Bianca Spezial Band 12

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Das Glück der Erde

... liegt nicht immer auf dem Rücken der Pferde. Manchmal ist es nur eine Armlänge entfernt.

WARUM BIST DU SO KÜHL, GELIEBTE? von KATHLEEN EAGLE
Wie kann eine Frau, die sich so fürsorglich um Pferde kümmert, Menschen gegenüber so abweisend sein? Pferdetrainer Logan steht vor einem Rätsel. Dabei weiß er, dass seine Schülerin – die hübsche Mary – sehr viel Liebe in sich trägt. Was verbirgt sie nur vor ihm?

NOCH EINMAL DEINE LIPPEN SPÜRENvon PATRICIA THAYER
"Und den Zuschlag erhält … der Gentleman in der letzten Reihe!" Lacey kann in der gleißenden Sonne kaum erkennen, wer ihre besten Pferde gekauft hat. Das ist doch …? Tatsächlich! Jeff, der sie vor zehn Jahren schwanger zurückgelassen hat. Was will er wieder in ihrem Leben?

BRIDGETS REISE INS GLÜCK von SHERI WHITEFEATHER
Weiterziehen oder sesshaft werden? Als Pferdetrainer Kade erfährt, dass seine Ex Bridget ihm einen Sohn geschenkt hat, sehnt er sich erstmals nach einem Zuhause. Aber will Bridget ihn überhaupt zurück?


  • Erscheinungstag 25.03.2022
  • Bandnummer 12
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510349
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kathleen Eagle, Patricia Thayer, Sheri WhiteFeather

BIANCA SPEZIAL BAND 12

1. KAPITEL

Die Einzelgängerin mit dem langen braunen Haar und dem Körper einer Langstreckenläuferin war eine außergewöhnliche Frau, das sah Logan Wolf Track auf den ersten Blick. Ihr war nicht egal, was um sie herum geschah, sie machte nicht gern Small Talk und mied größere Menschenmengen. Sie war wegen der Pferde gekommen, und nur deshalb.

Sie gefiel ihm jetzt schon.

Wahrscheinlich würde er seine Meinung noch vor Sonnenuntergang ändern, aber dass er sich auf den ersten Blick zu ihr hingezogen fühlte, war ein Zeichen. Logan hatte ein untrügliches Gespür für Seelenverwandtschaft. Ob er mit ihr zusammenarbeiten konnte, war allerdings eine andere Frage, aber zwanzigtausend Dollar waren das Risiko wert. Er war nämlich wegen der Pferde und des Geldes gekommen.

Das Wildpferdschutzgebiet Double D in South Dakota platzte aus allen Nähten mit den Tieren, die das Landverwaltungsamt der Obhut der Schwestern Sally Drexler und Ann Drexler Beaudry übergeben hatte. Die Auflage war, die Tiere zu zähmen und ihnen neue Besitzer zu verschafften – ein Adoptionsprogramm, das das Wildpferd-Problem nach und nach lösen sollte. Die beiden Pferdenärrinnen setzten jedoch gerade alle Hebel in Bewegung, um das Schutzgebiet zu erweitern. Vor allem die findige Sally hatte sich dafür einiges einfallen lassen.

Zum Beispiel den „Mustang Sally’s Makeover Challenge“, einen Wildpferdzähm-Wettbewerb, bei dem Logan unbedingt mitmachen wollte. Anns reicher Schwager hatte nämlich ein Preisgeld von zwanzigtausend Dollar für den Sieger ausgesetzt. Die Teilnehmer bekamen drei Monate Zeit, um der Welt zu beweisen, dass man aus Wildpferden ausgezeichnete Nutztiere machen konnte.

Logan war fest entschlossen, den Wettbewerb zu gewinnen. Nicht nur wegen des Geldes, sondern auch, um sein Renommee zu steigern. Er wusste zwar, dass ihm im Umgang mit Pferden niemand das Wasser reichen konnte, aber andere Leute wussten das nicht. Er hatte sogar ein Buch über seine Methoden geschrieben – ein tolles Buch –, nur verkaufte es sich leider nicht gut. Ein bisschen Publicity konnte daher nicht schaden, und Sallys Wettkampf zu gewinnen, brachte vielleicht den ersehnten Durchbruch.

Leider legte Sally ihm dabei ein paar Steine in den Weg. Oder vielmehr einen Stein – in weiblicher Form.

Er ging auf die Frau zu, die mit dem Rücken zu ihm am Zaun der Koppel stand. Sie war in den Anblick der sich dahinter jagenden Pferde vertieft. „Hat Sally Ihre Bewerbung auch abgelehnt?“, fragte er. Er kannte den Vornamen der Frau bereits, wollte jedoch abwarten, bis sie sich vorstellte, bevor er sie damit ansprach.

Irritiert drehte die Frau sich zu ihm um. Sie hatte unglaubliche Augen, mit denen sie ihn eindringlich musterte. Nach einer Weile senkte sie den Blick zu dem zerknüllten Formular in seiner Hand. „Ja, das hat sie“, gab sie zu. „Aber aus gutem Grund. Ich habe einfach nicht die nötige Qualifikation, um ein Wildpferd zu zähmen.“

Als sie den Blick wieder hob, changierte ihre Augenfarbe von Eisgrau zu einem kühlen Blau. „Außerdem ist es für mich sowieso unrealistisch, an dem Wettbewerb teilzunehmen. Ich habe nämlich nur dreißig Tage Zeit, um mich darauf vorzubereiten.“ Sie blinzelte gegen die Sonne. „Und was war bei Ihnen der Grund?“

„Ich bin überqualifiziert.“ Logan lächelte dünn.

Die Frau vor ihm trug kein Make-up. Nichts an ihr wirkte affektiert oder oberflächlich, und trotzdem hatte sie einen gewissen Stil. Doch am besten gefiel ihm ihr offenes Gesicht. „Sally hat etwas von einem Interessenkonflikt gesagt, aber meiner Meinung nach war das nur eine Ausrede“, fügte er hinzu.

Neugierig legte die Frau den Kopf schief. Da sie von der Sonne geblendet wurde, fiel es ihr offensichtlich schwer, Logans von einem Stroh-Cowboyhut beschattetes Gesicht zu erkennen. Das war sein Vorteil.

„Worauf wollen Sie hinaus?“

„Ich bin Pferdetrainer und außerdem Lakota – genau genommen Lakota Sioux. Mein Stamm unterstützt den Wettbewerb, daher der angebliche Interessenkonflikt. Hinzukommt, dass wir uns einverstanden erklärt haben, dem Wildpferdschutzgebiet mehr Land zur Verfügung zu stellen.“ Logan betrachtete die Pferde. „Ich kann trotzdem nicht nachvollziehen, dass sie mich deswegen ablehnt. Unser Stamm hat schließlich weder das Preisgeld gespendet, noch stellt er die Jury.“

„Wenn Sally sich bei allen Bewerbern so anstellt, wird sie nie genug Teilnehmer zusammenbekommen.“ Die Frau drehte sich ebenfalls wieder zu den Pferden um. Seite an Seite, fast Schulter an Schulter standen sie nebeneinander und teilten ihre Enttäuschung. „Ich bin übrigens Hundetrainerin“, fügte sie hinzu.

Dank Sally wusste Logan das auch schon. Noch ein Vorteil, den er der Frau gegenüber hatte. Sally hatte sie ihm vorhin durch das Bürofenster gezeigt, um ihm zu beweisen, dass er nicht der einzige Bewerber war, den sie hatte ablehnen müssen. Aber sie hätte da eventuell eine Lösung …

„Wenn Sie gut in Ihrem Job sind, bringen Sie meiner Meinung nach genug Erfahrung für den Wettbewerb mit“, erklärte Logan. „Welches Pferd gefällt Ihnen am besten?“

„Das da.“ Sie zeigte auf einen lehmfarbenen Wallach. Die dunkle Farbe der Mähne, des Schweifs und des Rückenstreifens zeigten, dass er einer alten Mustang-Linie entstammte. „Er will genauso wenig hier sein wie der Rest, ist aber intelligent genug, um sich dem Unvermeidlichen zu fügen. Das erkenne ich an seinem Blick.“

„Sie halten ihn also für intelligent?“

„Auf seine Art schon. Und ich habe das Gefühl, dass er sehr gut auf Signale reagieren würde.“

„Für welchen Zweck würden Sie ihn dressieren?“

Die Frau sah Logan verwirrt an.

„Darum geht es doch in diesem Wettbewerb, oder? Zu beweisen, dass man aus Wildpferden Nutztiere machen kann.“

„Na, zum Reiten natürlich. Ich würde ein lammfrommes Tier aus ihm machen, auf das sogar ein Kind steigen könnte.“

„Denken Sie dabei an ein bestimmtes Kind?“

„Nein, ich meinte das ganz allgemein.“ Sie schwieg für einen Moment. „Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich zuletzt mit Kindern zu tun hatte“, fügte sie leise hinzu.

„Wo ist eigentlich Ihr Hund?“

„Am anderen Ende der Welt.“ Sie drehte sich wieder zu ihm um, straffte die Schultern und hielt ihm die rechte Hand hin. „Mary Tutan. Sergeant Mary Tutan, U.S. Army. Zurzeit beurlaubt.“

„Logan Wolf Track. Ich lebe hier.“

„Sie Glücklicher. Sally und ich sind schon seit unserer Kindheit Freundinnen. Ich finde ihr Projekt großartig. Nur um klarzustellen, dass ich grundsätzlich auf ihrer Seite stehe.“ Die leichte Sommerbrise blies Mary das Haar aus dem Gesicht. „Mir gefällt übrigens auch der hübsche Rotschimmel da drüben.“

„Wollen Sie den Wettbewerb gewinnen oder nicht?“

Sie lachte. „Klar, wenn ich die Chance bekomme, mitzumachen.“

„Der Rotschimmel hat zu viel Weiß in den Augen. Bei dem muss man auf der Hut sein. Das ist bei Hunden doch bestimmt genauso, oder?“ Logan stützte die Unterarme auf das Geländer und warf Mary einen prüfenden Blick zu. „Ihre erste Wahl gefiel mir besser.“

„Mir auch. Den würde ich sofort reiten, wenn ich könnte.“

„Ich könnte Ihren Traum wahr machen. Vorausgesetzt natürlich, Sie meinen es wirklich ernst.“

Mary sah ihn verwirrt an.

„Ihre Freundin Sally hat noch etwas in der Hinterhand. Hat sie Ihnen nichts davon gesagt?“

Mary musste unwillkürlich lächeln. „Sally ist der aufrichtigste Mensch, den ich kenne. Irgendwelche Tricks sind nicht ihr Ding. Sie würde mich wirklich gern teilnehmen lassen, aber …“

„Das hat sie zu mir auch gesagt“, unterbrach Logan sie. „Und dass ich einen Partner brauche. Sally hat Sie empfohlen.“ Marys Verblüffung schien echt zu sein. „Sie melden sich also für den Wettbewerb an und zähmen das Pferd“, fügte er hinzu. „Ich trainiere Sie.“

„Das hat Sally vorgeschlagen?“, fragte Mary ungläubig.

Logan lachte. „Sally verdreht die Regeln immer so, wie es ihr gerade passt. Aber da ich sie mag, wäre ich gern bereit, auf ihren Vorschlag einzugehen. Wie sieht’s mit Ihnen aus?“

Mary starrte ihn an, als habe er den Verstand verloren. „Ich habe nur dreißig Tage Zeit!“

„Und ich alle Zeit der Welt.“ Logan grinste.

Mary räusperte sich. „Das ist wirklich ein sehr interessanter Vorschlag, Mr. Wolf Track …“, begann sie.

„Logan bitte“, unterbrach er sie.

„… aber was hätten Sie davon?“

Er zuckte die Achseln. „Sie können mir entweder mein übliches Honorar zahlen oder mich am Gewinn beteiligen. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen.“

„Ich bezweifle, dass ich mir Ihr Honorar leisten könnte. Außerdem ist mir das Geld sowieso nicht so wichtig.“ Sie richtete die Aufmerksamkeit wieder auf den Wallach. „Ich liebe Pferde einfach.“

„Ausgezeichnet. Dann machen Sie es aus Liebe und ich wegen des Geldes.“

Mary prustete los, doch Logan verzog keine Miene. „Das war mein voller Ernst.“

„Na ja, also, ich weiß nicht …“

„Sie möchten dieses Pferd doch gern reiten, oder? Wie gesagt, ich könnte Ihnen diesen Wunsch erfüllen, wenn Sie dafür bereit wären, auf einen Teil des Preisgelds zu verzichten.“

Sie starrte ihn fassungslos an.

Logan lächelte. „Ich schaffe es locker in dreißig Tagen, Sie für den Wettbewerb fit zu machen.“

„Und was ist mit den restlichen sechzig Tagen?“

„Die kriegt das Kind.“ Angesichts ihres verwirrten Stirnrunzelns fügte er hinzu: „Das Kind, das auf dem Pferd reiten soll.“

„Es geht leider nicht. Ich würde ja gern, aber ich …“

Aha, jetzt kommt’s. Sie macht einen Rückzieher, war ja klar.

„… bin eigentlich nur hierhergekommen, um meine Mutter zu besuchen. Ich kann unmöglich länger als dreißig Tage bleiben. Keine Ahnung, wie Sally auf die Idee kam, dass ich Ihre Partnerin werden soll. Steckt da womöglich mein Vater dahinter?“

„Ihr Vater?“

„Dan Tutan. Ihm gehört die Ranch hier in der Nähe. Er hat Indianerland gepachtet.“

„Glauben Sie etwa, ich kenne jeden Rancher, dem wir Land verpachten?“ Warum sagst du nicht einfach die Wahrheit, Wolf Track? Ein Teil des Landes, das Dan Tutan gepachtet hatte, sollte demnächst auf das Wildpferdschutzgebiet Double D übertragen werden. „Okay, ich kenne ihn, aber er hat nichts mit Sallys Idee zu tun. Sie wollte Ihnen einfach einen Gefallen tun. Aber um mitmachen zu können, brauchen Sie einen Trainer. Und ich bin der Beste, den es gibt.“

Kopfschüttelnd drehte Mary sich zum Wohnhaus der Drexlers um. „Sally, Sally“, murmelte sie vor sich.

„Wie wär’s, wenn Sie jetzt das Anmeldeformular ausfüllen, damit wir anfangen können?“

„Einfach so?“

„Sind Sie nicht diejenige, die nur dreißig Tage Zeit hat?“

Mary war noch immer unschlüssig. „Ich würde das Pferd beim Wettbewerb gern selbst vorführen, aber ich bin nicht die beste Reiterin.“

„Mir ist es egal, wer es reitet.“

„Wollen Sie den Wettbewerb gewinnen oder nicht?“, scherzte sie.

Logan zuckte die Achseln. „Na klar, ich will ja schließlich nicht leer ausgehen. Sie geben mir das Geld, und ich schenke Ihnen dafür meine Zeit.“

„Ich würde wirklich gern mitmachen“, sagte sie sehnsüchtig und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ein absoluter Traum.“

„Sehen Sie?“

„Was soll ich sehen?“ Sie beugte sich vor. „Ich meine, wie soll das Ganze denn eigentlich funktionieren? Und wie …“

Logan legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Unterschreiben Sie nur das Formular. Den Rest überlassen Sie mir.“

Für Mary war das alte große Haus der Drexlers immer ein zweites Zuhause gewesen. Als Mädchen hatte sie sich sogar manchmal gewünscht, es sei ihr echtes Zuhause, doch dann war ihr immer ihre Mutter eingefallen, und sie hatte ein schlechtes Gewissen bekommen. Als sie jetzt die quietschende Fliegengittertür öffnete, stiegen wieder die altvertrauten Gefühle in ihr hoch.

Im Haus wurde sie von einem gut erzogenen gelben Hund begrüßt und einer gefleckten Katze ignoriert. „Herein!“, hörte sie Sallys Stimme.

„Ich bin’s nur!“, rief Mary zurück, während sie dem Hund ein Zeichen gab, ihr nicht zu folgen, und den Mann neben sich hereinwinkte.

„Bin im Büro!“

Mary ging durch die sonnige Küche, durchquerte das gemütliche Wohnzimmer und die dämmrige Eingangsdiele und betrat Sallys Refugium, das ihr tagsüber als Büro und nachts als Schlafzimmer diente.

„Okay, Freundin, jetzt mal raus mit der Wahrheit. Wie lauten die Regeln für diesen Wettbewerb eigentlich?“

Sally schwang ihren ergonomischen Schreibtischstuhl zu Mary und Logan herum und lächelte. „Aha, ihr zwei habt euch also schon gefunden.“

„Überraschung, Überraschung! Also mir hast du gesagt, dass ich nicht qualifiziert genug für die Teilnahme bin, und ihm …“ Mary trat beiseite, um ihrem Begleiter Platz zu machen.

„… Logan“, ergänzte Sally. „Ich habe ihm erklärt, dass er kein Pferd bekommen kann, weil er zum Stammesrat der Lakota gehört, und der stellt uns demnächst eine Menge Land zur Verfügung. Als Team würdet ihr euch allerdings perfekt ergänzen.“ Sally strahlte über das ganze Gesicht. „Ist doch ein toller Deal für euch beide, findet ihr nicht?“

„Aber ich muss in dreißig Tagen wieder in Fort Hood sein!“

„Das liegt in Texas, nicht auf dem Mond. Ich habe hier sogar Bewerber aus …“ Sally nahm ein Schreiben aus einem der drei Postkörbe und rückte ihre Brille zurecht. „Hier schreibt eine Frau aus New York, was viel weiter entfernt ist. Wohnen dort wirklich Indianer?“

„Klar, jede Menge“, antwortete Logan.

„Super! Je bunter der Haufen, desto besser. Es geht doch nichts über ein paar Wildpferde, um die verschiedensten Leute zusammenzubringen.“ Sally warf Mary einen vielsagenden Blick zu. „Vielleicht gelingt es den Pferden ja sogar, dich später an den Wochenenden aus Texas herzulocken.“

„Ist die ganze Sache nicht viel zu aufwendig?“ Mary hatte allmählich das Gefühl, die einzig Vernünftige hier zu sein. „Um noch mal auf meine Frage von eben zurückzukommen …“

„Stimmt, erklär uns erst einmal die Regeln“, bekräftigte Logan.

Sally legte die Bewerbung aus New York beiseite. „Ich arbeite mit Max Becker vom Landesverwaltungsamt zusammen. Er ist der dortige Wildpferd-Spezialist und hat mir dabei geholfen, die Genehmigung für den Wettbewerb zu bekommen und das Anmeldeformular zu entwerfen. Wir wollen vermeiden, dass uns jemand betrügerische Absichten unterstellt und uns damit Schaden zufügt. Unser Budget ist auch so schon knapp genug bemessen.“

„Aber wozu dieser Aufwand?“, fragte Mary. „Wenn wir nicht qualifiziert sind, sind wir eben nicht qualifiziert.“

«Einzeln seid ihr das nicht, aber was spricht dagegen, wenn eine nicht qualifizierte Teilnehmerin sich Hilfe von einem erfahrenen Pferdetrainer holt?“ Sally richtete den Blick auf Logan. „Selbst wenn er zum Stammesrat gehört.“

„Wie kommst du nur immer auf solche Einfälle?“, fragte Logan verblüfft.

„Na ja, letztlich treffe ich die Entscheidung darüber, wer mitmachen darf und wer nicht. Und qualifizierte Bewerber sind rar gesät. Da muss man sich manchmal etwas einfallen lassen.“

„Was passiert eigentlich mit denen, die du ablehnen musst?“, fragte Mary.

Sally zeigte auf einen metallenen Papierkorb.

„Was? Die bekommen noch nicht mal eine Absage?“

„Doch, aber das übernimmt Annie. Sie schreibt so hinreißende Briefe, dass wir manchmal sogar Spenden erhalten.“

„Ich habe keinen Brief gekriegt“, sagte Mary zu Logan. „Sie etwa?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, meine Bewerbung liegt wahrscheinlich noch irgendwo hier herum.“

„Ihr liegt beide in dem Korb für die Bewerber, die wir nur unter bestimmten Voraussetzungen nehmen. Zusammen könntet ihr es in den ‚Ja‘-Korb schaffen.“ Sally sah an den anderen beiden vorbei, wobei ihr Blick ganz verklärt wurde.

Mary und Logan drehten sich um und entdeckten Hank Night Horse in der Tür. Er schüttelte Mary die Hand und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Krempe seines Cowboyhuts. Logan versetzte er einen Schlag auf die Schulter. „Wie läuft’s?“, fragte er.

„Ganz gut. Sag mal, wie wirst du eigentlich mit deiner Freundin fertig?“ Logan lachte.

Hank und Sally wechselten liebevolle Blicke.

„Anscheinend liegt in Hanks Fall kein Interessenkonflikt vor“, bemerkte Logan trocken zu Mary.

„Nur um das klarzustellen, ich mache bei dem Wettbewerb gar nicht mit“, erklärte Hank. „Ich habe nämlich alle Hände voll zu tun.“

Wie zum Beweis durchquerte er das Zimmer, setzte sich hinter Sally auf die Fensterbank und begann, ihr die schmalen Schultern zu massieren. „Der Kerl da ist der Beste, den du finden kannst, Sally“, sagte er. „Er bringt den Pferden das Witzeerzählen bei, bevor du überhaupt den Ring für den nächsten Wettbewerber freigemacht hast.“

„Keine Tricks“, sagte Logan. „Ein Pferd ist schließlich ein Pferd.“

„Stimmt. Ich habe volles Vertrauen in deine Fähigkeiten, Logan. Und je mehr Legenden nach dem Wettbewerb im Umlauf sind, desto besser. Zum Beispiel die vom Lakota-Pferdemann und der Kriegerin – ein gefundenes Fressen für sämtliche Pferdemagazine.“

„Kriegerin?“, wiederholte Mary belustigt. „Na ja, klingt wahrscheinlich besser als Hundesoldatin.“

„Warum?“, warf Hank ein. „Hundesoldaten waren die besten Krieger der Cheyenne. Sie formieren sich gerade wieder neu. Meine Schwester ist mit einem in Montana verheiratet. Wenn man Sie eine Hundesoldatin nennt, könnten Sie das ruhig als Kompliment auffassen.“

„Tu ich ja auch. ‚Hundesoldatin‘ ist auf jeden Fall besser als ‚Hundegesicht‘, aber Hundespezialistin klingt trotzdem besser.“

„Dann nennen Sie sich also nicht ‚Hundeflüsterin‘?“, neckte Logan sie. „Heutzutage flüstert doch alle Welt.“

„So wie du, Cowboy, oder?“ Sally lächelte Hank verschmitzt an. „Du flüsterst, und ich schnurre.“

„Wie süß“, kommentierte Logan trocken.

Mary hob eine Augenbraue und sah ihn an. „Haben Sie nicht auch das Gefühl, dass wir hier gerade stören?“, fragte sie.

„Ich gehe erst, wenn ich bekommen habe, was ich wollte“, erklärte er. „Melden Sie sich an. Ich bin bereit, Sie zu trainieren.“

Sally lächelte ihrer Freundin aufmunternd zu. Die beiden Frauen sahen einander nicht oft, seitdem Mary beim Militär war, aber das tat ihrer Freundschaft keinen Abbruch. Sally war … eben Sally.

Okay, jetzt kam der Moment der Entscheidung. Mary drehte sich zu Logan um und sah ihn an. Bei ihrer Armee-Ausbildung hatte sie gelernt, Herausforderungen zu schätzen, vor allem, wenn sie von einem würdigen Gegner stammten. „Na schön, aber wir machen Halbe-halbe“, sagte sie. „Das wäre nur fair. Außerdem teilen wir sämtliche Ausgaben, ganz egal, ob wir gewinnen oder verlieren.“

„Wir können gar nicht verlieren“, gab er zurück. „Das hier ist einer dieser berühmten Deals, von dem beide Seiten profitieren. Wer schreibt eigentlich den Artikel über uns?“

Sally war so tief versunken in Hanks Massage, dass sie vor Schreck fast vom Stuhl gekippt wäre. Gutmütig nahm sie das belustigte Gelächter der anderen hin. „Ach, das ergibt sich schon von ganz allein, wenn eure Teilnahme sich herumspricht.“ Lächelnd blickte sie zur Tür. „Ich glaube, ich werde Annie damit beauftragen, da etwas nachzuhelfen.“ Ihre jüngere Schwester Ann betrat gerade das Zimmer.

„Womit willst du mich … Mary!“, rief sie freudig überrascht und umarmte die Freundin ihrer Schwester. „Bist du auch mal wieder da? Mensch, du siehst echt toll aus!“

„Du aber auch.“ Annie wirkte sehr glücklich – und war erheblich schlanker als früher. Mary fielen wieder die zahlreichen Spitznamen ein, die sie und Sally der „Kleinen“ früher immer verpasst hatten. Speckbacke zum Beispiel.

Als Mary den großen, dunklen und gut aussehenden Cowboy in Annies Schlepptau entdeckte, beglückwünschte sie sich im Stillen, nicht mit diesem Spitznamen herausgeplatzt zu sein. „Das muss dein neuer Ehemann sein“, sagte sie. „Herzlichen Glückwunsch nachträglich zur Hochzeit. Ich bin übrigens Mary Tutan.“

Zach Beaudry reichte ihr zögernd die Hand. „Tutan?“, fragte er. „Sind sie etwa mit …“

„Ja, ich bin Damn Tootin’s Tochter.“

„Und meine allerbeste Freundin“, ergänzte Sally mit Nachdruck. „Dan Tutan hin oder her.“

„Tja, er ist ein ziemlich schwieriger Mensch, mein Vater. Niemand weiß das so gut wie ich.“ Mary seufzte und zuckte die Achseln. „Außer meiner Mutter natürlich. Und meinem Bruder.“ Sie lächelte entschuldigend. „Meine Freunde natürlich auch.“

„Wir hatten nur eine sehr kleine, bescheidene Hochzeit“, erklärte Ann schuldbewusst. „In einer Hütte in den Black Hills. Ganz familiär.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und legte Mary einen Arm um die Schultern. „Wenn du auch da gewesen wärst, hätten wir ihn natürlich …“

„Ich mache dir keinen Vorwurf, dass du meinen Vater nicht eingeladen hast“, beschwichtigte Mary sie. „Bei meiner Hochzeit würde ich ihn auch nicht dabeihaben wollen. Er ist …“, Mary warf Logan einen Blick zu, „… schwierig.“

„Auf jeden Fall hält er nicht besonders viel von unserem Schutzgebiet“, erklärte Sally. „Das ist ein echtes Problem.“

„Ach, Dad ging es schon immer nur darum, seinen Willen durchzusetzen“, sagte Mary abfällig. „Na ja, auf diese Art bringt er zumindest das Essen auf den Tisch. Solange einem gefällt, was er isst.“

Ein unbehagliches Schweigen breitete sich im Zimmer aus. Mary atmete tief durch und beschloss, das Thema zu wechseln. Langsam drehte sie sich wieder zu Logan um. Plötzlich hatte sie Lust auf die neue Herausforderung. „Und? Halbe-halbe? Was sagen Sie zu meinem Angebot?“, fragte sie.

„Was leisten Sie für Ihre Hälfte?“

„Lernen. Was kein Problem sein dürfte, wenn Sie wirklich so gut sind, wie man sagt.“ Sie lächelte. „Ich kann gut Befehle annehmen.“

„Ich erteile grundsätzlich keine Befehle. Von mir lernt man nur durch Zusehen und Zuhören.“ Logan verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie machen also mit?“

„Klar, lassen Sie uns loslegen.“

Logan drehte sich zu Sally um. „Okay, hefte unsere Bewerbungen zusammen und gib uns ein Pferd.“

2. KAPITEL

„Was machst du denn da, Mom?“ Mary eilte auf Audrey Tutan zu und nahm ihr die alte Eismaschine ab, welche die ältere Frau gerade aus dem Keller holte. „Der Arzt hat dir doch das Heben schwerer Gegenstände streng verboten!“

Das alte eiserne Küchengerät war so groß und schwer, dass die steile Kellertreppe ein echtes Risiko darstellte. In der Küche angekommen, machte Mary das Kellerlicht aus und schloss die Tür hinter sich.

„Ich dachte, wir feiern deinen Urlaub“, sagte ihre Mutter, als sie wieder Luft bekam. „So schwer ist die Maschine gar nicht, und dein Vater hatte plötzlich Lust auf selbst gemachtes Eis.“

„Hat Dad dich etwa darum gebeten, welches zu machen?“

„Nein, nein, er hat nur beiläufig erwähnt, wie verrückt du früher immer danach warst, nachdem du Grandmas alte Eismaschine im Keller entdeckt hattest. Seit deinem Auszug habe ich sie nicht mehr benutzt.“

„Heute gibt es doch längst elektrische Eismaschinen.“ Mary stellte den Dinosaurier aus den Sechzigerjahren auf den aus derselben Ära stammenden Küchentisch und wischte sich die Hände ab. „Sag bloß, du hast gerade im Keller herumgewühlt?“

„Das war nicht nötig. Ich wusste ja, wo die Maschine steht. Außerdem ist es schön kühl da unten, ganz im Gegensatz zu hier. Ich dachte, ich mache uns Erdbeereis.“

Mary begutachtete das alte Gerät. Sie hatte kaum noch Erinnerungen an ihre Großmutter, die gestorben war, als Mary acht Jahre alt gewesen war. Allerdings hatte sie ihrer Tochter zahllose ungeschriebene Rezepte vermacht.

Sie nahm den Deckel ab und inspizierte das Innere. Darin lag ein Spatel, den sie früher mehr als einmal gierig abgeleckt hatte. Sie würde ihn gründlich mit Wasser und Spülmittel reinigen.

„Kleiner sind die Eismaschinen heute auch“, sagte sie, als ihre Mutter einen großen Topf aus dem Schrank über dem Herd zog. „Hat Dad wirklich vorgeschlagen, mir zu Ehren Eis zu machen?“

„Nein, aber ich weiß, dass er das gedacht hat.“

Mary bezweifelte das sehr, behielt ihre Skepsis jedoch für sich. Audrey Tutan war immer ein stiller und zurückhaltender Mensch gewesen, und seitdem ihre Kinder das Haus verlassen hatten, lebte sie vollkommen zurückgezogen. Mary hatte ihr nie etwas verheimlichen können, doch ihre Mutter hatte ihre Geheimnisse immer genauso gut gehütet wie ihre eigenen. Es sei denn, es ging darum, den Frieden im Hause Tutan zu retten.

Weiß der Himmel, wie sie auf die Idee gekommen war, dass ihr Mann hausgemachtes Eis essen wollte. Aber sie las ihm jeden Wunsch von den Augen ab und stand ihm immer loyal zur Seite. Bitte lass uns nicht über ihn reden, Mom, sondern hör mir einfach zu. Und erzähl mir von dir.

„Wie geht’s Sally?“, fragte Audrey, während sie die Kühlschranktür öffnete.

„Sie hat anscheinend ihren Seelenverwandten gefunden. Ich habe sie noch nie so glücklich erlebt.“

„Ich habe ihren Freund schon kennengelernt. Er macht einen sehr sympathischen Eindruck. Ich frage mich nur, ob ihm bewusst ist …“ Audrey drehte sich zu ihrer Tochter um, den vollen Milchkrug in der Hand. „Mit ihrer Gesundheit steht es doch nicht zum Besten oder?“

„So könnte man es auch ausdrücken“, antwortete Mary gereizt, während sie den Zuckerbestand überprüfte und die Dose in Audreys Reichweite stellte. „Multiple Sklerose ist unheilbar, Mom!“ Sie schwieg einen Moment. „Tut mir leid, ich wollte nicht so heftig reagieren.“ Sie legte eine Hand auf die ihrer Mutter. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie zerbrechlich ihre Mutter sich anfühlte. Sie erschrak.

Als sie erfahren hatte, dass ihre Mutter im Krankenhaus lag, hatte sie sich zwar pflichtbewusst beurlauben lassen, war zu ihrem Elternhaus gereist und hatte ihren Platz an der Seite ihrer Mutter eingenommen, doch nicht einen Moment lang wäre sie auf die Idee gekommen, dass ihre Mutter sterblich war.

„Sally hatte einen Gehstock“, erklärte Mary, „aber sie hat noch genauso viel Mumm wie früher. Sie verspricht sich eine Menge Publicity von dem neuen Wettbewerb. Die Teilnehmer können sich ein Pferd aussuchen, es für einen bestimmten Zweck trainieren und das Ergebnis am Ende präsentieren. Der oder die Gewinner kriegen einen Haufen Geld.“

Mary öffnete den Küchenschrank und holte einen Messbecher heraus. Es fühlte sich angenehm vertraut an, ihrer Mutter in der Küche zu assistieren. Außerdem lenkte die Aufgabe sie davon ab, ihrer Mutter Fragen zu stellen, auf die sie auch keine Antwort wusste.

Was passiert nur mit uns und unseren Körpern, Mom? Du weißt es nicht? Aber wenn nicht du, wer dann?

Die Vorstellung, dass manche Dinge einfach passierten, ohne dass man Einfluss darauf hatte oder etwas daran ändern konnte, machte ihr Angst. Vielleicht fühlte sie sich deshalb so wohl bei der Armee. Weil dort eine klare Ordnung herrschte, die ihr ein Gefühl der Sicherheit gab. Warum gelang es ihr nur nicht, sich dieses Gefühl auch zu Hause zu bewahren?

Weil es kein echtes Zuhause ist.

Mary lehnte sich gegen die Arbeitsfläche. „Ich werde auch bei dem Wettbewerb mitmachen.“

„Was? Du willst ein Pferd ausbilden?“ Audrey stellte den Herd an, um die Milch zu erhitzen. „Wie lange dauert so etwas denn?“

„Man bekommt neunzig Tage Zeit.“

„Dann heißt das also, dass du nicht zur Armee zurückgehst?“

Mary zuckte die Achseln. „Nein, ich habe einen Partner, der mir zeigt, wie ich das Pferd zähmen kann.“

„Was sind das für Verrücktheiten, Mädchen?“ Beide Frauen drehen sich erschrocken in die Richtung um, aus der die aggressive männliche Stimme gekommen war. „Du redest doch wohl nicht etwa von dem Hundefutter da in diesem Schutzgebiet?“

Wenn Dan Tutan nicht gerade in ein Zimmer stürmte, tauchte er so unmerklich auf wie ein Geist. In beiden Fällen erschreckte er einen fast zu Tode. Bei der Armee hätte er es weit gebracht, dachte Mary sarkastisch. „Ich habe gerade mit Mom geredet“, erklärte sie steif.

„Das war ein Witz, Tochter.“ Doch Dans Augen lächelten nicht. „Ich weiß schließlich, dass die Drexler-Mädchen deine Freundinnen sind. Mir gefällt ihr Treiben zwar nicht besonders, aber sollen sie ruhig ordentlich Hundefutter züchten. Ich leihe ihnen auch gern meinen Fleischwolf, wenn die Zeit zum Schlachten reif ist.“ Belehrend hob er den Zeigefinger. „Das war übrigens auch ein Witz.“

„Natürlich.“ Haha.

Dan rückte ein paar Schritte näher, um einen Blick in den Topf auf dem Herd zu werfen. Audrey machte ihm Platz und rührte weiter, als wäre nichts geschehen.

„Wird das Vanilleeis?“, fragte Dan.

„Nein, Erdbeereis.“

„Gut.“ Dan drehte sich zu Mary um. „Warum hast du eigentlich nicht einen deiner Hunde mitgebracht, um uns ein paar ihrer Tricks vorzuführen?“

„Sie sind Arbeitshunde, Dad.“

„Gibt die Armee ihnen etwa keinen Urlaub?“ Dan lachte schallend über seinen eigenen Witz.

„Sie hat uns doch eine DVD geschickt“, warf Audrey ein, während sie die Temperatur der Milch mit dem Finger überprüfte. „Mary ist eine fantastische Ausbilderin.“ Sie stellte das Gas ab und sah Mary an, während sie den Topf vom Herd nahm. „Ich habe mir die DVD auf dem Computer angesehen, aber dein Vater mag keine Computer.“

„Sie mögen mich nicht“, kommentierte er trocken.

„Warum sehen wir uns die DVD nicht nachher alle zusammen an?“, schlug Audrey vor. „Dann kann Mary uns genauer erzählen, was sie eigentlich bei der Armee macht.“ Sie öffnete den Kühlschrank und holte Eier und Sahne heraus. „Wir könnten währenddessen das Eis essen und dazu ein paar …“

„Die Drexlers wollen das ganze Gebiet westlich des Highways übernehmen“, fiel Dan ihr ins Wort. Offensichtlich hatte er noch mehr Witze auf Lager. „All das Indianerland, das ich gepachtet habe.“

„Das ist doch mehr oder weniger unfruchtbar, oder?“, entgegnete Mary. Ihr Verstand riet ihr, Dans Bemerkungen einfach ignorieren, aber sie konnte sich einfach nicht beherrschen.

„Quatsch, da drüben wächst jede Menge Gras. Und die Lakota wollen es jetzt einfach so diesen Mädchen und ihrem dämlichen Wohltätigkeitsprojekt überlassen.“

„Du nutzt das Land doch sowieso kaum. Es ist genauso verwildert wie diese Pferde.“

„Offensichtlich verstehst du nicht das Geringste von Viehzucht. Weiß der Teufel, was aus dieser Ranch hier werden soll, wenn ich eines Tages nicht mehr da bin! Du und dein Bruder!“ Dan schnaubte verächtlich. „Da schuftet man sein ganzes Leben, um etwas aufzubauen, und die Tutan-Erben haben keinen blassen Schimmer, wie sie den Betrieb weiterführen sollen! Aber anscheinend ist das zu viel verlangt!“

„Tutan-Erben? Klingt wie eine Gruppe Backgroundsänger“, höhnte Mary.

„Na, wenn es hart auf hart kommt – denn früher oder später wird man sich zwischen ihren Pferden und unseren Kühen entscheiden müssen – wird sich ja zeigen, auf wessen Seite du und dein Bruder stehen!“

„Wann hast du eigentlich das letzte Mal von deinem Sohn gehört?“

Schweigen. Marys älterer Bruder hatte das Haus sofort nach dem Highschool-Abschluss verlassen, um aufs College zu gehen. Mary hatte große Hochachtung vor ihm, weil er sich das Studium selbst mit Jobs finanziert hatte. Er arbeitete inzwischen für die Forstverwaltung im Pacific Northwest. Leider hatten die Entfernung und die Zeit den Kontakt zu ihm einschlafen lassen.

„Er hat mich am Muttertag angerufen“, erzählte Audrey. „Ihm und Adrienne geht es gut.“

„Freut mich zu hören“, sagte Mary. „Wenn er seine Meinung zu South Dakota je ändern sollte, überlasse ich ihm gern die Ranch.“

„Erst einmal muss er seine Meinung über mich ändern“, sagte Dan gereizt. „Bevor er sich nicht bei mir entschuldigt, braucht er gar nicht erst anzukommen. Außerdem schuldet er mir noch die zweitausend Dollar, die ich ihm für sein Auto geliehen habe.“

„Das brauchte er dringend fürs College, Dad. Und der Wagen war …“

„Ein Haufen Schrott, ich weiß, aber immerhin hat er gelernt, ihn zu reparieren. Und zwar nicht auf dem College. Da lernt man doch sowieso nichts Nützliches. Ich werde nie verstehen, was er in diesem Elfenbeinturm verloren hat! Ich sage dir eins: Bevor er diese beiden Bedingungen und vielleicht ein, zwei weitere nicht erfüllt hat, kriegt er gar nichts von mir! Ich habe ihn abgeschrieben.“

„Na, Mom kann ihn wieder zurückschreiben, wenn du nicht mehr da bist.“ Mary unterdrückte ein triumphierendes Lächeln, während sie beobachtete, wie ihre Mutter Eier trennte und die Eigelbe in eine Zuckerschüssel gleiten ließ. „Das war übrigens auch ein Witz.“

Niemand lachte. Dan Tutan würde niemals sterben, er war unverwüstlich. Ginge es auf der Welt gerecht zu, würde ihre Mutter ihn lange genug überleben, um die Ranch zu verkaufen und sich ein schönes Leben zu machen. Aber Mary hatte genug von der Welt gesehen, um zu wissen, dass das Leben für zu viele Frauen verdammt ungerecht war. Leider auch für ihre Mutter.

„Wir haben anscheinend die gleiche Art Humor, Tochter. Einen Humor, den niemand sonst versteht.“

„Wenn du meinst.“ Mary verschränkte die Arme vor der Brust, als Dan die Küche wieder verließ. „Ich wünschte, ich hätte einen der Hunde mitbringen dürfen“, sagte sie zu ihrer Mutter. „Ich vermisse sie irgendwie.“

„Ich hätte nichts dagegen. Würdest du bitte die Milch zum Eischaum gießen, während ich weiterrühre?“ Audrey rückte ein Stück zur Seite, um Mary Platz zu machen. „Ist sie schon weit genug heruntergekühlt?“

Da Mary sich nicht sicher war, hielt sie ihrer Mutter den Topf zum Fingertest hin.

Audrey probierte und nickte. „Hast du keine Angst, dass Sallys Wettbewerb dich länger hier festhalten könnte als geplant?“, fragte sie. „Selbst dann, wenn du das Pferd nicht allein trainieren musst.“

„Eigentlich bin ich ja deinetwegen hergekommen, Mom.“ Halt die Klappe, Mary. Sonst fängst du womöglich noch an zu heulen. Verdammte Hormone!

Sie holte tief Luft und stellte den Topf zur Seite. Können wir in Ruhe miteinander reden, Mom? Bitte, nur wir zwei. „Du sagst mir rechtzeitig Bescheid, wenn es dir hier zu viel wird, oder? Denn offensichtlich hat sich hier nichts …“ Verändert? „Das Wichtigste ist jetzt deine Gesundheit. Und dass du dich hundertzehnprozentig erholst.“

„Hauptsache, mein Gehör erholt sich nicht.“ Audreys Augen funkelten belustigt auf. „Das würde ich gern auf fünfzig Prozent reduzieren.“ Sie nickte in Richtung Kühlschrank. „Ich habe die Erdbeeren schon zerdrückt. Sie sind in der …“

„Blauen Tupperdose“, ergänzte Mary lachend. Sie war froh, dass sich in der Küche ihrer Mutter nichts verändert hatte.

„Das Salz ist auf der vorderen Veranda, und Eis befindet sich im Tiefkühlfach.“ Audrey rührte die Erdbeeren unter die sahnige Masse. „Weißt du noch, wie wir im Sommer früher immer auf die Veranda gegangen sind und die Drexler-Mädchen und du gekurbelt habt, bis euch fast der Arm abfiel?“ Sie hob eine Augenbraue. „Ruf die beiden doch an und sag ihnen, dass wir Eis machen. Ich könnte wetten, dass sie dann sofort rüberkommen.“

„Nein, lass uns unter uns bleiben, Mom. Ich halte den Behälter, während du die Masse einfüllst.“

Kurz darauf saß Audrey auf der quietschenden Verandaschaukel, das Eis rasselte im Eimer, und zwei Feldlerchen sangen im Gras. Sommermusik, dachte Mary, während sie die Kurbel drehte.

Was sie früher als so anstrengend empfunden hatte, fühlte sich heute wie eine bloße Aufwärmübung an. Sie vermisste das Fitnesstraining bei der Armee. Ihr Gesicht war nicht übermäßig schön, aber sie hatte einen tollen Körper, und den wollte sie sich unbedingt erhalten.

Sie wechselte die Hände und kurbelte mit links weiter. Je mehr Widerstand, desto besser für die Muskulatur.

„Was zum Teufel bilden die sich eigentlich ein?“, hörte sie plötzlich die aufgebrachte Stimme ihres Vaters hinter sich.

Stellt die Musik aus. Hier kommt Damn Tootin’.

Dan kam auf die Veranda gestürmt und wedelte wütend mit einem Blatt Papier. In der anderen Hand hielt er einen Umschlag. „Ich habe gerade einen Brief vom Landesverwaltungsamt bekommen! Sie schreiben, dass ich in den Hügeln westlich vom Coyote Creek ab jetzt keine Rinder mehr weiden lassen darf. Sie wollen das Land der Tierwelt zur Verfügung stellen. Eine unglaubliche Verschwendung in meinen Augen!“

Mary hörte auf zu kurbeln und dehnte die Finger. „Das Gebiet ist doch total abgelegen, Dad. Warum kannst nicht einfach darauf verzichten?“

„Wenn du diesen Leuten den kleinen Finger hinhältst, nehmen sie doch sofort die ganze Hand! Nicht lange, und sie schreiben mir womöglich vor, wie ich meine Ranch zu führen habe!“

Die Verandaschaukel begann wieder zu quietschen, wenn auch etwas zurückhaltender. Audrey ließ den Blick zu der großen Hecke schweifen, die an der Nordseite des Hofs als Windbrecher angepflanzt worden waren. Mary hätte dem Beispiel ihrer Mutter folgen und schweigen können. Keine Chance.

„Wer ist sie?“

„Menschen, die keine Ahnung von Landwirtschaft haben und sich deshalb verdammt noch mal da raushalten sollten!“, brüllte er. „Zum Henker mit ihren dämlichen Projekten und angeblich gefährdeten Tierarten! Als gäbe es in den Staaten nicht schon genug Wildpferde!“ Hochrot vor Wut hob er den Fuß und stieß gegen den Hocker, auf den Mary die Eismaschine gestellt hatte. „Die können mich mal!“, brüllte er.

Hocker, Eismaschine, Eis, Salzwasser und rosa-weiße Masse flogen über die Veranda.

Mary starrte entsetzt auf das Chaos. „Du hast Grandmas Eismaschine kaputt gemacht!“, rief sie.

„Ach was, die ist nicht kaputt“, sagte Audrey beschwichtigend. Unfassbar, wie gelassen sie reagierte. „Ich werde sie gleich reparieren“, fuhr sie fort und klang genauso wie damals, als Dan Marys Dreirad mit seinem Traktor überfahren hatte. „Keine Sorge, ich mache später anderes Eis.“

„Wer zum Teufel ist das denn?“ Finster zog Dan die Augenbrauen zusammen und drehte sich zur Sandstraße um, die das Tor der Ranch mit der Kiesauffahrt verband. Ein blauer Jeep mit einem Pferdeanhänger rumpelte auf sie zu. Schweigend beobachteten sie, wie der Wagen zum Stehen kam und der Fahrer ausstieg.

Marys Herz machte einen Satz.

„Das ist ja dieser verdammte Indianer vom Stammesrat! Einer von den Idioten, die mir mein Pachtland wegen dieser Mustangs wegnehmen wollen! Dog Track oder wie dieser dämliche …“

„Halt den Mund, Dad!“, sagte Mary scharf.

„Was?“ Diesmal war Dan an der Reihe, entsetzt zu reagieren. „Was hast du gerade zu mir gesagt?“

„Du hast mich genau verstanden! Willst du etwa auch noch den Rest des Pachtlands verlieren?“ Sie funkelte ihren Vater wütend an.

Logan war inzwischen ausgestiegen und vor der Veranda angekommen. „Hat hier jemand Milch verschüttet?“, fragte er.

„Nein, das hatte eigentlich Eis werden sollen“, antwortete Mary, als er die Verandastufen hochstieg. „Mom, hast du Logan Wolf Track schon kennengelernt? Logan, das ist Audrey, meine Mutter. Meinen Vater kennen Sie ja schon.“ Da ihre Stiefel mit Eismasse bedeckt waren, hatte sie gerade keine Lust, Dan vorzustellen. Logan reichte Dan höflich die Hand und drehte sich zu Mary um. „Ich wollte das Pferd abholen.“

„Jetzt?“

„Sally hat gesagt, wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wollen Sie mich begleiten, oder haben Sie andere …“

„Was für ein Pferd?“, unterbrach Marys Vater ihn unhöflich. „Du kommst doch wohl hoffentlich nicht auf die dämliche Idee, hier ein Pferd anzuschleppen!“

„Tut mir leid, Logan, mein Vater ist heute ein bisschen unwirsch. Er hat gerade schlechte Neuigkeiten bekommen. Aber wir wollten das Pferd sowieso nicht hierherbringen, oder?“

„Nein.“ Logan warf einen weiteren Blick auf das Durcheinander und lächelte dünn. „Wildpferde sind sehr sensible Tiere.“

Audrey erhob sich von der Verandaschaukel. „Heißt das, du machst wirklich bei dem Wettbewerb mit?“, fragte sie Mary. „Sind Sie der Pferdetrainer, Mr. Wolf Track?“

„Unter anderem, ja.“

„Warten Sie, ich möchte das hier erst sauber machen.“ Mary wollte den umgekippten Hocker aufrichten, doch Logan war ihr schon zuvorgekommen. Sie hob stattdessen die Eismaschine auf.

„Fahrt doch ruhig schon mal los, Mary“, sagte Audrey. „Ich spritze die Veranda einfach mit dem Schlauch ab.“

Mary stellte die Maschine auf den Hocker zurück. „Das will ich auf keinen Fall, Mom.“

Logan entdeckte den Schlauch an der Wand, sprang sofort die Treppe hinunter, wickelte ihn auseinander und reichte Mary die Spritzdüse über das Geländer hinweg. Dann wartete er auf ihr Startsignal, das Wasser anzustellen. Marys Eltern beobachteten stumm, wie die beiden die Veranda säuberten.

„Warum begleitest du uns nicht?“, bot Mary ihrer Mutter an, als sie fertig waren. Sie kam sich vor wie ein Teenager, der zu seinem ersten Date aufbricht. „Wir wollen uns jetzt das Pferd aussuchen.“

„Ach nein.“ Audrey warf einen verstohlenen Blick auf Dan und lächelte. Unfassbar. „Ich habe noch so viel zu tun. Neues Eis machen zum Beispiel, falls noch jemand Interesse daran hat.“

„Und ob jemand Interesse daran hat“, grummelte Dan.

„Das können wir übernehmen, wenn wir wieder zurückkommen. Das Kurbeln ist doch viel zu anstrengend für dich.“ Mary drehte sich zu Logan um. „Mögen Sie selbst gemachtes Eis?“, fragte sie.

„Ich wusste gar nicht, dass man so etwas selbst machen kann.“

„Es schmeckt absolut himmlisch. Ich gebe Ihnen etwas, wenn wir wieder da sind. Als Ausgleich für den Fahrdienst.“ Logan starrte sie an, als ob ihr Hirn sich gerade selbst in Eiscreme aufgelöst hätte. „Vertrauen Sie mir“, fügte sie hinzu. „Sie werden das Zeug aus dem Supermarkt danach nie mehr anrühren.“

„Ich weiß ehrlich gesagt kaum noch, wie das schmeckt.“

Mary unterdrückte ein Lachen.

Logan nickte zum Jeep. „Okay, dann lassen Sie uns losfahren.“

Mary ist wirklich eine interessante Frau, dachte Logan. Und sie wurde von Minute zu Minute interessanter.

Bei der Armee war er nicht allzu vielen Frauen begegnet. Dabei hätte er damals weiß Gott Erfahrungen brauchen können. Er war ein guter Jäger und Boxchampion gewesen, als er sich gemeldet hatte, aber von Frauen hatte er nicht die geringste Ahnung gehabt. Er hatte sich sein Wissen auf die harte Tour angeeignet, indem er geheiratet und sich seiner Frau komplett untergeordnet hatte. So bedürftig war er damals gewesen … und so scharf auf Tonya.

Ob es irgendetwas zu bedeuten hatte, dass Mary ihm hausgemachtes Eis angeboten hatte? Mann, er war zu alt für Spielchen! Außerdem neigte er dazu, Flirts viel zu ernst zu nehmen. Den Wasserschlauch zu bedienen, war einfacher gewesen. Da wusste er wenigstens, woran er war.

Tonya war älter und klüger – na ja, cleverer – gewesen als er, aber sie war verschwunden, bevor er gewusst hatte, wie ihm geschah. Doch seitdem war viel Wasser den Bach hinuntergeflossen, und Wasser kühlte heißes Blut.

Schweigend erreichten Mary und Logan den Highway. Er spielte schon mit dem Gedanken, die Stille mit Countrymusik zu übertönen, als Mary unvermittelt sagte: „Er wird sich nie ändern.“ Ihre Stimme klang erschreckend dünn – so wie die ihrer Mutter vorhin, nur nicht so erschöpft. Eher gedemütigt. Wie bei einem Kind bei einem Fußballturnier, dessen Vater ständig den Schiedsrichter anbrüllt.

Logan hatte vorher noch nie persönlich mit Tutan gesprochen, aber dass er sich für etwas Besseres hielt und Sonderrechte für sich in Anspruch nahm, war auch so offensichtlich gewesen. Warum wollte es dem Alten einfach nicht in den Kopf, dass ein Rancher, der kein Indianer war, auf Indianergebiet nichts zu sagen hatte? Zumindest nicht mehr. Trotzdem hatte er dem Stammesrat immer wieder neue Forderungen gestellt – zuletzt hatte er verlangt, die Pachtrechte an dem Land zu behalten, das er an das Wildpferdschutzgebiet abtreten sollte.

Ich hatte das Land schon gepachtet, als es noch kein anderer gewollt hatte.

Das hatte Logan ihm zugestehen müssen.

Ich war zuerst dort.

Logan hatte nur herzlich gelacht.

Der Stamm ist mir noch etwas schuldig.

Nach diesem Argument hatte Logan die Sitzung einfach beendet und die Entscheidung bestätigt, das unter dem Namen Coyote Hills bekannte Indianergebiet den Drexlers zu überlassen. Und da sie für einen wohltätigen Zweck arbeiteten, sogar zu besonders günstigen Konditionen.

Er konnte daher gut nachvollziehen, dass Mary sich für ihren Vater schämte, und sie hatte sein volles Mitgefühl. Trotzdem hatte er keine Lust, mit ihr darüber zu reden. Schließlich interessierte er sich für sie und nicht für ihre Familie, auch wenn sie außer einem Pferd nichts gemeinsam hatten.

„Ich mache mir Sorgen um meine Mutter.“

Verdammt! Das war ein noch schwerwiegenderes Problem als ein peinlicher Vater. Und nach allem, was Logan auf der Veranda gesehen hatte, waren Marys Sorgen berechtigt. Wenn die Tutans ihn etwas angingen, würde er sich auch Gedanken um Audrey machen, aber Gott sei Dank war das nicht der Fall.

„Er wird sie noch umbringen!“

Wie bitte? „Dann lassen Sie uns sofort umdrehen und Ihre Mutter holen.“

„Sie würde ihn nie allein lassen. Ich habe schon öfter versucht, sie dazu zu überreden.“ Als Logan heftig auf die Bremse trat, korrigierte Mary sich hastig: „Ich meinte nicht, dass er sie töten will, sondern dass er sie noch mal ins Grab bringen wird.“ Sie lächelte entschuldigend. „Habe ich eben wirklich ‚umbringen‘ gesagt?“

„Ja, haben Sie.“

„Also, das wird er nicht … zumindest nicht im wörtlichen Sinne.“ Sie lachte humorlos auf. „Nicht eigenhändig, meine ich.“

Logan trat wieder aufs Gaspedal.

„Mir hat sie erzählt, dass sie nur einen kleinen Herzinfarkt hatte“, fuhr Mary fort. „Was soll das bitte schön sein, ein kleiner Herzinfarkt? Sie war zwar nur zwei Tage im Krankenhaus, aber das bedeutet heutzutage gar nichts. Vor allem dann nicht, wenn der Ehemann Druck wegen der Entlassung macht. Ich bin extra ihretwegen nach Hause zurückgekommen, aber ich habe das Gefühl, nichts für sie tun zu können.“

„Wenigstens haben sie jetzt ein zweites Projekt“, sagte Logan in der Hoffnung, sie aufzuheitern.

„Stimmt. Damit kann ich mir zumindest auf sinnvolle Weise die Zeit vertreiben.“

„Und Ihrem Vater beweisen, was in Ihnen steckt.“

„Dankeschön, das weiß ich selbst genau. Ich musste es auf die harte Tour lernen.“

„Wie oft sind Sie schon im Einsatz gewesen?“

„Zwei Mal. Im Mittleren Osten.“

Anerkennend hob Logan die Augenbrauen. Er selbst war auch mal im Mittleren Osten gewesen, aber das lag inzwischen zwanzig Jahre zurück. Heutzutage waren die Einsätze dort bestimmt wesentlich härter.

„Es macht mir nichts aus“, fügte sie hinzu. „Ich liebe meine Arbeit.“

„Was für Hunde bilden Sie eigentlich aus?“

„Alle möglichen. Spürhunde zum Beispiel oder Wach- und Drogenhunde. In den letzten Wochen habe ich irakische Hundetrainer angeleitet, ihre eigenen Hundeschulen aufzubauen.“ Mary merkte, dass ihre Stimmung sich bei ihrem Lieblingsthema schlagartig aufhellte. Eifrig drehte sie sich in Logans Richtung. „Ich durfte als Kind nie ein Pferd haben, aber wir hatten immer Hütehunde. Ich habe viel von ihnen gelernt.“

Das klang ja ziemlich vielversprechend. „Aber sie sind auf Sallys Pferden geritten, oder?“

„Sooft ich nur konnte.“

Logan nickte. „Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich einen Hund besessen habe. Meine Söhne hatten früher immer einen, manchmal sogar alle beide.“

Mary sah ihn überrascht an. „Wie viele Kinder haben Sie denn?“, fragte sie vorsichtig.

War sie etwa enttäuscht? Offensichtlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass er Kinder hatte. „Trace und Evan sind inzwischen erwachsen.“

„Sie sehen viel zu jung aus, um erwachsene Kinder zu haben. Sie haben anscheinend früh angefangen.“

„So früh ich konnte.“ Logan lächelte. „Ich habe eine Familie geheiratet. Die Jungs waren damals schon Teenager und ich selbst auch nicht viel mehr als ein Kind. Na ja, vielleicht nicht ganz.“ Er zuckte die Achseln. „Wir hatten eine schöne Zeit miteinander, aber inzwischen leben wir alle getrennt. Die Jungs sind erwachsen, und ich bin geschieden. Frei und … wie sagt man noch gleich?“

„Ungebunden“, ergänzte Mary. „Wo wohnen die anderen?“

„Keine Ahnung, wo die Mutter der Jungs steckt. Sie ist schon lange weg. Hat die Jungs bei mir gelassen.“

„Hat ihr Vater sich denn nicht um sie gekümmert?“, fragte Mary entrüstet.

„Ich bin ihr Vater. Ich habe sie adoptiert und ihnen meinen Namen gegeben. Sie heißen jetzt beide Wolf Track. Ihre Mutter hatte damals lediglich ein Foto von ihrem … einem ihrer Männer zurückgelassen. Ethan hat versucht, ihn ausfindig zu machen, aber soweit ich weiß, ohne Erfolg.“

Als Logan in die Zufahrt zum Pferdeschutzgebiet einbog, musterte er Mary verstohlen. Sie konnte verdammt gut zuhören. Auf jeden Fall hatte er ihr schon wesentlich mehr erzählt, als es sonst seine Art war, aber was soll’s. „Meine Frau hat nie über ihre Vergangenheit gesprochen“, fuhr er fort. „Sie gehörte zu den Menschen, die nur für den Augenblick leben. Ich mochte das an ihr, bis sie plötzlich verschwand.“

„Sie ist einfach … weggegangen?“

„Ja. Hat gesagt, dass sie die Jungs später nachholen würde, aber das ist nie geschehen.“

Mary reagierte erstaunlich zurückhaltend. Weder brachte sie ihr Mitleid zum Ausdruck, noch machte sie eine Bemerkung von oben herab. Anscheinend akzeptierte sie Logans Geschichte einfach.

„Die Ungewissheit muss sehr schwer für Sie gewesen sein“, sagte sie. „Nie zu wissen, ob sie wieder zurückkommen wird, um die Jungs mitzunehmen.“

„Das hätte sie nie getan. Nicht nachdem …“ Logan brach unvermittelt ab. Als er seinen Jeep neben einem Pferch parkte, musste er grinsen. „Sie sind gut, wissen Sie das? Normalerweise beantworte ich beim ersten Date nie persönliche Fragen.“

„Das hier kann man wohl kaum als Date bezeichnen.“

„Stimmt.“ Er krümmte den Zeigefinger und zwinkerte ihr zu. „Ich habe Sie rumgekriegt.“

3. KAPITEL

Mary war schockiert. Der Kerl blinzelte ihr doch tatsächlich zu! Okay, irgendwie war das ja ganz schön, aber was dachte er sich eigentlich dabei? Ihr hatte kein Mann mehr zugezwinkert seit … eigentlich noch nie. Zumindest konnte sie sich nicht daran erinnern. Ihr wurde fast schwindlig, aber das würde sie ihm natürlich nicht zeigen.

Wenn sie doch nur ihr Lächeln unterdrücken könnte.

Einer der Mitarbeiter der Drexlers, Hoolie Hooligan, kam gerade aus der Arbeiterbaracke und schlenderte über den Hof. Hoolie war ein echter Cowboy – beständig, alterslos und so loyal wie ein alter Soldat. Er gehörte zur Double D, seitdem Mary denken konnte.

Zur Begrüßung Marys lüftete er seinen Cowboyhut, schüttelte dann Logan die Hand und hakte die Daumen in seinen Gürtel. Auf dem Weg zu den Pferden tauschten sie sich kurz über das lang anhaltende trockene Wetter aus. Wie auf ein Stichwort wichen die Tiere bei ihrer Ankunft am Zaun in die entlegenste Ecke des Korrals zurück.

„Sally ist ganz begeistert, dass sie euch beide zusammengebracht hat“, erzählte Hoolie und stellte einen Fuß auf die unterste Latte des Zauns. „Welches Pferd wollt ihr?“

„Wir gehorchen Marys erstem Instinkt und nehmen den Lehmfarbenen da.“ Logan warf seiner Partnerin einen fragenden Blick zu. „Oder?“

„Er ist wunderschön“, antwortete Mary, die insgeheim vor Stolz platzte.

„Ein reinrassiger Mustang“, bemerkte Hoolie anerkennend. „In diesen Beinen steckt eindeutig kein Ackergaulblut.“

Logan lächelte, den Blick unverwandt auf die Pferde gerichtet. „Genau das, was wir suchen.“

„Ich habe übrigens Ihr Buch gelesen“, sagte Hoolie unvermittelt.

Logan grinste. „Ach, Sie waren das?“

„Ein Pferd auf Indianerart zu zähmen, dauert ja ganz schön lange.“

„Ich habe es mein ganzes Leben lang so gemacht.“

„Glauben Sie wirklich, dass Sie es schaffen, dieses Pferd in nur …“

„Klar“, sagte Logan, den Blick noch immer bei den Pferden. „Ich weiß zwar nicht, ob wir Sergeant Tutan so weit bekommen, aber das Pferd dürfte kein Problem sein.“

„Nehmen Sie den Wallach mit zu sich nach Hause?“, warf Mary ein.

„Nein, am Anfang bringe ich ihn zu ihm. Sie können mich gern begleiten, wenn Sie wollen. Wenn nicht, setze ich Sie vorher bei Ihren Eltern ab.“

„Zu ihm?“, wiederholte Mary verständnislos.

„Ja, er ist ein Wildpferd. Sein Zuhause ist die Wildnis. Und dort fangen wir auch an.“ Logan drehte sich zu Hoolie um. „Können Sie mir helfen, ihn rauszutreiben?“

„Klar, ich übernehme das Gatter.“

Hoolie ging in Richtung Stall, während Logan den leeren Pferdeanhänger ansteuerte.

Mary folgte ihm. «Wo genau fangen wir an?“, hakte sie nach, während Logan die Tür öffnete und ein zusammengerolltes Lasso herausholte. „Nur so aus Neugier.“

„Bei ihm zu Hause.“ Logan klappte die Tür zu, schob den Riegel davor und warf Mary ein herausforderndes Lächeln zu. „Zelten Sie gern?“

Sie lachte. „Klar, ich bin Soldatin. Zelte sind mein Zuhause.“

Logan hatte das Lager schon an dem Tag aufgebaut, als Mary sich für den Wettbewerb angemeldet hatte. Sein Tipi entsprach der alten Indianertradition. Der Roundpen für das Pferd, eine Art Longierzirkel, allerdings nicht – bis auf die runde Form.

Logan hatte natürlich auch einen großzügigen Roundpen auf seinem Grundstück, arbeitete mit Wildpferden jedoch am Anfang lieber in der Wildnis, wofür er einen Pen aus tragbaren Einzelteilen benutzte – ein Provisorium, welches das Pferd am Entkommen hinderte und ihm gleichzeitig mentale Freiheit gewährte.

Das Lasso, mit dem Logan so viele Pferdezähmer die Tiere hatte „brechen“ sehen, benutzte er nur als Verlängerung seiner Hände und Arme. Er hätte zu diesem Zweck auch etwas anderes nehmen können, aber er war noch immer ein Cowboy, und das Lasso gehörte zu seiner Grundausstattung.

Und er war Indianer. Verschwunden waren die von der Regierung bereitgestellten Tuchzelte, welche noch die Generation seines Großvaters so gut gekannt hatte. Leider war die Rückkehr zum Tipi nur im Sommer möglich. Natürlich hatte Logan auch ein Haus, in dem er den größten Teil des Jahres lebte, aber für ihn gab es keinen besseren Ort als ein rundes Lakota-Tipi.

Logan hatte das Tipi auf einem Grasfleckchen in einem entlegenen Winkel des Schutzgebiets in der Nähe einiger Schatten spendender alter Schwarzeichen und Büffelbeerenbüsche aufgebaut. Die Aussicht auf die Hügel war fantastisch. Unterhalb eines Steilhangs schlängelte sich ein in der Sonne funkelnder Bach durch das Gras.

Logan sah auf den ersten Blick, dass Mary das Lager gefiel. Sie atmete tief durch und sah sich schweigend um, bis ihre Neugier befriedigt war.

Logan fuhr den Anhänger rückwärts zum Roundpen, wo Mary ihm half, mit Zaunelementen einen Trichter von der Anhängerklappe zu bauen. Als Logan den Anhänger durch die Vordertür betrat, wich der Mustang durch die geöffnete Klappe hinaus und schoss sofort zur anderen Seite. Logan befürchtete schon einen Moment, er würde über den Zaun setzen, doch das Tier schien nicht so ängstlich zu sein, wie es aussah.

Logan signalisierte Mary zu bleiben, wo sie war. Erst einmal mussten sie zur Ruhe kommen und sich an die Gegenwart der anderen gewöhnen. Die Situation war für sie alle neu. Bis sie einander besser kennenlernten, waren sie einfach drei Individuen, die nach Führung suchten.

Nervös lief der Wallach auf und ab, doch an seinen aufgerichteten Ohren konnte man sehen, dass er bereits das Terrain erkundete. Man musste ihm nur Zeit lassen.

Als der Mustang sich beruhigte, den Kopf senkte und im flach getrampelten Gras herumschnüffelte, betrat Logan behutsam den Roundpen und schloss den Kreis wieder. Wortlos folgte Mary seinem Beispiel. Logan war schon jetzt beeindruckt von der Fähigkeit seiner Partnerin, auf seine stummen Signale zu achten.

Mary wusste aus eigener Erfahrung, dass Tierausbilder nicht bei der Arbeit gestört werden durften. Nichts war so beunruhigend und verwirrend für das Tier wie das Gerede eines Dritten. Was es bestimmt immer sehr langweilig machte, ihr bei der Arbeit zuzusehen.

Anders bei Logan. Er tat nicht viel und sprach kein Wort, aber seine Bewegungen waren absolut faszinierend. Groß gewachsen und schlank, bewegte er sich mit einer natürlichen Anmut und Geschmeidigkeit. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Pferd.

Bewundernd beobachtete Mary das Spiel seiner Muskeln unter dem Hemd und sein attraktives Gesicht. Natürlich hatte Letzteres keinerlei Wirkung auf das Pferd, aber sie selbst war wie hypnotisiert.

Nachdem er erste Bekanntschaft mit dem Pferd geschlossen hatte, füllte Logan ein Heunetz mit Alfalfa von seinem Kombi und schob einen verzinkten Wassertrog unter dem Zaun hindurch.

Mary holte den Plastikeimer, den sie im Gepäckraum des Pferdeanhängers entdeckt hatte, und ging zum Bach. Im Vorbeigehen warf sie Logan ein Lächeln zu. „Ich hole rasch einen Eimer Wasser.“

Er bot ihr an, das Wasser den Hügel hochzutragen, drängte sich jedoch nicht auf, als sie ihm versicherte, es allein zu schaffen.

Nachdem sie das Wasser in den Trog gefüllt hatte, teilte sie Logan mit, dass sie jetzt Feuerholz besorgen würde. Er machte sich über ihren Einsatz lustig, aber sein Lächeln dabei war so ansteckend, dass es ihr nichts ausmachte.

Herumalbernd machten sie ein Feuer und aßen mit Appetit das Brot, das Logans Schwester ihm morgens mitgegeben hatte, nachdem er für sie einen verstopften Abfluss gereinigt hatte. Lächelnd wechselten sie einen Blick, als sie hörten, wie ihr Mustang aus dem Trog trank. Als sich die Dämmerung über den Zeltplatz senkte, atmete Mary glücklich den Duft von Pferdeschweiß ein, der aus ihrer Decke hochstieg.

Sie würde nachher zwar über und über mit Pferdehaar bedeckt sein, doch die Aussicht von hier war wirklich einzigartig – vor allem der Anblick des langen, schlanken und sich entspannt auf einen Ellenbogen stützenden indianischen Cowboys vor ihr, der schwarzen Kaffee aus einem blauen Emaillebecher trank. Als Soldatin hatte sie viele Männer kennengelernt, doch Logan war irgendwie anders. Auf jeden Fall war sein Anblick sehr erregend …

„Wem gehört dieses Land hier eigentlich?“, fragte sie spontan. „Sally oder meinem Vater?“ Logan sah sie erstaunt an. „Ich war früher nie hier draußen“, fügte sie entschuldigend hinzu.

„Wirklich nicht?“

Schweigend schüttelte sie den Kopf. Nach der Unterzeichnung ihres Vertrages bei der Armee hatte sie ungeduldig die Tage gezählt, bis sie South Dakota endlich von oben sehen würde. Klar war ihr immer bewusst gewesen, dass es hier sehr schön war, aber vor ihrem ersten Flug nach Fort Leonard Wood war sie nie von zu Hause weggekommen. Neue Gegenden zu entdecken, war ihr als sehr reizvoll erschienen.

„Das hier ist Indianerland“, erklärte Logan. „Wer es nutzt, ist eigentlich egal.“

„Mein Vater würde hier bestimmt seine einflussreichen Freunde zur Jagd einzuladen“, sagte sie. „Hier gibt es doch wilde Tiere, oder?“

„In einem Teil des Gebiets schon“, antwortete Logan. „Aber es ist längst nicht groß genug, wenn Sie mich fragen. Wir könnten erheblich mehr Wildnis gebrauchen.“

„Und sind stattdessen dabei, das Wilde zu zähmen.“ Mary warf einen Blick in Richtung Mustang. „Dieses Pferd da zum Beispiel.“

„Sie haben sein Schicksal selbst besiegelt, als sie es aussuchten.“

„Aber Sie sind derjenige, der ihn zähmt. Bei der Armee sagen wir immer, dass das Schicksal vieler von nur wenigen Menschen abhängt.“

„Hast du das gehört?“, rief Logan dem Pferd über die Schulter zu. „Wir reden gerade über deine Brüder und Schwestern.“

„Glauben Sie wirklich, dass das Zähmen von wilden Tieren eine gute Sache ist?“

„Natürlich glaube ich das. Schließlich verdiene ich meinen Lebensunterhalt damit.“ Langsam setzte Logan sich auf und reckte die Schultern in der noch ziemlich neu aussehenden Jeansjacke. „Zwei Tiere sind eine Symbiose mit den Lakota eingegangen – das Pferd und der Hund. Und zwar freiwillig. Nicht alle natürlich, aber einige.“

„Und was ist, wenn das Tier hier nicht dazu bereit ist?“

„Dann lassen wir es eben wieder frei und suchen uns ein anderes Pferd aus. Machen Sie das bei Ihrem Job nicht genauso? Nicht alle Hunde lassen sich erziehen.“

„Nein, aber ich erkenne die Unerziehbaren fast immer sofort und sortiere sie aus.“ Mary lächelte. „Damit verdiene ich nämlich meinen Lebensunterhalt, Mr. Wolf Track.“

„Und wo kommen die aussortierten Hunde hin?“

„Dorthin, von wo sie gekommen sind.“

„In die Wildnis?“ Logan schüttelte den Kopf. „Das bezweifle ich. Hunde, um die sich keiner kümmert, werden in der Regel getötet. Selbst Wildhunde – Wölfe und Kojoten – werden kaum geduldet.“

„Ein verwilderter Hund ist nicht das Gleiche wie ein Wolf oder ein Kojote.“

„Stimmt, aber in mancher Hinsicht hat ein ungezähmter Hund viel mit einem ungezähmten Pferd gemeinsam.“

„Das sieht das Gesetz anders.“

Logan drehte sich zum Roundpen um. „Dieser Kerl da drüben hat Glück. Wenn er sich nicht zähmen lässt, darf er trotzdem in Freiheit weiterleben. Zumindest solange das Gesetz es erlaubt und das Pferdeschutzgebiet existiert. Beides ist von der Politik abhängig.“

„Aber jetzt, wo der Stammesrat sich für das Schutzgebiet eingesetzt hat …“

„Auch Stammespolitik ist Politik“, unterbrach Logan sie achselzuckend. „Ihr Instinkt war übrigens gut. Sie haben mit dem Pferd da eine ausgezeichnete Wahl getroffen.“

„Mit ein bisschen Anleitung“, lachte Mary. „Wie lange wollen Sie ihn eigentlich hier draußen lassen?“

„Bis er bereit ist, unter Menschen zu leben.“

„Das klingt ziemlich mystisch.“

„Soll es ja auch.“ Logan hob den Blick zu ihr. Seine Augen funkelten. „Psychologie ist nämlich out. Nur Mystik verkauft sich heute noch gut.“

„Richtig, Sie haben ja ein Buch geschrieben. Ich sollte mir ein Exemplar besorgen, damit ich meine Hausaufgaben erledigen kann.“

„Dann sollten Sie erst die nächste Auflage abwarten.“ Logan grinste. „Ich bin nämlich gerade dabei, die erste zu überarbeiten. Vielleicht füge ich eine Prise Pferdeflüsterei hinzu, um es attraktiver zu machen. In der ersten Auflage habe ich nur nüchtern beschrieben, wie ich arbeite – ganz ohne Mystik. Jemand, der behauptet, mit Pferden sprechen zu können, gehört meiner Meinung nach in die Kinderbuchabteilung.“

Mary musste lachen. „Sind Sie schon weit gekommen?“

„Nein, bisher nicht. Ich befürchte nämlich, dass ich danach wie ein typischer Hollywood-Indianer klinge.“

„Sie sind aber keiner. Sie können höchstens wie ein South-Dakota-Indianer klingen.“

„Wer will das schon lesen?“

„Na, ich zum Beispiel!“

Logan beugte sich vor. Wieder hatte er dieses anziehende Funkeln in den Augen. „Das bezweifle ich.“

„Warum?“

„Weil Sie nur gesagt haben, dass meine Worte mystisch klingen. Aber Sie haben den Köder noch nicht geschluckt.“

„Vielleicht brauche ich ja gar keinen Köder. Als Hundetrainerin habe ich schließlich von Haus aus Interesse. Aber wenn Sie etwas suchen, womit sie die Aufmerksamkeit der breiten Masse erregen können, sollten Sie vielleicht Ihr Profil auf dem Cover abbilden lassen.“ Mary umfasste Logans Kinn und drehte seinen Kopf zur Seite. „Das wäre ein toller Köder.“

Lachend drehte Logan den Kopf wieder in ihre Richtung, das Kinn noch immer in ihrer Hand. Ihre Blicke begegneten sich.

Komm ruhig näher.

Du zuerst.

Er lächelte. Noch nicht.

Marys Hand kribbelte plötzlich wie verrückt. Obwohl sie sie wegzog, breitete sich das Kribbeln in ihrem ganzen Körper aus, bis es sämtliche Nervenenden in Alarmbereitschaft versetzt hatte. Ein verstörendes Gefühl. Da sie sich auf einmal wie eine Achtklässlerin vorkam, räusperte sie sich verlegen. „Sie haben nicht zufällig ein zweites Auto, oder?“

„Eins, das auch tatsächlich fährt, meinen Sie? Nein.“

„Okay, dann frage ich einfach Sally. Könnten Sie mich gleich bei Double D absetzen?“

„Absetzen? Ich dachte, wir bleiben hier.“

Und ich dachte, du würdest mich küssen. „Aber ich kann nicht hierbleiben. Ich habe keine Sachen dabei.“

„Brauchen Sie denn welche?“

„Na ja, ich bin eigentlich nur von einer kurzen Besichtigung ausgegangen. Ich hatte nicht damit gerechnet, gleich hier zu übernachten.“

„Ich weiß ja nicht, wie das heutzutage bei der Armee ist, aber mein Tipi ist wesentlich komfortabler als die Baracken meiner Armeezeit.“ Mit schief gelegtem Kopf musterte Logan sein Zelt, dessen Balken auf die ersten Sterne am sich rötenden Abendhimmel zeigten. „Ich habe es übrigens selbst bemalt“, fügte er hinzu.

Auf einer Seite des Eingangs sah Mary einen heulenden grauen Wolf, dessen Fußspuren ums Zelt herumführten. Auf der anderen Seite befand sich ein Pferd, das Schutz zu suchen schien und dabei ebenfalls Spuren hinterlassen hatte. Was Logan wohl auf die Rückseite gemalt hatte?

„Dann waren Sie also auch bei der Armee?“

„Ja, im Golfkrieg. Es gibt vermutlich kaum einen Indianer, der nicht irgendwann mal beim Militär war.“ Seufzend schüttelte er den Kopf und blickte zum Himmel hoch.

„Gilt das auch für Ihre Frauen?“

„Für einige schon, aber insgesamt ist das Militär doch eher Männersache.“

„Wirklich?“

Logan grinste. „Ja, wirklich.“

Lass es gut sein, Mary. Wechsle unauffällig das Thema. Keine Chance.

„Würden Sie Ihre Tochter zur Armee lassen?“

„Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht.“ Nachdenklich trank Logan einen Schluck kalt gewordenen Kaffee und presste die vollen Lippen zusammen. „Vermutlich würde ich diese Entscheidung ihr überlassen, wenn ich eine Tochter hätte. Aber grundsätzlich wollen Männer ihre Frauen und Kinder beschützen.“

„Beschützen oder kontrollieren?“

Logan schwieg einen Moment. „Mein älterer Sohn hat sich nie zur Armee gemeldet. Und der Jüngere …“ Logan zuckte die Achseln. „Das Militär passte nicht zu ihm. Er hat sich unentschuldigt von der Truppe entfernt und wurde anschließend rausgeschmissen.“

„Sie haben mir immer noch nicht erzählt, wo Ihre Söhne jetzt sind.“

Logan zuckte ausweichend die Achseln und wies mit dem Kinn auf Marys noch vollen Teller. Sie hatte in der letzten Zeit auffallend wenig Appetit und ihr Fleisch und ihre Bohnen daher kaum angerührt. „Tut mir leid, dass es Ihnen nicht schmeckt“, sagte er. „Leider bin ich kein besonders guter Koch.“

„Ich auch nicht.“ Mary leerte ihren Teller über dem Feuer aus. „Nein, das Essen ist in Ordnung. Aber meine Mutter gibt mir gar nicht erst die Chance, hungrig zu werden. Ich liege ihr ständig in den Ohren, sich auszuruhen, aber jedes Mal, wenn ich ihr den Rücken zudrehe, schleicht sie sich heimlich in die Küche, um Töpfe und Pfannen zu schwingen.“

„Ich liebe das Geräusch von klappernden Töpfen. Ist schon eine ganze Weile her, dass ich es gehört habe.“

„Bei mir auch.“

„Normalerweise esse ich, was gerade da ist.“

„Ich weiß, was Sie meinen.“ Mary stellte den blauen Emailleteller weg. „Logan, ich würde wirklich gern hier übernachten, aber was ist mit meiner Mutter? Ich käme mir total selbstsüchtig vor. Schließlich bin ich extra ihretwegen zurückgekehrt. Ich sollte eigentlich alles stehen und liegen lassen und ihr die Aufmerksamkeit schenken, die sie nie …“

Seufzend brach sie ab und schüttelte den Kopf – ähnlich wie Logan gerade eben. Warum erzählte sie ihm das eigentlich? Offensichtlich hatte er selbst Probleme – über die er eindeutig nicht reden wollte. Das sagte eine Menge über ihn aus.

„Aber ich ertrage es einfach nicht, die ganze Zeit dort zu sein“, fuhr sie fort. „Ich würde irgendwann bestimmt durchdrehen, das Falsche sagen und …“

Sie verstummte und drehte sich zum Roundpen um. Der Mustang stand ganz still, die Ohren in ihre Richtung geneigt, als ob ihre Unterhaltung auch ihn anging. Mary musste unwillkürlich lächeln. „Ich bin sehr glücklich über dieses Projekt hier, und meine Mutter hat dafür volles Verständnis. Außerdem bietet es mir einen willkommenen Vorwand, meinem Vater aus dem Weg zu gehen.“

„Gut. Ich möchte nämlich so schnell wie möglich mit der Basisarbeit anfangen. Und das heißt, dass immer jemand von uns hier sein sollte.“ Als Mary ihn fragend ansah, fügte er hinzu: „Rund um die Uhr, um genau zu sein.“

„Klingt nach einem festen Plan.“

„Morgen Nachmittag zum Beispiel bräuchte ich Sie hier. Dann habe ich nämlich eine Stammesrat-Ausschusssitzung.“

„Kein Problem, wenn ich bis dahin ein Fahrzeug auftreiben kann“, antwortete sie munter. „Ich bin gut im Pläne-Einhalten.“

„Immerhin schon mal einer von uns.“

Logan machte es grundsätzlich nichts aus, Mary abzuholen, fragte sich jedoch, warum das überhaupt nötig war. Die Tutans schienen nicht gerade unter Fahrzeugmangel zu leiden – ein brandneuer Jeep stand in der Einfahrt und ein älterer vor einer der Seitentüren des Stalls. Warum konnte Mary nicht einen von denen benutzen, solange sie zu Hause wohnte?

Der Grund wurde ihm jedoch bald klar. „Ich bin wegen Mary gekommen!“, rief er durch das Fliegengitter in der Sturmtür, nachdem er an der Haustür ihrer Eltern geklingelt hatte.

Kurz darauf tauchte Tutan vor der Tür auf. „Sie wartet schon auf sie“, sagte er barsch, drehte sich um und bellte den Namen seiner Tochter in das dämmrige Haus.

„Der Spruch ist wohl gerade in, oder?“, fragte Tutan. „‚Ich bin deinetwegen gekommen‘? Scheint ein echter Hit zu sein.“ Ungeduldig drehte Tutan sich wieder um. „Mary!“, brüllte er. „Dein neuer Freund ist hier!“

„Ich bin nur gekommen, um sie abzuholen“, korrigierte Logan ihn beherrscht.

Autor

Kathleen Eagle
Kathleen Eagle wurde in Virginia als ein “Air Force Balg” geboren. Nach ihrer Schulausbildung machte sie einen Abschluss auf dem Mount Holyoke College und der Northern State University und wurde Lehrerin. Über 17 Jahre unterrichtete sie an einer High School in North Dakota. Auch nach diesen 17 Jahren blieb sie...
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Als zweites von acht Kindern wurde Patricia Thayer in Muncie, Indiana geboren. Sie besuchte die Ball State University und wenig später ging sie in den Westen. Orange County in Kalifornien wurde für viele Jahre ihre Heimat. Sie genoss dort nicht nur das warme Klima, sondern auch die Gesellschaft und Unterstützung...
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