Das Wunder dieser einen Nacht

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"Du willst das Baby, aber nicht mich?" In seinem ganzen Leben war Forde Masterson noch nicht so fassungslos! Sieht Melanie denn nicht, welch überwältigendes Geschenk ihnen die letzte gemeinsame Liebesnacht beschert hat - eine Chance, ihre Ehe zu retten, zu dritt für immer glücklich zu sein? Doch die Verzweiflung in den Augen seiner Frau ist nicht gespielt: Melanie kann ihm einfach nicht vertrauen. Aber Forde beschließt, mit Herz, Seele und seiner ganzen Liebe um das Glück zu kämpfen. Schließlich steht Weihnachten vor der Tür, die Zeit der Wunder …


  • Erscheinungstag 10.12.2013
  • Bandnummer 2105
  • ISBN / Artikelnummer 9783733700164
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Melanie starrte auf den Brief in ihrer Hand. Das tiefschwarze Gekritzel verschwamm allmählich vor ihren Augen, und sie musste blinzeln, um es noch einmal entziffern zu können. Ihr Verstand vermochte den Inhalt trotzdem nicht zu erfassen.

Begriff Forde denn nicht, wie unmöglich sein Anliegen war? Wie absolut lächerlich? Es machte so wenig Sinn, dass sie den Brief sogar ein drittes Mal las, um sich davon zu überzeugen, dass sie nicht träumte. Seine Handschrift hatte sie gleich erkannt, als sie den Umschlag vor ihrer Haustür gefunden hatte, und ihr Herz war vor Freude aufgegangen. Dabei musste sie befürchten, dass er ihr nur wegen der Scheidung schrieb, doch dann …

Melanie atmete tief durch, um sich zu beruhigen.

Forde schlug ihr vor, für ihn zu arbeiten. Also nicht direkt für ihn, sondern vielmehr für seine Mutter. Aber das kam auf das Gleiche hinaus. Seit Monaten hatten sie kein Wort miteinander gewechselt, ihr Verhältnis war völlig abgekühlt, und nun flatterte aus heiterem Himmel dieser Brief ins Haus. Allein Forde Masterson konnte derart dreist sein! Wirklich unglaublich!

Sie schleuderte den Umschlag auf den Esstisch und sah den Rest ihrer Post durch. Währenddessen aß sie den Rest ihres Croissants und gönnte sich noch eine Extratasse Milchkaffee.

Ihr kleines Esszimmer war gleichzeitig ihr Arbeitszimmer. Dieses Arrangement hatte seine Nachteile, wenn sie Freunde zum Essen einladen wollte. Aber momentan blieb ihr sowieso keine Zeit für soziale Kontakte. Seit sie sich Anfang des Jahres von Forde getrennt hatte, arbeitete sie unablässig am Aufbau ihrer Firma für Landschaftsgestaltung. Ihrer gemeinsamen Firma, die sie gegründet hatten, kurz nachdem …

Innerlich schob sich ein eiserner Riegel vor die schmerzhaften Erinnerungen. Seit der Trennung von Forde vermied sie es, an die Zeit mit ihm zu denken. Es war besser so.

Seufzend leerte sie ihre Tasse Milchkaffee und ging nach oben, um zu duschen und sich anzuziehen. Dann rief sie ihren Assistenten James an, um mit ihm die Aufgaben des Tages zu besprechen. James war ein großartiger Mitarbeiter: voller Enthusiasmus für die Sache, und er scheute auch nicht vor harter Arbeit zurück. Mit seinem extrem muskulösen Körper und seinem südländischen Aussehen wirkte er ausgesprochen attraktiv, und Frauen umkreisten ihn wie Bienen einen Honigtopf. Aber das tat seiner Arbeit keinen Abbruch, demnach konnte Melanie sich nicht beschweren.

Ihre Arbeitskleidung bestand aus alten Jeans und einer Weste, die sie über einem engen T-Shirt trug. Die schulterlangen, aschblonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz hochgebunden, und ihre helle, typisch englische Haut hatte sie dick mit Sonnenschutz eingecremt. Momentan litt das ganze Land unter einer Hitzewelle, und die Augustsonne war auch um acht Uhr morgens schon ziemlich stark.

Bevor sie ins Erdgeschoss zurückkehrte, machte sie ihr Schlafzimmerfenster sperrangelweit auf, um die nach Rosen duftende Luft von draußen in den Raum zu lassen. Das Cottage war winzig, im Obergeschoss befanden sich nur das eine Schlafzimmer und das Bad. Unten grenzte ein gemütliches Wohnzimmer an das kleine Esszimmer. In einem Anbau befand sich die kleine Küche, von der aus man in den gepflegten, übersichtlichen Garten gehen konnte. Melanie fühlte sich unglaublich wohl hier!

Die Grundstücksgrenze bestand aus einer alten Steinmauer, die – ebenso wie die Außenwand des Hauses – von Kletterrosen und Geißblatt überwuchert war. Auf der gepflasterten Terrasse stand ein Gartentisch mit Stühlen, umsäumt von bunt bepflanzten Blumenkübeln. Am Abend konnte man dort die warme, duftende Luft genießen in Gesellschaft von Bienen und Schmetterlingen. Es war nicht übertrieben zu behaupten, dass dieses Cottage Melanies wunde Seele geheilt hatte, nachdem sie aus dem Palast ausgezogen war, in dem sie bis dahin mit Forde gelebt hatte.

Das Cottage gehörte zu einer Siedlung mit zehn Häusern, alle bewohnt von Singles oder kinderlosen Paaren. Die meisten von ihnen, unter anderem auch die direkten Nachbargebäude, wurden sogar nur als Wochenendsitz genutzt. Hier im Südwesten des Londoner Umlands verfügten die Dörfer und Städtchen noch über einen zeitlosen Charme, der entspannend auf die Menschen wirkte.

Außerdem war das Cottage ganze sechzig Meilen von Fordes Haus in Kingston entfernt. Eine notwendige Bannmeile, wie Melanie fand, um ihm nicht zufällig über den Weg zu laufen.

Sie hatte ernsthaft Sorge gehabt, ob ihr relativ junges Unternehmen den Standortwechsel überleben würde, doch die Geschäfte liefen sogar so gut, dass sie kurz darauf einen Mitarbeiter einstellen konnte: James. Die Art und Weise ihrer Arbeit hatte sich verändert. Damals in Kingston an der Themse hatte sie hauptsächlich Wohnanlagen mit Spielplätzen und kleinen Parks entworfen. Heute ging es bei ihren Aufgaben eher um öffentliche und private Gartenanlagen und deren Pflege, Forstwirtschaft und Landgewinnung.

Manchmal arbeiteten sie und James mit einem Team zusammen, das aus Architekten, Planern, Ingenieuren und Bürokraten bestand, je nachdem, was der jeweilige Job erforderte. Bei anderen Projekten arbeiteten sie getrennt voneinander in Privatgärten oder auf größeren Anwesen. Der Papierkram gehörte natürlich ebenfalls zu Melanies Aufgabenbereich, genauso wie die Kundenakquise und die Koordination der Beteiligten in einer Projektgruppe.

Melanie merkte, wie sie sich in Tagträumen verlor, und sie wandte sich energisch vom Fenster ab. Ihr Verstand sprang an und fokussierte die Anforderungen des heutigen Tages. James musste den Abriss einiger alter Schweineställe beaufsichtigen, weil ein Kunde an der gleichen Stelle einen Wildblumengarten anpflanzen wollte. Damit sollte das ökologische Gleichgewicht auf dem traditionellen Bauernhof unterstützt werden, den er sich angeschafft hatte. Melanies Idee war eine Wildwiese mit Blumen, die auf dem Rasen wuchsen und sich regelmäßig selbst aussäen konnten, bevor gemäht wurde. Auf diese Weise würde ein richtiges Biotop für Insekten entstehen, das sich nach und nach perfektionierte.

Ihr eigener Tag stellte ein Kontrastprogramm dar. Sie würde einem neu angelegtem Garten, an dem sie und James bereits seit drei Wochen werkelten, den letzten Schliff verpassen. Die Anlage bestach durch eine ruhige Ordnung, klare Linien und eine ausgewogene Symmetrie, bei der auf Details höchsten Wert gelegt wurde. Ein pensionierter Banker und seine Frau hatten sich das Grundstück kürzlich gekauft. Und sie waren begeistert von dem Entwurf gewesen, den Melanie ihnen nach ihren Wünschen vorgelegt hatte.

Ja, sie liebte ihren Job. Dankbar schickte sie ein Stoßgebet gen Himmel. Sie freute sich täglich über ihr Talent, für jeden Menschen individuelle Welten erschaffen zu können. Das war eine zutiefst befriedigende Berufung, auch wenn der Alltag nicht immer einfach war. Ganz besonders anstrengend wurde es, wenn ein Kunde seinen perfekten Garten in einer Zeitschrift oder einem Buch entdeckte. Denn die Vorlage war meistens aus schlichten Platzgründen nicht eins zu eins umsetzbar, was viele Laien nicht einsehen wollten. Aber auch das war Teil der beruflichen Herausforderung und machte letztendlich Spaß.

Mit einem Lächeln auf den Lippen schlenderte Melanie die Treppe hinunter und blieb in der Tür zum Esszimmer stehen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sich jedes geschriebene Wort aus Fordes Brief in ihr Gehirn eingebrannt hatte.

Liebe Melanie,

ich schreibe, weil ich Dich um einen Gefallen bitten möchte. Nicht für mich, sondern für Isabelle.

Typisch, dachte Melanie mit Herzklopfen und starrte den Brief auf ihrem Esstisch an. Er will gar nicht wissen, wie es mir ergangen ist oder was ich gerade mache. Ohne irgendwelche Floskeln kommt er gleich zum Punkt.

In letzter Zeit ging es ihr nicht besonders gut, und der Garten in Hillview wird zu viel für sie. Nicht, dass sie das zugeben würde. Die ganze Anlage müsste umgestaltet werden, wobei das Augenmerk auf einer möglichst pflegeleichten Lösung liegen sollte. Immerhin ist sie inzwischen fast achtzig. Nur leider lässt sie keinen Gärtner aufs Grundstück, und es ist mir unmöglich, ihr Hilfe an die Seite zu geben. Dir allerdings würde sie vertrauen. Würdest du bitte über meinen Vorschlag nachdenken? Du kannst mich dann anrufen.

Forde

Würdest du bitte über meinen Vorschlag nachdenken? Sie schüttelte den Kopf. Darüber brauchte sie nicht nachzudenken. Sie wusste ganz genau, was sie tun wollte – und dass sie Forde keinesfalls anrufen würde. Schließlich hatte sie nach der Trennung auf eine Kontaktsperre bestanden, und das galt immer noch.

Mit wenigen Schritten war sie am Schreibtisch und zerriss Brief und Umschlag in unzählige kleine Fetzen, die sie anschließend in den Papierkorb rieseln ließ. Fertig! Sie hatte heute genug zu tun, auch ohne sich den Kopf über Forde und seine wahnwitzige Anfrage zu zerbrechen.

Sie blieb noch einen Moment stehen und blickte ins Leere. Was meinte er wohl damit, es ginge Isabelle nicht besonders gut? Vor ihrem inneren Auge tauchte das Antlitz von Fordes liebenswürdiger Mutter auf, und Melanies Herz zog sich zusammen. Für sie war es schlimm gewesen, auch ihrer Schwiegermutter Lebewohl sagen zu müssen. Andererseits war Melanie sicher gewesen, die Trennung nicht durchziehen zu können, wenn sie nicht alle bestehenden Verbindungen zu Forde rigoros kappte.

In einem Brief hatte sie sich von Isabelle verabschiedet und der alten Dame versichert, wie viel Liebe und Respekt sie ihr gegenüber empfand. Melanie erwartete nicht, dass Isabelle verstand, warum sie gehen musste. Und sie hatte ausdrücklich darum gebeten, den Brief nicht zu beantworten. Isabelle schrieb trotzdem, und Melanie schickte den Umschlag ungeöffnet zurück. Es kostete sie unglaubliche Überwindung, trotzdem schien es ihr die einzig richtige Entscheidung zu sein. Die alte Dame hatte es nicht verdient, zwischen den Fronten aufgerieben zu werden.

Isabelle vergötterte ihren Sohn, ihr einziges Kind, und die beiden standen sich seit dem Tod des Vaters – damals war Forde kaum zwanzig gewesen – ganz besonders nah.

In diesem Moment klingelte Melanies Handy und riss sie aus ihren trüben Gedanken. Es war James. Er stand im Stau und würde es nun nicht mehr rechtzeitig zum Abriss der Ställe schaffen. Also fragte er, ob Melanie zum Ortstermin fahren und die Arbeiter des Abrissunternehmens einweisen könne, bevor sie sich an ihre eigene Arbeit machte. Der Auftrag war zwar auch schriftlich fixiert, doch es war erfahrungsgemäß ratsamer, persönliche Anweisungen zu geben, wenn alles reibungslos laufen sollte.

Melanie stimmte zu. Seitdem bei einem früheren Projekt ein einwandfreier Wintergarten eingerissen und das schrottreife Gewächshaus verschont worden war, traute sie den meisten Bauarbeitern nicht mehr über den Weg. Und James hatte von Anfang an ihre Meinung geteilt.

Seufzend organisierte sie im Kopf den Vormittag um und beschloss, gleich loszufahren, anstatt zuerst ihre Buchhaltung zu machen. Kurz darauf saß sie schon in ihrem rostigen Pick-up und holperte über die Landstraße. Es würde ein hektischer Tag werden, aber das passte ihr ganz gut. So blieb ihr wenigstens kaum Zeit, um über Fordes Brief nachzugrübeln.

Es wurde tatsächlich ein höchst hektischer Tag. Melanie kam erst spät am Abend wieder nach Hause, dafür steckte in ihrer Tasche ein ausgesprochen großzügiger Scheck. Das Bankerpaar war von ihrem Werk hingerissen und hatte sich dementsprechend erkenntlich gezeigt.

Sie parkte ihren Wagen auf dem reservierten Parkplatz, der den Bewohnern der Cottagesiedlung zur Verfügung stand, und ging auf dem Weg hinter den Häusern entlang bis zu ihrem eigenen Gartentor. Noch zwei Schritte und dann war sie in ihrem privaten, kleinen Paradies und atmete tief den schweren Rosenduft ein.

Ihr geliebtes Zuhause! Jetzt wünschte sie sich nur noch ein schönes heißes Bad, um die schmerzenden Muskeln zu lockern. Melanie war wild entschlossen gewesen, ihren Auftrag heute fristgerecht zu Ende zu bringen, und hatte sich daher nicht einmal die Zeit für eine Mittagspause genommen.

Durch die Küchentür trat sie ins Haus, streifte ihre Stiefel und ihre Strümpfe ab und schleppte sich barfuß die Treppe hinauf ins Badezimmer. Dort riss sie als Erstes das Fenster auf, um die milde Abendluft ins Haus zu lassen und ließ dann das Badewasser ein.

Wenige Minuten später lag sie in einem duftenden Schaumbad und sah durch das große Fenster in den Nachthimmel hinauf, wo bereits die ersten Sterne funkelten. Wieder einmal dankte sie im Stillen den Leuten, die diese kleine Cottagesiedlung einst renoviert hatten. Man hatte die freistehende Badewanne so installieren lassen, dass der jeweilige Bewohner von dort aus durch eine klare Glasscheibe das Farbenspiel am Himmel beobachten konnte. An Tagen wie diesen genoss Melanie es, einfach dort im Dunkeln zu liegen und nichts zu tun. Allerdings schaffte sie es nicht, ihre kreisenden Gedanken unter Kontrolle zu bringen …

Immer wieder drang das Bild von Forde in ihr Bewusstsein vor, so sehr sie auch versuchte, es zu ignorieren. Es gelang ihr einfach nicht, ihn aus ihrem Kopf zu verdrängen. Aber sie wollte auf keinen Fall Kontakt zu ihm aufnehmen, auch nicht für Isabelle. Er und seine Mutter gehörten der Vergangenheit an, und für sie beide gab es in Melanies Gegenwart und Zukunft keinen Platz mehr. Das hatte viel mit einem gesundem Überlebensinstinkt zu tun.

Sie hörte das Telefon unten klingeln und ließ den Anrufbeantworter anspringen, anstatt die Treppe hinunterzujagen. Energisch befahl sie jedem einzelnen ihrer Muskeln, sich vollkommen zu entspannen, Stück für Stück, dann schloss sie die Augen. Wenige Minuten später spielte das Handy in ihrer Arbeitshose seinen melodischen Klingelton ab. Vermutlich war es James, der mit ihr die letzten Dinge des Tages besprechen wollte, aber das war ihr jetzt egal. Diese freie Zeit gehörte ihr ganz allein. Der Rest der Welt konnte wohl für einen Augenblick warten!

Genüsslich gönnte sie sich noch eine halbe Stunde in der heißen Wanne, bevor sie ihre Haare wusch und sich anschließend in einen kuscheligen Bademantel hüllte. Unten hatte der Anrufbeantworter inzwischen zwei weitere Nachrichten aufgezeichnet. Ihr Magen fühlte sich flau und leer an, und sie konnte es kaum erwarten, sich endlich etwas zu essen zu machen.

Gerade berührte ihre Fußspitze die letzte Treppenstufe auf dem Weg nach unten, da klopfte es laut an der Haustür. Melanie wäre vor Schreck beinahe gestolpert. Das konnte eigentlich nur James sein. Bestimmt hatte er irgendeine Katastrophe zu berichten und kam nun vorbei, nachdem er sie telefonisch nicht erreicht hatte. Das war schon in Ordnung, schließlich war sie der Boss.

Entschlossen setzte sie eine freundliche Miene auf und zog den Bademantelgurt fester um ihre Taille. Dann öffnete sie die Tür.

Der große, gut aussehende Kerl auf der Schwelle war nicht James.

Melanie erstarrte.

„Hallo.“ Forde lächelte nicht. „Störe ich gerade?“

„Wie bitte?“ Verständnislos sah sie ihn an. Er sah einfach großartig aus. Weißes Hemd, schwarze enge Jeans und so muskulös wie eh und je.

Seine silberblauen Augen leuchteten im Kontrast zu den tiefschwarzen Wimpern. Er begutachtete ihren Aufzug und legte den Kopf schief. „Hast du gerade Besuch?“

Die Bedeutung hinter dieser Frage war klar. Melanie wurde rot bis zu den Haarspitzen, und das Adrenalin schoss wie Feuer durch ihre Adern. Der Gesichtsausdruck wurde allerdings regelrecht eisig. „Was hast du da gerade gesagt?“

Forde entspannte sich etwas, froh darüber, sich geirrt zu haben. Den ganzen Tag über hatte er vergeblich auf eine Antwort von ihr gewartet. Und nachdem sie auch nicht ans Telefon gegangen war, wollte er nachsehen, ob sie ihn absichtlich ignorierte oder ob sie einfach nicht zu Hause war.

Im Obergeschoss brannte Licht, und sie öffnete im Bademantel die Tür. Was sollte er da wohl denken?

„Ich bin wirklich davon ausgegangen, dass jemand bei dir ist“, erklärte er und bereitete sich darauf vor, zügig einen Schritt nach vorn zu kommen, falls sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen wollte. „Und du bist nicht an dein Telefon gegangen.“

„Weil ich heute sehr lange gearbeitet habe und erst mal ein ausgiebiges Bad nehmen wollte“, verteidigte sie sich. „Aber wieso muss ich mich eigentlich vor dir rechtfertigen? Und wie kommst du darauf, ich hätte einen Mann bei mir?“

„Es war das Offensichtliche.“

„Für dich vielleicht. Du solltest nicht zu voreilig von dir auf andere schließen.“ Herausfordernd kniff sie die Augen zusammen.

„Ich schäme mich ja auch in Grund und Boden dafür.“ Spott war seine übliche Masche in einer solchen Situation. Und für Melanie war es, als würde er Öl ins Feuer ihrer Wut schütten. Forde hatte es als einziger Mensch auf der Welt geschafft, ihre kühle Fassade – hinter der sie sich schützend verbarg – zum Schmelzen zu bringen. Bei ihm verlor sie allzu schnell die Kontrolle über sich und ihre Emotionen.

Da sie ihre Kindheit in verschiedenen Heimen verbracht hatte, musste sie früh lernen, ihr wahres Ich und ihre Gefühle sicher zu verstecken. Nur bei Forde funktionierte das leider nicht.

„Würdest du bitte gehen?“, verlangte sie mit gepresster Stimme und wollte die Tür schließen, doch er machte einen Satz nach vorn und stellte seinen Fuß in den Weg.

„Hast du meinen Brief bekommen?“ Im Gegensatz zu ihr wirkte er völlig ruhig und unbekümmert.

Das nervte sie mindestens ebenso sehr wie seine Annahme, sie hätte einen Lover im Bett. Ergeben ließ sie die Klinke los und nickte.

„Und?“, drängte er.

„Was und?“

Sein starrer Blick schien sich bis in ihre Seele vorzuarbeiten. „Tu nicht so, als würde es dir nichts ausmachen, wie es um Isabelle steht!“

Ihr Ärger verflog, und sie blinzelte. „Was ist mit ihr?“

Er zuckte die Achseln. „Stur wie ein Esel. Du kennst sie ja.“

Fast hätte Melanie gelächelt. Fordes Mutter war eine mildere, feminine Version ihres starrsinnigen Sohnes, aber mindestens genauso durchsetzungsstark. Gleichzeitig war sie ihrer Schwiegertochter eine äußerst liebevolle Unterstützerin gewesen – wie die Mutter, nach der Melanie sich immer gesehnt, die sie aber nie gehabt hatte.

Melanie schluckte, und ihre Besorgnis wuchs. „Du meintest, ihr würde es nicht besonders gut gehen?“

„Sie ist in ihrem verdammten Garten gestürzt und hat sich die Hüfte gebrochen. Und dann sind während der Operation Komplikationen aufgetreten. Sie hat etwas am Herzen.“

Ihre Augen wurden größer. Nach Fordes Brief war Melanie davon ausgegangen, die alte Dame hätte sich eine Grippe eingefangen oder Ähnliches. Aber einen Bruch und eine Operation … Isabelle hätte sterben können, ohne dass Melanie überhaupt eine Ahnung hatte. Ihre Kehle wurde trocken. „Das tut mir wahnsinnig leid.“

„Nicht so sehr wie mir“, erwiderte er grimmig. „Sie hört nicht auf das, was man ihr sagt, und legt es darauf an, wieder ins Krankenhaus eingewiesen zu werden. Um keinen Preis der Welt will sie sich bei mir einquartieren lassen oder eine Reha in Anspruch nehmen. Nach der OP hat sie sich auf eigenen Wunsch entlassen – gegen den Rat der Ärzte, wohlgemerkt! Das einzige Zugeständnis ihrerseits war eine Pflegekraft, die ich gnädigerweise einstellen durfte. Sie wird bei ihr bleiben, bis Mutter wieder mobil ist. Aber auch das war nur unter starkem Protest machbar. Meine Mutter führt sich wirklich unmöglich auf!“

Amüsiert sah Melanie ihn an. Forde würde sich unter vergleichbaren Umständen ganz genauso benehmen, kein Zweifel. In seinen guten Zeiten führte er sich unmöglich auf, es ging aber noch weitaus schlimmer. Trotzdem gab es keinen Mann auf Erden, der mehr Sexappeal besaß …

Energisch zog sie ihren Bademantelgurt noch fester.

Zeig ihm nicht, dass dich sein plötzliches Auftauchen durcheinanderbringt! ermahnte sie sich. Es ist ein für alle Mal vorbei. Sei stark!

„Tut mir ehrlich leid“, wiederholte sie. „Aber du musst einsehen, wie lächerlich deine Idee ist, Forde. Ich kann nicht für deine Mutter arbeiten. Wir sind mitten in der Scheidung.“

„Ja, wir schon. Das sollte jedoch keinen Einfluss auf dein Verhältnis zu Isabelle haben. Du hast sie übrigens extrem verletzt, als du ihren Brief einfach zurückgeschickt hast“, fügte er hinzu.

Wie unfair. Das ging unter die Gürtellinie. Aber so war Forde eben. „Es war besser so.“

„Ach, wirklich?“ Er machte eine kurze Pause. „Für wen?“

„Forde, ich habe jetzt keine Lust auf eine Auseinandersetzung mit dir.“ Sie zitterte, obwohl der Abend recht warm war.

„Du frierst ja.“ Mit einer kräftigen Armbewegung stieß er die Tür ganz auf. „Lass uns das Ganze drinnen besprechen!“

„Entschuldige mal!“ Wenigstens war sie besonnen genug, ihm den Weg zu versperren. „Ich erinnere mich nicht, dich hereingebeten zu haben.“

„Melanie, wir beide sind seit zwei Jahren verheiratet. Und falls du keine perfekte Schauspielerin bist und dich die ganze Zeit über verstellt hast, liebst du meine Mutter genau wie ich. Ihretwegen bitte ich dich um deine Hilfe. Okay? Willst du mir das tatsächlich abschlagen?“

Zwei Jahre, vier Monate und fünf Tage, um genau zu sein. Und die ersten elf Monate waren der Himmel auf Erden gewesen. Danach allerdings … „Geh jetzt bitte“, bat sie ihn und klang dabei schwächer als beabsichtigt. „Unseren Anwälten wäre diese Diskussion hier auch nicht recht.“

„Ach, vergiss die Anwälte!“ Ohne zu zögern, betrat er den Flur und schloss die Haustür hinter sich. „Das sind doch alles Blutsauger! Ich muss hier und jetzt mit dir reden, allein das zählt.“

Weil er so dicht vor ihr stand, nahm sie seinen Duft wahr, der alte Erinnerungen in ihr weckte. Erinnerungen, die allesamt ziemlich verführerisch und intim waren. Sie ließen Melanie erneut erzittern – und wieder nicht vor Kälte. Forde war der einzige Mann, den sie jemals geliebt hatte. Und seine Macht über sie war heute noch beängstigend. „Bitte verschwinde!“

„Hör mal, Nell!“, begann er sanft, „Lass uns zusammen einen Kaffee trinken. Wir setzen uns hin, und du lässt mich reden. Mehr verlange ich doch gar nicht. Mir geht es allein um Isabelle.“

Obwohl er sie nicht berührte, fühlte es sich für Melanie an, als würde Forde ihr körperliche Schmerzen zufügen. Jetzt kam ihr die Disziplin, die sie sich schon als Kind erarbeitet hatte, zugute. Da brachte es sie auch nicht ins Wanken, dass er sie mit ihrem alten Kosenamen ansprach. „Das halte ich für keine gute Idee, Forde.“

„Ganz im Gegenteil, es ist sogar eine exzellente Idee!“

Seine dunklen Haare fielen ihm tief in die Stirn. Es war offensichtlich, dass er kein Nein gelten lassen würde. Und da er viel größer und kräftiger war als sie, würde Melanie ihn wohl kaum gegen seinen Willen aus ihrem Haus bugsieren können. Ergeben ging sie voraus in ihr winziges Wohnzimmer.

„Mir bleibt ja keine andere Wahl, oder?“, rief sie über die Schulter.

Forde folgte ihr und freute sich insgeheim darüber, ohne weitere Diskussionen Einlass gewährt zu bekommen. Allerdings sollte man den Tag nicht vor dem Abend loben. Eine Schlacht war gewonnen, aber der Krieg war noch lange nicht entschieden.

Rasch sah er sich im Zimmer um und bemerkte, dass jedes Detail der Einrichtung Melanies ganz persönliche Handschrift trug. Die cremefarbenen Vorhänge passten zu den beiden kuscheligen Sofas und dem dicken kaffeebraunen Teppich. Ein offener, viktorianischer Kamin war aufwändig restauriert worden, wurde um diese Jahreszeit jedoch nicht benötigt. Der große Spiegel an der gegenüberliegenden Wand ließ den Raum viel größer wirken und reflektierte mit Sicherheit tagsüber das Licht aus den beiden Fenstern. Geschickt geplant, hübsches Interieur, modern und gleichzeitig gemütlich … trotzdem fehlten persönliche Dinge wie Fotos und dergleichen.

„Setz dich, ich hole Kaffee!“ Genervt zeigte sie auf ein Sofa. Dann verschwand sie wieder im Flur und zog sich dabei den Handtuchturban vom Kopf.

Doch Forde folgte ihrer unfreundlichen Einladung nicht, sondern kam ihr in die Küche hinterher. Hier sah es gleich bewohnter aus: vollgestopfte Regale, zahllose Papiere und Unterlagen auf dem Küchentresen, und in der Spüle lag schmutziges Geschirr. Wahrscheinlich verbrachte Melanie auch zu Hause die meiste Zeit mit Arbeiten.

Hektisch drehte sie sich zu ihm um. „Ich hatte noch keine Zeit zum Abwaschen“, sagte sie giftig.

„Vor mir brauchst du dich nicht zu rechtfertigen.“

„Habe ich auch nicht. Es sollte bloß eine Erklärung sein.“

Um die Wogen zu glätten, wechselte Forde das Thema. „Nett hast du es hier.“

Ihre Blicke trafen sich, und er merkte, dass Melanie seine Aufrichtigkeit infrage stellte. Dann sackten ihre Schultern ein Stück nach unten. Offenbar war sie innerlich zum dem Schluss gekommen, dass dieses Kompliment sein Ernst war.

„Danke. Mir gefällt es selbst sehr gut. Ein wahrer Glücksgriff.“

Autor

Helen Brooks
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