Das Geheimnis von Calcott Manor - 4-teilige Miniserie

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Miniserie von JOSS WOOD

MEIN ATHLETISCHER RETTER

Erst verliert Supermodel Eliot ihren Vertrag, und dann verlässt sie ihr Verlobter kurz vor der Hochzeit! Jetzt wird sie von Paparazzi gejagt. Da taucht ihr Ex Soren Grantham wie ein rettender Engel auf. Unerwartet bietet der muskulöse Profischwimmer ihr an, auf dem Anwesen seiner Familie unterzutauchen, bis sich der Presserummel gelegt hat. Und als die Wogen der Leidenschaft erneut hoch schlagen, beginnt sie sich zu fragen, ob ein Leben abseits des Laufsteges nicht doch verlockender sein könnte als gedacht …

MEIN UNWIDERSTEHLICHER BOSS

Sonnengebräunte, breite Schultern, muskulöse Arme und ein markantes Gesicht mit sinnlichen Lippen – bei Fox Granthams Anblick denkt Ru sofort an ein Abenteuer. Dabei will sie seine persönliche Assistentin werden, nicht seine Geliebte. Das Geld braucht sie für ihren nächsten Trip um die Welt. Sie hat nicht vor, für einen Mann ihre Reisepläne aufzugeben …

EIN UNERWARTET HEISSES WIEDERSEHEN

Nach langer Zeit kehrt Jack Grantham zurück nach Calcott Manor, in das Haus seiner Familie. Hier will er herausfinden, wer hinter den Drohungen steckt, mit denen seine Großmutter erpresst werden soll. Und hier trifft er auch Peyton wieder – die rothaarige Schönheit, mit der er vor zwei Jahren eine leidenschaftliche Nacht verbracht hat. Zwischen ihnen knistert es noch genauso heftig wie damals, doch dann findet Jack heraus, dass Peyton tief in die Geheimnisse seiner Familie verstrickt ist …

SINNLICHE KÜSSE, GEFÄHRLICHE NÄHE

Seit einem leidenschaftlichen One-Night-Stand ist Unternehmer Merrick verrückt nach Aly. Am liebsten würde er sofort wieder jeden Zentimeter ihres verführerischen Körpers küssen! Doch solange er nicht weiß, warum sie plötzlich auf dem Anwesen seiner Familie aufgetaucht ist, sollte er sein Verlangen nach ihr besser unterdrücken. Bloß wie, wenn es mit jedem Moment in Alys Nähe nur noch unwiderstehlicher zwischen ihnen knistert?



  • Erscheinungstag 17.04.2025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751537094
  • Seitenanzahl 491
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de
Geschäftsführung: Katja Berger, Jürgen Welte
Leitung: Miran Bilic (v. i. S. d. P.)
Produktion: Christina Seeger
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2023 by Joss Wood
Originaltitel: „Just a Little Jilted“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA , Band 2307 09/2023
Übersetzung: Kai Lautner

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 09/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783751515788

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Es ist Sommer, und ich, Avangeline, bin zweiundachtzig Jahre alt. Ich stehe im Wartezimmer Gottes. Das weiß ich, und ich akzeptiere es … Irgendein schlauer Mensch hat mal gesagt, es gebe nur zwei Gewissheiten im Leben, den Tod und die Steuern. Der Tod wird mich früher ereilen, als mir lieb ist, und, bei Gott, Steuern habe ich genug gezahlt.

Doch ich habe auch viel Geld verdient. Milliarden …

Aber ich frage mich, wie viel ein Geheimnis wert ist. Bekomme ich bei zweien am Ende Rabatt?

„Die kleinsten Handschellen der Welt, Honey.“

Hinter ihrem Brautschleier sah Eliot Stone durch den Spalt des Wagenfensters das sonnengebräunte Gesicht einer Fahrradkurierin, deren graues Haar unter dem Helm hervorlugte. Zuerst war sie unsicher, ob die Kurierin mit ihr gesprochen hatte oder nicht, doch als die Frau ihre Hand auf die Fensterkante der Limousine legte, um das Gleichgewicht zu halten, zweifelte Eliot nicht mehr daran, dass ihre Aufmerksamkeit ganz bei ihr war.

„Reden Sie vom Heiraten?“, wollte Eliot wissen, fasziniert von der Weisheit, die sie in den braunen Augen der Fahrradfahrerin sah. Diese Frau hatte bestimmt schon viel erlebt, und wahrscheinlich nicht nur Gutes.

„Schöner Tag, schönes Kleid, schöne Schuhe. Aber das alles bedeutet nichts, wenn man so unglücklich aussieht wie du, Süße.“

„Es reicht“, mischte sich Ursula Stone ein, beugte sich vor und drückte den Knopf, um das Wagenfenster zu schließen. Dann sah sie Eliot aufgebracht an. „Ich hatte dir gesagt, du sollst das Fenster nicht öffnen, Eliot.“

„Ich brauchte einfach frische Luft“, erwiderte Eliot und beobachtete, wie die Fahrradfahrerin geschickt durch den dichten Verkehr manövrierte. Als sie von einem Lastwagen geschnitten wurde, zeigte sie ihm den Mittelfinger. Eliot musste lächeln. Sie hatte die kurze Vertraulichkeit genossen. Wo, außer in New York, käme jemand auf die Idee, einer Braut an ihrem Hochzeitstag zu sagen, dass sie unglücklich aussah.

Ursula – Eliot nannte sie seit Teenager-Zeiten nicht mehr Mom – wandte sich an den Mann mit der Videokamera und den Fotografen, die auf der Bank an der Längsseite der Limo saßen. „Diese Episode wird gelöscht“, schnauzte sie die beiden an.

Die Männer nickten. Sie wussten, dass Ursula bei dieser Produktion die Chefin war. Gemeinsam mit DeShawns Manager hatte sie einen Deal ausgehandelt, um die Hochzeitsfotos an ein beliebtes Modemagazin zu verkaufen und das Video – von der Generalprobe bis zur Ankunft in den Flitterwochen – an einen populären Privatsender. Den Moment, wenn sich Eliot und DeShawn das Jawort gaben, würden Millionen Menschen auf dem Bildschirm sehen.

Eliot hatte sich eine kleine, bescheidene Hochzeit gewünscht. Mit einer Handvoll enger Freunde. Vielleicht irgendwo an einem Privatstrand, jedenfalls nicht unter den Augen der Weltpresse. Doch ihre Wünsche waren, wie so oft, ignoriert worden.

„Dein Kleid ist ja ganz hübsch geworden“, bemerkte Ursula und schürzte ihre schmalen Lippen. „Natürlich können wir gegen dein Übergewicht nichts tun, aber es gibt ja Photoshop, damit du auf den Bildern normal aussiehst.“

Normal? Das hier ist mein Normalgewicht, hätte Eliot am liebsten gerufen. Sie hatte ein gutes, ein gesundes Gewicht, aber sie wusste, dass es nichts gab, um Ursulas Meinung zu ändern. In den Augen ihrer Mutter war sie fett.

Dummerweise dachte so auch die gesamte Modebranche, die so lange das Zentrum ihres Lebens gewesen war. Casting-Agenturen, Art-Direktoren, Modedesigner – alle waren der gleichen Ansicht. Es gab zwar mittlerweile Fotostrecken mit Plus-Size-Models, aber einem skinny Topmodel verzieh man es nicht, wenn es ein paar Kilos zulegte. Ihr Gesicht und ihr Körper waren ihr Markenzeichen …

DeShawn, ihr langjähriger Freund und Verlobter, mochte die Originalversion von Eliot und war nicht begeistert, als ihr Marktwert als eines der international gefragtesten Supermodels sank.

Wie festgefroren auf ihrem Sitz, starrte sie auf ihren großartigen Verlobungsring, den sie schon auf ihren rechten Ringfinger gesteckt hatte, weil sie heute den Ehering von DeShawn bekommen würde. Der Verlobungsring war ein makelloser vierzehnkarätiger Brillant, hatte zwei Millionen Dollar gekostet, und sie hasste ihn. Er war kalt und aufdringlich, und außerdem schnitt der Reif in den Finger, weil sie zugenommen hatte seit damals, als sie ihn bekommen hatte. Gestern Abend war es ihr nur mit Seife und viel Gezerre gelungen, ihn abzuziehen und auf den Finger der anderen Hand zu stecken.

Eliot lehnte ihren Kopf an die Nackenstütze und wünschte, die Frage des Rings wäre ihr größtes Problem. Doch sie wurde als Model nicht mehr gebucht, und ihre Mutter, zugleich ihre Agentin und ihre Managerin, bedrängte sie, endlich wieder mager zu werden. DeShawn schickte ihr Links zu Diäten und Sportprogrammen, und auf seine Anweisung hin hatte seine Assistentin einen Platz für Eliot in einer Diät-Klinik gebucht. Das war seine Art, ihr mitzuteilen, dass er sie mit ihrer derzeitigen Figur unattraktiv fand.

Immerhin gab es jetzt eine medizinische Erklärung. Im vergangenen Jahr hatte sie angefangen zuzunehmen, dazu war sie oft erschöpft und konnte sich nicht konzentrieren. Natürlich hatte Ursula ihr Faulheit und Undiszipliniertheit vorgeworfen. Doch dann hatte ein Arzt herausgefunden, dass mit ihrer Schilddrüse etwas nicht in Ordnung war. Nun nahm sie jeden Morgen die entsprechenden Hormone und fühlte sich wieder viel fitter und klar im Kopf. Nur die überzähligen Pfunde hatte sie nicht wieder verloren.

Um die Wahrheit zu sagen, wollte sie die auch gar nicht loswerden. Sie war nicht von Natur aus mager, und je älter sie wurde, desto strenger hatte sie Kalorien zählen müssen. Nun aber fühlte sie sich gesünder als in ihren frühen Zwanzigern. Sie war energiegeladen, und wenn sie morgens erwachte, war sie erfrischt. Anscheinend tat es dem Körper gut, nicht ständig auf Diät zu sein.

Andererseits hatte dieser Zustand große Nachteile, denn die neue Kleidergröße brachte ihre nächsten Angehörigen auf die Barrikaden. Sie hatten das superdünne Supermodel gemocht, das auf den Laufstegen von Mailand, London und Paris zu Hause war. Sie wollten die alte Eliot wiederhaben, jenes Unterwäschemodel mit den tief eingesunkenen Augen, den hervorstehenden Schlüsselbeinen und Hüftknochen, und Beinen so dünn wie Zweige. Ihr war bewusst, dass ihre Karriere als Wäschemodel vorbei war, und vermutlich würde sie nie wieder auf einem Laufsteg Mode präsentieren oder halbnackt die Plakatwände am Times Square zieren.

Wahrscheinlich würden das Hochzeitsvideo und die Fotostrecke in der Vogue ihre letzte große Kampagne sein.

Kampagne? Du meine Güte, es war ihre Hochzeit!

Oder auch nicht. Denn eigentlich war es das Ding ihrer Mutter. Sie selbst hasste alles daran. Die fünfhundert Gäste, das Schwarz-Weiß-Motto, die Tatsache, dass die Trauung nicht in der Kirche stattfinden würde. Und die faule Kirsche auf dem ekligen Eisbecher war, dass die Trauung im Forrester-Grantham-Hotel über die Bühne gehen sollte. Zwangsläufig würde sie an Soren Grantham erinnert, jenen Mann, mit dem sie drei magische Nächte in einer Villa in Villefranche-sur-Mer verbracht hatte. Diese sonnenüberglänzten Tage an der französischen Riviera. Damals hatte sie das letzte Mal das Gefühl gehabt, dass jemand sie sah. Und hörte.

Und zwar als sie selbst, nicht nur als schönes Gesicht. Soren hatte sich ihr zugewandt, hatte ihr zugehört … Sie waren sich geistig und emotional so nah gewesen. Ganz abgesehen von dem unglaublich guten Sex. Dass er den Kontakt danach abgebrochen hatte, tat immer noch weh, auch wenn sie sich einredete, dass es ja nur eine kurze Affäre gewesen war, mehr nicht.

Sie wollte nicht an Soren denken. Nicht heute, an ihrem Hochzeitstag.

Es wäre hilfreich gewesen, wenn ihre Mutter nicht ausgerechnet ein Hotel ausgewählt hätte, das seinen Namen über der Tür trug.

„Wie fühlen Sie sich, Eliot?“, fragte der Videofilmer.

Sie schaute in die Kamera und blinzelte nicht ein einziges Mal, als das Blitzlicht sie blendete. Dafür war sie viel zu professionell.

Die Antwort, die der Mann hören wollte, kannte sie. Dass sie aufgeregt war, ein wenig kribbelig, dass sie voller Hoffnung auf das neue Kapitel ihres Lebens blickte und es kaum erwarten konnte, DeShawns Frau zu werden. Stattdessen hätte sie ihm gern gesagt, dass sich alles völlig unwirklich anfühlte. Dass sie das Gefühl hatte, einen Werbefilm zu drehen oder ein Kurzvideo für eine Luxusmarke. Sie sehnte sich danach, dass irgendjemand „Schnitt!“ rief.

Wie die anderen wohl reagieren würden, wenn sie ihnen erzählte, dass sie die glückliche Braut nur spielte? Dass sie der Star in einer Produktion war, die nichts mit ihr zu tun hatte?

Der Held, ihr Bräutigam, kam ihr fremd vor. Wie irgendein Schauspieler, der sich die Hauptrolle unter den Nagel gerissen hatte. Ihr Kostüm hatte sie sich nicht selbst ausgesucht. Statt dieses bauschigen Prinzessinnenkleids hätte sie lieber etwas Ausgefalleneres getragen. Bohème-Stil. Dreiviertel der Gäste waren ihr unbekannt, die anderen meist nur weitläufige Bekannte. Sie hatte sich Wildblumen gewünscht, aber bekommen hatte sie weiße Rosen. Sie hatte sich Madigan als einzige Brautjungfer gewünscht, aber jetzt waren es sechs dunkelhaarige Models, die vor ihr her schreiten und später neben ihr auf den Hochzeitsfotos posieren würden.

Niemand hatte ihr zugehört, als sie versuchte, ihre Wünsche zu formulieren. Aber ihr hörte nie jemand zu. Alle sahen nur ihr hübsches Gesicht und ihre perfekte Modelfigur. Auch wenn dieser Tage ihre Maße für ihren Job alles andere als perfekt waren.

Lange, viel zu lange hatte Eliot allen erlaubt, über ihre Bedürfnisse hinwegzugehen. Immer wussten die anderen, was gut für sie war. Ihre Mutter. Die Modelagenturen. Die Kreativdirektoren. Eliots Job war, es allen recht zu machen. Sie baten um einen Blick, einen Gang, eine Pose, und sie gehorchte.

Mittlerweile war ihr das Bedürfnis zu gefallen in Fleisch und Blut übergegangen. Auch heute, an ihrem Hochzeitstag, spielte sie wieder nur eine Rolle, obwohl es der glücklichste Tag ihres Lebens sein sollte.

Was hatte diese Fahrradkurierin gesagt? Die kleinsten Handschellen der Welt?

Die Limousine verlangsamte ihre Fahrt, und als Eliot aus dem Wagenfenster schaute, erblickte sie den Portikus des Forrester-Grantham-Hotels. Ein livrierter Türsteher in Frack und Zylinder trat heran, um die Tür der Limo zu öffnen.

Hinter ihm entdeckte Eliot einen hochgewachsenen, breitschultrigen Mann, der die Stufen zur Lobby hochging. Er wandte ihr den Rücken zu, doch seine Schwimmer-Statur, sein Kopf und sein dunkelbraunes Haar erinnerten sie an Soren.

Was ihr bei allen großen, breitschultrigen und dunkelhaarigen Männern passierte.

Die Begegnung mit ihm lag lange zurück, doch damals hatte sie zum ersten Mal das Gefühl gehabt, ganz sie selbst zu sein. Dann war er gegangen, und sie war wieder jene Eliot geworden, die tat, was andere Leute von ihr verlangten.

Sie hatte ein paar Wochen gewartet und gehofft, er würde sich melden und sagen, dass es für ihn mehr als eine Affäre gewesen war. Als keine Nachricht kam, hatte sie es akzeptiert und in der Zeit, die folgte, viele Dates gehabt. Kurz nach ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag hatte sie DeShawn kennengelernt. Schon nach wenigen Monaten waren sie zusammengezogen. Zugegeben – ihre Gefühle füreinander waren nie sehr intensiv gewesen, aber sie kamen gut miteinander aus, zumindest, bis ihre Gesundheit zu wünschen übrigließ. Im vergangenen Jahr war ihre Beziehung brüchig geworden. Doch anstatt darüber zu reden und herauszufinden, wie sie die Entfremdung überwinden konnten, hatten sie einfach ein Pflaster über die offene Wunde geklebt.

Sie, weil sie es gewohnt war, sich nach anderen Menschen zu richten, und er, weil … hm, eigentlich hatte sie keine Ahnung, weshalb.

Mit DeShawn kam sie sich vor wie ein weiteres seiner Musiklabels, einer seiner Grammys, eine teure Anschaffung, wie noch ein weiteres Statussymbol. Ein Accessoire, der Stern auf seinem Christbaum oder ein luxuriöses, aber völlig überflüssiges Geburtstagsgeschenk, das eigentlich niemand brauchte. Oder wertschätzte.

War sie nicht mehr wert?

Und warum gestand sie sich diese Dinge ein, kurz bevor von ihr erwartet wurde, dass sie sagte: „Ja, ich will“?

Während wieder eine Stretchlimousine vorfuhr, begrüßte Soren Grantham den Türsteher und betrat die eindrucksvolle zweistöckige Lobby. Mit den großen Kristalllüstern und der breiten Treppe wirkte das Forrester-Grantham-Hotel wie der Landsitz eines englischen Adligen und atmete den Charme der alten Welt. Auf der Madison Avenue war es eines der herausragenden Baudenkmäler. Hier stiegen der europäische Adel ebenso ab wie Politiker und Wirtschaftsbosse aus aller Herren Länder.

„Soren!“

Beim Klang seines Namens drehte er sich um und grüßte Garth, den Empfangschef, mit einem Lächeln. Garth war mittlerweile über sechzig. Er hatte vor fast vierzig Jahren im Avangeline’s als „Tellertaxi“ begonnen. Sorens Großmutter hatte den damals Sechzehnjährigen eingestellt.

„Sie wirken gestresst“, bemerkte Garth und ließ den aristokratischen Akzent weg, den er sich dem internationalen Publikum gegenüber zu eigen gemacht hatte. Soren gegenüber war seine Herkunft aus Brooklyn zu hören.

„Mir geht es gut, Garth“, erwiderte Soren und ignorierte die neugierigen Blicke einiger Gäste, die sich in der Lobby aufhielten.

„Man erwartet Sie im Avangeline’s“, informierte ihn Garth.

Soren schaute nach rechts. Jack hatte ihm Fotos des neu renovierten Restaurants, das den Namen seiner Großmutter trug, geschickt. Er mochte das neue Design, die dominierenden Farben Creme und Graublau. In den vergangenen zehn Jahren hatten Fox und Jack das Avangeline’s zweimal renoviert. Soren gefiel es jetzt besser als in Anthrazit und Gold.

Die Lieblingsfarben seiner Großmutter waren Pink und Grün gewesen. Voll Achtziger. Gruselig, fand er. Aber das berühmte Restaurant war der Grundstein für die steile Karriere seiner Großmutter als eine weltweit operierende Gastronomin und Hotelbesitzerin gewesen. Dieses Hotel hier hatte sie als einziges behalten und einem Konsortium verpachtet, während sie ihr übriges Imperium verkauft hatte, um sich nach dem Tod ihrer Söhne und Schwiegertöchter der Erziehung ihrer Enkel zu widmen.

Kaum zu glauben, dass es fünfundzwanzig Jahre her war, seit er seine Eltern verloren hatte. Damals war er neun gewesen.

Garth riss ihn aus seinen Erinnerungen. „Soll ich Sie hinbringen?“, fragte er.

„Nein, das ist nicht nötig.“ Doch dann sah Soren den enttäuschten Gesichtsausdruck seines Gegenübers. Garth war stolz darauf, den Gästen des Hotels zu zeigen, dass er mit einem der berühmtesten Sportler gut bekannt war. Soren brauchte sich seine olympischen Medaillen nicht umzuhängen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Überall auf der Welt erkannte man ihn und hier, im Hotel seiner Familie, sowieso. „Gut, ich folge Ihnen“, lenkte er nun ein und schob die Hände in die Taschen seiner dunkelgrauen Hose.

Garth warf sich in die Brust und ging voraus ins Restaurant, wo Jack, Fox und Merrick bereits saßen.

Jack, Fox und auch Malcolm, als er noch lebte, waren Sorens Cousins, doch da sie als Waisen von ihrer Großmutter großgezogen worden waren, betrachteten sie sich eher als Brüder. Zu der Gruppe gehörte noch Merrick, der Sohn von Avangelines Haushälterin, der zwar nicht blutsverwandt, aber doch auch ein Bruder war.

Soren wünschte sich, Malcolm wäre heute hier. Es war so ungerecht, dass ausgerechnet der Beste von ihnen, der Anführer, der hellste Stern, sein Leben bei einem Motorradunfall kurz vor seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag verloren hatte.

Als Soren das Restaurant betrat, standen seine Brüder auf und umarmten ihn. Er nahm mit dem Rücken zum Saal Platz und seufzte erleichtert. Inmitten der Jungs fühlte er sich wohl und konnte sich entspannen. Er vertraute einzig und allein ihnen, und er vertraute Avangeline und Jacinda, Merricks Mutter. Diesen Menschen galt seine Zuneigung. Niemandem sonst. Zu lieben war für ihn gleichbedeutend mit möglichem Verlust. Er gestattete sich keine Gefühle, weil er das Risiko nicht eingehen wollte, denjenigen oder diejenige zu verlieren.

„Wir haben schon bestellt, Soren“, verkündete Jack. „Was möchtest du essen?“

Da er von heute an drei Wochen lang kein Training haben würde, brauchte Soren nicht so viele Kalorien wie sonst. Daher bestellte er nur eine normale Portion, was ihm fragende Blicke seiner Brüder eintrug.

„Bist du krank?“, fragte Merrick.

„Wenn ich aufhöre, muss ich mich daran gewöhnen zu essen wie ein normaler Mensch“, erwiderte Soren. Seine Bemerkung war ein Test. Ständig überlegte er, ob er seine Karriere als Schwimmstar beenden sollte, aber seiner Familie gegenüber hatte er seine Pläne noch nicht erwähnt.

„Du bist noch nicht so weit, dass du aufhören solltest“, gab Fox zu bedenken.

Jack schüttelte den Kopf. „Was würdest du denn dann machen?“

Gute Frage. Soren wusste darauf bisher keine Antwort.

„Du hast noch viel zu viel Benzin im Tank, um den Sport aufzugeben“, sagte Merrick.

Da sie Sorens Überlegungen offenbar nicht ernst nahmen und er das Thema nicht weiterverfolgte, sprachen sie bald über etwas anderes.

Er seufzte, weil er es schwierig fand, ihnen mitzuteilen, was er empfand. Ehe er zu seinem Team zurückkehrte und neue Sponsorenverträge unterschrieb, hatte er sich eine Auszeit genommen, um genau zu überlegen, ob er sich noch einmal für zwei Jahre verpflichten sollte. Nur sein Schwimmtrainer und sein Manager wussten, dass er eventuell aufhören wollte, solange er ganz oben war.

2012 hatte er im Team eine Medaille gewonnen, dann, 2016 drei Goldmedaillen. 2021 in Tokio waren es schon sechs Goldmedaillen gewesen und zwei neue Weltrekorde. Und nun dachte er daran, auf dem Höhepunkt seiner Karriere aufzuhören. Denn es dauerte inzwischen länger, bis er in Bestform war, und es fiel ihm immer schwerer, diese Form zu halten. Sein Körper wurde älter, und wahrscheinlich würde er 2024 seine Bestzeiten nicht mehr oder nur mit Mühe erreichen. Vielleicht war es Zeit, sich einzugestehen, dass sein Leben als Weltklasseschwimmer sich dem Ende näherte …

Dummerweise hatte er nicht den blassesten Schimmer, was er danach mit seinem Leben anfangen sollte. Alles, was ihn ausmachte, war das Schwimmen. Außerhalb von Training und Wettkämpfen hatte er eigentlich kein Leben. Wenn er nicht schwamm, sich im Studio fit hielt oder versuchte, den Jetlag wegzuschlafen, blieb nicht mehr viel. Ab und zu hatte er einen One-Night-Stand mit irgendeiner Athletin, aber es war nicht mehr als ein oder zwei Stunden Lust zwischen zwei Trainingseinheiten.

Ehe er also mit dem Leistungssport aufhörte, brauchte er einen Plan für die Zukunft. Eine Idee, der er seine ganze Energie widmen konnte.

Sicher, seine Brüder würden ihm einen Job in einem ihrer Unternehmen geben. Aber er wollte etwas Eigenes. Genau wie seine Großmutter wollte er sich etwas Eigenes aufbauen und die Früchte seiner Arbeit ernten, wenn es klappte.

Natürlich hätte er mit seinen Brüdern darüber reden müssen, aber er fand es schwierig, seine Gedanken auszusprechen. Er bevorzugte es, nur dann über eine Sache zu reden, wenn sie es wert war, und besonders schwer fiel es ihm, über Dinge zu sprechen, die ihn tief im Inneren berührten. Emotionale Nähe machte ihm Angst. Von seinen Teamkollegen wurde er deshalb oft Ice Man genannt. Wärme strahlte er jedenfalls nicht aus, und es gelang nur den Wenigsten, ihm nahezukommen.

Es gab nur eine einzige Person außerhalb seiner Familie, die es jemals geschafft hatte, seinen Eispanzer zu durchdringen.

Jack schaute auf seine Armbanduhr. „Hast du einen Termin?“, fragte Fox.

„In zwanzig Minuten findet im Cairanne-Ballsaal die Hochzeit Stone und Connell statt“, antwortete Jack. „Angekündigt ist das Ganze als Hochzeit des Jahres. Ich muss mich gleich mit den Leuten kurzschließen, die den Event betreuen.“

Das Hotel war eine der Topadressen für Promihochzeiten in New York.

Halt. Hatte Jack gerade Stone gesagt? Soren runzelte die Stirn. „Meinst du etwa Eliot Stone, das Supermodel?“, wollte er wissen.

„Genau. Sie heiratet heute DeShawn Connell, den Musikproduzenten“, bestätigte Fox.

Eliot heiratete? Was zum Teufel … Das konnte – das durfte nicht sein …

Soren lehnte sich zurück und fühlte sich, als hätte er gerade ein Zehnmeilen-Training absolviert. Wieso reagierte er so stark auf diese Ankündigung? Vor acht Jahren hatten sie drei himmlische Tage unter der Sonne Südfrankreichs miteinander verbracht. In Paris, am Flughafen Charles de Gaulle, hatten sie sich verabschiedet. Aus schierer Notwendigkeit hatte er sie danach aus seinen Gedanken verbannt. Seitdem hatten sie keinen Kontakt mehr gehabt. Er hatte kein Recht, sich darüber aufzuregen, wenn sie jemand anderen heiratete.

Doch es machte ihm etwas aus. Denn sie war diejenige gewesen, die seinen Eispanzer durchdrungen hatte. Seitdem geisterte sie durch seine Gedanken: die einzige Frau, die es geschafft hatte, ihn von seinem Training abzulenken und ihn sein Ziel, der beste Olympionike aller Zeiten zu werden, kurz aus den Augen verlieren ließ.

„Wir müssen über Avangeline reden“, begann Fox und beugte sich vor. „Ich mache mir Sorgen um sie.“

Es fiel Soren schwer, sich auf das neue Thema zu konzentrieren. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu der Hochzeit Eliots.

„Wir haben ihren Anwalt kontaktiert, damit er mit ihr über ein Testament spricht, aber Avangeline will ihn nicht sehen“, berichtete Jack und sah besorgt drein.

Soren seufzte. Es war Malcolms Idee gewesen, die Restaurantkette zurückzukaufen, die Avangeline abgestoßen hatte, um sich ganz um ihre Enkel zu kümmern. Später hatte sie Mal, Fox und Jack das Hotel übertragen und ihnen das Startkapital geliehen, um zu renovieren und das Forrester-Grantham zu modernisieren. Sie hielt den Kredit, besaß Aktien und hatte einen Sitz im Vorstand. Darüber hinaus hatte sie Merrick Kapital verschafft, um eine Kette von Food-Trucks aufzubauen, die in den USA und Europa mittlerweile höchst erfolgreich Bio-Fast-Food verkauften. Wenn Avangeline einmal ohne ein Testament sein sollte, das die Einzelheiten regelte, drohte jedoch für seine Brüder und Merrick ein jahrelanges juristisches Klein-Klein.

„Sie hat doch Zeit ihres Lebens mit Anwälten zu tun gehabt und weiß eigentlich, wie wichtig ein Testament ist“, bemerkte Jack.

„Das ist noch nicht alles“, sagte Merrick. Es war ihm anzusehen, dass ihm etwas große Sorgen bereitete.

Soren hatte den Verdacht, dass das, was Merrick gleich sagen würde, großen Einfluss auf die Familie haben würde, und ihm wurde kalt.

„Mom hat mich neulich angerufen und mir erzählt, dass Avangeline zurzeit einen Gast hat“, fuhr Merrick fort. „Dieser Gast ist die Frau, die Mals Spenderniere erhalten hat. Sie heißt Alyson Garwood, und ich habe den Verdacht, dass sie sich bei Avangeline einschleimen will, um sie abzuzocken.“

Sofort war Soren aufgeschreckt. Fox war das Kraftfeld der vier, derjenige, der die Dinge ins Rollen brachte. Jack führte die Verhandlungen und war der offizielle Vertreter von Grantham International. Soren war der Introvertierte, der Einzelgänger. Merrick sah sich als ihr Beschützer, besonders nach Malcolms Tod. Er würde sein Leben für seine nichtverwandten Brüder geben.

Und nun machte Merrick einen sehr nervösen Eindruck.

„Was noch, Merrick?“, wollte Soren wissen.

Merrick fuhr sich mit der Hand übers Kinn. „Eigentlich glaube ich, dass da nichts dran ist, aber diese Frau behauptet …“

Alle warteten darauf, dass er fortfahren würde. Doch er schwieg.

„Und? Was hat sie gesagt?“, wollte Fox wissen.

Merrick schüttelte den Kopf. „Das sollte sie euch besser selber sagen. Es betrifft euren Bruder.“

Fox schaute ihn verblüfft an. „Hör auf, Mist zu reden, Merrick. Malcolm war genauso gut dein Bruder wie unserer.“

In Merricks Augen spiegelten sich Dankbarkeit und Trauer. „Normalerweise würde ich dir zustimmen, aber hier geht es um etwas sehr Seltsames. Und deshalb denke ich, dass ihr es von ihr selbst hören solltet.“

„Das klingt mysteriös“, sagte Fox. „Einer von uns muss nach Calcott Manor fahren und nach dem Rechten schauen.“

„Das geht aber nicht, Fox. Wir haben zig Veranstaltungen, und das Hotel führt sich nicht von allein. Außerdem ist morgen früh eine Vorstandssitzung“, antwortete Jack.

„An einem Sonntag?“, fragte Merrick.

„Es war der einzige Tag innerhalb der nächsten drei Monate, an dem alle Zeit haben“, erklärte Fox.

„Trotzdem. Entweder du oder Jack müsst fahren“, beharrte Merrick.

Sie schienen vergessen zu haben, dass Soren sich eine Auszeit genommen hatte. Normalerweise trainierte er in Florida, aber er hatte sowieso vorgehabt, in Calcott Manor vorbeizuschauen. „Ich fahre heute Nachmittag rüber und höre mir an, was da los ist“, sagte er. „Ich rede mit dieser Frau Garwood und finde heraus, weshalb Merrick so nervös ist. Und ich versuche, mit unserer sturen Großmutter über das Testament zu sprechen.“

Als er die Erleichterung auf den Gesichtern seiner Brüder sah, war er froh. Er konnte helfen, wenigstens ein bisschen. Auch wenn er am Unternehmen nicht beteiligt war, würde er jederzeit für die Familie in die Bresche springen.

Ja, er würde Berge für sie versetzen, wenn er konnte. Und wenn nicht, würde er einen Weg finden.

Hartnäckigkeit, Durchhaltevermögen und Entschlusskraft – davon besaß er mehr als genug. Während seine Pasta mit Hummer und Garnelen serviert wurde, nahm er sich vor, herauszufinden, was auf Calcott Manor vor sich ging, koste es, was es wolle.

Doch er hatte kaum zwei Bissen gegessen, als die Hölle losbrach.

2. KAPITEL

„Mist, die Trauung ist geplatzt“, murmelte Jack und starrte entsetzt auf sein Smartphone.

„Welche?“, fragte Merrick.

Soren kannte die Antwort auf diese Frage. Ohne zu zögern oder irgendetwas zu erklären sprang er auf und rannte aus dem Restaurant. Neben dem Eingang zum Avangeline’s gab es eine geheime Tür für das Personal. Er fand den versteckten Türöffner und kam in einen schmucklosen Flur, der zu einer Treppe führte. Treppab gelangte man zur Küche und zur Tiefgarage. Treppauf kam man zu den Festsälen, und im kleineren davon hätte laut Jack die Trauung stattfinden sollen. Zweifellos war geplant gewesen, die Hochzeit danach im angrenzenden großen Ballsaal zu feiern.

Während er die Treppe hinaufstürmte, fragte sich Soren, was in ihn gefahren war. Weshalb wollte er unbedingt zu Eliot? Und wie konnte er helfen? Vor acht Jahren hatten sie sich verabschiedet, und obwohl er die Erinnerung an ihren Duft und den Geschmack ihrer Küsse lange nicht loswurde, hatte er sie seitdem weder gesehen noch mit ihr gesprochen.

Also, warum rannte er gerade diese Treppe hoch, als ginge es um sein Leben?

Dafür gab es keine Erklärung, aber selbst eine Herde wilder Pferde hätte ihn nicht von seinem Ziel abbringen können. Jetzt entdeckte er die Tür, die auf das richtige Stockwerk führte. Sobald er sie öffnete, befand er sich mitten im Hochzeitsgemetzel.

Als DeShawn mit zorniger Miene dicht an ihm vorbeikam, presste sich Soren gegen die Wand, um ihm auszuweichen. Die Zöpfe des Bräutigams reichten bis auf seine Schultern, und in seinem Ohrläppchen funkelte ein großer Brillant. Soren schaute sich um. Zwei Blumenmädchen im Alter von sechs oder sieben Jahren saßen im Schneidersitz auf dem Teppich und spielten mit den schwarzen Schleifen an ihren weißen Kleidchen. Auf einem spindelbeinigen Tisch stand eine riesige Vase mit weißen Lilien, und eine hochgewachsene, überschlanke Brünette im schwarzen Abendkleid hatte einen Arm um die Taille der Braut gelegt. Eine Braut, die entfernte Ähnlichkeit mit Eliot besaß.

Diese erstarrt wirkende Frau war nur eine Karikatur jener Eliot, die er in Frankreich gekannt hatte. Ihr Gesicht unter dem durchsichtigen Schleier war leichenblass, und ihr roter Lippenstift hatte die falsche Farbe. Er hatte ihre blauen Augen strahlend gesehen, doch jetzt blickten sie matt und leblos. Ihr langes blondes Haar war geföhnt, geglättet und in mehreren höchst komplizierten Knoten aufgesteckt worden. Es sah eher aus wie eine Perücke. Soren erinnerte sich an die seidigen Locken, die er durch seine Finger hatte gleiten lassen. Das Hochzeitskleid mit dem riesigen Reifrock war aus Spitze, bestickt mit Perlen. Bestimmt war der Stoff furchtbar teuer, aber er wirkte schwer und steif.

In den vergangenen Jahren hatte er viel Zeit online verbracht. Es war schmerzhaft gewesen, doch er konnte der Versuchung nicht widerstehen, Eliot in Ballkleidern, in Bikinis, verrückten Modekreationen auf dem Laufsteg und eleganten Designerkleidern auf dem roten Teppich zu betrachten. Ihm hatte sie jedoch am besten damals gefallen, in Jeansshorts und einem sexy orangefarbenen Bikinitop, ihr feuchtes Haar offen bis auf die Hüften fallend und ihre Augen leuchtend, als sie über die sandige Schulter blickte. Eliot brauchte weder Make-up noch Accessoires und ihre Bilder keine Photoshop-Bearbeitung. Sie war einfach eine Naturschönheit.

Soren schaute sich um. Neben den Blumenmädchen stand eine verzweifelt wirkende Hotelangestellte, die ein Clipboard in der Hand hielt. Eine Frau, die gut Eliots Mutter sein konnte, da sie ihr mit ihrem blonden Haar, dem edel geschnittenen Gesicht und den blauen Augen sehr ähnlich sah, hatte sich neben DeShawn aufgebaut. Es war klar, wem ihre Sympathien galten. Gegenüber stand ein Typ mit einer Videokamera, der die Szene begierig filmte.

„Ich habe mich entschieden, die Hochzeit abzublasen, Eliot. Du bist nicht die Frau, die ich heiraten will. Jedenfalls nicht mehr“, erklärte DeShawn in seiner tiefen, wohlklingenden Stimme.

Sie wurde noch blasser. „Du willst mich nicht heiraten?“

DeShawn rieb sich den Nacken. „Genau. Mir sind schon vor einiger Zeit Zweifel gekommen, und während der vergangenen sechs Monate haben sie sich verstärkt“, gab er zu.

Was war los mit dem Typ? Begriff er nicht, wie viel Glück er hatte, eine Frau wie Eliot heiraten zu dürfen?

Soren hatte eine heftige Antwort von Eliot erwartet, doch es war ihre Mutter, die zuerst sprach. Sie war mittleren Alters, superdünn und platinblond. Nun ging sie auf Eliot zu, packte sie an der Schulter und sagte zornig: „Wie kannst du mir das antun? Nach allem, was ich für dich getan habe, nach all dem Geld, das ich ausgegeben habe? Das ist alles deine Schuld. Du bist fett und peinlich.“

Halt! Eliot war überhaupt nicht fett. Sie war noch nicht einmal ansatzweise übergewichtig. Und selbst wenn – wen ging das was an? Immerhin war heute ihr Hochzeitstag. Sollte man an diesem Tag nicht nett sein zu der Braut?

„Hör auf, Ursula“, mahnte die dunkelhaarige Brautjungfer. „Hol mal tief Luft und beruhige dich. Wir sollten herausfinden, was eigentlich los ist, ehe wir falsche Schlüsse ziehen.“

„Begreifst du nicht, was du getan hast, Eliot?“, keifte die Ältere. „Du hast ihn vertrieben, du Idiotin!“

„Unsinn, Ursula“, mischte sich die Brünette wieder ein. Soren erkannte in ihr ein Model, das mit Eliot befreundet war. Marnie, Mattie … Nein, sie hieß Madigan. Madigan Sowieso.

Er sah, dass Eliot ihre Mutter ignorierte und ihren Blick stattdessen auf DeShawn heftete. „Sprich weiter, DeShawn“, forderte sie ihn auf. „Du hast gesagt, dass du mich nicht heiraten willst. Erklärst du mir das bitte?“

DeShawn kratzte sich am Kinn. „Als wir uns kennenlernten, warst du ein Supermodel, aber seit fast einem Jahr hast du kaum noch Kampagnen gemacht. Wir haben nichts mehr gemeinsam. Du kommst nicht zu meinen Gigs oder zu meinen Jam-Sessions, und es ist verdammt lange her, seit du das letzte Mal in einem Club warst. Mit dir kann man einfach keinen Spaß haben.“

Im Gegensatz dazu hatte Soren in den drei Tagen mit Eliot mehr Spaß gehabt als jemals zuvor. Aber sie hatten gar nicht viel unternommen, waren am Strand gewesen, hatten sich geliebt, waren in kleinen Restaurants essen gegangen. All das war entspannt gewesen und weit entfernt von Glitzer und Glamour. Und es war echt gewesen.

Nur zu gut erinnerte er sich daran, dass Eliot ihm erzählt hatte, wie sehr sie die Promi-Szene hasste. Ihr gefiel es, zu Hause zu sein und gute Freunde zu treffen, anstatt auszugehen. Außerhalb ihrer Arbeit mochte sie es nicht, fotografiert zu werden. Daher ging sie selten zu Veranstaltungen oder auf Partys. Als sie noch sehr jung war, hatte ihr einmal jemand etwas in ihren Drink getan. Glücklicherweise hatte ein Freund sie gerettet. Seitdem mied sie Clubs.

„Außerdem stört es mich, dass du an Gewicht zugelegt hast“, fuhr DeShawn fort.

Soren ballte die Fäuste. Was für ein Arsch war das denn? Sicher, das Kleid war furchtbar, und die Frisur war lächerlich. Trotzdem war sie für ihn die schönste Braut, die er je gesehen hatte. War Connell blind? Und was hatte er gegen ihre aufregenden Kurven?

„Ernsthaft, DeShawn!“, wies Madigan ihn zurecht. Soren sah, wie Eliot zitterte. Sie war kurz davor, die Fassung zu verlieren.

Jetzt näherte sich der Typ mit der Videokamera, um jedes Detail ihrer Verzweiflung einzufangen. Da reichte es Soren. Er schob sich zwischen sie und DeShawn, schubste den Kameramann weg und hielt Eliot die Hand hin. „Komm mit mir, Eliot.“

Doch Eliot schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Immer noch starrte sie auf DeShawn.

„Wer zum Teufel sind Sie?“, schnauzte DeShawn ihn an.

Soren ignorierte ihn, denn DeShawn wusste genau, wer er war. Sein Gesicht war oft genug auf den Titelseiten prominenter Magazine gewesen. Soren schlang einen Arm um Eliots Taille und zog sie an sich. Sie war groß, aber selbst in Pumps ein gutes Stück kleiner als er, und sie fühlte sich zerbrechlich an, als er sie hielt.

„Komm mit mir, Eliot“, wiederholte er eindringlich.

„Du kannst jetzt nicht gehen“, beschwerte sich DeShawn, der offenbar begriff, dass ein anderer Mann sie mitnehmen wollte. „Ich bin derjenige, der geht.“

Soren sandte ihm einen vernichtenden Blick. „Ja, hauen Sie ab“, sagte er und deutete auf die Tür des Ballsaals. „Da Sie die Hochzeit abgeblasen haben, dürfen Sie Ihren Gästen und den Medien mitteilen, dass es nichts zu feiern gibt. Und nun kommt Eliot mit mir.“

Er führte Eliot zur Seitentür, denn um keinen Preis der Welt hätte er sie den neugierigen Blicken der Gäste und den Blitzlichtern der Pressefotografen ausgesetzt, die in der Halle des Forrester-Grantham-Hotel lauerten. An der Tür drehte er sich noch einmal zu DeShawn um. „Seien Sie ein Gentleman, und wahren Sie Eliots Ruf. Das sind Sie ihr schuldig, nachdem Sie sich ihr gegenüber verhalten haben wie ein Arsch. Sie hätten die Hochzeit viel früher absagen können.“

Gleich darauf betrat Soren mit Eliot den schlichten Flur und verriegelte die Tür hinter ihnen. Dann nahm er ihren Schleier und bedeckte damit ihr Gesicht, ehe er ihr eine Hand auf den Rücken legte, um sie dazu zu bewegen, die Treppe hinunterzugehen. Bisher schien sie noch gar nicht begriffen zu haben, wer er war, und was geschah. Anscheinend stand sie unter Schock. Kein Wunder.

Eliot schüttelte den Kopf. „Diese Treppe ist steil, und ich möchte nicht mit dem Absatz im Kleid hängenbleiben.“ Es ist zu schwer, und meine Schleppe ist zu lang und klemmt überdies in der Tür.

Soren drehte sich um, entdeckte, dass das Ende ihrer Schleppe tatsächlich in der Tür eingeklemmt war, und fluchte leise. Auf der anderen Seite standen DeShawn und Eliots Mutter und hämmerten gegen die Holztür. Sie riefen, er solle endlich aufschließen.

Doch keine Chance. Nicht mit ihm!

Allerdings musste er jetzt die Schleppe loswerden. Er drehte Eliot herum und begutachtete die Rückseite ihres Kleides. Dann zog er an der Schleppe, erkannte, dass sie mit verdeckten Knöpfen befestigt war, und begriff, dass diese Knöpfe nur jemand mit zierlichen Fingern lösen konnte.

„Möchtest du nochmal mit Connell reden, um die Sache zu klären?“, fragte er Eliot.

„Du liebe Güte, nein!“

Gut. Er riss an der Schleppe. Knöpfe kullerten über das Linoleum. Erneut riss er daran. Endlich fiel die Schleppe zu Boden.

„Das ist teuerste Seide, durchwirkt mit Platinfäden“, flüsterte Eliot und schaute auf das klägliche Häuflein Stoff. „Die Metallfäden lassen es schimmern.“

Er hätte gern erwidert, dass ihm das herzlich egal war, doch dann sah er Tränen in ihren Augen. Diese Tränen hatten vermutlich wenig mit der kaputten Schleppe zu tun, sondern mit diesem desaströsen Tag. Statt einer Antwort raffte er ihr Kleid hinten zusammen. Dabei fiel sein Blick auf ihre sexy Brautschuhe und auf ihre schönen, sonnengebräunten Beine. „Lass uns gehen, Eliot. Unterwegs ordere ich einen Wagen, der uns an einem der Lieferanteneingänge erwartet.“

Immer noch ihr Kleid raffend, folgte er ihr die Treppe hinunter. „Wohin fahren wir denn?“, wollte sie wissen.

Er musste einen Moment nachdenken. Garantiert war die Neuigkeit von der geplatzten Promihochzeit mittlerweile durchgesickert. Das hieß, Paparazzi lauerten überall. Vor dem Hotel, vor dem Apartment, in dem sie mit Connell wohnte oder wohl besser: gewohnt hatte. Denn selbst wenn Connell ihr gestattete, dorthin zurückzukehren, würde sie dort tagelang belagert werden. Ihr Telefon würde ununterbrochen klingeln, und ihr Mailaccount abstürzen. Alle Leute, die auch nur entfernt mit ihr bekannt waren, würden versuchen, mit ihr zu reden, um ihre Story dann an die Medien zu verkaufen.

Das war der Preis dafür, eine öffentliche Person zu sein. Soren wollte sie davor bewahren, und es fiel ihm nur ein Ort ein, an dem sie einigermaßen sicher vor Kameras und unangenehmen Fragen wäre.

„Ich bringe dich auf den Landsitz meiner Großmutter in Connecticut. Er ist abgeschirmt, besitzt die modernste Sicherheitstechnik, und niemand wird dich dort belästigen“, erklärte er sanft. „Ist das okay für dich?“

Eliot nickte und ging weiter die Treppe hinunter. Soren folgte ihr und wunderte sich über das Gewicht ihres Kleides, das er hochhielt, damit sie leichter ausschreiten konnte. Auf dem nächsten Treppenabsatz blieb sie jedoch stehen und sah ihn an. Sie war noch blasser als zuvor.

„Was tust du eigentlich hier? Was in aller Welt ist passiert?“, fragte sie leise.

Soren zögerte. Dann sagte er sanft: „Du bist gerade sitzengelassen worden, Eliot.“

Während sie durch das Gewirr von Gängen im Untergeschoss des Hotels eilten, war ihr fast schwindlig bei dem Gedanken, dass sie tatsächlich mit Soren Grantham vor ihrer eigenen Hochzeit floh. Nie hatte sie ihn vergessen können. Aber weshalb war er hier? Und war sie wirklich sitzengelassen worden? Was passierte gerade? Doch sie hasteten weiter, und sie wusste, dass es nicht die Zeit für Fragen war.

Ihre Finger schmerzten, weil sie krampfhaft den schweren Stoff ihres Brautkleides hielt. Gleich darauf kamen sie in eine Küche, wo Konditoren dabei waren, kleine Kuchen, Sandwiches und Petit Fours auf Etageren für den Nachmittagstee anzurichten. Diese Teezeit war im Forrester-Grantham-Hotel eine Institution.

Einer der Konditoren, lang und dünn und mit einer unglaublich hohen Mütze, nahm ein Tablett mit winzigen glasierten Schokoküchlein und hielt es Eliot hin. „Sie sehen aus, als würden sie Schokolade brauchen, Miss“, sagte er.

Eliot nahm ein Küchlein und schob es sich in den Mund. Mit geschlossenen Augen genoss sie die Delikatesse aus weichem Kuchenteig und dunkler Schokolade. „Ich dachte, ich bräuchte Wein, aber ich brauche noch zehn von denen da.“

Noch einmal griff sie zu und seufzte genüsslich, während sie kaute. Die dunkle Schokolade war mit Orange aromatisiert. Ein Feuerwerk auf ihrer Zunge. „So lecker“, murmelte sie, als Soren sie weiterschob. Der Zucker belebte sie, und der Nebel in ihrem Gehirn lichtete sich langsam. Sie kamen in einen Lagerraum voller Weinregale. „Schokolade und Wein. Hier möchte ich leben“, verkündete sie.

Soren antwortete nicht, weil er sich auf das Display seines Smartphones konzentrierte. Er zog Eliot zu einem Ausgang, tippte einen Code in ein Display und öffnete die schwere Stahltür. Nun befanden sie sich auf einer kleinen Verladerampe in einem schmalen, leeren und ziemlich schmutzigen Hof.

„Wo sind wir?“, wollte sie wissen.

„Das ist der alte Lieferanteneingang des Hotels.“

Soren ließ ihr Kleid los, und sie spürte das Gewicht, als der Rocksaum zu Boden glitt. Sie hatte dieses Kleid nie gemocht, doch mittlerweile hasste sie es. Ihr Blick fiel auf Soren, der die Hände in die Taschen seiner anthrazitfarbenen Hose geschoben hatte. Sein cremefarbenes Hemd mit dem offenen Kragen und den aufgerollten Ärmeln trug er lässig über der Hose.

„Warum sind wir hier?“, fragte Eliot und versuchte, das Chaos in ihrem Kopf zu ordnen.

„Mein Bruder Jack schickt uns einen Wagen“, erklärte Soren.

Eliot betrachtete sein markantes Gesicht mit den starken Brauen und den tiefgrünen Augen. Er war braungebrannt, und wenn er sprach, blitzten seine weißen Zähne. Bei seiner durchtrainierten Figur mit den breiten Schultern des Wettkampfschwimmers, den schmalen Hüften und den langen Beinen war es kein Wunder, dass er oft als Model für Modestrecken und Herrenkosmetik gebucht wurde.

Und es war deshalb auch kein Wunder, dass sie sich damals so stark zu ihm hingezogen gefühlt hatte.

Sie fand, dass er jetzt sogar noch besser aussah als vor acht Jahren. Sein Gesicht war noch ausdrucksvoller, wenn auch sein Blick verriet, dass er seine Gefühle nicht preisgab.

„Warum tust du das für mich?“, wollte Eliot wissen.

„Wärst du lieber durch die Lobby eines der bekanntesten Luxushotels in New York nach draußen gegangen? In deinem Hochzeitskleid mit abgerissener Schleppe?“

„Nein, natürlich nicht“, murmelte sie. „Du weißt genau, was ich wissen will, Soren. Weshalb hast du mich gerettet?“

Etwas schimmerte in Sorens Augen, aber sie konnte es nicht deuten. „Ich war zum Lunch mit meinen Brüdern verabredet, denen dieses Hotel gehört. Sie erfuhren, dass die Hochzeit geplatzt war. Dann bin ich hochgelaufen, habe das Drama mitangesehen und beschlossen, dass du einen Plan brauchst, um abzuhauen.“ Er wies auf die Tür hinter sich. „Wenn du willst, kannst du wieder raufgehen.“

Eliot erschauerte. „Ich finde es nur seltsam, dass ausgerechnet du auf der Bildfläche erscheinst, um mir zu helfen …“

„Weil ich dich nach unserem Intermezzo in Villefranche-sur-Mer nicht mehr angerufen habe?“

Warum nicht Klartext reden? Schlimmer konnte dieser Tag nicht werden. „Und warum hast du nicht?“, fragte sie.

Soren blickte ihr in die Augen. „Du bist gerade sitzengelassen worden, Eliot, und zwar kurz vor dem Jawort. Lass uns dieses Gespräch zu einem anderen Zeitpunkt führen.“

Sie schüttelte den Kopf und zuckte zusammen, weil eine Haarnadel in ihre Kopfhaut piekte. Die Haarnadel herauszuziehen, erwies sich als schwierig, weil diese komplizierte Hochfrisur mit tonnenweise Haarspray und Gel in Form gehalten wurde. Doch da die Haarnadeln ihre Kopfschmerzen verstärkten, wollte sie sie loswerden. Und zwar sofort.

Also suchte und zog sie und förderte endlich eine zutage. Sofort fiel ihr eine schwere lange Locke über die Schulter. Die nächste Haarnadel folgte. „Nein. Ich möchte eine Erklärung. Warum hast du gesagt, wir würden uns wiedersehen, wenn du dann auf Nimmerwiedersehen verschwindest?“

„Eliot …“

Sie wies mit einer Haarnadel auf ihn. „Keine Ausreden. Ich muss es wissen. Oder habe ich das etwa nicht verdient?“

Tatsache war, dass ihr die geplatzte Hochzeit keinen Herzschmerz bereitete. Sie war noch nicht einmal besonders verletzt. Höchstens erleichtert. Irgendwann würde dieser Skandal von einem anderen abgelöst, dann hatte sie ihre Ruhe. Alles war besser, als DeShawn zu heiraten und sich dann von ihm scheiden zu lassen. Denn dass es dazu gekommen wäre, dessen war sie sich sicher.

Die Frage war nur, weshalb sie die Hochzeit nicht selbst abgesagt hatte.

Wahrscheinlich, weil sie nicht mutig genug gewesen war. Doch jetzt war sie mutig genug, Soren um eine ehrliche Antwort zu bitten. „Eine Erklärung bitte, Grantham. Und zwar eine, die ich dir glauben kann.“

Sie wartete. Dabei betrachtete sie ihn. Er hatte den verführerischsten Mund, den sie kannte. Ihr gefiel es, dass seine Unterlippe etwas voller war als die Oberlippe. Auf seinen Wangen lag ein leichter Bartschatten, aber die Stoppeln waren so lang, dass sie nicht kratzten. Wie gut er seinen Mund zu gebrauchen wusste. Und zwar nicht nur zum Küssen …

„Du warst eine Ablenkung, die ich mir nicht leisten konnte“, sagte er rau.

Seine Antwort riss Eliot aus ihren lustvollen Erinnerungen. „Wie bitte?“

„Ich musste zurück ins Training, um meine Leistungen zu steigern. Ich hätte keine Zeit für dich gehabt.“

Au. Eliot wusste nicht, ob es eine Haarnadel war, die stach, oder seine Bemerkung. „Ich habe nicht erwartet, dass du mir einen Heiratsantrag machst, Grantham“, gab sie zurück. „Aber ein paar Textnachrichten oder E-Mails, die habe ich schon erwartet. Vielleicht ab und zu ein Dinner zusammen. Verdammt, diese Haarknoten machen mich wahnsinnig!“

„Weshalb sprechen wir über Frankreich, nach allem, was heute passiert ist, Eliot?“, wollte er wissen, schob ihre Hände beiseite und begann, einen Knoten zu lösen. Sie stand ganz still und hielt sekundenlang den Atem an, wenn seine Finger ihre Haut berührten.

Sie fühlte sich von ihm magisch angezogen. Wie gut er roch. Nach Zitrone und Sandelholz. Es fiel ihr schwer, ihn nicht zu berühren. Gern hätte sie ihr Gesicht an seinen Hals geschmiegt und seinen Duft eingeatmet. Wenn sie seine Hemdknöpfe öffnen würde, könnte sie ihre Hand über seine breite, muskulöse Brust gleiten lassen und seine Nippel unter ihren Fingern spüren.

Und wenn sie sein Hemd hochziehen würde, konnte sie sein Sixpack streicheln und ihre Hand in seine Hose schieben, unter deren Stoff seine Erregung deutlich sichtbar war. Es tat gut zu wissen, dass er sie ebenso begehrte wie sie ihn.

Eliot spürte ihre schweren blonden Locken auf ihrem Rücken, und als sie ihren Kopf hob, um Soren anzuschauen, sah sie das Verlangen in seinen grünen Augen. In seiner Wange zuckte ein Muskel. „Mist, ich sollte das nicht tun.“

Doch dann schloss er seine Hand um ihren Nacken und hob ihr Kinn mit dem Daumen an. Da wusste sie, dass er sie küssen würde.

Hier auf dieser schmutzigen Laderampe, in ihrem derangierten Hochzeitskleid. Nie zuvor hatte sie sich mehr nach einem Kuss von ihm gesehnt.

Er öffnete ihre Lippen mit seiner Zunge, nahm ihren Mund in Besitz, und es gab keine Fragen mehr, keine Bedenken. Alles, was zählte, war, dass sie in seinen Armen lag, und dass sie etwas fühlte. Etwas, das so heiß war, so intensiv, so real, dass sie sich zum ersten Mal seit Monaten, vielleicht sogar seit Jahren wieder lebendig fühlte.

Soren schob ihr schweres Kleid hoch und streichelte ihre Oberschenkel, ehe er ihren Po packte. Mit der anderen Hand in ihrem Nacken bog er ihren Kopf zurück und vertiefte seinen Kuss so begierig, als wolle er die lange Zeit der Trennung vergessen machen.

Erregt presste Eliot sich an ihn. Sie mochte seine lustvollen Seufzer, als sie mit beiden Händen unter sein Hemd fuhr und seinen muskulösen Körper streichelte. Er war so stark, aber nicht in der Art eines Bodybuilders, der mit seinen Muskeln angeben wollte, sondern der Körper eines Mannes, der hart trainierte, um Spitzenleistungen in seinem Sport zu erzielen. Wie lange hatte sie diesen Körper nicht mehr berührt, und doch schien er immer noch vertraut. Sie streichelte Sorens Hüften und über die deutlich spürbare Erektion unter dem Stoff seiner Hose.

Außer Soren gab es niemanden, der in ihr diese Leidenschaft wecken konnte. Sie hatte das Gefühl zu fliegen, zu schweben, zu leben. Doch dann zog Soren sich zurück, fuhr sich mit der Hand durch sein dunkles Haar und stöhnte frustriert. Überrascht sah sie zu ihm auf.

„Was ist los?“, fragte sie und fühlte sich wie auf einem schwankenden Floß in rauer See.

„Was los ist? Na ja, ich habe dich vor acht Jahren das letzte Mal gesehen. Und kurz nachdem wir uns wiedertreffen, kämpfe ich gegen das Bedürfnis, dich gegen diese dreckige Wand zu drücken und dich zu nehmen, trotz dieses lächerlichen Kleids.“

Es schockierte Eliot, dass sie diese Idee durchaus gut fand. Sie begehrte Soren, und es war offensichtlich, dass die gegenseitige Anziehung die lange Zeit der Trennung überdauert hatte. Die geplatzte Hochzeit, das ganze Chaos waren plötzlich völlig egal. Sie liebte das Feuer in seinen Augen, wenn er sie ansah. Ihm schienen weder das blöde Kleid noch die Tatsache, dass sie nicht mehr superdünn war, etwas auszumachen.

„Guck nicht so, als würde dir das gefallen“, schimpfte Soren. „Du bist gerade verlassen worden, dein Leben ist ein einziges Chaos, und ich falle über dich her, nur weil du mich mit diesen unglaublich schönen Augen ansiehst …“

Dagegen hatte sie überhaupt nichts einzuwenden …

„Und zu allem Überfluss steht da drüben schon wer weiß wie lange mein Bruder und glotzt“, fuhr Soren fort.

„Ihr habt Glück, dass ich kein Journalist bin“, sagte eine Männerstimme hinter Eliot.

Soren fluchte. Offensichtlich machte es ihm etwas aus, dass er die Kontrolle verloren hatte. Der Kuss war ein Fehler gewesen, sicher.

„Ich bin Jack Grantham“, stellte Sorens Bruder sich ihr jetzt vor. „Tut mir leid, das mit Ihrer Hochzeit.“

In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken. Sie war die sitzengelassene Braut in einem furchtbaren Kleid und hatte gerade einen anderen Mann geküsst. Was würde heute wohl noch alles passieren?

Soren nahm ihre Hand und half ihr die Treppe der Laderampe hinunter. Sie stolperte, und er raffte erneut ihr Kleid. „Ich hasse dieses Kleid“, murmelte er.

Sie hasste es auch und konnte es kaum erwarten, es auszuziehen. Im Hof übernahm Soren die Autoschlüssel von seinem Bruder.

„Danke, Jack“, sagte er.

„Kennt ihr euch überhaupt?“, wollte Jack grimmig wissen.

Soren nickte. „Frankreich. Vor acht Jahren. Wir haben ein paar Tage miteinander verbracht und hatten eine Affäre.“

Es war Eliot peinlich, dass er das so nüchtern beschrieb, aber es war die Wahrheit.

„Trotzdem erklärt das nicht wirklich, weshalb du aus dem Restaurant abgehauen bist, um mit der sitzengelassenen Braut durchzubrennen“, entgegnete Jack. „Vielleicht solltest du öfter mal mit uns reden.“ Dann wandte er sich an Eliot und fragte freundlich. „Ist alles okay?“

Eliot nickte. „Es war ein scheußlicher Tag.“

„Falls mein Bruder die Situation ausgenutzt hat, haue ich ihm eine rein“, versprach Jack mit ernster Miene.

Doch Eliot schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Ich habe … ich war … ich war nicht abgeneigt. Wir fahren ziemlich aufeinander ab.“

„Bist du jetzt zufrieden, weißer Ritter?“, wollte Soren wissen.

„Nicht wirklich. Das hätte nicht passieren dürfen“, gab Jack zurück. „Das weißt du genau.“

Sie schauten sich einen Moment feindselig an, doch dann gab Soren zu: „Du hast recht.“

Jack musterte ihn misstrauisch. Dann nickte er.

„Wie sieht es oben aus?“, erkundigte sich Soren.

„Connell versteckt sich in der Hochzeitssuite, und Ihre Mutter ist bei ihm, Eliot.“

„Wo sollte sie auch sonst sein“, murmelte Eliot.

„Sie sprechen mit der PR-Frau von Connell und überlegen, wie sie mit der Sache umgehen. Die Presse hat natürlich schon Wind bekommen. Und jemand hat die ganze Szene gefilmt und online gestellt.“

„Dieser Videomensch“, seufzte Soren. „Verdammt, ich hätte ihm die Kamera wegnehmen sollen.“

Die beiden Männer mit ihren Kameras, die sie seit heute Morgen ständig fotografiert und gefilmt hatten, hatte sie ganz vergessen. Sobald das Material veröffentlicht war, konnte sich die ganze Welt über sie lustig machen. „Um ehrlich zu sein, könnte es auch eine meiner Brautjungfern gewesen sein“, gab Eliot zu.

„Du hast ja nette Freundinnen“, murmelte Soren.

Sie war zu erschöpft, um ihm zu erklären, dass ihre Mutter alle Brautjungfern außer Madigan ausgesucht hatte. Denn wenn sie damit anfing, musste sie auch erklären, weshalb sie nicht den Mumm gehabt hatte, sich dagegen zu wehren, dass ständig andere Leute Entscheidungen für sie trafen.

Aber das war nun vorbei. Es war Zeit, die Kontrolle über ihr eigenes Leben zu übernehmen. Dafür musste sie klären, wie es jetzt weitergehen sollte.

„Egal, wo Sie hingehen“, sagte Jack nun, werden Sie von Paparazzi belästigt werden. „Die Story ist jetzt schon groß, und sie wird bestimmt noch mehr aufgebauscht. Daher schlage ich vor, dass Sie sich eine Zeitlang nicht in Ihrem Apartment blicken lassen.“

Soren wedelte mit dem Autoschlüssel. „Ich bringe sie nach Calcott Manor.“ Er klang so entschlossen, dass es auf Eliot abfärbte.

So fühlte es sich also an, wenn man Rückgrat besaß. „Ich möchte nicht, dass du irgendetwas tust, was du nicht wirklich willst“, wandte sie sich an Soren. Sie konnte schließlich nicht einfach mit ihm davonlaufen, sondern musste sich der Situation stellen. „Jack, wenn Sie mich über irgendeine Hintertreppe in die Hochzeitssuite bringen, so dass ich den Paparazzi nicht in die Arme laufe, werde ich mit DeShawn und meiner Mutter schon fertig.“

Soren verzog das Gesicht. „Wie willst du das denn anstellen?“

„Wir brüllen uns eine Weile an, und dann kümmern wir uns um die Abwicklung der Angelegenheit. Wir müssen die Geschenke zurückgeben, Karten mit unserer Entschuldigung verschicken und eine Pressemitteilung herausgeben.“

„Ich fürchte, das ist nicht möglich“, antwortete Jack und hielt sein Smartphone hoch. „Ich habe gerade eine Textnachricht vom Empfangschef erhalten. DeShawn hat angerufen und mitgeteilt, dass Sie in der Suite nicht erwünscht sind, da er sie gebucht und bezahlt hat.“

Hm, mit ihm zu reden war also keine Option. Aber es musste eine andere Lösung geben. „Ich bin sicher, dass meine Freundin Madigan sich noch im Hotel aufhält. Wenn Sie sie finden, bringt sie mich in ihr Apartment.“

Jack schüttelte den Kopf. „Sie ist bereits weg. Ich habe gesehen, wie sie das Hotel verließ. Und ich denke, Sie sollten nirgendwo allein hingehen. Madigan wurde auf jedem Schritt zu ihrem Auto von Journalisten verfolgt. Bestimmt postieren sich die Paparazzi auch vor ihrem Haus, denn da sie Ihre beste Freundin ist, gehen sie wohl davon aus, dass Sie dort Unterschlupf suchen.“ Er musterte sie kurz. „Apropos Paparazzi. Für ein Foto von Ihnen in diesem Zustand würden die töten.“

Sah sie wirklich so grauenvoll aus? Jack beantwortete ihre unausgesprochene Frage und hielt ihr sein Smartphone mit dem Selfie-Modus hin. Entsetzt starrte sie auf den Bildschirm. Sie sah aus wie ein Halloween-Gespenst. Ihr Haar war ein wildes Gewirr aus Locken und halb aufgelösten Knoten. Ihr dunkles Augen-Make-up war verschmiert, ebenso ihr Lippenstift. Unter dem Rouge war sie leichenblass.

Sie schaute an sich hinunter. Ihr Kleid war so schmutzig und zerknittert, als habe man sie durch Gestrüpp geschleift. Die Frage war nur, weshalb Soren sie in diesem Zustand küssenswert gefunden hatte.

„Sie haben recht“, sagte sie und gab Jack das Telefon zurück. „Niemand sollte mich in diesem Zustand sehen.“

Jack nickte. „Dann sollten wir dafür sorgen, dass das nicht passiert, okay?“

Dankbar schaute Eliot zu ihm auf. Er schien praktisch veranlagt und strahlte Ruhe aus.

„Mein Sicherheitspersonal hat die Journalisten aus dem Hotel geworfen, aber sie belagern natürlich sämtliche Ein- und Ausgänge. Einige stehen sogar vor den Lieferanteneingängen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie diesen hier finden“, erklärte Jack.

„Dann sollten wir losfahren“, sagte Soren und ging auf die Beifahrerseite des SUV, um die Wagentür zu öffnen. „Es gibt keine Verbindung zwischen Eliot und mir. Daher wird niemand wissen, wohin sie verschwunden ist.“

„Zu spät“, bemerkte Jack. „Auf dem Video ist dein grimmiges Gesicht deutlich zu erkennen. Mittlerweile fragt man sich, woher die Bekanntschaft zwischen dir und Eliot rührt. Falls es irgendwelche Fotos von eurem Intermezzo in Frankreich gibt, werden sie die finden und veröffentlichen.“

Es gab welche. Eliot erinnerte sich an den Ball in der amerikanischen Botschaft, wo sie mit Soren getanzt hatte. Den Ball hatten sie gemeinsam in einem Auto ...

Autor

Joss Wood
<p>Schon mit acht Jahren schrieb Joss Wood ihr erstes Buch und hat danach eigentlich nie mehr damit aufgehört. Der Leidenschaft, die sie verspürt, wenn sie ihre Geschichten schwarz auf weiß entstehen lässt, kommt nur ihre Liebe zum Lesen gleich. Und ihre Freude an Reisen, auf denen sie, mit dem Rucksack...
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