Das gefährliche Begehren des Königs

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König Tiberius kehrt nach Jahren im Exil auf den Thron zurück. Doch noch ist sein Land gespalten. Es gibt nur eine Möglichkeit, auf Dauer den Frieden zu sichern: Er muss der Pflicht gehorchen und die Tochter seines größten Feindes heiraten, die junge Guinevere. Natürlich für eine Zweckehe! Aber warum prickelt es dann so verboten sinnlich in ihrer Nähe? Immer mehr fühlt er sich zu Guinevere hingezogen. Aber als König muss er einem Land dienen, persönliche Gefühle sind tabu – egal, wie sehr er sich insgeheim nach Guineveres Küssen sehnt …


  • Erscheinungstag 14.10.2025
  • Bandnummer 2722
  • ISBN / Artikelnummer 9783751535137
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jackie Ashenden

Das gefährliche Begehren des Königs

1. KAPITEL

Tiberius Maximus Benedictus, rechtmäßiger Thronfolger und zukünftiger König von Kasimir, schritt den breiten Korridor Richtung Thronsaal entlang, hinter ihm eine Gefolgschaft aus Dutzenden Wachen, Beratern, einem General und einem Priester.

Der Putsch, der die brutale Herrschaft der Accorsis endgültig beendet hatte, war geglückt. Leider nicht so friedlich, wie von ihm erhofft, aber Gott sei Dank waren keine Zivilisten unter den Opfern. Sein Plan war aufgegangen.

Nach zwanzig Jahren der Tyrannei, in denen das Land fast vor die Hunde gegangen wäre, hatte Tiberius die Accorsis endlich besiegt. Und sie würden niemals wieder an die Macht kommen.

Es gab nur eine Sache, die seinen glorreichen Sieg trübte. Die Accorsis waren entkommen. Laut seinen Spionen waren sie aus Kasimir geflohen, was Tiberius wirklich ein Dorn im Auge war.

Er hatte gehofft, Renzo Accorsi und seine Handlanger selbst vor Gericht zu bringen, wo sie sich für ihre Schreckenstaten verantworten müssten. Doch die internationalen Behörden waren bereits informiert. Sobald die Zeit reif war, würde Renzo zur Rechenschaft gezogen werden, da war Tiberius sicher.

In diesem Moment zählte nur die Krone.

Solange sie nicht auf seinem Kopf saß, war er nicht der rechtmäßige König. Doch erst dann konnte er die Ärmel hochkrempeln und sich der allerwichtigsten Aufgabe widmen: dem Wiederaufbau seines Landes, das durch jahrelange Misswirtschaft und innere Unruhen völlig zerrissen war.

Die Schritte auf dem antiken Parkett hallten an den kahlen Mauern wider, als Tiberius mit seinen Gefolgsleuten den leeren Korridor durchquerte und schließlich die Tür zum Thronsaal öffnete.

Oder zumindest das, was davon übrig war.

Jahrhundertelang hatten hier die Königinnen und Könige von Kasimir geherrscht. Als die Accorsis seine Eltern vom Thron gestürzt hatten – jener Tag, an dem seine Mutter ums Leben gekommen war –, war Tiberius noch ein Baby gewesen. Somit hatte er den Raum noch nie von innen gesehen.

Bis jetzt.

Nach ihrer Flucht waren Tiberius und sein Vater in Italien untergetaucht. Sie waren oft in die Berge gefahren, hinter denen das Königreich Kasimir lag. Dort gab es einen Aussichtspunkt, an dem Touristen Fotos der malerischen Kulisse schießen konnten: ein zauberhaftes Märchenschloss vor einer Bergkette mit schneebedeckten Gipfeln.

Tiberius’ Vater hatte auf die Turmspitzen in der Ferne gedeutet. „Das ist mein Vermächtnis an dich, mein Sohn“, hatte er gesagt. „All das gehört dir. Das ist dein Zuhause.“

Nun war Tiberius angekommen.

In dem Schloss, das ihm und seiner Familie vor so vielen Jahren genommen worden war.

In seinem wahren Zuhause.

Tiberius blieb stirnrunzelnd im Türrahmen stehen.

Der Thronsaal war völlig verwüstet.

Trotz ihrer überstürzten Flucht hatten die Accorsis noch Zeit gefunden, ihre Soldaten mit der Zerstörung der heiligen Herrscherhallen von Kasimir zu beauftragen.

Zahlreiche Wandteppiche lagen verbrannt auf dem Boden, und die jahrhundertealten Gemälde waren zerstochen oder mit Schnitten übersät. Mit Spraydose gesprühte Schimpfwörter zierten die an vielen Stellen eingetretene Wandvertäfelung, und in einer Ecke hatte jemand versucht, einen antiken Stuhl anzuzünden. Rauch zog über das Fischgrätparkett zu ihnen herüber, und eine von Tiberius’ Wachen löschte eilig die schwelende Glut.

Tiberius ließ den Blick über das Chaos schweifen und versuchte, seinen Ärger herunterzuschlucken. Als kluger Stratege – und als König – wusste er, dass Gefühle in einer solchen Situation keinen Platz hatten. Er wandte sich an seine Berater und erteilte ein paar knappe Befehle für die Aufräumarbeiten, bevor er auf das Podium mit dem riesigen handgeschnitzten Thron aus Eichenholz zuging.

Das Holz war dunkel und glatt. Ein Zeichen der langen Zeit, die die Herrscher von Kasimir bereits auf diesem Thron saßen. Sitzfläche und Armlehnen waren mit Dutzenden Federn aus einigen aufgeschlitzten Kissen, die achtlos auf den Boden geworfen worden waren, verunreinigt.

Tiberius schob die Überreste der Kissen mit dem Fuß beiseite. Er brauchte sie nicht. Ein Thron hatte nicht bequem zu sein. Denn Bequemlichkeit war der erste Schritt zur Korruption. Und Tiberius würde sich davor hüten, in diese Falle zu tappen.

Er drehte sich um und setzte sich.

Endlich.

Nach all den Jahren saß nun wieder ein Benedictus auf dem Thron. Die Geister seiner Eltern konnten ihre letzte Ruhe finden.

Mit einem Mal spürte Tiberius eine tiefe innere Zufriedenheit, die er für einen kurzen Augenblick genießen wollte. Es war ein langer und steiniger Weg gewesen. So viele Jahre, die er erst mit seiner Militärausbildung und dann mit dem Planen ausgeklügelter Strategien verbracht hatte, um politische Anhänger für sich zu gewinnen. All das Leid, das seinem Volk widerfahren war, und er hatte nur dabei zusehen können …

Aber es war vorbei.

Nun fing die Arbeit erst an.

Tiberius besann sich und schnippte mit den Fingern Richtung seiner Gefolgschaft, die versammelt am Fuß des königlichen Podiums stand.

„Pater Domingo“, rief er barsch. „Wenn ich bitten darf?“

Ein Berater reichte dem Geistlichen die schwere goldene Krone mit gravierten Eichenblättern, der sogleich damit zum Thron schritt.

Die Krönung sollte schlicht sein, ohne pompöse Zeremonie. Für so etwas hatte Tiberius keine Zeit. Was sein Volk jetzt brauchte, waren Spitäler, Schulen und neue Wohnhäuser, keine unnötig prunkvollen Feste.

Der Priester sprach ein Gebet und setzte Tiberius sanft den goldenen Reif auf den Kopf. Endlich, nach zwanzig Jahren im Exil, gehörte die Krone wieder dem rechtmäßigen König von Kasimir.

Die Krone war schwerer als gedacht, aber Tiberius schenkte dem keine Beachtung. Er erlaubte sich auch nicht, zufrieden oder glücklich zu sein, als die kleine Menschenmenge am Fuß des Podiums in jubelnden Beifall ausbrach. Er ließ sie einen Augenblick gewähren, bevor er die Hand hob. Sofort verstummten seine Begleiter.

Alle wussten, dass man Tiberius’ Befehlen besser Folge leistete.

„In meinem ersten Erlass als neuer König“, setzte er an, „soll verfügt werden, dass …“ Er schauderte und verstummte.

Zehn Jahre harter Militärausbildung hatten seine Sinne für jede sichtbare und unsichtbare Gefahr geschärft. Er wusste genau, wenn er beobachtet wurde. So wie jetzt. Und zwar von jemandem, der sich nicht im Thronsaal befand.

Die Stiefel der Wachen scharrten auf dem Parkett.

„Ruhe!“, donnerte Tiberius und ließ den Blick durch den Saal schweifen. Seine Männer gaben keinen Mucks von sich.

Nichts hatte sich verändert, seit sie den Raum betreten hatten. Er warf einen Blick zur Decke, aber außer dem verblichenen Fresko war nichts zu sehen. Dort oben hatte sich bestimmt niemand versteckt.

Aber wo dann?

Tiberius hatte ein fotografisches Gedächtnis, das lag in der Familie. Auf Anweisung seines Vaters hatte er sich schon vor langer Zeit alle Baupläne des Schlosses genau eingeprägt. Deshalb wusste er auch von den zahlreichen schmalen Geheimgängen, die ein früherer König vor Jahrhunderten zwischen den dicken Gemäuern hatte erbauen lassen, damit er das Geschehen im Schloss unbemerkt beobachten konnte.

Bestimmt wusste der unbekannte Spion von diesen Korridoren.

Tiberius’ Blick schnellte nach links. Wenn ihn nicht alles täuschte, lag genau hinter dieser Mauer ein Geheimgang, und die Tür, die hineinführte, befand sich hinter einem der schweren Wandteppiche.

Wer auch immer dort im Verborgenen lauerte, würde sich schon sehr bald zeigen, dafür würde er sorgen.

Tiberius warf seinem Hauptmann einen eindringlichen Blick zu und machte eine Kopfbewegung Richtung Wandteppich. Der Hauptmann verstand den stummen Befehl sofort, ging in großen Schritten hinüber und zog den schweren Stoff beiseite.

Wie Tiberius vermutet hatte, lag dahinter eine niedrige, schmale Tür. Der Hauptmann öffnete sie und trat ein. Kurz darauf hörte man einen leisen Schrei, dann schnelle Schritte, und einen Moment später kam der Hauptmann zurück in den Thronsaal. Zu Tiberius’ großem Erstaunen hatte er ein Mädchen im Schlepptau.

Nun, kein Mädchen. Eine Frau. Sie war klein und zierlich und trug ein ausladendes weißes Spitzenkleid, dessen Saum ganz schmutzig und ausgefranst war. Sie war von Kopf bis Fuß mit Staub bedeckt und die dichten hellen Locken fielen ihr über die Schultern und ins Gesicht. Tiberius konnte nur mit Mühe ihre ausdrucksvollen, aber doch zarten Gesichtszüge ausmachen.

Sie war sehr blass. Vor Angst? Gut so. Nach außen wirkte sie vielleicht nicht wie eine Bedrohung. Doch sie hatte ihn heimlich beobachtet, und dieses Verhalten würde Tiberius keinesfalls tolerieren.

Der Hauptmann lockerte seinen Griff. Mit einem verärgerten Schnauben riss sich die Unbekannte los und rieb sich den Arm, wo er sie festgehalten hatte.

Ihre blasse Gestalt erinnerte Tiberius an eine Baumwollblüte, die der Wind an den Fuß der Treppe geweht hatte. Oder an eine zarte Elfe. Eine ziemlich verängstigte noch dazu. Darüber konnte auch ihr verächtliches Schnauben nicht hinwegtäuschen.

Tiberius betrachtete sie mit kühlem Blick.

Wer war diese Frau, und warum hatte sie sich hier versteckt? Gehörte sie zu den Accorsis? War sie eine Auftragsmörderin? Eine Spionin, die Informationen über den neuen König beschaffen sollte?

Wie dem auch sei, ihr Vorhaben war gescheitert. Nun würden die Richter über ihr weiteres Schicksal entscheiden. Die Accorsis und ihre Anhänger mussten zur Rechenschaft gezogen werden. Jeder Einzelne von ihnen.

„Nun“, meinte Tiberius schließlich. „Anscheinend leben kleine Mäuse in den Wänden.“

Die Frau hob den Blick und starrte ihn an – das Gesicht weiß wie Schnee. Noch nie in seinem Leben hatte Tiberius so leuchtend blaue Augen gesehen.

Ein seltsames Gefühl überkam ihn. Er lehnte sich etwas nach vorn, um sie besser betrachten zu können. Sie hatte offensichtlich Angst, und das aus gutem Grund, doch in ihrem Blick lag auch etwas anderes: eine ungezähmte Widerspenstigkeit.

Äußerst faszinierend.

Obwohl sie ahnen musste, dass sie ernsthafte Konsequenzen erwarteten, wollte sie augenscheinlich Widerstand leisten. Also war sie entweder sehr mutig oder sehr dumm.

„Solche, die still und heimlich ihrem König hinterherspionieren“, sagte er. „Sprich, kleines Mäuschen. Was hattest du vor?“

Die Unbekannte reckte das Kinn vor. „Ich bin kein Mäuschen“, rief sie. „Und ich habe nicht spioniert.“

Ihre Stimme klang glockenhell und klar.

„Sondern?“ Tiberius musterte sie genau. Falls sie log, würde er es merken. Als Soldat erkannte er potenzielle Gefahren sofort. Auf den ersten Blick stellte sie vielleicht keine ernsthafte Bedrohung dar. Doch man durfte sich niemals von Äußerlichkeiten täuschen lassen.

Eine Frau im eleganten Spitzenkleid konnte Tiberius trotz allem zum Verhängnis werden, auch wenn sie noch so hübsch war. Und das war sie definitiv. Sehr sogar.

Doch im Moment hatte er kein Interesse an solchen Dingen. Seine letzte intime Begegnung mit einer Frau war schon über ein halbes Jahr her. Während der letzten Phase seines Plans zur Eroberung des Throns hatte er sich von nichts und niemandem von seinem Ziel ablenken lassen wollen. Glücklicherweise war sein Geist stark genug, um seine Libido in Schach zu halten.

Sobald der Wiederaufbau des Königreichs begonnen hatte und erste Ergebnisse zu sehen waren, würde er vielleicht ein paar Nächte an der Seite einer schönen Frau verbringen. Aber keinesfalls früher.

Nicht, bevor er sein Land wieder auf Vordermann gebracht hatte.

Die Unbekannte stand kerzengerade da, die Finger fest ineinander verschränkt. Offenbar war es ihr unangenehm, wie genau Tiberius sie beäugte.

Geschieht ihr recht. Wenn sie nicht beobachtet werden wollte, hätte sie ihm nicht auflauern sollen.

„Ich höre?“, fragte Tiberius bemüht ruhig. „Antworte. Das ist ein Befehl.“

Sie presste die Lippen fest zusammen, bevor sie flüsterte: „Ich … ich habe mich versteckt.“

„Welche Überraschung. Und vor wem? Vor meiner Armee? Oder vielleicht …“ Er stutzte und betrachtete ihr Gesicht genauer. Seltsam. Sie kam ihm so bekannt vor, als hätte er sie irgendwo schon einmal gesehen …

Plötzlich fiel es ihm ein. Die Fotos, die ihm sein Vater immer wieder gezeigt hatte, damit Tiberius sich die Gesichter genau einprägte. Damit er nie vergaß, was sie ihm und seiner Familie angetan hatten.

„Sie sind der Feind“, hatte sein Vater erklärt. „Ihretwegen ist deine Mutter gestorben. Merk dir ihre Gesichter. Sie haben uns alles genommen. Nun liegt es an dir, zurückzuerobern, was uns gehört.“

Das markante Gesicht, die blauen Augen, das helle Haar …

Sie ist eine Accorsi.

Heiße Wut kochte in ihm hoch. Also waren doch nicht alle entkommen. Nein, ein Familienmitglied war im Schloss zurückgeblieben. Und nun stand sie leibhaftig vor ihm.

Meine Gefangene.

Mein Siegerpreis.

„Miss Accorsi“, sagte er. „Niemand mit diesem Namen sollte sich in alten Gemäuern verstecken. Vor allem nicht vor mir.“

Ihre Augen weiteten sich, und sie wurde noch blasser. „Woher …?“

Er unterbrach sie. „Guinevere Accorsi, wenn ich mich nicht irre?“ Renzo hatte drei Kinder, davon ein Mädchen. Es gab keine andere Möglichkeit.

Ihr Blick flackerte bedrohlich, als wollte sie ihn in Grund und Boden starren. Als wäre es ihr völlig egal, dass er hier oben auf dem Thron saß und sie am Fuß des Podiums stand.

„Ja“, antwortete sie. „Und weiter?“

Tiberius hielt sich an den Armlehnen des Throns fest und beugte sich vor. Ihm kam eine Idee. Als meisterhafter Stratege wusste er alle Risiken genau abzuwägen, damit sich alles zu seinen Gunsten entwickelte. Allein seinem geschickten Vorgehen war es zu verdanken, dass er nun auf seinem rechtmäßigen Thron saß. Und er wusste genau, wie er diese überraschende Wendung für seine Zwecke nutzen konnte.

Falls die Unbekannte tatsächlich Renzo Accorsis Tochter war, wäre sie sehr nützlich für ihn. Das Land war noch immer mit Anhängern der Accorsis durchsetzt, die mit dem neuen König sicherlich nicht besonders zufrieden waren.

Theoretisch könnte er die Aufständischen einsperren oder ins Exil zwingen. Doch genau das war die Strategie der Accorsis nach ihrer Machtübernahme gewesen, und Tiberius würde sich niemals auf dieses Niveau herablassen. Sein Volk hatte keinen Tyrannen verdient, der jeglichen Widerstand unterdrückte. Es brauchte jetzt Brücken, keine Gräben.

Und genau da kam Guinevere Accorsi ins Spiel.

Früher oder später bräuchte er eine Königin an seiner Seite. Bis jetzt hatte er sich damit nicht auseinandergesetzt, wer dafür infrage käme, weil andere Dinge wichtiger gewesen waren. Aber nun stand die perfekte Kandidatin vor ihm. Seine Gefangene. Eine Ehe zwischen einem Benedictus und einer Accorsi war genau die richtige Botschaft. Eine Vereinigung der beiden verfeindeten Familien würde das Volk und die politischen Lager wieder näher zusammenbringen. Es würde beweisen, wie ernst er es mit dem Wiederaufbau des Königreichs meinte.

Keine Spaltung mehr. Das Volk brauchte endlich Frieden.

Guinevere Accorsi beäugte ihn argwöhnisch wie ein wildes, gefährliches Tier. Mit dieser Einschätzung hatte sie nicht ganz Unrecht.

Ich bin gefährlich.

Tiberius musterte sie. So hübsch sie auch war, in dieser Aufmachung könnte sie unmöglich Königin werden.

Zuerst muss sie Ja sagen.

Selbstverständlich. Doch das würde sie ganz bestimmt, wenn Tiberius ihr die Wahl ließ zwischen einem Leben als Königin oder einem Leben hinter Gittern.

Er erkannte die Furcht in ihren strahlend blauen Augen.

Zu ihrem Pech gehörte sie einem niederträchtigen Familienclan an, der nicht nur für den Tod seiner Mutter verantwortlich war, sondern auch Kasimir an den Rand des Ruins getrieben hatte. Renzo Accorsi hatte als König unvorstellbare Grausamkeiten verübt, und auch wenn seine Tochter vermutlich nicht aktiv daran beteiligt gewesen war, stand sie trotzdem stellvertretend für die Schreckensherrschaft ihrer Familie.

Tiberius hatte keinerlei Mitleid mit ihr.

Dennoch gab es keine Veranlassung für blinde Drohungen. Und Tiberius tat nichts ohne guten Grund.

Sein Entschluss stand fest. „Wenn das so ist, habe ich ein Angebot für dich.“

Sie sah ihn mit großen Augen an. „Welches?“

Tiberius erwiderte ihren Blick. „Werde meine Königin.“

Guinevere hatte in ihrem sicheren Versteck hinter der Mauer beobachtet, wie Tiberius in den Thronsaal gekommen war.

Der Feind.

Wenige Tage vor dem Umsturz hatte sie zufällig mitbekommen, wie ihr Vater sich über Tiberius lustig gemacht hatte. Benedictus sei ein Niemand, ein lästiges Übel, das er schon bald aus der Welt schaffen werde. Schwach und zahnlos, wie der Rest seiner Sippschaft. Sobald er Renzos Streitmächten gegenüberstehe, werde er mit eingezogenem Schwanz zurück nach Italien kriechen.

Doch es war anders gekommen. Ihr Vater und ihre Brüder waren so überstürzt geflohen, dass niemand von ihnen auf die Idee gekommen war, nach Guinevere zu suchen. Unbemerkt war sie in einen der Geheimgänge geschlüpft und hatte abgewartet, bis ihr Vater, ihre Brüder und die wenigen verbliebenen Wachen den Palast verlassen hatten.

Ihr war so ein großer Stein vom Herzen gefallen, und zuerst konnte sie es gar nicht glauben. Endlich war ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung gegangen: Sie war allein. Ihre Familie war fort.

Sie müsste nur durch die Geheimgänge schleichen – niemand von den anderen wusste davon – und irgendwie einen Weg nach draußen finden. Dort würde sie in die Gassen der Stadt abtauchen und einfach … verschwinden.

Aber dann war er in den Thronsaal gekommen und hatte alles kaputt gemacht.

Tiberius Maximus Benedictus, der rechtmäßige König von Kasimir.

In ihrem Versteck war sie unfreiwillig Zeugin seiner Krönung geworden und hatte heimlich beobachtet, wie der Priester ihm die Krone auf das kurze schwarze Haar gesetzt hatte. Tiberius trug sie so anmutig, als säße er in einer königlichen Robe auf dem Thron statt in einem grauen Kampfanzug.

Er war nicht unbedingt gut aussehend – sein Gesicht war hart und markant, wie aus Stein gemeißelt –, aber ihn umgab eine gewisse Aura, die sie noch nie an einem Mann gesehen hatte. Eine Aura der Macht, die so allumfassend war, dass sie bis hinter die Gemäuer zu ihr strahlte.

Bedrohlich und furchteinflößend.

Sie hätte die Gunst der Stunde nutzen und während der Krönung fliehen sollen, aber sie konnte nicht. Irgendetwas hielt sie zurück, und obwohl sie vor Angst wie gelähmt war, übte er eine seltsame Faszination auf sie aus. Vielleicht, weil der Feind ganz anders aussah, als sie ihn sich vorgestellt hatte.

Laut ihrem Vater war Tiberius ein Schwächling, dem er bei der erstbesten Gelegenheit den Gnadenschuss verpassen wollte.

Doch in Wahrheit war er ein wahrer Herrscher, ein Anführer, der sich und seine Männer völlig unter Kontrolle hatte. Und er jagte ihr eine Heidenangst ein.

Plötzlich drehte er sich in ihre Richtung, und sein eindringlicher Blick wirkte so, als könnte Tiberius durch Wände sehen. Guinevere erstarrte. Seine Augen waren von einem zarten Silbergrau, hell und kalt wie Schnee. Dank seiner dunklen Brauen und seiner olivfarbenen Haut stachen sie noch stärker hervor. Guinevere fühlte sich, als wollte er Stück für Stück ihre verborgensten Gefühle offenlegen, bis der innerste verletzliche Teil ihrer Seele zum Vorschein kam.

Zitternd vor Angst rief sie sich zur Vernunft. Natürlich konnte er nicht durch Wände sehen. Außerdem war es wirklich höchste Zeit, dem Palast den Rücken zuzukehren. Doch gerade als sie sich Richtung Ausgang schleichen wollte, wurde die Tür hinter dem Wandteppich aufgerissen und eine der Wachen zog Guinevere hinter sich her in den Thronsaal.

Fast hätte sie sich vor Angst übergeben, als sie am Fuß des Podiums stand, während Tiberius breitbeinig auf dem Thron saß und sie mit diesem unerträglich durchdringenden Blick anstarrte. Doch sie war auch wütend – wütend auf ihn, weil er ihren Plan durchkreuzt hatte, und wütend auf sich selbst, weil sie nicht sofort geflohen war.

Sie hatte sich schon immer gut verstecken können. Die letzten fünfzehn Jahre waren die beste Übung gewesen. Doch gerade heute war sie im entscheidenden Moment daran gescheitert.

Vor ihr saß der rechtmäßige König und wollte sie zur Frau.

Guinevere hatte Schwierigkeiten, diese Information zu verarbeiten.

„Ähm … wie … wie bitte?“, stammelte sie. „Wir sollen heiraten? Aber warum?“

Tiberius blieb gelassen. „Du bist eine Accorsi.“

„Ja, aber …“

„Kasimir ist gespalten“, unterbrach er sie. „Doch mit dem heutigen Tag sind diese Gräben Geschichte. Dein Vater ist für den Zustand des Königreichs verantwortlich. Und da er nicht mehr hier ist, um seine Fehler wiedergutzumachen, fällt dir diese Aufgabe zu.“

Seine Stimme war tief und unerbittlich. Guinevere lief ein Schauer über den Rücken.

„Aber ich …“ Sie stutzte. „Ich kann das nicht.“

„Du wirst meine Königin.“ Er sagte es, als stünde der Entschluss bereits fest. „Deine Familie hat das Land fast völlig zerstört. Da Renzo auf der Flucht ist, musst du dich für seine Taten verantworten.“

Guinevere war völlig fassungslos. Renzo war ein Monster, genauso wie ihre älteren Brüder, so viel stand fest. Sie hatten Guinevere jahrelang schikaniert und unterdrückt. Nur ihretwegen hatte sie das Schloss noch nie verlassen.

Nicht etwa, weil sie so gern hier war.

Nein, sie hasste diesen Ort. Und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihn für immer zu verlassen.

„Aber ich habe nichts verbrochen“, presste sie hervor. „Ich habe nie …“

„Das ändert nichts an deiner Herkunft“, meinte Tiberius kühl. „Somit trifft dich eine Mitschuld an den feigen Taten deiner Familie. Und in ihrem Namen wirst du eine gerechte Strafe bekommen.“

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