Das Feuer Andalusiens

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Auf Javier Masters idyllischem Anwesen in Andalusien scheinen sich Zoes sehnsüchtige Wünsche endlich zu erfüllen: Zum ersten Mal liegt sie in den Armen des stolzen Spaniers, mit dem sie verheiratet ist - zum Schein! Doch von Liebe spricht der Tycoon noch immer nicht …


  • Erscheinungstag 05.07.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713812
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Warum willst du denn morgen schon wieder abreisen, Javier? Wir sehen uns so selten! Dein Vater und ich sind nur noch eine Woche hier, dann brechen wir nach Almeria auf, um den Winter wie gewöhnlich an der Küste zu verbringen. Bleib doch bitte auch so lange. Was machen die paar Tage schon für einen Unterschied?“

„Es tut mir leid, Mama, aber es geht wirklich nicht.“ In Javier Masters rauchgrauen Augen lag ein Ausdruck des Bedauerns.

Isabella Maria seufzte ungeduldig. Mit ihrem noch immer tiefschwarzen Haar und den ebenmäßigen, stolzen Gesichtszügen konnte man sie trotz ihrer gut fünfzig Jahre als Schönheit bezeichnen. Kein Wunder, dass Lionel Masters sich vor dreißig Jahren Hals über Kopf in die glutäugige Spanierin verliebt hatte, obwohl er gut zwanzig Jahre älter war als sie! Stets betonte er, dass er zu jenem Zeitpunkt schon längst alle Hoffnung aufgegeben hatte, jemals die Frau zu finden, mit der er den Rest seines Lebens verbringen wollte.

„Und warum geht es nicht? Ich weiß doch, wie sehr du an diesem Haus hängst!“ Gerade und ohne die Lehne zu berühren, saß Isabella Maria in dem Brokatsessel.

Knisternd fiel in dem großen Kamin ein Scheit zur Seite, und Funken sprühten. Javier stand auf, griff zum Feuerhaken und schob es wieder in die Glut. Nun, da die kalten Winde von den schneebedeckten Hügeln der Sierra Nevada den nahen Winter ankündigten, konnte man die wohlige Wärme eines offenen Feuers durchaus vertragen.

„Lass doch den Jungen zufrieden, Izzy.“ Um nicht vorwurfsvoll zu klingen, nannte Lionel seine Frau bei ihrem Kosenamen und tätschelte ihr besänftigend die Hand.

Javier lächelte versonnen. Ja, seine Mutter hatte recht, er liebte dieses Anwesen, seit er es mit sieben Jahren das erste Mal gesehen hatte. Seine Eltern hatten es ursprünglich als Ferien­domizil erworben, denn es lag in dem abgelegenen andalusischen Dorf Isleta del Moro und war eine kleine Welt für sich. Als ehemalige Karawanserei war es von einer dicken Schutzmauer umgeben und tatsächlich nur durch ein mit Eisen bewehrtes Tor zu erreichen. Das flache Gebäude im maurischen Stil hatte einen Innenhof, in dem es im Sommer betäubend nach Rosen, Lilien und Myrte duftete.

Als er volljährig wurde, hatte er es zu seinem Hauptwohnsitz gemacht. Nachdem Lionel sich zur Ruhe gesetzt hatte, waren auch Isabella Maria und er von England nach Spanien übergesiedelt, weil das Klima ihnen viel besser bekam. Hatten sie bis dahin den alten Familiensitz Wakeham Lodge in Gloucestershire bewohnt, verbrachten sie jetzt den Sommer in Isleta del Moro und den Winter in ihrer Villa in Almeria.

„Ich würde nur zu gern bleiben“, versicherte Javier seiner Mutter und setzte sich im Schneidersitz auf den Teppich vor dem Kamin. „Aber ich habe ein Problem.“

„In der Firma?“, erkundigte Lionel sich scharf. Obwohl er seinem Sohn die Leitung des Baukonzerns schon vor drei Jahren übertragen hatte, interessierte er sich immer noch für das Unternehmen, das er mit seinem einstigen Partner Martin Rothwell gegründet hatte. War Lionel schon ein erfolgreicher Geschäftsmann gewesen, hatte Javier der Firma zum Durchbruch auf dem Weltmarkt verholfen.

„Leider nicht.“ Javier lächelte ironisch. „Ein solches Problem hätte ich längst gelöst. Es geht um Zoe Rothwell.“

„Ach so!“, sagten Lionel und Isabella Maria gleichzeitig und nickten verständnisvoll.

Verstohlen blickte Javier zur Uhr. Es blieb ihm noch eine knappe Viertelstunde, bis Solita, die Haushälterin, die Familie an den Tisch bitten würde. Am besten brachte er die Sache möglichst schnell hinter sich.

„Als ich gestern von meiner Besprechung in Madrid hierher zurückfuhr, rief mich Alice Rothwell auf dem Handy an. Sie war völlig aufgelöst und wusste sich keinen Rat mehr. Um es kurz zu machen: Sie bat mich darum, die Vormundschaft für Zoe zu übernehmen, weil sie sich damit überfordert fühlt und am Ende ihrer Kräfte ist.“

„Und wie stellt sie sich das vor?“ Isabella Maria zog die sorgfältig gezupften Brauen hoch. „Ich habe Alice schon immer für eine seltsame Frau gehalten! Gefühle sind ein Fremdwort für sie, und ihre Moralvorstellungen stammen aus dem letzten Jahrhundert. Jetzt scheint sie allerdings den Verstand verloren zu haben! Wie sollst ausgerechnet du ihrer Enkelin ein Zuhause bieten? Du bist doch gar nicht verheiratet!“

Ihr Tonfall ließ keinerlei Zweifel aufkommen, wie sehr sie diese Tatsache missbilligte, und Lionel und er zwinkerten sich heimlich zu. Er, Javier, war inzwischen achtundzwanzig, und seit drei Jahren lag ihm seine Mutter ständig in den Ohren, dass er endlich heiraten solle. Sie sehnte sich nach Enkeln, und da er zu ihrem großen Bedauern Einzelkind geblieben war, machte sie sich Sorgen um den Fortbestand der Familie.

Doch er hatte nicht die Absicht, sich zu binden, und genoss seine Unabhängigkeit. Seine äußerst knapp bemessene Freizeit verbrachte er mit schönen und kultivierten Frauen, die seine Ansicht teilten. Je weniger von Liebe und Treue die Rede war, desto befriedigender und unkomplizierter war eine Beziehung.

„Zoe ist kein kleines Mädchen mehr, das eine Mutter braucht“, widersprach er Isabella Maria, ohne auf ihren Seitenhieb wegen seines Junggesellendaseins einzugehen. „Sie ist sechzehn und, wenn man ihrer Großmutter glauben darf, ein mehr als selbstbewusster und kaum zu bändigender Teenager. Sie weigert sich, ins Internat zurückzukehren, macht die Nacht zum Tag und hört Musik in einer Lautstärke, dass die Wände wackeln. Alice ist mit den Nerven völlig am Ende und möchte die Verantwortung loswerden.“

„Und warum will sie sie ausgerechnet dir übertragen?“, erkundigte sich Lionel. „Einerseits verstehe ich Alice, denn wenn sich jemand durchsetzen kann, dann du.“ Unverhohlener Stolz sprach aus seiner Stimme. „Andererseits sind wir mit den Rothwells nicht verwandt, und ihr Ansinnen ist eine Zumutung für dich.“

Javier presste die Lippen zusammen. „Ich fühle mich moralisch verpflichtet. Du weißt genau, dass Zoes Eltern beim Brand ihres Hauses ums Leben gekommen sind, und zwar keine sechs Wochen nachdem Martin dir seine Anteile an der Firma verkauft hatte. Es muss schrecklich für ein achtjähriges Mädchen gewesen sein, von einem Wochenende bei seiner Schulfreundin zurückzukehren und nur noch die Grundmauern seines Zuhauses vorzufinden, in dem seine Eltern verbrannt sind.“

Er sah seinen Vater an. „Alice Rothwell ist eine schwierige Frau, das Leben hat sie hart gemacht. Erst stirbt ihr Mann, ein Jahr später kommen Sohn und Schwiegertochter auf grausame Art ums Leben, und sie muss sich um eine Enkeltochter kümmern, mit der sie nicht fertig wird. Alice ist von Natur aus keine warmherzige Frau und war mit der Aufgabe überfordert, ein verschrecktes Waisenkind zu trösten und ihm eine Ersatzmutter zu sein. Das wussten wir alle, und deshalb habe ich den Kontakt zu Zoe all die Jahre nicht abbrechen lassen. Aus diesem Grund ist Alice wohl auf mich gekommen.“

Isabella Maria entging der versteckte Vorwurf ihres Sohnes, dass sie sich nicht um die verwaiste Tochter eines ehemaligen Freundes gekümmert hatte. Ihre Gedanken gingen in eine völlig andere Richtung.

„Als Mädchen war Zoe Rothwell sehr niedlich! Könnt ihr euch noch an das Weihnachtsfest erinnern, das sie mit ihren Eltern bei uns in Wakeham Lodge verbracht hat? Du hast mit Martin die letzten Einzelheiten des Ablösungsvertrags besprochen, weißt du noch, Lionel? Einige Wochen später waren Martin und Grace schon tot. So aufsässig Zoe auch sein mag, sie muss ein beträchtliches Vermögen besitzen, stimmt’s, Javier?“

Irritiert sah er sie an. „Mit einundzwanzig wird Zoe über sehr viel Geld verfügen. Bis dahin wird es allerdings von Treuhändern verwaltet, und sie bekommt lediglich ein Taschengeld. Aber darum geht es gar nicht.“

Isabella Maria ließ sich nicht beirren. „Ist sie immer noch so hübsch? Sie hatte so wundervolles goldblondes Haar und so sanfte braune Augen.“

Nur mit Mühe konnte Javier sein Temperament zügeln. Was hatte Zoes Aussehen mit dem Problem zu tun, vor das er sich gestellt sah? Statt ihm Tipps zu geben, wie man einen aufsässigen Teenager behandelte, schweifte seine Mutter vom Thema ab!

„Ich kann dir nicht sagen, ob Zoe hübsch ist oder nicht“, antwortete er ungehalten. „Die paar Male im Jahr, die ich Alice und sie besuche, geht es um wichtigere Dinge: Erzieherinnen, die sich die Türklinke in die Hand geben, Wutausbrüche und Trotzreaktionen, die bei Zoe anscheinend auf der Tagesordnung stehen.“

Zu Studentenzeiten waren ihm diese Besuche eine willkommene Abwechslung gewesen. Er hatte seinen Spaß daran gehabt, Zoe zu verwöhnen und ihr jene Art kindlicher Vergnügen zu erlauben, die Alice nie gestattet hätte. Sie vertrat nämlich den Standpunkt, dass man Kinder nur sehen, nicht aber hören dürfe.

Als Zoe dann alt genug war, um auf ein Internat zu gehen, waren seine Besuche weniger amüsant gewesen, denn von da an hatte er sie nur schweigsam und mit missmutig verzogenem Mund erlebt.

Es lag schon fast ein Jahr zurück, dass er Zoe das letzte Mal gesehen hatte, weil er in den letzten Monaten nicht mehr in England gewesen war und ständig im Ausland zu tun gehabt hatte. Diesen Besuch würde er nie vergessen. Sie hatte ihn zwei Stunden lang angeblickt, ohne auch nur mit einer einzigen Silbe auf seine Fragen zu antworten, und es war ihm ausgesprochen unangenehm gewesen.

„Heirate Zoe doch einfach. Sie ist so reich, dass sie auf dein Geld nicht angewiesen ist. Und das ist ein großer Vorteil, denn so wird ihre größte Sorge dir und nicht deinem Bankkonto gelten.“ Isabella Maria lächelte zufrieden.

„Warte noch zwei Jahre, bis sie achtzehn ist“, redete sie weiter. „Wenn sie gesund ist und ein gebärfreudiges Becken hat, ist sie die ideale Frau für dich, glaub mir. Du bist nicht nur ein willensstarker, sondern auch ein sehr attraktiver Mann und wirst ihr ihre Launen und Wutanfälle schon austreiben, da bin ich mir ganz sicher.“

„Oh Mama, träum weiter!“ Javier lachte und schüttelte den Kopf. Sosehr er sich auch über sie ärgerte, weil sie ständig Heiratspläne für ihn schmiedete, er konnte ihr einfach nicht böse sein.

Daran, ob Zoes Becken gebärfreudig war oder ob sie knabenhaft schlanke Hüften besaß, konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern.

Ihr Herz klopfte unregelmäßig, und Zoe war richtiggehend übel vor Aufregung. Javier würde kommen – und das allein ihretwegen! Ihr schwirrte der Kopf, und ihre Hände zitterten.

Angespannt saß sie in dem Sessel am Fenster ihres Zimmers und blickte in den novemberlich tristen Garten. Von hier aus würde sie sein Auto bereits sehen können, bevor Javier auf das Grundstück fuhr. Die Augen brannten ihr schon, so konzentriert blickte sie auf die Lücke in der Hecke, durch die sie ein kleines Stück der Landstraße überblicken konnte.

Sie war jetzt sechzehneinhalb, und zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, so etwas wie einen Schutzengel zu haben. Wem sonst hätte sie die plötzliche Eingebung verdanken sollen, aus dem Internat zu fliehen, per Anhalter nach Hause zu fahren und zu verkünden, sie würde nie wieder in die Schule zurückkehren?

Mit elf war sie in das Internat gekommen und hatte es gleich von Anfang an gehasst. Mit den gut sechzig anderen Mädchen hatte sie nichts gemeinsam, denn im Gegensatz zu ihnen ließ sie sich durch Strafen weder einschüchtern noch den Mund verbieten. Dazu hatte sie schon zu viel erlebt. Was konnte einen auch noch erschrecken, wenn man in einer Nacht beide Eltern und sein Zuhause verloren hatte?

Als einzige Erinnerung an ihre glückliche Vergangenheit war ihr Misty, ihr geliebtes Pony, geblieben, da der Brand das Stallgebäude verschont hatte. Doch ihre Großmutter hatte ihr verboten, es zu behalten, und Misty war verkauft worden.

Deshalb hatte sie ihre Großmutter auch vom ersten Tag an nicht gemocht. Außerdem hatte sie Angst vor dieser Frau, die sie zuvor nur einige Male in ihrem Leben gesehen hatte, denn Alice stieß sie stets zurück, wenn sie versuchte, auf ihren Schoß zu klettern, um sich an sie zu schmiegen. Von ihren Eltern hatte Zoe stets nur Liebe erfahren, und der Schmerz über die Zurückweisung durch ihre Großmutter schlug bald in Trotz um. Sie hatte es sich zur Regel gemacht, nie das zu tun, was man von ihr verlangte.

Vor einer Woche war sie dann eines Morgens mit dem Gedanken aufgewacht, das Internat sofort zu verlassen. Weder hatte sie einen bestimmten Plan gehabt, noch hatte sie sich vorstellen können, wie ihre Großmutter auf die Flucht reagieren würde. Das wusste sie erst seit einigen Stunden, denn am vergangenen Abend hatte Alice sie zu sich gerufen.

„Javier Masters hat sich bereit erklärt, für die Zeit bis zu deiner Volljährigkeit dein Vormund zu werden“, hatte sie ihr eröffnet, und ihre blutleeren Lippen waren noch verkniffener als gewöhnlich. „Bisher habe ich meine Pflicht getan, ohne zu murren, aber jetzt bin ich am Ende meiner Kräfte. Mir bleibt nur die Hoffnung, dass es Javier gelingen wird, dir wenigstens etwas Verstand und gutes Benehmen einzubläuen. Er holt dich morgen Nachmittag ab, bis dahin musst du deine Sachen gepackt haben.“

Seit dieser Unterredung schwebte Zoe im siebten Himmel. Von jeher hatte sie für Javier geschwärmt, und sie konnte ihr Glück kaum fassen.

Als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, hatte sie seinen Besuchen regelrecht entgegengefiebert, denn er bot ihr all das, was für andere Kinder selbstverständlich war, ihre Großmutter ihr jedoch strikt untersagte: Besuche im Zoo, im Kino, in der Eisdiele und in der Pizzeria. Einmal nahm er sie sogar für einen Tag mit ans Meer und baute mit ihr die tollste Sandburg, die man sich nur vorstellen konnte. Am dankbarsten war sie ihm jedoch für die ungeteilte Aufmerksamkeit, die er ihr schenkte, wenn sie zusammen waren.

All das fand ein Ende, als sie aufs Internat kam. Javier besuchte sie zwar weiterhin zweimal im Jahr, aber Alice erlaubte wegen der schlechten Zeugnisse keinen einzigen Ausflug.

Und die Stunden mit Javier, die bisher die einzige wirkliche Freude in ihrem Leben gewesen waren, wurden so zur Qual. Alice trank mit ihnen Tee, der von Miss Pilkington, ihrer griesgrämigen Haushälterin und Gesellschafterin, serviert wurde. Ständig musste sich Zoe die Ermahnungen ihrer Großmutter anhören: „Setz dich gerade hin! Spiel nicht mit deinem Essen! Antworte, wenn du gefragt wirst!“

Vorsichtig und verständnisvoll erkundigte sich Javier nach dem Leben im Internat, nach ihren Hobbys und ihren Freundinnen. Doch darüber wollte sie nicht reden, denn dann hätte sie zugeben müssen, wie einsam und traurig sie war. Er hätte sie für wehleidig gehalten, was nicht stimmte. Sie war stolz, dass sie ihr Schicksal ertrug, ohne zu jammern!

Trotz ihrer Aufsässigkeit verlor Javier nie die Geduld, lächelte ihr aufmunternd zu und nahm sie zum Abschied in den Arm. Das waren die Momente, in denen sie sich mit aller Macht beherrschen musste, um nicht in Tränen auszubrechen. Er schien der einzige Mensch auf der Welt zu sein, der sie mochte, und sie hatte ihn so selten gesehen.

Dann, vor ungefähr einem Jahr, war etwas Seltsames geschehen. Sie hatte sich unsterblich in ihn verliebt, und das nicht nur wegen seines dichten schwarzen Haars, der grauen Augen mit den langen Wimpern, der hohen Wangenknochen, des energischen Kinns und der sinnlichen Lippen. Sein Aussehen spielte eine untergeordnete Rolle, noch viel wichtiger waren sein Wesen, seine Herzenswärme und sein unerschütterliches Selbstvertrauen. Javier war ein Mann, der sich mit Leib und Seele sowohl für seine Ideale einsetzte als auch für die Menschen, die ihm etwas bedeuteten.

Das Wunder der ersten Liebe machte sie gegen die ständigen Nörgeleien ihrer Großmutter immun, und bereitwillig kehrte sie nach den Ferien ins Internat zurück. Sie übertraf sich sogar selbst, indem sie eifrig lernte und versuchte, nicht unangenehm aufzufallen. Wenn sie ein gutes Zeugnis nach Hause brachte, würde Alice keinen Grund haben, ihr die Ausflüge mit Javier zu verbieten.

Sie schwebte wie auf Wolken und zählte die Tage, bis sie ihn wiedersehen würde. Vielleicht schon in den Osterferien, bestimmt aber im Sommer. Sie wusste genau, dass er ihre Gefühle niemals erwidern würde – das zu hoffen wäre vermessen. Trotz dieser Einsicht erging sie sich jedoch in Tagträumen, baute die herrlichsten Luftschlösser und fieberte seinem nächsten Besuch entgegen.

Dieser Besuch hatte allerdings nie stattgefunden – über ein Jahr hatte sie umsonst gewartet und dennoch Entschuldigungen für ihn gefunden. Javier hatte wahrscheinlich Besseres zu tun gehabt. Warum hätte er ihr auch seine Zeit opfern sollen? Sie war kein kleines Kind mehr, um das man sich zu kümmern hatte, sie war fast erwachsen und musste lernen, auf eigenen Füßen zu stehen.

Bis zum Vortag war sie überzeugt gewesen, dass sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, und hatte sich eingeredet, dass es ihr egal war. Wenn niemand sie mochte, brauchte sie wenigstens auf niemanden Rücksicht zu nehmen und konnte tun und lassen, was sie wollte.

Doch die Eröffnung ihrer Großmutter hatte nun ihre Gleichgültigkeit als das enttarnt, was sie war: als Schutzwall, den sie errichtet hatte, um nicht noch tiefer verletzt zu werden.

Wann würde Javier endlich kommen?

Ungeduldig stand Zoe auf. Den knappen Bemerkungen ihrer Großmutter hatte sie entnommen, dass er am Vortag aus Spanien eingetroffen war und die Nacht in seinem Apartment in London verbracht hatte. Weshalb war er unpünktlich, wenn er nur einen so kurzen Weg hatte? Sie konnte es kaum erwarten, ihm endlich wieder zu begegnen, und bei der Vorstellung, ihn die nächsten zwei Jahre ständig zu sehen, bekam sie weiche Knie.

Ihr Herz klopfte wie verrückt, und sie lehnte die Stirn gegen die Fensterscheibe, um ihr erhitztes Gesicht zu kühlen. In diesem Moment öffnete sich die Tür, und ihre Großmutter betrat das Zimmer. Sie war klein und hager, wie üblich ganz in Schwarz gekleidet, und der harte Zug um ihren Mund verriet, dass sie sich vom Leben bitter enttäuscht fühlte.

„Wenn du es schon ablehnst, dich wie ein vernünftiger Mensch zu kleiden, dann zieh wenigstens deinen Winter­mantel über, und setz dir eine Mütze auf“, bemerkte sie säuerlich. „Andernfalls wird Javier Masters auf der Stelle kehrtmachen und nie wieder einen Fuß über diese Schwelle setzen.“

Empört über diese Kritik, verließ Zoe das Zimmer, ohne ihre Großmutter auch nur eines Blickes zu würdigen. Laut knallte sie die Zimmertür hinter sich zu, durchquerte die Halle und ging nach draußen.

Als sie aus dem Internat geflüchtet war, hatte sie sich geschworen, nie wieder eine Schuluniform zu tragen und nie wieder die konservativen Röcke und biederen Twinsets in gedeckten Farben, die ihre Großmutter für sie aussuchte.

Das Taschengeld, das die Treuhänder ihr bewilligten, war ziemlich großzügig bemessen, und sie hatte bisher kaum Gelegenheit gehabt, etwas davon auszugeben. So war eine beträchtliche Summe zusammengekommen. Die hatte sie sich vergangene Woche eingesteckt und war mit dem Bus in die Stadt gefahren. Sie ging zum Friseur und kaufte sich eine rote Schaumtönung und ein ganzes Sortiment Make-up. Anschließend erstand sie in einem von Jugendlichen bevorzugten Geschäft eine komplette neue Garderobe, alles modische, preiswerte und vor allem bunte Sachen.

Als sie die Sachen in der Umkleidekabine anprobierte, fühlte sie sich zum ersten Mal im Leben dazugehörig. Sie war ein junges, hübsches Mädchen und drückte ihre Lebensfreude wie ihre Altersgenossinnen durch farbenfrohe modische Kleidung aus. Es war ein erhebender Moment gewesen.

Zufrieden mit sich und der Welt, setzte Zoe sich trotz der Kälte auf die Stufen vor dem Portal, um auf Javier zu warten. Ihre Großmutter konnte ihr egal sein, sie gehörte der Vergangenheit an.

Javier blickte auf die Uhr. Es war später als geplant. Die Vorbereitungen, die er für Zoes unmittelbare Zukunft hatte treffen müssen, waren doch zeitraubender gewesen, als er gedacht hatte.

Alice’ gepflegte viktorianische Villa, vor der die Zeit Halt gemacht zu haben schien, lag etwas von der Straße zurück. Als er in die Auffahrt einbog, trat er unwillkürlich auf die Bremse, denn eine schrill gekleidete Gestalt erhob sich von der obersten Treppenstufe.

Zoe?

Ungläubig betrachtete er sie. Krasser hätte eine Verwandlung kaum sein können. Keine schweren Tweedröcke und braven Strickjacken mehr, sondern schwarze Stiefel mit hohen Plateausohlen, ein Minirock mit einem wilden Muster und asymmetrischem Saum, ein knappes orangefarbenes Top – aber was hatte sie nur mit ihrer Frisur gemacht? Ihr Haar war tizianrot, sah aus, als wäre es mit der Gartenschere geschnitten worden, und stand durch den großzügigen Gebrauch von Gel ab.

Vorsichtig parkte Javier den Jaguar, öffnete den Gurt und zog den Zündschlüssel ab. Zoes Äußeres hatte Alice bestimmt zur Verzweiflung gebracht, was er durchaus nachvollziehen konnte. Lag hier der Grund, weshalb sie ihn um Hilfe gebeten hatte?

Zoe sprang von einem Fuß auf den anderen und hatte die Arme um ihre unbedeckte Taille gelegt. Sie schien völlig durchgefroren zu sein – kein Wunder bei diesen Temperaturen!

Javier stieg aus und zog den Reißverschluss seiner dunkelbraunen Lammfelljacke hoch. Er hatte versprochen, sich die nächsten zwei Jahre um Zoe zu kümmern, und genau das würde er auch tun, denn er hatte noch nie sein Wort gebrochen.

Langsam ging er ihr auf dem geharkten Kiesweg entgegen, auf dem überhaupt kein Unkraut zu sehen war. Aus ihren wunderschönen, jedoch viel zu stark geschminkten Augen sah sie ihn nun erwartungsvoll an. Sie ist nur ein verstörtes Kind, das noch lernen muss, sich in der Welt der Erwachsenen zurechtzufinden, dachte er und lächelte mitfühlend.

Wie jeder andere Teenager musste auch sie erst ihre Grenzen austesten und ihren Platz im Leben finden. Er konnte froh sein, dass sie nur mit ihrem Aussehen experimentierte und nicht mit Alkohol oder Drogen. Wie er Alice kannte, hatte diese bereits einen vernichtenden Kommentar zu Zoes Aufmachung abgegeben, deshalb versagte er sich jede kritische Bemerkung. Er würde das Thema Garderobe erst später und in aller Ruhe anschneiden.

Seine guten Vorsätze gerieten allerdings ins Wanken, als er nahe genug gekommen war, um Einzelheiten zu erkennen. Auf ihrer linken Wange entdeckte er ein buntes Tattoo! Er runzelte die Stirn und zog mit dem Finger die Konturen des kleinen Schmetterlings nach.

„Musstest du dich unbedingt derart entstellen?“, fragte er schroff.

Ihm fiel zum ersten Mal auf, was für ein ebenmäßiges, schönes Gesicht sie hatte, obwohl es momentan mit einer dicken Schicht dilettantisch aufgetragener Schminke bedeckt war. Der strahlende Blick ihrer ungewöhnlichen rehbraunen Augen brachte ihn aus dem Gleichgewicht, und Javier musste einen Schritt zurücktreten, weil er plötzlich das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen.

„Das ist doch nur ein Aufkleber! Hast du denn gar keine Ahnung?“ Ihr Lachen klang leicht atemlos, denn Zoe spürte seine Berührung nicht nur auf der Wange, sondern am ganzen Körper.

Javier war der Mann ihrer Träume, und das Leben mit ihm würde einfach so wunderbar werden! Gegen ihren neuen Stil schien er auch keine Einwände zu haben, und von nun an würde sie immer das tragen können, was ihr gefiel, ohne sich auf lästige Diskussionen einlassen zu müssen.

Er war einfach großartig, das hatte sie schon als kleines Mädchen gewusst! Und nun, da er gekommen war, um sie zu befreien, liebte sie ihn mehr denn je.

Alice’ Abschied von ihr dauerte tatsächlich nur wenige Minuten, und kurz darauf befanden sich Javier und Zoe bereits auf dem Weg nach Wakeham Lodge. Javier hielt das Lenkrad unnötig fest umklammert und blickte grimmig auf die Landstraße. Wie Alice ihre Enkelin behandelt hatte, war einfach empörend. Sie hätte nicht deutlicher zeigen können, wie froh sie war, dass sie Zoe endlich loswurde.

Er öffnete die Fenster, so unerträglich war der Duft von Zoes billigem Parfüm. Als er jedoch sah, wie sehr sie fror, ließ er die Scheiben wieder hoch. Den alten grauen Wintermantel, den ihr Miss Pilkington gereicht hatte, hatte sie demonstrativ auf den Boden geworfen. Mit erhobenem Kopf und so schnell es ihre lächerlich hohen Absätze erlaubten, war sie aus dem Haus gegangen, ohne auch nur einen Gedanken an die eisigen Temperaturen zu verschwenden.

Der überschwängliche Dank, mit dem Zoe ihn die letzte halbe Stunde regelrecht überschüttet hatte, war ihm ausgesprochen unangenehm. Sie schien ernsthaft davon überzeugt, dass sie von nun an tun und lassen konnte, was sie wollte, und niemand ihr mehr Vorschriften machen würde. Sie anzublicken, verbot er sich. Das Oberteil, das sie trug, bestand aus fast transparentem Material, und auf Unterwäsche hatte sie verzichtet, wie man unschwer feststellen konnte.

Javier schwankte zwischen Mitleid und Wut. Er verstand ihre Rebellion gegen die triste Schuluniform und die hausbackene Garderobe, auf der Alice bestanden hatte. Doch Zoe war zu weit gegangen. Sie mochte sich einbilden, schick und attraktiv auszusehen, doch sie wirkte einfach nur ordinär. Ob es ihm gefiel oder nicht, er würde einige Dinge offen ansprechen müssen, wenn er sich von ihr nicht auf der Nase herumtanzen lassen wollte.

Autor

Diana Hamilton

Diana Hamilton gehört zu den populären britischen Autorinnen für Liebesromane. Seit 1986 wurden über 50 Romane von ihr veröffentlicht.

Bereits als Kind trainierte Diana Hamilton ihre Fantasie. Gern wäre das Stadtkind auf dem Land geboren, deshalb verwandelte sie den Baum im Garten des Nachbarn in einen Wald, aus...

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