Das feurige Herz des Schotten

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Glasgow, 1863: Duncan MacIain ist ein schottischer Ehrenmann. Deshalb versucht er, mit aller Macht gegen das Begehren anzukämpfen, das ihn beim Anblick der betörenden Rose erfasst. Gerade erst hat die rothaarige Schöne ihren Mann, seinen Cousin, verloren! Aus dem fernen Amerika ist sie mutig nach Schottland gereist, um ihm ein geschäftliches Angebot zu unterbreiten. Es ist verführerisch - aber noch viel unwiderstehlicher ist Rose selbst! Und ihr Blick verrät Duncan, dass sie bereit ist, das wilde Feuer in seinem schottischen Herzen zu löschen. Doch darf er die junge Witwe wirklich lieben?


  • Erscheinungstag 19.06.2018
  • Bandnummer 328
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734091
  • Seitenanzahl 264
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Karen Ranney

Schon als Fünfjährige wollte Karen Ranney unbedingt Autorin werden. Viele Anregungen dafür erhielt sie bei Auslandsaufenthalten in Japan, Italien und Frankreich. Inzwischen stehen ihre Romane regelmäßig auf der Bestsellerliste der New York Times. Karen Ranney ist verheiratet und lebt im amerikanischen Bundesstaat Texas.

WIDMUNG

Auf das Aufschauen und das Darüberhinaussehen.

Darauf, dass wir niemals unseren Humor verlieren,

ganz gleich, was geschieht.

Darauf, dass wir auch im strömenden Regen

an den Regenbogen glauben.

PROLOG

Meine geliebten Söhne,

als Ihr auf die Welt kamt, staunte ich jedes Mal aufs Neue über das Wunder, das Euch erschaffen hatte. Ich hielt Euch in den Armen und wusste, ich würde Euch lieben bis zum letzten Atemzug.

Nun muss ich Euch allen dreien Lebewohl sagen.

Der Allmächtige fordert wahrhaftig viel von mir.

Ich weiß, Ihr begebt Euch auf ein großes Abenteuer, und Ihr seid voller Eifer und Begeisterung. Die Highlands bieten Euch keine Möglichkeiten mehr. Ich weiß es, und dennoch betrauere ich die Umstände Eures Weggangs, und nicht einmal die Gewissheit, dass Ihr den Namen der MacIains ehren werdet, kann daran etwas ändern.

Wenn mich jemand nach meinen Söhnen fragt, werde ich voller Stolz von Euch sprechen. Mein Ältester, werde ich sagen, blieb in Schottland, er lebt nur ein paar Tagesreisen entfernt. Der Mittlere ging nach England, machte seinen Frieden mit den Siegern, und der Jüngste segelte nach Amerika.

Ihr werdet selber Kinder haben, und jedes von ihnen wird den Namen und das Erbe der MacIains weitertragen. Erzählt ihnen unsere Geschichte, erzählt ihnen von unserem Traum eines Imperiums. Erzählt ihnen, woher wir kamen, aus einem Landstrich Schottlands, der berühmt ist für seine heldenhaften, edlen Männer.

Erwähnt Eure Mutter, die Euch tapfer der Zukunft überantwortete, das erbitte ich mir von Euch.

Der Allmächtige hat uns nicht mit der Gabe der Hellsichtigkeit ausgestattet, aber ich bin sicher, dass Eure Kinder und ihre Nachkommen ebenso stolze MacIains sein werden wie ihre Vorfahren.

Manchmal fordert die Liebe Opfer von uns, das habe ich noch nie so deutlich gespürt wie in diesem Moment. Ich opfere Euch der Ehre, Eurer Abstammung und einer Zukunft, die nur Ihr aufbauen könnt.

Geht mit Gott, meine geliebten Söhne. Mögen Eure Träume sich erfüllen und möge Er auf allen Wegen mit Euch sein.

Anne Summers MacIain

Schottland

Juni 1746

1. KAPITEL

Glasgow, Schottland

Mai 1863

Rose bedankte sich bei ihrem Kutscher, stieg aus der Droschke und ging den Weg entlang zur Tür. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber dieses dreistöckige Gebäude mit der gewölbten Front überraschte sie. Auch die Erkerfenster zu beiden Seiten der Tür waren gebogen. Das Haus strahlte Freundlichkeit aus, die Fenster wirkten fast wie Augen. Die beiden Säulen links und rechts der Eingangstreppe erweckten den Eindruck eines offenen Mundes, als wollte das Haus sagen: Wer bist du denn? Eine Fremde? Trotzdem willkommen.

Was, wenn er sie nicht sehen wollte? Was, wenn er sie fortschickte?

Das durfte nicht sein. Sie durfte es nicht zulassen.

Sie war so weit gereist.

Schottland hatte sie fast ebenso erstaunt wie seine Einwohner. Alle, angefangen vom Träger bis zu ihren Mitreisenden im Zug, waren zauberhaft gewesen, freundlich und über die Maßen hilfsbereit. Sie waren zwar tatsächlich neugierig, ja fast schon zudringlich, aber es machte ihr nichts aus, immer wieder zu bestätigen, dass sie wirklich Amerikanerin war und der Krieg in der Tat eine furchtbare Sache sei. Glücklicherweise endeten die meisten Unterhaltungen über ihr Land an dieser Stelle auch schon. Sie musste nicht erklären, woher sie kam, was sie wirklich über den Krieg dachte und warum sie Trauer trug. Da sie ohne Begleitung reiste, wurde wohl allgemein angenommen, dass sie Witwe war.

Annahmen waren etwas Wunderbares. Sie ersparten ihr das Lügen.

Rose hatte ein Land voll einzigartiger Ausblicke erwartet: große, zerklüftete Berge und heidebedeckte Täler. Das alles und mehr gab es auch tatsächlich. Atemberaubende Brücken, die sich über Schluchten spannten; Flüsse, die über Felsen rauschten und in stillen Tümpeln mündeten. Einige Gegenden waren grün und fruchtbar, andere braun, grau und schwarz.

Doch als sie in Glasgow ankam, wandelte sich ihre Meinung über Schottland.

Diese Stadt war ebenso bunt und geschäftig wie New York. Kräne und Turmspitzen reihten sich am Horizont. Lautes Hämmern und Rufe übertönten das Schreien der Seevögel. Docks und Schiffe, lange Gebäude, umhereilende Menschen und Kutschen und Wagen – all das mischte sich zu einem Eindruck fieberhafter Geschäftigkeit.

Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass Glasgow so groß war, so hügelig und so überfüllt.

Nachdem sie den Brief sorgfältig in ihrem Retikül verstaut hatte, nannte sie dem Lenker der gemieteten Kutsche die Adresse des MacIain-Hauses.

Wie merkwürdig, dass sie nach all diesen Wochen nun nur noch das überwältigende Bedürfnis nach Schlaf empfand.

Die Reise von Nassau nach England war einigermaßen zügig verlaufen und weit weniger anstrengend, als auf dem Weg zu den Bahamas die Seeblockade vor Charleston durchbrechen zu müssen.

Der Zug von London war ein Wunder an Geschwindigkeit und Leistungskraft. Hätte sie nicht eine so wichtige Aufgabe zu erfüllen, dann hätte sie die Reise sicher außerordentlich genossen. So war es jedoch, als ertönte mit jedem verstrichenen Tag ein tiefer, dröhnender Gongschlag in ihrem Kopf, der sie daran erinnerte, wie lange sie schon fort war.

Die Zeit arbeitete gegen sie.

Sie hatte überlegt, sich zunächst eine Unterkunft zu suchen, bevor sie bei den MacIains vorstellig wurde, aber der Kutscher erklärte ihr, dass er ihr in dieser Hinsicht behilflich sein könne und sie sich darüber also keine Sorgen machen müsse. Sorgen machte sie sich allerdings über ihre schwindenden Geldreserven.

Er musste zustimmen. Er musste einfach. Wenn er es nicht tat, dann hätte sie alle Mittel auf diese Reise verschwendet, ohne etwas vorweisen zu können. Schlimmer noch, sie hätte so viel Zeit verloren.

Nein, so durfte sie nicht denken. Mr. MacIain würde sie sicher empfangen, denn sie waren immerhin durch Heirat verwandt. Immerhin stammten die drei Zweige der MacIains alle von derselben Familie ab. Das wusste sie, weil Bruce beständig den Familienstammbaum herauf- und herunterbetete. Er war geradezu absurd stolz darauf, von Kriegern aus den Highlands abzustammen.

Ihre eigene Familiengeschichte war nicht ganz so ruhmreich. Ihr Urgroßvater war in Irland beinahe verhungert, bevor er eine Passage auf einem Schiff gebucht und sich in die Neue Welt aufgemacht hatte. Der irischen Arbeiterklasse zu entstammen war kaum glanzvoll, aber ihr Urgroßvater hatte hart gearbeitet und seine Ersparnisse zurückgelegt, sodass sein Sohn nach seinem Tod über ein kleines Erbe verfügen konnte. So ging es weiter, bis die Familie schließlich immer wohlhabender geworden war.

Das Glück neigte jedoch dazu, sich rasch zu wandeln, was sie selbst nur allzu gut wusste. Außerdem erinnerte Rose sich an das, was ihr Urgroßvater immer gesagt und ihr Vater häufig wiederholt hatte: „Zu einer günstigen Gelegenheit muss auch eigenes Bemühen kommen.“ Genau aus diesem Grund befand sie sich nun in Schottland. Sie bemühte sich, weil Mr. MacIain ihr eine Gelegenheit geboten hatte.

Sie straffte die Schultern, zupfte die Kordel ihres Retiküls zurecht, ordnete die Schleife ihres Hutes, schüttelte die Röcke aus und warf einen Blick auf ihre Schuhe, um zu überprüfen, ob sie staubig waren.

Vielleicht hätte sie sich doch erst eine Unterkunft suchen und sich etwas besser auf dieses Treffen vorbereiten sollen. Wenigstens das Gesicht hätte sie sich waschen und etwas Lippencreme auftragen können. Aber sie hatte befürchtet, dass sie beim Anblick eines Bettes vermutlich darauf zusammengesunken wäre und mehrere Tage durchgeschlafen hätte.

Bevor sie sich jedoch ausruhen durfte, musste sie Duncan MacIain sehen.

Er musste zustimmen. Er musste einfach!

Sie fasste Mut, griff nach dem Türklopfer und betätigte ihn. Sie hörte den Laut durch das Haus hallen.

Oft hatte sie sich den Mann, dem sie gleich begegnen würde, vorgestellt, besonders nachdem sie Bruce seine Briefe vorgelesen hatte. Er musste ein distinguierter Mensch sein. Etwa so alt wie ihr Vater, wenn dieser noch am Leben wäre. Er war nüchtern und verantwortungsbewusst und sie würden sich durch die Familienbande sofort einander nahe fühlen. Er würde ihren Bedingungen zustimmen, nicht nur, weil sie fair waren, sondern auch, weil sie den amerikanischen Zweig der MacIains repräsentierte.

Es würde sie nicht stören, wenn er sie onkelhaft aufgrund der Gefahren, die eine solche Reise bedeutete, tadelte. Vielleicht würde er sie in die Obhut seiner Gattin übergeben, die wie eine Glucke über sie wachen, sie über die Reise ausfragen und vor allem Möglichen warnen würde.

Wie lange war es her, dass man Rose verwöhnt hatte? Ihre Mutter hatte es nie tun können, denn sie hatte ihre Geburt nicht überlebt. Ihr Vater hatte es getan, doch auch er war bereits vor Jahren verstorben.

Sie schüttelte den Kopf über sich selbst, klopfte noch einmal und setzte eine freundliche Miene auf. Das konnte sie gut. Sie konnte immer und unter allen Umständen lächeln, das fiel ihr nicht schwer.

„Ja?“

Die Frau, die ihr öffnete, war matronenhaft und in schlichtes Blau gekleidet; eine Farbe, die ihr allerdings außerordentlich gut stand. Ihr Lächeln war angenehm, so als hätte sie langjährige Erfahrung darin, wie man freundlich war.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie. „Falls Sie eine Freundin der Missus sind, sie isst gerade mit ihrer Familie zu Abend, was allerdings noch eine ganze Weile dauern könnte. Ist es dringend?“

Essensdüfte drangen aus dem Haus. Rose war so hungrig, dass sie die Aromen genau unterscheiden konnte: Fischeintopf, frisches Brot, Braten und etwas, das eine Art Früchtekuchen sein musste.

Ihr Magen knurrte, als müsste er sie daran erinnern, dass sie seit zwei Tagen praktisch nichts mehr gegessen hatte.

„Mr. MacIain“, sagte sie und schob Hunger und Erschöpfung beiseite. „Ist er hier? Ich muss mit ihm sprechen.“

„Sie haben etwas Geschäftliches mit Mr. Duncan zu besprechen? Nun, im Allgemeinen wickelt er diese Dinge in der Fabrik ab, Miss. Wäre es nicht besser, wenn Sie ihn dort aufsuchten?“

Sie wusste nicht, wo die Textilfabrik der MacIains war. Diese Adresse hatte sie aus den Briefen, die Mr. MacIain an Bruce geschrieben hatte.

„Ich bin aus Amerika gekommen“, begann sie, doch mehr musste sie nicht sagen, denn schon wurde sie am Ärmel ins Haus gezogen.

„Warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt? Aus Amerika? Den ganzen weiten Weg? Und da lasse ich Sie auf der Türschwelle stehen! Ist das Ihr Handkoffer? Und Ihre Kutsche? Wir kümmern uns sofort darum.“

Die eben noch so matronenhafte Frau hatte sich in einen Wirbelwind verwandelt.

Rose wurde durch das Haus geführt, und der Duft nach Essen wurde immer stärker, bis sie glaubte, ihr Magen müsse sich verkrampfen. Kurz darauf stand sie in der Tür zu einem kleinen Speisezimmer.

Auf den ersten Blick schätzte sie, dass mehrere Dutzend Menschen um die Tafel saßen, allesamt gut aussehend und elegant gekleidet. Einige blickten lächelnd auf.

„Duncan? Diese junge Dame ist den ganzen Weg aus Amerika gekommen, um Sie zu sehen.“

Vor lauter Hunger konnte sie nicht klar denken. Rose brachte kein Wort heraus.

Ein Mann erhob sich, doch sicher ließ der Hunger sie nun auch noch halluzinieren. Er war groß und braunhaarig, und er hatte die schönsten blauen Augen, die sie jemals gesehen hatte. Er lächelte sie freundlich an und wirkte dabei so gut aussehend und liebenswert, dass sie sich fragte, ob hier alles mit rechten Dingen zuging.

Er war breitschultrig und sein Gesicht erregte mit Sicherheit die Aufmerksamkeit vieler Frauen. Wahrscheinlich blieben sie mitten auf der Straße stehen und bestaunten sein kräftiges Kinn und diesen Mund, der sich jederzeit zu einem Lächeln formen oder aber abschätzig verziehen konnte.

Sie hatte nicht erwartet, dass er eine so fesselnde Erscheinung war. Zweifellos war das auch der Grund, warum sie sich ein wenig wackelig auf den Beinen fühlte.

„Ja?“, fragte er und kam um den Tisch herum auf sie zu.

„Mr. MacIain? Duncan MacIain?“

Er blickte sie so unverwandt an, dass sie sich fühlte, als würde all ihre Willenskraft aus ihr herausgesogen.

Rasch streckte sie ihm die behandschuhte Rechte entgegen. Dann veränderte sich plötzlich alles. Die Luft um sie wurde grau und der Boden kam immer schneller immer näher. Irgendwie gelang es ihm, sie aufzufangen. In dem Moment, in dem die Dunkelheit sie einhüllte, kam ihr ein merkwürdiger Gedanke.

Also deshalb bin ich diesen ganzen weiten Weg hierhergekommen.

Duncan trug die Fremde in das Gästezimmer. Seine Mutter und Mabel folgten ihm dicht auf den Fersen.

Eleanor hatte der Frau bereits den Hut abgenommen, der ihre Züge zum Großteil verborgen hatte, und darunter war ihr Haar zum Vorschein gekommen, so rot wie der Sonnenuntergang über Glasgow. Sie war jung, obwohl sie Trauer trug. Ihr Gesicht war fein, und sie besaß jene Porzellanhaut, für die englische Schönheiten so berühmt waren.

Sie war hübsch, aber wenn sie glücklich war und lächelte, dann musste sie wirklich schön sein.

Das Schwarz stand ihr nicht. Sie hätte strahlende Farben tragen müssen, Smaragdgrün oder Rubinrot oder Pfauenblau, eine Farbe jedenfalls, die sich nicht mit ihrem roten Haar biss. Zwar hatte er nur einen kurzen Blick in ihre Augen erhascht, bevor sie ohnmächtig geworden war, aber sie waren so grün wie die Kiefern rings um Hillshead.

„Leg sie auf das Bett, Duncan“, wies ihn seine Mutter an. „Wir lösen die Schnürung. Vielleicht ist das arme Ding seines Korsetts wegen in Ohnmacht gefallen.“

„Oder aus Hunger“, warf er ein und musterte ihr Gesicht.

Ihre Nase war zart, aber ausgeprägt, ihr Mund voll. Doch die Linie ihres Kiefers war etwas zu scharf, das Kinn ein wenig zu spitz.

Seine Mutter wandte sich an Mabel. „Vielleicht sollten wir ihr ein Tablett zurechtmachen.“

Mabel nickte und ging hinaus.

„Wer, glaubst du, ist sie?“, fragte Eleanor.

„Ich habe nicht die geringste Ahnung.“

„Wäre es unter diesen Umständen wohl angemessen, nachzusehen?“ Sie warf einen Blick auf das Retikül der Fremden in ihrer Hand.

Er betrachtete weiterhin ihren unerwarteten Gast. Ihre Wangen waren bleich, doch das Haar ringelte sich wie lodernde Flammen über das Kissen. Eine geheimnisvolle Frau war auf ihrer Türschwelle erschienen und wollte mit ihm sprechen, doch dann hatte sie das Bewusstsein verloren, bevor sie auch nur ein Wort hatte sagen können.

Er verstand die Neugierde seiner Mutter nur allzu gut. Ihm ging es nicht anders.

„Ich weiß, dass es ganz und gar unhöflich ist, aber würde sie nicht wollen, dass wir es erfahren? Die arme junge Frau hatte ja noch nicht einmal Gelegenheit, uns ihren Namen zu nennen, bevor sie zusammengebrochen ist. Glaubst du, sie ist krank?“

„Ich hoffe nicht“, antwortete Duncan. „Fieber hat sie jedenfalls nicht.“ Er legte ihr eine Hand an die Wange. „Sie ist eher zu kalt. Ich nehme an, dass sie einfach erschöpft ist.“

„Tja, ob nun unhöflich oder nicht, ich sehe nach.“ Mit diesen Worten löste seine Mutter die Kordel des Retiküls und spähte hinein.

„Kaum Geld, besonders für jemanden, der sich auf einer so weiten Reise befindet. Nur ein kleiner Tiegel mit Lippencreme und einer mit Pomade. Und ein Fläschchen Parfüm – fast leer. Und ein Brief.“

Sie zog den Brief hervor, faltete ihn auseinander und sah dann Duncan an. „Wenn ich mich nicht irre, hast du den geschrieben.“

„Ich?“

Eleanor nickte und reichte ihm das Schriftstück.

Er las und gab es ihr zurück. „Den habe ich an Bruce MacIain geschrieben. Es ging um den Kauf seiner Baumwolle.“

„Dann ist sie also eine MacIain“, folgerte seine Mutter. „Was für eine Erleichterung. Aber die Arme trägt Trauer. Meinst du, dass sie seine Witwe ist?“

„Das könnte gut sein. Aber wir sollten sie lieber fragen, bevor wir voreilige Schlüsse ziehen.“

„Dann werden Mabel und ich uns um sie kümmern.“

Duncan lächelte. Seine Mutter war einer der großzügigsten und gütigsten Menschen, die er kannte. Natürlich würde sie die Fremde als lange verlorene Verwandte in der Familie willkommen heißen.

Wahrscheinlich war die Frau tatsächlich Witwe, was nicht überraschend war, wenn man bedachte, dass sich Amerika noch immer im Bürgerkrieg befand. Doch er hatte nicht erwartet, jemals eine seiner Cousinen aus Amerika persönlich zu treffen, und auch nicht, dass ihn ihre Erscheinung derartig faszinieren würde.

Fürs Erste würde er sie der Obhut seiner Mutter überlassen. Am dringendsten brauchte sie nun einen Ort, an dem sie sich erholen und wieder zu Kräften kommen konnte.

„Hier ist schon das Essen“, rief eine Stimme. „Ich dachte, ich bringe Ihnen am besten eine Schüssel Kartoffelsuppe. Ich habe mich gefragt: ‚Mabel, was würdest du am liebsten essen, nachdem du so lange geschlafen hast?‘ Und natürlich ist es Kartoffelsuppe. Mit Sahne und Zwiebeln und etwas geriebenem Käse obendrauf. Dazu eine Scheibe frisches Brot.“

Rose war gestorben und in den Himmel gekommen, und die Frau in der Tür – Mabel – war ein Engel.

„Ich nehme an, dass Sie gerne ins Badezimmer gehen möchten, nachdem Sie eineinhalb Tage durchgeschlafen haben.“

Rose setzte sich auf, strich sich das Haar zurück und starrte Mabel an.

„Eineinhalb Tage?“, vergewisserte sie sich. „So lange?“

Mabel nickte und deutete auf einen Wandschirm, hinter dem sich die Tür zu einem modernen Badezimmer befand. Nachdem Rose sich Gesicht und Hände gewaschen hatte, kehrte sie zurück und kroch wieder ins Bett. Sie erkannte, wie müde sie noch immer war. Sie könnte ohne Weiteres noch einen Tag lang durchschlafen.

„Ja“, bestätigte Mabel. „Mit reinem Gewissen schläft man gut, hat meine Großmutter immer gesagt.“

„Ist das ein schottisches Sprichwort?“

„Das ist es, in der Tat.“

Rose versuchte ein Lächeln. Ihr Gewissen war alles andere als rein.

„Mein Vater hat immer gesagt, Lachen und Schlafen sind die beste Medizin.“

„Tatsächlich?“ Mabel lächelte. „Ist das ein irisches Sprichwort?“

Rose nickte.

„Es ist schon merkwürdig, wenn ein irisches Mädchen zu Mrs. MacIain wird, aber vermutlich war es ein echter Glücksfall. Und nun ab mit Ihnen unter die Decke, ich bringe das Tablett.“

„Ich bin nicht Mrs. MacIain“, widersprach Rose.

„Nicht? Nein, das sind Sie wirklich nicht, oder? Da Ihr Ehemann ja tot ist. Es tut mir so leid, Liebes. Wenn man Sie Missus nennt, kommt alles wieder zurück, nicht wahr? Dann rufe ich Sie am besten bei Ihrem Vornamen, wenn Sie einverstanden sind. Und wie lautet der, mein armes Mädchen?“

Rose starrte Mabel an und fragte sich, warum diese annahm, sie wäre verwitwet. Sie sollte das alles wirklich dringend aufklären, aber vielleicht konnte das ja noch ein kleines bisschen warten. Die Suppe duftete himmlisch, und Rose hatte seit Tagen nichts mehr gegessen.

Der Hunger lag immer auf der Lauer und manchmal packte er sie und erstickte jeden anderen Gedanken.

Sie zog die Bettdecke zurecht und nahm erwartungsvoll das Tablett entgegen. Dann begann sie zu essen und genoss jeden einzelnen Bissen.

Auf der Reise nach Schottland waren Schuldgefühle ihre ständigen Begleiter gewesen. Sie hatte am Essen gespart, so gut sie konnte. Dieses Mahl, so unerwartet und umsonst, schmeckte köstlicher als alles, was sie seit Monaten zu sich genommen hatte.

„Ich heiße Rose“, sagte sie und biss von dem Brot ab.

Mabel war eine fantastische Köchin. Als sie ihr das sagte, strahlte Mabel.

„Also Rose, auch wenn du bei deinen Haaren wohl eher Rosenrot heißen müsstest.“

„Das haben meine Brüder auch immer gesagt“, antwortete Rose zwischen zwei Bissen. Sie war so ausgehungert, dass sie die Schüssel hätte mitverspeisen können.

Die Suppe war köstlich, mit viel Sahne und einem Stück Butter, das auf den Kartoffeln und dem Käse thronte. Auch das Brot schlang sie hinunter, und als Mabel sie fragte, ob sie gern noch eine zweite Portion hätte, nickte Rose eifrig.

„Du Armes. Wie lange hast du denn schon nichts mehr gegessen?“, fragte eine andere weibliche Stimme, nachdem Mabel hinausgegangen war.

Sie wandte sich um und erblickte eine ältere Dame in der Tür. Sie erinnerte sich vage daran, sie schon einmal gesehen zu haben. Kurz bevor sie das Bewusstsein verloren hatte.

„Ich bin Eleanor MacIain. Es tut mir ja so leid, dass du bei deinem Besuch bei uns erkrankt bist.“

Das hatte wohl eher daran gelegen, dass sie nicht genügend Geld gehabt hatte, um sich etwas Anständiges zu essen zu kaufen, aber das erzählte sie Eleanor lieber nicht.

„Wie furchtbar unhöflich von mir“, sagte sie, bevor Eleanor fortfahren konnte. „Ich habe Ihre Gastfreundschaft ausgenutzt, und das ohne jede Erklärung. Ich bin wegen eines geschäftlichen Angebots für Duncan MacIain aus Amerika hierhergereist.“

Eleanor nickte. „Dafür bleibt später noch genug Zeit. Außerdem gehörst du zur Familie. Du bist unsere amerikanische Cousine. Es ist uns eine Freude, dich hier zu haben. Wie schade, dass unsere englischen Verwandten ihren Besuch nicht ausdehnen konnten, sonst hätten wir alle drei Zweige der Familie hier vereint gehabt.“

Sie strahlte Rose an, die gar nicht anders konnte, als das Lächeln zu erwidern. Gleichzeitig fühlte sie sich wie eine Betrügerin, wie jemand, der die Gastfreundschaft dieser herzlichen Frau unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ausnutzte.

Würde Duncan es verstehen, wenn sie es ihm erklärte?

2. KAPITEL

Am Morgen des dritten Tages fühlte sich Rose einfach wunderbar. Warum auch nicht? Man behandelte sie wie eine Prinzessin, wie einen sehr willkommenen Gast in diesem schönen Haus.

Fast stündlich brachte Mabel ihr irgendeine Leckerei: ein Stück Früchtekuchen, eine Tasse heiße Schokolade oder einen ganzen Teller voller Ingwerplätzchen. Die Gewissensbisse, weil sie all dies nicht mit ihrer Nichte und den anderen in Glengarden teilen konnte, verflogen rasch. Was sie hier tat, würde sicherstellen, dass sie alle in Zukunft genug zu essen hatten.

Inzwischen fühlte sie sich gut genug, um das komfortable Bett zu verlassen und sich anzuziehen. Nur einmal wurde ihr dabei schwindlig, als sie sich hinabbeugte, um sich die Schuhe zu binden.

Die Zofe erwischte sie dabei und schalt sie aus. Lily hatte mittlerweile einen ebenso ausgeprägten Beschützerinstinkt entwickelt wie Mabel. Sie schaute mehrmals am Tag bei ihr herein und vergewisserte sich, dass Rose nichts brauchte. Auch Eleanor war sehr besorgt um sie. Alle Frauen benahmen sich, als wäre sie krank. Doch das war sie nicht. Sie war nur erschöpft und ausgehungert gewesen. Dank all der Fürsorge ging es ihr nun so viel besser.

Davon wollte Lily jedoch nichts hören. „Am Ende fällst du noch ein weiteres Mal um, und dann müssen Mabel und ich dich wieder aufheben.“

„Das werde ich nicht, versprochen. Ich bin ganz und gar ausgeschlafen, Lily.“

„Wie wäre es mit einem Happen zu essen?“

Diese Frage bejahte sie stets eifrig. Nachdem sie wochenlang nicht gewusst hatte, woher sie ihre nächste Mahlzeit nehmen sollte, würde sie nie wieder etwas zu essen ablehnen.

Lily war dünn wie eine Rohrstange und ihr großer Mund schien ihr Gesicht zu beherrschen. Fast immer lächelte sie, und dieses Lächeln war so ansteckend, dass man gar nicht anders konnte, als es zu erwidern. Ihre weiße Schürze musste sie wohl mehrmals täglich wechseln, denn sie war stets makellos sauber, genauso wie ihre Haube, unter der sich ihr widerspenstiges braunes Haar fröhlich hervorstahl.

Sie nahm Rose bei der Hand und führte sie den Gang entlang. Dann bogen sie nach links ab und stiegen eine Treppe hinunter.

Sie durchquerten einen hübschen kleinen Salon, passierten ein Speisezimmer und betraten einen weiteren Gang. Doch anstatt in einer Küche zu landen, gingen sie einen weiteren Korridor entlang und erreichten schließlich noch einen Salon, dieses Mal einen größeren.

Das Haus war merkwürdig aufgeteilt, was Rose allerdings nicht laut sagte. Sie war wahrhaftig nicht in der Position, das Heim der schottischen MacIains zu kritisieren, doch es kam ihr im Vergleich zu Glengarden auch recht klein vor. Darüber hinaus schien es keinen einheitlichen Stil aufzuweisen, so als wäre es im Laufe der Jahre immer weiter ausgebaut worden.

Endlich betraten sie eine große Küche, deren Fenster weit offen standen und die Frühlingsluft hereinließen. An einem runden Tisch saß Mabel.

„Dann bist du also auf. Wie schön! Die Missus ist bei einem ihrer Treffen, aber sie wird sich sehr freuen, dich auf den Beinen zu sehen.“

„Auf einem ihrer Treffen?“

Neugierde ist nur bei Ärzten und Mäusefängern ein wünschenswerter Charakterzug, Rose. Sie konnte Susannas Stimme praktisch hören. Susanna MacIain war die Matriarchin der amerikanischen MacIains, und sie hatte strenge Vorstellungen davon, wie eine Südstaatendame aufzutreten hatte. Rose passte nicht sonderlich gut in dieses Bild.

Immerhin kam sie aus New York, und New Yorker genossen Susanna zufolge keinerlei Erziehung.

„Ja, sie arbeitet, um den Armen zu helfen“, erklärte Mabel und zog ihr einen Stuhl heran. „Sie tut so viel Gutes, unsere Missus. Eine freundlichere und sanftmütigere Person findet man nirgends.“

Das wusste Rose mittlerweile nur zu gut. Jeder andere hätte sie vermutlich schon am ersten Tag aus dem Haus geworfen. Eleanor MacIain hatte sie stattdessen ins Bett gesteckt und dafür gesorgt, dass man sich um sie kümmerte.

Mabel und Lily waren ebenso freundlich und liebenswürdig zu ihr gewesen. Der einzige Mensch, den sie seit jenem ersten Abend nicht wiedergesehen hatte, war Duncan. Er war der Einzige, der ihr keinen Besuch in ihrem Zimmer abgestattet hatte, was aber wohl auch nicht schicklich gewesen wäre. Trotzdem hatte sie diesen ganzen weiten Weg auf sich genommen, nur um ihn zu sehen. Außerdem brannte sie darauf, herauszufinden, ob der Hunger ihr einen Streich gespielt hatte oder ob er tatsächlich so gut aussehend war, wie sie ihn in Erinnerung hatte.

Die Zeit arbeitete gegen sie und sie hatte drei Tage verschwendet, die sie eigentlich nicht hatte. Sie musste ihre Aufgabe erfüllen und so rasch wie möglich nach Glengarden zurückkehren.

„Ich muss Mr. MacIain sehen. Wisst ihr, wann er normalerweise von der Arbeit nach Hause kommt?“

„Manchmal ist er zum Mittagessen hier“, antwortete Mabel. „Nicht immer, aber an vielen Tagen.“

Rose warf einen Blick auf ihre Taschenuhr. Halb zwölf. Würde sie ihn vielleicht schon an diesem Nachmittag treffen können? Oder würde sie sich bis zum Abend gedulden müssen? Sie musste wirklich möglichst bald mit ihm sprechen.

Wenn er ablehnte, würde sie mit leeren Händen nach Nassau zurückkehren müssen.

Plötzlich knurrte ihr Magen so laut, dass es auch Lily und Mabel hörten.

Hitze stieg ihr in die Wangen. Das musste am Duft von Mabels Scones liegen, die gerade im Ofen backten.

„Sie sind fast fertig.“ Mabel lächelte.

Lily nahm eine Tasse von einem Regal, während sich Mabel auf den Weg zum Ofen machte.

Rose versuchte, sich ihre Gier auf die Scones nicht anmerken zu lassen. Sie hatte gefrühstückt, aber sie hatte schon wieder Hunger und der Geruch war mehr als verlockend. Es kam ihr vor, als würde ihre Nase sie Richtung Herd ziehen.

„Wenn er heute nicht zum Mittagessen kommt, wann kann ich dann heute Abend mit ihm rechnen?“

Mabel stellte ein Blech voll leicht gebräunter Scones, gespickt mit Rosinen und verfeinert mit Gewürzen, auf die Arbeitsfläche. Kein menschliches Wesen hätte ihnen widerstehen können. Mabel legte zwei der Gebäckstücke für Rose auf einen Teller und Lily schenkte ihr Tee ein. Sie bedankte sich bei beiden.

Dann legte sie die behandschuhten Hände um die Tasse. Noch hatte sie sich nicht daran gewöhnt, wie stark der Tee war, den man hier bei jeder sich bietenden Gelegenheit ausschenkte, aber vielleicht würde sie den Geschmack ja noch zu schätzen lernen. Noch etwas, das sie lieber nicht laut aussprach. Sie war Gast in diesem Haus, und sie nahm jede Gabe dankbar an.

Mit zwei Löffeln Zucker – ein weiterer Luxus – war es einigermaßen erträglich. Hier in Schottland musste sie sich mit bestimmten Annehmlichkeiten erst wieder vertraut machen, auf die sie seit einiger Zeit hatte verzichten müssen: Zucker, reichlich zu essen und Menschen, die sich um sie sorgten.

Bruce war jeden Tag bei Sonnenaufgang aufgestanden und der gesamte Haushalt hatte diese Angewohnheit übernommen. Sie war froh, dass die schottischen MacIains nicht schon um fünf, sondern erst ein, zwei Stunden später das Bett verließen.

Doch das war bei Weitem nicht der einzige Unterschied zwischen den beiden Familienzweigen. Dieses Heim wurde viel ungezwungener geführt. Sie hatte Eleanor mehr als einmal laut rufen hören, und ab und zu drang Gelächter aus der Küche. Die Bediensteten schienen praktisch zur Familie zu gehören.

In Glengarden half niemand einem anderen. Die Sklaven taten ihre Pflicht. Oder zumindest hatten sie das getan.

Sie griff nach der Gabel und versuchte, sich beim Essen ein wenig zurückzunehmen, aber das war fast nicht möglich. Der Duft verführte sie. Beim ersten Bissen schloss sie genießerisch die Augen.

„Mabel macht die besten Scones in ganz Schottland“, erklärte Lily.

„Sie sind einfach fantastisch. Als würde man in ein Stück Himmel beißen.“

Mabels Lachen erklang und entlockte ihr selbst ein Lächeln.

„Das ist das schönste Kompliment, das ich jemals bekommen habe, Rose MacIain, und ich werde dir ewig dafür dankbar sein.“

Die nächsten Minuten war Rose ganz damit beschäftigt, sich auf die kleinen Köstlichkeiten zu konzentrieren.

„Ich wusste doch, dass es hier nach Scones duftet“, rief eine Stimme. „Es ist fast, als würde man einer Geruchsspur folgen, Mabel, von Hillshead bis hierher.“

Eine Frau blieb im Türrahmen stehen und starrte Rose an.

Ihr Gesicht wies eine dreieckige Form auf und ihr Kinn war spitz. Ihre Augen waren sanft blau und die Iris wurde von einem dunklen Ring umrahmt, der die Farbe noch zusätzlich betonte. Sie erinnerte Rose an jemanden und sofort wusste sie, wer die Frau war: Eleanors Tochter Glynis.

„Du musst unsere amerikanische Cousine sein.“ Bevor Rose sich wappnen konnte, beugte sich Glynis auch schon über den Tisch und umarmte sie.

„Du bist Rose, richtig?“

Sie nickte.

„Ich bin Glynis, und ich habe schon darauf gewartet, dich endlich kennenzulernen. Ich bin ja so froh, dass du wieder munter bist. Jetzt kannst du uns auf Hillshead besuchen. Dann richten wir einen Nachmittagstee aus. Diesen Brauch haben wir schon seit fast einem Jahr. Ein wunderbarer Vorwand, um schon nachmittags Whisky zu trinken und gehaltvolles Essen zu sich zu nehmen. Aber nichts geht über Mabels Scones. Du hast irgendwie gehört, dass ich heute unbedingt einen davon haben wollte, nicht wahr?“

Damit umarmte sie auch Mabel und setzte sich dann zu ihnen an den Tisch.

„Wie geht es Dora?“, fragte Glynis.

Rose knabberte an ihrem Scone und versuchte, Glynis’ Ankunft, die der eines Wirbelwinds gleichkam, zu verarbeiten. Natürlich hatte sie schon von ihr gehört. Sowohl Mabel als auch Lily hatten ihr bereitwillig von ihr erzählt. Glynis war schon einmal verheiratet gewesen, dann aber verwitwet, bis sie endlich Lennox, die Liebe ihres Lebens, geehelicht hatte. Inzwischen lebte sie auf Hillshead, einem großen Haus auf dem Hügel.

„Es geht ihr gut. Aber der Kleine hat anscheinend Koliken. Die Missus hat ihr gesagt, sie solle zu Hause bleiben und sich um ihn kümmern.“

„Aber natürlich bezahlt sie Dora weiterhin.“

Mabel und Lily nickten.

„Wie du sehen wirst, ist meine Mutter der großzügigste Mensch auf der ganzen Welt“, erklärte Glynis und wandte sich an Rose.

„Wer ist Dora?“

Wann wirst du endlich mal ein wenig gutes Benehmen zeigen, Rose?

Ein ganzer Ozean trennte sie von Susanna, aber die verfolgte sie dennoch.

„Dora arbeitet hier und hilft Lily. Sie hat vor Kurzem ein Baby bekommen, aber der arme Kleine hat es nicht so leicht.“

Rose hatte den Eindruck, dass auch sie in eines von Eleanors Mildtätigkeitsvorhaben eingebunden war.

„Und, was sagst du?“, fragte Glynis.

„Wozu?“

„Zu der Einladung nach Hillshead, morgen zum Nachmittagstee. Oder zu unserer schottischen Auffassung davon. Gegen drei. Das ist lange genug nach dem Mittagessen, um wieder Hunger zu bekommen, und danach dauert es nicht mehr allzu lange bis zum Abendessen.“

Morgen würde sie vielleicht schon auf dem Weg zurück nach Amerika oder zumindest nach London sein.

„Ich weiß nicht, ob ich dann noch hier sein werde.“

Mabel klappte der Mund auf. Lily riss die Augen auf. Nur Glynis schien ungerührt.

„Natürlich wirst du das“, sagte sie. „Du bist doch gerade erst angekommen. Du kannst nicht so plötzlich wieder abreisen. Ich möchte doch mit dir über Amerika sprechen, und natürlich musst du Lennox kennenlernen. Mein Schwiegervater und meine Schwägerin sind einfach wundervoll, und du kannst nicht gehen, ohne sie getroffen zu haben.“

„Kann ich nicht?“

„Auf keinen Fall.“

Wie könnte man Glynis je etwas abschlagen?

„Was hältst du von Schottland, Rose?“, fragte Glynis und schenkte sich Tee aus der Kanne in der Tischmitte nach. „Oder hattest du noch gar keine Gelegenheit, dir dein Heimatland anzusehen?“

„Eigentlich ist es das nicht“, entgegnete Rose. „Meine Familie stammt aus Irland.“

Wieder lächelte Glynis. „Das habe ich mir schon gedacht, bei deinem Haar.“

Wenigstens schwang kein abfälliger Ton in ihrer Stimme mit. Aber was sollte man denn tun, wenn man mit feuerfarbenem Haar geboren wurde? Die wenigsten Hüte oder Hauben passten dazu. Susanna hatte ihr tatsächlich vorgeschlagen, es schwarz zu färben, damit es zu ihren Kleidern passte.

„Als Geste der Trauer, Liebes“, hatte sie hinzugefügt, als Rose sie nur angestarrt hatte.

„Es tut mir so leid, dass du verwitwet bist“, sagte Glynis.

In ihren Augen lag derselbe mitfühlende Ausdruck, den sie schon bei Eleanor gesehen hatte. Beide Frauen wussten, was es hieß, Witwe zu sein. Sie beide hatten Trauer kennengelernt. Und sie verdienten es nicht, belogen zu werden.

Sie alle, jede einzelne Person im Haus der MacIains, waren mehr als freundlich zu ihr gewesen. Sie hatten sie ohne einen weiteren Gedanken in ihr Heim und in ihre Familie aufgenommen. Vom ersten Tag an hatte sie sich in Schottland willkommen gefühlt, und sie hatte es ihnen einzig und allein mit Unaufrichtigkeit gedankt.

Da fiel irgendwo eine Tür ins Schloss und alle drehten sich um.

„Das muss Duncan sein“, erklärte Mabel.

Plötzlich war Rose ebenso erleichtert wie schrecklich aufgeregt.

3. KAPITEL

Rose erhob sich, wischte sich die Krümel vom Kleid und wartete auf ihn. Würde er in die Küche kommen? Oder gehörte er zu jenen Männern, die darauf bestanden, dass man im Speisezimmer auf sie wartete?

Plötzlich stand er in der Tür, und Roses Herz führte einen kleinen Tanz in ihrer Brust auf. Was in aller Welt war nur los mit ihr? Der Tee, das musste es sein. Er war einfach zu stark. Ihre Reaktion hatte nichts mit seinem faszinierenden Gesicht zu tun oder damit, dass seine Augenwinkel sich ein klein wenig nach unten bogen, was ihm einen viel zu charmanten Ausdruck verlieh.

Möglicherweise war er ebenso bösartig wie sein amerikanischer Vetter.

Mein Gott, nur das nicht! Bitte lass ihn nicht so sein wie Bruce. Diese Furcht war sie während ihrer ganzen Reise nach Schottland nicht losgeworden.

Doch weder Mabel noch Lily hatten je angedeutet, dass er etwas anderes als freundlich war. Sicher hätten sie irgendetwas gesagt, wenn es so wäre.

Mabel ergriff das Wort, bevor Rose es konnte. „Miss Rose muss mit Ihnen sprechen, Duncan. Würden Sie gerne hier sitzen? Sie können sich schließlich auch beim Mittagessen unterhalten.“

„Ich glaube, der Salon wäre besser, Mabel. Fürs Erste genügen mir auch ein paar Scones.“

„Da bin ich ja froh, dass ich vor dir in der Küche war.“ Glynis grinste ihren Bruder an.

Er grinste zurück.

„Versuchst du schon wieder, Mabel nach Hillshead zu locken? Sie kommt nicht, dafür sorge ich schon.“ Er wandte sich an Mabel. „Heiraten Sie mich, Mabel, und bleiben Sie für immer bei mir.“

Mabel lief dunkelrot an. „Ach, fort mit Ihnen, Duncan MacIain. Und Scones sind keine vollwertige Mahlzeit, wie Sie ganz genau wissen.“

Sein Grinsen wurde noch breiter, und er beugte sich vor und küsste Mabel auf die Wange, während er sich gleichzeitig zwei Scones stibitzte.

Dann wickelte er seine Beute in ein Taschentuch und winkte Rose, ihm zu folgen. Sie tat es, allerdings nicht, ohne sich selbst zu Mabels großer Freude auch noch eines der kleinen Gebäckstücke zu schnappen.

Sie gingen den Weg, den Lily sie vorhin geführt hatte, wieder zurück, durchquerten das Labyrinth der Korridore und gelangten schließlich durch das Speisezimmer in den Salon.

An der Wand gegenüber einem der großen Fenster stand ein Sofa. Davor hatte man einen Sessel gerückt und in der Mitte thronte ein langer, rechteckiger Tisch, auf dem ein Stapel Bücher ruhte. Gern hätte sie die Titel überflogen, um zu sehen, was die schottischen MacIains gern lasen.

Der Salon war klein, fast traulich. Bei einer Witwe würde es niemand verwerflich finden, wenn sie sich allein in Gesellschaft ihres Verwandten aufhielt, auch wenn es ein nur sehr entfernter Verwandter war.

Doch was würden sie sagen, wenn herauskam, dass sie keine MacIain war? Oder dass sie nie verheiratet gewesen war?

Es war gemütlich hier, das Mobiliar war etwas abgenutzt, aber bequem. Das Fenster bot einen Blick auf den gewaltigen Hügel, auf dem ein Haus stand.

„Hillshead“, erklärte er, als er ihrem Blick folgte. „Es ist jetzt das Haus meiner Schwester. Oder besser, ihres und das von Lennox.“

Er deutete auf das Sofa, und sie setzte sich und knabberte an ihrem Scone, während er sich in dem Sessel ihr gegenüber niederließ.

Ein paar Augenblicke lang aßen sie beide schweigend.

„Wie geht es Ihnen?“, fragte er, als er fertig war und sich den Mund mit dem Taschentuch abwischte.

„Wunderbar“, antwortete sie. „Schon viel besser. Dank Ihrer Gastfreundschaft. Und Ihrer Freundlichkeit.“

„War es das, worüber Sie mit mir sprechen wollten, Mrs. MacIain?“

Sie schüttelte den Kopf und fragte sich, wo sie anfangen sollte. Zuallererst sollte sie wohl seine Anrede korrigieren, aber das war nicht das Wichtigste.

Außerdem hatte sie nicht vergessen, was in Nassau geschehen war. Die Mittelsmänner dort hatten infrage gestellt, ob es ihr überhaupt zustand, die in ihrem Besitz befindliche Baumwolle zu verkaufen. Sie wollte mit Duncan nicht dieselben Schwierigkeiten bekommen.

„Als Sie bewusstlos waren, haben wir in Ihrem Retikül nachgesehen“, erklärte er. „Diese Missachtung Ihrer Privatsphäre tut mir leid, aber wir wollten nur herausfinden, wer Sie sind.“

Sie nickte.

„Wir haben einen Brief gefunden, den ich an Bruce MacIain geschrieben habe.“

Wieder nickte sie.

Er lächelte, was sie jedoch kein bisschen bestärkte. In seinen Augen lag etwas, das ihr verriet, dass dieser Mann anders war als die meisten Südstaatenmänner, die sie kannte. Jene Gentlemen waren durchaus bereit, sich von einer hübschen, charmanten Frau bezirzen zu lassen, die über Anmut, gutes Benehmen und eine Stimme so süß wie Ahornsirup verfügte.

„Warum sind Sie nach Schottland gekommen, Mrs. MacIain? Worüber wollten Sie mit mir sprechen?“

Selbst mit ihrem New Yorker Naturell konnte sie Duncan nicht das Wasser reichen. Er war sehr direkt, aber sie fand es so erfrischend, sich mit jemandem zu unterhalten, der keine sprachlichen Umwege einschlug, dass sie beinahe gelächelt hätte.

„Sie haben sich für Baumwolle interessiert, wenn ich mich nicht irre.“

Er antwortete nicht, also fuhr sie fort.

„Besteht dieses Interesse noch immer?“

Sie faltete die Hände im Schoß, um sie ruhig zu halten. Dann hob sie den Kopf und sah ihrem Gegenüber direkt in die Augen, während sie eine unbeschwerte Miene aufsetzte.

Zwei Jahre auf Glengarden hatten sie gelehrt, ihre Gefühle zu verbergen.

„Jedenfalls deutet Ihr Brief darauf hin.“

„Mrs. MacIain, Ihr Ehemann schien nicht bereit zu sein, mir auch nur einen Teil seiner Baumwolle zu überlassen.“

Dieser Mann strahlte etwas aus, das verlockend und bedrohlich zugleich wirkte. Vielleicht lag es an seinem durchdringenden Blick oder an der Ruhe, die ihn umgab, so als hätte er alle Zeit und Geduld der Welt.

„Bitte, nennen Sie mich Rose“, sagte sie. „Sonst hören wir uns an wie unsere eigenen Echos, finden Sie nicht? Mr. MacIain. Mrs. MacIain. Warum ich hier bin? Ich habe Baumwolle. Ich habe eine ganze Menge Baumwolle zu verkaufen.“

„Sind Sie befugt, im Namen Ihres Ehemanns zu handeln, Rose?“

Da war er. Der Grund, aus dem sie diese Scharade aufrechterhielt. Nein, sie war nicht von Bruce bevollmächtigt worden. Tatsächlich hatte Bruce seinem Verwalter ausdrücklich befohlen, dass die Baumwolle in seiner Abwesenheit nicht verkauft werden durfte. Stattdessen ließ er sie in den Lagerhäusern verrotten, während seine Familie hungerte.

„Bruce ist nicht mehr in der Lage, derartige Entscheidungen zu treffen“, entgegnete sie. „Haben Sie Interesse an dem Kauf?“

„Mein Beileid.“

Sie musterte ihn scharf, konnte den Ausdruck seiner klaren blauen Augen jedoch nicht deuten. Zumindest klang er nicht sonderlich betrübt über Bruces Ableben.

„Ich hatte einmal Interesse“, antwortete er. „Ich hatte geplant, die Blockade zu durchbrechen.“

„Tatsächlich?“

„Wenn ich mich nicht irre, Rose, dann haben Sie das auch getan. Ansonsten würden Sie jetzt nicht hier sitzen.“

„Das habe ich. Allerdings sagt man, dass es einfacher ist, Amerika zu verlassen, als sich Charleston wieder zu nähern.“

Bisher hatte es das Schicksal gut mit ihr gemeint. Ihr Geld und ihr Mut hatten für die Reise nach England ausgereicht. Jetzt musste sie nur noch Duncan MacIain davon überzeugen, die Baumwolle, die er offenkundig brauchte und die sie ihm bieten konnte, auch zu kaufen.

Irgendwie musste sie ihm begreiflich machen, dass dies in ihrem beiderseitigen Interesse lag.

Er lehnte sich zurück und lächelte sie an. „Wollen Sie mich etwa davor warnen, es mit der Blockade aufzunehmen? Vielleicht sollte ich meine Meinung lieber noch einmal überdenken.“

Oje! Mit einem verstimmten Mann sollte sie ihre Verhandlungen lieber nicht beginnen. Sie hätte nichts sagen sollen. Susanna war schon immer der Meinung gewesen, dass Roses New Yorker Naturell anderen auf die Nerven fallen konnte.

Dir wäre wirklich gedient, wenn du dich etwas mehr wie eine Südstaatendame benehmen könntest, Rose. Südstaatlerinnen stellen keine Forderungen. Wir sind klüger.

Während der ganzen zwei Jahre, die sie im Süden gelebt hatte, war ihr nie in den Sinn gekommen, sich mehr wie ihre Verwandten aus South Carolina aufzuführen. Aber vielleicht war jetzt eine gute Gelegenheit, es zu versuchen.

„Ich bin nur eine Frau, Duncan. Wie könnte ich mir anmaßen, einen Mann Ihrer Stärke und Entschlossenheit vor etwas zu warnen?“

Als er lachte, war sie so verblüfft, dass sie sich selbst ein Grinsen nicht verbeißen konnte.

Er war wirklich sehr anziehend, und der Klang seiner Stimme stellte irgendetwas mit ihrem Nacken an, doch sie würde sich nicht anmerken lassen, welche Wirkung sein Aussehen und sein Akzent auf sie hatten. Damit würde sie nur ihre Verhandlungsposition schwächen.

„Sie haben einmal Interesse an der Baumwolle aus Glengarden geäußert“, fuhr sie fort, um zum Thema zurückzukommen.

„Dem Ihr Ehemann jedoch offenbar nicht nachkommen wollte, Rose.“ Irgendetwas an seinem Tonfall weckte ihre Aufmerksamkeit. Da war etwas, das nicht da sein sollte.

„Unglücklicherweise glaubte Bruce, es wäre illoyal, die Baumwolle an jemand anderen als an die Konföderierten zu verkaufen.“

„Eine Ansicht, die Sie offenbar nicht teilen?“

„Ich glaube, die Konföderation stünde heute wesentlich besser da, wenn sie ihre Geldmittel auf Baumwolle gegründet hätte. Stattdessen hat sie derzeit keine Ahnung, wie sie die Ernte zu ihren Gunsten verwenden soll. Aus diesem Grund verdienen die Mittelsmänner Millionen, und deshalb ist auch die Blockade ein solcher Erfolg. In Nassau werden Sie keine Baumwolle mehr finden. Der Großteil dessen, was durch die Blockade gekommen ist, wurde bereits an Fraser Trenholm oder an einen der anderen Mittelsmänner verkauft.“

Er schwieg eine Weile. Sie lehnte sich zurück, hielt die Hände ordentlich gefaltet und sah ihn geduldig an.

Die Zeit in Glengarden hatte ihr viel über sich selbst und andere gezeigt. Endlich war es ihr gelungen, ihre Zunge zu zügeln und nicht immer auszusprechen, was sie gerade dachte. Mittlerweile konnte niemand mehr so leicht erraten, was sie glaubte oder empfand. Leider interessierte es meistens auch niemanden.

Während jener beiden unglücklichen Jahre hatte sie gelernt, mit eitlen und unvernünftigen Frauen und sturen Männern zurechtzukommen.

Der Mann, der ihr gegenübersaß, war stur. Er mochte attraktiv und sein Akzent hinreißend sein, doch er hatte eine festgefügte Meinung. Allein die Tatsache, dass er ihr überhaupt zuhörte, war schon überraschend. Sie hatte geglaubt, ihn erst einmal von ihrem Wissen über den Baumwollmarkt überzeugen zu müssen, bevor er ihr Gehör schenken würde.

Aber vielleicht machte er sich auch nur dazu bereit, sie aus dem Zimmer zu werfen. Auch das war möglich.

„Ich stehe mit mehreren Mittelsmännern in Kontakt, Rose. Und ich teile Ihre Ansicht der Situation. Die Mittelsmänner haben den Markt durchgreifend geschlossen, es sei denn, die Pflanzer erklären sich bereit, ihre Baumwolle zu einem Preisnachlass von vierzig Prozent zu verkaufen.“

Sein Wissen überraschte sie, obwohl es an sich nichts Ungewöhnliches war. Immerhin führte er eine Textilfabrik, deren Überleben von der Baumwolle abhing. Natürlich war der Weltmarkt von höchstem Interesse für ihn.

„Ich habe fast eintausend Ballen Baumwolle“, fuhr sie fort. „Und ich bin nicht bereit, sie praktisch für die Hälfte dessen, was sie wert sind, zu veräußern. Ich nehme an, dass Sie die Ballen noch immer brauchen. Und ich kann sie Ihnen geben. Daher war ich der Meinung, dass wir uns vielleicht einig werden könnten.“

Bevor er etwas erwidern konnte, hob sie rasch die Hand. „Ich habe nicht vor, einen Vorteil aus unserer familiären Verbindung zu schlagen, Duncan. Ich will einen fairen Handel, das ist alles.“

Er musste einwilligen. Er musste einfach! Wenn er es nicht tat, war ihre Reise vergebens gewesen und sie hatte viel Geld auf eine verlorene Sache verschwendet. Wenn er ablehnte, würde sie mit gebrochenem Stolz zu Fraser Trenholm zurückkehren und seinen lächerlich ausbeuterischen Preis akzeptieren müssen. Falls er ihr die Baumwolle dann überhaupt noch abkaufen würde. Sie würde nur etwa die Hälfte des Geldes einnehmen, mit dem sie gerechnet hatte, und es würde nur für ein paar Monate reichen. Sollte der Krieg bis dahin enden, gut. Doch falls er sich noch länger hinzog, würden sie sich schon bald wieder in derselben Zwickmühle befinden, allerdings ohne Baumwolle, die sie noch verkaufen könnten.

Eine einzige andere Möglichkeit bliebe ihr dann noch. Sie hatte davon gehört, dass Frauen in einer ganz ähnlichen Situation wie sie selbst Baumwollkarawanen nach Norden organisierten, um ihre Ernte an die Nordstaaten zu verkaufen, weil sie anders nicht mehr überleben konnten.

Das Problem war nur, dass sowohl ihre Schwester Claire als auch Susanna strikt dagegen sein würden. Falls sie sich letztlich doch zu diesem Schritt durchringen sollte, würde man sie als Verräterin betrachten. Glengarden würde vermutlich angesteckt und seine Bewohner geächtet werden oder man würde ihnen noch Schlimmeres antun.

Trotzdem würde ihr vielleicht nichts anderes übrig bleiben.

Sie beschäftigte sich damit, ihre Röcke glatt zu streichen, an ihren Handschuhen zu zupfen und zu versuchen, das Ticken der Standuhr zu überhören.

Sie wurden von Lily unterbrochen, die mit einem Tablett hereinkam. „Ich habe noch ein paar Scones gebracht, Sir. Und Mabel hat Ihnen ein Brot mit Roastbeef und Senf zurechtgemacht. Ach, und noch etwas Tee.“

Er lächelte das Mädchen an. „Danke, Lily.“ Dann wandte er sich fragend an Rose. „Hätten Sie gern noch eine Tasse? Oder etwas zu essen?“

„Nein, vielen Dank.“ Sie wartete, bis Lily wieder gegangen war und er sich bedient hatte, bevor sie fortfuhr. „Die Baumwolle aus Glengarden gehört zu den besten in den ganzen Südstaaten. Ich biete Ihnen den Preis an, den Sie in Glasgow dafür bezahlt hätten, minus zwanzig Prozent.“

„Sind diese zwanzig Prozent ein Familienrabatt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich gebe Ihnen die Ballen zu diesem Preis, weil Sie sie selbst abholen müssen.“

Er hob anerkennend die Teetasse. „Immerhin berechnen Sie das mit ein.“

„Es gibt noch eine weitere Bedingung. Ich brauche die Bezahlung in Gold. Nicht in den Dollars der Konföderierten, nicht in der Währung der Nordstaaten und auch nicht in englischen Pfund. Mit Gold kann ich meine Familie ernähren und ihnen Hoffnung für die Zukunft geben.“

Er lehnte sich zurück, stellte die Teetasse auf dem Tischchen ab und musterte sie bedächtig. „Das klingt, als wären Sie nicht sehr optimistisch, was den Sieg der Konföderierten betrifft, Rose.“

Wenigstens in diesem Punkt konnte sie ehrlich sein. „Ich glaube, dass die Menschen der Südstaaten mit einer reichlich romantischen Vorstellung in den Krieg gezogen sind, weil sie nicht wollten, dass sich ihr Leben ändert. Aber nichts bleibt, wie es ist, Duncan. Alles im Leben verändert sich. Das war der erste Fehler. Der zweite war, dass sie sich von der Begeisterung des Krieges haben mitreißen lassen und den Blick für die Tatsachen verloren haben. Die Südstaaten mögen leidenschaftlich und fest entschlossen zum Kampf sein, aber sie sind den Nordstaaten nicht gewachsen.“

„Könnte Ihre Einstellung damit zu tun haben, dass Sie selbst nicht im Süden aufgewachsen sind?“

„Genau so ist es. Woher wussten Sie, dass ich nicht aus dem Süden stamme?“

Er lächelte. „Sie klingen nicht nach den Südstaaten, Rose. Ihr Akzent kommt wohl eher aus dem Norden. Aus New York vielleicht?“

Überrascht nickte sie.

„Ist es denn nicht unangenehm für Sie, auf Glengarden zu leben?“

Ihr sank das Herz. Dies hier lief anders als erwartet. Sie war gekommen, um über Baumwollpreise, Transportkosten und Prozente zu verhandeln, nicht um ihre Ansichten über die Südstaaten zu diskutieren.

„Doch.“

Mit etwas Glück würde er sich mit dieser knappen Antwort zufriedengeben. Doch anscheinend tat er das nicht, denn er lächelte wieder. Dieses Mal hatte seine Miene fast etwas Tadelndes.

Vielleicht blieb ihr am Ende nichts anderes mehr übrig, als ihm die Wahrheit zu sagen, allerdings war sie dazu im Augenblick natürlich nicht bereit.

„Sie haben feste Überzeugungen, Rose. Waren Sie schon immer so?“

„Ja.“ Auch das war nicht gelogen.

Sie fügte jedoch nicht hinzu, dass sie diesen Überzeugungen nur selten Ausdruck verlieh, um nicht verspottet und auf jene seltsame Art behandelt zu werden, die sich ihre Schwester mittlerweile angeeignet hatte: Eine Frau sollte sich keine ernsthaften Gedanken machen. Dafür waren die Männer zuständig.

Er beendete sein Mahl, und sie saß noch immer da und wartete auf seine Entscheidung. Endlich stand er auf, durchquerte das Zimmer und sah aus dem Fenster. Nach einigen schier endlosen Herzschlägen wandte er sich zu ihr um.

„Ihr Ehemann ist tot.“

Sie war so verblüfft, dass sie ihn nur anstarren konnte.

„Ansonsten hätten Sie in gesetzlicher Hinsicht nicht das Recht, irgendetwas zu verkaufen, ist es nicht so?“

Was in aller Welt sollte sie darauf antworten?

„Ich nehme an, Sie hatten es in letzter Zeit nicht leicht“, fuhr er fort.

Das war stark untertrieben.

„Verfügen Sie über irgendwelche Nachweise hinsichtlich Ihrer Baumwolle?“

„Ja.“ Sie nickte. „Ich habe Zertifikate der Lagerhäuser, Überprüfungsnachweise und das neueste Bestandsverzeichnis.“

„Kann ich die Unterlagen sehen?“

Wieder nickte sie und erhob sich. „Ich habe sie in meinem Handkoffer“, erklärte sie und ging hinaus. Das Herz war ihr so leicht wie seit Tagen nicht mehr.

Wenn er kein Interesse hätte, würde er die Unterlagen gar nicht erst sehen wollen. Oder zweifelte er an ihren Worten?

Duncan MacIain war nicht so sanftmütig und mitfühlend wie seine weiblichen Verwandten. Allerdings war er tatsächlich genauso anziehend, wie sie es nach ihrem ersten kurzen Aufeinandertreffen in Erinnerung gehabt hatte. Und er kannte sich auf dem Baumwollmarkt besser aus als erwartet.

Einige kurze, atemlose Augenblicke später kehrte sie in den Salon zurück und überreichte ihm die Papiere aus Glengarden.

„Ich habe mich damals gegen eine Reise nach Amerika entschieden“, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe das Risiko als zu hoch empfunden, vielleicht auch vor Ort keine Baumwolle erwerben zu können, besonders weil die Konföderierten den gesamten Platz in den Frachträumen vieler Dampfer aufkaufen.“

Er war bestens informiert. Diese Neuigkeit hatte sie selbst erst in Nassau erfahren.

Wenn sie ihm schon in Bezug auf ihre Identität nicht die Wahrheit sagen konnte, dann würde sie wenigstens in allen anderen Punkten ehrlich sein.

„Ich stimme nicht mit den Ansichten der Konföderierten überein, Duncan. Die Machthaber der Südstaaten würden meine Familie der Sache wegen verhungern lassen. Ich habe jenes Leben kennengelernt, das sie unter allen Umständen bewahren wollen, und ich finde nichts Erstrebenswertes daran. Ich halte es weder für ehrenvoll noch für ein hehres Ziel, so viele Menschen weiterhin zu versklaven.“

„Sie sind Abolitionistin, eine Gegnerin der Sklaverei“, stellte er fest.

„Diese Bezeichnung trage ich mit Stolz. Aber ich würde es eher als schlichte Menschlichkeit bezeichnen. Ich kann mich mit der Vorstellung nicht abfinden, dass sich ein Mensch über andere erhebt und sich zu ihrem Herrn erklärt.“

Er lächelte. „Ich teile Ihre Ansichten. Mir wäre wohler, wenn die Konföderierten den Krieg verlieren würden. Es gefällt mir nicht, die Sklaverei indirekt unterstützen zu müssen, um meine Fabrik zu unterhalten und meine Familie zu schützen. Trotzdem brauchen wir die Baumwolle aus den Südstaaten.“

Dies war ein merkwürdiger Balanceakt für sie. Sie gab vor, Bruces Witwe zu sein, aber sie konnte nicht Claires Haltung vertreten.

„Wie kommt es, dass eine Abolitionistin auf Glengarden lebt?“

Sie musste es ihm wirklich sagen, bevor diese irrwitzige Situation noch weiter vorangetrieben wurde. Sie holte tief Luft, um genau das zu tun, doch da sprach er bereits weiter.

„Haben Sie sich so sehr in Bruce verliebt, dass Ihre eigenen Überzeugungen nicht mehr wichtig waren?“

Sie verengte die Augen zu Schlitzen. „Passiert so etwas denn nur Frauen, Duncan? Lassen sich die Männer niemals derartig beeinflussen?“

„Meiner Erfahrung nach ist Liebe, die an Obsession grenzt, eine gefährliche Empfindung.“

Vielleicht war es für Claire tatsächlich eine an Obsession grenzende Liebe gewesen. Rose fühlte sich in dieser merkwürdigen Situation, in der sie vorgeben musste, ihre Schwester zu sein, hin- und hergerissen. Zugegeben, Claire hatte sich tatsächlich so sehr in Bruce verliebt, dass sie ihr Zuhause und ihre Familie für ihn aufgegeben hatte. Doch Claire war noch nie eine überzeugte Gegnerin der Sklaverei gewesen. Im Grunde hatte sie sich nie für irgendjemand anderen interessiert als für sich selbst. Noch so ein illoyaler Gedanke.

Trotzdem, wie hatte Claire die Sklaverei nur ohne ein einziges Wort des Protests hinnehmen können? Diese Frage hatte sich Rose praktisch an jedem Tag gestellt, den sie in Glengarden verbracht hatte.

„Kann es denn auf der ganzen Welt keine Frau geben, die Sie so sehr fasziniert, dass Sie etwas tun würden, was Ihrer Natur widerspricht?“

Autor

Karen Ranney
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