Bianca Gold Band 63

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Das hat Carrie gerade noch gefehlt: ein Single-Dad mit Millionen-Dollar-Lächeln nebst zwei Zwillingen und zwei Ponys namens Donner und Blitz! Allesamt eine verflixte Versuchung – dabei ist Carrie bindungsscheu und wollte bei dem sexy Richter nur einen Strafzettel bezahlen …

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  • Erscheinungstag 21.05.2021
  • Bandnummer 63
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501996
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jan Hudson, Stacy Connelly, Christine Rimmer

BIANCA GOLD BAND 63

1. KAPITEL

Wütend riss Carrie Campbell die Eingangstür auf und stürmte ins Büro des Friedensrichters. Dass ein übereifriger Polizist ihr keine zwei Minuten, nachdem sie die Grenze passiert hatte, einen Strafzettel verpasst hatte, ärgerte sie maßlos. Sie sei in einer Tempo-Fünfzig-Zone mit einer Geschwindigkeit von einundsiebzig Meilen pro Stunde gefahren, hatte er behauptet. Dabei hatte sie gar kein Schild gesehen. Was konnte sie dafür, dass ein riesiger Sattelzug am Straßenrand stand und das Schild verdeckte?

Diese Ungerechtigkeit wollte sie sich nicht bieten lassen. Andererseits durfte sie in Naconiche County, Texas, kein Aufsehen erregen, jedenfalls nicht, bevor ihr Auftrag erledigt war. Sie konnte sich gut vorstellen, was ihr Onkel Tuck jetzt sagen würde. „Steig von deinem hohen Ross, Mädchen, und bezahl den verdammten Strafzettel. Weck bloß keine schlafenden Hunde. Denk dran, du hast dort etwas zu tun.“

Carrie atmete tief durch. Okay. Sie würde den verdammten Strafzettel bezahlen – sobald sie jemanden fand, der ihr Geld annahm. Am Empfang saß niemand.

Auf der anderen Seite des großen Vorzimmers entdeckte sie eine angelehnte Tür.

Horace P. Pfannepatter, Friedensrichter, stand in schwarzen Buchstaben auf der Milchglasscheibe. Durch den Türspalt konnte sie einen dunkelhaarigen Mann mit weißem Hemd und Krawatte in einer Schreibtischschublade wühlen sehen. Sie klopfte an die Scheibe und stieß die Tür auf. „Hallo?“

Er hob den Kopf.

Verblüfft starrte sie ihn an. Der Richter war sehr attraktiv. Er hatte große braune Augen mit auffallend langen Wimpern und ein klassisch geschnittenes Gesicht. Sie gab es nur ungern zu, aber der Typ raubte ihr den Atem.

Schade, dass er einen solchen Namen hatte. Welche Frau interessierte sich schon für jemanden, der Horace P. Pfannepatter hieß?

„Wofür steht das P?“

Er sah sie verblüfft an und musterte sie von Kopf bis Fuß. Offenbar war er noch nie einer Frau in Shorts begegnet. „Wie bitte?“

„Das P in Horace P. Pfannepatter. Wofür steht es?“

„Oh. Puffer. Das ist ein Nachname.“

Das hatte sie sich fast gedacht. Wirklich schade. Genau wie der Ehering, den er trug.

Wieder ließ er den Blick an ihr hinabgleiten.

Vielleicht war es doch keine so gute Idee, die Strafe zu bezahlen. Zwanzig zu eins, dass sie Horace mit etwas Süßholzraspeln dazu bringen konnte, das Ticket zu vergessen. Außerdem war da noch das Foto, das sie von dem Schild und dem Sattelzug davor gemacht hatte. Und die Tatsache, dass sie dem Richter offenbar gefiel. Genauer gesagt, ihre nackte Haut.

Nein, besser nicht. Sie seufzte. „Ich muss einen Strafzettel bezahlen.“

„Einen Strafzettel? Oh. Da kann Maureen Ihnen helfen.“

„Maureen?“

„Ja. Am Empfang.“

„Da war niemand.“

„Mal sehen, ob wir sie finden.“ Er stand auf.

Der Mann war reines Dynamit. Mindestens eins fünfundachtzig und kein Gramm zu viel. Als er ihren Rücken berührte, um sie aus dem Zimmer zu geleiten, fühlte es sich an wie ein Stromstoß.

Als er auch noch lächelte, wurden ihre Knie weich. Seine Zähne waren strahlend weiß, und das Lächeln war ein wenig schief, aber gerade deshalb hinreißend. „Ah, da ist Maureen. Sie kann Ihnen helfen.“

Eine Frau mittleren Alters mit blond gefärbtem Haar sah ihn betrübt an. „Oh, Richter, Entschuldigung. Ich war im Lagerraum, um noch einen Karton zu holen.“

„Kein Problem. Diese Lady muss ein Ticket bezahlen.“

„Ja, Sir. Hier.“ Maureen reichte ihm einen leeren Pappkarton.

„Danke. Der ist genau richtig.“

Der Richter verschwand in seinem Zimmer, und Carrie blätterte Maureen siebenundachtzig Dollar hin. Dann steckte sie die Quittung ein und fuhr zum Twilight Inn. Sie war müde und durstig und wollte endlich in das Motel, das für eine Weile ihr Zuhause sein würde.

Frank Outlaw, Richter am Gericht von Naconiche County, stand am Fenster und drehte gedankenverloren seinen Ehering, während er dem weißen BMW nachschaute. So heftig hatte er zuletzt als Teenager auf eine Frau reagiert. Seit dem Tod seiner Frau dachte er nicht mal mehr an Sex.

Aber etwas an der dunkelhaarigen Frau mit veilchenblauen Augen, die gerade in Horaces Büro gestürmt war, hatte ihn aufgewühlt. Deshalb hatte er keinen kompletten Satz von sich geben können.

Er hatte schon immer eine Schwäche für langbeinige Frauen gehabt, und diese Frau hatte die längsten und hübschesten Beine, die ihm jemals über den Weg gelaufen waren. Verdammt, alles an ihr war hinreißend. Groß und schlank, mit faszinierenden Augen und vollen Lippen. Nicht einmal der etwas schiefe Vorderzahn und die winzige Narbe an der Seite des Kinns lenkten davon ab. Im Gegenteil, beides ließ sie noch geheimnisvoller und sinnlicher erscheinen.

Frank lachte leise. Gut, dass sein Bruder J. J. nicht da war. J. J. drängte ihn dauernd, mit einer Frau auszugehen, aber Frank war einfach nicht interessiert. Susan war die Liebe seines Lebens gewesen, und mit ihrem Tod war auch in Frank etwas gestorben.

Zum Glück war die schöne Unbekannte vermutlich nur auf der Durchreise gewesen.

Es klopfte an der Tür, und Maureen schaute herein. „Entschuldigen Sie die Störung, Richter. Das war heute schon der dritte Strafzettel, den Otis Purvis an derselben Stelle ausgestellt hat. Und am Straßenrand steht ein Sattelschlepper und verdeckt das Schild. Ich habe es heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit selbst gesehen. Deshalb habe ich Miss Campbell gesagt, dass sie Widerspruch einlegen kann, aber sie hat darauf bestanden, die Strafe zu bezahlen.“

„Miss Campbell?“

„Carolyn Campbell. Aus Houston. Sie wohnt im Twilight Inn. Ich habe ihr den Weg beschrieben.“

Frank schluckte. Das Twilight Inn war das Motel von Mary Beth Parker, seiner zukünftigen Schwägerin. Es lag an seinem Nachhauseweg. Er nickte. „Ich muss um zwei Uhr wieder im Gericht sein, also beeile ich mich besser. Ich bin gleich fertig, Maureen, dann bringe ich Horaces Sachen zu Ida.“

„Das weiß sie bestimmt zu schätzen.“

„Das ist das Mindeste, was ich für einen alten Freund tun kann. Und ich weiß, dass Fletcher es kaum abwarten kann, hier einzuziehen.“

„Horace fehlt mir. Er war schon Friedensrichter, als ich klein war.“

„Ich weiß. Wir alle werden ihn vermissen.“

Maureen kehrte an ihren Schreibtisch zurück, und Frank packte weiter ein. Er gab sich die größte Mühe, dabei nicht an Carolyn Campbell und ihre Beine zu denken. Es gelang ihm nicht.

Carrie fand das Twilight Inn ohne Probleme. Es war ein altmodisches Motel mit frisch gestrichener Fassade und roten Geranien in Blumenkästen. Am Nachbargebäude stand The Twilight Tearoom, und sie konnte nur hoffen, dass es dort schmeckte. Sie hatte das Mittagessen verpasst und war hungrig.

Als sie den Empfang betrat, saßen dort vier alte Männer und spielten Domino. Alle musterten sie von Kopf bis Fuß, und einer stand auf. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er und ließ dabei sein künstliches Gebiss aufblitzen.

„Ich bin Carrie Campbell und habe reserviert.“

Er schaute ins Buch. „Ja. Sie haben Nummer 5. Ich bin Will, und das sind Curtis, B. D. und Howard.“ Er holte einen Schlüssel. „Wenn Sie sich eintragen, holt B. D. Ihr Gepäck.“ Er reichte ihr einen Kugelschreiber.

„Das kann ich selbst tun, aber danke.“

„Kein Problem. Gehört zum Service. Und B. D. ist kräftiger, als er aussieht.“

„Ich bin fit wie ein Turnschuh“, sagte einer der Männer und erhob sich.

B. D. sah aus, als würde ein stärkerer Windstoß ihn bis nach Oklahoma wehen können. Carrie wollte ihn nicht kränken und zögerte. Dann lächelte sie. „Danke.“

„Keine Ursache.“ B. D. strahlte sie an.

„Ich würde gern etwas essen. Hat das Restaurant geöffnet?“

„Das ist nur von elf bis eins offen, aber bestimmt ist Mary Beth noch in der Küche und kann Ihnen etwas machen. Ich frage sie.“ Er eilte davon.

Der vierte alte Mann stand ebenfalls auf. „Ich bin Howard und helfe B. D. mit dem Gepäck. Bleiben Sie länger?“

„Vielleicht ein paar Wochen“, antwortete Carrie. „Ich bin Familienforscherin und suche für einige Klienten nach Vorfahren aus dieser Gegend.“ Die Lüge kam ihr leicht über die Lippen. Es war besser, wenn nicht zu früh bekannt wurde, dass sie für eine Ölfirma das Land erkunden wollte. Um keine Konkurrenten auf den Plan zu rufen, gab sie sich oft als Genealogin aus, zumal die Ahnenforschung zu ihren Hobbys gehörte.

„Tatsächlich?“, sagte B. D. „Dann sollten Sie mit Millie unten in der Bücherei reden. Sie weiß alles über die Geschichte der Stadt und der ersten Siedler.“

„Danke für den Tipp.“

B. D. kniff die Augen zusammen. „Mir ist gerade aufgefallen, dass Ihre Augen violett sind. Sehr hübsch und ungewöhnlich.“

Wenig später war das Gepäck ausgeladen. Carrie sah sich erstaunt in ihrem Zimmer um. In ihrem Job hatte sie schon üble Absteigen erlebt, aber dieses Zimmer war hell und freundlich. Die Wände waren pfirsichfarben, und die Tagesdecke auf dem Doppelbett passte zu den gelb-grünen Vorhängen. Gerahmte Aquarelle und eine grüne Sitzgruppe gaben dem Raum etwas Gemütliches.

Howard legte ihren Laptop auf den kleinen Schreibtisch. „Das Badezimmer ist dort.“ Er zeigte nach hinten. „In der Kochnische gibt es eine Mikrowelle, eine Kaffeemaschine und einen kleinen Kühlschrank. Sie können hier frühstücken. Wenn Sie etwas Kräftigeres wollen, gehen Sie in den City Grill. In der Broschüre auf dem Schreibtisch steht alles, was Sie wissen müssen.“

„Darin finden Sie auch einen Stadtplan“, fügte B. D. hinzu. „Ansonsten fragen Sie einfach nach dem Weg. In Naconiche sind alle sehr nett.“

Es klopfte, und eine attraktive Blondine kam mit einem Tablett herein. „Hi, Carrie. Ich bin Mary Beth Parker, mir gehören das Twilight Inn und der Tearoom. Ich habe Ihnen eine Suppe, ein Sandwich und Himbeertee mitgebracht. Hoffentlich mögen Sie Avocados.“

„Ich liebe Avocados.“ Carrie lächelte. „Danke, dass Sie mich vor dem Verhungern bewahren.“

„Willkommen in Naconiche, Carrie. Curtis hat mir erzählt, dass Sie ein paar Wochen bei uns bleiben.“

„Sie ist eine von diesen Familienforschern“, warf B. D. ein.

„Wie faszinierend“, sagte Mary Beth. „Ich würde sehr gern mehr darüber hören, aber sicher möchten Sie erst mal essen und sich einrichten. Meine Tochter und ich wohnen hinter dem Büro. Melden Sie sich, wenn Sie etwas benötigen.“

„Vielen Dank.“

„Kommt schon, Jungs.“ Mary Beth scheuchte die alten Männer hinaus. „Carrie muss sich ausruhen.“

Lächelnd schloss Carrie die Tür hinter ihnen. Mary Beth war ihr auf Anhieb sympathisch. Sie beide waren etwa gleich alt, und unter anderen Umständen wären sie vielleicht sogar Freundinnen geworden. Auf jeden Fall war Mary Beth eine wertvolle Informationsquelle.

Obwohl sie aus der Großstadt kam, fühlte sie sich in diesem Provinznest wohl. Vielleicht lag es daran, dass sie schon das im Boden verborgene Öl riechen konnte.

Als sie die Serviette vom Tablett nahm, musste sie kurz an Richter Horace P. Pfannepatter denken. Zu schade, dass er verheiratet war.

Ohne ihre morgendliche Kaffeedosis war Carrie nicht zu gebrauchen, aber sie bekam die Dose nicht auf. Wütend warf sie den nutzlosen Öffner in eine Ecke. Mehr als ein Loch hatte sie damit nicht zustande gebracht, und der Duft, der aus der Dose strömte, machte sie rasend.

Hoffentlich öffnete der City Grill früh. Hastig zog sie Jeans und einen Pullover an, schnappte sich die Aktentasche und fuhr ins Zentrum.

Im Café herrschte bereits Betrieb. Am Tresen waren nur noch zwei Plätze frei. Sie setzte sich und schob die Tasche zwischen ihre Füße.

„Was darf’s sein?“, fragte die zierliche Kellnerin, die eine dampfende Kanne in der Hand hielt.

„Kaffee“, erwiderte Carrie. „Je eher, desto besser.“

Die Frau lachte. „Mal wieder so ein Morgen, was? Das kenne ich.“ Sie stellte einen Becher hin und füllte ihn. „Sahne?“

„Nein. Schwarz ist okay.“

Die Kellnerin wandte sich dem älteren Mann neben Carrie zu. „Morgen, Mr. Murdock. Ich habe Sie ein paar Tage nicht gesehen.“

„Guten Morgen, Vera. Ich war in Dallas und bin erst gestern Abend wiedergekommen.“

„Haben Sie von Horace Pfannepatter gehört?“

Carrie spitzte die Ohren.

Der alte Mann, der einen Anzug mit roter Fliege trug, nickte ernst. „Ja. Traurige Geschichte. Und das in der Blüte seines Lebens. Ida muss am Boden zerstört sein. Ich rufe sie nachher an.“

„Sie ist ziemlich erschüttert. Die beiden standen sich sehr nahe. Ich weiß nicht, was sie ohne ihn tun wird.“ Vera sah Carrie an. „Haben Sie sich schon entschieden, was Sie zu Ihrem Kaffee wollen?“

Daran hatte Carrie noch gar nicht gedacht. War das ihr Horace Pfannepatter, von dem die beiden sprachen? „Ich nehme … einen getoasteten Bagel.“

Vera lächelte. „Bagel gibt’s hier nicht, aber ich kann Ihnen Pfannkuchen bringen.“

„Auch gut“, sagte Carrie abwesend. „Entschuldigen Sie, dass ich zugehört habe. Reden Sie gerade von dem Friedensrichter Horace Pfannepatter?“

„Vera!“, rief eine Männerstimme von hinten. „Können wir noch eine Runde Kaffee bekommen?“

„Immer mit der Ruhe, J. J. Bin gleich da!“, rief sie zurück, bevor sie Carrie zunickte. „Genau der. Er ist einfach tot umgekippt. Herzinfarkt.“

Carrie konnte nicht glauben, dass der attraktive Friedensrichter plötzlich verstorben war. Er hatte so vital ausgesehen. Obwohl sie den Mann kaum gekannt hatte, traf sie der Verlust hart. Bei der Vorstellung, Pfannkuchen zu essen, rumorte ihr Magen. Sie trank den Kaffee aus, legte einen Geldschein auf den Tresen und flüchtete aus dem Diner.

Sie beschloss, einen Dosenöffner zu kaufen, ins Motel zurückzukehren und dem Tag eine zweite Chance zu geben. Doch auf der Suche nach einem Haushaltswarengeschäft musste sie immer wieder an den verstorbenen Richter denken. Sie war dem Mann nur kurz begegnet … aber trotzdem hatte er einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Nachdem sie sich mit einem Kaffee und einem Pfirsichjoghurt gestärkt hatte, fuhr Carrie wieder in die Stadt und parkte vor dem alten Gerichtsgebäude mit seinen imposanten Säulen. Mehrere hohe Bäume spendeten Schatten, und gepflegte Blumenbeete säumten die Wege.

Sie musste herausfinden, wem das Land gehörte, das ihre Firma pachten wollte. Das war nicht schwierig. Aber häufig lagen die Schürfrechte nicht allein bei den aktuellen Eigentümern. Oft hatten die Vorbesitzer einen Anteil behalten, was bedeutete, dass Carrie sich die Kaufverträge ansehen und die Erben aufspüren musste. Die Nachforschungen fand sie immer wieder spannend.

Im Gerichtsgebäude stieg ihr der vertraute Duft von Akten, Reinigungsmitteln und Tabak in die Nase. Nach einer kurzen Besichtigungstour, bei der sie den polierten Marmor und die dunklen Eichenholzdecken bewunderte, fand sie das zuständige Büro im ersten Stock, auf demselben Flur wie das Büro des Bezirksrichters.

Richter Frank J. Outlaw stand auf dem Messingschild neben der Tür. Sie musste lächeln. Outlaw, was für ein eigenartiger Name für einen Richter.

Ein Mitarbeiter gab ihr die gewünschten Unterlagen. Carrie holte ihren kleinen Computer und einen Notizblock heraus und machte sich an die Arbeit.

Es war fünf vor zwölf. Carrie hatte Hunger. Sie verwarf die Idee, einfach über die Straße in den City Grill zu gehen, sondern entschied sich für den Tearoom und packte ihre Sachen ein. Doch schon nach wenigen Schritten läutete ihr Handy.

Während sie in der Tasche danach suchte, stieß sie mit jemandem zusammen. „Entschuldigung“, sagte sie und hob verlegen den Kopf.

Ihr Herz schlug schneller, und sie erbleichte. Es war Horace P. Pfannepatter. „Mein Gott. Ich denke, Sie sind tot!“

Er lächelte. „Nein. Ihr Handy läutet übrigens.“

„Aber … die Kellnerin im Café hat vorhin erzählt, dass Sie einen Herzinfarkt hatten und gestorben sind.“

Er runzelte die Stirn. „Warum sollte sie so etwas behaupten? Ich habe heute Morgen mit meinem Bruder dort gefrühstückt. Sie sollten rangehen“, sagte er und zeigte auf ihre Handtasche.

Sie griff zum Handy. „Ich rufe zurück“, sagte sie und verstaute es wieder. „Vielleicht haben sie über Ihren Vater gesprochen. Haben Sie den gleichen Namen?“

„Nein. Mein Vater heißt John Wesley Hardin Outlaw und wird Wes genannt.“

„Outlaw? Dann … sind Sie … gar nicht der Friedensrichter?“

Wieder lächelte er. „Sie haben mich für Horace gehalten? Nein, ich bin Frank Outlaw.“ Er streckte die Hand aus.

Zu ihrem Ärger errötete sie. „Carrie Campbell. Tut mir leid, dass ich …“ Sie vergaß, was sie sagen wollte.

„Haben Sie schon zu Mittag gegessen?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Warum essen wir nicht zusammen etwas, und ich erkläre Ihnen das mit Horace?“

„Im City Grill?“

„Ich dachte eher an den Twilight Tearoom. Es ist nicht weit.“

„Ich weiß“, erwiderte sie. „Ich wohne im Motel.“

„Natürlich. Maureen hat es erwähnt.“

„Maureen?“

„Die Sekretärin im Büro des Friedensrichters.“

„Ach ja. Ich … muss noch kurz auf mein Zimmer. Treffen wir uns dort?“ Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er noch immer ihre Hand hielt. Hastig zog sie sie zurück und ging zur Treppe.

„Gut. Ich gehe vor und besetze uns einen Tisch, bevor alle weg sind.“

Am Fuß der Treppe läutete Carries Handy schon wieder. „Entschuldigung.“ Es war ihr Onkel Tuck.

„Wie läuft es?“

„Gut. Ich bin gerade im Gerichtsgebäude und will gleich essen.“ Sie ging weiter.

Er bat sie um ein paar Zahlen zu einem anderen Auftrag, und sie versprach, ihm an Nachmittag eine E-Mail zu schicken.

„Diesmal musst du besonders diskret vorgehen, Carrie. Gestern Abend bin ich Wyatt Hearn über den Weg gelaufen. Ich will nicht, dass er uns dieses Projekt vor der Nase wegschnappt. Hast du schon jemanden von seinen Leuten in der Stadt gesehen?“

Wyatt war ein anderer unabhängiger Ölmanager und ein langjähriger Konkurrent ihres Onkels. „Nein. Ich halte die Augen offen. Meinst du, ich sollte mein Haar färben und eine falsche Nase tragen?“

Onkel Tuck lachte fröhlich. „So weit brauchst du nicht zu gehen. Aber du solltest niemanden einweihen, bevor die Verträge nicht unterschrieben sind.“

„Verstanden. Ich melde mich Ende der Woche.“

Am Wagen warf sie ihre Sachen auf den Beifahrersitz und stieg ein. Wenn sie sich beeilte, konnte sie sich noch etwas frisch machen. Es kam nicht oft vor, dass sie mit einem attraktiven Mann zu Mittag aß.

Vergiss nicht, dass er verheiratet ist.

Auf der Fahrt zum Tearoom war Frank so nervös wie ein Teenager beim ersten Date. Dabei war es kein Date, sondern nur eine gemeinsame Mahlzeit. Trotzdem fragte er sich, warum er sich ausgerechnet dort verabredet hatte. Mit Sicherheit würde auch sein Bruder im Tearoom auftauchen, und noch vor dem Nachtisch würden seine Mutter und die halbe Stadt wissen, dass er mit einer hübschen Frau zu Mittag gegessen hatte.

Er bekam den letzten freien Tisch, leider mitten im Raum. „Erst einmal nur einen Eistee“, sagte er zu der jungen Kellnerin. „Oder zwei. Ich warte auf jemanden.“ Er schaute auf die Kreidetafel über der Bar.

„Hallo, großer Bruder“, sagte eine vertraute Stimme.

Verdammt. Es war J. J. „Was tust du hier?“

Grinsend setzte J. J. sich zu ihm. „Was ich hier tue? Ich esse fast jeden Tag hier. Meistens mit dir zusammen. Hey, Lori“, sagte er zu der Kellnerin, die den Eistee und Brot auf den Tisch stellte. „Ich nehme die Spaghetti mit Hähnchenfleisch. Was isst du, Frank?“

„Ich habe noch nicht bestellt.“

„Warum nicht?“ J. J. griff nach einem Glas und trank einen kräftigen Schluck.

„Ich … warte auf jemanden. Lori, bringen Sie noch einen Tee?“

„Gern, Richter. Kommt sofort.“

Stirnrunzelnd stellte J. J. das Glas ab. „Soll ich mich woanders hinsetzen?“

„Nein, nein. Bleib, wo du bist. Es ist nur jemand, dem ich im Gerichtsgebäude über den Weg gelaufen bin.“ In diesem Moment kam Carrie herein, und Frank stand auf.

Lächelnd steuerte sie den Tisch an. Falls sie überrascht war, J. J. zu sehen, ließ sie es sich nicht anmerken. Frank machte die beiden miteinander bekannt.

„Ein Sheriff und ein Richter namens Outlaw“, sagte sie, als sie saß. „Das ist ungewöhnlich.“

„Hin und wieder müssen wir uns dumme Sprüche anhören“, erzählte J. J. „Zumal ich mit vollem Namen Jesse James Outlaw heiße.“

„Und ich Frank James Outlaw.“ Er sah seinen Bruder an. „Ich bin Carrie gestern im Büro des Friedensrichters begegnet. Ich habe Horaces persönliche Sachen eingepackt, um sie Ida zu bringen.“ Er wandte sich wieder Carrie zu. „Horace ist am Wochenende gestorben. Ida ist seine Frau und eine Cousine unseres Vaters.“

„Wir sind mit fast jedem hier verwandt“, sagte J. J.

„Ich habe Ihren Bruder für Horace Pfannepatter gehalten.“

J. J. lachte herzhaft. „Der alte Horace hatte eine Glatze und war doppelt so schwer wie Frank. Sind Sie neu in der Stadt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nur auf der Durchreise. Ich stelle Nachforschungen an.“

Lori kehrte mit einem Glas und J. J.s Teller zurück. „Möchten Sie jetzt bestellen?“

„Die Speisekarte steht auf der Tafel.“ Frank wählte Spaghetti.

„Für mich auch“, sagte Carrie mit einem Blick auf J. J.s Teller. „Die sehen lecker aus.“

„Sind sie. Mary Beth macht die besten Spaghetti in der Stadt. Ich heirate sie nicht wegen ihrer Kochkünste, aber das ist eine angenehme Begleiterscheinung.“

„Oh. Sie und Mary Beth sind verlobt?“

„Ja. Ich bin ein glücklicher Mann. Was sind das für Nachforschungen?“

„In alten Unterlagen. Grundbücher, Kaufverträge, so etwas.“ Sie nippte am Tee. „Der schmeckt großartig. Himbeere, nicht wahr?“

Frank nickte. „Die Spezialität des Hauses.“

„Wollen Sie hier Land kaufen?“, fragte J. J.

Was war bloß mit seinem Bruder los? Er klang, als würde er einen Verdächtigen verhören.

Carrie lachte. „Ich? Du meine Güte, nein. Bitte essen Sie, J. J. Sonst wird es noch kalt.“

„Da kommen Ihre Spaghetti schon.“

Die Kellnerin servierte Carrie und Frank ihr Essen und stellte einen zweiten Korb mit Brot auf den Tisch.

Kurz darauf kam B. D., einer der alten Dominospieler, mit einem Tablett vorbei und blieb stehen. „Miss Carrie, haben Sie schon mit Millie gesprochen?“

„Noch nicht.“

„Millie?“, fragte J. J.

„Millie aus der Bücherei“, erklärte B. D. „Miss Carrie ist Familienforscherin. So, jetzt beeile ich mich besser. Die Jungs warten auf ihr Essen.“

„Familienforscherin?“, wiederholte J. J.

Carrie lachte. „Sie hören sich an, als wäre das eine ansteckende Krankheit.“

„Ich glaube, J. J. will nur sagen, dass Sie nicht gerade wie eine typische Familienforscherin aussehen“, warf Frank ein und bereute seine Worte sofort.

Sein Bruder grinste schadenfroh.

„Wie genau sieht denn eine typische Familienforscherin aus?“, fragte sie belustigt. „Kennen Sie viele davon?“

„Sie sind die erste.“

„Vergiss Millie nicht“, sagte J. J. „Sie hat sogar ein Besuch über die Geschichte unserer Stadt geschrieben. Welche Familie interessiert Sie denn?“, wollte J. J. zwischen zwei Bissen wissen.

„Das darf ich Ihnen nicht erzählen. Meine Klienten legen großen Wert auf Diskretion.“

J. J. lachte. „Weil sie von einem Pferdedieb abstammen?“

Sie lächelte wieder. „Ich habe selbst Vorfahren, die schwarze Schafe waren. Da wir gerade davon reden, warum heißen Sie beide eigentlich nach Gesetzlosen?“

„Das war die Idee meines Großvaters.“ Frank war froh, dass er etwas zur Unterhaltung beisteuern konnte. „Er war auch Richter und der Ansicht, dass ein einprägsamer Name im Beruf und in der Politik ganz nützlich sein könnte. Deshalb hat er unseren Vater John Wesley Harding und unseren Onkel Butch Cassidy genannt. Es hat funktioniert. Unser Vater ist immer wieder zum Sheriff gewählt worden, und Onkel Butch hat bis zu seinem Tod im Senat von Texas gesessen.“

„Und jetzt sind Sie beide Sheriff und Richter. Auch immer wiedergewählt?“

„Bisher“, bestätigte J. J.

Danach sprachen sie über die Geschichte der Stadt und das ehrwürdige Gerichtsgebäude. Carrie stellte alle möglichen Fragen, und er genoss es, sich mit ihr zu unterhalten.

„Woher kommen Sie, Carrie?“, erkundigte sich J. J. irgendwann.

„Aus Houston.“

„Unser ältester Bruder lebt in Houston“, sagte Frank. „Er arbeitet bei der Mordkommission.“

„Und sein Name ist …“

„Cole Younger Outlaw“, ergänzte J. J. „Und der andere Bruder ist bei den Texas Rangers. Sam Bass Outlaw.“

„Und unsere kleine Schwester arbeitet beim FBI“, sagte Frank. „Belle Starr Outlaw.“

„Eine beeindruckende Familie.“

„Wir geben uns Mühe.“ J. J. aß den letzten Bissen. „Wenn ihr mich jetzt entschuldigt, ich gehe in die Küche und küsse die Köchin. War nett, Sie kennenzulernen, Carrie.“ Er stand auf, verbeugte sich leicht und eilte davon.

„Ich mag Ihren Bruder.“

„Er ist ein netter Kerl. Mögen Sie seinen Bruder auch?“ Frank hätte fast aufgestöhnt. Hatte er das wirklich gesagt?

„Natürlich. Ich bin froh, dass Sie noch leben.“

Als er bemerkte, dass sie auf seine Hände schaute, senkte er den Blick und drehte den Ehering an seinem Finger. „Ich auch. Aber meine Frau nicht mehr.“ Um Himmels willen, was rede ich da bloß?

Carrie wirkte verwirrt. „Wie bitte?“

„Sie wurde bei einem Verkehrsunfall getötet.“

„Das tut mir leid. Wann ist es passiert?“

„Vor fast zwei Jahren.“ Er schüttelte den Kopf, als könnte er damit die Erinnerungen abwehren. „Was ist mit Nachtisch? Mary Beths Apfelkuchen schmeckt wundervoll.“

„Klingt verlockend, aber wenn ich noch mehr esse, schlafe ich heute Nachmittag über den alten Akten ein. Ich muss los.“

Sie griff zum Portemonnaie, aber Frank winkte ab. „Ich habe Sie eingeladen.“

„Danke. Das nächste Mal bin ich dran.“

„Abgemacht.“ Er stand auf, als sie sich verabschiedete, und sah ihr nach. Er mochte Carrie Campbell. Sie war freundlich und offen, und man konnte sich gut mit ihr unterhalten. Außerdem war sie sehr attraktiv.

„Hübsche Frau“, sagte J. J. hinter ihm.

„So? Ist mir gar nicht aufgefallen.“

J. J. lachte. „Lügner!“

„Möchtest du Nachtisch?“

„Bezahlst du?“

„Ich habe dir schon das Frühstück spendiert, du Geizhals.“

„Mary Beth und ich fahren am Samstagabend nach Travis Lake, um uns das Musical anzusehen, das das College aufführt. Frag Carrie doch, ob sie mitkommt.“

„Ich bezweifle, dass sie dann noch hier ist.“

„Ist sie. Mary Beth hat mir erzählt, dass sie das Zimmer für mehrere Wochen reserviert hat. Na los, frag sie. Höchste Zeit, dass du dir mal etwas Vergnügen gönnst.“

Frank holte tief Luft und stieß sie wieder aus. „Ich denke darüber nach.“

2. KAPITEL

Es wird langsam zum Problem, meine Identität geheim zu halten, dachte Carrie, als sie nach dem Mittagessen auf ihr Zimmer eilte. Sie hatte an einem Tisch mit einem Sheriff und einem Richter gesessen und versucht, die beiden nicht zu belügen, ohne die Unwahrheit zu sagen. Zum Glück war der alte Mann vorbeigekommen und hatte erzählt, dass sie Familienforscherin war.

Vielleicht sollte sie nebenbei ein paar genealogische Recherchen betreiben, um keinen Verdacht zu erregen.

Während des restlichen Tages war Carrie zu beschäftigt, um an Frank zu denken, aber am Abend erinnerte sie sich an sein Gesicht. Und an seine markanten Züge. Und das Timbre seiner Stimme.

Der Mann war atemberaubend.

Und nicht verheiratet.

Trotzdem musste sie ihn vergessen. Sie durfte nicht riskieren, diesen Auftrag zu gefährden.

Leichter gesagt als getan.

Zum Glück lief sie ihm an diesem Tag nicht über den Weg. Vielleicht sollte sie heute im City Grill essen. Ja, das war eine gute Idee. Er würde in den Tearoom gehen.

Sie eilte über die Straße und ins Café. Die Hocker am Tresen und sämtliche Tische waren besetzt. Als sie sich suchend umsah, entdeckte sie Frank. Warum war er hier? Um ihn nicht ansehen zu müssen, betrachtete sie die Fotos der Baseballteams, die hinter der Kasse an der Wand hingen.

„Carrie?“

Sie drehte sich um. Frank stand hinter ihr. Sie lächelte. „Hallo.“

Er lächelte zurück. „Hallo. Möchten Sie sich zu mir setzen?“

„Ich will mich nicht aufdrängen.“

„Das tun Sie nicht. Und so schnell werden Sie keinen anderen Platz finden.“

Seine Augen waren dunkel, und in ihnen lag etwas Undefinierbares, aber … unglaublich Fesselndes.

„Was möchten Sie?“, fragte er.

Was würde er tun, wenn sie ihm die Wahrheit sagte? „Und Sie?“

„Ich …“ Er atmete tief durch. „Ich glaube, ich nehme ein Sandwich mit Schinken und Tomate“, sagte er zur Kellnerin, die wie aufs Stichwort an den Tisch trat. Dann klappte er die Speisekarte zu und drehte an seinem Ehering.

Carrie zuckte mit den Schultern. „Klingt gut.“ Sie spürte, dass er sie ebenso attraktiv fand wie sie ihn. Vielleicht trauerte er noch um seine Frau. Aber zwei Jahre waren eine lange Zeit. „Wie war es, in einer großen Familie aufzuwachsen?“, schnitt sie ein harmloses Thema an.

„Manchmal chaotisch, und es gab auch Streit, aber meistens hatten wir viel Spaß.“

Sie aßen ihre Sandwiches und plauderten, wobei Carrie es vermied, über ihre Arbeit zu sprechen.

„Möchten Sie ein Dessert?“, fragte Frank. „Der Kuchen ist nicht schlecht.“

Carrie schüttelte den Kopf. „Ich liebe Eis und habe gehört, dass es im Double Dip das beste der Stadt gibt.“

Er lächelte. „Das stimmt.“

„Kommen Sie mit?“

„Gern.“

Er griff nach der Rechnung, doch sie bestand darauf, zu bezahlen. „Ich bin dran. Sie können das Eis übernehmen.“

„Gern. Ich bekomme Familienrabatt.“

„Warum das?“

„Das Double Dip gehört meiner Mutter. Nachdem sie als Lehrerin in den Ruhestand gegangen ist, hat sie sich gelangweilt und wollte etwas ganz Neues machen. Das Double Dip stand gerade zum Verkauf.“

Sie überquerten die Straße, und als sie sich der altmodischen Eisdiele näherten, überkam Carrie ein Anflug von Nostalgie. Das Double Dip erinnerte sie an den kleinen Laden, in den Burt, einer ihrer vielen Stiefväter, mit ihr gegangen war. Burt war ein freundlicher Mann gewesen und hatte sie mit seinen Witzen zum Lachen gebracht. Offenbar hatte ihre Mutter ihn nicht so sehr gemocht, denn sie war schon bald mit Carrie weitergezogen.

Über der Eingangstür läutete eine Glocke, als sie und Frank eintraten. Die Hocker am Tresen waren rot, genau wie in ihrer Kindheit. „Dieser Laden weckt Erinnerungen“, sagte sie. „Ich liebe ihn schon jetzt.“

Eine großmütterliche Frau mit kurzem Haar erschien. „Hallo, mein Sohn“, sagte sie lächelnd, und Frank machte sie und Carrie miteinander bekannt.

„Carrie ist in der Stadt, um im Archiv zu recherchieren, und hat gehört, dass es hier das beste Eis der Stadt gibt.“

„Hoffentlich werde ich dem Lob gerecht“, erwiderte Nonie Outlaw. „Was möchten Sie?“

„Haben Sie Pfefferminz?“

Franks Mutter strahlte. „Natürlich. Das ist die Lieblingssorte meines Mannes.“

„Meine auch. Ich nehme zwei Kugeln mit Schokostreuseln.“

Carrie seufzte genießerisch. Es schmeckte so wie früher. „Mrs. Outlaw, Ihr Eis ist sehr lecker.“

Franks Mutter lachte fröhlich. „Schön, dass es Ihnen gefällt. Aber die meisten Leute nennen mich Miss Nonie, wie früher als Lehrerin. Willkommen in Naconiche. Bleiben Sie länger?“

„Ich bleibe mehrere Wochen.“

„Carrie betreibt Familienforschung“, erklärte Frank.

„Wie spannend. Waren Sie schon bei Millie in der Bücherei?“

„Noch nicht, aber jeder sagt mir, dass sie ein wandelndes Lexikon ist. Ich will morgen zu ihr.“ Carrie sah Frank an. „Nehmen Sie kein Eis?“

Er schaute auf die Uhr. „Ich muss zurück ins Gericht. Mom, schreib das Eis auf meinen Zettel.“

Andere Kunden kamen herein, und Miss Nonie nahm die neuen Bestellungen entgegen. Carrie winkte ihr zum Abschied zu, als sie und Frank die Eisdiele verließen.

„Das Eis ist wirklich lecker. Danke für die Einladung.“

„Danke, dass Sie mein Essen bezahlt haben“, antwortete er. Er zögerte und schien noch etwas sagen zu wollen.

Sie wartete, aber er schwieg, nickte nur und ging über die Straße.

Carries Eis tropfte auf die Finger, und sie leckte es rasch ab. Als sie den Kopf hob, eilte Frank gerade die Stufen des Gerichtsgebäudes hinauf. Sie seufzte. Vielleicht sollte sich ruhig häufiger mit Frank James Outlaw treffen, solange sie in Naconiche war.

Frank kam sich wie ein Trottel vor. Seit er Carrie vor seinem Büro über den Weg gelaufen war, fühlte er sich neben der Spur. In der Nacht hatte er kaum geschlafen, weil es ihm wie ein Verrat an Susan erschien, dass er eine andere Frau attraktiv fand.

Beinahe hätte er sie eingeladen, ihn zu dem Musical in Travis Lake zu begleiten. Jetzt war er froh, dass er den Mund gehalten hätte. Susans Tod war noch nicht lange genug her, als dass er sich mit einer anderen Frau verabreden könnte.

Susan war die Liebe seines Lebens gewesen. Bis vor ein paar Tagen hatte er sich damit abgefunden, den Rest seiner als Witwer zu verbringen. Seine Kinder und sein Beruf waren genug für ihn, davon war er überzeugt gewesen.

Aber Carrie Campbell hatte ihm diese Zuversicht genommen.

Die Verhandlung am Nachmittag erforderte Franks ganze Aufmerksamkeit, aber kaum war er zurück in seinem Zimmer, befiel ihn eine Unruhe. Auf dem Weg zu seinem Wagen unternahm er einen Abstecher in ein Blumengeschäft und kaufte einen kleinen Strauß gelber Chrysanthemen. Er legte ihn auf den Beifahrersitz und fuhr zum Friedhof am Stadtrand.

Seine Krawatte flatterte im Wind, als er zu Susans Grab ging. „Hi, Suz“, flüsterte er und legte die Chrysanthemen an den Stein. „Ich habe dir Blumen mitgebracht. Sie sind gelb. Deine Lieblingsfarbe.“ Er kam oft her, um mit ihr zu reden. „Suz, ich vermisse dich so sehr. Manchmal ist es schrecklich einsam ohne dich.“

Ein Windstoß wehte das Laub über den Grabstein.

„Habe ich dir erzählt, dass die Zwillinge schon richtig gut Rad fahren können? Natürlich lasse ich die Stützräder noch dran. Du brauchst also keine Angst zu haben.“

Frank erzählte Susan alles, was in seinem Leben passierte – nur Carrie Campbell erwähnte er nicht. Er brachte es einfach nicht fertig.

Danach fühlte er sich besser. Er stieg in den Wagen und fuhr nach Hause. Er hatte den Zwillingen versprochen, dass sie sich im Fernsehen das Charlie-Brown-Special ansehen durften.

Carrie stellte das kalorienarme Fertiggericht ins Eisfach und den Salat in den Kühlschrank. Sie ließ den Kopf kreisen, um die verspannte Nackenmuskulatur zu lockern. Seit Tagen hatte sie nicht mehr gejoggt, und ihr Körper zahlte es ihr heim.

Hastig zog sie sich um, machte ein paar Aufwärmübungen und ging nach draußen.

Mary Beth kam gerade aus dem Büro. „Hi. Wollen Sie joggen?“

„Ja. Können Sie mir eine gute Runde empfehlen?“

„Eine Viertelmeile die Straße entlang, dann links auf den Feldweg. Da ist kaum Verkehr. Morgen Abend gebe ich wieder meinen Aerobic-Kurs. Machen Sie doch mit, wenn Sie Lust haben.“

„Danke, ich komme gern.“

„Ich brauche auch Bewegung“, sagte Mary Beth. „Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mich Ihnen anschließe?“

„Im Gegenteil. Ich freue mich.“

Gemeinsam machten sie sich auf den Weg.

„Sagen Sie“, begann Carrie nach einer Weile. „Wie sind Sie zugleich Küchenchefin und Hoteldirektorin geworden? Ist es ein Familienunternehmen?“

Mary Beth lachte. „Na ja, ich bin wohl eher Köchin und Motelbetreiberin, und in gewisser Weise ist es tatsächlich ein Familienunternehmen. Das Twilight Inn und das Restaurant gehörten einem entfernten Cousin, und als ich beides geerbt hatte, stand das Motel seit Jahren leer, und im Restaurant regnete es durch. Und Mäuse gab es auch noch.“

„Wirklich? Das Motel ist sehr gepflegt, und das Essen im Tearoom schmeckt herrlich.“

„Danke. Wir haben viel Arbeit investiert, und ohne Hilfe von einigen sehr guten Freunden hätte ich es nicht geschafft.“

Sie bogen auf den Feldweg ab, und Mary Beth erzählte die Geschichte ihrer Rückkehr nach Naconiche. Sie war hier geboren und aufgewachsen und mit ihren Eltern fortgezogen. Sie hatte ihren Exmann auf dem College kennengelernt, war mit ihm nach Mississippi gegangen.

„Aber die Ehe mit Brad war nicht das Wahre. Irgendwann wurde es so schlimm, dass wir uns scheiden ließen. Katy und ich sind in die Wohnung über der Garage einer Freundin in Natchez gezogen. Damals habe ich Aerobic unterrichtet, und wir kamen gerade so zurecht. Bis ich mir den Fuß gebrochen habe. Ich war fast pleite, als ich erfuhr, dass ich das Twilight Inn geerbt hatte. Ich dachte, wir wären gerettet.“

„Aber das stimmte nicht?“

„Nein. Es war eine Katastrophe.“ Mary Beth lachte. „Katy und ich haben eine Zeit lang im Restaurant gewohnt.“

„Im Restaurant?“

„Ja. Zu Anfang war es gar nicht so übel, aber dann regnete es, und das Dach leckte wie ein Sieb. Zum Glück kam uns J. J. zur Hilfe. Hier wenden wir.“

Sie machten kehrt und gingen eine kurze Strecke, bevor sie wieder joggten. „Ihr Verlobter macht einen sehr sympathischen Eindruck.“

„Ja. Manchmal denke ich, ich hätte in Naconiche bleiben und ihn heiraten sollen. Aber wir waren beide noch zu jung.“

„Sie kennen ihn von früher?“

Mary Beth nickte. „Er war meine Jugendliebe. Wir waren lange zusammen.“

„Und er hat nie geheiratet?“

„Nein. Er behauptet, dass er nie über mich hinweggekommen ist. Aber wer’s glaubt …“

Sie lachten beide.

„Und Sie sind auch nicht verheiratet? Oder in einer festen Beziehung?“

„War ich noch nie. Und das werde ich auch nie sein“, antwortete Carrie schärfer als beabsichtigt.

Mary Beth schwieg und lief weiter, aber Carrie fand, dass sie ihrer Laufpartnerin eine Erklärung schuldig war. „Meine Mutter war oft genug für uns beide verheiratet. Insgesamt sieben Mal. Jedenfalls bei der letzten Zählung.“

„Sieben Mal? Im Ernst?“

„Ja.“

„Lebt sie noch?“

„Glücklich und gesund in Südfrankreich. Die letzten Male hat sie Europäer geheiratet.“

„Sehen Sie sie häufig?“

„Nur gelegentlich. Meine Mutter braucht immer einen Mann, der sich um sie kümmert. Ich brauche niemanden. Außerdem bin ich in meinem Job viel zu oft unterwegs, um eine längere Beziehung zu führen.“

„Als Familienforscherin reisen Sie wohl viel?“

„Ja, ich habe gut zu tun. Wo ist denn Ihre Tochter heute Abend?“, fragte Carrie.

„J. J. ist mit Katy bei Frank, damit sie mit den Zwillingen fernsehen kann.“

„Zwillinge?“, wiederholte Carrie erstaunt. „Frank hat Zwillinge?“

„Einen Jungen und ein Mädchen in Katys Alter. Sie gehen zusammen in den Kindergarten.“

Carrie wäre gar nicht die Idee gekommen, dass Frank Kinder haben könnte. Aber eigentlich hätte sie es sich denken können, schließlich war er Witwer. Damit war das Thema Frank James Outlaw für sie erledigt. Männer mit Kindern suchten unweigerlich eine Mutter für ihre Kleinen, und das war nicht Carries Welt. Sie hatte ein denkbar schlechtes Vorbild gehabt.

Carries guter Vorsatz währte nicht lange. Als sie um Viertel vor zwölf das Grundbuchamt verließ, lief sie Frank erneut über den Weg. Und natürlich schlug ihr Herz auch diesmal schneller.

„Hallo“, sagte er und schloss seine Tür hinter sich. „Gehen Sie essen?“

„Ja, im Tearoom.“

„Ich auch. Möchten Sie mitfahren?“

„Ich muss danach auf meinem Zimmer arbeiten und nehme meinen eigenen Wagen.“

„Darf ich mich anschließen? Mein Vater kann mich hinterher hier absetzen.“

„Kein Problem. Sie essen heute mit Ihrem Vater?“, fragte Carrie.

„Mit ihm und J. J. Wie jeden Donnerstag. Da gibt es bei Mary Beth immer Schokoladenkuchen. Den lieben wir alle.“

„Ich bin verrückt nach Schokolade.“

„Das muss ich mir merken.“

Er lächelte schon wieder. Warum tat er das? Er sah so verdammt sexy aus, wenn er lächelte. Und warum musste er auf dem Weg zum Wagen auch noch die Hand an ihren Rücken legen? Wusste er denn nicht, was er damit in ihr auslöste?

Seit ihrer ersten Begegnung ging er ihr nicht mehr aus dem Kopf.

Als sie losfuhren, strich Frank über den Rand des Ledersitzes, und seine Fingerspitzen streiften Carries Bein. Sie spürte die Berührung wie einen Stromstoß. Hatte er das absichtlich getan? Sie riskierte einen Seitenblick, aber er hatte die Hände gefaltet und starrte auf das Armaturenbrett.

Plötzlich hob er den Kopf. „Schöner Wagen.“

„Danke.“

„Sie müssen eine sehr gute Familienforscherin sein.“

Carrie lächelte. „Ja. Auch auf den anderen Gebieten, auf denen ich für meine Auftraggeber Nachforschungen anstelle. Aber der Wagen war ein Geburtstagsgeschenk von meiner Mutter und ihrem Mann.“ Für das großzügige Geschenk hatte es einen besonderen Grund gegeben. Ihre Mutter hatte ihrer neuesten Errungenschaft erzählt, ihre Tochter sei erst einundzwanzig. Nachdem sie sich das Gesicht hatte liften lassen, hatte Amanda sich neun Jahre jünger gemacht, also war auch ihre Tochter über Nacht neun Jahre jünger geworden.

Eines musste man ihrer Mutter lassen: Jeder Gang zum Traualtar hatte Amanda ein kleines Vermögen eingebracht.

„Der Ehemann Ihrer Mutter? Nicht Ihr Vater?“, fragte Frank.

„Nein. Mein Vater ist bei einem Unfall ums Leben gekommen, als ich zwei war. Meine Mutter hat mehrmals geheiratet. Ihr jetziger Ehemann ist ein Finanzinvestor, der sich zur Ruhe gesetzt hat. Ein Franzose. Jacques Soundso. Ich bin ihm nie begegnet.“

„Sie und Ihre Mutter stehen sich wohl nicht besonders nahe“, sagte er leise.

Plötzlich kamen ihr die Tränen. Verdammt. Sie weinte sonst nie. „Nicht wirklich. Ich glaube, ich habe nie richtig in ihre Pläne gepasst. Mary Beth hat mir erzählt, dass Sie Zwillinge haben.“

„Ja. Janey und Jimmy. Die beiden sind fünf.“

Die Stille schien eine Ewigkeit zu dauern.

„Sie haben erwähnt, dass Sie nicht nur genealogische Nachforschungen betreiben“, brach Frank schließlich das angespannte Schweigen.

„Ja.“

„Was sind das für Nachforschungen?“

Carrie antwortete nicht sofort. „Ich suche verschollene Erben oder alte Urkunden, mit denen sich Rechtsansprüche belegen lassen, so etwas.“ Das war nicht gelogen.

„Verschollene Erben? Klingt spannend. Haben Sie in Naconiche County jemanden gefunden, der von einem weit entfernten Verwandten eine Menge Geld geerbt hat?“

Sie lachte. „Noch nicht.“

„Ich glaube, jeder träumt davon, dass irgendwo auf der Welt jemand den Löffel abgibt und ein Vermögen hinterlässt.“

„Haben Sie verschollene Angehörige?“

„Nur Heck Tatum, den Großonkel meiner Mutter. Er ist nach Kalifornien gegangen, und wir haben nie wieder etwas von ihm gehört.“

„Wann war das?“, erkundigte Carrie sich.

„Ich weiß nicht genau. Irgendwann vor 1920, glaube ich.“

„Vielleicht ist er mit Immobilien reich geworden.“

Frank lachte. „Das bezweifle ich. Eher ist er hinter Gittern gelandet. Er war das schwarze Schaf der Familie. Wahrscheinlich verschwand er, um einer Festnahme zu entgehen.“

Eigentlich hatte Carrie kneifen und auf ihr Zimmer flüchten wollen, sobald sie am Tearoom eintrafen. Aber über Franks auf die schiefe Bahn geratenen Verwandten wollte sie unbedingt mehr wissen. „Was hat er getan?“

„Soweit ich weiß, hat er schwarz Whiskey gebrannt und Rinder gestohlen. Viehdiebe waren hier noch nie sehr beliebt. Damals konnte man dafür gehängt werden.“

Am Eingang warteten schon ein paar Gäste auf freie Tische, aber Frank winkte jemandem zu. „Da sind mein Vater und J. J. Kommen Sie, wir setzen uns dazu.“

„Oh, ich will nicht stören, wenn Sie mit Ihrer Familie essen.“

„Das tun Sie nicht. Kommen Sie.“

Er geleitete sie zu einem Vierertisch.

J. J. und der ältere Mann standen auf, als sie näher kamen, und Frank machte Carrie mit seinem Vater bekannt. Wes Outlaw war so groß wie seine Söhne und hatte das gleiche gewinnende Lächeln, als er Carrie bat, ihn Wes zu nennen.

„Ich habe gerade von Moms Großonkel Heck erzählt.“

„Ah, unser Viehdieb“, sagte Wes.

„Und Schwarzbrenner“, ergänzte Carrie.

Wes lachte. „Das Schwarzbrennen hat hier niemanden gestört. Im Gegenteil, die meisten Leute haben ihm ab und zu eine Flasche abgekauft. Aber Rinder stehlen ist eine ernste Sache.“

Alle drei Outlaws waren großartige Erzähler und unterhielten Carrie beim Essen mit lustigen Geschichten über die Bösewichte der Gegend. Beim Kaffee lachte sie herzhaft über den Streich, den ein junger Mann und seine Freunde dem Bürgermeister gespielt hatten, indem sie ein Schwein in seinen Wagen sperrten. „Das arme Borstentier hat seinen Cadillac in einen echten Saustall verwandelt.“

„Nein!“, rief Carrie.

„Doch. Es hat wirklich überall hingemacht“, berichtete J. J. begeistert.

„Es ist mir schwergefallen, ein strenges Gesicht zu machen, als die Jungs im Gerichtssaal vor mir standen“, sagte Frank.

„Wie lautete das Urteil?“

„Ich habe ihnen eine Standpauke verpasst und sie zu mehreren Stunden gemeinnütziger Arbeit verdonnert.“

Carrie warf einen Blick auf die Uhr und sah sich im Restaurant um. Außer ihnen waren kaum noch Gäste da. „Tut mir leid, aber ich muss los.“ Sie griff nach ihrer Handtasche.

„Heute geht Ihr Essen auf mich“, sagte Frank.

„Dann übernehme ich das nächste Mal.“ Was war aus ihrem Entschluss geworden, mit Frank Outlaw keine Zeit mehr zu verbringen? Egal. Sie war gern mit ihm zusammen und mochte seine Familie. In ein paar Wochen wartete ihr nächster Auftrag in West Texas oder Oklahoma. Ausnahmsweise würde sie es wie ihre Mutter machen und nur für den Moment leben.

„Kannst du mich am Gerichtsgebäude absetzen?“, fragte Frank beim zweiten Kaffee.

„Klar“, erwiderte sein Vater. „Übrigens, ich mag deine junge Frau. Sie scheint was im Kopf zu haben.“

„Sie ist nicht meine junge Frau“, widersprach Frank. „Nur jemand, der ein paar Tage in der Stadt ist, um ein paar Nachforschungen anzustellen.“

„Was für Nachforschungen?“

„Genealogie“, warf J. J. ein.

„Und alte Urkunden und verschollene Erben“, ergänzte Frank.

„Hmm.“ Wes rieb sich das Kinn, wie er es immer tat, wenn er nachdachte. „Was für Urkunden?“

„Landverkäufe, nehme ich an. Sie verbringt viel Zeit im Grundbuchamt.“

„Hast du sie gefragt, ob sie am Samstagabend mit uns ins Musical geht?“, wollte J. J. wissen.

„Nein.“

„Warum nicht? Sie ist Single, sieht gut aus und man kann sich mit ihr unterhalten. Frag sie.“

„Mal sehen.“

Carrie arbeitete den ganzen Nachmittag lang auf ihrem Zimmer. Die Informationen, die sie bisher gesammelt hatte, waren ziemlich lückenhaft. Sie brauchte noch einige Urkunden, Verträge und verschollene Erben. Dieser Teil ihrer Arbeit erforderte Geduld und Beharrlichkeit. Manchmal reichte es, mit den anderen Eigentümern zu sprechen, um einen Hinweis auf mögliche Erben und deren Aufenthaltsort zu bekommen. Vielleicht konnte die Bibliothekarin ihr helfen.

Nach mehreren Stunden am Computer taten Carrie die Augen weh. Draußen wurde es bereits dunkel. Sie überlegte, ob sie joggen sollte, aber dann fiel ihr ein, dass Mary Beth heute Abend ihren Aerobic-Kurs gab. Sie zog sich um.

Als sie den Übungsraum betrat, waren schon mehrere Frauen da.

„Hi, Carrie“, begrüßte Mary Beth sie. „Ich mache Sie kurz mit den anderen bekannt.“

Die anderen waren Ellen, eine Blondine, die in der Immobilienbranche arbeitete, und Dixie, eine Brünette, die trotz ihrer sechs Kinder eine bemerkenswert schlanke Figur besaß. „Die beiden sind meine besten Schulfreundinnen gewesen. Kaum zu glauben, aber wir waren alle Cheerleader.“

Carrie lachte. „Ich auch. Es kommt mir vor, als wäre es eine Ewigkeit her.“

Außerdem lernte sie Dr. Kelly Martin kennen, eine Schönheit mit grünen Augen und langen roten Locken.

„Gehen Sie zu Dr. Kelly, wenn Sie sich das Bein brechen oder eine Grippe bekommen“, erklärte Mary Beth. „Sie ist die beste Ärztin in Naconiche.“

Lächelnd streckte Dr. Kelly die Hand aus. „Hi, Carrie. Ich hoffe, ich sehe Sie nicht so bald in meiner Sprechstunde. Sind Sie neu in der Stadt?“

„Nur für ein paar Wochen.“ Carrie musterte die Ärztin. „Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor. Sind wir uns schon mal begegnet?“

„Das dachte ich auch gerade. Ich bin in Dallas aufgewachsen. Und Sie?“

Carrie schüttelte den Kopf. „Waren Sie auf der University of Texas?“

„Ja.“ Kelly Martin erwähnte den Namen einer Studentenverbindung.

„Kelly Martin!“, rief Carrie. „Jetzt erinnere ich mich. Du warst ein oder zwei Jahre über mir. Aber damals war dein Haar glatt, und du hast eine Brille getragen.“

„Ich habe mir die Augen lasern lassen und keine Zeit mehr, mir die Haare jeden Morgen glatt zu föhnen. Toll, dich wiederzusehen! Bleibst du übers Wochenende in der Stadt?“

„Auf jeden Fall.“

„Fantastisch. Dann müssen wir uns unbedingt am Sonntagnachmittag treffen und über die alten Zeiten reden.“

Sie verabredeten sich zum Mittagessen, und danach war gerade noch genug Zeit, um vier weitere Teilnehmerinnen kennenzulernen, bevor der Kurs begann. Eine der Frauen hieß Millie, und Carrie fragte sich, ob es die Bibliothekarin war.

Mary Beth führte die Gruppe zügig durch die Übungen, und fast eine Stunde lang war Carrie zu beschäftigt, um an etwas anderes zu denken. Danach ließ sie sich zu Boden fallen, breitete die Arme aus und schnappte nach Luft. „Ich bin völlig fertig“, sagte sie zu Kelly.

Die Ärztin lachte. „Mary Beth fordert uns ganz schön, was? Ich laufe rasch nach Hause und dusche, bevor ich zur Visite ins Krankenhaus muss. Wir sehen uns am Sonntag.“

Carrie winkte ihr zum Abschied zu. „Ich dachte, ich wäre besser in Form“, sagte sie zu Mary Beth, die bei Ellen und Dixie stand.

„Sie sind fitter als ich“, erwiderte Ellen. „Ich muss zwischendurch immer mal eine Pause einlegen.“

„Ich auch“, warf Dixie ein.

„Aber du hast auch erst vor Kurzem ein Baby bekommen“, sagte Ellen.

„Ihr habt euch alle ganz großartig gehalten“, lobte Mary Beth. „Sie hätten auch ruhig mal Pause machen können, Carrie.“

„Ich bin ehrgeizig“, gab Carrie zu. „Jetzt schleppe ich mich in mein Zimmer und unter die Dusche.“

„Kommen Sie doch mit uns. Wir essen im Tearoom einen Happen. Es sind nur Reste, aber wir würden uns freuen.“

Carrie lachte. „Ich fürchte, dazu rieche ich etwas zu streng.“

„Unsinn“, widersprach Dixie. „Geschwitzt haben wir alle. Kommen Sie. Mary Beth hat uns Schokoladenkuchen aufgehoben.“

„Schokolade? Wie könnte ich da widerstehen?“

Carrie genoss es, die Frauen näher kennenzulernen. Ihr Job ließ ihr sonst kaum Zeit für Kontakte.

Anschließend lud Mary Beth sie noch für den kommenden Abend zu einem Footballspiel ein.

Nach anfänglichem Zögern sagte Carrie zu.

3. KAPITEL

J. J. ging mit Katy vor; Mary Beth und Carrie trugen die Klappstühle. Es war eine aufregende Atmosphäre, und Carrie spürte, wie sie davon angesteckt wurde. „Das hier ist wie früher“, sagte sie lächelnd.

„Ja, nicht wahr? Wo sind Sie zur Highschool gegangen?“, fragte Mary Beth.

„Cypress-Fairbanks. Das ist ein Vorort von Houston. Es war die glücklichste Zeit meines Lebens.“

Aber es hatte nicht glücklich begonnen. Mit vierzehn hatte Carrie sich allein und verlassen gefühlt, nachdem ihre Mutter sie bei Onkel Tuck gelassen hatte, um mit ihrem zukünftigen Mann, einem Bergbauingenieur, zusammenzuziehen.

„Liebes“, hatte Amanda gesagt. „Richard und ich werden an allen möglichen abgelegenen Orten leben müssen, und ich möchte, dass du eine solide Schulbildung bekommst. In Cypress gibt es tolle Schulen, und danach wirst du aufs College gehen. Es bricht mir das Herz, dich zu verlassen, aber ich besuche dich oft.“

Doch trotz des tränenreichen Abschieds mit Küssen und Umarmungen hatte Amanda sich zwei Jahre lang nicht blicken lassen. Carrie hatte immer vermutet, dass Amanda sie nicht mitgenommen hatte, weil Richard keinen Teenager in seiner Nähe haben wollte.

Tucker Campbell, der ältere Bruder ihres Vaters, war ein unabhängiger Ölproduzent und Witwer mit einem sechzehnjährigen Sohn. Onkel Tuck hatte keine Ahnung, wie er mit einem Mädchen umgehen sollte, aber ein großes Herz. Carrie vergötterte Sam und Onkel Tuck und freute sich, auf einer Ranch zu leben. Zumal sie ein eigenes Pferd bekam und mit Sams Hilfe auf der Highschool neue Freunde fand.

„Da sind wir, Katy“, sagte J. J. und setzte das kleine Mädchen ab. „Du musst eine Diät machen. Du wirst zu schwer.“

Katy kicherte. „Das sagst du immer.“

„Wirklich? Dann muss ich mir etwas Neues einfallen lassen.“ Lächelnd tippte er ihr auf die Nasenspitze. „Und du bist nicht dick, sondern genau richtig.“

Das Mädchen strahlte. „Ich möchte einen Hotdog.“

„Jetzt schon?“ J. J. stellte die Klappstühle auf.

Katy nickte und setzte sich zwischen J. J. und Mary Beth. Carrie nahm auf der anderen Seite neben Mary Beth Platz.

„Lass mich erst mal Luft holen“, bat Franks Bruder. „Was möchten die Damen?“

Die Bestellung umfasste Hotdogs, Getränke, Popcorn und Erdnüsse.

„Wie wollen Sie das alles tragen?“, fragte Carrie. „Soll ich mitkommen?“

„Nicht nötig. Das schaffe ich schon.“

„Männerstolz“, flüsterte Mary Beth, als seine Stiefel die Holzstufen erzittern ließen.

Carrie lächelte. „Mit Machos kenne ich mich aus.“

Mary Beth winkte jemandem zu, und Carrie schaute hinüber. Es war Frank mit zwei dunkelhaarigen Kindern in Katys Alter. Heute sah sie ihn zum ersten Mal ohne Anzug und Krawatte. Er trug verwaschene Jeans und ein kariertes Westernshirt unter einer Jeansjacke, dazu schwarze Stiefel und einen schwarzen Cowboyhut, wie J. J. ihn immer aufhatte. Und er sah darin gut aus.

Sehr gut sogar.

„Hallo“, begrüßte er Carrie mit einem breiten Lächeln. „Ich bin überrascht, Sie hier zu sehen.“

„Geht mir genauso, Richter.“

„Unsere Familie hat seit Jahren Saisonkarten.“ Er nahm drei Klappstühle aus der großen Segeltuchtasche und stellte sie auf. „Carrie, dies sind meine Tochter Janey und mein Sohn Jimmy. Kinder, sagt Hallo zu Miss Carrie.“

Die beiden taten es, dann zupfte Janey an Franks Hosenbein. „Ich möchte bei Katy sitzen.“

„Macht es Ihnen etwas aus?“, fragte Frank Carrie.

„Natürlich nicht.“ Carrie stand auf, um den Platz zu wechseln, und landete schließlich zwischen Janey und Frank.

„Danke. Die beiden sind dicke Freundinnen“, erklärte Frank.

„Dad!“, rief Jimmy. „Ich habe Hunger. Darf ich einen Hotdog?“

„Du hast immer Hunger.“ Frank zerzauste seinem Sohn das Haar. „Entschuldigen Sie mich“, sagte er zu Carrie. „Alte Tradition. Möchten Sie einen Hotdog oder einen Softdrink?“

„Danke, aber J. J. ist schon unterwegs.“

„Bin gleich zurück.“

Frank und Jimmy eilten davon, und Carrie schaute aufs Spielfeld, wo sich die Cheerleader aufstellten. Genau wie sie damals. Plötzlich fühlte sie eine kleine Hand an ihrem Oberschenkel und sah das Kind neben ihr an.

Janey starrte ihr ins Gesicht. „Sie haben hübsche Augen.“

Carrie lächelte. „Danke. Du auch.“ Das stimmte. Janeys Augen glichen denen ihres Vaters.

Janey strahlte. „Wenn ich groß bin, werde ich auch Cheerleader.“ Sie zeigte auf die Mädchen, die sich aufstellten, um die Mannschaft aufs Spielfeld zu führen.

„Ich war Cheerleader, als ich auf der Highschool war“, erzählte Carrie.

Janeys Augen wurden groß. „Echt?“

„Meine Mommy war auch Cheerleader“, sagte Katy. „Und sie war eine Königin und ist auf einem Pferd durch die Stadt geritten.“

„Meine Mommy auch.“ Janey drehte sich wieder zu Carrie. „Meine Mommy ist bei den Engeln im Himmel. Ein betrunkener Autofahrer hat sie getötet.“

Auch diesmal wusste Carrie nicht recht, wie sie reagieren sollte, aber das kleine Mädchen schien keine Antwort zu erwarten und tuschelte sofort wieder mit ihrer Freundin.

Kurz darauf kehrten die Männer mit Papptabletts voller Getränke und Plastikbeuteln zurück.

„Ich bin froh, dass wir rechtzeitig zum Anstoß wieder hier sind“, sagte J. J. „Da unten ist die Hölle los.“ Er und Frank verteilten die Snacks.

Zum zweiten Mal fühlte Carrie eine Hand an ihrem Bein. Sie warf Janey einen fragenden Blick zu.

„Beim Anstoß müssen Sie aufstehen, Carrie“, flüsterte Franks Tochter. „Können Sie mir helfen, damit ich meine Limo nicht verschütte?“

Carrie beobachtete, wie Katy sich mit Beths Hilfe auf ihren Sitz stellte, und hob Janey vorsichtig auf den Stuhl.

„Danke“, wisperte Janey, bevor sie einen Arm in die Luft stieß. „Go Mustangs!“, rief sie aus vollem Hals.

„Sie will unbedingt Cheerleader werden“, sagte Frank lächelnd.

„Sie wird gut“ Carrie nahm die Finger wieder aus den Ohren.

„Da ist Alan!“, rief Jimmy und winkte einem flachsblonden Jungen zu, der zwei Reihen über ihnen saß. „Kann Alan bei uns sitzen, Daddy?“

„Klar, hier ist genug Platz.“

Unten ertönte ein Trommelwirbel. Das gegnerische Team trug blaue Trikots, die Gastgeber weiße. Weiß hatte Anstoß. Ein kleiner Spieler fing den Ball an der Zehn-Yard-Linie und kämpfte sich fast bis fünfzig Yards durch. Die Zuschauer gerieten außer Rand und Band.

Noch bevor Carrie ihren Hotdog aufgegessen hatte, erzielten die Mustangs den ersten Punktgewinn, und sie ließ sich von der Begeisterung um sie herum anstecken.

Als alle sich Popcorn und Erdnüsse schmecken ließen, fühlte sie erneut die inzwischen vertraute Hand an ihrem Oberschenkel.

„Miss Carrie, machen Sie mir die auf?“ Janey hielt ihr eine Erdnuss hin.

„Natürlich.“ Carrie knackte die Schale.

„Danke. Sehen Sie den Mann, der den Ball wirft? Das ist der Quarterback. Mein Daddy war auch Quarterback.“

„Meiner auch“, sagte Katy.

„War er gar nicht“, widersprach Janey. „Du hast gar keinen Daddy.“

„Doch, habe ich. Er ist im Knast.“

Carrie warf Mary Beth einen fragenden Blick zu. Die zuckte nur mit den Schultern und lächelte. „Das ist eine lange Geschichte. Katy, ich habe dir doch gesagt, dass das kein schönes Wort ist.“

„J. J., warst du ein Quarterback?“, wollte Katy wissen.

„Er kann kein Quarterback gewesen sein, weil mein Daddy ein Quarterback war“, sagte Janey.

„Doch, ich war auch einer“, erklärte J. J. „Dein Daddy ist älter als ich, Janey. Er hat die Position warmgehalten, bis ich dran war.“

Frank schnaubte. „Nur in deinen Träumen. Wer hat das Team in die Play-offs geführt?“

„Und wer hat das Endspiel verloren?“, konterte J. J.

„Kein Kommentar.“

Carrie half Janey mit der nächsten Erdnuss und wandte sich Frank zu. „Sie waren Footballspieler? Auch auf dem College?“

Frank schüttelte den Kopf. „Ich habe mir das Knie verletzt, aber vielleicht war das mein Glück.“

„Wieso?“

„Ich war nicht gut genug, um für eine der angesehensten Universitäten zu spielen, und wenn ich ein Football-Stipendium für irgendein College in der Provinz bekommen hätte, wäre ich nicht auf die University of Texas gegangen.“

„Sie waren auf der UT? Ich auch.“

Fast hätte sie ihm erzählt, dass auch sie dort Jura studiert hatte, doch dann schwieg sie lieber.

Die Mustangs erzielten die nächsten Punkte, und alle sprangen jubelnd auf.

In der Halbzeit marschierte die Band übers Feld, und Carrie staunte darüber, wie präzise sich die Musiker der Schulkapelle mit ihren Instrumenten bewegten. Katy und Janey starrten fasziniert auf die uniformierten Mädchen, die ihre Stäbe in die Luft warfen und geschickt wieder auffingen.

„Ich werde auch Twirlerin, wenn ich groß bin“, sagte Janey zu Carrie. „Und ich spiele Flöte. Wie Beverly. Das ist die in der ersten Reihe. Ihr Bruder ist in meiner Klasse. Sein Name ist Zack. Wo ist Daddy?“

„Er ist mit Jimmy zur Toilette“, erwiderte Carrie. „Erinnerst du dich?“

„Oh. Ich und Katy waren vorhin schon da, damit wir nicht ins Gedränge kommen.“

Kurz nach Beginn der zweiten Spielhälfte holten die Gegner auf, und den Mustangs gelang ein Field Goal. Die Gäste starteten einen langsamen Angriff, und die Mustang-Fans feuerten ihre Verteidiger an.

Belustigt ertappte Carrie sich dabei, wie sie in den Chor einstimmte.

„Das macht Ihnen Spaß, was?“, fragte Frank.

„Und wie! Ich hatte ganz vergessen, wie sehr ich Football mag. Morgen bin ich bestimmt heiser.“

„Bleiben Sie übers Wochenende in der Stadt?“

„Ja, ich habe viel zu tun.“

„J. J. und Mary Beth gehen morgen Abend zu einem College-Musical in Travis Lake. Wollen Sie nicht mitkommen? Wir essen vorher.“

„Sehr gern“, antwortete sie, ohne zu überlegen.

Er lächelte. „Toll. Wir holen Sie um sechs ab.“

Carrie spürte etwas auf ihrem Schoß und schaute nach unten. Es war Janeys Kopf. Das kleine Mädchen schlief fest. Ein seltsames, fremdes Gefühl stieg in Carrie auf. Lächelnd strich sie Janey das dunkle Haar aus der Stirn.

„Ich bringe die beiden besser nach Hause“, sagte Frank leise. „Jimmy fallen die Augen auch schon zu.“

Als er nach seiner Tochter griff, streifte sein Arm Carries Brüste, und seine Hand berührte ihren Schoß, als er das Kind anhob.

Carrie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber ihre Brüste kribbelten, als hätte er sie zärtlich gestreichelt. War sie so ausgehungert, dass eine so unschuldige Geste sie erregte? Sie wagte nicht, ihn anzusehen. Stattdessen warf sie Mary Beth einen fragenden Blick zu.

„Katy wird auch schläfrig“, sagte Mary Beth. „Und die Mustangs führen mit großem Abstand. Ist es Ihnen recht, wenn wir bald aufbrechen?“

„Jederzeit.“ Sie winkte Frank zu, als er mit Janey auf dem Arm aufstand und Jimmy die andere Hand reichte.

Wenig später kletterte Katy auf J. J.s Schoß und legte den Kopf an seine Schulter, und so beschlossen sie, ebenfalls nach Hause zu fahren.

„Die Kinder lieben es, zu den Spielen zu gehen“, sagte Mary Beth auf dem Weg zum Wagen. „Aber sie halten selten bis zum Ende durch.“

„Ich hatte großen Spaß.“ Carrie lächelte ihr zu. „Danke für die Einladung.“

Sie freute sich darauf, am Samstag mit Frank ins Musical zu gehen. Wann hatte sie zuletzt ein Date mit einem attraktiven Mann gehabt? Sie konnte sich nicht erinnern.

Am Samstagvormittag verbrachte Carrie eine komplette Stunde damit, in ihrem Kleiderschrank etwas Passendes zu finden. Alles erschien ihr entweder zu sportlich oder zu seriös. Das war eine gute Gelegenheit, sich in der Boutique in der Stadtmitte umzusehen.

Es dauerte nicht lange, bis Carrie drei Outfits ausgewählt hatte. Jetzt musste sie sich nur noch entscheiden. Der amethystfarbene Rock passte perfekt zu dem Pullover mit den Ton-in-Ton-Stickereien, der schwarze zu der schlichten Jacke im Chanel-Stil, und die schmal geschnittene, petrolfarbene Hose zu dem langen und fließenden Oberteil.

Schließlich kaufte Carrie alle drei Kleidungsstücke sowie eine zusätzliche Jacke und eine schwarze Hose. Wenn sie geschickt kombinierte, war sie für sämtliche Anlässe gerüstet. Dass sie so viel Geld ausgab, bereitete ihr kein schlechtes Gewissen. Sie verdiente gut und bekam Spesen. Das Auto war bezahlt, das Stadthaus in Houston eingerichtet. Spontan nahm sie noch neue Schuhe und Dessous mit. Es tat gut, sich mal etwas Luxus zu gönnen.

Nachdem sie alles im Kofferraum verstaut hatte, schlenderte sie zur Eisdiele.

Anschließend besuchte sie Miss Nonie und fuhr ein paar Landstraßen ab, um sich die Grundstücke anzusehen, die für Ölbohrungen infrage kamen. Später badete sie und konnte sich noch immer nicht entscheiden, was sie am Abend anziehen wollte.

Der schwarze Rock war zu … düster. Der amethystfarbene? Vielleicht. Die Verkäuferin hatte ihr vorgeschwärmt, wie toll er zu ihren Augen passte. Aber mit der petrolfarbenen Hose würde sie kein Risiko eingehen. Sie schmeichelte ihrer Figur und fühlte sich herrlich an.

Endlich war sie bereit. Eine Dreiviertelstunde zu früh.

Wütend zog sie Hose und Jacke wieder aus, legte sie ordentlich aufs Bett und schaltete den Computer ein, um noch etwas zu arbeiten.

Als es an der Tür klopfte, schaute sie auf die Uhr und stellte entsetzt fest, dass es Punkt sechs Uhr war und sie nur ein Hemdchen und eine Strumpfhose anhatte.

„Augenblick!“, rief sie, rannte hinüber und blickte durch den Spion.

Vor ihrem Zimmer stand Frank in einem dunklen Sakko. Er sah zum Anbeißen aus.

„Nur noch eine Sekunde!“ Sie rannte zurück.

Dabei stieß sie gegen die Ecke des Betts, prellte sich das Schienbein und verpasste der Strumpfhose ein Loch. Mit jedem Schritt wurde das Loch größer. Sie zog die zerfetzte Strumpfhose aus und griff nach einer neuen. Die Packung ließ sich nicht öffnen.

Sie warf die zweite Strumpfhose zu Boden und stieg in die Hose. Dann tupfte sie sich das feuchte Gesicht ab und fächerte sich mit den Unterlagen von ihrem Schreibtisch Luft zu. Die Schuhe passten nicht so, wie sie sollten, aber ihr blieb keine Zeit mehr.

Hastig fuhr sie den Computer herunter und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Danach nahm sie ihre Handtasche, atmete zweimal tief durch und ging zur Tür.

Frank wurde mit jeder Sekunde nervöser. Erst hatte er eine halbe Stunde gebraucht, um zu entscheiden, welche seiner neuen Seidenkrawatten er sich umbinden sollte. Dann war er zu früh am Motel eingetroffen und zehn Minuten lang umhergefahren, um sich die Wartezeit zu vertreiben.

Als Carrie die Tür öffnete, blieb ihm fast das Herz stehen. Sie sah hinreißend aus, und der Duft, der mit ihr aus dem Zimmer strömte, war intim und sinnlich. Wie von selbst wanderte sein Blick von ihren sexy High Heels zum Mund.

„Hi“, sagte sie lächelnd.

Bildete er es sich nur sein, oder waren ihre Lippen heute noch voller? Frank musste sich beherrschen, um sie nicht einfach an sich zu ziehen und zu küssen. „Hallo. Sie sehen sehr schön aus. Bin ich zu früh?“

„Danke. Nein, Sie sind nicht zu früh. Ich habe noch gearbeitet und nicht auf die Uhr geschaut.“

Er ging mit ihr zum Wagen und half ihr beim Einsteigen. Als er losfahren wollte, sah sie ihn verwirrt an.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte er.

„Nein … alles in Ordnung, aber … wo sind Mary Beth und J. J.?“

Autor

Jan Hudson
Abgesehen von einem kurzen Aufenthalt in Fort Knox, wo ihr Mann eine Weile stationiert war, hat Jan ihr ganzes Leben lang in Texas gelebt. Eine ihrer frühesten Erinnerungen ist, wie sie abends, bereits im Pyjama, im Dorfladen ihrer Großeltern saß und den Geschichten lauschte, die die Erwachsenen erzählten.

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