetet Anna. „Wollen wir Steine in den Bach werfen?“

Evie zuckte mit den Schultern. „Ich schaue dir zu.“

Anna strahlte, als stünde ihr Evies Aufmerksamkeit zu. Obwohl Anna monatelang krank gewesen war, war sie noch immer selbstbewusst und aufgeschlossen. Evie war damit zufrieden, in Annas Schatten mitzugehen, egal wie sehr Mara sich für ihre Tochter gewünscht hätte, dass ihr auffiel, wie talentiert und besonders sie selbst war.

„Bitte spielt auf der Lichtung, wo ich euch sehen kann“, sagte sie den Mädchen. „Und denkt daran, nicht zu nah an den Fluss zu gehen.“ Der Meadow Creek war um diese Jahreszeit nicht mehr als ein plätschernder Bach, deshalb fühlte sie sich sicher dabei, die Mädchen vom Picknickplatz aus zu beaufsichtigen. „Ich komme runter, sobald ich die Reste des Picknicks aufgeräumt habe.“

„Ich helfe dir“, bot Parker an, der aufstand, als die Mädchen loszogen. „Außer du möchtest, dass ich mit ihnen mitgehe?“

„Für ein paar Minuten ist das schon okay. Wir können sie ja von hier aus gut sehen.“

„Sie sind so unterschiedlich“, sagte er und trank einen Schluck. „Aber es scheint ihnen nichts auszumachen.“

„Überhaupt nicht“, stimmte Mara zu und spürte, dass ihre Schultern sich entspannten. Vielleicht hatte sie einiges in ihrem Leben vermasselt, aber tief in ihrem Herzen wusste sie, dass der Umzug mit ihrer Tochter nach Starlight richtig gewesen war. „Anna war gerade mit ihrer Chemo fertig, als wir hierherzogen. Sie war ganz kahl, es ging ihr gar nicht gut. Sie hatte auch Gewicht verloren und sah … nun …“

„Krank aus?“, fragte Parker sanft.

„Ja. Es war ihr zweites Jahr in der Vorschule. Es ist wahrscheinlich keine Überraschung, dass sie im Jahr vorher das beliebteste Mädchen war. Aber als das neue Jahr anfing, waren einige Kinder über ihr Aussehen schockiert.“ Sie schüttelte den Kopf. „Die Lehrerin hat versucht, ihnen beizubringen, dass Krebs zum Leben dazugehört, aber du weißt ja, wie Kinder sein können.“

„Kleine Deppen“, murmelte er.

„Bei manchen hätten die Eltern meiner Meinung nach mehr tun können, um das Stigma zu verkleinern. Das war schwer für Anna.“ Mara drehte sich zu ihm. „Hat Josh dir nicht davon erzählt?“

Ein Muskel zuckte in seiner Wange. „Ich wusste nichts von Annas Krebs, bis ich im Sommer zur Beerdigung eines Freundes hier war.“

„Brynns verstorbener Mann?“

„Ja, Daniel und ich sind zusammen auf der Highschool gewesen. Wir waren alle befreundet.“

„Brynn ist ein toller Mensch und so positiv. Ich bewundere sie dafür. Wenn meine Tochter mit dem, was sie vorhin gesagt hat, recht hat, muss ich an meiner Einstellung arbeiten.“

„Ich mag deine Einstellung“, sagte er. „Du lässt dir nichts gefallen.“

Mara spürte, wie das Kompliment ihre Wangen warm werden ließ. Wenn es doch nur wahr wäre.

„Wie oft kommst du zu Besuch nach Starlight?“, fragte sie und blickte weiter zu den beiden Mädchen, die in der Nähe des Wassers spielten. Irgendwie kam sie sich weniger neugierig vor, wenn sie nicht in seine blauen Augen sah.

„Nie.“ Er zog eine Grimasse. „Ich bin nicht stolz darauf, aber bis vor Kurzem habe ich gedacht, dass es nicht notwendig ist.“

„Du bist Josh wichtig“, sagte sie und legte eine Hand auf seinen Arm. Seine Muskeln verhärteten sich unter ihren Fingern, und sie zog ihre Hand zurück, als hätte sie versehentlich in glühende Kohlen gelangt.

Eine Armlänge. Das war ein sicherer Abstand. Noch besser, sie gingen zum Fluss hinunter und waren nicht länger allein.

„Ich würde alles für ihn und Anna tun“, sagte er, während er ihr folgte. „Auch wenn ich kein Problem mit deiner Einstellung habe – warum bist du unglücklich?“, fragte er plötzlich, und Maras Rücken versteifte sich.

„Ich bin glücklich.“

„Das hat Evie aber nicht gesagt.“

„Ich bin eine alleinerziehende Mutter, die versucht, ihr Kind durchzubringen. Sie verwechselt Erschöpfung mit Unglück. Wie gesagt, ich werde daran arbeiten.“ Mara grinste so breit, wie sie konnte. „Achte nicht auf meine geschwollenen Augen, und schau dir mein freudestrahlendes Lächeln an.“

„Freudestrahlend“, wiederholte er und zog dabei einen Mundwinkel auf eine Art nach oben, die ihren Puls schneller werden ließ. „Das Wort passt zu dir.“ Er hob einen Stein auf, rieb ihn zwischen den Fingern hin und her und ließ ihn auf der Wasseroberfläche des Flusses springen.

Die beiden Mädchen klatschten, kreischten und wollten mitmachen. Parker tat ihnen den Gefallen, hockte sich in der Nähe des Ufers hin und suchte zwei Steine, die er den Mädchen gab. Er erklärte ihnen, was einen guten Wurf ausmachte.

Anna tanzte um ihn herum, während er sprach, und konnte ihren Enthusiasmus kaum zügeln. Evie dagegen hörte genau zu, umklammerte den Stein mit ihren weichen Fingern und hielt ihn genau so, wie Parker es vormachte.

Er warf als Erster und übertrieb das Zurückschnellen seines Handgelenks, um seinen kleinen Schülerinnen die Bewegung deutlich zu machen. Sein Stein kam dreimal auf dem stillen Wasser auf, bevor er versank.

Anna trat nach vorn und warf ihren Stein so weit, dass er auf der anderen Uferseite landete. „Ich bin stark“, sagte sie mit einem Lachen und hob ihren Arm, um ihren kleinen Muskel zu zeigen.

„Das bist du“, stimmte Parker ihr zu, bevor er zu Evie blickte. „Bist du bereit?“

Mara hielt die Luft an, als ihre Tochter nickte.

Sie konnte sehen, dass Evie es unbedingt schaffen wollte. Ihre Tochter biss sich auf die Unterlippe und kniff ihr Gesicht zusammen.

„Ganz entspannt“, sagte Parker ruhig. „Du kannst das.“

Einen Moment lang stellte Mara sich vor, er würde zu ihr sprechen. Dann hob Evie ihren Arm seitlich hoch, winkelte ihr Handgelenk an und ließ den Stein auf den Fluss zu fliegen. Der dunkle Stein traf zweimal in schneller Folge auf der Wasseroberfläche auf und rief bei Anna und Parker Jubel hervor.

„Du hast es geschafft, Evie“, rief Anna und umarmte ihre Freundin. „Du hast ihn springen lassen.“

Evies Lächeln war so strahlend und wahrhaftig, dass Mara das Herz wehtat.

„Gut gemacht, Mädchen“, sagt Parker und klopfte Evie auf die Schulter. „Du bist ein Naturtalent.“

Evie strahlte noch mehr, falls das möglich war. Maras Herz klopfte vor Freude. Hatten sie nicht gerade von freudestrahlend gesprochen?

„Lass uns jetzt nach Tausendfüßlern suchen“, sagte Anna. „Ich wette, unter den Steinen sind ein paar.“

„Okay“, stimmte Evie zu und folgte ihrer Freundin mit einem letzten Blick auf den Fluss.

Parker sah ihnen beim Weggehen zu, las einen weiteren Stein auf und drehte sich zu Mara. „Willst du es auch mal versuchen?“

Sie schüttelte ihren Kopf. „Ich bin glücklich.“ Sie drückte zwei Finger gegen ihre Brust. „Genau jetzt, in diesem Moment, bin ich wirklich glücklich. Danke.“

Parkers Lippen öffneten sich, und seine Nasenflügel weiteten sich, als bekäme er nicht genug Luft. Mara kannte das Gefühl.

Er kam näher, sehr nah, aber sie wich nicht zurück. Sie hatte das Gefühl, an Ort und Stelle verwurzelt zu sein, wie die Kiefern um sie herum.

Seine eisblauen Augen wanderten für einen Moment zu den Mädchen, dann zurück zu ihr. Er beugte sich nach vorn und küsste sie, ein federleichtes Streichen seiner Lippen gegen ihre. Sie konnte die Berührung bis in ihre Zehenspitzen fühlen und hätte beinahe aus Protest aufgestöhnt, als er sich wegbewegte.

Aber sie widersprach nicht, obwohl ihr der Atem wieder stockte, als er mit seinem Daumen über die empfindliche Haut unter ihrem Auge strich. „Du solltest öfter glücklich sein. Sogar freudestrahlend.“

Sie schloss die Augen und zwang sich dazu, an all die Gründe zu denken, aus denen sie diesen Mann nicht nahe an sich heranlassen durfte. Sie ballte die Hände zu Fäusten und stemmte sie in die Seiten.

„Erinnerst du dich an meine Scheidung?“, fragte sie und öffnete die Augen, um ihn wieder anzustarren. Es dauerte eine Sekunde, aber sie sah den Moment, in dem sein Schutzwall zurückkehrte. Ein unmerkliches Verschließen seines Blickes und das Erstarren seines Körpers. „Ja.“

Sie nickte. „Dann weißt du, warum ich so bin, wie ich bin.“ Mit ihren Fingerspitzen berührte sie die Stelle, an der er sie berührt hatte, und musste das Gefühl seiner Nähe von ihrem Körper streichen.

„Um das alleinige Sorgerecht für Evie zu bekommen, musste ich auf jeglichen Kindesunterhalt von Paul verzichten. Keine Alimente. Keine Zahlungen. Ich hatte nach der Scheidung meine Tochter, meine Kleidung und ein Auto.“ Ihre Fingernägel bohrten sich in das weiche Fleisch ihrer Handinnenfläche, und sie war froh um den stechenden Schmerz. „Mein Ex-Mann besitzt Millionen und von allem das Beste. Ich habe nichts von ihm bekommen. Das ist kein Problem für mich, aber meine Tochter hat unter all dem gelitten. Du hast diesen Deal ausgehandelt.“

„Ich habe meinen Job gemacht“, sagte er, doch die Grimasse, die er zog, als er die Worte sagte, zeigte, dass er wusste, wie lahm sie klangen.

„Das hilft mir jetzt auch nicht mehr, Parker. Wenn du wissen möchtest, was mir mein Glück genommen hat, dann schau in den Spiegel.“ Sie drehte sich um und folgte den Mädchen, damit sie den Schmerz nicht sehen musste, den ihre Worte in seinen Augen aufflackern ließen.

6. KAPITEL

„Ich sollte gar nicht hier sein“, seufzte Mara, als sie sich am folgenden Abend in einer Sitzecke des „Trophy Room“ ihren Freundinnen Kaitlin und Brynn gegenübersetzte. Selbst um halb fünf an einem Wochentag war die Bar halbvoll. Mara hatte gehört, dass der Trophy Room in Starlight eine Institution war. Das Innere war auf gemütliche Art altmodisch: Eine Reihe von Sitzecken zog sich eine Wand entlang, hohe Bartische standen um die offene Mitte, und eine drei Meter lange Bar mit einer Theke aus Kirschholz erstreckte sich auf der anderen Seite.

„Du hast mindestens eine Stunde“, sagte Kaitlin, und schob eine Margaritaglas in ihre Richtung. „Das ist genug Zeit für einen schnellen Drink.“

„Die guten Eltern schauen beim Training zu“, murmelte Mara und erntete ein leises Schnauben von Brynn, die neben Kaitlin saß.

„Die hoffen, dass ihr Kind der nächste Messi ist!“ Brynn nahm einen kleinen Schluck von ihrem Getränk.

Mara runzelte dir Stirn. „Wer ist Messi?“

„Lionel Messi. Einer der größten Fußballspieler aller Zeiten“, erklärte Brynn. „Er spielt für Barcelona.“

„Warum weißt du so was?“, fragte Kaitlin und hob dann plötzlich eine Hand. „Schon klar. Du hast einen zehnjährigen Sohn. Das erklärt alles.“

„Solche Ambitionen habe ich nicht.“ Mara leckte ein wenig Salz vom Rand ihres Glases. „Ich freue mich, wenn Evie sich nicht übergibt oder umgestoßen wird. Ich fühle mich schon schuldig, dass ich sie überhaupt dazu ermuntert habe, sich beim Fußball anzumelden. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, aber sie ist dort unglücklich. Ich bin eine furchtbare Mutter.“

„Du bist keine furchtbare Mutter“, widersprach Brynn ihr in trockenem Ton. „Es ist die Aufgabe einer Mutter, ihre Kinder dazu zu bringen, ihre Grenzen kennenzulernen. Was hätten sie sonst später in der Therapie zu erzählen?“

Mara lachte. Es erstaunte sie, dass Brynn nach allem, was sie hinter sich hatte, noch witzeln konnte.

„Ich befürchte, Evie wird genügend Stoff für die Therapeutencouch haben“, sagte sie und nahm einen kleinen Schluck von ihrer Margarita. Der Geschmack von Limette brannte in ihrem Hals, aber sie entspannte sich das erste Mal an diesem Tag.

Brynn hielt ihr Glas in einer spöttischen Geste hoch. „Vielleicht können sie und Tyler einen Gruppenrabatt bekommen.“

„Ihr macht mich noch wahnsinnig“, sagte Kaitlin und nahm sich ein Stück Sellerie von dem Teller, der in der Mitte des Tisches stand, und lud etwas Spinat-Dip darauf. „Ich bin noch nicht einmal verheiratet und mache mir schon jetzt Sorgen darüber, wie Finn und ich unsere Kinder kaputt machen.“

„Ihr werdet das wunderbar machen.“ Brynn klopfte Kaitlin auf die Schulter. „Finn liebt dich, und er ist ein anständiger Kerl. Ihr werdet heiraten und superhübsche Kinder bekommen.“

Alle drei Frauen lachten.

„Jetzt fühle ich mich noch schlechter.“ Mara betupfte sich die Augenwinkel. „Evie steckt im Training fest, und ich bin hier am Trinken und habe Spaß. Ich kann doch keinen Spaß haben, während sie unglücklich ist!“

Brynn nahm sich ein dreieckiges Stück Pita und deute damit auf Mara. „Sie ist bei Josh in guten Händen, also mach dir keine Sorgen.“

„Wo wir gerade von tollen Händen sprechen …“ Kaitlin wackelte mit ihren Augenbrauen. „Erzähl uns, wie es ist, Zeit mit Parker zu verbringen.“

Autor

Marie Ferrarella

Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...

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