Der Club der Alpha-Männer

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ICH WERDE SIE VERFÜHREN, BOSS!

Sein neuer Boss ist eine Frau - und was für eine! Mit Andrea leitet nämlich eine atemberaubende Blondine das Bauunternehmen, in dem Jim Nicolosi anheuert. Offiziell nur als Zimmermann, undercover aber muss er in der Firma dieser aufregenden Traumfrau ermitteln. Dabei will er bald nur noch eins: heiße Leidenschaft in der kühlen Schönen wecken …

KÜSS MICH, BOSS!

Liegt es am romantischen Zauber Italiens? Kara, bis jetzt immer reserviert im Umgang mit ihrem Boss Blake Benedict, vergisst während einer Geschäftsreise alle Vorsicht: Eine Nacht lang genießt sie mit ihm die Liebe! Mit süßen Folgen …

FÜR EINE NANNY VIEL ZU SEXY

Ein kesses Lachen und zu viel Sex-Appeal - so hat sich der New Yorker Tycoon Matt Strickland die neue Nanny nicht vorgestellt! Aber zu spät. Er hat Wirbelwind Tess die Tür zu seinem Anwesen geöffnet. Und zu seinem Herzen …


  • Erscheinungstag 26.05.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774103
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Candace Schuler, Margaret Mayo, Cathy Williams

Der Club der Alpha-Männer

IMPRESSUM

Ich werde Sie verführen, Boss! erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 1997 by Candace Schuler
Originaltitel: „Out of Control“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY
Band 779 - 1998 by CORA Verlag GmbH, Hamburg
Übersetzung: Iwan-Michelangelo D’Aprile

Umschlagsmotive: Andreas berheide / Shutterstock

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733742706

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Wieder waren Graffiti an der Wand – hässliche rote Schmierer auf dem frischen weißen Putz und der matt schimmernden Walnusstäfelung darunter. Seit dem letzten Vorfall war fast eine Woche vergangen, und Andie hatte bereits gehofft, dass der zornige Sprayer seine Attacken gegen sie endlich aufgegeben hatte. Aber offenbar hatte er nur eine Pause eingelegt. Diese Botschaft ging über das Stadium pubertärer Kraftausdrücke, die ihre weibliche Normalität infrage stellten, weit hinaus. Dies hier war eine unverhüllte Drohung. DU BIST DRAN, MISTSTÜCK! leuchtete es blutrot von der Wand, und diesmal bekam Andie Angst.

Sie blickte sich vorsichtig um. Vielleicht lauerte der Vandale in einem der leeren Räume hinter ihr oder oben im Korridor, um seine hasserfüllten Worte in die Tat umzusetzen. Andie war ganz allein in der weitläufigen alten Villa – ihre Crew würde erst in zehn bis fünfzehn Minuten zur Arbeit erscheinen. Zeit genug für einen Verrückten, der einer Frau gewaltsam beibringen wollte, wo ihr Platz war.

Einen Moment lang stand sie wie gelähmt da. Doch dann schüttelte sie ihre Angst ab und besann sich auf ihren gesunden Menschenverstand. Männer, die bösartige Sprüche an Wände sprühten, hatten selten den Mut, mehr zu tun. Dies war die typische Einschüchterungstaktik eines Feiglings, der sein Opfer nur erschrecken wollte. Und Andrea Wagner würde sich nicht mehr einschüchtern lassen. Von niemandem. Nie mehr.

Es war nicht das erste Mal, dass ihr so etwas passierte. Und es würde mit Sicherheit nicht das letzte Mal sein. Gewisse Kollegen in der Baubranche sahen es nicht gern, dass eine Frau in einem „Männerberuf“ Erfolg hatte, und sie hatten keine Hemmungen, dies kundzutun.

Die Triezereien – mal spaßhaft, meistens nicht – hatten am Tag begonnen, als Andie bei der Handwerkskammer zur Aufnahmeprüfung für die Klempnerlehre angetreten war. Sie war eine von fünf Frauen in einem Raum voller Männer gewesen, und sie alle hatten um die wenigen Ausbildungsplätze konkurriert. Andie besaß keinerlei praktische Kenntnisse, aber im mathematischen Teil des Tests erreichte sie die höchste Punktzahl. Sie war selbst überrascht gewesen, wie mühelos sie mit räumlichen Relationen zurechtkam. Bei ihrem ausgezeichneten Testergebnis konnte man ihr laut Gesetz den Ausbildungsplatz nicht verweigern. Aber man konnte versuchen, sie zu vergraulen. Was einige skrupellos getan hatten.

Sie war mit sämtlichen groben Namen tituliert worden, hatte sich derbe Anträge angehört und die „Überraschungen“ in ihrem Werkzeugkasten ertragen. Mal waren es Pin-up-Fotos nackter Sexprotze aus einschlägigen Männermagazinen, mal ein verschwitzter Unterleibschutz, wie ihn Sportler benutzen, mal die ausgerissene Anzeige eines Lesbenlokals. Anfangs war das alles eine Qual für Andie gewesen. Sie hatte so manche Nacht wach gelegen und sich gefragt, ob sie das Richtige tat. Aber sie hielt durch, machte ihre Prüfung und hängte noch eine Tischlerlehre an. Nebenher eignete sie sich die Grundkenntnisse des Elektrikerhandwerks an und erhielt schließlich die Zulassung, sich selbstständig zu machen. Sie setzte eine Anzeige ins Branchenbuch, und zwei Wochen später hatte sie ihren ersten Auftrag.

Mit den Jahren war Andie zäher geworden, seelisch und körperlich. Sie war kein Grünschnabel mehr, der bei der leisesten Anzüglichkeit rot wurde. Und Anfeindungen – auch das hatte sie gelernt – konterte man am besten, indem man sie ignorierte. Auch dieser Graffiti-Künstler würde mit seinem Geschmiere aufhören, wenn er merkte, dass es nicht die gewünschte Wirkung hatte. Bloß keine große Sache daraus machen – das würde ihn nur ermuntern, sie weiter zu attackieren.

Andie befeuchtete einen sauberen Lappen mit Terpentin und begann, die rote Farbe vorsichtig fortzureiben. Da sie noch etwas feucht war, ließ sie sich von der kunstvoll geschnitzten Täfelung leicht entfernen. Ein Schliff mit feinem Sandpapier, und das Holz würde wieder wie neu sein und konnte weiterbehandelt werden. Eine andere Sache war die Wand. Die Farbe war tief in den frischen Putz eingezogen, sodass der gesamte obere Teil entfernt und erneuert werden musste. Andie konnte nur eins tun, bevor ihre Mannschaft eintraf – die Farbe verschmieren, um die Worte unleserlich zu machen. Es war nicht nötig, dass alle sich wegen nichts verrückt machten.

Dennoch fuhr sie erschrocken zusammen und wirbelte herum, als die Eingangstür hinter ihr quietschte. „Also wirklich, Nat!“, fuhr sie die Frau an, die die Halle betrat. „Dich von hinten anzuschleichen! Du hast mich zu Tode erschreckt.“

„Wenn bei hellem Tageslicht jemand durch die offen stehende Vordertür kommt, würde ich das nicht anschleichen nennen“, wandte ihre Schwester ein und legte ihren Aktenkoffer auf ein Trittbrett des Baugerüsts an der Wand neben der Treppe. „Außerdem hört man auf dem gepflasterten Weg jeden Schritt“, fügte sie hinzu, während sie die Schlösser des Koffers aufschnappen ließ und den Deckel hochklappte. „Aber selbst wenn die Pflastersteine nicht wären, könnte man auf hohen Absätzen nicht hier hereinschleichen. Das ist rein physikalisch unmög…“ Natalie brach mitten im Wort ab und rückte ihre modisch gefasste Brille zurecht. „Graffiti? Schon wieder? Was hat der Typ denn diesmal geschrieben?“

„Das Übliche“, erwiderte Andie betont gleichmütig und wischte ihre Finger am Lappen ab. Sie konnte nur hoffen, dass die Schrift unleserlich war – hätte sie sich zur Wand umgedreht, wäre ihre Schwester erst recht neugierig geworden. „Hast du vielleicht ein paar Zimtschnecken da drin?“ Sie zeigte auf die weiße Bäckertüte in Natalies Aktenkoffer. „Ich habe heute außer Kaffee noch nichts zu mir genommen und bin am Verhungern.“ Vielleicht konnte sie ihre Schwester in eine Diskussion über gesunde Ernährung verwickeln. Obwohl Natalie drei Jahre jünger war als sie, erteilte sie ihr gern mütterliche Lektionen. „Ich hatte keine Zeit, zu frühstücken.“

Natalie nahm die Tüte aus dem Koffer und warf sie ihrer Schwester zu. „Es sind Vollkornbrötchen, aber bedien dich“, sagte sie und ging nah an die Wand heran, um sich die Schmierereien anzusehen. Andie indessen biss herzhaft in ein Brötchen und tat, als sei sie an nichts anderem interessiert. Sie hatte wirklich Hunger, in dem Punkt hatte sie nicht gelogen. Und mit vollem Mund würde sie Natalies Fragen nicht beantworten können.

Leise vor sich hin murmelnd, versuchte ihre Schwester, die Wörter zu entziffern. „Du …“ Das erste Wort hatte sie schnell heraus. Mit dem nächsten war es schon schwieriger. „Bi… Bi… Birt… Ich hab’s! Dieser Schwachkopf weiß nicht mal, dass Biest mit ‚ie‘ geschrieben wird. Du Biest – sehr originell.“

Andie kaute und schluckte den trockenen Brotbrei herunter. „Was erwartest du? Ein Rechtschreibgenie? Oder einen Poeten?“ Wenn Natalie meinte, der Kerl hätte sie als Biest ohne „e“ tituliert – umso besser.

Aber ihrem Gemurmel nach zu urteilen schienen noch mehr erkennbare Wortfragmente an der Wand zu sein. Wieder versuchte Andie es mit einem Ablenkungsmanöver. „Wie geht’s Dad und den Kindern?“ Ihre beiden kleineren Kinder verbrachten den Sommer am Moose Lake, einem herrlichen See im Norden von Minnesota. Ihr Ältester war bei seinem Vater und bei Stiefmutter Nummer zwei in Los Angeles. „Jammern sie schon, dass sie nach Hause wollen?“

„Keine Spur. Emily hat sich in den Knaben verliebt, der am Jachthafen Fischköder verkauft. Sie hat ein leidenschaftliches Interesse für den Angelsport entwickelt.“ Natalie warf ihrer Schwester einen mitfühlenden Blick zu. „Kein Grund zur Beunruhigung. Der Junge ist fünfzehn und hat noch nicht mal ihre Existenz bemerkt.“

„Dem Himmel sei Dank“, murmelte Andie erleichtert. Emily war gerade zwölf geworden.

„Christopher lernt Windsurfen. Ich soll dich von den beiden grüßen.“ Natalie rückte ihre Brille zurecht und beugte sich näher zur Wand. „Du Biest … nein, doch nicht Biest. Du bist …“

„Und Dad? Was macht er?“

„Er beklagt sich darüber, dass die Verbrechensrate in Minneapolis seit seiner Pensionierung gestiegen ist.“ Natalie lächelte liebevoll. „Zwar hat er es nicht direkt ausgesprochen, aber ich bin sicher, dass er zwischen seinem Abschied von der Polizei und dem Anstieg der Kriminalität einen unmittelbaren Zusammenhang sieht.“ Plötzlich schwand ihr Lächeln, und ihr voller, weicher Mund wurde zu einer harten Linie. „Du bist dran“, sagte sie, und ihre Worte hallten in dem großen leeren Raum wider. Mit dem Zeigefinger ergänzte sie nun die von der Täfelung fortgewischte untere Hälfte des letzten Wortes. „Du bist dran, Miststück.“ Sie drehte sich zu Andie und starrte sie vorwurfsvoll an. „Sagtest du nicht, es seien die üblichen Schimpfnamen? In meinen Ohren hört sich dies sehr nach einer Drohung an.“

„Es ist das Übliche!“, beharrte Andie.

„Bedroht hat er dich bisher noch nicht.“

„Er tut es auch jetzt nicht, obwohl es so scheint. Und Miststück bin ich schon öfter genannt worden.“

„Von wem?“, fragte Natalie entrüstet. Der Gedanke, jemand könnte ihre Schwester als Miststück bezeichnen, entsetzte sie. Andie war einer der liebenswertesten Menschen, die sie kannte. Und sie sah hinreißend aus. Sogar in ihrem fleckigen Overall und in den schweren Arbeitsstiefeln wirkte sie wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe.

„Zum Beispiel von der Hälfte der Männer, die ich bei der Bewerbung um diesen Job ausgestochen habe. Meine geschätzten … Zunftbrüder …“, sie betonte das Wort ironisch, „sind fest davon überzeugt, dass ich diesen Auftrag nur deshalb bekommen habe, weil ich mit dem gesamten Vorstandsgremium der Belmont-Stiftung ins Bett gegangen bin. Den besonders gut Informierten zufolge mit den männlichen und weiblichen Mitgliedern.“ Andie tat ihren zweifelhaften Ruf mit einem Schulterzucken ab. „Was soll’s? Ich habe dir oft genug erzählt, wie rau es in der Baubranche zugeht. Besonders, wenn eine Frau ins Territorium eindringt.“

„Ich weiß, aber …“ Natalie schüttelte abwehrend den Kopf, obwohl sie selbst in einer sogenannten Männerdomäne arbeitete und die Realität allzu gut kannte. „Sehen die denn nicht, dass deine Arbeit für sich selbst spricht? Du hast den Job bekommen, weil du eine der besten und zuverlässigsten Bauunternehmerinnen in Minneapolis bist. Du bist innovativ und bewegst dich nicht wie viele andere in ausgefahrenen Gleisen. Du bist ehrlich und integer. Du überziehst nie das Budget, du hältst die Termine ein, und es gab noch nie eine Beschwerde über dich oder deine Arbeit. Das müsste doch sogar bei diesen primitiven Neandertalern zählen.“

„Bei denen zählt nur, dass ich eine Frau bin. Apropos Neandertaler …“ Andies Grinsen verwandelte sie von der entzückenden Porzellanschäferin in eine freche Straßengöre. „Wie geht’s Lucas?“, fragte sie.

Natalie verdrehte die Augen. „Ach, Lucas.“ Dann lachte sie weich, und Andie wusste, dass sie sie vom Thema abgelenkt hatte. Lucas war Natalies Ehemann, und seine ausgeprägten Tendenzen zum Macho waren eine Quelle endlosen Ärgers wie auch endlosen Entzückens. Der Mann war bei den Marines gewesen, der hart gedrillten Spezialtruppe der US-Streitkräfte. Er war tätowiert und muskelbepackt und eingebildet und abgöttisch in seine kleine, zierliche Frau verliebt – sogar noch nach sechs Ehejahren. „Als wir letztes Wochenende oben am See waren, haben er und Dad sich zusammengetan und auf mich eingeredet, dass ich weniger arbeiten und kürzertreten sollte.“

„Jetzt schon?“ Andie musterte Natalies schlanken Körper. „Man sieht es noch nicht mal.“

„Das liegt am Schnitt der Jacke.“ Natalie strich über die Vorderseite ihres nagelneuen apfelgrünen Kostüms. „Es ist zu sehen, und wie. Ich hab’ mir Sonntag ein Hemd von Lucas angezogen, um zu verstecken, dass ich meine Shorts nicht mehr zuknöpfen kann. Was Dad natürlich noch mehr Munition geliefert hat.“ Natalies Stimme rutschte eine Oktave tiefer. „‚Eine Frau, die so offensichtlich schwanger ist wie du, kann nicht in der Gegend rumrennen und Privatdetektiv spielen. Erst recht nicht, wenn sie einen Mann hat, der willens und in der Lage ist, sie zu ernähren. Nicht wie deine arme Schwester, die …‘“

„… keinen Mann mehr hat, der sie versorgt“, endete Andie im Gleichklang mit ihrer Schwester. Sie schüttelte amüsiert den Kopf. „Noch ein Neandertaler! Dad und seine steinzeitlichen Ansichten! Ich habe ihm tausendmal gesagt, dass ich nicht die Absicht habe, je wieder zu heiraten. Aber hört er mir zu? Natürlich nicht. Ich bin ja nur eine Frau. Und eine Frau braucht einen Mann, der auf sie aufpasst. Wie soll ich ihm bloß klarmachen …“

„Er macht sich Sorgen um dich. Nicht nur Dad – wir alle.“

„Nicht nötig. Ich kann sehr gut für mich selbst sorgen.“

„Du sorgst für alle und jeden – nur nicht für dich selbst“, widersprach Natalie. „Und du tust es, seit dein entzückender Ehemann mit seiner entzückenden Sekretärin nach Kalifornien durchgebrannt ist. Findest du nicht, dass du endlich mal verschnaufen solltest? Deinen Kindern geht’s prima. Du hast einen super Job an Land gezogen, der für deine Firma ein Vorzeigeobjekt sein wird. Du hast es geschafft, Andrea. Du solltest dir etwas Zeit für dich selbst gönnen.“

„Um was zu tun?“, fragte Andie. Sie hatte fast vergessen, was freie Zeit war.

„Geh ins Kino, oder lies ein Buch, oder …“ Natalie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, bummle durch die Kaufhäuser und Kunstgalerien. Ein Besuch im Museum. Eine Pediküre, ein Verwöhntag auf einer Schönheitsfarm. Oder stürz dich richtig ins Abenteuer und such dir einen Lover. Eine hübsche kleine Affäre wäre genau das, was du brauchst. Wir beide wissen, dass du längst überfällig bist, Schatz.“ Sie tätschelte Andies Wange und schob ihr eine Strähne ihres welligen blonden Haars hinters Ohr. „Es würde dir guttun, dich mal richtig zu entspannen.“

Andie lächelte schwach. „Das kann ich mir nicht leisten. Noch nicht.“

„Was soll das heißen – ‚nicht leisten‘? Ich dachte, dein Geschäft läuft gut.“

„Das tut es.“

„Warum kannst du es dir dann nicht leisten, ab und zu einen freien Tag einzulegen?“

„Weil mein guter Ruf nicht der einzige Grund ist, warum ich den Auftrag für das Belmont House bekommen habe. Ich habe auch fast alle anderen konkurrierenden Firmen unterboten, um den Job zu kriegen. Und zwar bis an die Grenze meiner Mittel.“

„Du übernimmst dich doch hoffentlich nicht mit dieser Sache? Jetzt, da du endlich aus der Talsohle raus bist?“

„Nicht, wenn ich termingemäß fertig werde und meine Kostenkalkulation einhalte.“

„Und um das zu schaffen, wirst du rund um die Uhr arbeiten.“

„Wenn es sein muss …“

„Oh, Andrea“, sagte Natalie, hin und her gerissen zwischen Mitleid, Stolz und Bewunderung. Ihre Schwester mochte aussehen wie eine Porzellanpuppe, aber hinter ihrem zarten Äußeren verbarg sich eine Persönlichkeit wie aus purem Stahl – gehärtet von der Zeit und den Umständen. Andie hatte mit achtzehn geheiratet, zwei Wochen nach dem Highschool-Abschluss. Ihr Mann sah ihren Job darin, zu Hause zu bleiben und für ihn zu sorgen. Für ihn und die Familie, die auch Andie wollte – trotz der zwei Universitätsstipendien, die ihr angeboten worden waren. Fasziniert von dem Märchentraum immerwährenden Glücks an der Seite eines treuen, zuverlässigen Mannes, gab sie dessen Wünschen willig nach.

Elf Jahre lang war Andrea eine treue, pflichtbewusste und liebende Ehefrau. Sie machte für ihren Mann wissenschaftliche Recherchen, tippte seine Referate und seine Examensarbeit. Als er sein Wirtschaftsdiplom gemacht hatte und in einer großen Firma seine erste Stelle antrat, gab sie entzückende kleine Dinner-Partys, um seine Karriere zu fördern. Sie war in die Oper statt in Musicals gegangen, weil die Oper seine Leidenschaft war. Sie hatte sich angezogen, wie er es wollte, hatte gedacht, wie er es wünschte, und kein einziges Mal hatte sie einen Dollar mehr ausgegeben, als er ihr wöchentlich zuteilte.

Und dann – ihr drittes Kind war gerade aus den Windeln – hatte er sie verlassen und war mit seiner Sekretärin nach Kalifornien durchgebrannt. Quasi über Nacht verlor Andrea fast alles, was ihr Leben ausmachte: ihren Mann, ihr Heim, ihren Lebensstandard, ihre gesellschaftliche Stellung. Sie verlor ihre Selbstachtung. Ihre Identität. Sie verlor alles außer ihren Kindern.

Ohne nennenswerte Fähigkeiten und mit Unterhaltszahlungen, die kaum bis zum Monatsende reichten, machte sie irgendwann eine nüchterne Bestandsaufnahme. Was hatte die Welt einer Frau in ihrer Lage zu bieten? Die Antwort war die von der Handwerkskammer angebotene Umschulung.

Unglaublich, wie radikal ein Mensch sein Leben umkrempeln kann, dachte Natalie. Dieselbe Frau, die sich vor neun Jahren über die Lockerheit ihrer Soufflés und über meisterhaft gebügelte Oberhemden definiert hatte, verlegte nun Kupferrohre, hämmerte Bleche in Form und schleppte Armaturen, die fast so schwer waren wie sie selbst. Mit unwahrscheinlicher Willensstärke und harter Arbeit hatte Andrea für ihre Kinder und sich eine neue Existenz aufgebaut. Sie hatte bis zur Erschöpfung geschuftet, um dorthin zu kommen, wo sie heute war.

Nun sah es so aus, als würde sie sich wieder bis zum Extrem belasten.

Natalie wünschte, sie könnte mit ihr reden. Ihr sagen, dass sie nicht so schwer zu arbeiten brauchte, dass sie ihre Zukunft nicht aufs Spiel setzen sollte, dass die Familie ihr jederzeit helfen würde. Aber sie wusste, alles Reden würde sinnlos sein. Genau wie damals würde Andrea darauf beharren, es allein zu schaffen.

„Ist dieser Job wirklich so wichtig für dich, dass du alles riskierst, wofür du gearbeitet hast?“, fragte Natalie.

„Ja, und du weißt es. Nach der Renovierung von Belmont House werde ich so viel Publicity bekommen, dass ich Aufträge ablehnen kann, statt Klinken zu putzen. Jedenfalls hoffe ich es.“

„Dann ist es noch wichtiger für dich, dass du hiergegen etwas unternimmst.“ Natalie deutete zu der farbverschmierten Wand. „Ich meine, mehr, als es abzuwischen, damit deine Leute es nicht sehen. Bis jetzt war es nur ein geringfügiges Ärgernis, aber das nächste Mal könnte es schlimmer werden. Denk mal an die Arbeit, an die Zeit und zusätzlichen Kosten, die das bedeuten würde.“

Das hatte Andie bereits getan. Wie alle guten Bauunternehmer hatte sie in ihrer Kalkulation einen gewissen Spielraum für unvorhergesehene Kosten gelassen. Allerdings war dieser Faktor sehr gering. Zu gering, um größere Schäden abzudecken. „Was schlägst du vor?“, fragte sie Natalie.

„Du solltest die Sache der Polizei melden. Wozu bezahlst du Steuern? Lass die Jungs für dich arbeiten.“

„Ja, toll“, spottete Andie. „Und bevor meine Unterschrift auf der Anzeige getrocknet ist, hört Dad davon. Er würde hier mit einem ganzen Bataillon seiner Polizeikumpel aufkreuzen, die Untersuchung an sich reißen, mich beschützen wollen und wie die zerbrechliche kleine Frau behandeln, für die er mich – und dich übrigens auch – hält. Nein, danke.“ Sie reckte trotzig das Kinn. „Auf Dads Hilfe kann ich verzichten. Ich werde allein damit fertig.“

„Es ist Vandalismus, Andrea. Unbefugtes Betreten eines Grundstücks und Einbruch. Es sei denn, du sicherst deine Baustellen nicht.“

„Natürlich hatte ich abgeschlossen!“

„Dann hat dieser Kerl sich mehrerer Straftaten schuldig gemacht. Wer weiß, wozu er noch fähig ist!“

„Er ist nur eines Vergehens schuldig. Die Trauben sind ihm zu sauer.“

„Wie bitte? Wovon redest du?“

„Die Fabel vom Fuchs und den Trauben, du weißt schon. Jemand ist wütend, weil er nicht gekriegt hat, worauf er scharf war. In diesem Fall, weil er gegen eine Frau verloren hat.“ Andie erklärte ihrer Schwester ihre Theorie. „Wenn ich einen Riesenaufruhr mache und die Polizei verständige, dann hat er gewonnen, weil nämlich bald die ganze Branche über die Memme Andrea Wagner lachen würde. Wenn ich ihn hingegen ignoriere, wird er die Lust verlieren, seine Spraydose einpacken und nach Hause gehen.“

„Und wenn er nicht aufhört? Was ist, wenn du ihn durch deine Nichtbeachtung provozierst? Oder wenn er beschließt, sich dir zu zeigen, sodass du ihn nicht länger ignorieren kannst? Was dann, Andie?“, drängte Natalie. „Meinst du, du wirst damit auch allein fertig?“

„So etwas wird nicht passieren. Diese Sprayer sind wie Exhibitionisten. Sie kriegen ihren Kick aus dem Entsetzen ihrer Opfer. Und wenn das Opfer nicht reagiert, ist das Spiel vorbei. Darüber hinaus geht es nicht.“

„Manchmal schon.“

Andie schüttelte den Kopf. „Nein. Dies hier ist anders als deine Fälle, Natalie. Dieser Sprayer ist kein Krimineller.“

„Woher willst du das so genau wissen?“

„Weil ich ihn kenne, okay?“

Natalie starrte ihre Schwester an. „Was sagst du da? Du kennst den Kerl, der dich seit Wochen terrorisiert? Und du hast ihn nicht angezeigt? Andrea, das ist unglaub…“

„Nein, nein, natürlich kenne ich ihn nicht persönlich. Ich meinte nur, dass ich diesen Typ Mann kenne. Er könnte einer von einem Dutzend Männern sein, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Etwa der Kerl, der das Aufklappfoto aus dem ‚Hustler‘ an meine Wagentür geklebt hat. Oder der Spaßvogel, der den Vibrator in meinen Werkzeuggürtel gesteckt hat. Oder der Vorarbeiter, der mich im zweiten Lehrmonat die schwersten, dreckigsten Jobs machen ließ und grinsend darauf wartete, dass ich mich beschwerte oder zu heulen anfing. Aber ich habe weder gejammert noch geweint. Überhaupt habe ich nie so reagiert, wie sie es gern gehabt hätten. Und allmählich hörten sie mit ihren Streichen auf und haben mich in Ruhe arbeiten lassen. Genau das wird auch hier passieren.“

Natalie sah sie fassungslos an. „Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm war.“ Sie fasste ihre Schwester am Arm. „Warum hast du mir das nie erzählt?“

„Weil du dich aufgeregt und mich bemitleidet hättest. Und natürlich hätte Lucas sich diese Typen vorgenommen und sie verprügelt. Und Dad hätte auf mich eingeredet und darauf bestanden, mich und die Kinder zu versorgen. Unglücklich, wie ich war, hätte ich wahrscheinlich nachgegeben. Ich musste einfach lernen, allein zurechtzukommen.“

„Aber zu welchem Preis!“, sagte Natalie bestürzt.

„Hey, so schrecklich ist es nun auch wieder nicht – sonst wäre ich nicht mehr in diesem Geschäft. Der Verdienst ist viel besser als in den meisten Bürojobs, die Arbeit macht Spaß, und ich bin mein eigener Boss. Und ich war noch nie so gut in Form wie jetzt.“ Als Andie zur Bekräftigung ihren winzigen Bizeps spielen ließ, musste Natalie lachen. „Außerdem ist nicht jeder Mann im Baugewerbe ein Schuft. Die meisten sind anständige, normale Arbeiter, die mit dem, was sie können, ihre Familien ernähren. Einige haben mich sogar zu dem Vertrag beglückwünscht. Dieser hier …“, Andie fuhr mit den Knöcheln über den rot verschmierten Putz, „hat noch nicht begriffen, dass es so etwas wie Männer- oder Frauenberufe nicht gibt. Er denkt …“

Ein Pfiff ertönte, und gleich darauf verkündete eine volle Frauenstimme: „Oh, Baby, was für ein knackiger Po!“ Dem Ausruf folgte schallendes Lachen.

„Hör nicht auf sie, Darling, und komm her zu Mama“, rief eine andere. „Ich kann dich soooo glücklich machen.“

Die beiden Schwestern sahen sich an. „Warst du hier mit Lucas verabredet?“, fragte Andie grinsend.

2. KAPITEL

Die Person, die den kernigen Einzeiler über Jim Nicolosis sehenswerte Kehrseite improvisiert hatte, war eine mittelgroße, stämmige Frau mit silbergrauen Strähnen in dem kurzen dunklen Haar. Sie trug Jeans und Arbeitsstiefel und hatte sich einen Werkzeuggürtel um die üppige Taille geschnallt.

Jim grinste sie an. Es störte ihn nicht im Geringsten, dass seine Anatomie so offen kommentiert wurde. „Vielen Dank, Ma’am“, sagte er, während die drei Frauen, die vor dem Belmont House standen und aus Pappbechern ihren Morgenkaffee tranken, ihn abwartend musterten. „Ein nettes Kompliment hört man immer gern.“

„Ich hätte auch ein paar nette Komplimente auf Lager“, tönte die Frau mit den wilden blonden Korkenzieherlocken, die sich als „Mama“ bezeichnet hatte. Sie war Anfang zwanzig und hatte einen Körper, der ihre Leidenschaft fürs Bodystyling verriet. „Komplimente der ganz besonderen Art, die jeden Mann in Ekstase versetzen.“

„Tiffany!“, rief die dritte Frau in schockiertem Ton. Sie war die größte von den dreien, mit den prägnanten Gesichtszügen einer Indianerin. Ihr mahagonibraunes Haar war zu einem Zopf geflochten, und ihre grünen Augen funkelten wie Smaragde. „So etwas Frivoles sagt man nicht zu einem Fremden“, schalt sie sanft und senkte züchtig den Blick, als Jim ihr zulächelte.

„Aber ich bin frivol“, gurrte Tiffany, „und du magst frivole Frauen, stimmt’s, Süßer?“ Sie warf Jim einen Blick zu, der heiß genug war, um Stahl zu schmelzen. „Hinter diesem alten Schuppen ist eine Laube, in die wir uns zurückziehen könnten …“

„Tja, also … das ist wirklich ein verführerischer Vorschlag“, erwiderte Jim und ließ den Blick über ihren fantastischen Körper gleiten. Er nahm sie genauso gründlich ins Visier wie sie ihn. „Aber dummerweise habe ich diese alte Kriegsverletzung und … na ja …“

Er hob bedauernd die Hände.

„Oh, ich kann drum herum arbeiten“, versprach Tiffany.

„Hör auf, Mädchen“, sagte die älteste der Frauen und lachte. „Du machst dem armen Kerl Angst.“

„Er sieht aber gar nicht ängstlich aus.“ Tiffany klimperte verführerisch mit den Wimpern. „Hast du Angst vor mir, sexy Boy?“

„Mir wackeln die Knie“, sagte Jim schwach, aber seine Augen glitzerten.

„Ich könnte was ganz anderes zum Wackeln bringen, wenn wir …“

„Tiffany, Schluss jetzt! Lass den Mann in Ruhe!“, schimpfte die ältere Frau, diesmal etwas schärfer. „Ich prophezeie dir, Mädchen, demnächst wirst du einen Prozess wegen sexueller Belästigung am Hals haben.“ Sie blickte zu Jim hinüber. „Was kann ich für Sie tun?“

„Wie bitte?“ Ihm fehlten die Worte. Die Frau sah plötzlich vollkommen ernst aus. Scherzhafte Anzüglichkeiten konnte er lässig parieren, aber ein ernster Antrag von einer Frau, die seine Mutter sein könnte – das war eine völlig andere Sache. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte.

Tiffany kicherte. „Wer macht hier wem Angst?“, murmelte sie. „Der arme Kerl denkt, dass du was von ihm willst.“

Die andere schüttelte amüsiert den Kopf und wandte sich von Neuem an Jim. „Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Sie nicht hier sind, um Frauen aufzureißen. Also, was wollen Sie? Sind Sie ein Inspektor von der Baubehörde? Ein Lieferant? Oder was?“

„Oh.“ Jim spürte Erleichterung und Verlegenheit. Er hatte gedacht … Na ja, er hatte dasselbe gedacht, was sie von ihm gedacht hatten. Wie peinlich! „Ich bin wegen eines Jobs hier. Man hat mir gesagt, ich sollte mit Andrea Wagner reden. Sind Sie das?“ Jim wusste, dass weder diese noch die beiden anderen Frauen Andrea Wagner waren. Er hatte nämlich ein Foto von ihr gesehen. Aber als angeblicher Bewerber um einen Job musste er so tun, als wüsste er nicht, wie sie aussah.

„Leider nicht“, sagte die Frau. „Ich bin Dot Lancing und arbeite hier als Schreinerin. Dies ist Mary Free“, stellte sie die große Brünette vor. „Sie ist unsere Elektrikerin. Und der Männerschreck ist Tiffany Wilkes, Elektrikerlehrling. Der unsoziale Typ, der da drüben auf der Treppe sitzt und so tut, als würde er uns nicht kennen …“, sie zeigte mit dem Daumen über die Schulter zum Haus, und nun erst bemerkte Jim den Mann, „ist Pete Lindstrom, ebenfalls Schreiner. Sag Guten Tag, Pete.“

Pete nickte, nuschelte etwas Unverständliches und konzentrierte sich wieder auf seinen Kaffee und die Zeitung.

Jim erwiderte die Begrüßung ebenso knapp und drehte sich wieder zu Dot. „Und Andrea Wagner?“

„Andie ist drinnen im Haus.“ Sie zeigte zu der halb geöffneten Eingangstür. „Da geht’s rein.“

„Danke.“ Er tippte salutierend an die Stirn und ging um Pete herum die breiten Steinstufen hinauf.

„Oh, noch etwas.“ Dot wartete, bis Jim sich zu ihr umdrehte. „Versuchen Sie nicht, mit ihr zu flirten. Sonst landen Sie auf Ihrem knackigen kleinen Hinterteil hier draußen.“

Jim nickte und setzte seinen Weg fort. Er hatte gehört, dass Andrea Wagner ein schwieriger Fall war und nicht mit sich spaßen ließ – besonders, was Männer anging. Ein Jammer, dass eine so hübsche Frau eine Männerverächterin ist, hatte er beim Betrachten ihres Fotos gedacht. Es ist mehr als ein Jammer, dachte er jetzt, als er durch die Tür trat und sie in dem imposanten Foyer stehen sah.

Einen Moment lang glaubte er, er würde sie und ihr Spiegelbild sehen. Oder Zwillinge. Zwei Frauen standen sich gegenüber, mit zusammengesteckten Köpfen, wie Schulmädchen, die Geheimnisse tauschten. Sie waren fast gleich groß, hatten beide weizenblondes Haar und die gleiche zierliche Statur. Aber dann bemerkte Jim die Unterschiede zwischen ihnen.

Die eine trug ihr Haar in dem schicken, modischen Stil einer Karrierefrau. Ihr grünes Kostüm betonte ihre schlanke Figur und brachte ihre fantastischen Beine voll zur Geltung. Sie trug goldene Ohrringe, eine halbmondförmige Goldbrosche am Revers und zartroten Lippenstift auf dem vollen Mund, Jim stellte fest, dass ihre vermeintliche Größe durch die atemberaubend hohen Absätze ihrer Pumps zustande kam. Barfuß maß sie wahrscheinlich nicht mehr als eins fünfundfünfzig.

Die andere Frau war mindestens sieben Zentimeter größer. Ihr blondes Haar war superkurz – wie bei einem Jungen. Sie war auch wie ein Junge gekleidet. Geripptes Achselhemd, wie es alte Männer und Bodybuilder trugen, farbbekleckerter Overall aus Jeansstoff, schwere, bis zu den Knöcheln geschnürte Arbeitsstiefel. Im Gesicht kein Make-up. Und dennoch sah sie mindestens genauso feminin aus wie ihr Pendant in dem Kostüm und den grünen Pumps.

Das kurze Haar ließ ihre zierlichen Ohren frei und schien die feinen Linien ihres Gesichts noch zu betonen. Und ihr ungeschminkter Mund zog die Aufmerksamkeit nur noch stärker auf die hübsche Form und das zarte Rosa ihrer Lippen. Selbst die maskuline Kleidung hatte den gegenteiligen Effekt und ließ sie noch weiblicher erscheinen.

„Entschuldigen Sie bitte, Ladys“, sagte Jim und entdeckte einen weiteren frappierenden Unterschied zwischen den beiden Frauen, als sie sich zu ihm umdrehten.

Die Elegante hatte große schokoladenbraune Augen, die vor Neugier und Wachheit blitzten. Die Augen der anderen waren von der Farbe des Himmels an einem klaren, frostigen Wintertag. Ein blasses, durchdringendes Blau wie Gletschereis.

Die beiden Frauen musterten ihn, und ihre Augen glitzerten belustigt. Dann blickten sie sich wieder an. „Nicht Lucas“, bemerkte die Elegante, worauf beide kicherten.

Jim strich sich verlegen durchs Haar und hatte das Gefühl, er müsse seinen Hosenreißverschluss kontrollieren. Hatten es denn heute alle Frauen auf ihn abgesehen? Normalerweise hätte er es nicht einfach so hingenommen, ohne Kontra zu geben. Aber er hatte einen Job zu tun.

„Ist eine von Ihnen Andrea Wagner?“, fragte er und blickte zwischen beiden hin und her, als wüsste er nicht, wer sie war.

„Das bin ich“, sagte Andie, ohne sich vom Fleck zu rühren. „Und dies ist meine Schwester Natalie Bishop-Sinclair.“ Wieder begannen sie zu kichern, als ihre Blicke sich trafen. „Aber sie wollte gerade gehen. Stimmt’s, Nat?“

„Ja. Ich muss los.“ Natalie nahm ihren Aktenkoffer. „Versprich mir, über das, was ich dir gesagt habe, nachzudenken, okay?“ Sie drückte Andie und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Ich verspreche, dass ich drüber nachdenken werde.“ Andie betonte das Wort „nachdenken“, worauf ihre Schwester resigniert seufzte.

„Himmel, bist du stur!“, lamentierte Natalie im Gehen. Jim, der noch immer in der Tür stand, bemerkte ihren taxierenden Blick. Sie drehte sich zu ihrer Schwester um. „Wenn du schon nicht meinen Rat hinsichtlich des Graffiti-Künstlers annehmen willst, dann solltest du wenigstens den anderen beherzigen.“

„Welchen anderen?“

„Du bist überfällig, Schätzchen.“ Natalie deutete mit dem Kopf zur Tür und wackelte mit den Augenbrauen. „Na, fällt der Groschen endlich?“

Der Groschen fiel. „Bye-bye, Natalie. Nett, dass du vorbeigeschaut hast.“

Lachend und mit einem letzten anerkennenden Blick zu Jim, der ihr höflich Platz machte, schritt Natalie durch die Tür und entschwand. Das Klappern ihrer Absätze wirkte wie eine letzte Mahnung an Andie, ihren schwesterlichen Rat zu befolgen.

Andie wandte sich an den Besucher. „Entschuldigen Sie bitte, das war …“ Ihre Wangen brannten, und sie hoffte, dass es nicht zu sehen war. Manchmal hätte sie ihre Schwester glatt ermorden können! „Wir haben nicht über Sie gelacht. Es war eine Alberei unter Schwestern. Wir haben uns wohl etwas danebenbenommen.“

„Kein Problem. Ich habe selbst drei Schwestern, und ich weiß, wie ihr Mädchen aufdrehen könnt.“ Im Moment, als er es sagte, bemerkte Jim seinen Fehler. Er hätte „Frauen“ sagen müssen statt „Mädchen“. Überhaupt war seine Bemerkung reichlich salopp gewesen – zu salopp für die strengen Maßstäbe einer Feministin. Diese Damen konnten ziemlich zornig werden, wenn ihre Würde verletzt wurde. Und nach allem, was er über Andrea Wagner gehört hatte, würde sie, ohne mit der Wimper zu zucken, seinen Kopf auf einem Tablett servieren, wenn sie sich von ihm beleidigt fühlte. Und richtig, sie war bereits zornrot, obwohl er kaum den Mund aufgemacht hatte. Aber sie nickte nur – so leicht war sie anscheinend nicht zu beleidigen.

Er streckte ihr die Hand hin. „Jim Nicolosi“, stellte er sich vor und bemerkte ein winziges Zögern, bevor sie ihn mit Handschlag begrüßte. Diese kleine Beobachtung speicherte er und stellte ebenfalls fest, dass ihre Hand klein, zierlich und schwielig war.

Ihr Händedruck fiel fest, aber kurz aus. „Was kann ich für Sie tun, Mr Nicolosi?“, fragte sie in nüchternem, geschäftsmäßigem Ton.

„Dave Carlisle hat mich hergeschickt. Er sagte mir, dass Sie einen Tischler suchen, der sich aufs Renovieren versteht. Ich interessiere mich für den Job.“

„Sie kommen von Dave?“ Andrea schürzte nachdenklich die Lippen. „Hm.“

Dave Carlisle gehörte zu den Anständigen in der Branche. Er diskriminierte niemanden – für ihn zählte nur, ob jemand tüchtig und zuverlässig war. Dave hatte ihr schon viele Leute geschickt, da er wusste, dass sie Lehrlinge gut ausbildete und fair behandelte – ob männlich oder weiblich. Für gewöhnlich, wenn es ihr irgend möglich war, nahm sie die Bewerber, denn Dave schickte ihr nie jemanden, der nichts taugte.

Dieser Jim Nicolosi sah allerdings nicht wie ein Lehrling aus. Für einen Lehrling war er zu alt. Andererseits konnte er jemand sein, der in seiner Lebensmitte einen beruflichen Wechsel suchte. Obwohl er für die Kategorie der Midlife-Wechsler wiederum nicht alt genug war. Andie schätzte ihn auf Mitte dreißig. Vielleicht lernte er aufgrund besonderer Lebensumstände erst jetzt einen Beruf – sie selbst war ja auch ein Spätstarter. Ja, wahrscheinlich hatte Dave ihn ihr deshalb geschickt. Weil sie immer bereit war, jemandem mit einer Unglücksstory zu helfen.

Nicht dass sie sich für die Lebensgeschichte dieses Mannes interessierte. Ihr Interesse bestand darin, dass sie Ersatz für den Schreiner bekam, der ihr die letzten beiden Wochen aus der Patsche geholfen hatte. Die Frage war, was sie dringender brauchte – einen neuen Tischler oder ein harmonisches Team.

Jim Nicolosi war ein gefährlich attraktiver Mann, eine wandelnde Einladung zu Sex und Sünde. Er war mindestens eins achtzig, mit breiten Schultern, schmalen Hüften und langen Beinen. Kariertes Sporthemd, knapp sitzende, verwaschene Jeans. Sein dunkles Haar hatte einen rötlichen Schimmer und war länger als ihres. Es kräuselte sich über seinen Ohren und reichte im Nacken bis über den Hemdkragen. Das verwegene Glitzern in seinen braunen Augen sagte Andie, dass er genau wusste, wie gut er aussah und welchen Effekt sein gutes Aussehen auf das andere Geschlecht hatte. Natürlich wäre er ein Dummkopf gewesen, wenn er das nicht gemerkt hätte, aber das stand auf einem anderen Blatt. Jedenfalls stand fest, dass er auf dem Bau Unruhe stiften würde und …

Andie merkte, welch sexistische Gedanken sie hatte, und mahnte sich zur Fairness. Jim Nicolosis Aussehen hatte nicht das Geringste mit seinen handwerklichen Fähigkeiten zu tun. Und wie Frauen auf ihn reagierten, das war deren Problem und nicht seins. Andie musste hier absolut objektiv bleiben, zumal sie selbst von seinem Aussehen nicht unberührt war.

Sie musste an Natalies Worte denken. „Du bist überfällig, Schätzchen.“ Ihre Schwester hatte recht – sie war überfällig! Wie lange war es her? Herrje, sie konnte sich nicht einmal genau erinnern. Jahre! Und dieser Mann war aufregend genug, um sogar eine Nonne auf verbotene Ideen zu bringen.

„Sie wissen sicher, dass dies ein Lehrlingsjob ist, oder?“, fragte Andie in der Hoffnung, aus der Zwickmühle herauszukommen. „Mit der Bezahlung für Lehrlinge.“

„Ja, ich weiß. Dave hat es mir gesagt. Aber ich habe meinen Gesellenbrief noch nicht – es ist also okay. Ich hatte vor einiger Zeit einen Unfall, was mir einiges vermasselt hat.“ Es ist nicht direkt gelogen, sagte Jim sich, um sein Gewissen zu beruhigen. Ach was, im Grunde war es die Wahrheit. Er hatte tatsächlich einen Unfall gehabt, und er besaß keinen Gesellenbrief. Warum etwas erfinden, wenn er mit Fakten arbeiten konnte? Er hatte gehört, dass Andrea Wagner eine Schwäche für Unglücksraben hatte. Und offensichtlich stimmte es. Jim bemerkte ihren mitleidigen Ausdruck. Ganz klar, dass er den Job bekommen würde. Er wusste es.

„Dieser Unfall …“, begann sie und leitete vorsichtig die unvermeidliche Frage ein. Sie konnte es sich nicht leisten, jemanden zu beschäftigen, der die Arbeit nicht durchhielt. Ganz gleich, wer ihn empfohlen hatte. „Hatten Sie Verletzungen, die Sie bei der Arbeit beeinträchtigen könnten?“

„Ich kann den Job machen“, sagte er scharf. Ihre gefühllose Frage hatte ihn getroffen. Und die Tatsache, dass er sich geirrt hatte. Er war sich absolut sicher gewesen, dass sie ihm den Job, ohne zu zögern, anbieten würde, und dann öffnete sie ihren hübschen, sinnlichen Mund und stellte kühl und geschäftsmäßig sein Können infrage. In diesem Punkt war er sehr empfindlich. Er konnte es nicht ertragen, wenn jemand seine Fähigkeiten anzweifelte.

Gerade als er loslegen und sie von ihrem hohen Roß runterholen wollte, sah er etwas in ihren Augen, das ein Nein ankündigte. Also musste er seine Taktik schnell ändern, denn wenn er diesen Job nicht bekam, dann würde er nicht den Auftrag erledigen können, für den er angeheuert war. Verärgern durfte er sie auf keinen Fall.

„Ich habe ein kleines Problem mit Höhen“, gestand er und warf einen argwöhnischen Blick zu dem hohen Gerüst an der hinteren Wand, das bis zur Decke des Obergeschosses reichte. Frauen wurden weich, wenn sie bei Männern eine Schwäche entdeckten. Jedenfalls sagten das seine Schwestern. „Zum Beispiel ist mir nicht ganz wohl, wenn ich auf Dächern arbeite. Ich bin mal von einem runtergefallen.“ Auch dies war die Wahrheit, obwohl der Sturz nicht bei Dacharbeiten passiert war. „Aber ich kann alles andere tun“, setzte er schnell hinzu, für den Fall, dass er es mit der Verletzlichkeit übertrieben hatte. „Von Türrahmen bis zu Einbauschränken, Fußböden, Zierleisten – was immer Sie gemacht haben wollen. Ich kann auch ganz gut dekorative Stücke drechseln, zum Beispiel so was …“ Er zeigte zum Treppengeländer, bei dem einige Säulen fehlten.

Andie war beeindruckt. Sie konnte wirklich jemanden mit seinen Fähigkeiten gebrauchen – besonders, wenn sie ihm nur Lehrlingslohn zu zahlen brauchte. Trotzdem zögerte sie noch immer. Dieser Mann würde ein Problem für sie werden, das spürte sie. „Mein Team besteht hauptsächlich aus Frauen“, erklärte sie in der Hoffnung, dass ihn das abschrecken würde. „Mit Kumpels werden Sie also kaum herumblödeln können.“

„Ich möchte einen Job – das ist alles.“

Zu dumm, er ließ sich nicht kleinkriegen. Andie fuhr noch ein Geschütz auf. „Und das eine will ich Ihnen gleich sagen: Die Lehrlinge machen hier die Lehrlingsarbeiten, so wie überall.“

„Natürlich.“

„Und die Tatsache, dass ich eine Frau bin, bedeutet nicht, dass ich Sie schonen werde. Ich erwarte von meinen Leuten vollen Einsatz. Faulenzer dulde ich nicht.“

„Natürlich nicht.“

„Ich erwarte auch, dass ein Lehrling springt, wenn ein Geselle es ihm sagt. Und meine Gesellen sind fast alle Frauen.“ Andie sah ihn eindringlich an. „Wenn Sie Probleme damit haben, von einer Frau Anweisungen zu bekommen, will ich Sie hier nicht haben.“

„Wie ich schon sagte, ich habe drei Schwestern – ältere Schwestern – und bin es gewohnt, von Frauen herumkommandiert zu werden.“ Jim setzte ein jungenhaftes Grinsen auf. Ich bin nur ein harmloser, braver kleiner Bruder, sollte es signalisieren.

Sehr brüderlich fühlte er sich allerdings nicht, als sie ihn so ernst und eindringlich mit ihren großen blauen Augen fixierte. Dieser volle, sinnliche Mund – Jim musste sich zwingen, nicht daraufzustarren. Sie hatte eine unglaublich klare, zarte Haut, so glatt und transparent wie seine kleine zweijährige Nichte. Und ihr weizenblondes Haar sah aus wie Seide. Jim bemerkte die winzigen Perlen in ihren Ohrläppchen. Er nahm auch den Duft ihres Parfüms wahr.

Perlen und Parfüm … das hatte er bei einer Frau wie ihr – einer eingeschworenen Feministin, einem angeblichen Mannweib! – nicht erwartet. Es war ein sauberer, frischer Duft, zart wie die Frau, die ihn trug. Irgendetwas daran erinnerte Jim an sein erstes sexuelles Erlebnis. „Charlie“, genau, das war es. Patty Newman hatte nach diesem Parfüm gerochen, als sie schließlich während einer Samstagabendvorstellung im Autokino auf der Rückbank des von seinem Vater geborgten Chevys seinen Verführungskünsten erlegen war.

Seit jenem denkwürdigen ersten Mal machte jener Duft ihn stets scharf wie einen Jagdhund. Was nicht sein durfte. Bei dem Job, den er zu tun hatte, würde Sex nur im Weg sein.

„Solange ich für niemanden Kaffee kochen muss, sehe ich keine Schwierigkeiten“, juxte er, um seine beunruhigenden Gefühle zu überspielen.

Sie ignorierte seinen Witz. „Also gut“, sagte sie seufzend. „Sie haben zwei Wochen Probezeit, wie alle anderen auch. Wenn Sie danach noch hier sind, können Sie sich als angestellt betrachten.“

Am selben Abend rief Jim die Nummer an, die er bekommen hatte, und gab seine erste Meldung durch. „Ich habe den Job. Morgen früh fange ich an.“ Einen Moment lang war er still. „Nein, sie hat nicht den geringsten Verdacht.“

3. KAPITEL

Dot Lancing steckte den Kopf in die Tür des neuen kleinen Waschraums im Souterrain, wo auch die Büroräume eingerichtet werden sollten.

„Ich gehe“, sagte sie zu den jeansbekleideten Beinen, die unter dem Waschtisch hervorragten. Keine Antwort. „Andie?“ Sie klopfte mit den Knöcheln auf die Marmorplatte.

Andie schrak bei dem Geräusch derart zusammen, dass sie sich fast den Kopf am Abflussrohr gestoßen hätte. „Hey, Andie, alles okay?“

„Ja. Außer dass du mir einen Schrecken eingejagt hast. Was ist?“

„Es ist Feierabend, Mädchen.“

„Schon?“ Andie legte die Rohrzange beiseite und sah auf ihre verschrammte Männerarmbanduhr. Es war fast sechs. Wo war die Zeit geblieben? „Bleib bitte noch eine Minute, Dot.“ Sie robbte auf dem Rücken unter dem Waschbecken hervor. „Ich möchte noch kurz mit dir reden.“

Dot lehnte sich an den Türrahmen und wartete, während Andie langsam zum Vorschein kam und sich aufsetzte. „Was gibt’s?“

„Was hältst du von dem Neuen?“

„Von Mr Knackpo?

Andie zog die Stirn kraus. „Mir wäre es lieber, wenn du ihn nicht so nennen würdest.“

„Ich nenne nur die Tatsachen beim Namen.“

„Tatsachen oder nicht – keine Anzüglichkeiten am Arbeitsplatz! Er könnte sich wegen sexueller Belästigung bei der Gewerkschaft beschweren.“

„Da brauchst du nichts zu befürchten. Es ist alles nur harmloser Spaß. Jim ist nicht zimperlich, und uns gibt er es auch ganz schön.“ Womit Dot recht hatte. Andie hatte das verbale Pingpongspiel zwischen Nicolosi und Tiffany mitbekommen. Sogar die zurückhaltende Mary Free hatte sie über eine seiner Frivolitäten lachen hören. Trotzdem gefiel es Andie nicht. „Bei der Arbeit ist es nicht angebracht.“

„Okay. Ich werd’s weitergeben.“

„Gut.“ Andie stand auf und reckte sich. „Und sonst? Wie macht er sich?“

„Ich hab’ ihm oben im kleinen Salon erst mal was Leichtes zu tun gegeben. Türen abschleifen und für den Anstrich vorbereiten. Als er damit fertig war, kam der nächste Test – der Kaminsims im Schlafzimmer.“ Dot grinste vielsagend. Marmor zu restaurieren, vor allem kunstvoll bearbeiteten Marmor, war ein kniffliger Job, der Sorgfalt und großes Feingefühl erforderte. „Er weiß, was er tut, und er macht seine Sache wirklich gut.“ Für Dot waren solche Worte höchstes Lob. „Kaum zu glauben, dass er nur Lehrling ist. Aus dem Lehrlingsalter ist er jedenfalls raus.“

„Er hatte einen Unfall“, erklärte Andie. „Das hat ihn wohl etwas zurückgeworfen.“

„Aha, daher seine Narben.“

„Narben? Wo?“

„Am Rücken, eine Handbreit über seinem knackigen … über seinem Hosenbund. Ich hab’s gesehen, als er bei der Arbeit das T-Shirt aus seiner Hose gezogen hat, um sich das Gesicht abzuwischen.“

„Hat er erzählt, wie es passiert ist?“

„Ich hab’ ihn nicht gefragt. Tiffany hat’s versucht, aber er hat sie mit ’nem dummen Witz über eine alte Kriegswunde abgespeist. Ich schätze, er wollte nicht drüber reden.“ Dot griff nach ihrer abgewetzten Umhängetasche. „Hast du Lust, zu einem Drink mit rüber zu ‚Varga‘ zu kommen? Wir wollen Tiffanys negativen Schwangerschaftstest feiern.“

Andie schüttelte den Kopf. „Nein, ich möchte das hier fertig machen.“

„Es ist morgen auch noch da.“

„Nicht, wenn ich es heute Abend zu Ende bringe.“ Andie war bereits wieder auf dem Boden und wollte gerade unter das Waschbecken kriechen. „Viel Spaß bei eurer Feier.“

„Willst du nicht doch mitkommen?“

„Ein andermal.“

„Bleib nicht zu lange allein hier im Haus, okay?“

Andie blickte hoch. Dots besorgter Unterton machte sie stutzig.

„Ich hab’ gelesen, was an der Wand stand, bevor ich’s weggekratzt und neu verputzt habe.“

„Dann weißt du auch, dass es nichts weiter zu bedeuten hat. Irgendein Idiot, der seine Wut an Frauen auslässt, die ‚Männerarbeit‘ machen.“

„Wahrscheinlich“, stimmte Dot zu. „Trotzdem solltest du gehen, bevor es dunkel wird.“

„Ja, Mom“, sagte Andie übertrieben devot. „Richte Tiffany meine Glückwünsche aus und sag ihr, sie soll in Zukunft ihren Verstand benutzen, bevor sie ihrer Leidenschaft freien Lauf lässt. Sonst gibt’s nächsten Monat wieder das große Zittern.“ Damit verschwand Andie unter dem Marmortisch und beendete die Diskussion.

Es war nach sieben, als Andie unter dem fertig installierten Waschbecken hervorkroch und ihre verspannten Muskeln lockerte. Mit einem weichen Lappen wischte sie den feinpudrigen Wandstaub von der rosa gemaserten cremefarbenen Marmorplatte und freute sich, wie perfekt der blassrosa Ton des Porzellanbeckens dazu passte. Morgen konnten die Fliesen verlegt werden, und dann kamen nur noch die Tapezierarbeiten. Die Tapeten mit dem feinen Rosenmuster würden in dem kleinen Raum sehr hübsch aussehen. Und wenn der Spiegel, eine Reproduktion im Queen-Anne-Stil, eintraf, würde der Waschraum komplett sein. Vor dem Termin. Andie lächelte zufrieden.

Sie knipste das Licht aus, ging über den schmalen, dämmrigen Flur zur Treppe und nach oben ins Erdgeschoss, das noch vom Tageslicht erhellt war. In Minnesota waren die Sommertage lang – es wurde erst nach neun dunkel. Andie genoss die Ruhe und wanderte langsam durch die weiten Räume des viktorianischen Herrenhauses.

Belmont House war 1895 von einem reichen Industriellen als Hochzeitsgeschenk für seine Braut erbaut worden. Es war ein imposantes, schlossartiges Gebäude, mit Türmchen, Zinnen und Erkern, mit verschnörkelten Giebeln und einem von klassizistischen Säulen getragenen Eingangsportal. Das parkartige Grundstück reichte bis an den schönsten See von Minneapolis, den Lake of the Isles.

Die Belmonts blieben kinderlos, und nach ihrem Tod ging die Villa in den Besitz eines entfernten Verwandten über, der es einem Neffen vererbte, der weder die Mittel noch das Interesse hatte, das riesige alte Haus zu unterhalten. Schließlich wurde es Eigentum der Stadt – als Gegenwert für unbezahlte Grundsteuern. Zu einem lächerlichen symbolischen Preis erwarb es dann der örtliche Verein zur Denkmalpflege, um es in ein Stück lebendiger Geschichte zu verwandeln. Nach Beendigung der Renovierungsarbeiten sollten die Räume mit Möbeln der Jahrhundertwende eingerichtet und für Besichtigungen geöffnet werden. Außerdem plante der Vorstand der Historischen Gesellschaft, das Belmont House für private Feiern und Wohltätigkeitsfeste zu vermieten.

Andie konnte es sich gut in seiner alten und bald wiederhergestellten Pracht vorstellen. Und sie war zufrieden mit dem Fortgang der Arbeiten, obwohl die Villa einem Laien wahrscheinlich wie eine Abrissruine erschienen wäre. Das Muster der Parkettböden war unter den alten Dreckkrusten kaum zu erkennen. Aus den Wänden hingen die Enden der elektrischen Leitungen, die majestätische Treppe sah alles andere als majestätisch aus, der Marmorkamin war stumpf und fleckig, und durch die verstaubten Fenster konnte man kaum hindurchsehen.

Momentan arbeitete Andies Team hauptsächlich im Obergeschoss, nachdem die Renovierung des zweiten Stocks, wo sich einst die einfachen Dienstboten- und nie bewohnten Kinderzimmer befunden hatten, fast abgeschlossen war. Andie ging hinauf, um die Arbeiten des Tages zu begutachten. Hier erforderten die Gegebenheiten besonders viel Zeit und Sorgfalt. Die Decken und Wände waren mit kunstvoll geschnitzten Täfelungen geziert, mit Stuckaturen und detailliert ausgeführten Fußleisten und Gesimsen. Die beiden Badezimmer mit den bemalten Porzellanarmaturen, mahagoniumkleideten Wannen und den Marmorfliesen – Prunkstücke spätviktorianischer Sanitärkunst – mussten äußerst behutsam restauriert werden.

Dot und ihre Lehrlinge hatten in dem großen mittleren Flur die Täfelungen bearbeitet und einen beachtlichen Teil geschafft. In drei der fünf Schlafzimmer waren von Tiffany und Mary Free die elektrischen Leitungen verlegt worden. Und Jim Nicolosi hatte die Kassettentüren im Salon abgeschliffen und für die Lackierung vorbereitet – gute, gründliche Arbeit.

Natürlich kann jeder mit etwas Erfahrung eine Tür abschleifen, dachte Andie, als sie zum großen Schlafzimmer des Hausherrn ging, um sich zu überzeugen, ob ihr neuer Schreiner wirklich so tüchtig war, wie Dot sagte. Der ausschlaggebende Test war der Kamin.

Dot hatte recht.

Andie fuhr mit den Fingern über die jadegrüne Marmorfläche und die eingemeißelten Ornamente, die Nicolosi gereinigt hatte. Abgestoßene Stellen waren sorgsam mit grünem Marmorkitt ausgebessert und würden später, wenn sie vollkommen getrocknet wären, geschmirgelt und poliert werden. Eine sehr akribische Arbeit, die Andie selbst nicht besser hätte erledigen können. Jim Nicolosi war ein Mann, der die Tugend der Geduld kannte, wenn es darauf ankam. Ein Mann mit …

Ein heißer Schauer rieselte Andie über den Rücken, als eine Bemerkung von Tiffany ihr plötzlich in Erinnerung kam: „Du hast sensible Hände, Junge. Ich mag Männer mit sensiblen Händen.“ Jims Antwort hatte Andie nicht gehört, wohl aber Tiffanys raues, sinnliches Lachen. Auch Dot hatte leise gelacht.

Sie hatte das kleine Geplänkel auf dem Weg ins Souterrain aufgeschnappt, ohne sich viel dabei zu denken. Jetzt aber brannten ihre Wangen, und ihre Fantasie produzierte alle möglichen erotischen Bilder. Sie stellte sich vor, wie es sein würde, Jims Hände auf ihrem Körper zu spüren.

„Toll, Natalie“, murmelte sie, als eine Hitzewelle sich bis in ihre Brüste und ihren Schoß ausbreitete. Hätte ihre Schwester nicht diese idiotische Bemerkung über den längst fälligen Lover gemacht, dann würde sie jetzt, bei der Inspektion von Jim Nicolosis makelloser Handarbeit, nicht an ganz andere Talente seiner Hände denken.

Jetzt erinnerte sie sich genau, wie lange es her war. Acht Jahre. Vor acht Jahren hatte ein Mann sie das letzte Mal berührt, aber die Nacht mit Bob Lindsay war in keiner Hinsicht befriedigend gewesen. Wie auch, wenn keine Gefühle da waren und wenig körperliche Anziehung? Im Grunde war sie mit dem Ex-Geschäftspartner ihres Ex-Mannes nur ins Bett gegangen, um sich zu beweisen, dass sie noch begehrenswert war. Ob Bob sie begehrt hatte oder nur trösten wollte, nachdem Kevin sie verlassen hatte, das hatte sie nie herausgefunden.

Ihr Zorn, ihr Schmerz, ihr Gefühl der Verlassenheit hatten sich mit den Jahren gelegt. Kevin, nach nur dreijähriger Ehe mit seiner Sekretärin zum dritten Mal verheiratet, war Andie gleichgültig geworden. Aber ihr Interesse am anderen Geschlecht schien ebenfalls abgestorben zu sein.

Jetzt war es wieder da. „Du bist überfällig, Schwesterherz“, hatte Natalie gesagt. Und es stimmte.

Doch warum sollte Jim Nicolosi sie beachten, wenn eine blutjunge, sexy Blondine wie Tiffany um ihn herumwieselte? Sie, Andie, sah aus wie ein Junge, und für Jungen interessierte er sich ganz bestimmt nicht. Und überhaupt – war sie noch ganz bei Trost, dass sie solche Gedanken hatte? Sie mochte sich nach körperlicher Liebe sehnen, aber verrückt war sie nicht. Nur eine Verrückte würde mit einem ihrer Angestellten ins Bett gehen.

Eine Beziehung suchte Andie erst recht nicht.

Sie hatte keine Zeit für eine Beziehung.

Sie wollte keine Beziehung. Nicht jetzt.

Überhaupt nicht.

„Fall abgeschlossen“, würde Natalie sagen. Ende der Story.

Andie drehte sich vom Kamin fort und rannte gegen eine harte Männerbrust. Sie stieß einen Schrei aus und hob verteidigungsbereit die Hände, während sie rückwärts taumelte.

„Hey, Boss …“ Jim fasste Andie bei den Schultern, damit sie nicht gegen den Kamin prallte. „Keine Panik.“

„Keine Panik?“ Sie krallte die Hände in sein T-Shirt. „Wie soll ich wohl ruhig bleiben, wenn sich dauernd Leute an mich ranschleichen?“

„Entschuldigung. Ich wollte Sie wirklich nicht…“

„Heute Morgen ist Natalie auf Zehenspitzen ins Haus getappt und hat mich fast zu Tode erschreckt. Und gerade eben Dot – haut unten im Souterrain auf die Waschtischplatte, dass ich mir an den Rohren fast den Kopf einschlage.“

„Es tut mir leid. Ich …“

„Und jetzt schleichen Sie sich hinterrücks an wie … wie ein …“ Andie brach abrupt ab, als sie merkte, wie schrill ihre Stimme klang. Sie schämte sich, dass sie sich an ihn klammerte wie ein verängstigtes Kind. Schuld waren nur Natalie und Dot mit ihrem blödsinnigen Geunke. Sie ließ ihn los und glättete sein verknittertes T-Shirt. „Entschuldigung“, murmelte sie mit gesenktem Blick.

„Ich muss mich entschuldigen.“ Er hielt sie noch immer, ließ dann die Hände leicht über ihre Arme gleiten, um sie zu beruhigen. „Ich hätte mich bemerkbar machen müssen.“

„Ja.“ Sie versuchte, energisch zu klingen, was ihr kläglich misslang. „Da haben Sie recht“, sagte sie etwas resoluter.

„Das nächste Mal tue ich es ganz bestimmt.“

„Ich hoffe, Sie denken dran.“ Nun sah sie ihn an, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Doch sobald sie in seine Augen blickte, waren ihr Ärger auf Natalie und Dot und die Angst vor dem Graffiti-Terroristen vergessen. Aus der Nähe bemerkte sie in seinen braunen Augen goldene und bernsteinfarbene Sprenkel, die das Licht reflektierten wie ein alter Brandy in einer antiken Kristallkaraffe. Und wie ein guter alter Brandy waren sie voll Feuer und trügerischer Weichheit – genug, um jede Frau zu berauschen.

„Ganz bestimmt. Nun, wie finden Sie es? So übel ist es gar nicht, oder?“

„Wie?“, fragte sie begriffsstutzig, verwirrt von seinen Augen und der Berührung seiner Hände.

„Ich meine den Kaminsims. Ich weiß, ich bin nur ein Lehrling, aber so übel ist es gar nicht geworden, oder?“

„Oh … der Kamin. Ja, das haben Sie gut gemacht, aber …“

Er hatte einen schönen Mund – voll, aber nicht zu sehr, mit scharf gezogenen Linien. Ein sinnlicher Mund, wie geschaffen für lange, erregende Küsse und zartes Liebesgeflüster.

„Aber?“, fragte er und lächelte leicht.

Sie sah ihn an, als hätte sie noch nie einen Mann gesehen. Ihre großen blauen Augen blickten weich und erstaunt wie die eines kleinen Kindes. Ihre rosigen Lippen waren leicht geöffnet, sodass es fast wie eine unschuldige Einladung wirkte, und das eben noch blasse Gesicht war mit einem rosa Hauch überzogen. Jim bemerkte auch den raschen Pulsschlag an ihrem Hals, ein weiteres untrügliches Zeichen für ihre Bereitschaft.

Warum eigentlich nicht? dachte er. So große Komplikationen würde Sex nun auch wieder nicht bringen. Er neigte den Kopf, sah den verzückten Ausdruck in ihrem Gesicht und fühlte sich nun erst recht ermutigt, ihrer vermutlich unbewussten Aufforderung nachzugeben.

Andie stockte der Atem – für einen winzigen Moment ergab sie sich der Versuchung. Ihre Lider senkten sich, sie hob ihm das Gesicht entgegen, fühlte die vibrierende Spannung, die von ihm ausging, die Vorerwartung, die sexuelle Energie, die jeden ersten Kuss auslöst.

All dies spürte sie auch in sich selbst, und alles in ihr drängte danach, ihren Gedanken Taten folgen zu lassen. Dann plötzlich, als sein Mund ihre Lippen schon fast berührte, setzte ihr Verstand wieder ein. Sie stieß die Luft aus und wich zurück. „Sagen Sie mal, was wollen Sie eigentlich?“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Vielleicht … Sie küssen?“

„Also, das ist doch …“ Sie löste sich von ihm, ging um ihn herum und kehrte ihm den Rücken, um der Versuchung zu entfliehen. „Das ist …“

Er drehte sich zu ihr und musterte sie.

Sie merkte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. „Das meinte ich nicht“, log sie und versuchte, sich durch das Gewirr unterschiedlicher Gefühle zu lavieren – Anziehung, Faszination, Begehren, Angst. „Ich meinte, was Sie hier tun. Jetzt, um diese Zeit.“

„Ich arbeite hier, falls Sie das vergessen haben. Seit heute Morgen.“

„Aber es ist schon lange Feierabend. Die anderen sind vor über einer Stunde gegangen.“

„Sie sind noch hier.“

„Weil ich als Boss ein persönliches Interesse daran habe, lange zu arbeiten.“

„Und ich bin neu und noch in der Probezeit. Ich habe auch ein persönliches Interesse daran, lange zu arbeiten. Das verstehen Sie doch sicher.“

„Streber beeindrucken mich nicht“, gab sie schnippisch zurück, und es tat ihr sofort leid. „Entschuldigung, das war grob. Ich habe es nicht so gemeint. Es stimmt zwar, dass Streber mich nicht beeindrucken, aber ich wollte Ihnen nicht unterstellen, dass Sie …“ Sie hob die Hand und bedeckte für einen Moment ihre Augen. Dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus. „Es tut mir leid“, sagte sie und lächelte ihn reumütig an. „Ich bin etwas erschöpft, das ist alles.“

„Sie sind nervös und durcheinander.“

„Ja. Nein. Na ja, ein wenig.“

„Warum?“ Er war gespannt, ob sie ihm die Wahrheit sagen würde.

Sie tat es nicht. „Weil ich zum Frühstück nur ein trockenes Brötchen hatte und zum Lunch ein hart gekochtes Ei. Ich bin immer etwas gereizt, wenn ich Hunger habe. Sie können meine Kinder fragen.“ Diese letzte Information fügte Andie hinzu, damit er bloß nicht noch einmal versuchte, sie zu küssen. Jeder Mann ergriff die Flucht, wenn er erfuhr, dass das Objekt seiner Begierde Kinder hatte. „Die werden es Ihnen bestätigen.“

„Sie haben Kinder?“

„Drei. Mein Ältester ist achtzehn.“

„Achtzehn?“ Natürlich wusste er von ihren Kindern. Er war über alle wichtigen Fakten instruiert worden. „Sie haben einen achtzehnjährigen Sohn?“

„Ja. Kyle geht diesen Herbst an die Uni.“

„Sie müssen ein Baby gewesen sein, als Sie ihn bekommen haben.“

„Ich war zwanzig.“

„Zwanzig“, wiederholte er ungläubig und tat, als würde er in Gedanken addieren. Natürlich wusste er, wie alt sie war. „Sie sehen nicht aus wie achtunddreißig. Eigentlich sehen Sie noch nicht mal alt genug aus, um zur Wahl zu gehen.“

„Tja …“ Sie zuckte mit den Schultern, ignorierte seine Schmeichelei und erst recht ihre Freude darüber. Wichtig war, dass er jetzt die Tatsachen kannte und sich ihr nicht noch einmal nähern würde. Und da sie sich vor ihm sicher wähnte, sagte sie: „Sie kennen ja die Sprüche vom täuschenden Äußeren und so weiter.“

„Ja, die Sprüche kenne ich“, antwortete er leichthin. „Apropos Hunger – mir knurrt auch der Magen. Was halten Sie davon, wenn wir irgendwo einen Happen essen?“ Er konnte sich ein Lächeln kaum verkneifen, als ihre Augen sich vor Überraschung weiteten. Sie war sich so sicher gewesen, dass er das Interesse verloren hatte. „Wir müssen beide essen“, argumentierte er, bevor sie Nein sagen konnte. „Also können wir es ebenso gut gemeinsam tun … es sei denn, Ihre Kinder warten auf Sie.“

„Nein, ich …“

„Also, wo liegt dann das Problem?“

„Ich bin dreckig.“ Es war das erste Argument, das ihr einfiel. „Wir haben beide unsere Arbeitsklamotten an.“

„Wenn schon. Ich kenne einen netten kleinen Laden, wo es super Hamburger gibt und wo keiner sich drum schert, was man anhat. Es ist in Glen Lakes, kurz vor Minnetonka, also praktisch auf Ihrer Strecke nach Hause.“

Andie schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht …“

„Nur ein kurzes gemeinsames Mahl. Zwei Kollegen, die am Ende eines Arbeitstages zusammen eine Kleinigkeit zu sich nehmen. Ich verspreche Ihnen, dass ich mich nicht beim Boss einschmeicheln werde. Bitte sagen Sie Ja.“

Mit seiner Anspielung auf ihre Stellung als Chefin kriegte er sie herum. Er sollte nicht denken, dass sie ihn für einen berechnenden Schleimer hielt. Es war ihr schon unangenehm genug, dass sie ihn einen Streber genannt hatte. „Also gut. Ein rein kollegiales Essen – nicht mehr.“

„Strikt beruflich“, bestätigte er ernst. „Wir werden uns über die Techniken der Holzbehandlung unterhalten, und Sie können kritisieren, was ich an meinem ersten Tag vollbracht habe“, fügte er noch hinzu.

Andie lachte. Plötzlich freute sie sich auf den Abend.

4. KAPITEL

Das „Golden Nugget“ war ein kleines, einfaches Lokal mit lockerer Atmosphäre. An der Bar tranken ein paar Männer, die sich offensichtlich alle kannten, ihr Feierabendbier. Zwei junge Pärchen saßen um einen der Resopaltische und verdrückten riesige Hamburger. Der Anblick machte Andie den Mund wässerig – ganz zu schweigen von den verlockenden Düften, die aus der Küche drangen.

Jim und sie setzten sich in eine freie Nische am Fenster und bestellten zwei Hamburger, gut durchgebraten, einen großen gemischten Salat und Bier.

„Wohl bekomm’s.“ Der Kellner stellte die schaumgekrönten Biere vor sie hin. „Das Essen kommt sofort.“

„Danke.“ Jim prostete Andie zu, und sie tranken beide einen kräftigen Schluck. „Das tut gut, wenn man den ganzen Tag Staub geschluckt hat“, sagte er, und damit hatte er die Basis für seine Frage gelegt. „Wie kommt es, dass ein hübsches Mädchen wie Sie mit einem Werkzeuggürtel und Schutzhelm auf Baustellen schuftet?“

Andie warf ihm über den Rand ihres Glases einen kühlen Blick zu.

„Ich meinte … eine Frau“, korrigierte er sich mit einem entschuldigenden Lächeln. „Wieso arbeitet eine hübsche Frau wie Sie im Baugewerbe?“

„Wieso?“ Sie setzte den schweren Glaskrug ab und platzierte ihn genau auf den runden Filzdeckel. „Was ist so schlimm daran, wenn eine Frau auf dem Bau arbeitet?“

„Nichts. Es ist nur etwas ungewöhnlich – das ist alles. Bisher habe ich höchstens mal eine oder zwei Frauen auf einer Baustelle gesehen. Bei Ihnen arbeitet ein ganzes Frauenteam.“

„Gewöhnen Sie sich dran“, entgegnete sie trocken. „Immer mehr Frauen lernen Handwerksberufe.“

„Warum eigentlich? Schließlich ist es eine schwere und dreckige Arbeit.“

„Nicht schwerer als kellnern. Oder den ganzen Tag in der Kosmetikabteilung im Kaufhaus stehen und zum Mindestlohn Lippenstifte und Make-up anpreisen.“ Beides hatte Andie getan, bevor sie sich für ihren jetzigen Beruf entschied. „Der Verdienst im Handwerk ist viel besser. Die einzige Möglichkeit, ohne Collegeabschluss noch mehr Geld zu machen, wäre, mit dem Po zu wackeln – in Etablissements wie dem ‚Gentleman’s Club‘.“ Sie lächelte selbstironisch. „Und für so einen Job hab’ ich nicht genug Po.“

„Oh, ich weiß nicht. Ich würde dafür bezahlen, Sie mit dem Po wackeln zu sehen.“

Sie warf ihm einen strafenden Blick zu. „Ich dachte, dies sollte ein freundliches kollegiales Dinner sein. Sie halten sich nicht an unsere Abmachung.“

„Ich habe nicht damit angefangen.“

„Stimmt, es ist meine Schuld“, gab sie gnädig zu. „Vergessen wir’s, okay?“

„Schon passiert“, sagte er, was eine Lüge war. Denn er stellte sie sich bereits in einem G-String aus schwarzer Seide und mit Stilettos vor, auf einer halbdunklen Bühne, wo sie in sinnlichen Bewegungen zum Beat einer Rockband ihre Reize zur Schau stellte. Und Jim besaß eine äußerst lebhafte Fantasie. Er brauchte nicht einmal die Augen zu schließen, um Andrea Wagner als Showgirl vor sich zu sehen.

Klein, schlank, gelenkig, mit einem Körper, der so fest und kräftig war wie ihre Arme und Schultern. Kleine, aber perfekt geformte Brüste mit hübschen rosigen Knospen von derselben Farbe wie ihre Lippen. Und ihre cremige Haut würde sich wie Perlmutt gegen das schwarze Stoffdreieck zwischen ihren Schenkeln abheben.

Jim spürte die Reaktion seines Körpers und war froh, dass die massive Tischplatte seine Erregung vor ihr verbarg. Er griff nach seinem Glas und trank noch einen großen Schluck, um seine erhitzten Sinne zu beruhigen. Es half nicht. Er sah sie noch immer in dem schwarzen G-String, wie sie ihren biegsamen Körper zum sinnlichen Dschungel-Beat wiegte. Ihre kleinen festen Brüste wippten, ihre schmalen Hüften kreisten dicht über ihm, in einem nur für ihn vollführten Tanz. Er zwinkerte, um das Bild zu vertreiben.

„Also …“ So unauffällig wie möglich rückte er den Reißverschluss seiner Jeans zurecht, ehe er die Blutzufuhr zu einem sehr wichtigen Körperteil abschnitt. „Sie sagten, dass Sie drei Kinder hätten.“ Er suchte krampfhaft nach einem Gesprächsstoff, der ihn von seinen erotischen Fantasien ablenken könnte. „Wieso mussten Sie dann nicht sofort nach Feierabend nach Hause hetzen?“

„Weil Ferien sind. Die beiden Jüngsten verbringen den Sommer mit meinem Vater am Moose Lake, und mein Großer ist bei seinem Dad in Kalifornien.“

„Eine schmutzige Scheidung?“, fragte er, da ihre Stimme plötzlich hart klang.

„Nein, eigentlich nicht. Ich würde es kaltblütig nennen. Es ging ruck, zuck über die Bühne.“

Autor

Candace Schuler
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