Der Zauber dieses Tanzes ...

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Nur einen Abend lang will sie die nervenaufreibende Suche nach Louis DuLac vergessen! Kurz entschlossen lässt Samantha sich in dem eleganten Jazzclub zum Tanz auffordern. Und es knistert heftig zwischen ihr und dem attraktiven Fremden, dessen sinnlichem Zauber sie erliegt – auf der Tanzfläche und später auch … Morgen, das schwört Samantha sich, wird sie weiter nach dem Sohn ihres verstorbenen Mannes suchen. Und wenn sie ihn gefunden hat, soll er mit nach New York reisen und seine Geschwister kennenlernen. Noch ahnt sie nicht, dass sie Louis längst begegnet ist …


  • Erscheinungstag 02.02.2010
  • Bandnummer 1601
  • ISBN / Artikelnummer 9783862955626
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Samantha Hardcastle kam sich völlig überdreht vor. Von den ausgelassenen Menschen, die zur Happy Hour die Bourbon Street bevölkerten, wurde sie geschubst und angerempelt. Mehr als einmal wäre sie in den nagelneuen roten Christian-Louboutin-Sandalen fast gefallen.

Sie drängte sich durch die Menge hindurch, gelangte in eine ruhigere Nebenstraße und rang nach Atem. Straßenlaternen und Neonschilder blendeten sie. Die Säulen, die die schmiedeeisernen Balkone über ihr stützten, umgaben Samantha wie bedrohlich aufragende Bäume in einem verzauberten Wald.

Ihr war schwindelig. Wahrscheinlich, weil sie vergessen hatte, etwas zu essen. Hatte sie überhaupt gefrühstückt, bevor sie abgeflogen war?

Sie knickte um und hielt sich an einer Steinmauer fest. Irgendwie hatte Samantha sich auf dem Weg vom Schuhgeschäft zum Hotel verlaufen. Die Sonne war untergegangen und hatte die ihr unbekannte Stadt in einen Ort voller Schatten verwandelt, in dem sie den Weg zurück nicht mehr fand. Seit dem Tod ihres Mannes kam es Samantha so vor, als könnte sie nichts mehr richtig machen. Jeder Tag kostete sie mehr Energie, als sie besaß.

„Alles okay mit Ihnen?“, fragte plötzlich eine tiefe Stimme.

„Ja, danke“, erwiderte Samantha, ohne die Hand von der Mauer zu nehmen. Die dunkle Straße schien sich plötzlich zu bewegen.

„Nein, Ihnen geht es gar nicht gut. Kommen Sie rein.“

„Nein, wirklich, ich …“ Aus Angst, gekidnappt zu werden, wehrte Samantha sich, als sie den kräftigen Arm um ihre schlanke Taille spürte.

„Es ist nur eine Bar. Sie können sich hinsetzen und einen Moment ausruhen.“

Er führte sie zu einer Glastür, durch die warmes Licht schien. Dann trieben ihr die beruhigenden Töne einer Gitarre entgegen, überraschenderweise roch es nicht nach Bier.

„Dort drüben steht ein gemütlicher Sessel.“

Die Stimme des Mannes klang gebieterisch, aber auch besänftigend. Der große Raum war opulent gestaltet. Der glänzende Holzfußboden, die hohen Decken und sanften Farben erinnerten Samantha an einen Saloon aus der Jahrhundertwende.

Sie ließ sich zu dem ledernen Sessel in einer dunklen Ecke führen. „Danke“, murmelte sie. „Ich weiß nicht, was mit mir ist.“

„Ruhen Sie sich erst einmal aus. Ich bringe Ihnen etwas zu essen.“

„Aber ich brauche nicht …“

„Doch, Sie brauchen etwas.“

Obwohl er ihr sofort widersprach, meinte Samantha, einen Anflug von Humor zu hören.

Vielleicht hatte er recht. In letzter Zeit vergaß sie ständig zu essen. Ihr war der Appetit vergangen – auf alles.

Neugierig sah sie sich um. Es saßen nicht wenige Leute an den Tischen in der Mitte und in den Nischen des Raums. Anders als draußen, wo eine ausgelassene, fröhliche Stimmung herrschte, wurde hier leise gesprochen und gelacht. Zwei Kellner schoben einen Tisch vor sie, auf dem bereits eine gestärkte Tischdecke lag und der mit glänzendem Besteck gedeckt war. Kurz darauf wurde Samantha ein dampfendes Gericht serviert.

„Hier, Flusskrebse mit Wildreis. Genau das, was der Arzt verschrieben hat.“

„Danke.“ Sie sah den Mann an, der eine so beruhigende Wirkung auf sie hatte. „Sie sind sehr freundlich.“

„Oh, das hat nichts mit Freundlichkeit zu tun.“ Seine hellbraunen Augen funkelten humorvoll. „Ich mag es nur nicht, wenn direkt vor meiner Tür Leute in Ohnmacht fallen. Ist schlecht fürs Geschäft.“

„Na ja, benommene Frauen in die Bar zu zerren ist ja auch eine Art, das Geschäft anzukurbeln“, meinte sie und lächelte schüchtern.

Er erwiderte ihr Lächeln voller Wärme, und Samantha betrachtete seine markanten Gesichtszüge, das zerzauste dunkle Haar … Er sah viel zu gut aus, als dass man ihm vertrauen konnte.

„Warum starren Sie mich so an?“, fragte sie nervös.

„Ich warte darauf, dass Sie die Gabel nehmen und essen.“

„Oh.“ Gehorsam griff sie nach der Gabel und kostete unter den wachsamen Blicken des Mannes. Ein köstliches Aroma breitete sich auf ihrer Zunge aus, als sie in das zarte, würzig marinierte Krustentier biss.

„Mhm, das ist gut.“

Lächelnd bedeutete er ihr weiterzuessen. „Und was kann ich Ihnen zu trinken bringen?“ Er stellte die Frage mit einem leicht verführerischen Unterton. Nicht wie ein Kellner, sondern eher wie jemand, der zu flirten versuchte.

Samantha wurde mulmig zumute. Sie hatte sich davor gefürchtet, wieder Single zu sein. „Nur ein Glas Wasser, bitte“, sagte sie kurz angebunden und geschäftsmäßig. So wie es sich für eine reiche Park-Avenue-Witwe gehörte.

Er ging, Samantha seufzte erleichtert und aß weiter.

Sie war den ganzen Tag lang durch New Orleans gelaufen und hatte versucht, den Mann zu finden, der vermutlich ein weiterer unehelicher Sohn ihres verstorbenen Mannes war. Es war ihr schließlich sogar gelungen, Louis DuLacs Haus in der Royal Street ausfindig zu machen, doch er war nicht dort gewesen. Sie hatte es zweimal versucht. Beim zweiten Mal hatte die Haushälterin ihr die Tür praktisch vor der Nase zugeknallt.

In der Stadt fand irgendein Festival statt, und es wimmelte von Touristen. Daran hatte Samantha nicht gedacht. Als sie ihre Reise geplant hatte, war nur ein Anruf nötig gewesen, um den Privatjet ihres Mannes bereitstellen zu lassen. Und das Hotelzimmer kostete zwar zehntausend Dollar pro Nacht, aber es war frei gewesen.

Plötzlich ploppte ein Korken aus einer Flasche, Samantha blickte auf. Sündhaft teurer Champagner. Offenbar nahm ihr selbsternannter Retter an, dass sie sich das leisten konnte.

Selbst schuld, dachte Samantha. Wenn er die roten Louboutin-Schuhe gesehen hat … „Oh, ich wollte keinen …“

„Geht aufs Haus“, murmelte er, während er eine große Sektflöte füllte.

Sie blinzelte. „Warum?“

„Weil Sie zu schön sind, um so traurig auszusehen.“

„Ist Ihnen schon in den Sinn gekommen, dass es vielleicht einen Grund dafür gibt, warum ich so traurig aussehe?“

„Ja.“ Er reichte ihr das Glas und zog sich einen Stuhl heran. „Sind Sie sterbenskrank?“, fragte er ernst.

„Nein, nicht dass ich wüsste.“

Er sah sie erleichtert an. „Gut. Lassen Sie uns darauf trinken.“ Nachdem er sich ebenfalls ein Glas eingeschenkt hatte, stieß er mit ihr an.

Samantha trank einen Schluck. „Was hätten Sie gesagt, wenn ich Ihnen erzählt hätte, dass ich sterbenskrank bin?“

„Ich hätte Ihnen vorgeschlagen, jeden Tag so zu leben, als wäre es der letzte.“ Sie entdeckte kleine goldene Sprengsel in seinen schimmernden karamellfarbenen Augen. „Was ich übrigens immer für eine gute Devise halte.“

„Sie haben recht“, meinte sie seufzend und dachte daran, dass Tarrant so von Lebenslust erfüllt gewesen war, dass er sehr viel länger gelebt hatte, als die Ärzte prognostiziert hatten. Sie hatte sich geschworen, seinem Beispiel zu folgen, allerdings gelang es ihr im Moment schlecht.

Champagner zu trinken war vielleicht ein guter Anfang. „Trinken wir also auf den ersten Tag vom Rest unseres Lebens.“ Lächelnd hob Samantha ihr Glas.

„Möge jeder Tag ein Grund zum Feiern sein.“ Sein Blick ruhte auf ihr, als er das Glas wieder an die Lippen führte.

In Samantha stieg auf einmal ein merkwürdiges Gefühl auf – ein sehr angenehmes, seltsames Gefühl. Lag wohl am Champagner.

„Sehen Sie den Gitarristen dort drüben?“ Er deutete zu einer Ecke. „Er ist einhundert und ein Jahr alt.“

Perplex musterte Samantha den Mann. Das weiße Haar des Musikers stand in krassem Gegensatz zu seinem dunklen Teint. Es war erstaunlich, dass er in dem Alter überhaupt noch Haare hatte. Und es war erstaunlich, mit welcher Energie und Virtuosität er musizierte.

„Er hat zwei Weltkriege überlebt, die Depression, die Digitalisierung und den Hurrikan Katrina. Jeden Tag spielt er Gitarre und sagt, dass es jedes Mal von Neuem das Feuer in ihm entfacht.“

„Ich beneide ihn um seine Leidenschaft.“

„Steckt in Ihnen keine Leidenschaft?“ Er neigte leicht den Kopf und betrachtete sie, nicht anklagend, sondern freundlich.

„Eigentlich nicht.“ Samantha hatte nicht vor, diesem Fremden von ihrer Suche nach den Kindern ihres Mannes zu erzählen. Sogar ihre Freundinnen hielten sie für verrückt. „Schuhe kaufen bessert manchmal meine Laune.“

Sie lächelte und wies auf die neuen Louboutins. In gewisser Weise hoffte sie, er würde abfällig reagieren. Dann würde das merkwürdige, köstliche Kribbeln in ihrem Bauch bestimmt aufhören.

Doch er lächelte. „Christian ist ein Künstler, und Kunst hebt immer die Laune. Er würde es gutheißen.“

„Sie kennen ihn?“

Er nickte. „Ich habe jahrelang in Paris gewohnt und bin noch immer häufig dort.“

„Wie beeindruckend, dass Sie Schuhdesigner kennen. Die meisten Männer hätten keinen blassen Schimmer.“

„Ich hatte schon immer eine Vorliebe für besonders schöne Dinge …“ Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht, doch es war kein verführerischer, anzüglicher Blick, auch wenn Samantha ahnte, wie sein Satz endete: mit so wie Sie.

Statt sich belästigt zu fühlen, fühlte Samantha sich … begehrenswert. Und das hatte sie lange nicht mehr erlebt.

Sie räusperte sich. „Ist New Orleans immer so verrückt?“

„Immer.“ Er lachte. „Manche Leute, die hierherkommen, amüsieren sich so sehr, dass sie sogar vergessen, etwas zu essen.“ Er warf einen vielsagenden Blick auf ihren fast leeren Teller.

Samantha lächelte. Sollte er doch glauben, dass sie hier Urlaub machte. Wären die Umstände anders, hätte sie das vielleicht sogar getan. Tarrant hatte Jazz geliebt und wäre bestimmt gern zum Festival gekommen.

„Schauen Sie nicht schon wieder so traurig“, ermahnte er sie. „Ich glaube, Sie müssen dringend tanzen.“

Sie blickte über die Schulter und sah, dass sich einige Paare auf der Tanzfläche zum Rhythmus der Musik wiegten. Samantha schlug das Herz bis zum Hals, trotzdem lehnte sie ab. „Nein. Das geht nicht.“ Sie war Witwe. Um ihre Absagte zu begründen, hob sie einen Fuß.

„Christian ist bestimmt entsetzt, wenn er hört, dass eine Frau seine Schuhe als Ausrede benutzt hat, um nicht tanzen zu müssen.“

„Dann erzählen Sie es ihm einfach nicht.“

„Ich werde es ihm auf jeden Fall erzählen – es sei denn, Sie tanzen mit mir. Ich finde, das ist das Mindeste, was Sie tun können, nachdem ich Sie von der Straße aufgelesen und aufgepäppelt habe“, meinte er lächelnd.

Sie lachte leise. „So wie Sie es sagen, klingt es, als wäre ich ein Hund, der ausgesetzt worden ist.“

„Ein Streuner in Christian-Louboutin-Schuhen.“ Er stand auf und streckte die Hand aus.

Und weil sie höflich war – hier überwogen ihre Umgangsformen als Millionärsgattin –, ließ sie sich von ihm aufhelfen. Außerdem, was war schon dabei? Ein kleiner Tanz. Tarrant hätte es bestimmt lieber, wenn sie tanzte, statt Trübsal zu blasen.

Auf der Tanzfläche gab er dem Gitarristen ein Zeichen, der ihnen daraufhin zuzwinkerte und ein neues, lateinamerikanisch klingendes Stück anstimmte. Samantha fand es aufregend, wieder einmal zu tanzen. Sie erinnerte sich kaum noch an das letzte Mal … Und die Musik umgab sie wie ein sinnlicher Nebel, der sie jedoch nicht so dicht einhüllte, dass ihr entgangen wäre, wie groß und breitschultrig ihr Tanzpartner war. Direkt vor sich sah Samantha seinen weißen Hemdkragen und sein ausgeprägtes Kinn. Es wirkte, wie alles an ihm, selbstsicher und entschlossen.

Er umschloss ihre Hand mit seinen langen, starken Fingern, und sie spürte seine Körperwärme. Auch die Musik erhitzte ihr Blut.

„Was tanzen wir?“ Samantha traute sich nicht, ihm in die Augen zu schauen. Sie war ihm sowieso schon viel zu nah.

„Was Sie mögen. Hört sich an wie Mambo.“

Instinktiv begann sie, sich zu dem Rhythmus zu bewegen. Sie versuchte, sich auf die Schritte zu konzentrieren, graziös zu tanzen und genügend Abstand zu ihrem Tanzpartner zu halten. Dabei nahm sie seinen Duft wahr, schmeckte noch das köstliche Aroma des Essens und atmete tief ein.

„Ihr Hemd gefällt mir.“ Sie hob vorsichtig den Blick.

Seine warmen, hellbraunen Augen glänzten, als er sie amüsiert ansah. „Sie brauchen keine höfliche Konversation mit mir zu betreiben. Ich weiß, dass Sie nett sind.“

„Woher wollen Sie das wissen?“

„Ich kann in den Gesichtern der Menschen lesen. Es ist eine Gabe, die ich von meiner Großmutter geerbt habe. Sie hat früher immer aus Teeblättern gelesen, mir aber verraten, worin ihr Geheimnis bestand. Sie hat sich die Menschen genau angeschaut, während die auf die Teeblätter gestarrt haben.“

„Wonach suchen Sie denn?“ Sie versuchte, die angenehme Wärme zu ignorieren, die sie durchströmte und von seiner Hand ausging, die er ihr auf den Rücken gelegt hatte.

„Ein Gesichtsausdruck verrät, was einem Menschen wichtig ist, und zwar nicht nur, wenn man ihn anschaut. Vor allem die kleinen Grübchen und Falten, die der Alltag dort hinterlassen hat, verraten etwas.“

„Oh, oh, Sie bringen mich in Verlegenheit.“ Zwei Besuche bei einem Schönheitschirurgen hatten ihr zwar bestätigt, dass es noch nicht nötig war, etwas zu unternehmen. Aber Samantha war einunddreißig und wusste, dass sie nicht mehr so schön wie damals war, als sie Modelwettbewerbe gewonnen hatte.

„Dieses Kinngrübchen verrät mir, dass Sie viel lächeln. Und Ihre Augen sagen mir, dass Sie gern andere Menschen glücklich machen.“

„Das stimmt.“ Sie lachte nervös auf. „Ich bekomme immer wieder zu hören, dass ich mich zu sehr darum bemühe, es allen recht zu machen.“

„Trotzdem sind Sie charakterstark. Das erkenne ich an Ihrer Haltung. Und das, was Sie tun, tun Sie mit Begeisterung.“

Samantha überlegte. Hatte er recht? Vielleicht rührte ihre gerade Haltung auch nur von den Schönheitswettbewerben her … Samantha hatte sich sehr darum bemüht, erwachsen zu werden, aus den gescheiterten Ehen und all ihren Fehlern zu lernen. Und sie hatte alles darangesetzt, Tarrant seine letzten Jahre so schön wie möglich zu machen.

„Außerdem sind Sie sehr, sehr traurig.“ Sie spürte seinen Atem an ihrem Ohr. Während sie tanzten, hatte er sie enger an sich gezogen.

„Mir geht es gut“, erwiderte sie leise und versuchte damit nicht nur ihn, sondern auch sich zu überzeugen.

„Es geht Ihnen gut.“ Sanft strich er ihr über den Rücken, streichelte sie. „Mehr als das. Aber meine Großmutter würde Ihnen raten zu atmen.“

„Ich atme doch“, protestierte Samantha.

„Kleine, oberflächliche Atemzüge.“ Er beugte sich zu ihr, und wieder spürte sie seinen warmen Atem, diesmal auf der Wange. „Gerade genug, um sich über Wasser zu halten und durch den Tag zu bringen.“

Er drückte ihre Hand. Samantha begegnete seinem eindringlichen Blick und merkte, wie ihr fast der Atem stockte. „Sie müssen einatmen und Sauerstoff ganz tief in sich aufnehmen, um ihn dann durch den ganzen Körper zu verteilen und durch Finger und Zehen wieder hinauszulassen.“

Ihre Zehen kribbelten. „Jetzt?“

„Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Er lächelte.

Sein Lächeln war nett, warm. Sie war vielleicht keine Hellseherin, aber sie hatte auch eine gewisse Menschenkenntnis. Es war fast ein Überlebensmechanismus für sie, den sie sich während ihres unbeständigen Lebens schon früh angeeignet hatte.

Das Problem war, dass er viel zu gut aussah. Kein so attraktiver Mann wurde erwachsen, ohne gleichzeitig ein ausgeprägtes Ego zu entwickeln.

„Kommen Sie, atmen Sie.“ Er blieb stehen, hielt sie locker in den Armen und wartete darauf, dass sie seiner Aufforderung folgte.

Samantha sah unsicher über die Schulter.

„Atmen ist in diesem Staat kein Verbrechen.“ Er lachte leise. „Kommen Sie, wir machen es zusammen. Eins, zwei, drei …“ Den Blick auf sie gerichtet, atmete er tief in den Brustkorb ein.

Samantha versuchte, es ihm gleichzutun. Als sie schließlich wieder ausatmete, keuchte sie. „Wie peinlich.“

„Überhaupt nicht. Das war großartig. Sie wären überrascht, wie viele Menschen durchs Leben gehen und dabei den Atem anhalten, ohne dass sie es merken. Das wollen Sie doch wohl nicht, oder?“ Er lächelte sie an und begann wieder zu tanzen. Immer schneller wirbelte er sie herum und hielt sie dabei eng an sich gepresst, bis Samantha wieder nach Atem rang.

Seine Augen schimmerten wie die einer Katze im Dämmerlicht. Samantha versuchte, das aufregende Kribbeln im Bauch zu ignorieren. Lag es daran, dass sie sich aufs Atmen konzentrierte? Sie wusste es nicht, aber irgendetwas hatte sich verändert.

Ihr Tanz wurde intensiver, als er sie noch näher an sich zog, sie von sich fort wirbelte, um sie genauso schnell wieder an sich zu reißen. Ein Drummer hatte sich zu dem Gitarristen auf die Bühne gesellt, und das hypnotische Trommeln der Bongos pulsierte durch Samantha hindurch, bis ihre Füße ein Eigenleben zu führen schienen. Sie bewegte sich schneller und gab sich ganz dem Tanz hin. Sie atmete tief ein, wirbelte herum und schmiegte sich dann wieder an den harten Körper ihres Tanzpartners. Irgendwie ging auf einmal alles so mühelos, und sie verlor jegliches Raum- und Zeitgefühl.

Das Trommeln wurde lauter, dann leiser und vermischte sich mit dem Klirren der Gläser und den Klängen der Gitarre, bis die gesamte Atmosphäre zu pulsieren und zu atmen schien.

Samantha lachte entzückt auf. Als die Musik mit einem Trommelwirbel endete, ließ sie sich in die Arme ihres Partners fallen. „Das war fantastisch.“

„Sie sind eine unglaubliche Tänzerin.“

„Ich bin eine eingerostete Tänzerin, aber Sie haben recht, was diese Sache mit dem Atmen angeht.“

„Ein- und ausatmen, das ist alles.“

„Es ist schon lustig, dass wir häufig die kleinen Dinge vergessen, obwohl die meistens am wichtigsten sind.“

Er machte erneut eine Handbewegung und sah zum Gitarristen, der daraufhin ein langsames Stück intonierte. Instinktiv begann Samantha sich in dem verführerischen Rhythmus zu wiegen. Ihr Tanzpartner schaute ihr in die Augen und ließ nicht wie so viele andere Männer den Blick anzüglich über ihren Körper gleiten.

Ohne nachzudenken, atmete sie tief ein und wieder aus und freute sich über das Lächeln, das auf seinem gut aussehenden Gesicht erschien.

Ich weiß nicht einmal seinen Namen.

Wie merkwürdig. Mit jemandem zu tanzen, ohne zu wissen, wer er war. Sie wusste, dass ihm der Klub gehörte, aber ohne einen Namen war er nicht wirklich … real.

Ob sie ihn fragen sollte?

Irgendwie widerstrebte es ihr. Sie bräuchte ihm auch nicht zu erzählen, dass sie Samantha Hardcastle war. Denn hier vielleicht hatte er ihren Namen schon einmal gehört. Andererseits, waren ihr Name und ihr Bild in New Orleans hoffentlich nicht so wie in New York ständig in allen Zeitungen zu sehen gewesen.

Als fröhliche Witwe hatte man sie betitelt, nachdem sie die vielen Millionen ihres sehr viel älteren Mannes geerbt hatte. So, als hätte sie irgendwie gewonnen, dabei war der Verlust mehr als schmerzlich gewesen.

Wieder einmal stieg Verbitterung in ihr auf. Samantha wollte nicht, dass dieser Mann irgendetwas darüber erfuhr, wollte nicht, dass er Vorurteile über sie fasste und glaubte, sie hätte einen Mann wegen seines Geldes geheiratet.

„Hey, alles in Ordnung?“ Er streichelte sanft ihren Rücken.

Sie merkte, dass sie wieder oberflächlich atmete, und schluckte. „Sicher, alles okay. Tut mir leid!“ Ihm zuliebe atmete sie tief ein und dann demonstrativ aus, sodass sie beide lachen mussten.

Der Gitarrist, zu dem sich nicht nur der Trommler, sondern auch ein Saxofonist gesellt hatte, stimmte eine Swing-Nummer an. Er hatte die Augen geschlossen, den Kopf wiegte er selbstvergessen im Takt der Musik.

Samantha ließ sich vom Zauber der Musik mitreißen. Vielleicht lag es am Champagner, aber sie fühlte sich eigenartig schwerelos, so als wären all ihre Sorgen und Nöte zur verzierten Decke gestiegen, damit sie frei und unbeschwert tanzen konnte.

„Haben Sie mal professionell getanzt?“ Er beugte sich zu ihr.

Sie spürte den warmen Atem ihres Tanzpartners am Hals und errötete leicht. „Ich habe ein paarmal an Turnieren teilgenommen. Sieht es so affektiert aus?“

Er schüttelte den Kopf und lächelte aufmunternd. „Nein, nicht affektiert, nur geschliffen, so wie alles an Ihnen.“

Samantha widerstand dem Wunsch, an sich hinabzublicken, wusste aber, dass er recht hatte. Als Ehefrau von Tarrant war es ihr Job gewesen, gut auszusehen. Inzwischen war sie so sehr daran gewöhnt, perfekt gestylt zu sein, dass sie gar keine Ahnung hatte, wie sie wohl ohne die sorgfältig frisierten Haare und die Designerkleider aussah. Wenn sie all die teuren Extravaganzen wegließ, wäre sie dann überhaupt noch jemand?

Im Moment war es nicht wichtig. Der Blick ihres Tanzpartners verriet nichts als Anerkennung und Bewunderung.

Unwillkürlich musterte sie ihn, die schlanke Hüfte, die er im Takt der Musik bewegte, die kräftigen Oberschenkel und den flachen Bauch. Ein junger, athletischer Körper, vor Kraft und Gesundheit strotzend. Wunderbar. Wie alt er wohl war? Anfang dreißig vermutlich. So wie sie, auch wenn sie sich in letzter Zeit eher wie neunzig fühlte.

Er nahm ihre linke Hand und betrachtete sie. Samantha kam sich fast nackt vor ohne den wertvollen Verlobungsring, den sie heute vergessen hatte anzustecken. Und der Ehering war mit Tarrants Sarg beerdigt worden. Tarrant hatte sich gewünscht, dass sie ihm den Ring auf die Hand legte, so wie Jackie Kennedy es bei ihrem berühmten Mann getan hatte. Ein wenig Dramatik hatte er immer sehr genossen.

„Sie lächeln.“

Seine tiefe Stimme löste etwas in ihr aus. „Glückliche Erinnerungen.“ Wie merkwürdig, so etwas als glückliche Erinnerung zu bezeichnen. Mit dem Alter wurde sie wirklich ein wenig eigenartig.

„Jetzt lächeln Sie nicht mehr.“ Er nahm ihre Hand und zog Samantha zu sich. „Ich glaube, Sie sollten sich von Ihren Erinnerungen trennen und in die Gegenwart zurückkommen.“

Er schlang einen Arm um ihre Taille, sodass ihre Brüste seinen Oberkörper streiften. Und auf einmal hatte Samantha Schmetterlinge im Bauch.

„Ich liebe dieses Lied“, murmelte er. Der Klang seiner tiefen Stimme sandte einen kleinen, wohligen Schauer über ihren Rücken. „Wenn ich es höre, denke ich immer an einen gemächlichen Tag am Bayou, der Sumpflandschaft von New Orleans. Die Sonne scheint aufs Wasser, Kraniche sitzen reglos auf den Bäumen, und in der Ferne hört man das leise Rattern eines Krabbenfischerboots.“

Sie stellte es sich unwillkürlich vor, eine friedliche Szene, die in krassem Gegensatz zu der ziemlich städtischen Umgebung stand. „Fahren Sie oft hinaus?“

„So oft ich kann.“

Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, weil er sie so eng an sich gezogen hatte. Er hatte beide Arme um sie geschlungen, und instinktiv hatte Samantha die Hände hinter seinem Nacken verschränkt.

Er schmiegte die Wange an ihre, und sie spürte kurze Bartstoppeln. Es war angenehm, Samantha schloss sekundenlang die Augen. Fast hatte sie schon vergessen, wie sich so etwas anfühlte. Fast, aber nicht ganz. Genauso wenig wie das Verlangen, das langsam von ihrem Körper Besitz ergriff. Sie spürte es in den Handflächen, als sie die breiten Schultern berührte, in ihren Brustspitzen, am Kribbeln ihrer Zunge, während sie sich überlegte, wie ein Kuss von ihm wohl schmecken würde.

Sie musste nicht lange darüber nachdenken, denn plötzlich senkte er den Kopf und berührte ihre Lippen. Samantha öffnete sich ihm, und ihre Zungen fanden sich zu einem erotischen Tanz. Sein sinnlicher Mund war sowohl weich als auch fest, sein Kuss zunächst zaghaft, dann immer fordernder.

Samantha gab sich dem leidenschaftlichen Kuss hin. Sie sah Farben hinter den geschlossenen Augenlidern und seufzte. So hatte sie noch niemand geküsst. Dann, ganz langsam, lösten sie sich voneinander, und sofort begann Samantha seine Körperwärme zu vermissen.

Die Hände noch immer in seinem Nacken verschränkt, öffnete sie die Augen und blinzelte in das schummrige Licht. Ihr Atem kam jetzt ganz unregelmäßig, ihr zitterten die Knie, und ihre Haut schien in Flammen zu stehen.

„Komm mit.“ Er sah sie nicht an, und es war auch keine Frage. Einen Arm fest um ihre Taille geschlungen, führte er Samantha von der Tanzfläche durch den Raum.

Gesichter und Leiber schienen vor ihren Augen plötzlich zu verschwimen, als sie versuchte, sich zu orientieren.

Ich habe doch nur ganz wenig Champagner getrunken, dachte sie. Der Gedanke beschäftigte sie kurz, war im nächsten Moment aber schon wieder vergessen. Unter dem leichten Kleid pulsierte ihr Körper regelrecht, und hätte ihr faszinierender Fremder sie nicht festgehalten, wäre sie wahrscheinlich nicht mehr gegangen, sondern geschwebt.

Sie verließen das Restaurant durch eine Tür hinter der Bar, die in einen dunklen Flur führte. Gegenüber befand sich eine auf Hochglanz polierte Holztür. „Hier sind wir ungestörter.“

Er schob sie in einen Raum, der genau wie das Restaurant im Stil der Jahrhundertwende dekoriert war. Antiquitäten glänzten im weichen Schein einer wunderschönen Lampe. Das Muster des gefärbten Glases war so harmonisch und ungewöhnlich, dass Samantha fragte: „Ist das eine echte Tiffanylampe?“

„Ja, meine Mutter sammelt sie.“

„Sind die nicht einige Hunderttausend Dollar wert?“

Er zuckte die Schultern und öffnete eine holzvertäfelte Bar. „Wozu sind schöne Dinge gut, wenn man sie nicht genießen kann?“ Er nahm zwei Sektflöten heraus und noch eine Flasche Champagner.

„Sie genießen das gute Leben, oder?“

„Ja, aber ich weiß, dass es ein großes Privileg ist.“

Samantha lächelte, als er ihr ein Glas reichte. „Leben Sie hier?“

„Nein, dies ist eher mein … Büro.“

Autor

Jennifer Lewis

Jennifer Lewis gehört zu den Menschen, die schon in frühester Kindheit Geschichten erfunden haben. Sie ist eine Tagträumerin und musste als Kind einigen Spott über sich ergehen lassen. Doch sie ist immer noch überzeugt davon, dass es eine konstruktive Tätigkeit ist, in die Luft zu starren und sich Wolkenschlösser auszumalen....

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