Der Milliardär, der mich begehrte

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Seit zwei Jahren hat er sie nicht mehr gesehen, doch Milliardär Noah Grant hat Camilla nie vergessen. Sie war die Liebe seines Lebens. Trotzdem hat sie damals zu seinem Antrag Nein gesagt - denn sie glaubte nicht an seine wahren Gefühle. Jetzt ist er zurück, und schon bei ihrem ersten Wiedersehen weiß er: Er will Camilla noch immer. Und sie haben einen gemeinsamen Sohn, von dem sie ihm nie erzählt hat! Noah beschließt, um Camilla und sein Kind zu kämpfen. Er wird ihr beweisen, dass sie mehr als bloßes Verlangen verbindet …


  • Erscheinungstag 25.06.2019
  • Bandnummer 2087
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725273
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Auf ihrer nächtlichen Erkundungsfahrt waren sie mit dem gepanzerten Geländewagen in einen Hinterhalt geraten. Jetzt kämpften sie unter dem schwarzen, sternenlosen Himmel ums Überleben, nur eine zerbröckelnde Steinmauer zwischen sich und den Kugeln des Feindes. Noah Grant und seine Kameraden Mike und Jake hatten keine nennenswerten Verletzungen davongetragen, aber den vierten Mann dieser Mission der US Army Rangers, Captain Thane Warner, hatte es böse erwischt: Er war an Kopf, Brust und Beinen getroffen worden, herumfliegende Schrapnelle hatten am ganzen Körper tiefe Wunden hinterlassen.

Mit einem behelfsmäßigen Druckverband aus Uniformjacken versuchte Mike, Thanes schlimmste Blutungen zu stillen, und hoffte, seinen Captain und Freund so lange am Leben zu halten, bis Hilfe eintraf. Die Funkverbindung war inzwischen zusammengebrochen, aber angeblich war ein Helikopter unterwegs.

Eine Explosion keine zehn Meter entfernt ließ den Boden erbeben und sandte eine grelle Lichtsäule in den Himmel. Sofort winkte Mike Noah heran. „Er will mit dir reden. Lass uns die Plätze tauschen, und drück bitte auf die Wunden.“

Noah ließ die Waffe sinken und nahm Mikes Platz ein. Während er Druck auf die Wunden ausübte, um die Blutung zu stoppen, betete er, dass sein Freund es schaffen würde.

Thane atmete flach und stoßweise, es war offensichtlich, dass er große Schmerzen litt. Plötzlich packte er Noahs Arm. Noah musste sich vorbeugen, um die erstickte Stimme über dem Getöse der Explosionen zu verstehen.

„Du musst was für mich mit nach Hause nehmen. Zwei Päckchen.“ Thane wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. „Versprich mir das.“

„Natürlich.“

„Zwei Schlüssel … in meiner Tasche … identisch. Der zweite … für Jake, Mike hat bereits einen.“

„Still jetzt! Spar dir deine Kraft.“ Noah wühlte in Thanes Hosentaschen. Es war nicht einfach, dabei gleichzeitig den Druck auf die Wunden aufrechtzuerhalten, aber irgendwie gelang es ihm. „Hab sie!“

Thanes Lider flatterten. „Geschenke … Camilla und Ethan.“ Er verstummte und schloss die Augen.

Noah beugte sich über ihn. „Thane! Halt durch, Junge! Ich höre schon den Hubschrauber.“

Wieder flatterten Thanes Lider, doch mit erstaunlicher Kraft umschloss er Noahs Handgelenk. „Versprich mir, dass du es Camilla bringst.“

„Versprochen. Ich drücke es ihr persönlich in die Hand“, sagte Noah, obwohl er lieber nicht darüber nachdenken wollte, was das bedeutete.

„Das andere … für meinen Neffen … Nur ihm selbst, keinem anderen ... Will, dass er einen Soldaten sieht. Auf keinen Fall Camilla ... Versprich mir das, auch wenn …“

„Du hast mein Wort, dass ich das Päckchen deinem Neffen persönlich in die Hand drücken werde.“

Ruckartig schlug Thane die Augen wieder auf und musterte Noah so eindringlich, dass ihm mulmig wurde.

„Ich schwöre dir, dass ich es dem Baby in die Hand drücke“, wiederholte Noah.

Damit schien sich der Verwundete zufriedenzugeben, denn er nickte und schloss die Augen. „Hol Jake.“

Noah musste mehrmals rufen, ehe Jake ihn hörte. Als er sich Thane wieder zuwandte, bemerkte er zu seinem Entsetzen, dass Thanes Augen immer noch geschlossen waren. Hektisch tastete Noah nach seinem Puls und war überrascht, als er ihn tatsächlich fühlte.

Jake kroch zu ihnen, während die nächste Explosion den Boden wanken ließ. Noah drückte ihm einen der Schlüssel in die Hand. „Den soll ich dir von Thane geben. Er wird dir erklären, was es damit auf sich hat. Drück die Jacken fest auf die Wunden. Wo bleibt bloß dieser verflixte Helikopter?“

„Keine Ahnung. Angeblich ist er auf dem Weg.“

„Können die sich nicht ein bisschen beeilen? Er hat zu viel Blut verloren.“ Noch einmal beugte sich Noah über Thane. „Jake ist da“, rief er, dann überließ er es Jake, sich um den Verletzten zu kümmern.

Er kroch zu seiner Stellung zurück, als er über das Peitschen der Schüsse und das Wummern der Granaten hinweg ein anderes Geräusch wahrnahm. War das das angekündigte Rettungskommando? Seufzend öffnete er die Faust und betrachtete den messingfarbenen Schlüssel, der auf seiner von Thanes Blut verschmierten Handfläche lag. Wenn er eines absolut nicht tun wollte, dann war das, Camilla ein Päckchen von Thane zu überbringen. Sie hatten sich vor einer Weile getrennt, und Noah war davon ausgegangen, dass er sie nie wiedersehen würde. Es tat nämlich immer noch weh, an sie zu denken. Nein, er wollte sie weder sehen noch mit ihr reden oder sonst etwas tun, das alte Wunden aufriss. Die Trennung war ihm unglaublich schwergefallen, aber er hatte es durchgezogen. Und jetzt kam Thane mit seiner Bitte und ließ ihm keine andere Wahl. Offenbar war es Noah nicht vergönnt, Camilla zu vergessen.

1. KAPITEL

Noah

Sechs Monate später, im Juli, war Noahs Zeit bei den US Army Rangers vorüber. Er war in allen Ehren entlassen worden und mit einer ellenlangen To-do-Liste ausgestattet wieder ins zivile Leben gestartet. Diese Liste hatte er inzwischen systematisch abgearbeitet. Ein einziger Punkt stand noch offen: Thanes Päckchen bei Camilla abliefern. Große Lust hatte er wenig auf einen Besuch bei ihr und ihrem Baby, aber er hatte sein Wort gegeben, und das würde er halten.

Verdrießlich betrachtete er die beiden Päckchen. Das für das Baby enthielt ein Buch, so fühlte es sich wenigstens an. Beide waren in braunes Papier gewickelt, wie er es von Lebensmitteltüten kannte. Gebrauchtes Papier, sorgfältig glattgestrichen. Das Geschenk für Camilla war etwas größer als das andere, aber sehr flach, eine Art Schatulle oder Etui. Beide waren nicht besonders schwer und mit brauner Paketschnur zugeschnürt. Eigentlich ein einfacher Auftrag: die Dinger übergeben und sich wieder vom Acker machen. Leider rief der bloße Gedanke an ein Wiedersehen mit Camilla eine Menge unerwünschter Erinnerungen wach.

Der erste Weg nach seiner Rückkehr hatte Noah zu seinen Eltern nach Dallas geführt. Seine Mom war in Tränen ausgebrochen, als sie ihm zur Begrüßung um den Hals gefallen war. Schmal war sie geworden, und sie wirkte zerbrechlicher als bei seiner Abreise nach Afghanistan, wie Noah auffiel, als er sie in die Arme schloss. Auch sein Dad kam ihm ungewöhnlich blass vor, obwohl er Noah mit demselben festen Händedruck und seinem vertrauten warmen Lächeln begrüßt hatte.

Auch an diesem Abend war Noah auf dem Weg zu dem imposanten Anwesen seiner Eltern, wo sich die gesamte Familie versammelt hatte, um seine Rückkehr zu feiern.

„Schön, dass du wieder da bist!“ Noahs Schwägerin Hallie, eine hochgewachsene, attraktive Frau mit blondem Haar und braunen Augen, umarmte ihn als Erste, gefolgt von ihrem Mann, Noahs Bruder Ben. Bis auf die Tatsache, dass Bens dunkles Haar sich nur leicht wellte, während Noah eine Mähne aus dichten schwarzen Locken hatte, sahen sich die Brüder zum Verwechseln ähnlich. Auch Ben freute sich aufrichtig, seinen Bruder gesund zurückzuhaben.

Noahs Mutter scheuchte alle ins Wohnzimmer, wo sie zusammensaßen und sich gegenseitig auf den neuesten Stand brachten. Erneut fiel Noah auf, wie sehr seine Eltern während seiner Militärzeit gealtert waren.

Plötzlich flog die Tür auf, und Stefanie, Noahs kleine Schwester, stürmte herein und warf sich mit einem Freudenschrei in Noahs Arme. Manche Dinge ändern sich einfach nie, stellte er belustigt fest. Dazu gehörte die Tatsache, dass seine kleine Schwester keine Gelegenheit ausließ, um einen großen Auftritt hinzulegen. Doch einiges ist doch anders, dachte er wehmütig. Unsere Eltern sind das beste Beispiel.

Trotzdem war es ein gutes Gefühl, wieder zu Hause zu sein. Für Noah gab es nichts Wichtigeres als die Familie, und er wünschte sich nichts sehnlicher, als eines Tages selbst solch eine Familie zu haben. Warum ihm in diesem Zusammenhang Camilla in den Sinn kam, verstand er nicht, aber es erschreckte ihn. Schließlich hatten sie sich schon vor drei Jahren getrennt. Wie konnte es sein, dass er ihr immer noch nachtrauerte? Und wie kam es, dass er immer noch automatisch ihr Bild vor Augen hatte, wenn er sich seine zukünftige Frau, die Mutter seiner Kinder, vorstellte? Das musste aufhören. Sofort!

Gegen zehn Uhr gingen seine Eltern zu Bett, und Noah blieb mit Ben, Hallie und Stefanie zurück. Als Hallie unmittelbar darauf Stefanie unter einem fadenscheinigen Vorwand aus dem Zimmer lockte, wurde Noah stutzig, und als Ben ihn dann auch noch ins Arbeitszimmer ihres Vaters bat, wusste er, dass ihm ein ernstes Gespräch bevorstand.

„Was liegt an?“, fragte er seinen Bruder. „Du hast doch irgendwas auf dem Herzen, das spüre ich.“

„Allerdings. Mom hat mich gebeten, mit dir zu reden. Sie selbst kann über das Thema nicht sprechen, ohne dass Tränen fließen.“

Von düsteren Vorahnungen geplagt, setzte Noah sich in einen Ledersessel und ließ den Blick durch den vertrauten Raum schweifen, der seinem Vater als Homeoffice diente. Er musste daran denken, wie bleich und still sein Vater gewesen war. „Es ist was mit Dad, oder?“

„Ja. Hätte mich auch gewundert, wenn es dir nicht aufgefallen wäre. Er hat Probleme mit dem Herzen. Während du weg warst, hatte er einen Herzinfarkt. Man musste ihm einen Bypass legen.“ Ben setzte sich zu Noah. „Er hat ziemlich abgebaut, aber trotzdem stellt er sich eisern jeden Tag aufs Laufband.“

„Oh, das ist natürlich heftig.“ Plötzlich spürte Noah selbst einen gewaltigen Druck in der Brust. Wehmütig dachte er an seine Kindheit zurück. Was hatte er mit seinem Vater herumgetollt. Sie hatten Ball gespielt, waren schwimmen gegangen ... „Wie hat Stefanie es aufgenommen?“

„Eigentlich schlägt sie sich ganz wacker. Sie betüddelt ihn nach Strich und Faden, das tut ihnen beiden gut. Sie leitet übrigens inzwischen die Niederlassung von Dallas Grant Immobilien im Norden der Stadt und macht sich richtig gut.“ Ben schüttelte den Kopf. „Ehrlich gesagt, hätte ich unserer flatterhaften kleinen Schwester so viel Geschäftssinn gar nicht zugetraut. Im Frühjahr hat sie außerdem unser Anwesen in Texas komplett renoviert, den Familiensitz in Colorado will sie sich im Herbst vorknöpfen. Keine Ahnung, wo sie die Energie dafür hernimmt. Ganz nebenbei nimmt sie auch noch eine Menge gesellschaftlicher Verpflichtungen wahr und unterstützt diverse wohltätige Einrichtungen. Eli und ich natürlich auch – du erinnerst dich sicher an Dads Predigten von wegen ‚der Allgemeinheit dienen‘.“

„Er ist bestimmt unglaublich stolz auf euch.“

Ben sah ihm fest in die Augen. „Wir sind alle unglaublich stolz auf dich und deinen Einsatz bei den US Army Rangers.“

Noah zuckte die Achseln. „Dad war doch auch bei der Army. Genau wie sein Vater und dessen Vater. Alte Familientradition. Allerdings reicht es vollauf, wenn sich einer aus jeder Generation verpflichtet. Bleib also bitte zu Hause!“

Ben winkte ab. „Keine Angst, ich habe auch so alle Hände voll zu tun.“ Er fuhr sich durchs Haar. „Seit Dad krank ist, habe ich die Firmenleitung übernommen. Vielleicht könntest du in Zukunft ja ein-, zweimal im Monat vorbeischauen, um dich auf dem Laufenden zu halten, damit du im Notfall einspringen kannst.“

„Hm. Hast du keinen Stellvertreter?“

„Schon, aber da Dad jetzt ausfällt, solltest du das Immobiliengeschäft kennenlernen, finde ich.“

„Dann kommst du aber zum Ausgleich jeden Monat für ein paar Tage auf die Ranch.“

„Du weißt, dass ich einen lausigen Rancher abge…“

Lachend schüttelte Noah den Kopf. „War nur ein Scherz! Du wärst, glaube ich, keine große Hilfe. Du weißt ja noch nicht mal, wo beim Pferd vorne und hinten ist.“

Erleichtert ließ Ben sich zurücksinken. „Hast du mir einen Schrecken eingejagt! Aber um auf Dad zurückzukommen: Er hat morgen einen Termin für ein paar medizinische Tests. Diese ganzen Untersuchungen schlauchen ihn ungemein. Daher kommt er kaum mehr ins Büro.“ Eindringlich sah Ben seinen Bruder an. „Ich will dir ja keine Angst einjagen, Noah, aber ich sähe dich wirklich gern in der Geschäftsleitung.“

„Okay, das sehe ich ein, und ich bin auch bereit dazu – vorausgesetzt, ich muss nicht in einem Büro sitzen. Mein Leben ist die Ranch.“ Noah war aufgesprungen und marschierte erregt auf und ab. „Weißt du, ich dachte, wenn ich zurückkomme, könnte ich genau da weitermachen, wo ich aufgehört habe. Das war offenbar ganz schön naiv von mir.“ Er blieb stehen. „Was du mir da erzählt hast, ist ein ziemlicher Hammer. Aber danke, dass du es mir gesagt hast! Und danke, dass ihr es mir verschwiegen habt, solange ich im Einsatz war. Thanes Tod war schlimm genug. Wir waren schon auf der Schule befreundet. Aber seine Verletzungen waren so schwer … man konnte nichts mehr für ihn tun. Wie läuft’s denn eigentlich bei dir?“

„Das Geschäft brummt“, meinte Ben, „privat … na ja.“ Er zögerte. „Hallie und ich versuchen schon seit unserer Hochzeit, ein Kind zu bekommen, und seit wir von Dads Herzproblemen wissen, wäre es doppelt wichtig. Schließlich soll er sein erstes Enkelkind noch kennenlernen.“ Ben schüttelte den Kopf. „Anscheinend ist es nichts Medizinisches. Die Ärzte sagen, wir sollen uns nicht unter Druck setzen, dann klappt es schon. Es wäre halt schön für Mom und Dad.“ Er stockte. „Entschuldige, wenn ich frage, aber warst du schon bei Camilla?“

Noah zuckte zusammen, als er diesen Namen hörte. „Noch nicht, aber es bleibt mir nicht erspart. Thane hat mir etwas mitgegeben, das ich ihr und dem Kind geben soll.“

„Ihre Ehe hat vielleicht zwei, drei Monate gehalten. Gerade lang genug, damit der Kerl ihr ein Kind anhängen konnte. Dann ist er über alle Berge, noch ehe die Scheidung durch war. Es heißt, dass er sich überhaupt nicht für das Kind interessiert.“

„Soll vorkommen. Weißt du, zwischen uns ist es aus und vorbei“, entgegnete Noah, auch wenn ihm dabei ein dicker Kloß im Hals steckte. „Sie behauptet, ich wäre ein notorisches Alphatier, alle anderen müssten immer nach meiner Pfeife tanzen. Das sagt die Richtige. Wie heißt es doch so schön? Wer im Glashaus sitzt … Außerdem will sie nicht weg aus Dallas. Sie hat mich nicht ein einziges Mal auf der Ranch besucht.“

„Schade! Ich hatte den Eindruck, ihr würdet gut zusammenpassen.“

Das hatten sie auch. Ein Jahr lang waren sie ein Paar gewesen, dann war Noah zur Army gegangen. „Tja, lange her.“ Er ging zur Tür. „Ich gehe dann mal. Ich melde mich morgen bei Dad. Und du sagst Bescheid, wenn du mich brauchst. Ich bleibe noch eine Weile in Dallas, weil ich noch was zu erledigen habe und ein bisschen Zeit mit Dad verbringen will.“

„Fein. Ich bin froh, dass du wieder zu Hause bist. Und das mit Camilla tut mir leid.“

„Ja, mir auch.“ Es tut auch immer noch weh, darüber zu sprechen, stellte Noah fest. „Ich kann nur die Ranch nicht einfach aufgeben. Das ist, als müsste ich mich selbst verleugnen.“

Noah verabschiedete sich noch von Stefanie und Hallie, und Stefanie begleitete ihn bis zu seinem Wagen. „Was ist mit Camilla?“, fragte sie auf dem Weg nach draußen. „Hast du ihr Baby schon gesehen?“

„Nein. Zwischen uns ist es aus und vorbei.“

„Bist du traurig deswegen? Das tut mir leid. Hast du Lust, am Freitag mit mir auszugehen? Mal wieder einen draufzumachen?“

Lachend drückte Noah seine kleine Schwester an sich. „Willst du ernsthaft so einen alten Mann wie mich mitschleifen? Lieb gemeint, aber lieber nicht.“

„So viel älter als meine Freunde bist du nun auch wieder nicht. Ein paar sind sogar noch älter als du.“ Stefanie berührte kurz seinen Arm. „Du kannst es dir ja noch mal überlegen. Übrigens, ich bin eine der Organisatorinnen des ‚Balls der Herzen‘ …“

Noah musste schmunzeln. „Schon überredet. Ich buche einen ganzen Tisch, egal, wie viele Karten ich dafür kaufen muss.“

„Wie lieb! Danke! Der Ball findet zwar erst in drei Monaten statt, aber mit dem Ticketverkauf kann man nie früh genug anfangen.“ Stefanie schloss ihren roten Sportwagen auf und wandte sich dann noch einmal zu Noah um. Schlagartig wirkte sie ernst. „Ben hat dir das von Dad erzählt, oder?“

„Ja. Ich rede die Tage mal mit Dad. Er hat morgen wieder einen Termin beim Arzt.“

„Ich mache mir solche Sorgen um ihn, aber ich versuche, mir das ihm gegenüber nicht anmerken zu lassen. Er schlägt sich ganz wacker, aber er ist nicht mehr der Alte, oder wie siehst du das?“

„Natürlich merkt man es ihm an.“ Noah zog seine Schwester in die Arme. „Wenn du eine Schulter brauchst, an der du dich ausweinen kannst – jederzeit.“

Sie sah zu ihm hoch. „Darauf komme ich zurück. Du bist ein toller großer Bruder.“

Er umarmte Stefanie noch einmal, dann stieg sie ein und fuhr los. Auch Noah machte sich auf den Weg zu der Wohnung, die er in Dallas unterhielt. Zunächst kreisten seine Gedanken um die Gesundheit seines Vaters, aber irgendwann landeten sie bei Camilla. Wenn er daran dachte, dass er sie bald wiedersehen würde, beschleunigte sich sein Puls, und sein Herz verkrampfte sich. Er hatte die Begegnung lange genug hinausgezögert. Auch wenn alte Wunden wieder aufreißen würden, es war an der Zeit, sein Versprechen einzulösen.

Stefanie

Stefanie fuhr zu ihrer Wohnung im Stadtzentrum von Dallas, die sie nicht aufgeben wollte, obwohl ihr Büro in einem der Vororte lag. Dort angekommen, stellte sie sich ans Fenster und blickte über die Stadt, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Sie war unendlich dankbar, dass ihr ältester Bruder heil aus dem Krieg zurückgekehrt war. Noah war der ruhende Pol in der Familie.

Umso merkwürdiger war es, wie schroff und kurz angebunden er reagiert hatte, als sie Camilla erwähnt hatte. Sie hatte Camilla immer ganz sympathisch gefunden – bis die Noah das Herz gebrochen hatte. Und das, kurz bevor er in den Krieg gezogen war. Monatelang hatte Stefanie gezittert, weil sie sich vorstellte, dass er sich vor lauter Liebeskummer nicht auf seine Mission konzentrieren konnte. Auf feindlichem Gebiet war so etwas unter Umständen tödlich.

Camilla … Nicht zum ersten Mal fragte sich Stefanie, ob sie nur geheiratet hatte, um Noah eins auszuwischen. Die Ehe hatte nur ein paar Monate gehalten, dann hatte Camillas Mann sich aus dem Staub gemacht. Die Schwangerschaft war sicher nicht geplant gewesen, der Typ jedenfalls hatte das Kind nicht gewollt.

Und Noah … Der hatte ziemlich fertig gewirkt heute Abend. Der Gesundheitszustand ihres Dads und dann diese üble Sache mit Camilla … Er brauchte eine Freundin. Jemanden, der ihn auf andere Gedanken brachte und ihm half, über die Trennung hinwegzukommen. Auf Anhieb fielen ihr da zwei Namen ein, und eine der beiden Damen war zufällig auch zu Vivian Warners Hochzeit eingeladen. Was wollte man mehr? Vivian Warner, Thanes Witwe, würde in der kommenden Woche nämlich ein zweites Mal vor den Altar treten. Stefanie würde mit ihr reden, denn Noah brauchte dringend eine Frau, die ihn glücklich machte.

Außerdem würde Stefanie dafür sorgen, dass Camilla aus Dallas verschwand und damit aus dem Leben ihres Bruders. Vielleicht fing Noah dann endlich an, sich für andere Frauen zu interessieren.

Camilla

Camilla trat ein paar Schritte zurück und musterte die Auftragsarbeit auf der Staffelei – das Porträt eines Geschwisterpaares. Das Foto, das ihr als Vorlage diente, hatte sie mit dem iPad aufgenommen. Jeden Morgen stand sie früh auf und malte, solange Ethan noch schlief. Still und friedlich war es dann in dem weiträumigen Atelier, und wenn sie einmal eine Pause brauchte, konnte sie beobachten, wie die Sonne über ihrem Grundstück aufging.

Eine Wand des geräumigen Studios, das sie sich in ihrer Villa eingerichtet hatte, war komplett verglast. Die ersten Sonnenstrahlen fielen auf die Staffeleien mit Camillas Aquarellen, Kohlezeichnungen und Porträts und auf das riesige Landschaftsbild, das eine zweite Wand fast vollständig bedeckte. Entlang der anderen Wände reihten sich Regale, in denen Camilla die Fläschchen mit Acryl und Tuben voller Ölfarbe aufbewahrte, und Schubkästen für ihre Zeichnungen und Drucke. Neben dem Tisch, an dem sie gewöhnlich arbeitete, waren zwei Waschbecken angebracht.

Camilla hatte die Tür zum Garten geöffnet, um frische Luft herein- und den Geruch frischer Farbe herauszulassen. Von all ihren Studios – sie hatte noch eines in einer anderen Wohnung und ein weiteres in einem Bürogebäude in Dallas – war ihr dieses hier das liebste.

Während sie ihre Pinsel reinigte, fiel ihr Blick auf eine Bleistiftskizze von Noah. Sie hatte sie nach einem Foto gezeichnet, kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten. Jetzt stand sie eingerahmt auf einem der Schränke. Sie mochte dieses Bild. Sie hatte Noah in verschiedenen Schattierungen von Schwarz und Grau auf weißem Hintergrund gezeichnet. Nur seine Augen, die von einem leuchtenden Blau waren, hatte sie versucht naturgetreu wiederzugeben. Noah lächelte verhalten auf dem Bild, und sein Haar war zerzaust wie immer. Erst als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, waren die dunklen Locken dem militärischen Reglement zum Opfer gefallen.

Einerseits graute ihr vor dem Tag, an dem sie ihn wiedersehen würde, andererseits vermisste sie ihn. Einerseits plagte sie das schlechte Gewissen ihm gegenüber, andererseits musste sie ständig an ihn denken – an seine Küsse, seine Umarmung. Kopfschüttelnd räumte sie die Pinsel an ihren Platz. Wie sollte das nur weitergehen? Sogar im Musical gestern Abend waren ihre Gedanken urplötzlich zu Noah abgedriftet. Er hatte seinen Dienst abgeleistet und war wieder zu Hause.

An der Wand hinter ihrem Schreibtisch hing ein Kalender, in dem sie die Abgabetermine für ihre Aufträge notierte sowie andere geschäftliche und private Termine, unter anderem auch die zweite Hochzeit der Witwe ihres Bruders. Spätestens da würde sie Noah wiedersehen.

Es war seltsam: Obwohl sie Noah vor zwei Jahren, bei seinem letzten Heimaturlaub, zum letzten Mal getroffen hatte, ging er ihr einfach nicht aus dem Sinn. Schon damals hatte er genau den Typ Mann verkörpert, den sie nicht ausstehen konnte: den rechthaberischen Anführer. Trotzdem hatte ihr Herz einen Schlag ausgesetzt, als sie mitbekommen hatte, dass er aus dem Krieg zurückgekommen war. Einen Moment lang hatte sie die Streitereien vergessen und nur an die schönen Zeiten gedacht. Daran, wie er sie zum Lachen gebracht, wie er sie in den Arm genommen und geküsst, sie aufs Bett gezogen hatte …

Schluss damit!

Es hatte doch keinen Sinn, solchen Erinnerungen nachzuhängen. Okay, es hatte auch schöne Augenblicke gegeben, aber es war vorbei! Warum also flatterte ihr Herz bei dem Gedanken, ihn wiederzusehen? Woher diese Nervosität?

Sie hatten sich nach einem bösen Streit getrennt, für den Camilla verantwortlich gewesen war, weil sie behauptet hatte, sie beide hätten keine Zukunft. Camillas Vater war ein herrschsüchtiger Mann, der mit eiserner Faust über die Familie bestimmte, und ihre Mutter hatte immer nur nachgegeben. So wollte Camilla nicht leben, das hatte sie sich geschworen. Sie wollte ihre eigenen Entscheidungen treffen.

Auch ihr Bruder Thane – bei aller Liebe, die sie für ihn empfand – war so ein Tyrann gewesen. Sie würde also sicher nicht den Fehler machen und sich an einen Mann binden, der aus dem gleichen Holz geschnitzt war.

Noah und sie waren so gegensätzlich, dass sie bis heute nicht verstand, was sie zueinander hingezogen hatte. Zum Beispiel würde sie heute zu einer Freilichtaufführung eines Shakespeare-Stücks gehen, ein Event, zu dem sie Noah im Leben nicht begleitet hätte. Er war nie mit in die Oper oder ins Ballett gegangen, und selbst in eine Galerie hatte sie ihn kaum jemals mitschleifen können. Dabei liebte Camilla Theater, Konzerte, Ausstellungen – alles, was eine Stadt an kulturellen Möglichkeiten bot. Noah dagegen war trotz seines Reichtums im Herzen ein Cowboy. Er liebte seine Ranch, verräucherte Kneipen, Countrymusic, Rodeos und die Fliegerei. Er strotzte vor Kraft und Vitalität, war sich für keine Arbeit zu schade, sagte aber auch gern, wo es langging. Und Camilla hatte nicht vor, sich lebenslang an einen Cowboy zu binden, der darauf bestand, dass alle nach seiner Pfeife tanzten.

Warum also schmolz sie jedes Mal dahin, wenn sie in seine leuchtend blauen Augen sah? Warum brauchte es nur einen Kuss von ihm, um sie in Flammen aufgehen zu lassen? Wie schaffte er es, dass sie die Welt vergaß, wenn sie mit ihm zusammen war? Dass sie vergaß, was sie liebte und was sie hasste, und einfach nur in seiner Nähe sein wollte?

Genau das war bei ihrer letzten Begegnung während seines Fronturlaubs in Texas nämlich geschehen: Erst hatten sie sich gestritten, aber schließlich waren sie im Bett gelandet. Wieder einmal hatte er sie herumgekriegt. Denn trotz aller Unterschiede und obwohl Camilla eigentlich nichts zu schaffen haben wollte mit diesem ungestümen, von sich selbst überzeugten Rancher, der keiner Herausforderung aus dem Weg ging, war sie seinem Charme erlegen und hatte das Wochenende mit ihm im Bett verbracht. Mit den Konsequenzen lebte sie jetzt jeden Tag.

Das Militär hatte ihm gutgetan. Was war er heiß gewesen damals, vor zwei Jahren: breite Schultern, schmale Hüften, top in Form und mit einer phänomenalen Ausdauer im Bett. Wenn Camilla bloß daran dachte, schlug ihr Herz schneller.

Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte, und konnte nicht ausschließen, dass er sie nur zu umarmen brauchte, um ihre ganze Entschlossenheit und ihren Widerstand dahinschmelzen zu lassen.

Autor

Sara Orwig
<p>Sara’s lebenslange Leidenschaft des Lesens zeigt schon ihre Garage, die nicht mit Autos sondern mit Büchern gefüllt ist. Diese Leidenschaft ging über in die Liebe zum Schreiben und mit 75 veröffentlichten Büchern die in 23 Sprachen übersetzt wurden, einem Master in Englisch, einer Tätigkeit als Lehrerin, Mutter von drei Kindern...
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