Die Elliotts - Leidenschaft, Skandale, Intrigen (13-teilige Serie)

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Freuen Sie sich auf die 13-teilige Serie über eine mächtige New Yorker Verlegerdynastie! Im Wettstreit um die Macht kommt so einiges ans Tageslicht: Leidenschaft, Skandale, Intrigen ...

KÜSS MICH UM MITTERNACHT
Chloe hat schon viele Frösche geküsst - zu viele! Gerade will sie ihr Liebesleben abschreiben, da steht Ryder vor ihr, der Typ, der ihr in der Highschool so auf die Nerven gegangen ist. Heute ist er sehr attraktiv und überaus erfolgreich. Kann er der lang ersehnte Prinz sein?

AFFÄRE MIT DER SEXY EX
Hat Gannon sich verhört? Seine schöne Ex-Geliebte Erika will das Jobangebot als Chefredakteurin seines Lifestyle-Magazins nur annehmen, wenn er mit ihr ein Kind zeugt, Leidenschaft und Zärtlichkeit ausgeschlossen? Aber das bestimmt nicht mit ihm, schwört sich Gannon ...

ES FÜHLT SICH AN WIE LIEBE
Wie es sich wohl anfühlt, von diesem Mann geküsst zu werden? Renee kann an nichts anderes mehr denken, seit sie Teagan Elliot begegnet ist. Auch wenn ihre erotischen Fantasien wohl niemals wahr werden, denn sie und den erfolgreichen New Yorker Verleger trennen Welten ...

BRAVE MÄDCHEN KÜSSEN HEIßER
Nervös betritt die schüchterne Reporterin Summer die Garderobe des Rockstars Zeke Woodlow. Sie hat viel riskiert, um ihn zu interviewen! Doch statt ihre Fragen zu beantworten, küsst er sie heiß und stellt in einer einzigen Nacht ihr ganzes Leben auf den Kopf ...

LIEBESNACHT MIT DER FALSCHEN
"Ich will dich." Zärtlich schmiegt sie sich an ihn, und John glaubt zu träumen: Summer ist zu ihm zurückgekehrt! Doch als er sie voller Leidenschaft liebt, beschleicht ihn plötzlich ein Verdacht: Ist diese Frau überhaupt Summer - oder Scarlet, ihre Zwillingsschwester?

DAS SHOWGIRL UND DER MILLIONÄR
Egal, wie oft Cullen ihr einen Heiratsantrag macht: Mistys Antwort lautet stets Nein! Denn der Millionär hat die falschen Gründe, findet das Showgirl. Ein Ja hört er von ihr nur, wenn sie mehr als pures Begehren in seinem Blick liest ... nämlich Liebe.

KÜSS MICH, SCHÖNE FREMDE!
Wer ist die verführerische Fremde ohne Gedächtnis? Sheriff Mac Riggs weiß zunächst einmal nur eins: Jane, wie er sie spontan nennt, weckt eine solch wilde, heiße Leidenschaft in ihm, dass er sie am liebsten auf der Stelle in die Arme reißen und küssen möchte ...

HEIßE KÜSSE, STRENG GEHEIM!
Plötzlich blond, stylish und sexy: Um einen Bankbetrug aufzuklären, muss die Buchhalterin Lucy Miller ihre Identität wechseln. Zur Tarnung gibt sie sich als Freundin des attraktiven Geheimagenten "Casanova" aus. Doch dessen Küsse schmecken alarmierend echt ...

WIEDER WECKST DU MEIN VERLANGEN
Heftiges Verlangen steigt in Amanda auf, als ihr attraktiver Exmann sie umwirbt. Und blanke Wut, als der ehrgeizige Medienboss ihr Leben wieder mal umkrempeln will. Sie weiß, sie sollte die Finger von Daniel lassen. Doch die Aussicht auf heiße Nächte mit ihm ist zu verlockend ...

DARF EIN BOSS SO ZÄRTLICH SEIN?
Cade ist hingerissen von Jessie. Die Praktikantin ist viel natürlicher als die anderen Frauen in der Redaktion seines Modemagazins. Leider wird er den Verdacht nicht los, dass sie für die Konkurrenz spioniert. Sagt sie deshalb Ja zu einem Liebeswochenende mit ihm?

WIE WEIT WILLST DU GEHEN?
Ihre Blicke treffen sich - und plötzlich fällt Aubrey das Atmen schwer. Wie kann dieser Mann nur so unglaublich sexy lächeln? Doch als er sie anspricht, erfährt sie geschockt, wer Mr Unwiderstehlich ist: Liam Elliott, den sie auf Wunsch ihres Vaters ausspionieren soll!

LIEBESLEBEN VERZWEIFELT GESUCHT!
Die leidenschaftlichen Liebesstunden mit Finola kann Travis einfach nicht vergessen. Aber sie ist Karrierefrau in Manhattan, während der reiche Rancher am Fuße der Rocky Mountains wohnt. Nichts scheint die beiden zu verbinden - außer dass Finola ein Baby erwartet ...

DER MILLIONÄR, DER MICH BEGEHRT
Endlich küsst er sie so, wie sie es sich seit Jahren erträumt hat! Rachel gibt sich Shanes Zärtlichkeiten hin. Bis jetzt war er ihr Chef, für den sie heimlich schwärmte - in dieser Nacht ist er ihr Liebhaber! Aber am nächsten Morgen will Shane nichts mehr davon wissen...


  • Erscheinungstag 24.02.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773793
  • Seitenanzahl 1872
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Anna Depalo, Leanne Banks, Brenda Jackson, Susan Crosby, Heidi Betts, Charlene Sands, Kara Lennox, Barbara Dunlop, Roxanne St. Claire, Emilie Rose, Kathie Denosky, Maureen Child

Die Elliotts - Leidenschaft, Skandale, Intrigen (13-teilige Serie)

IMPRESSUM

Küss mich um Mitternacht erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
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Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
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© 2006 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „Midnight Reunion“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARA
Band 333 - 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Nicole Lacher

Umschlagsmotive: Conrado-Shutterstock

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733766863

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Ob ich in diesem Jahr wohl noch einen Frosch küssen werde?

Es war Silvester. Chloe nippte an ihrem Wein, während sie den Blick über die Gästeschar im riesigen Herrenhaus von Patrick und Maeve Elliott schweifen ließ. Zuerst hatte das Ehepaar hier in den Hamptons, dem exklusivsten Teil von Long Island, einige ruhige Tage im Kreise der Familie verbracht. Heute war der Kreis erweitert worden um Freunde und Angestellte, zu denen auch Chloe Davenport zählte.

Mitternacht rückte immer näher, doch sie sah weit und breit keinen einzigen Frosch mit Prinzenpotenzial. Ihre Kollegen zog sie gar nicht erst in Betracht, denn Beziehungen zwischen Angestellten waren bei EPH unerwünscht.

Chloe seufzte. In zwei Wochen würde die traditionelle Neujahrsparty bei ihren Eltern stattfinden. Vielleicht gelang es ihr bis dahin ja doch noch, einen beeindruckenden Begleiter aus dem Hut zu zaubern. Allerdings sprach nichts dafür, dass ihr dieses Kunststück am heutigen Abend gelingen würde.

Der Gastgeber riss Chloe aus ihren Gedanken, als er mit einem Messer an sein Weinglas klopfte. Patrick Elliott räusperte sich. Prompt wurde es still im Saal.

„Bevor wir das alte Jahr verabschieden, möchte ich ein paar Worte sagen“, begann der über siebzigjährige Patriarch des Elliott-Clans und Gründer des Firmenimperiums Elliott Publication Holdings mit seiner tiefen, stets etwas heiseren Stimme.

Anfangs hörte Chloe noch höflich zu, wie sich der Vorstandsvorsitzende bei seinen Gästen für ihr Engagement zugunsten von EPH bedankte. Dann schweiften ihre Gedanken wieder ab.

Auf keinen Fall wollte sie ein weiteres Mal ohne Begleiter zur Davenport-Party erscheinen. Ihre ältere Schwester Maxine konnte nicht nur zwei Kinder und einen Arzt als Ehemann vorweisen, sondern auch ein schönes Haus in Westchester, nördlich von New York. Schon vor Jahren hatte sich Maxine den Titel der perfekten Tochter gesichert, die alle elterlichen Hoffnungen erfüllt. Trotzdem wollte sich Chloe nicht geschlagen geben.

Sie wusste, dass sie von außen betrachtet ein perfektes und sorgenfreies Leben führte. Schließlich hatte sich nicht nur eine ihrer Kolleginnen schon einmal entsprechend geäußert.

In Wirklichkeit war es harte Arbeit, das Image aufrechtzuerhalten. Chloe kleidete sich sorgfältig und wohnte in einem niedlichen Mini-Apartment in Chelsea, einem angesagten Viertel von Manhattan.

Doch obwohl sie alles tat, um den richtigen Mann zu treffen, hatte sie schon seit Monaten kein Rendezvous mehr gehabt. Manchmal lag sie nachts wach und grübelte darüber nach, warum es einfach nicht klappen wollte.

In Chelsea lebten viele schwule Männer, also schieden die meisten ihrer Nachbarn von vornherein aus. Vielleicht bin ich den meisten Männern einfach zu direkt, überlegte sie. Andererseits verdanke ich gerade meiner Offenheit den Job, den ich so liebe. Fin weiß es zu schätzen, dass ich ohne Umschweife zur Sache komme.

Chloe sah zu der Gruppe hinüber, in der ihre Chefin Fin stand. Finola Elliott war Chefredakteurin des Hochglanzmagazins Charisma. Mrs Davenport hätte Fin garantiert als abschreckendes Beispiel für Karrierefrauen angeführt: „So ergeht es einem, wenn man nur seine Arbeit kennt. Achtunddreißig Jahre alt und kein Ehemann in Sicht. Wenn sie kurz vor der Rente zur Besinnung kommt, wird es zu spät sein.“

Wahrscheinlich wird es mir ebenso ergehen, überlegte Chloe. Wer verbringt denn schon den Silvesterabend auf einer Party seines Arbeitgebers – noch dazu ohne Begleiter? Nur jemand, der kein Privatleben hat.

Auch die Aussicht auf ihren dreißigsten Geburtstag in wenigen Monaten heiterte Chloe nicht gerade auf. Energisch schüttelte sie den Kopf, um ihre Mutter, die erneut vor ihrem geistigen Auge auftauchte, zum Schweigen zu bringen. Mrs Davenport hatte schon oft versucht, ihre jüngste Tochter zu verkuppeln. Chloe schluckte, als sie sich an all die Prachtexemplare erinnerte, die ihre Mutter im Laufe der Jahre aufgetan hatte.

Es kann doch wohl nicht sein, dass ich nur mit Moms Hilfe an ein Rendezvous komme! Eigentlich ist es erstaunlich, dass sie für diesen Silvesterabend keinen Mann für mich organisiert hat.

Plötzlich veränderte sich die Atmosphäre im Saal. Spannung lag in der Luft. Unauffällig schlenderte Chloe zu ihrer Chefin hinüber und fragte leise: „Was ist denn los?“

„Haben Sie nicht zugehört?“, flüsterte Fin zurück. „Mein Vater wird als Vorstandsvorsitzender von EPH zurücktreten. Uns, also der Familie, hat er es unter dem Siegel der Verschwiegenheit schon vor ein paar Stunden gesagt. Jetzt ist es auch offiziell bekannt.“

„Ich habe beschlossen, meine Nachfolge durch einen Wettbewerb zu regeln.“ Patrick Elliott musterte die Gäste mit seinem berüchtigten durchdringenden Blick. „Das scheint mir der gerechteste Weg zu sein. Wettbewerb ist schließlich die Grundlage, auf der ich mein Unternehmen aufgebaut habe, und dank der es sich nach wie vor so erfolgreich entwickelt.“

Ach so, dachte Chloe. Und ich dachte, die Grundlage des Verlagshauses sei die Familie. Den Eindruck bekommt man jedenfalls, wenn man sieht, wie viele Elliotts in der Firmenzentrale arbeiten.

„Der Chefredakteur, der mit seinem Magazin im kommenden Jahr den höchsten Gewinn in der Verlagsgruppe erzielt, wird meine Nachfolge antreten.“

Ach, du Schande!

Im Büro hatte Chloe aufgeschnappt, wie ein paar Sekretärinnen über eine bevorstehende Ankündigung sprachen, aber etwas in dieser Größenordnung hatte sie nie und nimmer erwartet. Verstohlen blickte sie ihre Chefin an. Jeder in diesem Saal wusste, dass Patrick und Finola Elliott nicht gerade eine bilderbuchmäßige Vater-Tochter-Beziehung führten.

Fin war schon jetzt ein Workaholic. Nach Patricks Entscheidung würde sie garantiert noch mehr Zeit im Büro verbringen, also konnte sich auch Chloe auf weitere Überstunden gefasst machen.

Patrick beendete seine Rede und gesellte sich zu den Gästen. Das Gemurmel gepflegter Konversation füllte wieder den Saal.

Dann werde ich das Büro in nächster Zeit wohl kaum verlassen, dachte Chloe resigniert. Wenn jetzt noch ein Frosch meinen Weg kreuzen sollte, kann ich mich echt glücklich schätzen.

„Na, wenn das mal nicht Fab Dav ist!“

Chloe schaute in ein grünes Augenpaar, das sie spöttisch anblickte. Fab Dav – die Fabelhafte Davenport. Seit der Highschool hatte sie niemand mehr so genannt.

Der Besitzer dieser Augen trug ein außerdem noch ein grünes Hemd mit Fischgrätmuster. Teuer, registrierte Chloe.

„Ryder?“, fragte sie überrascht und unsicher zugleich.

2. KAPITEL

„Lange nicht gesehen.“ Die Antwort wurde begleitet von dem eigentümlichen Lächeln, an das Chloe sich so gut erinnerte.

„Warum trägst du Grün?“, entschlüpfte es ihr. Der Anblick dieses Mannes versetzte sie in eine andere Zeit und an einen anderen Ort.

Einen schlechten Ort, die Highschool. Man hatte sie damals tatsächlich Fab Dav genannt, allerdings nicht so sehr, weil es zu ihr passte, sondern weil halt jeder irgendeinen Spitznamen bekam. So jedenfalls sah es Chloe. Sie war schon immer davon überzeugt gewesen, dass sie nichts Fabelhaftes an sich hatte.

Jetzt stand er also vor ihr: Ryder McPhee, der Typ, der sie früher ständig gehänselt hatte. Sicher war er gerade erst gekommen, anderenfalls hätte Chloe ihn bestimmt schon längst entdeckt. Wahrscheinlich war er vorher noch auf einer anderen Party in den feinen Hamptons, vermutete sie.

Ryder senkte den Blick kurz auf sein Hemd, um gleich darauf wieder Chloe anzusehen – diesmal mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Stimmt etwas nicht mit der Farbe Grün?“

„Nein! Nur … Grün erinnert mich an Frösche.“ Chloe kam sich ziemlich dämlich vor. „Die Farbe ist in dieser Saison out“, redete sie weiter, bemüht, das Gesicht nicht völlig zu verlieren. „Steht in sämtlichen Modemagazinen.“

„Entspann dich“, meinte Ryder amüsiert. „Die Elliotts haben irische Vorfahren, genau wie ich, und Grün ist bekanntlich die Farbe Irlands. Ich verbeuge mich sozusagen vor unserer gemeinsamen Tradition.“

Was läuft hier falsch? fragte sich Chloe entgeistert. Wie kann Ryder der Vernünftige sein, während ich daherplappere, als wäre ich nicht ganz bei Trost?

Damals in der Westchester Highschool hatte Chloe seine spöttischen Bemerkungen so geistesgegenwärtig wie möglich gekontert, um dann mit erhobenem Kopf wegzumarschieren. Normalerweise hatte Ryders Gelächter ihr durch den Schulkorridor hinterhergeschallt.

Obwohl er ein paar Klassen über ihr gewesen war, hatten sich ihre Wege auf dem Schulgelände und in Arbeitsgemeinschaften immer wieder gekreuzt. Meistens war Ryder mit ein paar Kumpels zusammen. Trotzdem hatte er auf Chloe eher wie ein Einzelgänger gewirkt. Angeblich war er sehr begabt, was sie allerdings erst richtig mitbekam, nachdem er die Schule verlassen hatte. Damals hatte seine Mom ihrer Mutter erzählt, Ryder habe einen Studienplatz an der renommierten Wharton School of Business an der Universität von Pennsylvania ergattert.

Groß war er schon damals gewesen. Heute erkannte Chloe, dass unter dem eng anliegenden Hemd und der schwarzen Hose auch ein durchtrainierter Körper steckte. Ryders Bizeps war offenbar ebenso beeindruckend wie sein Gehirn. Neben ihm fühlte sich Chloe auf einmal klein, und irgendwie sehr weiblich. Ein Schauer rieselte ihr über den Rücken.

„Was machst du denn hier?“, erkundigte sie sich wenig freundlich.

Wieder erschien das vertraute Lächeln, das sie an den Schüler von früher erinnerte. „Cullen Elliott und ich kennen uns durch gemeinsame Geschäftspartner. Er hat mich eingeladen, heute Abend zur Party seiner Großeltern zu kommen. Und du?“

„Ich arbeite für EPH.“

Er nickte. „Ach ja. Ich glaube, meine Mutter hat mal erwähnt, dass du Sekretärin bei Charisma bist.“

„Ich bin Assistentin der Chefredakteurin“, stellte Chloe klar. „Und ich mag meinen Job sehr.“ Sie hörte den defensiven Unterton selbst. Es stimmte ja, in der Betriebshierarchie war sie trotz der hochtrabenden Stellenbezeichnung eine Sekretärin, doch Ryder weckte ihren Widerspruchsgeist.

„Was du nicht sagst“, meinte er gelassen. „Freut mich, das zu hören.“

„Klingt ja fast, als wärst du überrascht.“

Er musterte sie von Kopf bis Fuß. Chloes Pulsschlag beschleunigte sich. Sie wusste, was Ryder sah: einen schlanken Körper mit Kurven an den richtigen Stellen. Trotzdem war sie nicht das, was man eine Sexbombe nennt. Das glatte dunkelbraune Haar trug sie lang, und wenn sie ihren größten Pluspunkt hätte nennen müssen, wäre die Wahl auf ihre strahlenden blauen Augen gefallen.

Ryders Blick kehrte zu ihrem zurück. „Nein, überrascht bin ich nicht“, murmelte er. „Enttäuscht übrigens auch nicht.“

Chloe fühlte sich, als würde eine heiße Welle durch ihren Körper strömen. Moment mal. Flirtet er etwa mit mir?

Ihm entging nicht, dass sich ihre Augen weiteten. Ich bringe sie durcheinander, stellte er fest. Gut. Immerhin ist sie der Grund, warum ich heute Abend hier bin. Und sollte mir nichts Besseres einfallen als der lächerliche Plan, der diesen Stein ins Rollen gebracht hat, dann darf man mich gern mit einem kräftigen Tritt aus dem Haus befördern.

Letzteres erlebte Ryder McPhee nicht oft. Er hatte es in der Internetbranche bis ganz nach oben geschafft. Heute führte er mit einem Studienfreund ein lukratives Online-Geschäft und war sehr vermögend. Obwohl er seine beruflichen Erfolge nicht herausposaunte, galt er inzwischen als begehrter Junggeselle – eine Tatsache, die ihn belustigte.

Durch Chloe fühlte er sich in die Highschool zurückversetzt. Und wie damals konnte er auch jetzt dem Impuls nicht widerstehen, sie zu necken.

Chloe. Ryder wusste noch, dass sie ihren Namen früher oft buchstabieren musste, damit man ihn nicht fälschlicherweise mit einem Akzent versah und Chloé oder Chloë schrieb. Schon damals gab es nichts an ihr, was man hätte betonen müssen. Sie war genau richtig, und das ist sie noch heute.

Etliche Jungs hatten für Chloe geschwärmt, weil sie der hübschen Schauspielerin Shannen Doherty ähnelte, die in der Erfolgsserie „Beverly Hills 90210“ die Brenda Walsh spielte. Im Umkleideraum der Schulsporthalle hatte sich mancher von Ryders Mitschülern über Chloes körperliche Vorzüge ausgelassen. Er hätte die Kerle am liebsten zum Mond geschossen.

Um Chloe aufzufallen, hatte er angefangen, sie zu verspotten. So ähnlich wie gerade eben. Heute gehörte der Spott zwar nicht mehr zu seinem Plan, doch eins seiner Ziele hatte er damit erreicht: Sie aus dem Konzept zu bringen.

Hinter ihm ertönten laute Stimmen. Ryder drehte sich um und sah einen riesigen Fernsehbildschirm, der den Times Square in New York zeigte. Wie an jedem 31. Dezember drängelten sich dort unzählige Menschen, um in das neue Jahr hineinzufeiern.

„Nur noch eine Minute bis Mitternacht!“, rief jemand im Saal.

„Bist du eigentlich in Begleitung hier?“, fragte Ryder.

„Wie bitte?“ Verdutzt sah Chloe ihn an. „Ach so. Nein.“

Ihre blauen Augen sind dermaßen hübsch, schoss es ihm durch den Kopf. „Tja, in dem Fall werde ich es wohl sein.“

Wer wirst du sein?“

Er seufzte wie jemand, der sich in das Unvermeidliche fügt. „Der Mann, der dich um Mitternacht küsst. Irgendjemand muss es ja machen.“

Im Fernseher begannen die Menschen zu zählen: „Zehn. Neun …“

3. KAPITEL

„Acht.“

Ich soll Ryder McPhee küssen? Chloe starrte ihn an, während der Countdown unerbittlich weiterging.

„Sieben.“

Jetzt kam Bewegung in die Gästeschar. Paare rückten enger zusammen, um sich Punkt Mitternacht mit einem Kuss ein gutes neues Jahr zu wünschen.

„Sechs.“

Hilfe!

„Fünf.“

Amüsiert schaute Ryder sie an.

„Vier.“

Chloe senkte den Blick auf seinen Mund – einen ausnehmend schönen Mund, das musste sie einräumen. Die Lippen sahen irgendwie verheißungsvoll aus, als könnten sie etwas Aufregendes auslösen. Chloe versuchte, ihre innere Unruhe niederzukämpfen. Dabei half es ihr nur wenig, dass der Rest von Ryders Körper mindestens ebenso verlockend zu sein schien wie sein Mund.

„Drei.“

Er lehnte sich ein wenig vor. Prompt wanderte ihr Blick von seinen Lippen zu seinen grünen Augen.

„Na los“, sagte er herausfordernd. „Trau dich.“

„Zwei.“

Na ja, es ist schließlich Silvester, also kann ich ebenso gut jemanden küssen, oder? Wenigstens vergewissere ich mich auf diese Weise, dass Ryder auf keinen Fall der Prinz ist, auf den ich warte.

„Warum nicht?“, meinte sie mit einer Lässigkeit, die sie nicht fühlte. Es kostete sie Mühe, gleichmäßig zu atmen.

„Eins.“

Sie hob den Kopf, während Ryder sich vorbeugte, und ihr immer näher kam. Wie von selbst schlossen sich Chloes Lider.

„Prosit Neujahr!“

Ryders Mund berührte ihren. Chloe spürte den kurzen sanften Druck und die Wärme seiner Lippen. Sie fühlte sich wie elektrisiert. Unwillkürlich wollte sie zurückweichen, doch Ryder hinderte sie daran, indem er beide Hände um ihre Oberarme legte. Sein Kuss wurde drängender. Mit einem leisen Seufzer gab Chloe ihren Widerstand auf und öffnete die Lippen.

Die ersten Klänge des traditionellen Lieds Auld Lang Syne ertönten, doch Chloe nahm kaum etwas von dem Trubel um sie herum wahr. Es gab nur noch Ryder und sie – und die Empfindungen, die seine Berührungen in ihr auslösten. Sein Kuss, zuerst sanft und warm, wurde immer fordernder. Sie hörte jemanden stöhnen. Sich selbst.

Dicht neben ihr räusperte sich ein Mann. „Und ich dachte, ich wäre der begehrteste Junggeselle des Abends.“

Wie aus weiter Ferne drangen die Worte zu Chloe durch. Die Stimme kam ihr bekannt vor …

Chloe schnappte nach Luft und trat hastig einen Schritt zurück. Cullen Elliott, der Enkel ihres Chefs! Sie fühlte sich ertappt. Als sie sich umblickte, musste sie feststellen, dass der leidenschaftliche Kuss zwischen Ryder und ihr die Aufmerksamkeit etlicher Partygäste geweckt hatte.

Cullen schüttelte grinsend den Kopf und schlenderte mit einem Drink in der Hand weiter. Chloe sah Ryder an, der aus einem unerfindlichen Grund ein wenig ratlos wirkte. Die letzten Töne von Auld Lang Syne, in dem es um längst vergessene Bekannte ging, verklangen. Also, diesen alten Bekannten werde ich garantiert nicht vergessen, dachte Chloe.

Sie war erhitzt und sehnte sich nach mehr Zärtlichkeiten von diesem starken attraktiven Mann, der sie eben so leidenschaftlich geküsst hatte. Ryder McPhee besaß offenkundig die Fähigkeit, ihr Inneres zum Schmelzen zu bringen. Andererseits kam er ihr unglaublich fremd vor. Sonst nie um Worte verlegen, hatte sie keine Ahnung, was sie jetzt sagen sollte.

Wie benommen registrierte Chloe, dass sich Ryders Lippen bewegten. Jene Lippen, die ihre eigenen noch vor wenigen Sekunden berührt hatten.

„Ich fahre dich zurück“, sagte er. „Wo übernachtest du?“

Sie nannte den Namen einer kleinen Pension in der nächstgelegenen Stadt.

Ryder lächelte. „Das nenne ich einen glücklichen Zufall. Ich wohne direkt um die Ecke, im Barston Cove.“

Das teuerste und exklusivste Hotel der Gegend. Wäre Chloe in einer anderen Stimmung gewesen, hätte sie die Augenbrauen hochgezogen, doch jetzt nickte sie nur. „Mhm.“

Sanft ergriff er ihren Arm und führte sie durch den Saal zu ihren Gastgebern. Wie ferngesteuert bedankte sich Chloe für die Einladung und rief auf dem Weg zur Haustür mehreren Bekannten Abschiedsworte zu. Neben sich spürte sie Ryder, der flüchtig mit diesem und jenem Gast sprach. Seine Stimme war beunruhigend sexy.

Wenig später saß Chloe in einem schwarzen Jaguar und fuhr mit Ryder durch die Dunkelheit Richtung Stadt. Wie kann er sich ein Auto leisten, das mehr kostet, als ich im Jahr verdiene? Ihr Blick fiel auf seine kostspielige Armbanduhr – und gleich danach auf die Hand, die das Lenkrad sicher umschlossen hielt.

Sie stellte sich vor, wie es wäre, wenn Ryder sie mit dieser großen kräftigen Hand streicheln würde. Ein intensives Verlangen stieg in ihr auf.

Ryder parkte auf halbem Weg zwischen seinem Hotel und ihrer Pension. Er stieg aus, ging um den Wagen herum, öffnete die Beifahrertür und streckte Chloe eine Hand entgegen. „Wie wäre es mit einem Schlummertrunk?“

„Gern.“ Sie legte ihre rechte Hand in seine. Die sexuelle Spannung zwischen ihnen war deutlich spürbar. Ihr war so heiß, dass Chloe die kühle Nachtluft kaum spürte.

Dann stand sie in Ryders Suite. Eigentlich war es von dem Augenblick an klar, als wir die Party gemeinsam verlassen haben, gestand sich Chloe ein. Die Nachttischlampe verbreitete schwaches Licht. In einem mit Eiswürfeln gefüllten Kühler stand eine Flasche Champagner als Aufmerksamkeit des Hauses.

Allerdings war ein Schlummertrunk kein Thema mehr, als Ryder beide Hände auf ihre Schultern legte. Er senkte den Kopf ein wenig, um ihr in die Augen sehen zu können. „Chloe?“

„Ja“, flüsterte sie kaum hörbar. Sie wusste, dass sie mit diesem kurzen Wort allem zustimmte, was nun folgen würde.

Seltsam, wie aus einem alten Bekannten des letzten Jahres der sexy Fremde des neuen Jahres werden kann, war Chloes letzter Gedanke, bevor Ryders warme Lippen ihre suchten – und fanden.

4. KAPITEL

Ohne den Mund von ihrem zu lösen, schob Ryder Chloe sanft zurück bis an die Wand. Sie unterbrachen den Kuss auch nicht, als sie sich gegenseitig auszogen. Chloe trug ein schwarzes Cocktailkleid mit einem eng anliegenden Oberteil und Ärmeln aus durchsichtiger Spitze. Ryder streifte es von ihren Schultern herunter bis zu den Ellenbogen.

„Das ist doch verrückt“, stieß sie atemlos hervor.

„Hör auf zu denken, und lass dich einfach fallen.“ Er ließ seine Lippen zu ihrem Hals gleiten.

Vielleicht hat er recht. Ab morgen werde ich als Fins Assistentin noch mehr ackern müssen als bisher, also sollte ich das Leben heute noch mal richtig genießen und die leidige Tatsache vergessen, dass ich keinen Begleiter für die Davenport-Party habe.

Ryders Mund zog eine Spur kleiner Küsse bis zu Chloes Brüsten. Sie war heilfroh, dass sie sich für die verführerische schwarze Satinunterwäsche entschieden hatte. Er öffnete den BH und umschloss eine Brustwarze mit den Lippen. Chloe fühlte sich, als würde Ryder mit seinen Zärtlichkeiten Funken in ihrem Körper entzünden, die sich immer weiter ausbreiteten. Sie lehnte den Kopf zurück und schloss vor Wonne die Augen, während er seine Aufmerksamkeit der anderen Brust widmete.

Schließlich ging er auf die Knie und ließ seine Zungenspitze über Chloes Bauch abwärts wandern. Dabei zog er ihr die restlichen Kleidungsstücke aus, bis sie nur noch schwarze Seidenstrümpfe trug.

Plötzlich spürte sie seine Zunge an der empfindsamen Stelle zwischen ihren Beinen. Eine Flamme der Lust loderte in ihr empor und nahm ihr den Atem.

Chloe riss die Augen auf. Moment mal. Dies ist Ryder, mein früherer Mitschüler. Der Junge aus der Nachbarschaft. Mrs McPhees Sohn. Was passiert hier eigentlich gerade?

Ihre Knie bebten. Ryder merkte es und richtete sich auf. Er hob sie in seine starken Arme, trug sie zum Bett und legte sie behutsam hin. Gleich darauf streckte er sich neben ihr aus.

Langsam streichelte er über ihre schwarzen Seidenstrümpfe. „Ich hab mich früher manches Mal gefragt, wie du wohl nackt aussiehst“, gestand er lächelnd.

„Jetzt weißt du es.“ Beklommenheit schwang in ihrer Stimme mit. Chloe versuchte zwar, fit zu bleiben, aber ihr schlanker Körper hatte mehr mit guten Genen als mit Sport zu tun.

Ryder betrachtete sie von Kopf bis Fuß. „Stimmt. Jetzt weiß ich es.“

„Und … Gefällt dir, was du siehst?“

„Gefallen ist weit untertrieben.“

Das Verlangen in seinen Augen war so deutlich zu sehen, dass Chloe ihre Unsicherheit ablegte. Sie vergrub eine Hand in Ryders dunklen Haaren und zog ihn an sich, um ihn zu küssen.

„Du hast noch ziemlich viel an“, raunte sie mit ihren Lippen dicht an seinen.

„Das lässt sich schnell ändern.“ Er stand auf.

Chloe stützte sich auf den Ellenbogen, um Ryder zuzuschauen. Er griff in den Kulturbeutel auf dem Nachttisch und zog ein knisterndes Päckchen hervor. Nachdem er es auf das Bett gelegt hatte, öffnete er seinen Gürtel und begann, sich auszuziehen. Dabei nahm er den Blick nicht von Chloe.

Als er schließlich nackt war, murmelte sie: „Mir gefällt auch, was ich sehe.“

Er grinste. „Ich gebe mir Mühe.“

„Ach ja? Das musst du erst noch beweisen.“

Ryder zog eine Augenbraue hoch. „Kein Problem.“ Sofort lag er wieder neben ihr, küsste ihren Hals und zeichnete mit den Handflächen die Kurven ihres Körpers nach.

Seine Finger schienen überall zu sein. Chloe kostete es aus, sich von Ryder erregen zu lassen und ihn gleichzeitig zu berühren. Sie spürte die Muskeln auf seinem Bauch und Rücken. Mutig ließ sie ihre Hände sinken und streichelte seine Oberschenkel, um sich schließlich zum harten Beweis seiner Männlichkeit vorzuwagen.

Jäh wich Ryder zurück. „Ich will nicht, dass es zu schnell geht“, sagte er mit rauer Stimme.

Er nahm das Kondom aus dem Päckchen und streifte es über. Dann zog er Chloe in seine Arme. „Wo waren wir stehen geblieben?“

„Hmm … Irgendwo zwischen wundervoll und fantastisch?“ Sie knabberte an seiner Unterlippe.

„Ja, ich erinnere mich.“

Ryder nahm ihr Gesicht in die Hände und küsste Chloe leidenschaftlich. Als er sich zwischen ihre Beine legte, konnte sie es kaum erwarten, ihn in sich aufzunehmen.

Endlich drang er in sie ein. Es fühlte sich hundertprozentig richtig an. Chloe rief seinen Namen, ballte die Hände und presste sie in das Bettlaken.

„Du bist so heiß“, flüsterte er mit geschlossenen Augen. „Ich will dich spüren.“

Instinktiv passte sich Chloe seinem Rhythmus an. Es war, als würde ein Sturm sie erfassen und umherwirbeln. Sie spürte, wie sich ihre Muskeln anspannten, bis sie kaum noch Luft bekam. Dann löste sich mit einem Schlag die Spannung auf, und ein ungeahnt heftiger Höhepunkt riss sie mit sich.

Ryder fühlte es. Jetzt hielt er sich nicht länger zurück, presste seinen Mund auf ihren und stieß fest in sie hinein, um gemeinsam mit ihr zu kommen.

Wenig später lagen sie nebeneinander. Chloe hatte keine Ahnung, wann sie zuletzt so zufrieden und entspannt gewesen war. Ihr Kopf ruhte auf Ryders Schulter. Als er ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, drehte sie den Kopf und küsste seine Handfläche.

Lange sahen sie sich in die Augen.

„Was war das denn eben?“, flüsterte Chloe.

Er lächelte sie an, und auf einmal spürte sie etwas von der früheren Vertrautheit in einer Welt, die so unerwartet aus den Fugen geraten war. Ich hatte Sex mit Ryder!

„Was das war?“, wiederholte er nachdenklich. „Wenn du das nicht weißt, werde ich wohl langsam alt.“

Wirst du nicht, widersprach sie stumm und wunderte sich über den Ausdruck in seinen Augen, den sie nicht recht deuten konnte. „Woran denkst du gerade?“, fragte sie.

„Dass ich in der Highschool noch heftiger in dich verknallt gewesen wäre, wenn ich gewusst hätte, wie gut wir zusammen sind.“

„Verknallt? Na hör mal, du warst unausstehlich!“

„Richtig“, bestätigte er. Mit seinem Zeigefinger fuhr er Chloes Schlüsselbein nach. „Verknallt und unausstehlich. Bis heute Abend dachte ich allerdings, ich wäre von einer dieser beiden Plagen geheilt.“

„Von welcher denn?“

5. KAPITEL

Mach jetzt bloß keinen Fehler, mahnte sich Ryder. Wir sind wieder in der Realität angekommen. Chloe sieht aus, als wäre sie kurz davor, das Hotel fluchtartig zu verlassen. Trotzdem muss sie erfahren, dass gerade ein langer Weg zu Ende gegangen ist – wenigstens für mich.

„Was glaubst du?“, spielte er die Frage zurück.

„Ich weiß es nicht. Auf der Silvesterparty warst du ja wieder ziemlich frech …“

Ryder verzog das Gesicht, als würde er die Kritik nur ungern hören. „Du nimmst immer noch kein Blatt vor den Mund. Okay, wenn ich nach wie vor unausstehlich bin, müsste ich also das Verknalltsein abgelegt haben.“ Er fuhr fort, Chloe zu streicheln, und bemühte sich um einen lockeren Tonfall. „An der Highschool war ich verrückt nach dir.“

„Das hast du aber gut verborgen.“

„Wirklich? Sag bloß, meine Strategie, dich zu kriegen, hat nicht funktioniert? Was hätte ich denn noch anstellen sollen, um dir aufzufallen? An deinen Zöpfen ziehen?“

„Erstens hatte ich nie Zöpfe. Und zweitens: Da du mich nicht gekriegt hast, kann deine Strategie nicht besonders gut gewesen …“

Chloe verstummte, als sie bemerkte, dass Ryder seinen Blick über ihren nackten Körper wandern ließ. Schließlich sah er ihr wieder in die Augen. „Ich habe dich nicht gekriegt? Bist du sicher? Mir kommt es nämlich vor, als hätte ich dich auf die absolut beste denkbare Weise bekommen.“

Das Blut stieg ihr in die Wangen.

„Jetzt stellt sich die Frage: Wie geht es mit uns weiter?“, meinte Ryder langsam.

Von einer Sekunde zur anderen fühlte Chloe sich überhaupt nicht mehr entspannt. „Muss es denn weitergehen? Keine Sorge, ich erwarte nichts von dir. Du bist zu nichts verpflichtet, bloß weil unsere Familien mal Nachbarn waren.“

Ryder hielt inne. Er hatte nie damit gerechnet, nach spektakulärem Sex als One-Night-Stand abserviert zu werden und deswegen auch noch gekränkt zu sein. Chloe redete so nüchtern daher … Wahrscheinlich bin ich nicht der erste Mann, den sie mit dieser Masche loswerden will, überlegte er. Fab Davs Umgang mit dem anderen Geschlecht hat sich seit der Highschool erstaunlich verändert.

Sie schien auf der Hut vor ihm zu sein, und er konnte es ihr nicht einmal verübeln. Schließlich hatte er sie früher ständig gehänselt und geärgert. Einmal waren sie beide auf einer Party sogar im Swimmingpool gelandet. Chloe hatte versucht, sich an Ryder vorbeizuschieben. Er war aus dem Gleichgewicht geraten, hatte sie gepackt und mit ins Wasser gerissen. Sie war stocksauer gewesen – nicht zuletzt, weil sie so gern einen seiner Kumpels beeindrucken wollte. Ryder wusste noch, dass er den Typen am liebsten erwürgt hätte.

Er stand erst am Anfang seines Projekts, vor Chloe in einem anderen, günstigeren Licht zu erscheinen. Die letzten Stunden waren ein sensationeller Auftakt gewesen. Viel besser, als Ryder es sich ausgemalt hatte – und er hatte es sich wahrlich oft ausgemalt.

Auf dem Weg ins Büro wanderten Chloes Gedanken zu der Silvesterparty zurück. Sie konnte immer noch nicht richtig fassen, was passiert war.

Ich hab mit Ryder McPhee geschlafen, dachte sie ungläubig, als sie am Kopierer stand und die Blätter durch die Maschine sausten. Bin ich schon dermaßen verzweifelt, dass ich einfach so mit einem alten Schulkameraden ins Bett steige? Offenbar.

Jener Ryder, der ihr am Silvesterabend begegnet war, unterschied sich jedoch erheblich von dem aus der Highschool. Heute brauchte er sie nur anzuschauen, und schon wollte sie ihn. Kaum berührte er sie, wurden ihre Knie weich. Ein Kuss von ihm, und ihre Widerstandskraft löste sich in nichts auf.

Sie reagierte so intensiv auf ihn, dass es ihr regelrecht Angst machte. Diese Angst hatte sie auch dazu getrieben, sich zu schützen. Der Sex mit Ryder war unvergleichlich schön gewesen, doch sobald Chloe wieder zur Besinnung gekommen war, hatte sie instinktiv nach Deckung Ausschau gehalten.

Zugegeben, sie war frustriert gewesen, weil sie allein zur Silvesterparty hatte gehen müssen. Aber mit Ryder McPhee hatte sie nun wirklich nicht gerechnet – und ebenso wenig damit, sich plötzlich unsicher und verletzlich zu fühlen.

Mit Ryder zu schlafen, ist ja wohl der beste Beweis dafür, dass ich in Bezug auf Männer total von der Rolle bin.

Chloe wusste nach wie vor nicht, welchen Mann sie zur Party ihrer Eltern mitnehmen sollte. Ryder schied als Kandidat aus, denn falls es zwischen ihnen nicht funktionierte, würden sowohl seine als auch ihre Mutter davon erfahren. Das würde alles nur noch komplizierter machen. Chloes Familie kannte Ryder von früher und erwartete ganz sicher nichts in Richtung Beziehung zwischen den beiden jungen Leuten.

Wenn Chloe ehrlich war, musste sie zugeben, dass Ryder auch aus anderen Gründen nicht als ihr Begleiter infrage kam. Er wirkte so kultiviert und weltmännisch. Man musste ja nur seinen Jaguar sehen, um zu wissen, dass er beruflich ausgesprochen erfolgreich war. Sie hingegen kroch die Karriereleiter im Schneckentempo hinauf und arbeitete im Grunde als Sekretärin.

Es gibt keinen Grund, warum er sich für mich interessieren sollte, sagte sie sich. Vermutlich ist er bloß auf Gelegenheitssex aus, oder neugierig, wie sich das Mädchen gemacht hat, das mal in seine Schule ging.

Deshalb hatte sie auch gleich in der Silvesternacht klargestellt, dass sie nicht davon ausging, dass toller Sex zu mehr führen müsse. Schließlich hatte Ryder im Bett selbst bestätigt, dass seine Schwärmerei von früher längst vergessen war. Und seine Frage „Wie geht es mit uns weiter?“ … So etwas fragte Chloes Erfahrung nach nur ein Mann, der auf dem Absprung war. Er hatte es darauf angelegt, von ihr zu hören, dass sie keine Ansprüche an ihn stellte.

Soll er mich ruhig für arrogant halten. Immer noch besser, als ihm die Wahrheit zu sagen: Dass ich noch nie einen One-Night-Stand hatte – bis er wieder in meinem Leben aufgetaucht ist.

Seufzend packte Chloe den Stapel Kopien und kehrte zu ihrem Schreibtisch zurück. Kurz vor ihrem Ziel prallte sie mit einer der Elliott-Zwillingsschwestern zusammen.

„Hey, Vorsicht!“

„Tut mir leid, Summer, ich hab dich nicht gesehen.“

„Das glaub ich dir sofort“, sagte Summer gutmütig. „Du warst mit deinen Gedanken ja meilenweit weg.“

„So was in der Art“, wich Chloe aus. „Suchst du Scarlet?“

Die fünfundzwanzigjährigen Elliott-Zwillinge arbeiteten beide bei EPH, Summer für The Buzz und Scarlet für Charisma. Am Anfang war es Chloe sehr schwergefallen, sie auseinanderzuhalten, doch mit der Zeit hatte sie gelernt, die Frauen anhand ihrer verschiedenen Modestile zu unterscheiden. Scarlet kleidete sich gern extravagant und bunt; Summer hingegen hatte ein Faible für die Mode der Fünfzigerjahre und erschien oft in Twinsets mit Perlenkette.

„Ich bin mit Scarlet zum Mittagessen verabredet“, antwortete Summer. „Möchtest du mitkommen?“

Chloe schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich hab zu viel zu tun. Ich werde am Schreibtisch eine Kleinigkeit essen.“

„Tante Finny hat wohl schon losgelegt, wie?“

„Frag lieber nicht“, meinte Chloe leichthin.

Normalerweise unterhielt sie sich gern mit den Elliott-Zwillingen, doch heute kam ihr die Arbeit als Ausrede sehr gelegen. Wenn sie mit Summer und Scarlet zum Essen ging, verriet sie womöglich etwas über Ryder. Und sie wollte nun wirklich niemandem anvertrauen, welcher Aufruhr seit Silvester in ihrem Privatleben herrschte, das vorher so gut wie nicht existiert hatte. Kein Zweifel, Summer würde mitfühlend zuhören, doch angesichts ihres eigenen wohlgeordneten Lebens könnte sie Chloes Lage bestimmt nicht nachvollziehen. Summer hatte einen festen Freund mit einer leitenden Position in der Werbebrache. Chloe vermutete stark, dass bei den beiden in der nächsten Zeit eine Verlobung anstand.

„Okay, aber du siehst aus, als wärst du vom Wochenende noch total durcheinander. Falls du ein offenes Ohr brauchst, stell ich mich gern zur Verfügung.“

„Vielen Dank. Das ist lieb von dir.“ Chloe lächelte tapfer. Summer ist nicht dumm, ebenso wenig wie irgendeiner ihrer zahlreichen Verwandten. Wie vielen Elliotts mag wohl aufgefallen sein, dass ich die Silvesterparty zusammen mit Ryder verlassen habe?

Kaum war Summer gegangen, klingelte das Telefon. Chloe griff mechanisch zum Hörer und meldete sich wie immer: „Charisma, Sie sprechen mit Chloe Davenport.“

„Hallo, Chloe.“

6. KAPITEL

In ihrer Magengrube breitete sich ein seltsames Gefühl aus, als die tiefe Männerstimme am anderen Ende der Leitung erklang. „Ryder, hallo.“ Sie setzte sich. „Wie geht es dir?“

„Gut. Allerdings würde es mir besser gehen, wenn ich dich sehen könnte.“

Ganz schön direkt, dachte sie. Offenbar komme nicht nur ich gern schnell zur Sache. Sie schlug einen unbekümmerten Ton an: „Ich mag Männer, die wissen, was sie wollen.“

Ryder lachte. „Wenn ich dir sagen würde, was ich wirklich will, hätte ich bestimmt Ärger am Hals. Immerhin ist dies eine geschäftliche Telefonleitung, also muss ich den Anstand wahren.“

Der Mann, mit dem ich eine Nacht verbracht habe, ruft mich an und umwirbt mich! Ein wohliger Schauer rann ihr über den Rücken. „Dann sag mir nicht, was du willst, sondern, woran du gerade denkst.“

„Dass wir nicht über zehn Jahre hätten warten sollen, um miteinander zu schlafen.“

Der Schauer wurde intensiver – dabei war das Telefonat nur der Anfang.

Wenig später kamen die Blumen. Ein prachtvoller Strauß mit rosafarbenen und roten Rosen. Er war so groß, dass sie um ihn herumspähen musste, wenn jemand an ihren Schreibtisch kam, um mit ihr zu reden. Und das wollten etliche Leute, denn die Blumen weckten unweigerlich Neugier.

„Donnerwetter, du sorgst heute echt für Gesprächsstoff“, bemerkte Jessie Clayton, eine junge Praktikantin bei Charisma.

Chloe verdrehte die Augen. „Glaub mir, ich ziehe es vor, nicht das Gesprächsthema Nummer eins zu sein.“

Die hübsche Jessie nickte verständnisvoll.

Wenn jemand hier auch nur ansatzweise nachempfinden kann, wie ich mich fühle, dann sie, dachte Chloe. Jessie kam vom Land und hatte eine so liebenswerte Art, dass man sie einfach mögen musste. Vor allem aber legte sie Wert auf Privatsphäre, womit sie bei Charisma allein auf weiter Flur stand.

In der Redaktion drehte sich alles um exklusive Mode und die gehobene Gesellschaft. Die meisten Angestellten spekulierten nur zu gern darüber, wie andere Leute wohl das Wochenende verbracht haben mochten. Viele waren geradezu verrückt nach Mode und verbrachten ihre Freizeit damit, zu sehen und gesehen zu werden. Sie besuchten so viele Partys, dass es schon fast zu einem Nebenjob ausartete.

Auch Chloe schien auf den ersten Blick ins Bild zu passen, denn sie gab sich Mühe, dem Klischee einer Fashionista zu entsprechen. Sie ging gern shoppen und versuchte, ihre Kleidung durch Accessoires so abzuwandeln, dass sie nie zweimal im selben Outfit im Büro erschien. Dabei war es natürlich hilfreich, dass Designer die Redaktion umsonst mit Stücken aus ihren neuesten Kollektionen belieferten, weil sie hofften, in Charisma erwähnt zu werden. Fin bekam mehr kostenlose Klamotten geschickt, als sie jemals hätte tragen können, also profitierte auch Chloe als Fins Assistentin von dem Überfluss.

Die nächsten zwei Wochen vergingen wie im Flug. Ryders Anruf und seinen Blumen folgte eine Einladung. Chloe zögerte kurz, konnte aber dem Drang nicht widerstehen, Ryder zu sehen.

Mal trafen sie sich zum Abendessen, mal schauten sie sich ein Theaterstück am Broadway an, gingen zum Eislaufen in den Central Park oder besuchten eine Ausstellungseröffnung im Metropolitan Museum of Art, zu der Ryder eine der begehrten Einladungen erhalten hatte.

Er verschwendete keine Zeit damit, sich cool und zurückhaltend zu geben. Ryder begehrte Chloe, und er zeigte es. Ihr gefiel es, dass er nicht die Spielchen spielte, die sie von anderen Männern kannte. Mit ihm gab es kein umständliches Ritual, kein lästiges Warten darauf, dass er endlich anrief. Er hielt sie nicht bis Mittwoch hin, um sich erst dann für Samstag mit ihr zu verabreden, und er ließ sie auch nicht im Unklaren darüber, ob er sich überhaupt melden würde.

Dank Ryder fühlte sie sich weiblich und begehrt. Anfangs war sie noch ein wenig befangen, weil sie sich fragte, wohin diese Beziehung eigentlich führen sollte. Doch er behandelte sie so aufmerksam und zuvorkommend, dass sich ihre Zweifel schließlich verflüchtigten.

Jeder gemeinsame Abend endete entweder in Chloes Apartment oder in Ryders Penthouse mit Dachterrasse in Tribeca, einem der angesagtesten Stadtteile New Yorks.

Als Chloe das luxuriöse Penthouse zum ersten Mal betrat, wurde ihr bewusst, wie erfolgreich Ryder seit der Highschool gewesen sein musste. Sie erkundigte sich nach seiner Arbeit, doch er antwortete nur knapp: „Ich bin in eine Internetfirma eingestiegen, wie viele Leute in den späten Neunzigern – mit der Ausnahme, dass meine Firma nicht Pleite gemacht hat, sondern auch heute noch recht gut dasteht.“

Eines Abends schlenderten sie gemeinsam über den West Broadway in der Nähe von Ryders Wohnung, als er Chloe vorschlug, ihn am folgenden Samstag zu einem Skiwochenende zu begleiten.

„Ich muss am Samstag zu einer Familienfeier“, antwortete sie bedauernd.

Er zog eine Augenbraue hoch. „Was für eine Familienfeier ist es denn?“

„Die traditionelle Neujahrsparty bei meinen Eltern.“ Chloe war mit sich zufrieden, weil sie gelassen klang. Ryder sollte um keinen Preis den Eindruck bekommen, als hätte die Party einen besonderen Stellenwert für sie. Da fiel ihr ein, dass ihre und Ryders Mutter sich immer mal wieder über den Weg liefen und Mrs McPhee im Laufe der letzten Jahre auch öfter auf der Party zu Gast gewesen war. „Könnte sein, dass deine Eltern auch eine Einladung bekommen haben.“

„Meine Eltern werden nicht kommen können. Sie sind nach Florida geflogen, um Verwandte und Freunde zu besuchen.“

Gut, dachte Chloe erleichtert. Dann werde ich Ryders Eltern nicht zu Gesicht bekommen und mich nicht fragen müssen, ob sie über ihren Sohn und mich Bescheid wissen – oder ob ich womöglich selbst erwähnen sollte, dass wir uns in letzter Zeit oft sehen. Ich kann ja schlecht sagen: „Übrigens, Ryder und ich schlafen miteinander.“ Das wäre denn doch ein bisschen zu offen, sogar für meine Verhältnisse.

Ryder sah ihr in die Augen. „Lad mich ein.“

Chloe musste schmunzeln, weil Ryder wieder einmal bewies, dass er ihren Hang teilte, nicht lange um den heißen Brei herumzureden.

„Okay“, hörte sie sich sagen.

Auf dem Rückweg zum Penthouse redete sie sich ein, dass es keine große Sache war, Ryder zu der Party mitzubringen. Zugegeben, man würde ihr Fragen stellen, aber erstens war Ryder für die Davenports kein Fremder, und zweitens wies er alles auf, was Chloe sich von einem Begleiter nur wünschen konnte: Er sah gut aus und hatte Erfolg im Beruf. Obendrein war sie auch noch verrückt nach ihm.

Sie traten aus dem Aufzug direkt in das Penthouse. Als Ryder sie in seine Arme zog, hörte sie auf zu grübeln und ließ sich einzig von ihrem Verlangen leiten.

7. KAPITEL

Die Party war bereits in vollem Gang, als Chloe und Ryder in Westchester ankamen. Schon an der Haustür hörten sie Leute lachen und lebhaft miteinander reden.

Chloes Eltern hatten die Neujahrsparty vor Jahren aus der Taufe gehoben, weil es immer schwieriger wurde, Familie und Freunde in der hektischen Weihnachtszeit unter einem Dach zu versammeln. Erst recht, seit ihre älteste Tochter Maxine verheiratet war und die Feiertage abwechselnd bei ihren Eltern und denen ihres Mannes verbrachte. Die Party im Januar bot den Davenports eine willkommene Chance, ihre beiden Enkelkinder zu sehen.

„Chloe, endlich bist du da!“

Sie unterdrückte ein Stöhnen, als Maxine mit der achtzehn Monate alten Emma im Arm auf sie zusteuerte. Irgendwie schaffte ihre ältere Schwester es immer, ihren Worten einen vorwurfsvollen Unterton zu verleihen.

Na klasse, dachte Chloe gereizt. Wir haben eben erst unsere Mäntel an die Garderobe gehängt, und schon stehe ich vor der ersten Herausforderung. Wie mache ich Maxine am besten klar, wen ich mitgebracht habe?

Maxine beugte sich vor und küsste die Luft neben Chloes Wangen. Pflichtbewusst erwiderte Chloe die Begrüßung. Sie wusste ja, dass ihre Schwester es für überflüssig hielt, ein perfektes Make-up durch innige Begrüßungen zu ruinieren.

Offenkundig hatte Chloes Pullover es Emma angetan. Maxine trat einen Schritt zurück und löste die kleine Faust ihrer Tochter vom Ausschnitt ihrer Schwester. „Nein – nein – nein“, sang sie. Gleich darauf fiel ihr Blick auf Ryder. Sie machte keinerlei Anstalten, ihre Neugierde zu verbergen.

Da muss ich jetzt durch, beschloss Chloe. Sie betete ihre Nichte und ihren vierjährigen Neffen Andrew an, konnte aber ungleich weniger mit deren stets auf Hochglanz polierten Eltern anfangen.

Resigniert meinte sie: „Maxine, du erinnerst dich doch an Ryder McPhee, nicht wahr?“

„Ryder, natürlich!“ Maxine streckte dem Neuankömmling ihre rechte Hand entgegen. „Kein Wunder, dass mir dein Gesicht so bekannt vorkam. Wie schön, dass du hier bist. Meine Güte, wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?“

Er schüttelte ihre Hand. „Seit der Highschool, glaube ich. Du hast dich kein bisschen verändert, Maxine.“

Chloe fragte sich, ob sie es sich nur einbildete oder ob in Ryders Bemerkung tatsächlich mehr als eine einzige mögliche Bedeutung mitschwang. Das Auftauchen ihres Schwagers Gavin hielt sie von weiteren Überlegungen ab.

Maxine hielt ihrem Mann das Kind hin. „Nimmst du sie bitte, Darling?“

Nachdem Gavin seine Tochter auf den Arm genommen hatte, machte Chloe die beiden Männer miteinander bekannt. Es folgte höfliche Konversation, wobei Maxine argwöhnisch zwischen Chloe und Ryder hin- und herblickte.

„Seid ihr beide eigentlich zusammen hier angekommen?“, erkundigte sie sich schließlich.

Ryder legte einen Arm um Chloes Schultern. „Ja. Lasst mich doch bitte wissen, falls mein Wagen jemandem im Weg steht. Es ist der schwarze Jaguar am Ende der Auffahrt.“

Chloe konnte förmlich sehen, wie die grauen Zellen ihrer Schwester fieberhaft arbeiteten. Maxine war Hausfrau und Mutter und lebte in einem schicken New Yorker Vorort. Obwohl sie nicht für ein Modemagazin arbeitete, hatte sie ein bemerkenswertes Talent dafür, Reichtum zu erkennen – auch wenn er nicht demonstrativ zur Schau getragen wurde. Deshalb entgingen ihr jetzt weder Ryders maßgeschneiderter Anzug noch seine teuren Schuhe. Auf ihrer sonst so glatten Stirn erschien eine senkrechte Falte.

„Weißt du, Chloe bringt nur selten einen Mann zu unseren Familientreffen mit“, wandte sie sich an den ehemaligen Nachbarsjungen. „Ich hoffe nur, der Grund dafür ist nicht, dass sie sich für ihre Verwandten schämt!“

Gavin lachte. „Daran liegt es bestimmt nicht, Darling.“

Bevor Chloe etwas erwidern konnte, sagte Maxine zu ihr: „Was für eine putzige Idee, jemanden aus unserer alten Highschool mitzubringen. Ich selbst habe noch nie daran gedacht, diese alten Bekanntschaften aufzuwärmen. Ganz schön clever von dir.“

„Was machst du denn beruflich, Ryder?“, fragte Gavin.

So redet er vermutlich auch mit neuen Mitgliedern in seinem Golfclub, dachte Chloe. Der Druck der Hand auf ihrer Schulter verstärkte sich ein wenig.

„Seit ich während des Internet-Booms einige meiner Anteile an Gizmo verkauft habe, bin ich Investmentmanager“, antwortete Ryder.

Gavin sah beeindruckt aus, ebenso wie seine Frau. Kein Wunder, schoss es Chloe durch den Kopf. Gizmo war eine der erfolgreichsten Suchmaschinen im Internet – derart erfolgreich, dass auch Chloe schon davon gehört hatte. Als die Gründer vor ein paar Jahren einen Teil der Aktien an Privatanleger verkauft hatten, waren sie auf einen Schlag Multimillionäre geworden.

Verdutzt blickte Chloe den Mann an, der ihr gegenüber immer so vage geblieben war, wenn es um seinen Beruf ging. Warum hat er Gizmo nie erwähnt? Wenn er Anteile an dieser Firma verkauft hat, muss er mehrfacher Millionär sein. Kein Wunder, dass er sich Investmentmanager nennt. Wahrscheinlich ist es ein Vollzeitjob, sein Vermögen zu verwalten.

Maxine gab vor, sich um die unruhige Emma kümmern zu müssen, und ging mit Gavin davon. Sobald sie außer Hörweite waren, stellte Chloe ihren Begleiter zur Rede: „Warum hast du mir nichts von Gizmo erzählt? Bist du etwa einer der Gründer?“

Ryder zuckte die Schultern. „Ich habe die Firma zusammen mit einem Kumpel von der Uni aufgebaut.“ Er nickte in die Richtung, in die Maxine und Gavin gerade verschwunden waren. „Und du? Warum hast du mir nichts von Mr und Mrs Perfect erzählt? Oder sollte ich besser sagen: von Barbie und Ken?“

Jetzt war die Reihe an Chloe, mit den Schultern zu zucken. „Was gibt es da zu sagen? Sie gehören halt zur Familie. Das kann man ja wohl nicht mit der Tatsache vergleichen, dass du Internet-Millionär bist und mir keinen Ton davon gesagt hast.“

„Schätzchen, ich freu mich so, dass du hier bist!“

Chloe drehte sich um und sah sich ihrer Mutter gegenüber. Die wirkte mit ihren sechundsechzig Jahren wie eine ältere Ausgabe von Maxine, nur wesentlich zerstreuter.

Um der Höflichkeit Genüge zu tun, zeigte Chloe auf den Mann neben sich, der ihr in diesem Moment ziemlich unbekannt vorkam. „Mom, erinnerst du dich an Ryder McPhee? Du triffst doch manchmal seine Mutter.“

„Guten Tag, Mrs Davenport“, begrüßte Ryder die Gastgeberin.

Chloes Mom stutzte. Gleich darauf strahlte sie. „Oh … Ja, natürlich! Ryder! Wie schön, dass du zu unserer Party kommen konntest.“ Sie schaute von ihm zu ihrer Tochter und wieder zurück. „Ich bin bloß überrascht … überrascht und sehr erfreut. Ich habe Helen ja gesagt, dass – also, was ich meine, ist: Ich wusste nicht, dass sie dir davon erzählt hat …“

Chloe spürte, wie Ryders Gelassenheit einer gewissen Anspannung wich. „Was hat Mrs McPhee ihm erzählt, Mom?”, hakte sie nach.

Ihre Mutter lächelte. „Dass Helen und ich euch beide verkuppeln wollten! Mir war nicht klar, dass sie Ryder gesagt hat, was wir besprochen haben, als wir uns das letzte Mal beim Einkaufen über den Weg gelaufen sind. Aber es ist ja auch einerlei, denn hier seid ihr. Zusammen!“

Chloes Blutdruck schnellte in die Höhe. Hier sind wir in der Tat, dachte sie wütend. Also war es gar kein Zufall, dass Ryder und ich uns auf der Silvesterparty der Elliotts begegnet sind. Er hatte es geplant! Endlich bringe ich zum Familientreffen einen Mann mit, auf den ich stolz bin und den ich einfach toll finde. Jemanden, den ich ganz allein gefunden habe, ohne die Hilfe meiner Mutter – davon war ich jedenfalls bis eben überzeugt. Und jetzt stellt sich heraus, dass Mom mir auch diesen Begleiter besorgt hat. Demütigender geht es ja wohl nicht.

Maxine stand ganz in der Nähe und hatte offenbar alles mitbekommen. Die Blicke der Schwestern trafen sich.

Wenn ich so recht darüber nachdenke, gibt es vielleicht doch noch etwas Demütigenderes.

Prompt klatschte Maxine in die Hände. „Wunderbar! Mom hat für Chloe mal wieder die Kastanien aus dem Feuer geholt!“

8. KAPITEL

Ryder konnte in Chloes Miene lesen, dass er kurz davor war, k. o. zu gehen. Er musste sich etwas einfallen lassen, und zwar schnell.

Verdammt.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass Mrs Davenport ausplaudern würde, wie die beiden Mütter ein Rendezvous ihrer Kinder geplant hatten. Als seine Mutter mit der Idee auf ihn zugekommen war, hatte er so getan, als sei er kein bisschen an Chloe interessiert. Allerdings musste er einräumen, dass die Unterhaltung mit seiner Mutter den Anstoß für sein eigenes Projekt gegeben hatte: Wie kann ich Chloe wiedersehen?

Vermutlich war es seiner Mutter peinlich gewesen, Mrs Davenport zu gestehen, dass Ryder kein Interesse an einer Verabredung mit Chloe zeigte. Also hatte sie ihre Bekannte in dem Glauben gelassen, sie habe das Thema gar nicht angesprochen. Mrs Davenport hingegen erklärte sich Ryders Anwesenheit auf der Party offenkundig damit, dass Helen McPhee ihren Sohn zu einer Verabredung mit Chloe überredet hatte.

Ich hätte darauf vorbereitet sein müssen … Aber wie zum Teufel sollte ich ahnen, dass Mrs Davenport die falsche Schlussfolgerung zieht? Zu allem Überfluss auch noch vor der süffisant grinsenden Maxine, die es jetzt garantiert überall herumtratschen wird, bis auch der letzte Gast informiert ist?

„Entschuldigen Sie uns bitte.“ Kurz entschlossen hakte Ryder seine Geliebte unter und zog sie aus dem Wohnzimmer.

Auf dem Weg in den Flur spürte er, wie sich Chloe versteifte. „Hör mal“, murmelte er. „Ich weiß, dass du wütend auf mich bist, aber …“

„Tatsächlich?“, unterbrach sie ihn sarkastisch. „Wie kommst du denn darauf?“

„Aber jetzt musst du mir erst einmal sagen, wo wir uns unter vier Augen unterhalten können“, beendete Ryder seinen Satz.

Als er schon fast befürchtete, Chloe würde nicht antworten, meinte sie brüsk: „In meinem alten Zimmer. Erster Stock.“

Sie stapfte die Treppe hinauf und öffnete die Tür zu einem Raum mit weißen Korbmöbeln. Teppich, Gardinen und Kissen waren in Rosa und Violett gehalten. Ryder schloss die Tür hinter sich.

Vor zehn Jahren hätte ich meinen rechten Arm dafür gegeben, Fab Davs Zimmer zu sehen, dachte er flüchtig. Dann wandte er sich Chloe zu: „Seit der Highschool hat sich hier wohl nicht viel verändert.“

Sie betrachtete ihn kühl. „Stimmt. Übrigens nicht nur, was mein Zimmer betrifft. Du bist genauso unausstehlich wie früher.“

Er lächelte, obwohl er wusste, dass er Chloes Zorn damit nur noch weiter schürte. Sag ihr jetzt besser nicht, dass du sie hinreißend findest, wenn sie wütend ist.

„Freut mich, dass wenigstens du Spaß hast“, sagte sie scharf.

Ryder machte einen Schritt auf sie zu. „Mir fällt eine dritte Sache ein, die unverändert ist: Ich finde den Gedanken, in deinem Schlafzimmer zu sein, ziemlich aufregend.“ Er schlang beide Arme um Chloe und küsste sie, bevor sie protestieren konnte.

Es war ein intensiver Kuss, der ihre Sehnsucht weckte – Sehnsucht nach mehr. Sie riss sich zusammen und legte abwehrend die Handflächen auf Ryders Brust, als er seine Umarmung ein wenig lockerte. „Das ist alles? Das ist deine Antwort? Sex soll das Problem lösen? Du hast mir absichtlich verheimlicht, dass unsere Mütter sich verschworen haben, um …“

„Und du hast mir verheimlicht, dass du mich mitnehmen wolltest, um vor Maxine und Gavin mit mir anzugeben. Ich schätze, wir sind quitt.“

Chloe zögerte. Sie konnte nicht abstreiten, dass sie sich Sorgen gemacht hatte, keinen geeigneten Begleiter für die Neujahrsparty zu finden. Allerdings hatte sich in den letzten beiden Wochen so ziemlich alles verändert.

Seit Silvester war es ihr immer unwichtiger geworden, mit irgendeinem Begleiter in ihrem Elternhaus aufzukreuzen – und immer wichtiger, mit Ryder hinzugehen. Weil sie ihn wollte. Weil sie sich bis über beide Ohren in ihn verliebt hatte.

Er beugte sich vor und küsste sanft ihre Stirn. Dann ließ er seine Lippen über ihre Schläfe bis zu ihrem Mundwinkel hinunterwandern.

Seine Liebkosungen waren so beruhigend, dass Chloe die Augen schloss. Der Schuft ist dabei, mich zu verführen, dachte sie. Und ich besitze scheinbar nicht genug Willenskraft, um mich dagegen zu wehren.

„Chloe?“

„Mhm?“

„Ich bin nicht zur Silvesterparty der Elliotts gefahren, weil unsere Mütter uns verkuppeln wollten.“

Sie blinzelte langsam. „Doch, bist du wohl.“

Ryder knabberte an ihrer Unterlippe, bevor er ein wenig zurückwich und den Kopf schüttelte. „Mom hat mir erzählt, dass sie neulich deine Mutter getroffen hatte, und wie schön sie beide es fänden, wenn ich mich bei dir melden würde.“

„Na also, du gibst es zu.“

„Aber ich habe abgelehnt. Ich bin dir bei den Elliotts nicht über den Weg gelaufen, um meiner Mutter einen Gefallen zu tun, sondern weil ich es wollte.“

Chloe sah ihn misstrauisch an. „Wie bitte?“

Er hielt ihrem Blick stand. „Ich dachte, du würdest dich auf kein Rendezvous einlassen, das unsere Mütter arrangieren. Erstens, weil du bestimmt nicht willst, dass sich jemand einmischt – vor allem nicht deine eigene Mutter. Zweitens hattest du mich ja nur so in Erinnerung, wie ich in der Highschool war, und damals habe ich dich absichtlich genervt, um dich auf mich aufmerksam zu machen.“

Das Herz, das ihr eben noch bleischwer vorgekommen war, fühlte sich jetzt leichter an. Ryder versteht, wie ich ticke – und es überrascht mich nicht einmal.

„Allerdings hat der Verkupplungsversuch meiner Mutter in meinem Kopf einen Stein ins Rollen gebracht“, fuhr er fort. „Nun wusste ich ja, dass du Single bist und bei Charisma arbeitest. Also habe ich Cullen Elliott eine Einladung zur Silvesterparty seiner Großeltern aus dem Kreuz geleiert.“

„Ganz schön aufwendig“, meinte Chloe vorsichtig.

Auf Ryders Gesicht erschien wieder dieses eigentümliche Lächeln, das sie inzwischen so gut kannte – und liebte. „Ich kenne Cullen durch gemeinsame Geschäftsfreunde. Es war nicht besonders schwer, eingeladen zu werden. Schwer ist vielmehr, nicht über jemanden hinwegzukommen, in den man in der Highschool verknallt war.“

Ihr wurde schwindlig vor Freude über dieses Geständnis. „Ich hab nie verstanden, wie ich damals an den Spitznamen Fab Dav gekommen bin. Fabelhaft habe ich mich in der Highschool ganz bestimmt nicht gefühlt.“

„Erinnere mich daran, dich eines Tages über die Gründe aufzuklären“, konterte Ryder grinsend. Im nächsten Moment wurde er wieder ernst. Eindringlich schaute er Chloe an, als wollte er in ihren Augen lesen, wie sie zu ihm stand. „Ich habe mir angewöhnt, Einzelheiten aus meinem Berufsleben für mich zu behalten. Aber ich bin davon ausgegangen, durch deine Mutter wüsstest du zumindest ein bisschen über meinen Job Bescheid.“

Sie schüttelte den Kopf. „Mom hat keinen Schimmer vom Internet. Sie hält Google für ein Geräusch, das Babys machen.“

Chloe wusste noch, dass ihre Mutter ein- oder zweimal erwähnt hatte, dass Ryder McPhee beruflich recht erfolgreich sei. Sie hatte sich nichts weiter dabei gedacht. Das Wort „erfolgreich“ hatte Chloe an einen Angestellten im mittleren Management denken lassen, der recht ordentlich verdiente. Ganz sicher nicht an ein Mitglied des Clubs der Multimillionäre.

„Gut zu wissen, dass dich nicht mein Kontostand fasziniert hat, sondern mein Körper“, bemerkte er trocken.

„Als du Silvester bei den Elliotts aufgetaucht bist, dachte ich, ich müsste um Mitternacht wieder mal einen – äh, Frosch küssen.“

Ryder lachte. „Kein Wunder, dass dich mein grünes Hemd so aus dem Konzept gebracht hat.“

„Ich hatte gehofft, du würdest dich nicht daran erinnern. Übrigens mag ich vor zwei Wochen tatsächlich auf der Suche nach einem Begleiter gewesen sein. Aber ich habe dich zu unserer Familienfeier eingeladen, weil du du bist. Nicht wegen Maxine oder Gavin.“

Mir ist völlig egal, was meine Schwester und mein Schwager denken. Ich wollte Ryder mitnehmen, weil ich an keinen anderen Mann mehr denken kann.

„Chloe, ich weiß, dass Silvester erst zwei Wochen her ist …“

„Ja.“

„Vorhin habe ich doch erwähnt, dass ich in dich verknallt war.“

Sie nickte.

„Seit der Highschool ist es nur noch schlimmer geworden.“

Behutsam legte Chloe die Fingerspitzen auf Ryders Lippen. „Ich weiß. Mir geht es genauso.“ Ihr ging das Herz auf, als sie erkannte, dass sie in jener Nacht im Hotel falsch geraten hatte. Es war nicht das Gefühl für sie, über das Ryder hinweg war, sondern sein Drang, sich ihr gegenüber unausstehlich zu benehmen.

Er lächelte. „Ich glaube, aus der Schwärmerei ist Liebe geworden.“

„Hoffentlich“, sagte sie mit gespielter Strenge, während ihr Tränen in die Augen stiegen. „Weil ich dich nämlich über alles liebe.“

„Chloe“, murmelte er.

Danach fiel ziemlich lange kein Wort mehr. Schließlich trat Chloe widerstrebend einen Schritt zurück. „Ich glaube, wir sollten uns jetzt bei den anderen Gästen blicken lassen.“

Auf der Treppe zum Erdgeschoss fragte Ryder: „Kannst du damit leben, dass deine Mutter ihre Hände im Spiel hatte, als du deinen zukünftigen Ehemann getroffen hast?“

Chloe hakte sich bei ihm ein und dachte an die kleinen McPhees, die ihnen die Zukunft bescheren würde. „Sollte ich vergessen, ihr dafür zu danken – hilf mir doch bitte auf die Sprünge.“

– ENDE –

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© 2006 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „Billionaire’s Proposition“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
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© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARA
Band 322 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Christian Trautmann

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Veröffentlicht im ePub Format in 02/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733766870

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
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1. KAPITEL

„Ich habe etwas anzukündigen“, wandte sich Patrick Elliott an die im Raum versammelten Elliotts und unterbrach damit das Stimmengewirr unter den fast fünfzehn anwesenden Personen, die sich zur Silvesterfeier eingefunden hatten. Patrick hatte verlangt, dass nur Familienmitglieder und deren Ehepartner zu diesem Treffen erschienen.

Das muss ja eine wichtige Neuigkeit sein, dachte Gannon, ebenfalls ein Elliott. Er stand neben seinem Bruder Liam und beobachtete neugierig seinen Großvater, der im Salon des Familiensitzes Hof hielt. An diesem Abend funkelten die Lichter des Weihnachtsschmucks noch einmal an den Bäumen in drei Räumen auf diesem Stockwerk des über siebenhundert Quadratmeter großen Hauses aus der Zeit der Jahrhundertwende. Das Anwesen war stets ein Hafen für die Familie gewesen, ob bei Geburten oder – tragischerweise – Todesfällen oder ob in den Zeiten der stetig wachsenden Macht und des sich mehrenden Reichtums Patrick Elliotts und seiner Erben.

Sein Großvater, ein irischer Einwanderer, mochte inzwischen zwar siebenundsiebzig Jahre alt sein, hatte jedoch einen messerscharfen Verstand und schien die Pressewelt mit nahezu spielerischer Leichtigkeit zu beherrschen. Sein Zeitschriften-Imperium berichtete über alles, von seriösen Nachrichten über Prominentenklatsch und Showbusiness bis zur Mode.

„Es ist doch noch gar nicht Mitternacht“, scherzte Bridget, Gannons jüngere Schwester. „Du hast heute Abend frei, Großvater. Hast du vergessen, dass Silvester ist?“

Patricks Augen funkelten, als er auf sie zeigte. „Wie könnte ich, wo du doch hier bist und mich daran erinnerst?“

Bridget hob grinsend ihr Glas. Gannon schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Whiskey. Seine dreiste Schwester schaffte es immer wieder, ihren Großvater ein wenig auf die Palme zu bringen.

Patrick hielt einen Moment inne und sah zu Maeve, seiner zierlichen Frau, mit der er seit mehr als fünfzig Jahren verheiratet war. Die liebevollen Blicke zwischen den beiden rührten Gannon stets aufs Neue und lösten ein vages Gefühl innerer Unzufriedenheit bei ihm aus, dem nachzugehen er sich aber weigerte. Auch diesmal verdrängte er dieses Gefühl, während er den zärtlichen Ausdruck in den Augen seiner Großmutter bemerkte, als sie seinem Großvater zunickte.

Patrick wandte sich wieder an die versammelte Familie und verkündete: „Ich habe beschlossen, mich zur Ruhe zu setzen.“

Um ein Haar hätte Gannon sein Whiskeyglas fallen gelassen. Er hatte geglaubt, der alte Mann sei so sehr mit seinem Großkonzern verheiratet, dass er bis zum letzten Atemzug die Zügel in der Hand behalten würde. Gemurmel erhob sich im Raum.

„Heiliger …“

„Du meine Güte!“

„Meint ihr, er ist krank?“

Patrick Elliot schüttelte den Kopf und hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. „Ich bin nicht krank. Es ist einfach nur an der Zeit. Ich muss einen Nachfolger finden. Und da ihr euch alle bei verschiedenen Zeitschriften bewährt habt, fällt mir die Wahl nicht leicht. Daher bin ich zu der Einsicht gelangt, dass die einzig faire Chance darin besteht, jedem von euch die Gelegenheit zu geben, sich auf besondere Weise hervorzutun.“

„Was, um alles in der Welt, hat er denn jetzt wieder vor?“, flüsterte Bridget.

„Wusstest du etwas darüber?“, fragte Gannon seinen Bruder Liam, der in der Konzernzentrale arbeitete statt in einer der Zeitschriftenredaktionen. Es war allgemein bekannt, dass er von den Enkelkindern am vertrautesten mit Patrick war. Liam sah jedoch genauso verblüfft aus wie alle anderen im Raum.

„Ich hatte nicht die leiseste Ahnung.“

Die Neuigkeit schlug ein wie eine Bombe, denn die vier wichtigsten Zeitschriften des Verlags wurden von Patricks Söhnen und seiner Tochter geführt. So war Michael, Gannons Vater, der Herausgeber des führenden Nachrichtenmagazins „Pulse“.

„Ich werde den Herausgeber unseres erfolgreichsten Blattes zu meinem Nachfolger machen. Der Chef des Magazins mit dem größten Umsatz wird die Leitung der Elliott Publication Holdings übernehmen.“

Alle schwiegen. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Drei Sekunden vergingen, in denen Gannon die geschockten Verwandten musterte. Er sah zu seinem Vater auf der anderen Seite des Raums, der ein Gesicht machte, als hätte er gerade einen Knüppel auf den Kopf bekommen.

Bridget schnaubte angewidert. „Das ist verrückt. Wie soll das funktionieren? Ist ihm eigentlich klar, dass ich dann gegen meinen eigenen Vater arbeiten muss, weil ich bei ‚Charisma‘ bin?“

Liam zuckte mit den Schultern. „Ist das schlimmer, als Geschwister aufeinanderzuhetzen?“

„Du meinst Shane gegen Finola?“, bemerkte Bridget, auf ihren Onkel und ihre Tante anspielend. „Die beiden sind Zwillinge. Irgendjemand muss Großvater zur Vernunft bringen.“

In diesem Augenblick trat Finola neben Bridget und sagte: „Er wird bei seinem Entschluss bleiben. Seht euch nur seinen Gesichtsausdruck an. Den kenne ich nur zu gut.“ Eine Spur Bitterkeit schwang in ihren Worten mit.

„Das ist nicht fair“, beklagte Bridget sich.

In Finolas Augen lag ein wehmütiger Ausdruck. „Er hat eine eigene Definition von Fairness“, sagte sie und sah Bridget lächelnd an. „Ich bin jedenfalls froh, dich in meinem Team zu haben.“

Gannon war niemand, der einem Kampf aus dem Weg ging, und er würde auch diese Herausforderung annehmen. „Möge der beste Elliott gewinnen“, sagte er an Finola gewandt, obwohl er wusste, dass es um sehr viel ging. „Wir sehen uns später.“ Er winkte Bridget, Liam und Finola zu und machte sich auf den Weg zu seinem Vater. Er verspürte Zuversicht, denn er würde alles tun, um seinem Vater dabei zu helfen, „Pulse“ zum erfolgreichsten Magazin der Elliott Publication Holdings, kurz EPH, zu machen.

Er war ein Elliott, und es lag ihm im Blut, der Beste sein zu wollen. Jedes Familienmitglied im Raum war mit den gleichen Genen und mit hohen Erwartungen auf die Welt gekommen. Ihr Leben war bestimmt von ewigem Konkurrenzkampf. Gannon wusste, dass sein gerissener Großvater genau darauf setzte. Ganz gleich, wer letztlich gewann – und er wollte alles daransetzen, dass sein Vater das sein würde –, Patrick hatte für das kommende Jahr gerade satte Umsätze für jede Zeitschrift von Elliott Publication Holdings sichergestellt.

„Du siehst aus wie ein Mann mit einer Mission.“ Sein Onkel Daniel stoppte ihn auf dem Weg zu seinem Vater.

„Ich denke, wir alle haben eine Mission“, erwiderte er und drückte die Schulter seines Onkels. „Er hätte zusammen mit einer solchen Ankündigung wenigstens einen Vorrat an Magentabletten ausgeben können.“

Daniel lachte. „Viel Glück.“

„Wünsch ich dir auch.“ Gannon ging die paar Meter weiter bis zu der Stelle, an der sein Vater und seine Mutter standen.

Michael, sein Vater, schwenkte seinen Brandy im Glas und sah ihn an. „Ich hätte wissen müssen, dass dieses Erdbeben auf uns zukommt.“

„Wer hätte das voraussehen können?“, wandte seine Mutter, der umgänglichste Mensch, den Gannon kannte, lächelnd ein. „Ich sehe, du hast dich von dem Schock erholt und bist bereit, die Herausforderung anzunehmen.“

„Es liegt mir in den Genen“, bestätigte er.

„Hast du schon ein paar Ideen?“ Michael wirkte offenkundig zufrieden.

„Klar.“ Gannon wusste, wen er unbedingt im „Pulse“-Team haben wollte, Erika Layven. Die Frau, von der er sich vor über einem Jahr getrennt hatte.

Erika prüfte das Layout der Aprilausgabe der Zeitschrift „HomeStyle“ mit kritischem Blick, ein Frühlingsblumenmotiv aus bunten Rosen, Lavendelzweigen und fröhlichen Stiefmütterchen. Ein enormer Kontrast zum grauen, bitterkalten Januarnachmittag draußen vor ihrem Fenster im fünfzehnten Stock des Bürogebäudes in Manhattan. Nachdenklich trank sie einen Schluck heiße Schokolade mit Marshmallows und wackelte unter dem Schreibtisch mit den Zehen, wobei nur Socken sie behinderten.

Bei diesem Wetter fror sie und fühlte sich alt. Der jüngste Bericht ihres Arztes machte die Sache nicht gerade besser. Außerdem war da diese Silvesterparty, die sie mit einem Mann, den man getrost vergessen konnte, besucht hatte. Der Kuss um Mitternacht war noch schlimmer gewesen. All das zusammengenommen musste verdrießliche Stimmung hervorrufen.

Andererseits gab es genug Gründe, sich gut zu fühlen. Als Chefredakteurin des zu Elliott Publication Holdings gehörenden Magazins „HomeStyle“ hatte sie die Chance, eine Vision zu entwerfen und zu verwirklichen. Sie hatte Macht und Einfluss. Einen Traumjob. Ab und an vermisste sie ein bisschen den Adrenalinkick, den sie bei „Pulse“ immer gehabt hatte, aber das verdrängte sie. Das hier ist besser, sagte sie sich. In dieser Welt hatte sie das Kommando.

Jemand klopfte an die Tür, und sie schaute zur Uhr in Form eines Frosches auf ihrem Schreibtisch. Es war schon nach halb sechs an einem Donnerstag, die meisten Angestellten genossen zweifellos bereits die Happy Hour.

„Ja?“, rief sie.

„Ich bin’s, Gannon.“ Unnötigerweise fügte er hinzu: „Gannon Elliott.“

Erika verspürte ein flaues Gefühl im Magen und brauchte einen Moment, um die Fassung zurückzugewinnen. Was will der denn? Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und riss sich zusammen. „Komm rein“, sagte sie so kühl wie möglich.

Die Tür ging auf, und ihr Ex – eins achtundachtzig, schwarzes Haar, grüne Augen und sexy Körper – erschien im Türrahmen. Erika wappnete sich und befahl ihren Hormonen, sich zu benehmen. Ihre Handflächen waren schweißfeucht und ihr Herz pochte.

Sie wünschte, sie hätte die Stiefel anbehalten, um ihm wenigstens annähernd auf gleicher Augenhöhe gegenübertreten zu können. So aber stand sie auf Socken hinter ihrem Schreibtisch auf. „Gannon, was für eine Überraschung. Was treibt dich denn hierher?“

„Ich habe dich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.“

Das ist ja deine Entscheidung gewesen, dachte sie, entschied sich jedoch für eine andere Taktik. „Ich hatte viel zu tun bei ‚HomeStyle‘.“

„Das hörte ich. Du machst einen hervorragenden Job.“

„Danke.“ Sie konnte den Anflug von Freude über seine Worte nicht unterdrücken. Gannon galt als hart und neigte nicht zu Komplimenten. „Sieht aus, als sei ‚Pulse‘ aufregend wie eh.“

Er nickte. „Was hältst du von der Serie, die wir über die sich bekämpfenden Internetviren bringen?“

„Exzellent“, sagte sie. „Ich habe es geliebt, den Tag mit einem Internet-Soldaten zu verbringen. Faszinierend.“ Nach einer winzigen Pause fügte sie hinzu: „Ich hätte einen Bruchteil mehr menschliche Aspekte hinzugefügt.“

Er grinste schief. „Das ist eines der Dinge, die ich an dir bewundere. Du siehst das Gute an einem Artikel, suchst aber immer nach einer Möglichkeit, ihn noch besser zu machen.“

„Nochmals danke“, sagte sie. „Du hast mir bisher nicht den Grund für deinen Besuch verraten.“

Er sah zu ihrem Bücherregal und neigte den Kopf zur Seite, um die Titel zu lesen. „Wie sehr gefällt es dir hier?“

Verwirrt musterte sie ihn, während er die Frosch-Uhr von ihrem Schreibtisch in die Hand nahm. Er verhielt sich nicht wie sonst. Allerdings war sie sich auch nicht ganz sicher, was sein normales Verhalten war. Seit ihrer gescheiterten Beziehung war sie gewissermaßen voreingenommen.

„Was sollte mir hier nicht gefallen? Ich helfe, die Geschicke zu lenken“, antwortete sie lächelnd.

Er schaute auf, ihre Blicke trafen sich und ihr Herz machte einen Satz.

Gannon lachte leise. „So kann man es natürlich auch sehen.“ Er stellte die Frosch-Uhr wieder auf den Schreibtisch, nahm ihren Becher und hielt ihn sich unter die Nase. „Ah, heiße Schokolade mit Marshmallows. Anscheinend hast du nicht vor, heute Abend lange wach zu bleiben.“

Erika merkte, wie ihr Sinn für Humor ihr abhandenkam. Gannon kannte viele intime Details über sie, weil sie ein Paar gewesen waren. Eine Tatsache, die sie während des gesamten vergangenen Jahres zu vergessen versucht hatte. „Gesunder Schlaf hält mich geistig fit.“

Er nickte gedankenverloren, dann fragte er: „Sag mal, vermisst du ‚Pulse‘ eigentlich?“

Diese unverblümte Frage überraschte sie. „Selbstverständlich. Das hohe Tempo und immer an vorderster Front zu sein, man hatte jeden Tag einen Adrenalinkick.“

„Und den kriegst du hier nicht“, schloss er.

„Diese Arbeit bietet eine andere Art von Befriedigung.“

„Was würdest du dazu sagen, wenn ich dir die Möglichkeit biete, mit einer Beförderung und einer Gehaltserhöhung zu ‚Pulse‘ zurückzukommen?“

Wieder einmal erwischte er sie eiskalt. Die Aussicht, beim besten Nachrichtenmagazin der Welt mitzumachen, war ein verlockender Köder. Nichts ging bei „Pulse“ entspannt zu. Die Arbeit bei diesem Magazin hatte ihre vollständige geistige und kreative Energie gefordert. Ständig war sie von brillanten, ehrgeizigen Leuten umgeben gewesen.

Und sie hatte sich mit einem Mann eingelassen, der sie für andere Beziehungen verdorben hatte.

Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und schaute aus dem Fenster, während sie sich eine Antwort überlegte. „Das ist ein reizvoller Gedanke“, räumte sie ein.

„Ich will dich wieder im „Pulse“-Team haben. Sag mir, was es braucht, dich zum Wechsel zu bewegen, und du bekommst es.“

Erika starrte ihn an. Als Gerüchte über die Beziehung zwischen ihnen kursierten, war für ihn nicht nur sofort Schluss gewesen, sondern er hatte sie von dem Moment an wie jedes andere Redaktionsmitglied behandelt. Sein Verhalten hatte sie so sehr verstört, dass sie unmöglich mit ihm weiterarbeiten konnte. Der Posten bei „HomeStyle“ bot ihr eine Zuflucht, und langsam kam sie über ihn hinweg.

„Ich muss darüber nachdenken“, brachte sie schließlich heraus.

Dass nun er überrascht zu sein schien, registrierte sie mit einer gewissen Zufriedenheit. Gannon war daran gewöhnt, ein Ja zu hören, kein Vielleicht. Zu ihrem Erstaunen verhärtete sich seine Miene. Was war hier los?

„Gut, das ist nur fair. Ich schaue morgen nach Feierabend wieder vorbei, um mit dir darüber zu sprechen.“

„Tut mir leid, da kann ich nicht“, sagte sie. „Ich habe einen Termin um halb fünf und komme anschließend nicht mehr ins Büro.“

Er nickte bedächtig, als ränge er um Geduld. „Na schön. Arbeitest du an diesem Wochenende?“

„Ja, aber zu Hause.“ Sie schaute in ihren Kalender. „Dienstag passt es am besten.“

„Montag nach Feierabend“, entgegnete er in jenem scharfen Ton, der schon so manchen Mitarbeiter eingeschüchtert hatte.

Dieser Ton beunruhigte sie genug, um es nicht zu weit zu treiben. „Montag nach Feierabend“, bestätigte sie.

„Gut. Bis dann.“

Er sah ihr ein paar Sekunden zu lange in die Augen, ehe er sich umdrehte und ihr Büro verließ, ein paar Sekunden, in denen sie das Gefühl hatte, ihr werde die Luft aus den Lungen gesaugt.

Erika sank in den Sessel und schlug die Hände vors Gesicht. „Dieser verdammte Kerl“, flüsterte sie. Er schaffte es immer noch, sie umzuhauen, und das gefiel ihr ganz und gar nicht.

Allerdings war ihre Reaktion zum Teil verständlich. Bei Gannon galt es, vorbereitet zu sein. Auf ihr Gefühl durfte sie sich da nicht verlassen.

Erika rieb sich die Knie und legte eine kurze Atempause ein. Kopfschüttelnd musterte sie die Vierzehnjährige, die ihr beim Basketball einheizte. „Du könntest ruhig ein wenig Mitleid mit älteren Leuten haben.“

Tia Rogers, das hübsche magere Mädchen, dessen Mentorin Erika war, lief an die Seitenlinie des Basketballfeldes, das Erika für sie beide reserviert hatte. Seit sie befördert worden war, hatte sie Anspruch auf die Benutzung der EPH-Sporthalle.

„Sie sin’ nich’ alt. Sie hocken bloß zu viel in Ihrem schicken Hochhausbüro auf’m Hintern.“

„Sie sind nicht alt“, korrigierte Erika automatisch, obwohl ihr zweiunddreißig momentan sehr alt vorkam. „Geld dafür zu bekommen, dass man auf seinem Hintern sitzt, ist nicht so schlecht. Außerdem sitze ich nicht nur herum“, erklärte sie. „Apropos, wie läuft es in Mathe?“

Tia verzog das Gesicht. „Ich mag es nicht.“

„Was hattest du im letzten Test?“

„Zwei minus.“

„Na bitte, es geht aufwärts.“ Erika klopfte dem Mädchen auf die Schulter und holte ihre Jacken von der Zuschauerbank. Eine Gruppe Männer nahm sofort das Spielfeld ein. Während der Fahrt im Fahrstuhl nach unten blieb Tia still.

„Ich brauche aber eine Eins“, sagte sie schließlich verdrießlich. „Ich brauche so viele Einsen wie möglich, wenn ich fürs College ein Stipendium ergattern will.“

„Du wirst dein Stipendium bekommen“, versicherte Erika ihr und winkte dem Wachmann zu, während sie in den kalten Abend hinaustraten.

Tia fluchte und spuckte aus. „Woher wollen Se das wissen?“

Erika zuckte innerlich zusammen. Eigentlich war das Mentorenprogramm dazu gedacht, auch die Manieren der Schützlinge zu verbessern. Tia, die bei ihrer Tante lebte, da ihre Mutter wegen wiederholter Drogendelikte im Gefängnis saß, war für dieses Programm ausgewählt worden, weil sie für die Schülerzeitung arbeitete. „Lass das Spucken und Fluchen.“

„Machen die andern doch auch“, konterte das Mädchen herausfordernd.

„Du bist nicht die anderen. Du hast Talent und Verstand, bist klug und hast vor allem Ehrgeiz.“

In Tias braunen Augen sah sie Hoffnung und Skepsis zugleich. Erikas Aufgabe bestand darin, diese Hoffnung und den Ehrgeiz des jungen Mädchens zu stärken.

„Haben Sie damit Ihren tollen Job gekriegt, in dem Büro, das Sie mir vor ein paar Wochen gezeigt haben? Ich denk eher, man braucht Verbindungen.“

„Ich arbeite in einem Unternehmen, in dem die meisten Chefs miteinander verwandt sind. Und ich gehöre nicht zur Familie.“

Tia grinste. „Dann mussten Sie sich ja auch schon ganz schön durchbeißen.“

„Kann man so sagen“, räumte Erika ein und winkte ein Taxi heran. Unwillkürlich dachte sie an Gannon. Sie wusste immer noch nicht, wie ihre Entscheidung im Hinblick auf „Pulse“ aussehen würde.

„Meine Tante fragt mich ständig, warum Sie keinen Mann haben.“ Tia stieg in den Wagen, der am Bordstein hielt.

Erika setzte sich neben sie und nannte dem Fahrer Tias Adresse. „Ich habe keinen Mann, weil …“ Warum hatte sie keinen Mann? Weil Gannon mich für andere Männer verdorben hat. „Weil ich mich in jemanden verliebt hatte und er mich verließ.“

„Wow“, sagte Tia. „Wieso hat’n der das gemacht? Für ’ne ältere Lady sehen Sie doch klasse aus.“

Erika stöhnte angesichts der Anspielung auf ihr Alter. „Danke für das Kompliment. Warum er mich verlassen hat? Vermutlich fand er, dass ich nicht die Richtige für ihn war.“

Tia stieß erneut einen Fluch aus. „Dem sollten Sie mal ’ne Lektion erteilen. Schnappen Sie sich einen anderen Mann, einen besseren.“

„Ja“, sagte Erika und dachte daran, dass sie genau das seit einem Jahr versuchte.

Eine Stunde später betrat sie ihr Reihenhaus in Park Slope, streifte ihre Schuhe ab und schlüpfte in ihre Hausschuhe. Lächelnd blickte sie auf die pinkfarbenen flauschigen Dinger. Der Anblick ließ sie stets lächeln.

Sie nahm sich vor, die Sachen in ihrer Sporttasche später zu waschen und stellte sie in den Flur. Auf dem Weg in die Küche sah sie ihre Post durch. Nichts als Rechnungen. Bei einer Postkarte, auf der ein Kreuzfahrtschiff in der Karibik zu sehen war, hielt sie inne. Sofort sehnte sie sich nach wärmerem Wetter, Sonnenschein und einer kalten Margarita zu den Klängen karibischer Musik.

Seufzend verwarf sie diese Fantasie und stellte per Fernbedienung eine CD von Alicia Keys an. Dann schenkte sie sich ein Glas Rotwein ein, nahm ihr Telefon und hörte den Anrufbeantworter ab.

Die erste Nachricht war von ihrer besten Freundin, die sie in eine angesagte Bar einladen wollte. Die zweite kam von ihrer Mutter, die nur hören wollte, wie es ihr ging. Erika biss sich auf die Unterlippe. Ihre Mutter hatte sie kürzlich in einem schwachen Moment erwischt, und sie hatte ihr zu viel über das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung erzählt. Die dritte Nachricht war von Doug. Doug, der Blindgänger, fügte sie in Gedanken hinzu. Ein netter Kerl zwar, nur leider schrecklich langweilig.

Ein Piepton signalisierte einen Anrufer in der Leitung und Erika meldete sich automatisch. „Hallo?“

„Erika, ich habe mich gefragt, wann ich deine lebendige Stimme wieder hören werde. Wie geht es dir, Liebes?“

Ihre Mutter. Erika verzog das Gesicht. „Tut mir leid, Mom. Ich hatte viel zu tun bei der Arbeit und mache ein Mentorenprojekt mit einem Teenager aus der Innenstadt. Wie geht es dir? Wie läuft’s beim Bridge?“

„Dein Vater und ich sind gestern Abend Zweite geworden. Morgen sind wir die Gastgeber. Was ist das für eine Mentorengeschichte? Liebes, du glaubst hoffentlich nicht, dass dir das ein eigenes Kind ersetzt, oder?“

Erika merkte, wie sich etwas in ihr verkrampfte. „Nein, aber es ist momentan eine gute Sache, in die ich meine Energie investieren kann.“

„Schätzchen, wenn du ein wenig offener wärst und dir mehr Mühe geben würdest, könntest du im Nu einen Mann finden. Dann hättest du beides, einen Mann und das Baby, das du dir wünschst.“

Erika rieb sich die Stirn. „Ich mache dir einen Vorschlag, Mom. Nächste Woche gehe ich mit zwei Männern aus, dafür verschonst du mich einen Monat lang mit diesen Tipps.“

„Ich denke doch nur an dein Wohlergehen. Du hast dir immer Kinder gewünscht.“

„Ich weiß.“

„Aber du schiebst es ständig auf“, fügte ihre Mutter hinzu.

„Mom.“ Sie konnte nicht verhindern, dass sich ein warnender Unterton in ihre Stimme schlich.

Ihre Mutter seufzte. „Okay. Zwei Dates, zwei Männer nächste Woche. Ich werde beten und einen Wunsch an die Sterne schicken.“

Erika wurde nachsichtiger. Ihre Mutter liebte sie und musste sich manchmal einfach einmischen. „Ich hab dich lieb. Viel Spaß morgen Abend.“ Sie legte auf und dachte an ihre Eltern in ihrem Haus in Indiana, das sie verlassen hatte, als sie an der Ostküste aufs College gegangen war.

Ihre Heimatstadt, in der sie ihre Kindheit verbracht hatte, war ihr oft sehr verschlafen vorgekommen. Sie hatte mehr Aufregung gewollt, mehr Action und Herausforderungen.

Sie erinnerte sich an die Cholesterin steigernde, aber köstliche Hausmannskost und an den Duft von Schokoladenkeksen. Sie erinnerte sich an die Bastelnachmittage mit ihrer Mutter an Regentagen und an die unzähligen Male, die ihre Mutter mit ihr Hausaufgaben gemacht hatte. Ihr Vater hatte ihr das Basketballspielen beigebracht und sie ermuntert, ihre körperliche Größe positiv zu sehen.

Erika war in dem Bewusstsein aufgewachsen, die besten Eltern der Welt zu haben, doch sie hatte immer gewusst, dass sie eines Tages gehen musste, wenn sie fliegen wollte.

Und sie lernte wirklich zu fliegen. Wenigstens beruflich. Sie hatte einen Plan gehabt. Zuerst das College, dann eine steile Karriere. Zwischendurch kämen der passende Ehemann dazu und ein Kind.

Eigentlich wünschte sie sich schon ein Kind, noch ehe sie das College abgeschlossen hatte, aber sie redete sich ein, die Karriere sei zunächst wichtiger. Es war alles nur eine Frage der Disziplin, doch an manchen Regentagen sehnte sie sich danach, mit ihrem eigenen Kind zu basteln, sich zu kümmern und es zu einem guten Menschen zu erziehen.

Ihre Arbeit war aufregend und befriedigend, dennoch blieb ein Teil von ihr davon unberührt und sehnte sich nach etwas, das der Job ihr nicht geben konnte.

Seufzend öffnete sie die Augen und nahm ein Blatt Papier aus dem Ordner, in dem sie ihre Korrespondenz abheftete. Ein weiteres Mal las sie den medizinischen Bericht. Der Befund lautete: Endometriose. Deshalb auch die schrecklichen Krämpfe. Deshalb ging es mit ihrer Fruchtbarkeit rapide bergab. Und deshalb auch ihre Überlegung, ein Baby ohne Ehemann zu haben.

2. KAPITEL

Um genau fünf Uhr einunddreißig am Nachmittag hörte Erika ein Klopfen an ihrer Bürotür. Sofort hatte sie ein flaues Gefühl im Magen, ignorierte es jedoch. Diesmal hatte sie die Schuhe nicht ausgezogen. Nein, sie trug hochhackige Boots, die ihre Körpergröße von eins fünfundsiebzig noch unterstrichen, dazu ein schwarzes Kostüm mit einer weißen Bluse. Diesmal war sie vorbereitet.

Sie ging zur Tür und öffnete sie, gerade als Gannon die Hand hob, um erneut zu klopfen. Er war immer noch zu groß, als dass sie ihm auf gleicher Höhe in die Augen hätte sehen können. In seinem dunklen Anzug mit dezenten Nadelstreifen sah er umwerfend aus – die Frauen mussten ihm zu Füßen liegen.

Er musterte sie, ehe er ihr in die Augen sah. Vorsicht, dachte sie, er ist sicher immer noch imstande, meine Gedanken zu lesen.

„Komm rein“, forderte sie ihn auf und kehrte eilig hinter ihren Schreibtisch zurück. „Wie geht es dir?“

„Gut. Und dir?“, erkundigte er sich und nahm den Ordner, den er dabeihatte, von einer Hand in die andere.

„Gut, danke.“ Schluss mit den Höflichkeiten. „Ich habe über dein Angebot nachgedacht. Die Zeit bei ‚Pulse‘ war toll. Es war der anspruchsvollste und kreativste Job, den ich je hatte. Ich habe das hohe Tempo geliebt und die Arbeit mit klugen Köpfen.“ Sie holte kurz Luft und erinnerte sich daran, dass sie das für ihr Seelenheil tat. „Aber ich bin sehr glücklich und produktiv dort, wo ich jetzt bin. Ich habe ein harmonisches Verhältnis zu meinen Kollegen, und wir arbeiten in einer angenehmen Atmosphäre.“

Gannon schwieg.

Verdammt. Er wollte sie dazu zwingen, es auszusprechen. Lieber wäre es ihr gewesen, diese Geschichte per E-Mail oder Fax zu regeln. „Vielen Dank für ein wundervolles Angebot. Auch wenn es verlockend ist, ich lehne ab.“

Er betrachtete sie lange, dann nickte er, trat an ihren Schreibtisch, nahm den halb vollen Becher und schwenkte die Flüssigkeit darin.

„Dein Job bei ‚HomeStyle‘ ist genau wie heiße Schokolade mit Marshmallows. Ganz nett und tröstlich. Hin und wieder mal eine Herausforderung. Du kannst entscheiden, ob du übers Stricken oder Sticken berichtest. Du musst dir neue selbst gebastelte Geschenke zum Valentinstag ausdenken und eine Dekoration zum Frühling.“

Erika hatte das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. „Du hast recht. Marshmallow-Häschen zu basteln wird die Welt nicht verändern. Es macht sie nur ein kleines bisschen angenehmer und tröstlicher.“

„Wie ich schon sagte, der Job ist wie heiße Schokolade. Das Problem besteht nur darin, dass du bei ‚Pulse‘ den besten Whiskey der Welt hattest. Du weißt, wie es ist, wenn die Arbeit einem Adrenalinschübe beschert. Wenn die Story, die man schreibt und die Art, wie man sie schreibt, die Welt tatsächlich verändern kann. Und insgeheim willst du das noch immer, das wissen wir beide, egal wie oft du es leugnest.“

Erika hasste die Tatsache, dass er sie so gut kannte. Sie hasste, dass er sie so gut gekannt und sie trotzdem sang- und klanglos verlassen hatte. Sie würde ihm jedoch nicht verraten, dass das der Grund dafür war, weshalb sie nicht zu „Pulse“ zurückkehren wollte.

„Ich möchte, dass du es dir noch einmal überlegst“, sagte er.

„Ich habe schon reichlich über dein Angebot nachgedacht. Du hast meine Antwort gehört.“

Ein ihr wohlbekanntes Grinsen erschien auf seinem Gesicht. Es signalisierte, dass er zum Kampf bereit war und entschlossen zu gewinnen. Ein äußerst beängstigendes Grinsen.

„Ich kann deine Antwort aber nicht akzeptieren. Ich möchte, dass du noch einmal darüber nachdenkst. Mein Vater möchte es auch.“

Na fabelhaft, dachte sie. Zwei Elliotts, die sich gegen sie zusammengetan hatten. „Ich bin hier sehr glücklich.“

„Wir werden dafür sorgen, dass du bei ‚Pulse‘ ebenfalls glücklich bist.“ Er legte den Ordner, den er während des Gesprächs die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, auf den Schreibtisch und klappte ihn auf. „Hättest du nicht Lust, diese Story zu machen?“

Erika sah Babyfotos, und ihr Herz schien für einen Moment auszusetzen. Sie beugte sich herunter, um das Bild genauer zu betrachten. „Das perfekte Baby: Die neue Welt der Genmanipulation“, las sie laut vor.

„Ich war sicher, dass dich das neugierig macht“, bemerkte Gannon zufrieden. „Dir hat schon immer die Mischung aus Wissenschaft und Schicksalsstory gefallen. Eine Titelgeschichte unter deinem Namen. Das ist die Art von Story, mit der man Preise gewinnen und die Welt verändern kann.“

Erika betrachtete die süßen Gesichter der Babys und musste schlucken. Wusste er, wie sehr sie sich ein Kind wünschte? Woher sollte er? Sie hatten nie darüber gesprochen.

Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Sehr verlockend, aber du hast meine Antwort schon bekommen.“

Er stutzte kurz. „Na schön. Ich hoffe, du hast kein Problem damit, dir die Geschichte trotzdem durchzulesen und mir deine Meinung dazu zu sagen, oder? Denk einfach drüber nach, ich komme Mittwoch noch mal vorbei.“

Die angesagte neue Cocktailbar „Randy Martini“ war voller junger Leute in den Zwanzigern und Dreißigern, die die Auswahl von über hundert verschiedenen Martinis testeten. Genau zweieinhalb davon waren nötig, bis Erikas beste Freundinnen, Jessica und Paula, ihr entlockt hatten, weshalb sie mit den Gedanken ständig woanders war.

„Ich will ein Baby, aber mein Gynäkologe hat gesagt, ich müsste es bald bekommen, sonst wird wahrscheinlich nichts mehr daraus.“

„Das ist übel“, bemerkte Jessica und tätschelte ihr die Hand.

„Du könntest dir einen Hund oder eine Katze anschaffen“, schlug Paula vor.

Erika winkte ab. „Ich will ein Kind, kein Haustier.“

Paula hob ihr Glas. „Das siehst du vielleicht anders, wenn die Kids in die Pubertät kommen oder du das Geld für ihr Studium hinblättern musst.“

„Obwohl ich immer karriereorientiert war, wusste ich, dass ich eines Tages Kinder will“, beharrte Erika.

„Du könntest warten, bis du Mr Right gefunden hast, und dann mit ihm zusammen eins adoptieren. Aber soweit ich weiß, kann eine Adoption ewig dauern“, meinte Jessica. „Ist denn ein Mr Right in Sicht?“

Das Bild von Gannon tauchte vor ihrem geistigen Auge auf, das sie sofort verdrängte. „Nein.“

Jessica verzog das Gesicht. „Du könntest dich für eine künstliche Befruchtung entscheiden.“

Paula war entsetzt. „Schwanger werden, ohne jemals einem Mann die Schuld dafür geben zu können?“

„Das könnte ganz lustig sein“, meinte Jessica.

„Für wen?“, wollte Paula wissen. „Erika wird dick wie ein gestrandeter Wal und bringt etwas zur Welt, das aussieht wie ein schreiender pinkfarbener Alien.“

„Du hast überhaupt keine mütterlichen Instinkte“, warf Jessica ihr vor. „Es könnte für dich und mich lustig werden. Wir könnten eine Babyparty für sie schmeißen und sie zur Schwangerschaftsgymnastik begleiten. Wir könnten ihr sogar im Kreißsaal beistehen.“

„Sprich nur für dich“, riet Paula ihr.

„Wir wären Tanten“, fuhr Jessica unbeirrt fort. „Mir gefällt die Vorstellung. Ich gehe sogar mit dir zur Samenbank, Erika.“

„Eine anonyme Samenspende hatte ich eigentlich nicht im Sinn“, gestand Erika. „Ich habe da diese Angst, dass man mir versehentlich das Sperma eines Irren gibt.“

„Das von den Irren schmeißen sie wahrscheinlich weg“, meinte Jessica.

„Aber wie weiß man, was man bekommt?“, überlegte Erika.

„Gar nicht“, sagte Paula. „Es sei denn, man macht einen Gentest oder sieht sich wenigstens die Geschwister von dem Kerl an … und die Tanten und Onkel und Cousins und Großeltern.“

Erika dachte an die Elliotts. Das war ein beeindruckender Genpool. „Es wäre toll, wenn ich wählen könnte.“

„Stimmt“, räumte Jessica ein und nippte an ihrem Drink. „Wir können mit dem blonden sportlichen Typen da drüben an der Bar anfangen.“

„Und wenn er dumm wie Bohnenstroh ist?“, gab Paula zu bedenken.

„Wir können Intelligenz auf die Liste setzen. Allerdings sieht der Typ gut genug aus, um Millionen als Model zu machen.“

„Was für eine Liste?“, fragte Erika, schon leicht benommen vom Alkohol.

„Wir legen eine Liste mit Anforderungen an potenzielle Samenspender an“, erklärte Paula. „Na los, mach mit.“ Sie zückte einen Kugelschreiber, schüttelte die Feuchtigkeit aus einer Cocktailserviette und breitete sie aus. „Hier geht es um dein zukünftiges Kind.“

„Ich würde auf jeden Fall einen intelligenten Spender wollen“, sagte Erika, sich auf diese alberne Unterhaltung einlassend. „Gutes Aussehen allein reicht nicht.“

„Da bin ich einer Meinung mit dir“, meinte Paula. „Und keine schlimmen Krankheiten oder Süchte.“

„Sehr gut“, pflichtete Erika ihr bei.

„Der Größenfaktor wäre schon geklärt“, sagte Jessica.

„Keine Zwerge“, meldete Paula sich wieder zu Wort. „Er muss ja nicht gleich die Größe eines Profibasketballers haben, aber über eins achtzig muss er schon sein, oder?“

„Unbedingt“, sagte Erika. „Und Sinn für Humor muss er haben. Ist der genetisch bedingt?“

„Fehlender Humor schon.“ Paula winkte den Kellner heran. „Dreimal Tod-durch-Schokolade-Martinis.“

„Schokolade?“, wiederholte Erika. „Ich bin schon bei meinem dritten.“

„Keine Mahlzeit ist komplett ohne Schokolade“, erwiderte Paula.

„Ich glaube nicht, dass man ein paar Runden Martinis als Mahlzeit bezeichnen kann“, wandte Erika ein.

„Na klar doch.“ Paula deutete auf ihr Glas. „Sellerie ist Gemüse, oder? Streichkäse in der Olive zählt als Eiweiß. Und ein Appletini zählt als Obst.“

„Zurück zur Liste“, drängte Jessica. „Irgendwelche besonderen Vorlieben, was Haare oder Augenfarbe angeht?“

„Keine Haare auf dem Rücken“, sagte Paula.

„Genau“, pflichtete Erika ihr bei, erstaunt darüber, wie sehr dieses alberne Gespräch ihren Stresslevel reduzierte. „Ich bevorzuge dunkles Haar.“

„Augenfarbe?“

„Grün, wenn möglich.“ Warum nicht das ganze Paket, dachte sie und sah wieder Gannon vor sich.

„Okay.“ Jessica nickte dem Kellner zu, der die Schokoladen-Martinis brachte. „Dann haben wir jetzt unsere Mission. Halten wir die Augen offen und suchen nach dem Vater für Erikas Baby – einen großen intelligenten Mann mit dunklem Haar und grünen Augen. Gesund, weder drogen- noch alkoholabhängig. Mit Sinn für Humor.“

„Und was machen wir, wenn wir ein solches Exemplar gefunden haben?“, fragte Paula.

„Das ist leicht“, meinte Jessica spöttisch. „Wir bitten ihn um eine Samenspende.“

Erika verschluckte sich an ihrem Schokoladen-Martini. „Der wird dich für verrückt halten.“

Jessica schüttelte den Kopf. „Deswegen braucht er ja Sinn für Humor.“

Am nächsten Morgen wachte Erika spät auf. Sie fühlte sich, als wäre ihr ein Lastwagen über den Kopf gefahren. Zum Glück hatte sie an diesem Vormittag keine Termine. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt einen Kater gehabt hatte. Oh, Moment, doch. Das war erst im vergangenen Jahr gewesen, als Gannon mit ihr Schluss gemacht hatte. Der Nachteil an einer leidenschaftlichen Affäre mit ihrem Boss war, dass sie keiner Seele etwas davon erzählen konnte, nicht einmal Paula oder Jessica.

Die Sache geheim halten zu müssen hatte diese Beziehung noch intensiver gemacht. Leider auch das Ende.

Das Klingeln des Telefons hallte schmerzhaft in ihrem Kopf nach. Sie nahm den Hörer von der Gabel. „Hallo.“

„Erika, hier spricht Cammie. Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Bestens“, versicherte sie ihrer Sekretärin. „Da ich heute Vormittag keine Termine habe, komme ich ein bisschen später.“

„Gut“, sagte Cammie. „Nur hat Gannon Elliott schon zweimal angerufen.“

Verdammt! „Sag ihm, ich bin am Nachmittag im Büro.“

„Ich glaube, er will sich mit dir zum Lunch treffen.“

„Weswegen denn?“ Erika wurde sofort misstrauisch.

„Das hat er nicht gesagt.“

Erika seufzte. „Ich rufe ihn gleich an.“ Sie stellte die Kaffeemaschine an und sprang unter die Dusche. Aufs Haareföhnen verzichtete sie, rieb stattdessen eine Art Wachs ein, das ihr Stylist ihr gegeben hatte, und band ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. Dann trug sie ein wenig Make-up auf, zog einen einschüchternden schwarzen Hosenanzug an und ein Paar Stiefel, schnappte sich ihren Kaffee und ihren Mantel und verließ die Wohnung, um ein Taxi heranzuwinken.

Noch beim Einsteigen wählte sie Gannons Nummer aus dem Kopf. Eine weitere Sache, die sie ärgerte. Sie musste ihn endlich vergessen. „Erika Layven, Gannon Elliott bat um meinen Rückruf“, erklärte sie seiner Sekretärin.

„Ich stelle Sie sofort durch.“

„Hallo Erika. Ich habe mich schon gefragt, wo du steckst“, meldete Gannon sich mit tiefer Stimme, die ihr hinunterging wie warmer Whiskey.

„Ich hörte, dass du mich zu einem Geschäftsessen treffen möchtest. Mein Terminplan ist voll. Was hast du dir denn vorgestellt?“

„Wir haben ein Lunch-Meeting in der „Pulse“-Redaktion. Es geht um das Thema des Artikels, den ich dir gegeben habe. Es wäre toll, wenn du dabei sein könntest, deine Ideen wären für uns von unschätzbarem Wert.“

Erika dachte an den in groben Zügen umrissenen Artikel, den er ihr dagelassen hatte. Das Thema faszinierte sie, deshalb hatte sie immer wieder einen Blick darauf werfen müssen. „Ich weiß nicht. Wie gesagt, ich habe viel zu tun.“

„Du könntest nach der Diskussion gleich wieder gehen“, schlug er vor.

Er machte es ihr wirklich leicht. „Also schön. Hauptsache du vergisst nicht, dass ich bei ‚HomeStyle‘ bleibe.“

„Klasse. Dann bis heute Mittag.“

Erika betrat den Konferenzraum in der „Pulse“-Redaktion ein paar Minuten früher als verabredet. Auf dem riesigen Holztisch standen sieben Lunchboxen von einem Delikatessengeschäft aus der Gegend.

„Sehr gute Wahl, Lena“, sagte sie zu Gannons Sekretärin.

Lena, eine junge verheiratete Frau und Mutter von Zwillingen, strahlte. „Als Gannon mich informierte, dass Sie kommen würden, habe ich sofort für anständiges Essen gesorgt. In den Boxen ist ein Hühnchen-Salat-Sandwich, pikante Gemüsesuppe, ein Früchtebecher und ein Stück Zitronenkuchen.“

„Sie sind eine Frau nach meinem Geschmack. Hätten Sie nicht Lust, für mich zu arbeiten?“, meinte Erika scherzhaft. „Ich bin viel leichter zufriedenzustellen als er. Und ich motze nicht herum.“

„Wer behauptet, dass ich motze?“, vernahm sie Gannons Stimme hinter sich.

Erika zuckte zusammen. Erstens fühlte sie sich ertappt, weil sie über ihn geredet hatte, zweitens löste seine Stimme einen Adrenalinschub bei ihr aus. Diese Wirkung hatte sie schon immer auf sie gehabt – sie bekam Herzklopfen, und ihre Hormone spielten verrückt. „Kaffee, bitte“, formte sie lautlos mit den Lippen an Lena gerichtet, ehe sie sich zu Gannon umdrehte. „Hallo. Deine Sekretärin hat das Meeting ganz reizend organisiert.“

Seine irisch grünen Augen verrieten für ihr Empfinden einen Tick zu viel Scharfsinn an diesem späten Vormittag.

„Ja, stimmt. Als ich ihr sagte, dass du kommst, weigerte sie sich, Fast Food zu bestellen.“

„Sie sind ein Schatz, Lena.“ Erika nahm einen Becher dampfend heißen Kaffee von Gannons Sekretärin entgegen.

„Du hast hoffentlich nicht versucht, sie abzuwerben, oder?“

„Ich habe sie nur an ihre Möglichkeiten erinnert“, erwiderte Erika lächelnd.

„Und wer behauptet, dass ich herummotze?“

„Alle“, antwortete sie, ohne eine Miene zu verziehen.

Er schaute auf ihren Becher. „Schwarz?“

Sie nickte und trank einen Schluck.

„Hm, schwarzer Kaffee … spät ins Büro … ist es eine lange Nacht geworden?“

„Nein.“ Das entsprach der Wahrheit. Sie war früh nach Hause gekommen, aber nach zu vielen Martinis gleich ins Bett gefallen.

„Warst du mit dem tödlichen Duo unterwegs?“, fragte er, auf Jessica und Paula anspielend.

Offensichtlich hatte sie während ihrer Affäre zu viel von sich preisgegeben, und jetzt wurde sie von ihm ständig daran erinnert. „Wenn du es genau wissen willst, ja. Wie geht’s deiner Familie?“ Jetzt war sie mit den persönlichen Fragen dran.

„Wie immer.“

„Wow, das ist mal vage.“

Er kam ein Stückchen näher, was sich sofort auf ihren Puls auswirkte.

„Du wirst mehr erfahren, wenn du wieder bei ‚Pulse‘ einsteigst“, sagte er leise, da vier weitere Mitarbeiter den Raum betraten.

Michael Elliott, Chefredakteur bei „Pulse“ und Gannons Vater, schüttelte ihr die Hand. „Schön, Sie wieder bei uns zu haben. Wir haben Sie vermisst.“

„Ich freue mich auch, Sie zu sehen, Mr Elliott“, entgegnete sie.

„Erika, freut mich, dass du wieder da bist“, sagte Jim Hensley, der Redaktionsleiter, als er mit den übrigen Abteilungsleitern den Konferenzraum betrat.

„Schön, dich zu sehen“, begrüßte Barb sie.

Howard hob zustimmend den rechten Daumen.

Die Begrüßung tat gut. Mehrere Minuten vergingen, bis Lena alle mit Kaffee und Wasser versorgt hatte, dann eröffnete Michael die Sitzung.

„Lasst uns zur Sache kommen. Gannon, du fängst an.“

„Ich würde gern mit der Babygeschichte beginnen, weil Erika sagte, sie könne nicht lange bleiben. Also, Erika, was hast du für Ideen?“

„Ich schlage vor, den Artikel aus verschiedenen Perspektiven zu schreiben. Aus der eines Wissenschaftlers, der eines Paares, das das Geschlecht seines Kindes gewählt hat, sowie aus der eines anderen Paares, das bewusst darauf verzichtet hat, es zuvor jedoch in Erwägung zog. Es wäre interessant zu erfahren, welches Geschlecht am häufigsten gewählt wird. Außerdem sollten wir Techniken für zu Hause erwähnen, die funktionieren oder nicht funktionieren.“

„Gefällt mir alles“, lobte Michael Elliott sie. „Und Sie machen ihn.“

„Wie bitte?“, rief Erika verblüfft.

„Da Sie zu uns zurückkommen, sollten Sie diesen Artikel schreiben“, sagte Gannons Vater. „Es ist eine wichtige, womöglich preisverdächtige Story. Sie sind genau die Richtige dafür.“

Erika sah fragend zu Gannon.

„Das habe ich mir auch überlegt“, meinte er. „Wir haben zwar Kontakt zu einem Wissenschaftler, aber wie ich dich kenne, hast du deine eigenen Leute. Du findest immer die besten Kontakte und die besten Zitate.“

„He“, sagte Barb, „wenn ihr weiterhin so tut, als könnte sie übers Wasser gehen, kommen wir anderen uns wie Stümper vor.“

„Tja, sie kann nun mal übers Wasser gehen“, meinte Howard, ohne die Miene zu verziehen.

Erika sah zu Gannon, und ihr kam ein Verdacht. Dieses Meeting war freundlicher und lockerer als die, an die sie sich erinnerte. Damals, vor einem Jahr, hatte Michael ihr zwar auch gelegentlich auf die Schulter geklopft, aber für überschwängliches Lob war er nicht gerade bekannt gewesen.

Wenn Gannon und die anderen Topleute derart um sie warben, musste es um etwas sehr Wichtiges gehen. „Ihr seid wirklich zu freundlich.“ Sie schaute auf die Uhr. „Es wird Zeit für mich, zurück in die ‚HomeStyle‘-Redaktion zu fahren. Es war schön, euch alle wiederzusehen.“

Gannon stand auf. „Ich muss mich kurz mit Erika unter vier Augen unterhalten. Wollt ihr nicht schon mit dem Essen beginnen?“

„Kein Problem“, sagte sein Vater. „Aber mach nicht so lange.“

Lena reichte ihr ihre Lunchbox. „Vergiss dein Essen nicht.“

Erika konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Da spricht die echte Mom.“ Sie verließ den Konferenzraum und spürte Gannon direkt hinter sich. Er machte die Tür zu, und Erika drehte sich zu ihm um. „Da scheint es einige Unklarheiten zu geben.“

„Was denn für Unklarheiten?“ Sein Gesichtsausdruck verriet nichts.

„Dein Vater und einige andere Redaktionsmitglieder scheinen davon auszugehen, dass ich zu ‚Pulse‘ zurückkehre.“

„Gib es zu, der Baby-Story kannst du nicht widerstehen. Insgeheim sehnst du dich danach, wieder an Bord zu kommen.“

„Stimmt, die Baby-Story interessiert mich, aber das reicht nicht, um meine Meinung zu ändern.“

„Was dann? Wir brauchen dich mehr denn je im Team. Nenn mir deinen Preis.“

Er überraschte sie erneut mit diesem unverhohlenen Angebot.

3. KAPITEL

Gannon ließ ihr ganze dreißig Stunden Zeit, um darüber nachzudenken, was sie zurück zu „Pulse“ locken konnte. Die Sache gestaltete sich zäher, als er erwartet hatte. Dabei hatte er Erika eigentlich als kooperativ in Erinnerung.

Selbst am Ende ihrer Affäre, die er abrupt abbrechen musste, war sie friedlich geblieben. Er bedauerte es immer noch, dass es notwendig geworden war. Für gewöhnlich verzichtete er strikt auf Büro-Affären, denn sein Großvater duldete keine Skandale im Unternehmen. Unter anderem war er auch deshalb so rasch aufgestiegen, weil er sich an die Arbeitsmoral der Elliotts hielt.

Erika war der eine Ausrutscher gewesen. Diese Mischung aus natürlicher Schönheit, Risikobereitschaft und Wille zum Erfolg hatte ihn neugierig gemacht. Nie vorher war ihm eine Frau begegnet, mit der er sich so gut unterhalten konnte. Gleichzeitig spürte er das Feuer in ihr, das sie unter ihren seriösen schwarzen Businesskostümen verbarg. Er hatte sie nackt gesehen, hatte ihren Körper an seinem gespürt und Momente unglaublicher Lust mit ihr erlebt.

Bei der Erinnerung daran bekam er zu seinem Ärger eine Erektion. Er schob seine Krawatte zurecht, öffnete die Bürotür und fand seinen Vater auf der anderen Seite vor.

Michael Elliott musterte ihn prüfend. „Passt es gerade nicht? Musst du irgendwo hin?“

„Ich muss eine Sache verhandeln. Was willst du denn?“

Sein Vater lachte. „Komisch, du siehst aus, als würdest du dich zur Schlacht bereit machen.“

„Ich werde schon damit fertig“, sagte Gannon und schüttelte sein Unbehagen ab.

„Ich mache heute früher Feierabend, weil ich mit deiner Mutter essen gehe.“

Er rechnete in Gedanken schnell nach. „Mal sehen … es ist nicht euer Hochzeitstag, nicht ihr Geburtstag oder deiner. Was ist der Anlass?“

„Ich brauche keinen besonderen Anlass“, erklärte sein Vater und zeigte auf seinen kleinen Bauch. „Sie will, dass ich bei Fast Food kürzertrete.“ Er hob die Brauen. „Für dich wäre es auch keine schlechte Idee, endlich zu heiraten.“

Gannon winkte ab. „Ich bin mit meinem Job verheiratet. Und ich will, dass wir den Wettbewerb gewinnen, damit du der neue Chef von EPH wirst.“

Sein Vater grinste und drückte seine Schultern. „Dich möchte man nicht als Gegner haben. Ich bin froh, dass du in meinem Team bist.“

Trotz seiner dreiunddreißig Jahre tat ihm ein Schulterklopfen seines Vaters gut. „Ich würde es nicht anders wollen.“

„Na schön. Arbeite nicht zu lange, sonst fängt deine Mutter an, mir damit in den Ohren zu liegen.“

„Genießt euer Treffen und umarme Mom von mir“, sagte Gannon, schon auf dem Weg zu den Fahrstühlen. Er betrat die Kabine und drückte den Knopf für Erikas Stockwerk. Sekunden später glitt die Tür zischend auf, und er ging zu ihrem Büro. Ihre Sekretärin war bereits fort, daher klopfte er leise an.

„Herein“, rief sie.

Gannon trat ein. Sie empfing ihn, indem sie einen Zeigefinger hob, da sie gerade telefonierte. Er schloss die Tür hinter sich und beobachtete Erika. Sie war immer noch faszinierend. Sehr gepflegt und mit Rundungen an den richtigen Stellen. Ohnehin schon ziemlich groß, trug sie ungerührt High Heels, und ihre Mähne, die auf eine gewisse Wildheit schließen ließ, bändigte sie nur selten. Endlich legte sie auf.

„Tut mir leid. Das war der nervöse Produzent einer neuen Dekorationsshow, die wir präsentieren.“

„Du konntest ihn beruhigen“, vermutete er.

Sie schaute demonstrativ auf ihre Armbanduhr. „Er müsste vierzehn Stunden durchhalten. Setz dich.“

Gutes Zeichen, dachte er. Zumindest war sie diesmal bereit, mit ihm zu reden. Er knöpfte sein Jackett auf, zog den Sessel näher an ihren Schreibtisch und setzte sich. „Was willst du?“, fragte er.

Sie sah ihn lange auf eine Weise an, die ihm durch und durch ging.

„Zunächst möchte ich wissen, was hinter deiner Entschlossenheit steckt, mich zu ‚Pulse‘ zurückzuholen. Ich bin seit einem Jahr raus. Warum plötzlich die Eile?“

„Die Umstände haben sich geändert. Ich kann dir den Grund verraten, aber es muss unter uns bleiben.“

„Natürlich“, versicherte sie ihm.

Gannon wusste, dass Erika ein Geheimnis für sich behalten konnte. Während ihrer Affäre war sie ebenso diskret gewesen wie er. „Mein Großvater hat beschlossen, sich zur Ruhe zu setzen. Er hat sich außerdem eine eigenwillige Methode ausgedacht, um einen Nachfolger zu finden. Die vier Top-Magazine von EPH werden im kommenden Jahr gegeneinander antreten. Der Chefredakteur der erfolgreichsten Sparte wird der neue Chef von EPH.“

Erika starrte ihn eine Weile wortlos an. „Wow“, sagte sie schließlich. „Und du bist entschlossen, dass dein Vater es wird.“

„Deshalb bin ich bereit, dir eine Gehaltserhöhung zuzugestehen, eine Beförderung und was mir sonst möglich ist, um dich wieder in unser Team zu locken.“

Der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. Sie senkte den Blick.

„Na schön, dann hör dir meine Bedingung an.“

Sie schlug den Ordner mit den Fotos für den Baby-Artikel auf, den er ihr vor ein paar Tagen gegeben hatte. Sie will die Story schreiben? Das ist fast zu einfach, dachte er triumphierend. Er lehnte sich zurück und deutete mit einer lässigen Handbewegung auf den Ordner. „Abgemacht, die Story gehört dir.“

„Ich rede nicht bloß von dem Artikel, Gannon. Ja, den will ich schreiben, aber ich will außerdem ein Baby.“

Er war verwirrt. „Wie bitte? Hast du gesagt, du willst ein Baby?“

„Ganz recht.“

„Was hat das mit mir zu tun?“

Erika stand auf. „Du hast ausgezeichnete Gene. Die will ich für mein Kind.“

Die Frau hatte offenbar den Verstand verloren. Ehe er etwas darauf erwidern konnte, hob sie eine Hand.

„Hör mir nur zu. Es wird ganz einfach für dich. Wir können einen Vertrag aufsetzen. Ich erwarte weder finanzielle Unterstützung noch sonst was. Ich will lediglich dein Sperma. Dazu müssen wir nicht einmal miteinander ins Bett gehen. Du kannst es im Labor spenden. Ich kaufe sogar das Pornoheft für dich. Alles, was ich will, ist dein Sperma“, wiederholte sie.

Im darauffolgenden Moment intensiver Stille starrte er sie nur an. Dann stand er auf. „Du hast den Verstand verloren. Warum willst du mich? Warum suchst du dir keinen anderen Mann? Oder heiratest?“, schlug er vor, obwohl ihm die Vorstellung, dass Erika heiraten könnte, nicht besonders gefiel.

„Das habe ich dir bereits erklärt. Du bist groß, intelligent und gesund. Sehr gute Gene. Wenn ich ein Baby will, muss ich möglichst bald schwanger werden.“

„Warum? Viele Frauen warten bis Ende dreißig.“

„Das kann ich nicht“, sagte sie, und er bemerkte den Anflug von Verzweiflung bei ihr. „Mein Arzt hat mir gesagt, dass mein Gesundheitszustand meine Fruchtbarkeit beeinträchtigt. Je länger ich warte, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass ich schwanger werde. Ich wollte immer ein Baby, also muss ich es jetzt machen.“

„Was spricht gegen eine Adoption?“

„Die ist teuer und dauert ewig.“

Er strich sich durchs Haar. „Ich sehe nicht, wie das …“ Angesichts dieser Mischung aus Entschlossenheit und Verzweiflung, die er in ihrem Gesicht las, verstummte er. Dann sagte er: „Ich muss mir die Sache durch den Kopf gehen lassen.“

„Klar, das verstehe ich. Sag mir Bescheid, wenn du einen Entschluss gefasst hast.“

„Würdest du wenigstens in Betracht ziehen, halbtags bei ‚Pulse‘ zu arbeiten, während ich darüber nachdenk mein …“ Er räusperte sich. „Mein Sperma zu spenden?“

„Nein.“

„Aber ich kann dir eine Gehaltserhöhung garantieren und einen besseren Posten. Wie kannst du das ablehnen?“

„Ich will ein Baby. Du musst nicht viel tun, um mir dabei zu helfen. Deine Spende ist allein ausschlaggebend. Und ich will einen Vertrag.“

Gannon schluckte einen Fluch hinunter. Was war während des vergangenen Jahres mit der lieben Erika passiert? Sie war knallhart geworden. „Ich melde mich“, sagte er knapp und wandte sich zum Gehen.

„Danke und schönen Abend noch“, murmelte sie hinter ihm.

Er ging zum Fahrstuhl und fluchte im Stillen bei jedem Schritt. Wütend drückte er den Etagenknopf. Wie sollte er diesen Deal hinbekommen? Er konnte sich jetzt schon das Gespräch mit seinem Anwalt ausmalen. Sein Großvater würde einen Anfall bekommen, wenn er es herausfände.

Sein Vater und sein Großvater hatten ihm eingeschärft, dass er ein Vorbild an Diskretion und Integrität sein musste. Wie sollte er so etwas seiner Familie erklären, ganz zu schweigen vom Rest der Welt?

Wie in alten Zeiten, dachte Erika, als sie die stille Cocktailbar ein paar Meilen entfernt von ihrem Büro betrat. Sie und Gannon hatten sich während ihrer Affäre oft in solchen Bars getroffen. Weit weg von der Firma, ruhig, nicht trendy. Bei der Erinnerung daran schien sich ihr Herz zusammenzuziehen, doch das ignorierte sie.

Sie entdeckte Gannon, der aufgestanden war und sie zu seiner Sitznische winkte. Als sie auf ihn zuging, machte sich bei seinem Anblick ein flaues Gefühl in ihrem Magen bemerkbar. Nicht zu fassen, dass dieser Mann am Ende eines Tages noch genauso gut aussah wie am Morgen.

„Danke, dass du gekommen bist“, begrüßte er sie und setzte sich erst, ganz Gentleman, nachdem sie sich gesetzt hatte. „Wie war der Verkehr?“

„Dicht wie immer. Ich bin froh, dass ich bei dem Regen ein Taxi erwischt habe.“

„Ich habe einen Wagen da. Wenn du willst, fahre ich dich nachher nach Hause.“

„Vielleicht nehme ich dein Angebot an.“

„Möchtest du zu Abend essen?“, erkundigte er sich und reichte ihr die Speisekarte.

„Nur eine Vorspeise und einen Drink.“

„Ist Appletini immer noch dein Lieblingsdrink?“

„Pfirsich mit einem Schuss Champagner.“

Er runzelte die Stirn. „Eine Veränderung?“

„Ich habe festgestellt, dass mir ein bisschen Prickeln gefällt“, antwortete sie.

Der Kellner erschien an ihrem Tisch, und Gannon gab erst Erikas Bestellung auf, dann seine: „Whiskey und Buffalo Wings, scharf.“

„Na hoffentlich hast du deine Magentabletten dabei“, bemerkte sie amüsiert. „Mit zunehmendem Alter wird der Magen empfindlicher, habe ich gehört.“

„Willst du damit andeuten, dass ich alt werde?“

„Niemand wird jünger.“ Sie wechselte das Thema. „Verrate mir, warum du dich mit mir treffen wolltest.“

„Ich habe über deine Wünsche nachgedacht und denke, wir können zu einer Einigung finden. Allerdings wären wohl ein paar Änderungen nötig.“

„Und welche?“ Ihr Herz schlug schneller. Sie konnte nicht glauben, dass Gannon ihre Bedingung tatsächlich zu erfüllen beabsichtigte.

„Ich kann innerhalb von zwei Wochen einen Vertrag von unserer Rechtsabteilung bekommen, in der deine Arbeitsbedingungen, deine Position und dein Gehalt geregelt sind.“

„Ich will ein Büro mit Fenster und eine Tür, die man zumachen kann“, stellte sie klar.

Er grinste. „Wow, du bist ganz schön anspruchsvoll geworden seit dem vergangenen Jahr.“

„Es war ein lehrreiches Jahr.“

Der Kellner brachte die Drinks. Gannon trank einen großen Schluck von seinem Whiskey. Erika nippte an ihrem Martini und sagte sich, dass es keinen Grund gab, nervös zu sein.

„Was diese andere Sache betrifft“, fuhr er schließlich vage und mit gedämpfter Stimme fort.

„Deine Samenspende“, sagte sie.

Er nahm noch einen Schluck Whiskey. „Das muss ich mit meinem persönlichen Anwalt klären. Mein Großvater kriegt einen Anfall, wenn er so etwas in einem Firmenvertrag entdeckt.“

Er zog also wirklich in Betracht, ihren Bedingungen nachzugeben. Erika konnte es kaum glauben.

„Das erfordert nicht nur Diskretion, sondern absolute Geheimhaltung. Mein Anwalt kann da bestimmt etwas ausarbeiten, aber nicht über Nacht. Außerdem hält er sich zurzeit im Ausland auf.“

„Wann wird er zurück sein?“, fragte sie.

„In zwei Wochen. Er befindet sich auf einer Mittelmeerkreuzfahrt und feiert seine zweiten Flitterwochen.“

Erika atmete tief ein. „Wie wollen wir die Sache angehen? Soll ich nach seiner Rückkehr bei ‚Pulse‘ anfangen?“

Gannon schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe dir doch gesagt, dass wir unter Druck stehen. Ich will, dass du sofort loslegst.“

Sie lachte. „Wie stellst du dir das vor? ‚HomeStyle‘ braucht auch eine gewisse Übergangszeit.“

„Ich habe bereits vorgeschlagen, dass Donna Timoni deinen Platz einnimmt. Also könntest du mit Beginn der nächsten Woche zu uns kommen.“

Erika war perplex. „Das ist schnell.“

„Schon vergessen? Die einzigen Geschwindigkeiten bei ‚Pulse‘ sind schnell, schneller, am schnellsten.“

„Was ist mit den Verträgen?“

„Den Firmenvertrag kann ich innerhalb von zwei Wochen fertig haben. Unser privater Vertrag wird etwas länger dauern.“

„Okay. Da wäre nur noch eine Bedingung: Ich kann jederzeit zurück.“

„Abgemacht.“ Er sah ihr in die Augen. „Aber du wirst nicht zurück wollen. Und wenn du ehrlich bist, musst du dir eingestehen, dass du ‚Pulse‘ vermisst hast.“

Sein sicherer Instinkt, was sie anging, war ihr immer unter die Haut gegangen. Kein Mann hatte sie besser gekannt, keiner war intuitiver gewesen. Sowohl im Bett als auch außerhalb. Sie schluckte einen Seufzer hinunter. Nur weil er offenbar bereit war, ihr sein Sperma zu geben, hieß das nicht, dass sie auch sein Herz bekam. Nicht mal seinen Körper, wenn er im Labor spendete.

Das Essen kam, deshalb wechselten sie das Thema. Während sie sich ihre Shrimps mit Gannon teilte, erkundigte sie sich nach seiner Großmutter Maeve Elliott.

„Ich war immer fasziniert von der Geschichte, wie deine Großeltern zueinandergefunden haben“, gestand sie. Gannon bot ihr einen Hühnerflügel an, doch sie lehnte ab.

„Die Näherin und der Tycoon, der sie aus Irland entführt hat.“

„Wie hat sie es all die Jahre mit deinem Großvater ausgehalten?“

„Er betet sie an“, antwortete er. „Und sie ist eine Heilige. Man muss sie einfach lieben. Sie gleicht Großvaters Unfähigkeit, Zuneigung zu zeigen, aus.“

„Sie ist das Mitglied eurer Familie, das ich immer mal kennenlernen wollte“, sagte Erika. „Das wäre eine tolle Geschichte für ‚HomeStyle‘: Zum Tee bei Maeve Elliott.“

„Auch keine schlechte Idee für eine Story in ‚Pulse‘.“

„Du bist ein Dieb“, warf sie ihm vor.

„Deine Loyalität sollte dem richtigen Team gelten, Erika. Du bist jetzt in meiner Redaktion.“

Nach dem Essen bestellten sie einen weiteren Drink. Irgendwann schaute Erika auf die Uhr. „Du meine Güte, es ist schon zehn!“

Er umfasste ihr Handgelenk. „Ach was, deine Uhr geht bestimmt falsch.“

„Sieh doch auf deine eigene“, forderte sie ihn auf. „Wo ist nur die Zeit geblieben?“

Er sah auf seine Armbanduhr und fluchte leise. Dann sah er ihr in die Augen. „Wir hatten nie Schwierigkeiten, die Zeit auszufüllen.“

Bei der Anspielung auf ihre Beziehung zog sich ihr Magen zusammen. „Nein, hatten wir nicht.“

Er sah sie noch einen Moment lang an, ehe er den Blick abwandte und seufzte. Vermutlich bildete sie es sich nur ein, doch sie hätte schwören können, dass ein bisschen Sehnsucht in diesem Seufzer mitschwang.

„Soll ich dich mitnehmen?“, bot er an.

„Das wäre nett.“

Er ließ den Wagen kommen, zahlte und führte sie hinaus. „Da ist er“, sagte er, auf eine schwarze Limousine deutend. „Ich mache das“, wandte er sich an den Fahrer, als der ausstieg. Er hielt ihr die Tür auf, und Erika glitt auf die Ledersitzbank. Gannon stieg nach ihr ein.

„Wohnst du noch in Park Slope?“, fragte er.

„Ja.“ Sie war sich seiner plötzlichen Nähe nur allzu bewusst und nahm den dezenten Duft von Aftershave und Whiskey wahr, außerdem den von italienischem Leder und edlem Stoff.

Er berührte sie am Arm, und sie sah ihn an. „Ja?“

„Ich sagte, du solltest dich anschnallen.“ Er griff über ihre Schulter nach dem Gurt. „Hast du mich denn nicht gehört?“

Sie lächelte. „Der zweite Martini muss es in sich gehabt haben.“

Der Wagen machte einen Schlenker, sodass Erika gegen Gannons Brust geworfen wurde. Er schloss die Arme um sie.

Der Fahrer bremste scharf und stieß einen Fluch aus. „Sorry, Leute.“

Erikas Gesicht befand sich dicht vor Gannons. Sie sah in seine grünen Augen und hielt den Atem an. Sein Blick suchte ihre Lippen.

„Nur einmal, um der alten Zeiten willen?“, fragte er mit leiser Stimme und schob eine Hand in ihren Nacken. „Wir müssen das aus der Welt schaffen, nicht wahr?“

Sie hätte zurückweichen können. Er hätte es akzeptiert, wenn sie sich geweigert hätte.

Sie tat es nicht.

4. KAPITEL

Erika hielt den Atem an. Auch ihr Herz schien für einen Moment auszusetzen. Sekunden dehnten sich zu Ewigkeiten.

Endlich berührten Gannons Lippen ihre. Er küsste sie leidenschaftlich, und sie gönnte sich das sündhafte Vergnügen, diesen Kuss voller Hingabe zu erwidern. Ihre Zungen fanden sich zu einem erotischen Spiel.

Während Gannon sanft ihren Nacken massierte, schmiegte sie sich an ihn. Ihre sensiblen Brustwarzen streiften seine muskulöse Brust, und sie unterdrückte ein Stöhnen.

Er legte eine Hand seitlich an ihren Oberkörper, und sofort erwachte in ihr das Verlangen danach, er möge sie streicheln. Sie wollte ihn auf ihrer Haut spüren. Ein intimes Bild kam ihr in den Sinn, wie sie beide nackt und eng miteinander verschlungen auf einem Bett lagen.

Der Kuss wurde stürmischer, und in ihrem Kopf schien sich alles zu drehen.

Trotz der sinnlichen Benommenheit registrierte sie ein Hüsteln. Widerstrebend löste Gannon sich von ihr. In seinen dunklen Augen spiegelte sich die gleiche Leidenschaft wider, die in ihrem Innern tobte.

„Verzeihen Sie, Mr Elliott“, bat der Fahrer. „Ich möchte nicht stören, aber wir parken seit drei Minuten, und dieser Polizist auf der anderen Straßenseite deutet schon auf die Uhr.“

Erregung und Verlegenheit rangen darum, die Oberhand zu gewinnen. Erika versuchte ihre Fassung zurückerlangen. Wahrscheinlich sah sie aus, als wäre sie bereit gewesen, es gleich hier auf der Rückbank mit Gannon zu treiben, ungeachtet der Anwesenheit des Fahrers oder des pingeligen Polizisten.

Sie brachte ihre Frisur in Ordnung und zog den Mantel fester um sich. „Danke fürs Mitnehmen. Es war schön, sich über alte Zeiten zu unterhalten. Dann sehen wir uns im Büro.“

„Ich bringe dich noch zur Tür“, bot er an.

„Nicht nötig“, versicherte sie, denn sie musste unbedingt weg von ihm, damit ihre Gehirnzellen wieder vernünftig arbeiteten. „Ich will ja nicht, dass du einen Strafzettel bekommst.“

„Carl, fahr einmal um den Block und hol mich dann hier ab“, sagte Gannon und half ihr beim Aussteigen.

Er begleitete sie zur Tür, und als sie dort angekommen waren, schaffte Erika es nicht, ihm ins Gesicht zu sehen. Zu sehr fürchtete sie, dass er in ihren Augen lesen könnte, was sie empfand. „Danke noch mal …“

Sie verstummte, da er ihr einen Finger unters Kinn legte, damit sie ihn anschaute.

„Mir war nicht klar, wie sehr du mir gefehlt hast“, flüsterte er.

„Tja, das wäre schon mal einer von uns“, sagte sie, obwohl sie ihn beinah jede Minute seit der Trennung vermisst hatte.

„Ich hätte dich nicht küssen sollen“, sagte er.

„Stimmt.“

„Unsere Beziehung muss rein beruflich sein. Wir dürfen nicht zulassen, dass das, was letztes Jahr passiert ist, wieder geschieht.“

„Da gebe ich dir recht“, sagte sie mit Bestimmtheit. „Also hör auf, mich anzusehen, als wolltest du mich mit dem Rücken an die Tür lehnen und mich nehmen.“

Er sog scharf die Luft ein und drängte sie sacht gegen die Hauswand.

„Wenn du aufhörst, mich so anzusehen, als wolltest du von mir auf genau diese Weise genommen werden.“

„Kein Problem“, flüsterte sie und hörte das Rauschen ihres Blutes in den Ohren.

„Für mich auch nicht.“

Im nächsten Moment strafte er ihre und seine Worte Lügen, indem er sie erneut auf eine Weise küsste, die purer Sex war.

Vier Tage später trank Erika die x-te Tasse Kaffee in der Mitte eines Vierzehnstundentages während einer „Pulse“-Redaktionssitzung.

Michael Elliott saß am Kopf des Tisches, Gannon zu seiner Rechten. Teagan, Michaels jüngster Sohn, saß links von ihm. Erika nickte Gannon kurz zu, vermied jedoch jeden Blickkontakt.

Nachdem sie vor ihrem Reihenhaus wild herumgeknutscht hatten, war sie zu der Überzeugung gelangt, dass sie eine Strategie brauchte, wenn sie mit ihm in einer Redaktion arbeiten wollte. Punkt eins auf der Liste war, ihm aus dem Weg zu gehen. Nummer zwei war, ansonsten mindestens einen halben Meter Abstand zu ihm zu halten.

Nummer zwei war gerade leicht umzusetzen, da er auf der anderen Seite des Raumes saß.

„Hallo Erika. Schön Sie wiederzusehen“, begrüßte Michael sie.

„Danke, Mr Elliott. Ich freue mich auch, Sie zu sehen“, erwiderte sie.

„Was denken Sie, wie lange Sie Ihre Zeit noch zwischen ‚HomeStyle‘ und ‚Pulse‘ aufteilen müssen?“, wollte er, ganz Geschäftsmann, wissen. „Wir hätten Ihre Energie lieber ausschließlich für uns.“

„Das weiß ich sehr zu schätzen, Mr Elliott, und glauben Sie mir, ich bin froh, wenn ich nicht mehr zwischen dem fünfzehnten und zwanzigsten Stock pendeln muss.“

Teagan lächelte verständnisvoll. „Fühlst du dich schon wie ein Jo-Jo?“

„Ein wenig. Aber das wird sich bald ändern.“

„Wann?“, wollte Gannon wissen.

Anspannung erfasste sie. Sie mochte es nicht, so in Verlegenheit gebracht zu werden. Außerdem hatte er klargestellt, dass sie für seinen Vater arbeiten würde, nicht für ihn. Daher antwortete sie auch eher Michael und sah ihn kaum an. „Ich hoffe, die dringendsten Punkte für ‚HomeStyle‘ innerhalb der nächsten zwei Wochen erledigen zu können.“

„Gut“, sagte Michael und wirkte ein wenig belustigt. „Wir warten ungeduldig auf Ihre innovativen Ideen.“

Erika lächelte. „Sie schmeicheln mir. Danke.“

Jemand klopfte an die Tür, und Michael drehte sich unwirsch um. „Wer ist da?“, bellte er.

Die Tür ging auf, und Bridget, seine Tochter, trat ein.

„Was machst du für ein Gesicht“, sagte sie zu ihrem Vater. „Man könnte ja glatt meinen, ich platze in eine Diskussion über das Schicksal des Landes.“

Sie musterte kurz die Anwesenden, und ihr Blick verweilte bei ihr.

„Oh, nicht das Schicksal des Landes, wie ich sehe, sondern das Schicksal von EPH. Wie gerissen von dir, dass du Erika Layven an Bord geholt hast. Wir wollten sie für ‚Charisma‘ gewinnen. Finola wird enttäuscht sein. Ich kann nur hoffen, dass man Ihnen ein gutes Angebot gemacht hat, denn Sie sind es wert.“

Erika musste über Bridgets frechen Humor grinsen. Finola war Michaels Schwester und Chefredakteurin bei „Charisma“. Finola hatte Bridget als Fotoredakteurin eingestellt. Es musste Michael ziemliche Magenschmerzen bereiten, dass seine eigene Tochter praktisch gegen ihn arbeitete.

„Richten Sie Finola bitte meinen Dank dafür aus, dass sie an mich gedacht hat“, bat Erika sie.

Gannon räusperte sich. „Liebe Schwester, was machst du hier?“

Bridget zwinkerte ihm zu. „Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen?“

„Bridget“, meldete ihr Vater sich zu Wort, der offenbar genug hatte von dem Unsinn.

„Ich wollte dir nur persönlich ausrichten, dass ich heute Abend nicht zum Essen kommen kann. Sag Mom bitte, dass es mir leidtut. Finola möchte, dass ich Überstunden mache.“

Michael nickte. „Deine Mutter wird enttäuscht sein.“

„Ich weiß.“ Sie warf ihm eine Kusshand zu. „Ich werde es wiedergutmachen.“ Keck lächelnd wandte sie sich an die Gruppe: „Viel Glück.“

Michael wirkte stolz hinter der Fassade des knallharten Geschäftsmannes. Nachdem Bridget gegangen war, räusperte er sich. „Na schön, zurück an die Arbeit.“

Eine Stunde später endete das Meeting, und Erika machte sich auf den Weg zum Fahrstuhl. Gerade als sie den Knopf für den fünfzehnten Stock drückte, betrat Gannon im letzten Moment die Kabine.

„Kommst du mit nach oben in die Chefkantine, damit wir uns ausführlicher über deine Story unterhalten können? Ich hatte eine Idee …“

„Ich habe momentan keine Zeit. Ich muss mir Fotos komfortabler europäischer Häuser ansehen.“ Seufzend fügte sie hinzu: „Näher werde ich Europa in allernächster Zeit wohl nicht kommen.“

„Du könntest dir ein Thema überlegen, für das du hin musst“, schlug er vor.

„Keine Zeit“, wiederholte sie. „Es ist bloß ein Lagerkoller. Kriege ich immer im Januar. Die Kälte, der graue Himmel, ständig ist man drinnen. Da bekomme ich Lust auf Urlaub.“

Die Fahrstuhltür glitt auf, und Gannon folgte ihr zu ihrem Büro. Das ärgerte sie, denn er stellte eine Ablenkung dar, und die konnte sie sich nicht leisten. Sie trat hinter ihren Schreibtisch. „Ich wünschte, ich könnte mich mit dir unterhalten, aber leider geht das nicht.“

„Okay. Wollen wir uns auf einen Drink treffen nach …“

„Nein“, unterbrach sie ihn und fügte hinzu: „Danke.“

Er sah sie lange an. „Ist es wegen dem, was neulich abends passiert ist?“

„Du meinst das Vorspiel vor meiner Haustür?“ Ihre Gereiztheit nahm zu. „Wir haben eine Abmachung über deinen Beitrag zu meinem kleinen privaten Projekt, aber das darf unseren Job nicht beeinträchtigen.“

„Auf keinen Fall“, versicherte er ihr in kühlem Ton.

Er hat gut reden, dachte sie finster. „Mir sind gewisse Grenzen lieber. Da dein Vater mein Vorgesetzter ist und nicht du, sollte es uns beiden nicht schwerfallen, unseren Kontakt auf ein Mindestmaß zu reduzieren.“

„Das wird hart“, meinte er skeptisch. „Wir sind in derselben Redaktion, und die Atmosphäre bei ‚Pulse‘ ist immer sehr energiegeladen.“

„Ich weiß, aber wir können per E-Mail kommunizieren.“

Gannon lachte. „Erika, ich habe vor allem deshalb darauf bestanden, dass du zu uns zurückkehrst, weil du Schwung in jede Diskussion bringst.“

Er trat an ihren Schreibtisch, und sofort schlug ihr Herz schneller.

„Zwischen uns gibt es nun mal diese Anziehung, doch das ist nichts, womit wir nicht umgehen könnten.“

Aus seinem Mund klang das einfach, aber für sie war es schon schwierig, nicht dahinzuschmelzen, sobald er sie nur ansah. „Na schön“, sagte sie. „Wenn sich die Zeit, die wir zu zweit verbringen, in Grenzen hält und du ansonsten einen halben Meter Abstand hältst, müssten wir klarkommen.“

„Einen halben Meter?“, rief er überrascht.

„Mindestens. Wie schön für dich, dass du Beruf und Privates so gut trennen kannst. Im Gegensatz zu dir bin ich bloß eine gewöhnliche Sterbliche. Grenzen und Regeln helfen mir.“

„Und was passiert, wenn die Zeit für meinen kleinen Beitrag zu deinem Projekt gekommen ist?“

„Wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass du das im Labor machst.“

„Falls du deine Meinung nicht noch änderst.“

Sein sexy Grinsen ließ ihr die Knie weich werden.

„Das ist ganz schön arrogant“, sagte sie.

„Wir werden sehen. Da du jetzt beschäftigt bist, komme ich morgen Abend vorbei.“ Damit verließ er ihr Büro.

Erika bleckte die Zähne und knurrte. Gannon brachte sie auf die Palme. Was alles noch schlimmer machte, war die Tatsache, dass er recht hatte. Er war für sie schon immer eine Versuchung gewesen. Sie wünschte, sie hätte irgendein magisches Gegenmittel gegen diesen Mann.

Am nächsten Tag schrieb sie Gannon eine kurze E-Mail, in der sie ihm mitteilte, dass sie ihn wegen eines Meetings nicht sehen könne. Das entsprach der Wahrheit. Tia hatte sie gebeten, ihr Treffen zu verschieben.

Erika schickte ein Taxi zu dem Mädchen, damit sie wenigstens rasch einen Bissen zusammen essen konnten. Anschließend nahm sie sie mit in das fast leere Bürogebäude, um ihr die Redaktionsräume von ‚HomeStyle‘ zu zeigen.

„Es ist cool und nett, aber irgendwie auch langweilig“, bemerkte Tia. „Ich würde lieber über etwas Wichtigeres schreiben als über Blumensträuße und so’n Zeugs.“

Insgeheim musste Erika ihr recht geben. „Stimmt schon, doch ich habe bei diesem Job einiges gelernt. Ich gehörte zu den Topleuten, und so lernte ich, rasche Entscheidungen zu treffen, wenn es nötig ist. Ich verstand besser, wie unsere Umwelt und unsere Umgebung unsere Einstellung und Emotionen beeinflussen können.“

„So wie, dass man an einem kalten, verregneten Tag keine Lust zur Schule hat“, sagte Tia und strich über die Schreibtischplatte. Beim Anblick der Frosch-Uhr grinste sie.

„Genau. Ein anderes Beispiel ist ein trostloser Raum, der einen müde macht.“

„Mein Matheraum müsste mal gestrichen werden. Der ist schmutzig-beige. Immer wenn ich Mathe habe, könnte ich einschlafen.“

„Das hat nicht zufällig mit dem Thema zu tun?“, neckte Erika sie.

„Nein, im Ernst, der sieht schlimm aus. Die Schüler, die dort Unterricht haben, schwänzen öfter als anderswo.“

„Vielleicht sollte ‚HomeStyle‘ mal eine Renovierung spendieren“, schlug Gannon vor, der auf einmal im Türrahmen stand. „Tut mir leid, ich habe euer Gespräch mitgehört.“

Tia musterte ihn von Kopf bis Fuß, dann wandte sie sich mit skeptischer Miene an sie. „Wer ist das?“

„Tia Rogers, Mr Gannon Elliott“, stellte Erika die beiden einander vor. „Mr Elliott ist leitender Redakteur der Zeitschrift ‚Pulse‘.“ An Gannon gewandt sagte sie: „Tia bringt mir bei, eine Mentorin zu sein.“

„Für eine Neue macht sie sich ganz gut“, meinte Tia, während sie Gannon die Hand schüttelte. „Ich dachte, der Oberboss von EPH wäre ein alter Knacker, aber Sie sind ja gar nicht alt.“

Erika lachte. „Gannons Großvater Patrick Elliott ist der Chef von Elliott Publication Holdings.“

„Nichts für ungut, Miss Layven“, sagte Tia, „aber ‚Pulse‘ ist um Längen besser als ‚HomeStyle‘.“

Gannon grinste. „Danke. So sehe ich das auch. Abgesehen davon wird Miss Layven sobald wie möglich fest in das ‚Pulse‘-Team einsteigen.“

Tia starrte sie an. „Wow, das ist cool.“

„Tja, wenn du dir also eine Renovierung für euren Matheraum wünschst, solltest du lieber jetzt fragen“, riet Gannon ihr.

Erika sah ihn an. „Das meinst du ernst.“

„Klar. Es geht um Dekoration, menschliches Interesse und Arbeit für die Gemeinschaft. Vielleicht schwinge ich sogar selbst den Pinsel, um einen Beitrag zu leisten.“

„Ich wusste nicht, dass du anstreichen kannst“, bemerkte sie trocken.

„So schwer ist das nun auch wieder nicht.“

„Hast du das denn schon mal gemacht?“, fragte sie ungläubig. Gannon war schließlich Milliardär. Warum sollte er Malerarbeiten ausführen?

„Natürlich. Teagan, Liam, Cullen und ich haben immer das Bootshaus gestrichen, als wir Teenager waren. Mein Großvater war der Ansicht, das stärke den Charakter.“

„Hat es?“ Erika konnte nicht widerstehen.

„Es hat meinen Wunsch nach guten Noten verstärkt, damit ich nicht als Anstreicher meinen Lebensunterhalt verdienen muss“, antwortete er.

Das war eine neue Geschichte aus seiner Vergangenheit. Für sie war das, als hätte man ihr einen Edelstein geschenkt.

„Schon wieder Schulnoten“, murrte Tia. „Sie hören sich an wie Miss Layven.“

„Schön zu wissen, dass wir uns in manchen Dingen einig sind“, murmelte er. „Wie lange wolltet ihr zwei hierbleiben?“

„Wir wollten gerade gehen“, antwortete Erika. „Eine heiße Schokolade trinken. Dann setze ich Tia in ein Taxi. Morgen ist Schule.“

Tia rümpfte die Nase.

„Habt ihr etwas dagegen, wenn ich euch Gesellschaft leiste?“, fragte er. „Ich kann euch meinen Wagen anbieten.“

„Cool“, meinte Tia. „Ist das eine Stretchlimo?“

„Sorry“, erwiderte er amüsiert. „Es ist bloß ein Lincoln Town Car mit einem Chauffeur.“

„Macht nichts“, sagte Tia großzügig. „Es würde auch zu protzig aussehen, wenn ich in meinem Viertel in ’ner Limo aufkreuze.“

„Das ist wirklich nicht nötig“, sagte Erika und dachte an die Rückfahrt allein mit ihm. Wie sollte sie die Abstandsregel von einem halben Meter auf dem Rücksitz eines Wagens einhalten?

„Kein Problem. Wir können über die Renovierung des Klassenraums sprechen, und auf dem Rückweg reden wir über ein paar Möglichkeiten bei ‚Pulse‘.“

Widerstrebend musste Erika zugeben, dass Gannon sich unterwegs Tia gegenüber von seiner besten Seite zeigte. Er beantwortete ihre Fragen, neckte sie und ermutigte sie im Hinblick auf die Schule. Außerdem lud er sie zur heißen Schokolade ein und erkundigte sich auf der Fahrt zu ihrer Wohnung danach, wie sie den Matheraum am liebsten gestrichen haben wollte.

„Es muss eine helle Farbe sein, damit wir wach bleiben“, erklärte das Mädchen. „Gelb …“

„Forschungen deuten darauf hin, dass Babys in gelb gestrichenen Räumen mehr schreien und Erwachsene emotionaler werden“, schaltete Erika sich ein.

„Woher weißt du das von den Babys?“, wollte Gannon wissen.

Erika zuckte die Achseln. „Ist bloß eins der Dinge, die ich bei ‚HomeStyle‘ aufgeschnappt habe. Rot ist eine stimulierende Farbe, doch Studien deuten auf einen Zusammenhang mit erhöhter Aggressivität hin.“

Tia verdrehte die Augen. „Mehr Aggression brauchen wir ganz bestimmt nicht. Bei uns gibt’s jeden Tag Schlägereien.“

„Wie wäre es mit Pink?“, schlug Erika vor.

„Pink?“, wiederholte Gannon entsetzt.

„Vergiss mal für einen Moment deine Macho-Haltung“, sagte sie.

Tia winkte ab. „Pink geht nicht. Die Jungs würden durchdrehen.“

„Studien haben gezeigt, dass Schüler in einem pinkfarben gestrichenen Klassenraum besser lernen. Sie benehmen sich nicht nur besser, sie sind auch glücklicher.“

Gannon wandte sich an Tia: „Du könntest recherchieren, auf welche Weise Farbe die Stimmung beeinflusst und darüber einen Artikel schreiben. ‚HomeStyle‘ könnte ihn im Rahmen der Story über die Klassenraumrenovierung veröffentlichen.“

Tias Unterkiefer klappte herunter. „Ich soll einen Artikel für ‚HomeStyle‘ schreiben? Und mein Name steht dann in dem Magazin? Das muss ich unbedingt meinen Freunden erzählen.“

Erika freute sich über Tias Begeisterung. „Aber du wirst recherchieren müssen.“

„Das werde ich“, versprach das Mädchen.

„Miss Layven wird deinen Artikel bearbeiten. Du musst dich auf Änderungen gefasst machen“, warnte Gannon sie.

„Das ist in Ordnung. Das kann ich“, versicherte Tia ihm. Als der Wagen vor ihrer Wohnung hielt, ergriff sie Gannons Hand. „Vielen Dank, Mr Elliott! Ich werde Sie nicht enttäuschen.“ Dann umarmte sie Erika. „Miss Layven, Sie sind das Beste, was mir je passiert ist.“

Überrascht von Tias Gefühlsausbruch, zögerte Erika eine Sekunde, ehe sie die Umarmung erwiderte. Ein eigenartiges Gefühl regte sich in ihr. „Ich weiß, dass du deine Sache gut machen wirst.“

„Ja, das werde ich“, sagte Tia, löste sich von ihr und zeigte mit dem Zeigefinger auf sie. „Sie können sich auf mich verlassen.“

Gannon stieg aus, um Tia aussteigen zu lassen. „Wiedersehen!“, rief sie und rannte zur Eingangstür.

Sie warteten, bis sie sicher im Haus war, dann nannte Gannon dem Fahrer ihre Adresse. Erika hatte mit einem Durcheinander an Gefühlen zu kämpfen, deshalb schwieg sie eine ganze Weile. Einerseits wünschte sie, Gannon wäre nicht so charmant gewesen, denn dann hätte sie weniger Mühe damit, ihn nicht zu mögen. Sein Vorschlag, Tia einen Artikel schreiben zu lassen, rührte sie zutiefst. Um sich ihm nicht an den Hals zu werfen, platzierte sie vorsichtshalber ihre Handtasche auf der Rückbank zwischen ihnen. Sie brauchte eine Art Barriere. Eine Stahlwand wäre allerdings besser gewesen.

„Das war brillant und sehr großzügig von dir“, sagte sie schließlich.

Verwegen grinsend antwortete er: „Tja, dafür schuldest du mir was.“

5. KAPITEL

Dafür schuldest du mir was.

Erika bekam einen trockenen Mund. „Wie meinst du das?“

„Ich will am Samstagnachmittag Volleyball mit dir spielen.“

Die lüsternen Fantasien in ihrem Kopf zerplatzten. „Volleyball?“

„Ich weiß, dass du sportlich bist. Außerdem bist du groß. Die Familie veranstaltet ein kleines Freundschaftsspiel, bei dem die Zeitschriftensparten gegeneinander antreten. Wir brauchen noch eine Frau für das ‚Pulse‘-Team. Es ist nur ein Spieler erlaubt, der nicht zur Familie gehört, und ich finde keine Frau mit der richtigen Größe.“

Erika wusste nicht, ob sie belustigt, beleidigt oder verärgert sein sollte. „Hast du mich und Tia deshalb auf eine heiße Schokolade eingeladen und ihr die Story versprochen? Das war ziemlich mies.“

„Vor zwei Minuten war ich noch brillant und großzügig.“

„Da war mir auch noch nicht klar, dass ich dir etwas schulde.“

„Ich verlange ja nichts Schlimmes. Überleg es dir. Was kann schon passieren? Höchstens dass du einen Nachmittag lang auf einer Bank sitzt.“

„Warum sollte ich auf der Bank sitzen?“

„Na, du wärst natürlich die Auswechselspielerin.“

„Entschuldige mal, ich habe auf dem College Volleyball gespielt.“

„Deshalb will ich dich ja auch dabeihaben.“

„Damit ich auf der Bank sitze?“

„Die Jungs werden schnell ein bisschen blutrünstig“, erklärte er. „Alles nur Spaß, aber ich will nicht, dass du dir wehtust.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin bloß die Alibifrau, die gar nicht spielen soll? Wenn die Frauen aus deiner Familie das wüssten, würden sie dich bei lebendigem Leib rösten. Kannst du dir vorstellen, was Finola und Bridget sagen würden?“

„Bridget ist in Finolas Team, die kann ich nicht fragen. Sonst stünde ich blöd da. Außerdem heißt es diesmal ‚Pulse‘ gegen ‚Snap‘.“ Er seufzte. „Erinnerst du dich noch an Athena Wainright?“

Erika erinnerte sich vage an eine sehr große Redakteurin mittleren Alters. „Ja, wieso?“

„Sie ist nach Idaho gezogen. Ich brauche einen Reservespieler und bin umgeben von Pygmäen.“

„Ich wusste gar nicht, dass du so sehr mit deinen Familienangehörigen wetteiferst.“

„Als wir zusammen waren, wollte ich auch keine Zeit mit Gesprächen über Volleyballspiele mit meiner Familie vergeuden.“

Hitze durchflutete sie. Sie widerstand dem Impuls, das Fenster herunterzulassen, damit kühle Luft hereinkam. „Unter einer Bedingung.“

„Raus damit.“

„Du lässt mich in den ersten fünfzehn Minuten spielen. Bin ich nicht gut genug, kannst du mich auf die Ersatzbank setzen.“

„Einverstanden.“

„Gibt es irgendwelche Neuigkeiten über die Rückkehr deines Anwalts aus seinen Flitterwochen?“

„Nein. Ich sage dir Bescheid, sobald er zurück ist.“ Der Wagen hielt. „Ich bringe dich noch.“

„Auf gar keinen Fall.“ Sie nahm ihre Handtasche und öffnete die Tür.

„Traust du mir nicht?“

Sie verzichtete darauf, ihm zu antworten, denn die Wahrheit lautete, dass sie weder ihm noch sich selbst traute, sobald sie auf engem Raum zusammen waren.

Gannon setzte Erika in allen drei Spielen ein. Sein Onkel Daniel und sein Cousin Cullen wollten es ihm unbedingt zeigen.

Erika schlug den Ball über das Netz und holte einen weiteren Punkt für ‚Pulse‘. Sein Bruder Tag legte eine kurze Verschnaufpause ein.

„Wie gut, dass du Erika geholt hast. Scheint so, als hätten Daniel und Cullen eine Verwandte vom Hulk mitgebracht“, meinte er in Anspielung auf Margo, die Eins-neunzig-Frau im gegnerischen Team. „Was macht sie noch mal bei ‚Snap‘?“

„Zeitarbeit“, antwortete Gannon und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Sollte mich wundern, wenn sie länger als eine Woche bleibt.“

„Ich kann nur wiederholen – wie gut, dass du Erika gewinnen konntest, da Charlie sich den Knöchel verletzt hat.“

„Ja. Mein Aufschlag.“ Gannon fing den Ball, den Cullen ihm zuwarf. Der einzige Nachteil, Erika im Team zu haben, bestand darin, dass seine Aufmerksamkeit immer wieder vom Anblick ihres sexy Pos abgelenkt wurde. Die Tatsache, dass er wusste, wie sie nackt aussah – und sich anfühlte –, weckte Urinstinkte bei ihm, die leider nichts mit Volleyball zu tun hatten.

Cullen fächelte sich mit dem Vorderteil seines T-Shirts Luft zu. „Ich hatte den Eindruck, dass Erika noch gar nicht offiziell für ‚Pulse‘ arbeitet“, sagte er. „Ich könnte schwören, dass ich sie auf dem Weg in den fünfzehnten statt in den zwanzigsten Stock gesehen habe.“

„Du willst bloß nicht verlieren“, erwiderte Gannon und schlug den Ball hart und schnell über das Netz, Cullen spielte ihn zurück, und Erika schlug ihn mit den Fäusten zu ihm. Er erwischte ihn knapp vor der Auslinie.

Daniel stöhnte, dann lachte er. „Mann, du spielst, als ginge es schon um den Chefposten bei EPH.“

„Geht’s nicht?“, fragte Gannon seinen Onkel mit gespieltem Erstaunen und schlug den Ball erneut hart über das Netz. Fünf Minuten später hatte Erika den entscheidenden Punkt gewonnen.

„Na bitte!“ Tag klatschte Gannon ab und wandte sich an Erika: „Du hast unsern Hintern gerettet.“

„Das ist übertrieben“, erwiderte sie lächelnd und etwas außer Atem. „Aber gern geschehen. Ich bin froh, dass ich letzte Woche Basketball gespielt habe mit dem Teenager, den ich betreue. Sonst hätte ich nach dem zweiten Satz vielleicht schlappgemacht.“

„Du doch nicht“, sagte Gannon und hob die Hand, um Erika abzuklatschen. Dabei hielt er ihre Hand einen Moment lang fest. Erikas Wangen waren leicht gerötet, und ihr Gesicht glühte von der Anstrengung. Ihr gelocktes Haar, das sie mit einem Gummiband zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, schien sich daraus befreien zu wollen. Ihr Aussehen in diesem Moment erinnerte ihn an das erste Mal, als er mit ihr geschlafen hatte. „Wie schaffst du es, selbst verschwitzt so gut auszusehen?“

Ihre Gesichtsfarbe wurde noch intensiver, und sie entzog ihm ihre Hand.

„Netter Versuch, aber jetzt schuldest du mir was“, entgegnete sie.

Gannon fragte sich, was sie damit meinte, und nahm sich vor, sie später danach zu fragen.

„Ich muss los“, verkündete Margo. „Tut mir leid, dass wir verloren haben, Mr Elliott“, sagte sie an Daniel gewandt.

„Das war nicht Ihre Schuld. Ich gebe es nur ungern zu, aber ich glaube, die anderen wollten den Sieg mehr als wir. Danke fürs Kommen. He, Erika“, rief Daniel. „Für eine Frau mit Ihren Talenten finden wir bei ‚Snap‘ sicher einen Platz.“

Die Worte seines Onkels lösten einen Anflug von Verärgerung bei Gannon aus. „Halt dich zurück“, forderte er und stellte sich vor Erika.

„Da hat aber einer Besitzansprüche“, meinte Cullen. „Meinst du, sie macht deinen Vater zum Chef von EPH?“

„Na ja, wem hat ‚Pulse‘ es denn gerade gezeigt?“, konterte er.

„Das war bloß ein Volleyballspiel, oder?“, meldete Erika sich zu Wort. „Und ihr seid Familie, nicht wahr?“

„Stimmt“, räumte Daniel ein. „Aber jeder in unserer Familie gewinnt eben gern.“

„Bei allem“, ergänzte Gannon und streckte seinem Onkel die Hand entgegen, als der sich bückte, um unter dem Netz hindurchzugehen.

„Die wichtigen Schlachten werden erst nächstes Jahr geschlagen sein“, erinnerte Daniel ihn.

„Elf Monate und zweieinhalb Wochen“, korrigierte Gannon. „Aber wer zählt schon mit?“

Daniel und Cullen lachten. „Ich kann leider nicht mehr auf ein Bier bleiben“, erklärte Cullen. „Ich habe noch etwas vor.“

„Ich auch“, verkündete Tag.

„Das liefert mir die Entschuldigung, mich in den Whirlpool zu legen und mir einzureden, dass meine Knie mich nicht umbringen“, sagte Daniel. „Wir sehen uns später. Schön, Sie kennengelernt zu haben, Erika.“

Gannon nahm sich ein Handtuch von der Seitenlinie und rieb sich das Gesicht trocken. „Wie wäre es, wenn ich dich nach dem Duschen als Dankeschön für deine Teilnahme am Spiel zum Essen einlade?“

„Ist das deine Art, mir zu sagen, dass ich deinen Hintern gerettet habe?“, neckte Erika ihn, die Hände in die Hüften gestemmt.

Gannon schüttelte den Kopf und schlug mit dem Handtuch nach ihr, verfehlte sie jedoch absichtlich. „Niemals. Ich lade dich trotzdem zum Essen ein.“

Sie sah ihm einen langen Moment in die Augen, dann seufzte sie. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.“

„Warum nicht?“, fragte er überrascht.

Sie zuckte mit den Schultern. „Na, du weißt schon. Die Geschichte wiederholt sich und so.“

„Ich habe dich nicht aufgefordert, mit mir ins Bett zu gehen. Abgesehen davon willst du ein Baby mit mir.“

Sie hob eine Hand. „Moment mal. Ich will ein Baby von dir, nicht mit dir. Ich bin lediglich an deinen Genen interessiert.“

Sein Ego bekam einen empfindlichen Dämpfer, doch er erholte sich rasch davon. „Wenn du meine Gene willst, muss es etwas geben, was dir an mir gefällt.“

Sie seufzte erneut. „Leider muss ich jetzt gehen.“

Er hielt sie am Arm fest. „Warte. Du hast gesagt, ich schulde dir was.“

„Richtig. Ein Grund mehr für dich, mir deine Gene zu geben. Wir sehen uns Montag.“

Er schaute ihr leicht verärgert hinterher, aber da war noch ein anderes Gefühl. Seine Miene verfinsterte sich, als ihm klar wurde, was die Ursache dafür war. Er wollte immer noch mit Erika ins Bett. Sie wäre sicher entsetzt, wenn sie wüsste, dass sie bei ihm sexuelle Eroberungslust geweckt hatte.

Er musste diesen Impuls unbedingt unter Kontrolle bekommen.

Erika nahm eine spontane Einladung zum Essen von Jessica und Paula an. Paula erwähnte dem Kellner gegenüber Erikas Position bei EPH, sodass sie umgehend einen Tisch bekamen und ihre Cocktails in Rekordzeit serviert wurden.

„Das war mies“, bemerkte Erika und trank einen Schluck von ihrem Martini. Sie nahm sich vor, sich diesmal zu mäßigen. „Wahrscheinlich macht der arme Kerl sich jetzt Hoffnung, eine Erwähnung in einer unserer Zeitschriften zu bekommen.“

„Kann man nie wissen. Vielleicht erwähnst du dieses Lokal mal den richtigen Leuten gegenüber, und ta-da“, sagte Paula, während sie die Speisekarte las. „Samstagabend, und keine von uns hat ein Date. Traurig, oder?“

„Sprich nur für dich selbst“, erwiderte Jessica. „Mein Freund arbeitet.“

„Ah, der Fußarzt“, meinte Paula. „Wie geht’s deinem Bill?“

Jessica strahlte. „Wunderbar. Aber viel wichtiger ist, dass ich einen Samenspender für Erika habe.“

Erika verschluckte sich an ihrem Drink. „Du hast was?“

„Ich habe einen geeigneten Kandidaten gefunden, der klug ist, GDA, und Sinn für Humor hat“, verkündete sie mit einer Singsangstimme.

Sie grinsten wegen Jessicas Abkürzung für groß, dunkelhaarig und gut aussehend.

„Du kannst uns alles über ihn erzählen, sobald wir bestellt haben“, sagte Paula, als der Kellner erschien. „Ich sterbe vor Hunger.“

„Ich auch. Ich glaube, ich habe beim Volleyballspiel heute tausend Kalorien verbrannt.“ Erika fragte sich, ob sie ihren Freundinnen erzählen sollte, dass sie schon selbst einen geeigneten Kandidaten gefunden hatte.

Paula verzog das Gesicht. „Hört sich anstrengend an. Warum Volleyball?“

„Das war so eine Firmensache.“ Sie musste daran denken, wie schwer es ihr gefallen war, Gannons Einladung zum Abendessen abzulehnen. Indem sie sich den attraktivsten Mann, den sie kannte, als Samenspender auserkoren und sich gleichzeitig Sex oder eine Beziehung mit ihm versagt hatte, war sie in eine knifflige Lage geraten. „Manchmal wünschte ich, ich könnte mehr wie ein Mann sein.“

„Was?“, fragte Jessica.

„Ach nichts. Ich nehme das Shrimps-Tagesgericht“, wandte Erika sich an den Kellner und klappte die Speisekarte zu. Die beiden anderen gaben ebenfalls ihre Bestellungen auf.

Jessica hakte nach: „Du wünschst dir, du wärst mehr wie ein Mann?“

„Ich wäre gern in der Lage, emotional distanzierter zu sein“, erklärte Erika.

„So wie ich“, meldete Paula sich zu Wort.

„Genau.“ Erika grinste.

„Nun, bei dem Typen, den ich für dich gefunden habe, brauchst du das vielleicht gar nicht. Er ist groß, dunkelhaarig, attraktiv und intelligent. Und er hat auch noch Sinn für Humor.“

„Wie hast du ihn gefunden?“

„Er ist ein Freund von Bill“, antwortete Jessica. „Wenn ihr euch kennengelernt habt, können wir zu viert ausgehen.“

„Noch ein Fußdoktor?“, meinte Paula. „Ich wette, der ist Fetischist.“

„Das ist nicht nett“, sagte Jessica. „Dieser Typ, Gerald, ist sehr gut aussehend, und ich habe ihm schon von dir erzählt.“

Erika war alarmiert. „Was genau hast du ihm denn erzählt?“

„Dass du wundervoll bist und klug und dass er dich anrufen soll.“

„Du hast ihm meine Nummer gegeben? Hast du ihm etwa auch schon gesagt, dass ich sein Sperma will?“

„Nein, denn ich glaube, du könntest vielleicht nicht nur sein Sperma wollen.“

Erikas erster Impuls war es, höflich abzulehnen. Ein anderer Mann würde womöglich ihre Pläne mit Gannon komplizierter machen. Er würde der Vater ihres Kindes werden. Er hatte sich schon bereit erklärt. Sie mussten nur noch den Vertrag unterschreiben.

Während sie einen Schluck Martini nahm, dachte sie daran, welche Wirkung er noch immer auf sie hatte. Ihr Problem bestand darin, dass sie sich nach wie vor von ihm aus dem Konzept bringen ließ. Was wäre, wenn es einen anderen Mann gäbe, der das Potenzial hätte, sie Gannon vergessen zu lassen? Oder zumindest über ihn hinwegzukommen? Was wäre, wenn das auf Jessicas GDA zuträfe? Sie durfte nicht einfach ablehnen, ohne diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen und sich den Mann wenigstens anzusehen.

„He, wenn er nichts taugt, kannst du immerhin noch eine anständige Pediküre von dem Kerl bekommen“, ermutigte Paula sie.

Erika bezog ihr neues Büro in der Pulse-Redaktion am Montagnachmittag. Ihr Büro bei ‚HomeStyle‘, wo Behaglichkeit eine große Rolle gespielt hatte, räumte sie allerdings mit gemischten Gefühlen.

‚Pulse‘ war mehr eine Männerwelt. Wenn sie den Büchern Glauben schenkte, die sie über den Aufstieg auf der Karriereleiter gelesen hatte, musste sie die M&Ms und die heiße Schokolade mit den Mini-Marshmallows ab jetzt in der Schreibtischschublade verstecken.

Als sie nach einem Treffen mit einem der Paare, um die es in dem Baby-Artikel ging, wieder ins Büro zurückkehrte, kam sie fast um vor Hunger, doch zuerst wollte sie die Notizen vom Interview abtippen. In ihre Arbeit vertieft, musste sie sich zwingen, auf das Klopfen an der Tür überhaupt zu reagieren.

„Tut mir leid, ich bin beschäftigt“, rief sie. Es spielte gar keine Rolle, wer sie aufsuchte. Sie musste unbedingt diese letzten Gedanken noch zu Papier bringen.

„Gratis Gourmet-Essen“, rief Gannon durch die Tür.

Prompt knurrte ihr Magen. „Gib mir zwei Minuten“, sagte sie und tippte rasch ein paar Stichworte und Phrasen hin, die ihrem Gedächtnis wieder auf die Sprünge helfen würden, wenn sie die Arbeit an dem Artikel fortsetzte. Sie würde mit Gannon essen und trotzdem auf Abstand zu ihm bleiben können. Abgesehen davon sollten ihre Pläne für den Abend sie davon abhalten, der Versuchung nachzugeben.

Sie schaute auf die Uhr. Überrascht, dass es schon sieben war, zog sie die Stiefel an, stand auf.

„Die zwei Minuten sind um“, rief Gannon und trat genau in dem Moment ein, als sie sich streckte.

Er hatte zwei große Kartons und einen kleineren dabei. Sein dunkles Haar war ein wenig zerzaust, die Krawatte war verschwunden und der oberste Hemdknopf stand offen, sodass sie ein kleines Stück seiner muskulösen Brust sehen konnte. Die Hemdärmel hatte er hochgekrempelt. Sie wusste nicht, was verlockender war, der Mann oder das Essen.

„Sieht ganz so aus, als wären wir die Letzten im Büro.“

„Wirklich?“, fragte sie erstaunt. „Was hast du und woher hast du es?“

„Die Gastronomie-Redakteurin bekam das heute Nachmittag, und da sie eine Diät macht, bat sie mich, es jemand anderem zu geben. Es ist in Trockeneis gepackt und leicht verderblich, also essen wir es entweder gleich oder werfen es weg.“

„Ich hoffe, es ist wenigstens gar“, sagte sie.

„Ich glaube, es sind viele frische Früchte dabei“, meinte er und öffnete einen der größeren Kartons. „Bedien dich.“

„Nett von dir, mit mir zu teilen. Ich bin nämlich noch nicht zum Essen gekommen.“ Sie nahm mehrere Behälter heraus. „Rohe Austern, Avocados, mit Schokolade überzogene Bananen“, zählte sie, die Etiketten lesend, auf. „Was ist das?“ Sie zeigte auf eine Flasche Champagner und zwei Gläser.

„Aphrodisierende Köstlichkeiten.“

Erika zog die Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. „Warum hat die Redakteurin dir das überlassen?“, fragte sie misstrauisch. Und warum teilte er es mit ihr?

„Bei der Redakteurin handelt es sich um Geraldine Kanode. Sie ist dreiundsechzig und war wegen des Essens verlegen, wollte es aber auch nicht wegwerfen“, erklärte er amüsiert. „Sie mochte es auch nicht mit nach Hause nehmen, um ihren Mann nicht auf irgendwelche Gedanken zu bringen. Wenn du es nicht willst, kann ich es wegwerfen.“

Erneut knurrte ihr Magen. Der Hunger siegte über ihr Misstrauen. „Nein, das wäre wirklich Verschwendung. Was machst du eigentlich noch hier?“

„Ein Redakteur hat nie Feierabend, das weißt du doch.“

Sie war froh, dass sich der Schreibtisch zwischen ihnen befand. „Da muss ich dir recht geben. Ich bin kein großer Fan von rohen Austern. Die überlasse ich gern dir.“

„Arbeitest du an meiner Spermiendichte?“

Schon die Andeutung seines Lächelns ließ ihr Herz schneller schlagen.

„Das war nicht mein erster Gedanke, aber es ist keine schlechte Idee, oder?“ Sie nahm zwei Plastiklöffel und ein paar Servietten aus dem Karton.

Gannon zog einen Ledersessel an den Schreibtisch und setzte sich. „Avocado mit Basilikumessig?“, bot er ihr an und schob die kleine Schale zu ihr.

„Klingt gut.“ Erika biss von einer der Hälften ab. „Köstlich. Ich frage mich, was das mit aphrodisierendem Essen zu tun haben soll.“

„Es symbolisiert die männlichen Hoden“, sagte er und aß eine Auster.

Erika schluckte den Happen und die aufsteigende Unsicherheit hinunter. „Das ist mir noch nie in den Sinn gekommen.“ Sie betrachtete die Avocado, aß sie auf und zuckte mit den Schultern. „Wer hätte das gedacht?“

„Champagner?“, fragte er und öffnete die Flasche.

Auf ihr Nicken hin schenkte er ein und las die beigefügte Notiz. „Hier steht, man soll eine Vanilleschote ins Glas geben.“

„Warum?“

„Es hat irgendetwas mit einer mexikanischen Fruchtbarkeitsgöttin zu tun.“ Er tat es und trank einen Schluck. „Nicht schlecht, aber es kann mit Irischem Whiskey nicht mithalten.“

„Wieso überrascht mich das nicht?“ Sie atmete den Vanilleduft ein und probierte den Champagner. „Köstlich. Was ist in dem kleinen Karton?“

Gannon öffnete ihn und schaute hinein. „Frische Feigen.“

„Ehrlich?“ Frische Feigen waren selten.

„Ja, und die gehören mir.“ Er nahm eine Frucht und brach sie vorsichtig auf. „Dir ist klar, in welchem Zusammenhang eine Feige mit diesem Thema steht?“, fragte er und aß das pinkfarbene Fruchtfleisch.

Erika errötete und räusperte sich. Als sie sah, wie er die Frucht genoss, stellte sie sich unwillkürlich vor, was er angedeutet hatte. „Ich kann es mir denken.“

„Eine Feige ähnelt dem weiblichen …“

„Ich verstehe“, unterbrach sie ihn.

„… Geschlechtsteil“, beendete er den Satz trotzdem und leckte sich die Lippen.

Der Ausdruck in seinen Augen war unverhohlen sinnlich. Ein warmer Schauer rieselte ihr über den Rücken. Sie fühlte, wie sich das Blut an sehr sensiblen Stellen staute. Ihre Brustwarzen richteten sich auf, und sie musste den Wunsch unterdrücken, im Sessel herumzurutschen. Warum quälte er sie? Was versuchte er zu beweisen?

Sie sollte dem Ganzen auf der Stelle ein Ende bereiten und Gannon auffordern, sein Sexessen wieder mitzunehmen, aber da lockte noch eine Frucht. Rache war süß. „Ich nehme eine Banane mit Schokoladenglasur.“

„Ein Phallussymbol“, bemerkte er, und sie spürte seinen Blick, als sie einen großen, nicht sehr damenhaften Bissen probierte.

„Sehr gute Schokolade, und die Banane ist genau richtig, nicht zu matschig.“ Sie biss ein weiteres Mal ab. Ermutigt vom faszinierten Funkeln in seinen grünen Augen, strich sie mit der Zunge an der Banane entlang.

Gannons scharfes Einatmen war Musik in ihren Ohren. Sie schloss die Augen und legte die Lippen um die Banane. „Hm, diese Schokolade ist köstlich.“ Sie sah ihn an. „Möchtest du mal abbeißen?“

Er schluckte hörbar und schaute in den Karton. „Ich glaube, ich nehme lieber die Beeren. Erdbeeren und Himbeeren.“ Er sah ihr in die Augen. „Nippelfrüchte.“

Er hob eine Himbeere an seine Lippen und saugte sie in den Mund. Sofort verspürte Erika ein aufregendes Prickeln bei der Erinnerung daran, wie er an ihren Brustwarzen gesaugt hatte, während er wieder und wieder tief in sie eindrang. Ihre Erregung nahm zu. Sie biss sich auf die Unterlippe und dachte, dass sie einfach nicht in Gannons Liga spielte, nie gespielt hatte.

Sie musste unbedingt einen Rückzieher aus diesem erotischen Spiel machen. Als sie sich die Finger ableckte, ertappte sie Gannon erneut dabei, wie er sie beobachtete. Ein herrliches Triumphgefühl durchströmte sie. Wenigstens war er ebenso erregt wie sie.

Er hielt zwei Süßholzstangen hoch. Erika stutzte. „Süßholz. Ich dachte, das sei etwas für Kinder.“ Sie probierte einen Bissen.

„Die Chinesen benutzen die Süßholzwurzel als Medizin.“ Er las die Beschriftung auf der Schachtel. „Es soll Liebe und Lust auslösen. Besonders wirkungsvoll bei Frauen.“

Der Bissen blieb ihr beinah im Hals stecken. Gannon brauchte all die aphrodisierenden Früchte nicht, er selbst war Stimulanz genug. Trotz des Verlangens, das inzwischen in ihr tobte, rang sie sich ein Lächeln ab. „Tja, mal sehen, ob es funktioniert.“ Sie zeigte auf ihre Uhr. „Ich treffe mich in einer halben Stunde auf einen Drink mit einem GDA.“

Er runzelte die Stirn. „GDA?“

„Oh, verzeih.“ Sie stand auf, nahm ihren Mantel und warf die Reste ihres aphrodisierenden Festmahls in den Karton. „GDA steht für groß, dunkelhaarig und gut aussehend.“

Gannon stand ebenfalls auf und starrte sie fassungslos an.

„Du triffst dich mit einem Mann auf einen Drink?“

Sie nickte. „Allerdings.“

Seine Miene verfinsterte sich. „Ich dachte, du wolltest mich …“ Er kniff die Augen zusammen. „Ich dachte, du willst mein Sperma.“

„Das will ich auch, aber das heißt ja nicht, dass ich aufhören muss, nach Mr Right zu suchen. Noch mal danke für den Snack. Du bist ein Lebensretter.“

6. KAPITEL

Gannon überflog Erikas Arbeitsvertrag und schaute auf die Uhr. Schon nach fünf. Sie würde noch in ihrem Büro sein. Er beschloss, ihr den Vertrag persönlich zu bringen, und machte sich auf den Weg. Nach einem kurzen Klopfen trat er ein.

Sie saß hinter ihrem Schreibtisch und sah auf. Dass ihre Blicke sich trafen, genügte, um ein flaues Gefühl in seinem Magen auszulösen. Er schloss die Tür, ging zu ihr und warf ihr sanft den Vertrag hin. „Ich habe dir ja gesagt, wir würden das schnell hinbekommen.“

Sie überflog ihn. „Das war wirklich schnell.“

„Falls du irgendwelche Fragen dazu hast, können wir die beim Abendessen besprechen.“

Sie wandte sich ab. „Oh, ich denke, ich werde ihn zuerst ganz in Ruhe lesen und gegebenenfalls morgen meine Fragen stellen. Im Büro.“

„Hast du Angst, mit mir zu Abend zu essen?“

Sie warf ihm einen Blick zu. „Nein, ich will nur vorsichtig sein.“

„Falls du dir wegen des möglichen Getratsches Sorgen machst, können wir …“

Sie unterbrach ihn, indem sie eine Hand hob. „Beim letzten Mal haben wir schon ständig Verstecken gespielt.“

Dass es sie offensichtlich immer noch kränkte, ging ihm nahe. „Unsere Gefühle füreinander waren Privatsache. Ich wollte unbedingt, dass es so bleibt.“

„Das hat leider nicht geklappt“, sagte sie schief lächelnd.

„Keiner von uns beiden war bereit für eine Beziehung“, erwiderte er.

„Und daran hat sich nichts geändert.“

Da konnte er nicht widersprechen. Wegen des Konkurrenzkampfes um die Führung von EPH würde er sich mehr denn je auf die Arbeit konzentrieren müssen. „Trotzdem kannst du die Anziehung zwischen uns nicht leugnen.“

„Ich will gar nicht abstreiten, dass sie da ist“, räumte sie ein. „Aber ich habe beim letzten Mal eine wichtige Lektion gelernt. Nur weil die Hormone eines Mannes im Spiel sind, heißt das noch lange nicht, dass auch sein Herz beteiligt ist.“

„Autsch. Das klingt ja, als wäre ich ein gefühlloser Kerl.“

„Nein, du handelst nur sehr praktisch, selbst was deine Affären angeht.“

„Praktisch und von vornherein ehrlich zu sein, bewahrt einen am Ende vor Enttäuschungen.“

„Ich bin mir nicht ganz sicher, ob deine Theorie so schlüssig ist, besonders was Frauen betrifft, trotzdem habe ich diese praktische Betrachtungsweise bei meiner Rückkehr zu ‚Pulse‘ angewandt. Ich gebe dir etwas, was du willst. Im Gegenzug bekomme ich, was ich will.“

Sein Sperma. Langsam kam Gannon sich vor wie ein Preisbulle. Natürlich war dies nicht der richtige Zeitpunkt, um Erika klarzumachen, dass es eine idiotische Idee war, sein Sperma zur Zeugung ihres Babys zu verwenden. Er hatte wiederholt darüber nachgedacht, aber es gab nur eine Antwort – er musste die Sache mit der Samenspende so lange hinauszögern, bis sie zur Vernunft gekommen war.

Das alles hatte ihn am vergangenen Abend nicht trösten können, nachdem er sogar kulinarische Mittel aufgeboten hatte, um sie zu verführen. Nur um dann zu erfahren, dass sie sich mit einem anderen Mann treffen wollte.

„Wie war eigentlich dein GDA?“

Sie schien bewusst eine neutrale Miene aufzusetzen. „Er war nett. Sehr nett.“

„Haben die Aphrodisiaka gewirkt?“

„Das geht dich wirklich nichts an.“

„Möglicherweise doch. Es gefällt mir nicht, das Feuer in einer Frau zu entfachen, nur damit ein anderer Mann sich daran wärmen kann.“

Einen Moment sah sie ihn schweigend an. Dann lachte sie laut heraus. „Das ist eines der albernsten Dinge, die du jemals von dir gegeben hast.“

„Inwiefern?“, wollte er wissen, nicht ganz sicher, ob er sich über sich selbst oder über sie ärgerte.

„Ich schmeichle deinem Ego nur sehr ungern, aber die meisten Frauen in dieser Redaktion fantasieren von dir. Du siehst einfach unverschämt gut aus. Glaubst du wirklich, Frauen geraten deinetwegen nicht in Wallung und reagieren anschließend ihre Leidenschaft und ihre Frustration an irgendeinem nichts ahnenden Glückspilz ab?“

Er starrte sie ungläubig an. Ihm fehlten die Worte.

Sie faltete die Hände. „Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Wenn es dir nicht gefällt, dass ein anderer von der Begierde profitiert, die du geweckt hast, dann Pech für dich. Komm drüber hinweg.“

Er raufte sich die Haare. „So etwas hat noch nie jemand zu mir gesagt.“

„Es ist bloß die Wahrheit.“

„Du kannst dir sicher sein, dass mir das nie in den Sinn gekommen ist.“

„Natürlich nicht. Du bist ja auch viel zu sehr damit beschäftigt, dieser gut aussehende sexy Workaholic zu sein, um so etwas zu erkennen.“

„Ich versuche nur herauszufinden, ob du mir Komplimente machst oder mich beleidigst.“

„Beides und zugleich weder noch. Ich bin bloß praktisch, genau wie du, indem ich dir die Wahrheit sage.“

Gannon sah ihr lange in die Augen. In der Zeit nach ihrer Trennung war sie stärker geworden. Klüger. Sie dachte pragmatischer. Er fühlte sich unwillkürlich von ihr herausgefordert. „Lass mich wissen, falls du Fragen hast. Ich hätte den Vertrag gern bald unterschrieben zurück.“

„Okay, ich sehe ihn nachher durch“, versprach sie.

„Gut. Übrigens will mein Vater, dass vier Leute ‚Pulse‘ bei einer Cocktailparty repräsentieren, die der indische UN-Botschafter gibt. Das ist morgen Abend. Hast du Lust dazu?“

Er sah sofort, dass sie wollte.

„Ja“, sagte sie. „Darf ich einen Gast mitbringen?“

Gannon verspürte irgendein unangenehmes Gefühl, dem er besser nicht auf den Grund ging. „Klar, solange er an den Sicherheitsleuten vorbeikommt. Gib meiner Sekretärin den Namen.“

Am nächsten Tag herrschte in New York ein Nordoststurm, der fast einen halben Meter Schnee mitbrachte. EPH gestattete allen Angestellten, früher Feierabend zu machen, da mit Stromausfällen und einer Zunahme von Verkehrsunfällen zu rechnen war.

Erika nutzte die Ruhe und erledigte ein paar Aufgaben für ‚HomeStyle‘, ehe sie sich einem von drei Artikeln für ‚Pulse‘ zuwandte, die am Morgen auf ihrem Schreibtisch gelegen hatten.

Eine E-Mail von Gannons Sekretärin hatte sie informiert, dass die Cocktailparty wegen des Wetters abgesagt worden war. Das passte ihr gut, da sie noch unentschlossen war, ob sie Gerald, den GDA-Fußspezialisten, wiedersehen wollte.

Als sie sich mit ihm auf einen Drink getroffen hatte, war sie keineswegs enttäuscht gewesen. Er war tatsächlich groß und gut aussehend, witzig und intelligent. Nur schien ihr Interesse mit jeder Stunde, die seither vergangen war, aus irgendeinem ihr unbekannten Grund weiter erlahmt zu sein.

Sie verzog das Gesicht und konzentrierte sich wieder auf den Artikel, den sie bearbeitete. Um fünf sah sie aus dem Fenster auf das schlechte Wetter und den Verkehr und beschloss, sich einen Becher heiße Schokolade zu machen, statt schon nach Hause zu fahren. Sie ging durch das fast leere Bürogebäude, um Wasser für ihre Kaffeemaschine zu holen, die sie nie zum Kaffeekochen benutzte.

Auf dem Rückweg über den Flur bemerkte sie, dass Gannons Tür nur angelehnt war und dass Licht bei ihm brannte. Einen Moment schwankte sie, ob sie kurz Hallo sagen sollte. Dann entschied sie sich dagegen und setzte ihren Weg fort.

„Willst du davon nichts abgeben?“

Gannons tiefe Stimme erreichte ihr Ohr, gerade als sie um die Ecke biegen wollte. Sie überlegte, ob sie weitergehen und so tun sollte, als hätte sie ihn nicht gehört, doch ihr Zögern machte eine Entscheidung überflüssig.

Gannon kam zu ihr. Sein Anblick löste ein sinnliches Kribbeln in ihrem Bauch aus.

„Ich weiß, dass du diese Kanne Wasser nicht geholt hast, um Kaffee zu kochen. Es ist für heiße Schokolade. Falls dich mal die Lust auf Kaffee überkommt, stibitzt du dir welchen.“

„Ich stibitze ihn nicht. Und ich gehe nicht damit hausieren, dass ich heiße Schokolade mit Marshmallows trinke. Das beschränke ich im Allgemeinen auf mein Büro.“

„Das musst du nicht. Wir können es ohnehin riechen. Draußen tobt ein Blizzard, wir sind die einzigen Leute auf dieser Etage, die noch nicht nach Hause gegangen sind, und du willst deine heiße Schokolade nicht mit mir teilen?“

Obwohl er nur Spaß machte, kam sie sich prompt ein bisschen egoistisch vor. „Na schön, dann komm mit. Ich habe genug. Nur verstehe ich nicht, warum du meinen Instantkakao willst, wenn du echten Kakao in der Chefkantine bekommen kannst.“

„Deiner ist näher“, erklärte er, während er sie zu ihrem Büro begleitete. „Außerdem ist die Kantine geschlossen.“

„Du könntest deine Sekretärin beauftragen, dir welchen zu holen.“

„Die ist bloß nicht mehr da. Sie würde zwar tun, was ich ihr auftrage, aber insgeheim würde sie mich für einen Macho halten, weil ich sie losschicke, mir heiße Schokolade zu besorgen.“

Erika grinste, goss das Wasser in die Kaffeemaschine und schaltete sie ein. „Ach, und das bist du nicht?“

Er warf ihr einen finsteren Blick zu. „Du hast meine Schwester und meine Tante Finola doch kennengelernt. Die beiden wetzen ihre Zähne an den Knochen der Männer, die ihnen quer kommen.“

Erika lachte. „Offenbar bist du ihnen bisher entgangen.“

„Das kann eine ziemliche Herausforderung sein. Welchen Becher gibst du mir? Den mit der Skyline von New York?“

Seine Fähigkeit, sich an die vielen kleinen Details aus der Zeit ihrer kurzen Affäre zu erinnern, verblüffte sie immer wieder aufs Neue. Nachdem er mir nichts dir nichts mit ihr Schluss gemacht hatte, war sie zu der Erkenntnis gelangt, dass sie ihm nicht allzu wichtig gewesen sein konnte. „Tut mir leid, ich glaube, jemand vom Reinigungspersonal hat den Skyline-Becher zerbrochen.“

Ein Ausdruck von Bestürzung huschte über sein Gesicht. „Ich kriege doch wohl hoffentlich nicht den Frauenbecher, oder?“

Sie lachte erneut. „Nein. Ich habe einen anderen, der perfekt zu dir passt.“ Sie nahm eine Tasse aus einem Karton, den sie noch nicht ausgepackt hatte. „Den habe ich bei einem chinesischen Geschenkaustausch bei der ‚HomeStyle‘-Weihnachtsparty bekommen. Da fehlt eine Null, aber das macht nichts.“

Er betrachtete den Becher und lächelte rätselhaft. Das Motiv zeigte einen Hundertmillionen-Dollarschein, der um das Porzellan gewickelt schien.

„Den nehme ich.“

Erika schüttete den Inhalt eines Kakaopäckchens hinein, goss heißes Wasser darauf und rührte mit einem der Plastikstrohhalme um, die sie aus der Kaffeeküche mitgenommen hatte. „Du darfst dir den Becher borgen“, sagte sie. „Aber schenken werde ich ihn dir nicht.“

„Danke. Mit zunehmendem Alter scheinen dir deine Besitzansprüche immer wichtiger zu werden.“

„Ich achte nur darauf, rechtzeitig Grenzen zu ziehen“, erwiderte sie, während sie ihren Kakao anrührte.

„Hört sich an wie ein Zitat von einem Therapeuten oder aus einem Selbsthilfebuch.“

„Paulas Therapeut. Es passte auch zu mir.“

„Und wie steht’s mit dem GDA? Passt der auch zu dir?“

„Bis jetzt schon“, antwortete sie, überrascht, dass er nur fragte, ohne das Thema vertiefen zu wollen. Sie trank schnell einen Schluck, um ihn nicht ansehen zu müssen.

Schweigen folgte.

„Das ist alles? Bis jetzt schon?“, hakte er schließlich doch nach.

Sie nickte. „Ja. Und was ist mit dir? Wie sieht dein Liebesleben aus?“

Ihre Frage schien ihn aus dem Konzept zu bringen.

„Das hat jedenfalls keinen Vorrang. Ich habe alle Hände voll zu tun mit dem Kampf um den Chefposten bei EPH.“

„Ist das eigentlich deine Standardantwort?“, konnte sie nicht widerstehen zu fragen.

Er sah sie kurz an, schüttelte den Kopf und trank einen Schluck. „Es gab eine Zeit, da warst du eingeschüchtert von meiner Position und meinem Namen.“

Ja, das war, bevor du mir das Herz herausgerissen und mit deinen teuren italienischen Schuhen darauf herumgetrampelt hast, dachte sie. Laut sagte sie: „Das war, bevor du versucht hast, mir Schuldgefühle einzureden, weil ich dir keine heiße Schokolade aus meinem Privatvorrat zubereiten wollte.“

„Ich habe es nicht nur versucht“, erinnerte er sie und trank einen weiteren Schluck, „ich habe es auch geschafft.“

„Ja, hast du. Und jetzt entschuldige mich bitte, denn ich muss diesen Artikel zu Ende redigieren.“

„Du gibst mir zu verstehen, dass ich gehen soll?“

„Kluger Mann.“ Sie setzte sich hinter ihren Schreibtisch.

„Danke für die heiße Schokolade, Erika.“

„Gern geschehen.“ Sie zwang sich, ihre Konzentration auf den Artikel zu richten. Nach dreißig Minuten streckte sie sich und schaute auf ihre Frosch-Uhr. Dann warf sie einen Blick aus dem Fenster, hinunter auf die Straße. Der Verkehr schien nicht mehr ganz so dicht zu sein. Sie könnte eine U-Bahn erwischen, ohne gegen zusätzliche Fahrgäste ankämpfen zu müssen, die normalerweise das Auto nahmen und nur bei solchem Wetter auf öffentliche Verkehrsmittel umstiegen.

Sie wickelte sich ihren Schal um den Hals, zog den Mantel an und setzte ihre Mütze auf. Dann schnappte sie sich ihre Handtasche, schaltete das Licht aus und ging. Dummerweise musste sie auf dem Weg zum Fahrstuhl an Gannons Büro vorbei. „Gute Nacht“, rief sie, ohne stehen zu bleiben.

„Wenn du noch eine Minute wartest, fahre ich dich nach Hause.“

Das Angebot ließ sie innehalten. Eigentlich wollte sie es vermeiden, mit Gannon zusammen in einem Wagen zu sitzen, aber bei diesem Wetter eine Fahrt in einem behaglich warmen Gefährt abzulehnen, das sie direkt vor ihre Haustür brachte, wäre dumm, zumal sie von der U-Bahn-Station noch zwei Blocks durch den Schneeregen würde gehen müssen.

„Ja, danke, ich warte“, sagte sie daher.

Gannon trat in einem langen schwarzen Wollmantel aus dem Büro. Auf seinem Kaschmirschal prangten seine Initialen. „Ich habe nur schnell mit meinem Fahrer telefoniert. Er erzählte, es gibt überall Stromausfälle. Ich bin froh, dass unser Bürogebäude einen eigenen Stromgenerator hat.“

„Normalerweise habe ich kein Problem damit, wenn der Strom mal ausfällt“, erklärte Erika. „Meistens dauert es ja nur ein paar Stunden. Allerdings hatte ich mich schon auf meine Heizdecke gefreut.“

„Kann der GDA dich nicht wärmen?“, erkundigte er sich und drückte den Fahrstuhlknopf.

„Könnte er sicher, wenn ich ihn eingeladen hätte“, erwiderte sie und fühlte sich ein wenig gereizt wegen seiner permanenten Anspielungen auf Gerald, obwohl er ihn nicht einmal kannte. „Nur wurde die Cocktailparty abgesagt, wir mussten unser Date also verschieben. Warum interessiert dich das so?“

Die Fahrstuhltür glitt leise zischend auf, und sie betraten die Kabine.

„Ach, ich mache nur ein bisschen Konversation. Ist dein Freund denn ein heikles Thema für dich?“

„Nein“, antwortete sie, doch es kam ihr vor, als würde sie nicht ganz die Wahrheit sagen. Sie revanchierte sich. „Wie geht es Lydia?“

Die Frage war ihm sichtlich unangenehm. „Lydia?“

„Warst du nicht mit ihr zusammen, nachdem du mit mir Schluss gemacht hast?“

„Ich habe nicht mit dir Schluss gemacht“, behauptete er.

„Oh doch, hast du. Ich kann das, was du gesagt hast, als du mit mir Schluss gemacht hast, Wort für Wort wiederholen: Gerüchte über eine Affäre mit dir fallen auf mich zurück. Ich glaube, wir müssen die Sache ein wenig abkühlen lassen. Es wäre weder für meinen noch für deinen Ruf gut.“

Sie erreichten das Erdgeschoss, und die Tür glitt auf.

„Der Wagen ist da. Wir können die Unterhaltung später fortsetzen.“ Er ging voran.

Der Wind wehte ihr kalte Schneeflocken ins Gesicht.

Der Fahrer hielt die Wagentür auf. „Guten Abend, Mr Elliott. Ma’am.“

„Tut mir leid, dass Sie bei dem Wetter losmüssen“, sagte Gannon, während er wartete, bis sie eingestiegen war.

Beinah hätte sie angesichts der kuscheligen Temperatur im Innern des Wagens vor Wonne geseufzt. Leise Jazzmusik war zu hören. Sie hätte nichts dagegen, die ganze Nacht in einer so angenehmen Umgebung zu verbringen. Ein Taxi zu ergattern wäre nahezu unmöglich gewesen, und wenn sie zu Fuß zu ihrem Reihenhaus gegangen wäre, hätte sie sich sonst was abgefroren.

Gannon sagte: „Ist dir eigentlich nie in den Sinn gekommen, dass ich unsere Affäre eher deinetwegen beendet habe?“

Verblüfft sah sie ihn an. „Nein“, erwiderte sie leise. „Du hast mir von Anfang an gesagt, dass wir diskret sein müssen, weil dein Großvater strikt gegen Beziehungen der Elliotts mit ihren Mitarbeitern ist.“

„Stimmt“, räumte er ein. „Aber hast du dir mal überlegt, wessen Ruf am meisten Schaden genommen hätte, wenn unsere Affäre bekannt geworden wäre?“

Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch gleich wieder. „Nein“, gab sie zu.

„Was glaubst du denn, wer mehr darunter zu leiden gehabt hätte? Ich, ein Elliott, oder du?“

„Ein Nicht-Elliott“, sagte sie. Ein Nicht-Elliott ohne die mächtige Familie im Rücken.

„Ich wollte nicht, dass die Presse in meinem Liebesleben herumschnüffelt.“

„Und was ist mit Lydia? Ihr Name und dein Name waren in aller Munde, nachdem du mit mir Schluss gemacht hattest.“

„Es geht dich zwar nichts an, aber es gab nie eine intime Beziehung zwischen Lydia und mir. Sie arbeitet nicht für EPH, und sie liebt es, in der Klatschpresse aufzutauchen.“

„Sie ist sehr schön. Ihr beide gabt ein tolles Paar ab“, sagte sie in einem Ton, der ihre Abneigung nicht ganz verbergen konnte.

„Du begreifst es immer noch nicht, oder?“, fragte er kopfschüttelnd. „Ich bin mit Lydia nur deshalb ausgegangen, um die Aufmerksamkeit von dir abzulenken, nachdem es mit uns vorbei war. Mir ist schon vor langer Zeit klar geworden, dass ich meine Privatsphäre und mein Liebesleben vor der Presse schützen will. Also halte ich die Menschen, die mir wichtig sind, aus dem Scheinwerferlicht heraus und präsentiere sie nicht der Öffentlichkeit.“

Erika sah ihn an und ließ seine Erklärung sacken. Wollte er damit sagen, dass sie ihm etwas bedeutet hatte, dass ihre Beziehung ihm etwas bedeutet hatte?

„Seit ich das College hinter mir habe, habe ich das Ziel, mich zu verloben, ohne dass die Presse Wind davon bekommt, wer meine zukünftige Braut ist.“

Sie war skeptisch. „Na, ich weiß nicht. Deine Familie ist so bekannt, dass das kaum möglich sein dürfte.“

Der Anflug eines Lächelns huschte über sein Gesicht. „Mag sein. Aber vergiss nicht, das nahezu Unmögliche ist das, was die Elliotts am besten können.“

Das konnte sie nicht bestreiten. Sie sah aus dem Fenster und dachte an das, was er über den Schutz der Frauen, die ihm etwas bedeuteten, gesagt hatte. Als der Fahrer in ihre Straße einbog, stellte sie fest, dass der ganze Block dunkel war. Ihr Mut sank.

„Anscheinend ist dein Haus vom Stromausfall betroffen“, bemerkte Gannon.

„Sieht so aus. Na ja, wahrscheinlich wird es nicht lange dauern.“

„Vermutlich“, pflichtete er ihr bei, dann schwiegen sie, und die Stille wog mit jeder Sekunde schwerer.

„Du könntest mit zu mir kommen“, bot er an.

„Danke, das ist nett von dir, aber nicht nötig. Es ist sicher bald vorbei. Ich habe ein kleines batteriebetriebenes Radio, das mein Vater mir zu Weihnachten geschenkt hat. Mitsamt den dazugehörenden Batterien. Außerdem besitze ich eine tolle Decke und flauschige Socken.“

„Ich weiß“, sagte er, und in seiner Stimme schwang ein sinnlicher Unterton mit. „Ich erinnere mich daran.“

Ein Schauer durchrieselte sie, doch sie ging auf seine Bemerkung nicht ein. Stattdessen legte sie eine Hand auf den Türgriff, als der Wagen hielt. „Danke fürs Mitnehmen. Es war sehr angenehm, weder ein öffentliches Verkehrsmittel benutzen noch durch den Schnee stapfen zu müssen.“

„Wieso hast du mein Angebot, dich mitzunehmen, angenommen, willst aber den Stromausfall nicht bei mir abwarten?“

„Nun, zwei Dinge lehnt man nie ab. Die Chance, bei einem Schneesturm in einem behaglich warmen Wagen mitgenommen zu werden. Vorausgesetzt man fährt nicht mit einem Serienmörder.“

„Und die zweite Sache?“

„Mitten im Winter eine Reise nach Florida.“

„Das Angebot, in einem geheizten Apartment mit Strom zu warten, während deine Wohnung kalt und dunkel ist, ist nicht reizvoll genug? Und es kommt nicht von einem Serienkiller.“

„Stimmt“, räumte sie ein. „Dafür vom großen bösen Wolf. Trotzdem danke. Gute Nacht, Gannon.“

Sie stieg aus und versuchte trotz des Schnees und der Glätte das Gleichgewicht nicht zu verlieren und einigermaßen würdevoll zu ihrer Haustür zu gelangen. Als sie es geschafft hatte, wollte sie sich umdrehen, um zu winken. Dabei traf ein Schneeball sie an der Schulter. „He, was soll das?“

Lachend kam Gannon auf sie zu. „Tut mir leid, ich hatte auf deinen Rücken gezielt, aber dann hast du dich umgedreht.“

Verärgert wich sie zurück, als er näher kam. „Es ist ziemlich unfair, mir einen Schneeball in den Rücken zu werfen.“

„Schneeballschlachten sind immer wild“, erwiderte er. „Ich wollte bloß deine Aufmerksamkeit gewinnen. Du bist störrisch und albern.“

„Wie bitte?“

„Im Ernst. Ich biete dir meine warme Wohnung an, aber du willst lieber in dein kaltes Haus. Das nenne ich störrisch und unsinnig.“ Er hob die Hände. „Ich werde dich nicht anrühren.“

Seine Worte nagten an ihrem Ego. Sollten sie aber nicht, sagte sie sich sofort.

„Es sei denn, du bittest mich darum, dich zu berühren“, fügte er in einem sexy Ton hinzu.

„Ich bin nicht gut im Betteln.“

„Zu stolz“, bemerkte er trocken.

„Nein, ich fand es nur nie nötig, zu betteln.“ Sie drehte sich zur Tür um.

Gannons Hand auf ihrer Schulter stoppte sie. Ihr Herz pochte.

„Komm schon, Erika. Es ist doch nur für eine kleine Weile. Meine Gentleman-Gene ließen es gar nicht zu, dich im Dunkeln frieren zu lassen, während ich mich mit einem Glas Whiskey aufwärme und mir ein Spiel der New York Knicks ansehe.“

Sie wandte sich erneut zu ihm um. „Deine Schuldgefühle würden dir das Spiel vermiesen, meinst du?“

„So etwas in der Art“, gab er zu, doch sah er sie auf die gleiche Weise an wie früher, als wäre sie die faszinierendste Frau der Welt und als könne er nicht genug von ihr bekommen.

Es wäre besser, schnell in ihr kaltes, dunkles Haus zu flüchten. Jetzt, ermahnte sie sich. Geh lieber.

Sie rührte sich nicht von der Stelle.

7. KAPITEL

Gannon sah, dass sie unschlüssig war. Er wartete gespannt. Zu den Dingen, die ihn immer schon an Erika fasziniert hatten, gehörte die Tatsache, dass ihre Augen ihm verrieten, was gerade in ihr vorging. Vermutlich würde sie wie ein offenes Buch für ihn sein, wenn er sich entsprechend darauf konzentrierte. Ein Buch, das er wieder und wieder lesen wollte.

„Wenn du nicht mit zu mir kommst“, sagte er, ihr ein paar Schneeflocken aus den Haaren streichend, „fange ich noch an zu glauben, dass du mir nicht widerstehen kannst.“

Ihre Miene verfinsterte sich. „Du bist ganz schön von dir überzeugt. Nur weil du reich und unbestritten gut aussehend bist, musst du noch lange nicht unwiderstehlich sein.“

„Was ist denn nicht liebenswert an mir?“, neckte er sie, um ihr eine Antwort zu entlocken.

Ihr Gesichtsausdruck wurde ernst. „Ab einem bestimmten Punkt muss man lieben, um liebenswert zu sein.“

Das saß.

„Möglicherweise hast du bis jetzt einfach noch nicht die Richtige gefunden“, räumte sie lächelnd ein. „Ich werde mit zu dir kommen, aber ich brauche ein paar Sachen aus meiner Wohnung.“

„Du gehst im Dunkeln hinein?“

„Es ist ja nicht das erste Mal.“ Sie schloss die Tür auf. „Und es wird wohl auch nicht das letzte Mal sein.“

„Warte einen Moment.“ Er drehte sich zum Fahrer um. „Können Sie mir bitte die Taschenlampe aus dem Handschuhfach bringen?“, rief er, worauf Carl sie ihm brachte. „Drehen Sie eine Runde um den Block, wenn es nötig sein sollte. Es dauert noch ein paar Minuten, bis wir so weit sind.“

„Wir?“ Verblüfft schaute sie Gannon an.

„Ich habe deine Wohnung schon eine ganze Weile nicht mehr betreten. Ich möchte mir ansehen, was du daraus gemacht hast.“

„Sie ist nicht schlecht“, erklärte sie, automatisch nach dem nicht funktionierenden Lichtschalter tastend. „Ich hatte Hilfe von einer Innendekorateurin, die einen Beitrag für ‚HomeStyle‘ lieferte. Leider bekommst du wegen der Dunkelheit keinen Eindruck von der Atmosphäre.“

„Das macht nichts. Ich will es nur riechen.“ Er atmete tief den Duft ein, eine Mischung aus Pfirsich, Vanille und Zuckerplätzchen, dabei spürte er, wie Erika ihn ansah.

„Riechen?“

„Deine Wohnung hat für mich schon immer gut gerochen. Manchmal nach Zimt und Äpfeln. Manchmal nach tropischen Früchten. Ich hatte immer Lust einzutreten und für eine Weile zu bleiben.“

„Aber nicht zu lange“, murmelte sie. „Duftkerzen. Du kannst all diese wundervollen Düfte auch in deiner Wohnung mit Kerzen erzeugen.“

Bevor er noch etwas sagen konnte, ging sie voran in die Küche. Bewundernd stellte er fest, dass sie sich mit katzengleicher Sicherheit durch die Dunkelheit bewegte.

„Da du steinreich bist, kannst du jemanden einstellen, der dafür sorgt, dass dein Zuhause wundervoll duftet.“ Sie kramte in einem Schrank. „Könntest du mal hierher leuchten?“

Er leuchtete hinein und schaute zu, wie sie Instantkakao, eine Schachtel, eine Tüte und eine Flasche mit irgendeinem Alkohol aus dem oberen Fach nahm. „Du wolltest Kakao holen?“

„Und Godiva-Likör“, fügte sie hinzu. „Außerdem ein paar Äpfel und Toilettensachen. Wenn ich mich recht entsinne, hast du nie einen Vorrat an Lebensmitteln in deiner Wohnung.“

„Ich bin nie da, die würden nur schlecht werden. Meine Bar ist allerdings gut bestückt.“

„Ich wette, Godiva-Likör hast du nicht.“ Sie ging aus dem Zimmer.

Es stimmte, den gab es bei ihm nicht.

„Likör ist was für Weicheier“, rief sie vom Flur aus und nahm ihm damit die Worte aus dem Mund.

Er hörte im Badezimmer etwas zu Boden fallen. „Hoppla. Taschenlampe, bitte.“

Er lief den Flur entlang und fand Erika auf dem Fußboden, nach ihrer Zahnpasta tastend. Lächelnd schaute sie auf und sagte: „Geh nie ohne aus dem Haus.“

Sie erhob sich mit mehreren Dingen in der einen Hand. Mit der anderen nahm sie ihm die Taschenlampe ab. „Die brauche ich mal eben. Und du wartest hier.“

„Warum lässt du mich nicht mitgehen?“

„Darum.“

Sie verschwand mit der Taschenlampe und ließ ihn im Dunkeln stehen.

„Holst du vielleicht ein sexy Negligé, um mich darin zu überraschen?“

„Nein“, antwortete sie, und kurz darauf signalisierte der leicht hüpfende Lichtstrahl ihre Rückkehr. Außer ihrer Handtasche trug sie auch eine Umhängetasche. „Jetzt bin ich so weit.“

Er fragte sich, was darin war. Diese Frau machte ihn neugierig auf die banalsten Kleinigkeiten. Er nahm ihr die Taschenlampe ab und ging voran zur Tür. „Wenn du auf einer einsamen Insel gestrandet wärst, welche fünf Dinge hättest du gern dabei?“

„Mein Handy.“

„Funktioniert nur, wenn es ein Satellitentelefon ist.“

„So wie deins“, sagte sie.

Er drehte sich unvermittelt um, sodass sie gegen seine Brust stieß. „Machst du dich über meinen Reichtum lustig?“ Trotz der Dunkelheit sah er das Funkeln in ihren Augen.

„Ehrlich gesagt, ja.“

Ein eigenartiges Gefühl erwachte in ihm, doch verspürte er nicht das geringste Bedürfnis, es zu erkunden. Stattdessen umfasste er ihren Hinterkopf, hob ihr Kinn ein wenig und presste seine Lippen auf ihre.

Ihr leises Einatmen fachte das Feuer in ihm weiter an. Er konnte ihre Erregung schmecken und drängte Erika sanft, bis sie die Lippen teilte. Sie küssten sich wild und ungestüm. Ihre Zungen vollführten einen erotischen Tanz, der nur ein Ziel kannte und süßes Verlangen weckte.

Ihr Zungenspiel nahm den Liebesakt vorweg und bescherte ihm eine Erektion. Das Verlangen, Erika endlich nackt, Haut an Haut, zu spüren, wurde fast unerträglich.

Plötzlich löste sie sich von ihm. „Oh, wow“, flüsterte sie ein wenig außer Atem. „Hast du nicht gesagt, ich würde betteln müssen, damit du mich berührst?“

Gannon versuchte, wieder einen einigermaßen klaren Kopf zu bekommen. „Hast du das etwa nicht? Ich könnte schwören, ich hätte dich betteln hören. Aber selbst wenn du nichts gesagt hast, habe ich mein Versprechen nicht gebrochen“, fuhr er fort und fühlte, wie eine eigenartige Spannung zwischen ihnen entstand. Diese Spannung hatte mit Sex zu tun und mit etwas Tieferem, das er nicht benennen konnte. In ihren Augen spiegelte sich die gleiche Erregung wider, die auch in ihm tobte.

„Wie das?“

Er räusperte sich. „Wir sind bei dir zu Hause, nicht bei mir. Und ich habe dir nur versprochen, dich in meiner Wohnung nicht anzurühren, solange du mich nicht darum bittest.“

Sie runzelte die Stirn. „Das klingt nach einem technischen Detail. Wie kann ich dir vertrauen, dass du …“ Sie hielt inne und wandte den Blick ab. „Wie kann ich dir vertrauen, dass du dich zurückhältst, wenn wir bei dir sind?“

„Ich gebe dir mein Wort“, versicherte er. Selbst wenn ich an einer Dauererektion sterben sollte, fügte er im Stillen hinzu.

Anderthalb Stunden später hatten sie eine Tiefkühlpizza gegessen, und Erika bereitete sich geschmolzene Marshmallows mit Schokolade in der Mikrowelle zu. Im Kamin brannte ein Feuer, und Gannon setzte sich mit einem Glas Whiskey in seinen Lieblingssessel. Nur eine Kleinigkeit fehlte noch, um das Bild abzurunden. Erika, die sich auszog, auf seinen Schoß kam und nicht mehr aufhörte, ihn zu küssen. Dann wäre der Abend perfekt.

Stattdessen trug sie ein zusätzliches Sweatshirt, trank heiße Schokolade und saß viel zu weit weg von ihm. Letztlich nur knapp einen Meter, aber ihm kam es unendlich weit vor.

„Jetzt bin ich froh, dass ich mich von dir dazu habe überreden lassen“, sagte sie und lehnte sich bequem auf der Couch zurück. Sie hielt ihr Handy hoch. „Da ich meinen Nachbarn gebeten habe, mich anzurufen, sobald der Strom wieder da ist, weiß ich, dass ich zu Hause immer noch im Dunkeln und in der Kälte säße.“

„Verspürst du etwa Dankbarkeit?“, neckte er sie.

Erika sah ihm ins Gesicht, wohl wissend, worauf er anspielte. Sie schüttelte leicht den Kopf. „Ja. Ich backe dir in den nächsten Tagen Brownies.“

Er verkniff es sich, laut aufzustöhnen. Wieso fühlte er sich durch diese Frau ständig daran erinnert, dass er schon lange keinen Sex mehr gehabt hatte? Warum hatte sie eine solch starke Wirkung auf ihn? Erika hatte etwas an sich, das bei ihm die Lust weckte, sämtliche seiner eigenen Regeln zu brechen. Es war mehr als nur das Verlangen, sie sexuell zu besitzen, auch wenn dieses Verlangen verdammt stark war. Jetzt zum Beispiel genoss er es einfach nur, dass sie sich in seiner Wohnung aufhielt. Ihre Anwesenheit erregte und beruhigte ihn gleichermaßen. Er unterhielt sich gern mit ihr. Er mochte es, dass sie sich von ihm nichts gefallen ließ, obwohl er spürte, dass sie ihn bewunderte und sich zu ihm hingezogen fühlte.

„Du hast mir noch nicht verraten, welche fünf Dinge du gern auf der einsamen Insel dabeihättest.“

„Oh.“ Sie trank einen Schluck von ihrer heißen Schokolade und dachte einen Moment nach. „Auf jeden Fall einen iPod. Mit einer Batterie, die sich niemals leert.“

Er lächelte. „Okay. Welche Musik?“

„Alles Mögliche. Alicia Keys, Seal, ein paar Strandsongs zum Aufheitern, wenn ich mal nicht so gut drauf bin.“

„Für ein Mädchen aus Indiana scheinst du eine Schwäche für den Strand zu haben.“

„Habe ich auch. Ich saß einfach zu lange im Binnenland fest. Ich liebe die Wärme, den Sand, das Wasser.“

„Die Wirbelstürme“, erinnerte er sie.

„Du Zyniker. Man muss ja nicht während der Wirbelsturmsaison in den Süden fahren.“

„Zurück zur Musik“, sagte er.

„Etwas Klassisches, gespielt von einem Orchester, ein paar Standards und ‚Marshmallow World‘ von Sammy Davis jr.“

„Klingt ziemlich vielseitig“, bemerkte er, ein Grinsen hinter seinem Whiskeyglas verbergend. „Bleiben noch zwei Sachen.“

„Heiße Schokolade mit Marshmallows. Ohne wäre ich ganz schön traurig. Außerdem noch das komplette ungekürzte Werk von Louisa May Alcott.“

„Keinen Föhn?“, neckte er sie.

Sie zuckte die Achseln. „Wozu? In der Luftfeuchtigkeit würden sich meine Haare ohnehin kringeln.“

„Keine Kosmetik?“

„Ein bisschen Seife wäre nicht schlecht. Vielleicht tausche ich das Handy gegen Seife ein, da es auf der Insel eh nicht funktioniert. Und was ist mit dir? Nicht, dass so etwas einem Elliott passieren könnte, denn der hat ja stets sein Satellitentelefon dabei. Natürlich würde ein Suchtrupp den gesamten Planeten nach dir durchkämmen.“

„Machst du dich etwa schon wieder über meinen Reichtum lustig?“

„Nein, diesmal nur über deine Position innerhalb der Familie“, erwiderte sie frech grinsend. „Also los, fünf Dinge.“

„Ein Radio mit extra Batterien, um Sportsendungen zu hören.“

„Ohne deine Knicks hältst du es nicht aus, was?“

„Oder die Yankees, das hängt von der Saison ab. Die gesammelten Werke Tolstois. Eine Flasche guten irischen Whiskey. Und eine Frau.“

Sie stutzte. „Eine Frau? Wen?“

„Eine Frau, die meine seelischen und körperlichen Bedürfnisse so sehr befriedigt, dass es mir egal ist, ob ich die Insel jemals wieder verlasse.“

„Das ist ein bisschen viel verlangt“, meinte sie skeptisch.

Er musterte sie von Kopf bis Fuß und erinnerte sich daran, wie sie nackt ausgesehen hatte, wie sie sich in seinen Armen angefühlt hatte, und an die sinnlichen Laute, die sie beim Liebesspiel von sich gegeben hatte. Sie war hier. Er war hier. Sie waren beide bekleidet. Was für eine Verschwendung. Er verkniff sich einen leisen Fluch und trank stattdessen einen Schluck von seinem Whiskey.

Erika holte sein Scrabble-Spiel hervor, und bei der ersten Runde schlug er sie. Den zweiten Durchgang gewann sie, weil er ständig daran denken musste, wie es wohl wäre, sie zu Strip-Scrabble zu überreden. Kurz nach Mitternacht zeigte der Godiva-Likör Wirkung, und sie begann zu gähnen.

„Wirkt die heiße Schokolade mit Schuss?“, neckte er sie und genoss den Anblick ihrer müden Augen und der leicht zerwühlten Haare.

„Ein bisschen. Hast du etwas dagegen, wenn ich heute Nacht auf deiner Couch schlafe?“

„Ich habe ein Gästezimmer.“

Sie schaute zum Kamin. „Aber das Feuer hier ist so gemütlich.“

„Stimmt.“ Er bereute bereits sein Versprechen, sie nicht anzurühren, falls sie ihn nicht ausdrücklich darum bäte. Die angeborene Dreistigkeit hatte schon so manchen Elliott in Schwierigkeiten gebracht.

„Du kannst ruhig ins Bett gehen, wenn du willst“, sagte sie.

„Das hat keine Eile. Ich werde dir erst mal ein Kissen und eine Decke holen.“ Er ging auf Socken durch den Flur, holte ein Kissen vom Gästebett und eine warme weiche Decke aus dem Schrank. Als er zurückkam, saß sie, die Arme um die angewinkelten Beine geschlungen, auf dem Sofa und schaute ins Feuer.

„Ich habe mich schon immer gefragt, warum du eigentlich keinen Vollzeit-Butler hast. Oder gleich mehrere“, überlegte sie laut.

„Ich mag meine Privatsphäre“, erklärte er. „Dies hier ist einer der wenigen Orte, an denen ich ganz allein sein kann, wenn ich will. Und wenn ich nicht da bin, kümmert sich die Putzfrau um alles.“

„Eine Art Phantomhilfe“, meinte sie lächelnd.

„Ja, nur dass sie keinen Phantomscheck bekommt“, bemerkte er trocken. Er sah, dass ihre Miene ernst, beinah schon schwermütig wurde. „Was beschäftigt dich?“

„Ich habe mich nur gerade etwas gefragt.“

„Was denn?“, ließ er nicht locker und setzte sich zu ihr aufs Sofa.

„Du sagtest, dass du die Menschen, die dir etwas bedeuten, vor der Klatschpresse schützen willst. Ich frage mich, wie viele Frauen es wohl waren, die du schon vor der Presse geschützt hast.“

Er betrachtete sie schweigend. Dann sagte er: „Nicht viele.“

„Nicht viele ist keine Zahl.“

„Drei“, verriet er schließlich.

Sie sah ihn überrascht an. „Ich hätte erwartet, dass es mehr waren.“

„Tja, so kann man sich irren.“

„Hm“, meinte sie. „Sprechen einige von denen noch mit dir?“

„Klar, warum nicht. Meine Trennungen verliefen immer friedlich. Eine der Frauen ist inzwischen verheiratet, eine lebt in Frankreich.“

„Und die dritte?“

„Sitzt gerade neben mir.“ Als er ihr in die Augen sah, spürte er erneut dieses elektrisierende Knistern zwischen ihnen.

„Keine der anderen beiden Frauen bekam einen Wutanfall?“

„Nein.“

„Ich hätte einen kriegen können“, gestand sie. „Ich war so verletzt, dass ich schreien und mit den Fäusten gegen die Wand hämmern wollte. Am liebsten hätte ich mit Geschirr nach dir geworfen, mit teuren Gläsern voll Champagner oder einen Kuchen in dein Gesicht.“

Er runzelte verblüfft die Stirn. „Du machst Witze. Du bist eine der vernünftigsten und zivilisiertesten Frauen, die ich kenne.“

„Na ja, man könnte wohl durchaus behaupten, dass du nicht immer meine vernünftige Seite zum Vorschein bringst.“

Er versuchte sich vorzustellen, wie sie einen Wutanfall bekam, doch es gelang ihm nicht. „Du kommst mir viel zu erwachsen vor für so etwas.“

Erika seufzte. „Ja, vielleicht bin ich das. Vielleicht liegt es auch nur am Likör, dass ich so rede, aber du weißt ja, was man sagt – es gibt ein Yin und ein Yang, Licht und Dunkel.“

„Wenn man leidenschaftlich ist, dann höchstwahrscheinlich in jeder Hinsicht“, setzte er hinzu.

„Ja, so ähnlich.“ Ein schlaues Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Ich wette, ich habe dir Angst gemacht.“

„Überhaupt nicht“, erwiderte er und hatte das Gefühl, dass seine Körpertemperatur um einige Grad anstieg. Bisher hatte er eher zu Beziehungen mit Frauen tendiert, die er kontrollieren konnte. Im vergangenen Jahr war er in der Lage gewesen, seine Beziehung mit Erika zu kontrollieren. Er war sich nicht sicher, ob das diesmal auch noch so leicht funktionieren würde. Dummerweise steigerte das sein Verlangen nach ihr nur. Verdammt, woher kam plötzlich diese geradezu selbstzerstörerische Neigung?

Er räusperte sich. „Ich gehe ins Bett, damit du endlich ein bisschen Schlaf bekommst.“

„Danke noch mal“, sagte sie. „Und gute Nacht.“

Er ging durch den Flur zu seinem Schlafzimmer und dachte daran, wie gern er mit Erika auf dem Sofa geschlafen hätte. Diese Fantasie würde ihn noch Stunden wach halten.

Erika erwachte früh am Morgen und hinterließ Gannon eine kurze Dankesnachricht mit einem Päckchen Kakao, dann verließ sie seine Wohnung und schnappte sich unten auf der Straße ein Taxi. Ihre Gefühle für ihn wechselten von einem Extrem ins andere. Einerseits wollte sie mit ihm zusammen sein und sehnte sich nach seiner Aufmerksamkeit, andererseits wusste sie genau, dass es verrückt wäre, sich erneut auf diesen Weg zu begeben. Hatte sie denn ihre Lektion nicht schon beim ersten Mal gelernt? Mit Gannon Elliott zu spielen war in etwa, wie barfuß auf glühenden Kohlen zu tanzen.

Es gab keine Chance, sich dabei nicht zu verbrennen, doch bis die Hitze sie versengt hätte, wäre es wundervoll. Sie liebte es, wie er sie ansah, sie neckte und sogar, wie er Scrabble mit ihr spielte. Sie wusste, dass er sie begehrte, und dieses Wissen brachte sie fast um den Verstand. Gannon war der begehrenswerteste Mann, dem sie jemals begegnet war. Seine Attraktivität und seine offensichtlich hervorragenden Gene waren der Grund dafür, weshalb sie ihn zum Vater ihres Kindes erkoren hatte. Auch wenn die Empfängnis im Reagenzglas stattfinden würde.

Das Problem war nur, dass sie aus eigener Erfahrung wusste, wie viel mehr Spaß es auf natürlichem Wege machen würde.

Sie stöhnte, als sie ihr Reihenhaus betrat, und ermahnte sich, sich zusammenzureißen. Das Glück war auf ihrer Seite, denn fünfzehn Minuten nach ihrer Rückkehr war der Strom wieder da. Sie duschte und machte sich für ihren Arbeitstag bereit, an dem sie sich auf ihren Job konzentrieren würde, nicht auf Gannon.

Ihr Telefon klingelte, als sie gerade Mascara auftrug. Bevor sie sich meldete, schaute sie aufs Display. Es war Gerald. Nimm ab, befahl sie sich. Um Himmels willen. Tu es. Sie gab sich einen Ruck und nahm das Gespräch an.

„Hallo Erika, hast du den Schneesturm gut überstanden? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, als ich vom Stromausfall in deiner Gegend hörte.“

Wie nett von ihm, dachte sie, hatte zugleich aber ein schlechtes Gewissen, da sie die ganze Nacht mit Gannon in seinem tollen, warmen Apartment verbracht hatte. „Ganz gut, würde ich sagen. Inzwischen haben wir wieder Strom. Und du?“

„Bei uns gab es zum Glück keinen Ausfall. Ich habe mich gefragt, ob wir unsere Verabredung heute Abend nachholen könnten. Ich würde dich gern zum Essen einladen. Allerdings geht es erst ein bisschen später.“

Sie hielt den Atem an und widerstand dem ersten Impuls, ihm eine Absage zu erteilen. Warum wollte sie denn nicht mit ihm ausgehen? Gerald war der perfekte GDA und noch dazu verfügbar. Hinzu kamen seine guten Gene, die er ihrem Baby vererben könnte. „An welche Uhrzeit hattest du gedacht?“

„Acht Uhr. Ich weiß, das ist spät, aber ich versuche dich in ein Restaurant einzuladen, für das sich das Warten lohnt.“

Das war eine nette Idee, wie sie zugeben musste. „Ja, gern. Einverstanden.“

„Gut. Ich rufe dich im Lauf des Tages an, sobald ich reserviert habe, damit du weißt, wo wir uns treffen.“

„Hört sich gut an. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag.“

„Ich dir auch. Ich freue mich, bis dann.“

Erika legte nachdenklich auf. Sie sollte sich auch auf den Abend freuen. Vielleicht würde sie Vorfreude auf das Wiedersehen mit Gerald empfinden, wenn sie es sich nur oft genug einredete. „Ich freue mich darauf, Gerald zu sehen“, murmelte sie auf dem Weg ins Büro mehrmals vor sich hin.

Als sie den Fahrstuhl verließ, war sie fest entschlossen, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren und nicht an Gannon zu denken. Kaum hatte sie den Mantel ausgezogen und sich an ihren Schreibtisch gesetzt, klingelte das Telefon. Sie nahm den Hörer ab.

„Mr Elliott auf Leitung eins“, informierte ihre neue Sekretärin sie.

„Welcher Mr Elliott?“, wollte Erika wissen.

„Oh. Mr Michael Elliott.“

„Bitte stellen Sie ihn durch.“ Erika musste höchstens eine Sekunde warten. „Erika Layven“, meldete sie sich. „Was kann ich für Sie tun, Mr Elliott?“

„Nennen Sie mich ruhig Michael. Am Ende des Tages werden Sie mich vielleicht noch ganz anders nennen.“

Erika hörte, dass er verärgert war. „Was gibt es für ein Problem?“

„Wir haben zwei Artikel, die in Druck gehen müssen, aber sie sind katastrophal. Ich will, dass Sie und Gannon sich die Texte gleich vornehmen.“

Erika stutzte. „Gannon?“, wiederholte sie und sah ihre Zeit sowie ihre Vorsätze den Bach runtergehen.

„Genau. Ich hoffe, Sie hatten für heute keine anderen Pläne.“

„Natürlich hatte ich andere Pläne, aber das hört sich weitaus wichtiger an. Ich kann meinen Terminplan umstellen.“

„Sehr gut. Mit Gannon habe ich schon gesprochen. Sie können in seinem Büro arbeiten.“

„Ja, Sir. Auf Wiederhören.“ Sie legte auf, und ihr kam ein vager Verdacht. Hatten Gannon und sein Vater sich das ausgedacht, um sie zu zwingen, mit ihm zusammen zu sein? Nein, diese Idee grenzte an Verfolgungswahn. Sie nahm sich selbst zu wichtig. Gannon hatte es gar nicht nötig, auf irgendwelche Tricks zurückzugreifen, damit eine Frau Zeit mit ihm verbrachte. Mich eingeschlossen, dachte sie düster. Mit Kugelschreiber und Notizblock bewaffnet machte sie sich auf den Weg zu seinem Büro. Seine Sekretärin winkte sie durch.

Gannon sah von seinem Schreibtisch auf, der für ihn untypischerweise mit Papieren und Fotos übersät war.

„Wie ist das passiert?“, erkundigte sie sich.

„Tagesgeschehen, Sondermeldungen, Aushilfsreporter, neuer Fotograf.“ Er schüttelte angewidert den Kopf. „Die gute Nachricht ist, dass der Fotograf jede Menge Bilder gemacht hat. Es sollte uns also gelingen, ein paar einigermaßen geeignete zu finden.“

„Na schön. Sag mir, wo du beginnen willst.“

8. KAPITEL

Sie arbeiteten nonstop die Mittagspause hindurch an den beiden Artikeln, die sie redigieren und umschreiben mussten. Sie telefonierte herum, Gannon schickte die Fotos, die sie auswählten, in die Fotoredaktion.

Die Zeit verging wie im Flug. Hätte Erika darüber nachgedacht, wie harmonisch sie zusammenarbeiteten, hätte sie es sicher beunruhigend gefunden. Glücklicherweise aber war sie dazu viel zu beschäftigt.

Sie arbeiteten so konzentriert, dass sie sich Gannons Gegenwart gar nicht allzu sehr hätte bewusst sein dürfen, doch das Gegenteil war der Fall. Sie nahm den Duft seines Aftershaves wahr und wäre am liebsten darin ertrunken. Wenn er sich durch die Haare strich, sehnte sie sich danach, sie zu berühren. Einmal streifte seine Hand ihre, und ein sinnlicher Schauer überlief sie. Ihre Blicke trafen sich, und was sie in seinen Augen las, ließ ihr Herz für einen Moment stillstehen.

Als wären sie sich beide darüber im Klaren, dass sie auf der Hut sein mussten, wandten sie sich voneinander ab und vertieften sich von Neuem in die Arbeit. Am Ende des Tages konnte Erika jedoch nicht mehr anders, als auf seinen Mund zu starren, sobald Gannon redete.

Um halb sieben hatten sie geschafft, was ihnen zunächst völlig aussichtslos vorgekommen war. Erika fühlte sich erleichtert und beschwingt.

Gannon sank auf seinen Schreibtischsessel und nahm seine Krawatte ab, die er schon vor Stunden gelockert hatte. Er sah zu ihr und lachte. „Auf uns.“

Sie erwiderte sein Lächeln. „Ja, auf uns. Jetzt brauchen wir nur noch Champagner, um anzustoßen.“

„Ich habe welchen.“

Er stand auf und ging zur kleinen Bar auf der anderen Seite des großen Büros. Unter dem Tresen aus Kirschholz befand sich ein Kühlschrank, aus dem er eine Flasche Champagner nahm.

„Cristal.“

Erika starrte erst die Flasche an, dann ihn. „Das ist ein bisschen extravagant, nicht?“

„Willst du damit sagen, wir hätten ihn nicht verdient?“

Er wickelte die Folie vom Flaschenhals ab, schlug ein Handtuch darum und ließ den Korken knallen.

„Tja, ich schätze, jetzt ist es ohnehin zu spät, um darüber zu debattieren.“ Sie stand auf. „Hast du Gläser?“

Er deutete mit dem Kopf nach hinten. „Linker Schrank unten.“

Erika ging hinüber und nahm zwei Kristallgläser heraus. „Die sind wunderschön. Sie sehen aus wie echte Waterfords.“

„Meine Mutter hat sie mir geschenkt. Ein Fingerzeig.“

Er kam zu ihr und goss den prickelnden Sekt in die Gläser. „Setz dich“, forderte er sie auf und deutete auf die Sitzgruppe vor seinem Schreibtisch.

Diesmal setzte er sich neben sie.

„Auf den erfolgreichen Abschluss unserer Mission Impossible“, sagte sie, hob ihr Glas und genoss Gannons leicht zerzaustes Aussehen und die frischen Bartstoppeln auf seinen Wangen. Sie mochte es, wenn er ein wenig verwegen aussah. Und sie mochte es, wenn er einen schwarzen Anzug trug. Andererseits gefiel es ihr auch, wenn er nur in eine Decke gehüllt war oder gar nichts anhatte.

Er stieß mit ihr an. „Auf unsere Freundschaft“, verkündete er.

Sie trank einen Schluck Champagner, dann noch einen. „Der ist natürlich sehr gut.“

„Ja, ausgezeichnet.“

„Was sollte das für eine Anspielung deiner Mutter sein?“, kam sie auf seine Bemerkung zurück.

„Das Übliche nehme ich an, Hochzeit und die Gründung einer Familie.“

„Aha. Und was hast du ihr gesagt?“

„Das Gleiche, was ich ihr jedes Mal sage. Dass ich heirate, wenn es an der Zeit ist und ich die richtige Frau gefunden habe.“

Erika trank einen weiteren Schluck, um die widerstreitenden Gefühle in ihrem Innern zu verbergen. „Ich bekomme so ähnliche Sachen von meiner Mutter zu hören.“

„Und was sagst du ihr?“

„Ich wechsle das Thema und erkundige mich nach ihrer letzten Bridgepartie“, antwortete sie und dachte an den Babyvertrag, den Gannon ihr noch immer nicht vorgelegt hatte. Wahrscheinlich musste sie ein wenig Geduld haben.

„Das ist ziemlich gut. Muss ich mir merken.“ Er schenkte ihr nach. „Trink aus. Wir sollten die Flasche leer machen.“

„Und einen Champagnerkater bekommen? Ich weiß nicht. Na ja, vielleicht ist es das wert, schließlich handelt es sich um Cristal“, räumte sie ein und fühlte sich ein bisschen verschwörerisch. Sie trank ein paar kleine Schlucke. Wärme durchflutete sie. „Puh, so ganz ohne Mittagessen steigt mir der Champagner gleich zu Kopf.“

„Darum werde ich mich kümmern“, versprach er mit einer Stimme, die sie daran erinnerte, dass er sich in vielerlei Hinsicht um sie kümmern konnte.

Angesichts der Lust, die plötzlich in ihr erwachte, schloss sie die Augen und nahm einen weiteren Schluck. „Was für ein Tag. Meinst du, dein Vater wird zufrieden sein mit dem, was wir abgeliefert haben?“

„Begeistert“, verbesserte Gannon sie. „Auf seine Weise.“

Sein trockener Ton ließ sie lächeln. „Er ist nicht gerade der Typ, der vor Freude herumhüpft, was?“

„Nein, aber er bringt stets deutlich zum Ausdruck, ob er zufrieden ist oder nicht.“

„Und meistens ist er mit dir zufrieden“, vermutete sie.

„Es gab Gelegenheiten, da ist er meinetwegen an die Decke gegangen. Aber ich bin der Älteste.“

Sie verstand, was er meinte, denn sie war auch die Älteste unter ihren Geschwistern. „Da liegt die Messlatte höher.“

Gannon nickte und berührte ihre Wange. „Und bei dir?“

Es wäre besser, wenn sie sich jetzt zurückzöge. Sie verstieß gerade gegen all ihre selbst auferlegten Regeln, doch es gefiel ihr nun mal, wie seine Finger sich auf ihrer Haut anfühlten. Die sanfte, langsame Bewegung war faszinierend. „Ich bin auch die Älteste, aber glücklicherweise arbeite ich nicht für meine Mutter oder meinen Vater. Ich lebe sogar in einem anderen Bundesstaat. Andererseits lassen sich meine Wurzeln nicht verleugnen. Ich kann aus Indiana weggehen, dadurch verschwindet es jedoch nicht aus mir.“

Er lächelte. „Unter den schwarzen Businesskostümen verbirgt sich ein weicher Kern. Ich sage nur: heiße Schokolade. Vermisst du deine Eltern?“

„Manchmal schon. Allerdings finde ich, dass ein wenig Distanz eine gute Sache ist.“

„Da kann ich nicht widersprechen.“

„Und doch bleibst du.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe nie etwas anderes in Betracht gezogen. Ich habe auch nie etwas anderes gewollt.“

„Nie? Hattest du als Teenager oder Student denn niemals rebellische Phasen?“

„Na schön“, meinte er einschränkend, „es gab da eine oder zwei Wochen in meinem Leben, als ich ernsthaft in Erwägung zog, Tourguide fürs Fliegenfischen zu werden.“

Erika lachte. „Ich versuche mir dich gerade in Gummistiefeln vorzustellen statt in einem Anzug von Brooks Brothers.“

Er strich mit dem Daumen sacht ihre Unterlippe entlang. „Machst du dich etwa schon wieder über mich lustig? Es gab auch einen Sommer auf der Highschool, da war ich entschlossen, in einer Garagenband zu spielen.“

Das hörte sie mit Erstaunen. „Wow, das wusste ich nicht. Du hast das nie erwähnt, als wir …“ Sie hielt einen Moment inne. „Als wir zusammen waren. Es gibt nach wie vor vieles, was ich nicht von dir weiß.“

„Du klingst, als würdest du es bedauern“, stellte er mit leiser Stimme fest, den Blick auf ihren Mund gerichtet.

Er hatte recht, und diese Erkenntnis verwirrte sie. „Tja, daran kann ich wohl nichts ändern.“

„Da gibt es mehr Möglichkeiten, als du denkst“, sagte er und leerte sein Champagnerglas.

Was für eine seltsame Bemerkung, dachte sie und beobachtete das Spiel seiner Sehnen und Muskeln beim Schlucken. Sie erinnerte sich noch genau, wie es war, seinen Hals mit ihren Lippen zu berühren und Gannon dabei lustvoll stöhnen zu hören. Die Laute, die er von sich gab, wenn sie sich liebten, hatten sie immer angespornt.

Er nahm die Champagnerflasche und schenkte erst sich und dann ihr nach. „Fast alle.“ Er sah sie an und kam näher, so nah, dass sein Gesicht anfing vor ihren Augen zu verschwimmen. „Ich werde dich küssen.“

„Ich habe dich nicht darum gebeten“, protestierte sie halbherzig. Nein, sie hatte ihn nicht gebeten, sie zu küssen. Zumindest nicht laut.

„Wir befinden uns nicht in meiner Wohnung.“

Er senkte seinen Mund auf ihren, und sämtliche Luft schien aus ihren Lungen zu entweichen, als er sie zärtlich küsste, liebevoll und zugleich forschend. Instinktiv erwiderte sie seinen Kuss und klammerte sich an ihn.

Gannon gab ein leises Stöhnen von sich, das glühendes Feuer der Erregung bei ihr entfachte. Langsam löste er sich wieder von ihr.

„Trink noch einen Schluck Champagner“, forderte er sie auf. „Ich will ihn auf deinen Lippen schmecken.“

Oh, wow. Etwas zittrig trank sie.

Gannon hob ihr Kinn leicht an und küsste sie erneut. Zuerst strich er sanft mit der Zunge über ihre Lippen, dann wurde sein Kuss heiß und fordernd.

Die süße Tortour schien nicht enden zu wollen. Erika fühlte sich wie von einer Droge betäubt, die sämtliche ihrer Bewegungen verlangsamte, nur nicht ihren Herzschlag.

Er nahm ihr das Glas ab, und ihr Kuss wurde wilder, stürmischer, und Gannon hob sie auf seinen Schoß. In ihr Verlangen mischte sich Vorsicht. „Ist das eine gute Idee?“, brachte sie mühsam heraus.

„Wir küssen uns doch nur“, wiegelte er ab.

In Wahrheit wollte sie mehr, das konnte sie nicht leugnen. Viel mehr. Er legte ihr eine Hand in den Nacken und küsste sie von Neuem. Sie schienen durch das erotische Spiel ihrer Zungen miteinander zu kommunizieren, und wie von selbst schoben ihre Finger sich in sein Haar. Sein lustvolles Stöhnen war ihr Belohnung, und sie fühlte seine Hände seitlich an ihren Brüsten. Sofort richteten sich ihre Brustwarzen auf. Einige Sekunden verstrichen, bis er sie berührte.

Ein Kribbeln breitete sich in ihrem Körper aus, und sie spürte deutlich, wie sie feucht wurde.

„Willst du mehr?“, flüsterte er.

Dieses Angebot war unerträglich verlockend. „Wie kann ich einen klaren Gedanken fassen, wenn du mich auf diese Weise berührst?“

„Ist das gut oder schlecht?“

„Beides“, murmelte sie und biss sich auf die Unterlippe, während er fortfuhr, mit den Daumen die empfindlichen Knospen zu reiben.

„Sag mir, dass du aufhören willst“, forderte er sie auf und hielt mit seinen erotischen Liebkosungen inne.

Also würde sie am Ende doch die Vernünftige sein müssen. Verantwortungsbewusst. Sie wollte aber nicht nachdenken, sie wollte nur noch Gannon fühlen, überall, auf jede nur erdenkliche Art und Weise. Sie schloss die Augen. „Das schaffe ich nicht“, brachte sie mit leiser Stimme heraus.

Erneut presste er seine Lippen auf ihre und küsste sie, als könnte er nicht genug von ihr bekommen. Im Nu hatte er ihr die Bluse abgestreift und ihren BH aufgehakt. Ungeduldig knöpfte Erika sein Hemd auf und schob es von seinen muskulösen Schultern. Als sie sah, dass er darunter noch ein T-Shirt trug, seufzte sie frustriert. „Das ist unfair.“

Rasch kam er ihrem Drängen nach und zog es aus. Erika ließ die Finger über seine harten Bauchmuskeln gleiten und registrierte zufrieden, wie er scharf die Luft einsog, als sie eine Hand unter seinen Hosenbund schob.

Gannon drückte sein Gesicht zwischen ihre Brüste und begann an einer der aufgerichteten Brustwarzen zu saugen. Heiße Begierde erwachte in ihr. Mit jeder Faser ihres Körpers sehnte sie sich danach, ihn zu spüren. Unruhig rutschte sie auf seinem Schoß hin und her und fühlte dabei seine Erektion.

Er stöhnte auf, eine Mischung aus Frustration und Vergnügen. „Du machst mich so …“

Er stellte sie auf ihre Füße, um ihr Strümpfe und Rock auszuziehen. Die Stiefel hatte sie schon am späten Nachmittag während der intensiven Arbeit an den Texten abgestreift. In Gannons Blick erkannte sie das gleiche Verlangen, das auch sie empfand.

Ein Handgriff, und er zog ein Kondom aus der Tasche, öffnete den Gürtel seiner Hose und schob sie mitsamt dem Slip hinunter. Danach ließ er sich wieder in den Sessel sinken, zog Erika auf seinen Schoß und küsste sie, wobei er sich mit seinen Fingern behutsam, aber entschlossen vortastete.

„Ja“, stieß sie mit vor Erregung heiserer Stimme hervor.

Seine Zunge umspielte ihre, während seine Hand immer tiefer glitt. Erika war so erregt, dass sie kaum atmen konnte. Ein Schauer sinnlicher Vorfreude überlief sie und lag im stillen Widerstreit mit ihrer Unsicherheit. „Ich will dich in mir spüren“, flüsterte sie und fügte mehr zu sich selbst hinzu: „Das ist verrückt.“ Sie war überwältigt von ihrem Verlangen nach Gannon, vom brennenden Wunsch, ihm so nahe wie nur irgend möglich zu sein.

Gannon umfasste ihre Hüften und half ihr, damit sie ihn tief in sich aufnehmen konnte. Die Art, wie er sie ausfüllte, raubte ihr schier den Atem.

Er erschauerte. „Du hast keine Ahnung, wie gut …“

„Oh, ich glaube, ich kann mir schon eine Vorstellung davon machen.“ Sie hob sich etwas an und ließ sich wieder auf ihn sinken. Die Empfindungen, die durch ihren Körper strömten, ließen sie lustvoll erbeben.

Allmählich begannen sie, sich im Einklang zu bewegen. Während sie den perfekten Rhythmus fanden, saugte Gannon an ihren Brustwarzen und küsste sie, bis sie glaubte, den Verstand zu verlieren.

Gannon ließ seine Hand zu ihrer empfindsamsten Stelle gleiten und liebkoste Erika geschickt mit seinen Fingern. Es dauerte nicht lange, bis ein Orgasmus sich anbahnte, der sich gleich einer Explosion reinster Lust in ihrem Körper ausbreitete.

Wie durch einen Nebel hörte sie Gannon aufstöhnen, während er sich auf dem Höhepunkt aufbäumte. Dabei hielt er ihren Po mit seinen starken Händen umklammert.

„Oh, Erika“, stieß er aus. „Du bist unglaublich. Einfach …“

Es klopfte an der Tür. Erika war so geschockt, als hätte man ihr einen Eimer Eiswasser über den Kopf geschüttet. „Oh nein …“

Gannon legte ihr einen Zeigefinger auf die Lippen und schüttelte den Kopf. Erneutes Klopfen.

„Mr Elliott? Hier ist das Reinigungspersonal. Wir wollten Ihr Büro putzen.“

„Danke, geben Sie mir fünfzehn Minuten. Ich beende gerade ein Projekt.“

Erika war augenblicklich ernüchtert. Was, um alles in der Welt, tat sie da? Hatte sie denn nichts dazugelernt? Sie hatte sich doch schon einmal mit Gannon eingelassen, und er hatte sie so sehr verletzt, dass sie für keinen anderen Mann mehr etwas empfinden konnte.

Das hier war sogar noch schlimmer. Im Büro waren sie nie so weit gegangen. Bittere Reue stieg in ihr auf, und sie rutschte von seinem Schoß. Sie wankte bei dem Versuch, aufrecht zu stehen.

Gannon stand ebenfalls auf. „Ist alles in Ordnung mit dir?“

Sie wich seinem Blick aus. „Könnte besser sein. Es wäre wohl nicht schlecht, wenn wir uns jetzt wieder anziehen.“

Er ging zur Tür, um abzuschließen. „Keine Sorge, hier wird niemand einfach so hereinkommen.“

„Es hätte aber durchaus passieren können“, erwiderte sie und schlüpfte hastig in ihre Kleidung. „Ich bumse den Boss, und …“

„Technisch betrachtet bin ich nicht dein Boss“, widersprach er. „Dafür habe ich gesorgt, als du zu ‚Pulse‘ zurückgekehrt bist.“

Sie sah ihn mit einem vernichtenden Blick an. „Da draußen, das hätte jeder sein können. Und wenn derjenige nun nicht vorher angeklopft hätte?“

„Alle klopfen an, bevor sie mein Büro betreten.

„Und was ist mit deinem Vater? Oder mit einem deiner Brüder? Deiner Schwester? Oder mit einem deiner tausend Cousins?“ Sie versuchte, nicht hysterisch zu klingen.

Er zog seine Hose hoch und machte sie zu. Erika entging es keineswegs, dass er nicht einmal ein Zehntel der Zeit benötigte, um sich wieder vollständig im Griff zu haben, während ihre Hände noch immer zitterten. Sie kämpfte mit dem Reißverschluss an ihren Stiefeln.

Gannon kam zu ihr und legte eine Hand auf ihre. „Du musst dich beruhigen, Erika. Es ist doch gar nichts passiert. Ich würde dich in Schutz nehmen, weil …“, begann er, brach jedoch ab. „Es ist einfach mit uns durchgegangen. Diese Sache hier sollte unter uns bleiben.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob da überhaupt eine Sache sein sollte“, erwiderte sie. „Das habe ich alles schon mal mitgemacht.“

„Aber du willst ein Baby von mir“, erinnerte er sie.

Plötzlich war ihre Kehle wie zugeschnürt, und sie wandte den Blick ab. „Ich will deine Gene. Abgesehen davon wissen wir beide sehr genau, dass dies weder der richtige Zeitpunkt ist, noch dass ich die richtige Frau für dich bin.“

Schweigen folgte diesen Worten, das eine beinah unerträgliche Anspannung bei ihr erzeugte.

„Können wir uns da wirklich so sicher sein?“, gab er zu bedenken.

Ihr blieb fast das Herz stehen. Diese Frage weckte einen verrückten Anflug von Hoffnung bei ihr, die sie um ihres Seelenheils und ihrer Gefühle willen lieber nicht weiter aufkeimen ließ. „Wir wissen, es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Und wäre ich die richtige Frau, dann wäre jeder Zeitpunkt auch der richtige.“ Endlich gelang es ihr, den Reißverschluss des zweiten Stiefels hochzuziehen.

„Erika“, sagte er und legte erneut eine Hand auf ihre.

Sie schloss die Augen, hin- und hergerissen von ihren Gefühlen. „Nein, Gannon, für dich geht es um diese verrückte Anziehung zwischen uns und um fantastischen heißen Sex, aber ich bin ganz anders gestrickt.“ Sie sah zum Wecker. Viertel nach sieben. Jetzt, wo ihr Verstand langsam wieder klarer wurde, meldete sich irgendwo in ihrem Hinterkopf ein Gedanke. Da war etwas …

Das späte Date mit Gerald fiel ihr ein. Fluchend fing sie an, ihre restlichen Sachen zusammenzusuchen. „Na klasse. Echt toll.“

„Was ist denn?“

„Ich bin in einer Dreiviertelstunde zum Essen verabredet.“

Gannon wurde still, schließlich sagte er: „Du wirst dich doch nicht mit ihm treffen, nachdem wir …“

Sie biss sich auf die Lippen und winkte ab. „Das geht schon, keine Sorge. Ich kriege das hin. Ich … äh …“ Sie musste schlucken, da ihr Hals wie zugeschnürt war. „Tja, wir sehen uns dann wohl Montag.“

Er streckte eine Hand nach ihr aus, doch sie wich stolpernd zurück. „Nein, bitte fass mich jetzt nicht an“, sagte sie. „Ich muss gehen.“

9. KAPITEL

„Ja, Jessica, ich musste die Verabredung zum Abendessen mit Gerald absagen. Es tut mir leid, aber ich habe es nicht geschafft. Etwas kam mir in letzter Minute bei der Arbeit dazwischen.“ Etwas wirklich Dummes, dachte Erika. Das ganze Wochenende lang hatte sie sich dafür gescholten, dass Gannon ihr wieder einmal „dazwischengekommen“ war. Noch dazu in seinem Büro.

Sie war einigermaßen angewidert von sich selbst. Das einzig Gute an diesem Montagmorgen war, dass sie dem Objekt ihrer Begierde bisher nicht über den Weg gelaufen war.

„Aber du wirst doch ein andermal mit ihm ausgehen, oder?“, wollte Jessica wissen.

„Ach, ich weiß nicht. Ich habe gerade eine gravierende berufliche Veränderung hinter mir, und der neue Job ist sehr anspruchsvoll …“

„Oh, Erika, hör auf, den Job vorzuschieben. Gerald glaubt bereits, du seist nicht interessiert. Wie kann man ihn nicht mögen? Er ist groß, dunkelhaarig, gut aussehend, er hat Intelligenz und Sinn für Humor …“

Das Lämpchen der zweiten Leitung begann zu blinken. „Ich weiß, Jessica, doch …“

Es klopfte, und ihre Sekretärin steckte den Kopf herein. „Tut mir leid, dich stören zu müssen, aber eine Frau will dich unbedingt sprechen. Sie meinte, du seist die Mentorin ihrer Nichte, und sie klang ziemlich aufgeregt.“

Sofort war sie alarmiert. „Ich muss auflegen, Jessica. Ich melde mich wieder, sobald ich kann.“ Sie wechselte die Leitung. „Erika Layven.“

„Miss Layven, Tia wurde von einem Lastwagen angefahren“, berichtete die Frau mit brüchiger Stimme. „Sie wird sich nicht mit Ihnen treffen können.“

Ihr Herz schien einen Moment auszusetzen. „Um Himmels willen! Was ist passiert? Wo sind Sie?“

„Es war heute Morgen auf dem Weg zur Schule. Ich befinde mich in der Unfallstation des Krankenhauses. Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergeht. Niemand spricht mit mir.“

„Sagen Sie mir, wo Sie sind, und ich werde da sein, so schnell ich kann.“

Als Gannon seine Sekretärin mit einem Vorschlag für einen Artikel zu Erika schickte, erfuhr er, dass sie nicht in ihrem Büro war. „Wie lange wird sie denn unterwegs sein?“, erkundigte er sich und überlegte, welchen Grund es für ihre Abwesenheit gab.

Seine Sekretärin machte ein ratloses Gesicht. „Ich bin mir nicht sicher, aber Rose meinte, sie sei möglicherweise nicht vor morgen wieder da.“

Er nahm das mit einer gewissen Sorge zur Kenntnis. Es kam nur äußerst selten vor, dass Erika nicht zur Arbeit erschien. Nach einem Meeting mit einem Kolumnisten gab er seiner Neugier nach und schaute in ihrem Büro vorbei.

„Ich hätte gern Erikas Meinung zu einem Artikel gehört. Können Sie mir sagen, wann sie wieder zurück ist?“, fragte er ihre Sekretärin.

Rose schüttelte den Kopf. „Nein. Als sie sich auf den Weg zur Unfallstation machte, trug sie mir nur auf, alle Nachrichten für sie entgegenzunehmen. Sie wollte abends noch mal reinschauen, falls sie es schafft.“

„Unfallstation?“, wiederholte er besorgt.

„Ich bin da nicht ganz im Bilde über die Beziehung, aber jemand namens Tia wurde von einem Lastwagen angefahren und ins Krankenhaus gebracht.“

Gannon erinnerte sich, dass es sich bei Tia um den Teenager handelte, um den Erika sich im Rahmen eines Mentorenprogramms kümmerte. „Wissen Sie etwas über den Zustand des Mädchens?“

Rose schüttelte traurig den Kopf. „Nein, aber es wird wohl ernst sein.“

Seine Miene verdüsterte sich. „Hat Erika gesagt, in welchem Krankenhaus sie ist?“

„Ja, warten Sie, ich habe es hier irgendwo.“ Rose wühlte in den Papieren vor sich. „Da ist es. St. Joseph’s.“

„Danke“, sagte er und kehrte zurück in sein Büro. Als er wieder hinter seinem Schreibtisch saß, dachte er daran, wie aufgewühlt Erika sein musste. Es ging ihm nicht aus dem Kopf, deshalb wählte er ihre Handynummer, doch sie meldete sich nicht. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn, denn das war kein gutes Zeichen.

Es ist nicht dein Problem, erinnerte ihn die praktische Seite seines Gehirns. Er schaute im Computer in seinen Kalender und stellte fest, dass er selbst genug um die Ohren hatte.

Tias Tante Brenda konnte den Anblick des Blutes ihrer Nichte nicht ertragen, deshalb blieb Erika bis zur Operation bei dem Mädchen. Anschließend lief sie rastlos im Warteraum auf und ab und nahm hin und wieder die Tante tröstend in den Arm.

„Ich hätte besser auf sie aufpassen sollen. Ich hatte es eilig, Jason in den Kindergarten zu bringen. Weil ich verschlafen hatte, waren wir alle spät dran.“

Erika legte einen Arm um die Schultern der jungen Frau. „Sie müssen aufhören, sich die Schuld dafür zu geben. Auch Sie hätten den Lastwagenfahrer nicht stoppen können. Sie haben den Officer doch gehört. Der Mann war betrunken.“ Sie war noch immer wütend über die Ursache dieses Unfalls und erschüttert darüber, wie knapp Tia mit dem Leben davongekommen war.

„Wie geht es Tia?“, fragte jemand hinter ihr.

Es klang wie Gannon, aber das konnte nicht sein, offenbar hatte sie schon Halluzinationen.

„Erika.“ Die Stimme ließ nicht locker.

Sie schaute über die Schulter. Er war es tatsächlich. „Gannon?“

„Deine Sekretärin sagte mir, wo du bist. Ich fand, ich sollte lieber mal nach dir sehen.“

„Es ist erst drei“, stellte sie nach einem Blick auf die Uhr fest. „Hast du früher Feierabend gemacht? Das machst du doch sonst nie.“

„Es hörte sich ernst an, und da dachte ich, ich komme vorbei.“

Erika war immer noch zu erstaunt, um zu entscheiden, was sie davon halten sollte. Dass er sich so sorgte, rührte sie zutiefst. Damit hätte sie nicht gerechnet.

„Wer ist das?“, wollte Brenda wissen.

„Oh, tut mir leid“, sagte Erika, aus ihren Gedanken gerissen. „Brenda Rogers, Tias Tante. Und das ist mein … das ist Gannon Elliott. Ich arbeite mit ihm zusammen.“

Brenda runzelte die Stirn. „Elliott. Wo habe ich den Namen schon mal gehört?“

Wo nicht? dachte Erika. „Die Elliotts haben mit dem Verlag zu tun, bei dem ich arbeite.“

Gannon bot ihr die Hand. „Es tut mir schrecklich leid, was mit Ihrer Nichte passiert ist.“

„Ich war den ganzen Vormittag völlig am Boden, aber Erika hat mir beigestanden.“

„Ja, das hat sie sicher“, sagte er. „Wie geht es Tia jetzt?“

Erika antwortete: „Sie hat ein gebrochenes Bein. Es handelt sich um einen komplizierten Bruch. Außerdem hat sie eine Gehirnerschütterung und Schnittwunden, die genäht werden mussten. Es ist erstaunlich, dass sie den Unfall überlebt hat.“

„Es war ein Lastwagen?“

„Ja“, bestätigte Erika. „Der Fahrer war betrunken. Um acht Uhr heute Morgen“, fügte sie hinzu, ihren Zorn nur mühsam im Zaum haltend.

„Aber sie wird gesund?“, fragte Gannon.

„Es sieht gut aus. Wir warten darauf, weitere Neuigkeiten vom Arzt zu erfahren.“

„Ich will einfach nur, dass es ihr wieder besser geht“, sagte Brenda, ihre Hände knetend. „Hoffentlich kommt die Krankenversicherung, die ich durch meinen neuen Job habe, für die Krankenhauskosten auf.“ Sie atmete tief ein. „Ich muss ein bisschen frische Luft schnappen, falls es Ihnen nichts ausmacht. Ich mochte Krankenhäuser noch nie. Bitte sagen Sie mir Bescheid, wenn der Arzt auftaucht“, bat sie Erika und wandte sich anschließend an Gannon: „Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie vorbeigekommen sind.“

Erika schaute der Frau hinterher, als die den Raum verließ. „Ich fühle mit ihr“, sagte sie. „Sie versucht, ihre Schwester zu vertreten, die im Gefängnis sitzt, und ihren eigenen Kopf über Wasser zu halten.“

Gannon kam näher und schob die Hände in die Taschen seines schwarzen Wollmantels. „Was ist mit der Versicherung?“

Erika verzog das Gesicht. „Das könnte problematisch werden, weil Tias Tante noch nicht lange in ihrem neuen Job arbeitet.“

Er zögerte nur einen kurzen Moment. „Sag mir, falls es Probleme geben sollte. Ich kümmere mich dann darum.“

Sie sah ihn überrascht an. „Warum? Du kennst sie doch kaum.“

„Aber du kennst sie gut, und sie ist dir offenbar wichtig.“

Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus, als säße sie in der Achterbahn. Alles, was er sagte und tat, deutete darauf hin, dass sie, Erika, ihm wichtig war. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, außer danke.“

„Brenda Rogers?“, fragte eine männliche Stimme.

Erika wirbelte zum Arzt herum. „Sie ist kurz nach draußen gegangen. Ich werde sie holen.“

Sie rannte nach unten und traf Tias Tante, als sie gerade wieder das Gebäude betrat. Erika begleitete die aufgeregte Frau zum Wartezimmer, in dem Gannon sich mit dem Arzt unterhielt.

„Tias Zustand ist stabil“, erklärte der Mediziner ihr und Brenda. „Sie wird vielleicht physiotherapeutische Betreuung brauchen, doch nach einer oder zwei Wochen Ruhe mit moderaten täglichen Bewegungsübungen müsste sie sich rasch erholen. Das ist der Vorteil der Jugend. Momentan ist sie noch groggy von der Narkose, aber ich denke, ein Besuch würde sie freuen.“

„Oh, Gott sei Dank!“, sagte Brenda und nahm Erikas Hand. „Kommen Sie mit zu ihr?“

„Selbstverständlich.“ Erika sah zu Gannon.

„Ruf mich später an“, bat er.

Sie nickte. Noch immer hatte sie nicht ganz verdaut, dass er in die Unfallstation gekommen war. Sie wollte ihre Bedeutung für ihn auf keinen Fall überschätzen. Das war ihr schon einmal zum Verhängnis geworden.

Als Erika das Krankenhaus verließ, war es Mitternacht. Sie nahm ein Taxi und hörte auf der Heimfahrt ihre Voicemail ab. Ihre Sekretärin hatte mehrmals draufgesprochen und Jessica hatte angerufen, um sie sanft wegen Gerald zu drängen. Diese Nachricht löschte sie sofort.

Gannon hatte sich ebenfalls gemeldet, einmal am Vormittag und vor zwei Stunden, und er bat sie, ihn anzurufen, wenn sie Feierabend machte.

Zweimal spielte sie seine Ansage ab und schloss die Augen, während sie seinen Worten lauschte. Sie hatte seine tiefe, ein klein wenig raue Stimme schon immer geliebt.

Nach einem Blick auf die Uhr schüttelte sie den Kopf. Es war viel zu spät, bereits nach Mitternacht. Sie würde ihn auf keinen Fall um diese Zeit wecken.

Am nächsten Morgen kam sie nur schwer aus dem Bett. Sie rief im Krankenhaus an, um sich nach Tia zu erkundigen, und trank drei Tassen Kaffee. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte sie ihn sogar intravenös zu sich genommen. Den Kampf mit ihrem Haar nahm sie gar nicht erst auf und widmete sich stattdessen ihrem Augen-Make-up, von dem sie reichlich benötigte.

Zur Abwechslung trug sie Rouge, Lippenstift und Mascara auf. Außerdem zog sie einen roten Pullover an. Sie hoffte, dadurch lebhaft und wach zu wirken, obwohl sie in Wahrheit noch den halben Tag hätte schlafen können.

Gerade, als sie sich in ihrem Büro auf den Schreibtischsessel sinken lassen wollte, klopfte es an der Tür, und Gannon kam hereinmarschiert. Bei seinem Anblick schlug ihr Herz sofort schneller.

„Du hast nicht angerufen“, warf er ihr vor.

„Es war nach Mitternacht.“

Er nickte verständnisvoll. „Aber du hättest trotzdem anrufen können.“

„Warst du denn noch wach?“, fragte sie. „Ich wäre um die Zeit jedenfalls gern schon im Bett gewesen. Wahrscheinlich habe ich auf der Fahrt zu meiner Wohnung bereits gedöst.“

Der Anflug eines Lächelns erschien auf seinem Gesicht. „So müde warst du?“

„Oh ja“, bestätigte sie. „Heute Nachmittag rolle ich meine Yogamatte aus, hänge das Bitte-nicht-stören-Schild an die Tür und mache ein Nickerchen.“

„Ich dachte, Yoga diene der Meditation.“

„In diesem Fall findet die Meditation auf der Innenseite meiner Augenlider statt.“

Er lachte. „Wie geht es Tia?“

„Sie war ein bisschen verängstigt. Ihrer Tante gegenüber tat sie unerschrocken, was mich sehr rührte. Ich blieb und unterhielt mich mit der Nachtschwester, bis Tia eingeschlafen war.“

„Du bist ein guter Mensch.“

Diese simple Feststellung nahm ihr den Wind aus den Segeln. Er behandelte sie anders als sonst, und sie hatte keine Ahnung, wie sie darauf reagieren sollte. Sein Verhalten ließ beinah vermuten, dass es zwischen ihnen mehr gab als nur heißen Sex in seinem Büro.

Erika musste den Blick abwenden, um ihre Fassung zurückzugewinnen. „Es mag seltsam klingen, aber Tia inspiriert mich. Sie kommt aus wirklich schwierigen Verhältnissen. Ihre Mutter hat immer wieder Ärger wegen Drogendelikten, einen Vater gibt es nicht, und die Tante versucht, alles zusammenzuhalten. Ich weiß, dass Tia es einmal besser haben will. Sie hat wie verrückt an dem Artikel für ‚HomeStyle‘ gearbeitet. Tia ist eine Kämpferin, und sie hat keine Angst, es zu zeigen. Das muss man doch bewundern, oder?“

„Kann es sein, dass du dich ein wenig in ihr wiedererkennst?“

Sie wollte etwas erwidern, zögerte jedoch. Dann sagte sie: „Na ja, das grenzt wohl an Schmeichelei. Ich hatte es ein bisschen besser als Tia.“

„Du kämpfst ebenfalls und hast das nötige Herz.“

Die Art, wie er sie ansah, löste seltsame Empfindungen bei ihr aus. Erneut wandte sie den Blick ab. „Danke. Danke auch für dein Angebot, bei eventuellen Problemen mit der Krankenversicherung einzuspringen. Das wird für Tias Tante eine große Erleichterung sein.“

„Gern geschehen. Wie sehen deine Pläne für heute Abend aus?“

„Nach der Arbeit fahre ich wieder ins Krankenhaus.“

„Wie lange wird sie noch bleiben müssen?“

„Ein paar Tage“, antwortete Erika. „Vielleicht besuche ich Brenda, um ihr ein bisschen zu helfen.“

„Ruf mich an“, bat Gannon. „Und das meine ich ernst. Ich schicke dir meinen Wagen, der dich nach Hause bringt.“

„Das ist nicht nötig. Es ist ja im Grunde auch nicht deine Angelegenheit.“

„Es soll heute Abend schneien. Willst du da eine Mitfahrgelegenheit ausschlagen?“, fragte er herausfordernd.

Was hat er vor, überlegte sie. Wollte er sie vollends konfus machen? Sie um den Verstand bringen? Falls ja, hatte er damit Erfolg.

Trotz allem würde sie eine Mitfahrgelegenheit in einem kuschelig warmen Wagen nicht ablehnen, wenn das Wetter schlecht und sie hundemüde war.

„Na gut, vielen Dank“, sagte sie.

„Kein Problem.“ Er verließ den Raum und ließ sie einigermaßen staunend und nachdenklich zurück.

An den kommenden zwei Abenden tauchte Gannons Wagen wunderbarerweise auf, um sie nach Hause zu bringen. Erika ermahnte sich, sich gar nicht erst daran zu gewöhnen, aber die Lederpolster waren herrlich, und die sanfte Musik beruhigend.

Tia konnte das Krankenhaus nach ein paar Tagen verlassen, und seitdem begleitete Gannon sie, wenn sie den Teenager zu Hause besuchte. Er unterhielt sich mit Brenda, während sie mit Tia Scrabble spielte. Einmal gab Brenda einen kleinen Freudenschrei von sich, und als Erika zu den beiden schaute, sah sie, dass Tias Tante Gannon umarmte.

Auf der Heimfahrt sprach sie ihn darauf an. „Was hatte das denn zu bedeuten?“

„Ich habe ihr nur gesagt, dass sie sich wegen der Krankenversicherung keine Sorgen machen muss und dass ich eine Krankenschwester engagiert habe, die Tia in den nächsten zwei Wochen hilft.“

„Wann hast du beschlossen, ihr diese Hilfe zu besorgen?“, fragte Erika verblüfft.

„He, ich kann auch großzügig sein.“

„Ja, ich weiß. Du hast ein Dutzend Wohltätigkeitsorganisationen gegründet.“

„Es waren nur neun“, meinte er einschränkend. „Allerdings muss ich zugeben, dass ich in diesem Fall Hintergedanken habe.“

Sie stutzte. „Ach? Welche denn?“

„Ich mache mir Sorgen wegen deines Arbeitseinsatzes. Mein Dad braucht dich in Topform, damit ‚Pulse‘ den von meinem Großvater ausgerufenen Wettkampf gewinnt.“

„Meine Arbeitsleistung hat nicht gelitten“, protestierte sie.

„Und was ist mit dem Nickerchen auf deiner Yogamatte?“

„Das war doch nur ein Scherz.“

Er grinste. „Ich weiß.“

Ihre Miene verfinsterte sich. „Worauf willst du hinaus?“

„Gibst du zu, dass diese doppelte Verpflichtung dich erschöpft? Ein ganzer Tag im Büro und anschließend lange Abende am Krankenbett?“

Sie schwieg.

„Na schön, ich hätte wissen müssen, dass du das nicht zugibst. Wie dem auch sei, ich will, dass Tia versorgt ist, damit du wieder mehr Zeit mit mir verbringst.“

Seine Offenheit raubte ihr fast den Atem. Sie fühlte sich, als stünde sie am Rand einer Klippe und versuche verzweifelt, irgendwo Halt zu finden. „Ich dachte, wir wollten das nicht wiederholen.“ Sie senkte den Blick. „Wir hätten es nicht …“ Sie brach ab und unternahm dann einen neuen Anlauf. „Das in deinem Büro, das hätten wir wirklich nicht …“

Er legte eine Hand auf ihre und stoppte damit ihr Geplapper. „Es geht um mehr als um Sex. Ich möchte mit dir zusammen sein. Ungestört und ohne dass wir uns verstecken müssen.“

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Aber wie? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du offen zu einer Affäre mit mir stehst.“

„Nein“, bestätigte er. „Die Öffentlichkeit würde uns genau unter die Lupe nehmen. Das will ich keinem von uns beiden zumuten.“ Er schloss seine Finger um ihre. „Habe ich jemals erwähnt, dass ich eine Wohnung in South Beach besitze?“

„Du meinst South Beach, Miami?“

Er nickte. „Ich finde, wir sollten das Wochenende dort verbringen.“

In ihrem Kopf drehte sich alles. „Welches Wochenende?“

„Na dieses. Morgen.“

„Morgen?“

„Wir können meinen Privatjet nehmen.“

Sie starrte ihn perplex an.

„Du sagtest, eine deiner Regeln sei, im Winter niemals eine Reise nach Südflorida abzulehnen.“

Erika fühlte sich hin- und hergerissen. Der Strand, die warme Sonne und Gannons ungeteilte Aufmerksamkeit waren einfach unwiderstehlich. Andererseits wusste sie, dass es möglicherweise ein Riesenfehler wäre. Besonders, falls sie sich erneut in ihn verliebte.

Der ausstehende Babyvertrag wurde mit jedem Tag, der verging, zu einem wichtigeren Thema. Wenn sie es zur Sprache brachte, erklärte er ihr, sein Anwalt kümmere sich darum. Da es sich jedoch um einen sehr ungewöhnlichen Vertrag handele, würde das etwas dauern.

Manchmal vermochte Erika nicht zu sagen, was schlimmer wäre, keine Zeit mehr mit Gannon zu haben oder eine unpersönliche Samenspende von einem Fremden in Anspruch nehmen zu müssen.

10. KAPITEL

Keine Warteschlangen, keine intensiven Sicherheitskontrollen, keine dürftigen Snacks oder gar ekliges Essen. Als Erika aus dem Fenster der Cessna schaute, wusste sie, dass dies ein Aspekt des Reichtums war, an den sie sich durchaus gewöhnen könnte.

„Nur mal aus reiner Neugier“, begann sie, während Gannon in einem Bericht las. „Wann bist du das letzte Mal mit einer normalen Fluglinie geflogen?“

„Vor zwei Jahren nach Australien“, lautete seine Antwort. „Nein, warte, das war London, letztes Frühjahr. Eine kurze Reise.“

„Das sind Auslandsflüge, die zählen nicht“, sagte sie, denn auf solchen Flügen gab es mehr Vergünstigungen und besseren Service.

Er machte ein nachdenkliches Gesicht. „Vielleicht als ich auf dem College war.“

Erika stöhnte. „Du bist so was von verwöhnt.“

Sanft legte er ihr eine Hand in den Nacken und zog sie zu sich heran.

„Nicht verwöhnt genug.“

Über seinen gespielt düsteren Ton musste sie lachen. „Ach wirklich?“

„Ja, mit dir zusammen zu sein und es zugleich nicht zu sein macht mich …“

Er schien sich zu scheuen, das Wort auszusprechen.

„Gereizt?“, schlug sie vor.

Gannon gab ein Knurren von sich, das ein angenehmes Kribbeln bei ihr auslöste.

„Ununterbrochen hungrig.“

Ein Schauer überlief sie. „Auf mich?“

„Ja, auf dich“, sagte er und presste seine Lippen auf ihre.

Erika gab sich seufzend dem sinnlichen Kuss hin und legte die Hände auf seine Schultern. Je weiter sie sich von New York entfernten, desto mehr genoss sie ihre kurze Flucht und erlag Gannons Zauber. Dabei wusste sie nur allzu gut, dass sie dadurch umso mehr leiden würde, wenn er irgendwann das Interesse an ihr verlor oder seine Meinung, was sie betraf, änderte.

Diese Erkenntnis nagte an ihr, und doch verdrängte sie alle Gedanken daran. Sein aufregender Mund, seine Aufmerksamkeit und einfach nur mit ihm zusammen zu sein war wundervoll.

„Erzähl mir von deiner Wohnung. Liegt sie nah am Strand?“, bat sie.

„Nicht nur nah am Strand, sondern direkt an einem Privatstrand. Es ist ein schöner Rückzugsort.“

„Ziehst du dich oft dorthin zurück?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe vor einigen Jahren drei davon als Investition gekauft. Zwei habe ich weiterverkauft, das Penthouse habe ich behalten. Ein paar von meinen Cousins haben es benutzt. Ich bin nur einmal dort gewesen, während einer Geschäftsreise nach Miami. Meine Sekretärin hat telefonisch dafür gesorgt, dass Lebensmittel, Wein und Bier vorhanden sind.“

Besorgt fragte Erika: „Weiß sie etwa, wer …“

Gannon winkte ab. „Sie weiß nur, dass sich jemand an diesem Wochenende in meiner Wohnung in South Beach aufhält, aber nicht, um wen es sich dabei handelt. Meinem Vater habe ich eine Nachricht hinterlassen, dass ich am Montag wieder zurück bin und er mich auf meinem Handy erreichen kann. Um die Flugvorbereitungen habe ich mich selbst gekümmert.“

„Dann muss ich mir also höchstens darum Gedanken machen, bloß keinen Sonnenbrand im Gesicht zu bekommen, ja?“

„Genau. Allerdings will ich auch nicht, dass du dir anderswo einen Sonnenbrand holst.“

Die Art, wie er sie ansah, verriet ihr, dass er sündige Dinge mit ihr vorhatte. „Na ja, ich war noch nie in South Beach.“

„Ich habe vor, dir ein tolles Wochenende zu bieten. Gutes Essen, einen Besuch in der Bar Delano’s auf einen ihrer berühmten Martinis und …“

„Und?“

„Und vielleicht verdrehe ich dir den Kopf.“

Als hätte er das nicht schon längst getan. Als müsste sie nicht ständig darum kämpfen, einen klaren Kopf zu behalten, sobald sie in seiner Nähe war – trotz der Tatsache, dass er ihr im vergangenen Jahr sehr wehgetan hatte. Wenn man jetzt noch ihre verrückte, irgendwie aber auch brillante Idee nahm, dass er das Sperma für ihr Baby spendete, konnte man durchaus von einer ziemlich bizarren Situation sprechen.

Andererseits war sie mit dem attraktivsten, faszinierendsten Mann im ganzen Universum mitten im Januar unterwegs nach Florida. Der Alltag würde früh genug kommen.

Das Glück war mit ihnen. Ein Wetterumschwung ließ tagsüber die Temperatur ansteigen, obwohl es nachts kühl wurde. Gannons Wohnung strahlte eine Mischung aus Kultiviertheit und Komfort aus, und die Aussicht aufs Meer begeisterte Erika. Gannon kam zu ihr hinaus auf den Balkon.

„Schluss mit der Faulenzerei. Zieh dich um, es ist Zeit fürs Abendessen.“

„Warum sollten wir ausgehen?“, fragte sie, auf das Wasser deutend.

„Weil ich dir versprochen habe, dass du ein tolles Wochenende hier haben wirst.“

Erika folgte ihm hinein, zog ein schlichtes schwarzes Kleid an und nahm vorsichtshalber eine Jacke mit. Gannon trug einen dunklen Pullover, der seine breiten Schultern und seine Bauchmuskeln betonte. Noch ein Anblick, der sie begeisterte.

Zum Abendessen führte er sie in ein trendy Restaurant, von dessen Terrasse aus man einen Blick auf das bunte Treiben in der Collins Avenue und auf den Ozean hatte. Nach dem Essen besuchten sie Delano’s Bar, wo es große Martinis zu lächerlich kleinen Preisen gab.

„Jetzt verwöhnst du mich aber“, warf Erika ihm vor. „Wie soll ich es nach einem solchen Urlaub im Januar in New York aushalten?“

„Denk einfach nicht daran. Das ist eine Regel. Vor Sonntagnachmittag sprechen wir nicht über die Rückkehr.“

„Das könnte gefährlich werden“, murmelte sie. „Diese ganze Sache kann gefährlich werden.“

„Warum?“

Sie winkte ab. „Das ist zu schwer zu erklären. Aber da ich dich schon mal hier habe, würde ich dir gern ein paar Fragen stellen, für die ich letztes Jahr, als wir zusammen waren, nicht den Mut aufbrachte.“

„Wieso konntest du mir diese Fragen nicht stellen?“

„Ich hatte zu viel Ehrfurcht vor dir und Angst, dir vielleicht zu nahezutreten.“

„Und jetzt hast du keine Ehrfurcht mehr?“, fragte er skeptisch.

„Hör auf, um Streicheleinheiten für dein Ego zu betteln. Die kriegst du ohnehin ständig.“

„Nicht von dir“, sagte er und meinte es offenbar ernst.

Als hätte er diese Streicheleinheiten von ihr nötig. Ihr Herz tat einen kleinen Hüpfer. „Als wir uns kennenlernten, hast du mich umgehauen. Und noch immer machst du mich …“ Sie suchte nach den richtigen Worten.

„Was mache ich dich?“

„Verrückt und atemlos.“ Sie schluckte. „Du weckst eine ganze Menge Gefühle bei mir, aber lenk mich nicht ab. Ich möchte wissen – was wünscht ein Milliardär sich eigentlich noch?“

„Frieden auf Erden“, antwortete er, ohne zu zögern.

Sie lachte und nahm seine Hand, wozu sie sich ein Stück über den Tisch lehnen musste. „Nein, ich meine persönlich und beruflich.“

Er trank von seinem Martini. „Das sind harte Fragen.“

„Ja“, räumte sie ein.

Gannon schwieg eine ganze Weile, dann sage er: „Ich will deiner Frage nicht ausweichen …“

„Das ist gut“, unterbrach sie ihn, und er bedachte sie mit einem weiteren gespielt düsteren Blick.

„Ich verbringe nicht viel Zeit damit, darüber nachzudenken, was ich will.“

„Weil du es längst hast?“

Er kniff nachdenklich die Augen zusammen. „Ich grüble einfach nicht so viel. Ich handle lieber.“

„Na ja, aber wenn du mal ins Grübeln kämst, welche Wünsche fielen dir dann ein?“

„Ich habe wirklich noch nicht darüber nachgedacht. Ich gehe davon aus, dass ich eines Tages eine Familie haben werde. Wenn mein Vater sich zur Ruhe setzt, werde ich seinen Posten übernehmen, falls ich vorher nicht eine andere Position bei EPH besetze.“

„Wärst du gern Chef des gesamten Konzerns?“

„Der Gedanke, all diese Macht zu haben, ist schon verlockend“, gestand er. „Die Vorstellung, so viel Einfluss auf die Medien ausüben zu können, ist sehr verführerisch. Stell dir nur mal vor, welche Wirkung man weltweit erzielen könnte.“

„Damit verbunden ist aber auch eine große Verantwortung“, wandte sie ein.

„Deshalb überprüfen wir die Fakten mancher Artikel doppelt und dreifach. Eine falsche Information, und auf der anderen Seite des Globus kommen Menschen ums Leben.“

„Das ist eines der Dinge, die ich an dir bewundere.“

„Was denn?“

„Du bist dir gegenüber viel härter als jedem anderen gegenüber.“

Er spielte mit ihren Fingern. „Mir war schon immer klar, dass du ein bisschen zu scharfsinnig bist.“

„Wärst du lieber mit jemandem zusammen, der nicht so helle ist?“

Er hob ihre Finger an seine Lippen. „Du bist hier mit mir, oder?“

„Ja. Du hast mir von deinen beruflichen Träumen erzählt. Von deinen persönlichen schweigst du beharrlich, mal abgesehen von vagen Andeutungen über die Ehe und eine Familie … irgendwann.“

Er stöhnte. „Wenn ich diese Frage wirklich an mich heranlasse, dann wird mir klar, dass sich nie die Gelegenheit für eine Beziehung, wie ich sie mir vorstelle, ergeben wird.“

Sie verspürte einen Stich und atmete tief ein, um weiter unbeschwert zu klingen. „Du meinst eine normale, unauffällige Beziehung?“

Er nickte. „Sich Zeit nehmen, um ganz gewöhnliche Dinge zu tun. Mit Freunden zusammen sein. Dafür bin ich leider zu bekannt. Ich müsste das eine für das andere opfern.“

Sie zog ihre Hand zurück.

„Offenbar habe ich etwas Falsches gesagt.“

„Es ist nur so, dass du hin- und hergerissen bist, und ich möchte kein Teil deiner inneren Zerrissenheit sein.“

Er zuckte mit den Schultern. „Du analysierst mich also, aber es stimmt. Wenn ich allerdings mit dir zusammen bin, fühle ich mich gut. Wenn ich mit dir im Büro bin, fällt es mir schwer, die Finger von dir zu lassen. Und das meine ich nicht nur in sexueller Hinsicht. Ich will deine Hand halten, mit dir scherzen. Doch tue ich das zu oft, werden die Leute merken, dass da etwas zwischen uns läuft. Das könnte uns beiden Probleme bereiten. Und ich will auf keinen Fall, dass du wieder zu ‚HomeStyle‘ zurückgehst.“

„Ich werde nicht zurückgehen, solange du deinen Teil unserer Abmachung einhältst. Da wir gerade davon sprechen – wie steht es eigentlich um den Babyvertrag?“

Er schien etwas erwidern zu wollen, überlegte es sich jedoch anders und trank stattdessen erst einen Schluck Martini.

„Tja, ich kontaktiere gleich Montagmorgen meinen Anwalt erneut deswegen.“ Er winkte dem Kellner. „Bitte einen Ananas-Martini für die Dame.“

„Ich habe meinen ersten noch gar nicht ausgetrunken“, protestierte sie.

„Dann trink aus.“

„Du versuchst nicht, mich betrunken zu machen, oder?“, fragte sie, ohne sich ein Lächeln verkneifen zu können.

„Nein, aber ich habe deine Fragen alle beantwortet. Nun bist du an der Reihe. Was wünscht Miss Erika sich beruflich und privat, abgesehen von einem Baby?“

„Ich arbeite an meiner Karriere, um mir eines Tages mehr Flexibilität leisten zu können.“

„Oh, das läuft auf das bekannte Muster hinaus: Mach dich für dein Unternehmen schwer ersetzbar, dann werden sie alles tun, um dich zu halten. Ich würde sagen, das hast du schon erreicht“, bemerkte er trocken.

„Wow, heißt das, ich hätte mehr Geld verlangen sollen?“, scherzte sie.

„Weiter geht’s. Was ist mit dem GDA?“

„Natürlich hätte ich zu dem Baby gern einen Ehemann, aber ich konnte nicht mit diesem medizinischen Problem rechnen.“

„Dieses Problem“, sagte er. „Ist das so schlimm?“

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Schlimm genug, um mich zu zwingen, meine Pläne zu ändern. Ich bin sogar einer Organisation für freiwillig alleinerziehende Mütter beigetreten. Was soll’s, ich muss das Positive sehen. Meine Freundinnen haben sich schon als Tanten angeboten.“

„Du hast es ihnen erzählt?“

„Ja, an einem Vier-Martini-Abend.“ Sie verzog das Gesicht bei der Erinnerung an den Kater am nächsten Tag.

„Vier?“, wiederholte er. „Du hast ja noch nicht mal einen ausgetrunken.“

„Stimmt, aber die hier sind so groß, dass ich drin schwimmen könnte.“

„Mit Alkohol kann man also …“, er machte absichtlich eine Pause, ehe er den Satz beendete, „… deine Zunge lockern.“

Sein zweideutiger Humor brachte sie zum Lachen. „Vier Martinis sind für mich der sichere Weg zu einem ordentlichen Kater am nächsten Morgen. Es war ein verrückter Abend mit meinen Freundinnen.“

„Hast du ihnen von deinem Plan erzählt, mit mir einen Vertrag abzuschließen?“

„Nein“, antwortete sie ernst. „Sie wissen nicht einmal, dass wir mal zusammen waren. Obwohl sie letztes Jahr viele Fragen gestellt haben.“

„Warum?“

„Weil ich so traurig war.“

Er legte eine Hand an ihre Wange und strich ihr mit dem Daumen über die Lippen. „Das ist jetzt vorbei.“

Gannon führte Erika in einen dekadenten Club und hatte keine Mühe, den Kameras der Klatschreporter zu entgehen, da mehrere Starlets nur zu gern für die Fotografen posierten. Vielleicht wäre es klüger gewesen, gleich in seine Wohnung zurückzukehren, aber andererseits war er noch nie mit ihr tanzen gewesen. Die zwei Martinis, die sie getrunken hatte, schienen sie lockerer gemacht zu haben, und er wollte ihr ein paar Geheimnisse entlocken, bevor er sich ihrem sexy Körper widmete.

Er wusste, dass er sofort mit ihr ins Bett gehen würde, wenn sie zurück in der Wohnung waren – aber nicht zum Schlafen.

Erika lachte, als sie auf der vollen Tanzfläche gegen ihn geschubst wurde. „Ich kann nirgends hin“, beschwerte sie sich.

„Das ist wohl Absicht, damit man immer nah bei jemandem ist. Achte nur darauf, dass ich es bin.“ Er zog sie an sich und atmete den Duft ihres Parfüms ein. „Du riechst wunderbar.“

„Du auch“, erwiderte sie. „Dein Aftershave macht mich ganz benommen.“

„Wirklich?“ Er ließ die Hände über ihre Hüften gleiten. Sie wiegte sich in seinen Armen, was ihn seinen Plan, noch ein wenig länger im Club zu bleiben, sofort überdenken ließ.

Erika nickte, befeuchtete sich die Lippen und presste sie auf seine. Heißes Verlangen erwachte in ihm.

„Ich mag, wie du schmeckst. Ich liebe es, wie du dich anfühlst. Und ich liebe die Art, wie du denkst. Meistens jedenfalls“, fügte sie hinzu. „Außerdem mag ich deine Art zu reden.“

„Meine Art zu reden?“

„Deine Stimme ist sehr sexy.“

Er verkniff sich ein Grinsen und fragte sich, ob die zwei Martinis vielleicht doch zu viel für sie gewesen waren.

Sie schloss die Augen und schlang ihm die Arme um den Nacken. „Aber du geizt in Herzensdingen.“

Er stutzte. „Was?“

„Möglicherweise liegt es auch nur an mir. Immer wenn ich dich schon als herzlos abstempeln will, tust du etwas wie neulich, als du im Krankenhaus aufgetaucht bist.“ Sie machte die Augen wieder auf und sah in seine. „Du hättest das nicht tun sollen. Solche Sachen können bewirken, dass ich mich in dich verliebe.“

„Ah.“ Er musste zugeben, dass es ihn nicht im Mindesten stören würde, wenn sie in ihn verliebt wäre, womöglich hatte er ebenfalls zu viele Martinis getrunken.

„Das wäre aber nicht gut.“

„Warum nicht?“

„Das ist mir schon einmal passiert, und es war schrecklich, als du dich nicht mehr mit mir treffen wolltest.“ Sie spielte mit seinen Haaren, die ihm in den Nacken fielen. „Wahrscheinlich sollte ich gar nicht hier sein, doch dass du im Krankenhaus aufgetaucht bist, war eine so nette Geste. Das hat mich einfach umgehauen und bringt mich dazu, verrückte Sachen zu machen.“

„Es gefällt mir, dass ich der Mann bin, der dich zu verrückten Sachen verleitet.“

„Aber es wird nicht ohne Konsequenzen sein“, erinnerte sie ihn. „Bist du bereit, sie zu tragen?“

Ihre Miene war so herausfordernd und sexy, dass er prompt eine Erektion bekam. „Ja, ich glaube, das kann ich.“

„Warum befinden wir uns dann immer noch in der Öffentlichkeit und nicht allein in deinem Penthouse?“

Einer weiteren Aufforderung bedurfte es nicht. Gannon führte sie hinaus aus dem Club und im Nu zu seiner Wohnung. Kaum hatten sie den Fahrstuhl betreten, küsste sie ihn so leidenschaftlich, dass er sich beherrschen musste, sie nicht gleich auf der Stelle zu lieben.

Die Art, wie sie das Spiel seiner Zunge erwiderte und sich an ihn drängte, verursachte ihm Herzrasen. Alles an ihr war erotisch. Ihr Duft, ihre Bewegungen, wie sie schmeckte. Gannon umfasste ihren Po. Er presste sie fest an sich in dem Wunsch, die Begierde zu stillen, die sie in ihm entfacht hatte.

„Du machst mich …“ Sie beendete den Satz nicht, sondern küsste ihn erneut wild und ungestüm. Gannon schob eine Hand zwischen ihre Schenkel und in ihren Slip. Sie war feucht und bereit. Es war unglaublich aufregend, das zu fühlen, doch er wusste, das war längst noch nicht alles.

„Ich mache dich was?“, fragte er.

Sie sog scharf die Luft ein, als er anfing, sie zu streicheln. „So heiß“, flüsterte sie.

Sie hatte die gleiche Wirkung auf ihn. Das Klingeln des Fahrstuhls kündigte die Ankunft im Penthouse an, und Gannon zog Erika hinaus aus der Kabine in die Wohnung.

Sie zerrte an seiner Kleidung. Er öffnete den Reißverschluss ihres Kleides und zog es ihr zusammen mit dem winzigen schwarzen Slip aus. Das Verlangen, in ihr zu sein, tobte wie ein wütendes Feuer in ihm.

Hastig streifte er den Pullover ab, kickte seine Schuhe fort, entledigte sie der Hose und schloss Erika in die Arme. Sie schlang ihm die Beine um die Hüften und reizte ihn damit noch mehr.

Irgendwo im Hinterkopf fiel ihm ein, dass sie sich um Verhütung kümmern mussten. Zum ersten Mal in seinem Leben zögerte er. Schließlich wünschte sie sich ein Baby. Auf eine bisher unbekannte Weise wollte er diese Frau besitzen. Sie sollte ihm ganz allein gehören. Was für ein primitiver, kühner Gedanke!

Er holte tief Luft und drängte Erika sanft, sich auf die Couch zu setzen. „Bin sofort wieder da“, versprach er.

Er schnappte sich seine Hose, nahm das Kondom aus der Tasche und kehrte zu ihr zurück. Ihr Anblick ließ ihn innehalten. Ihr Haar war offen und ungebändigt, ihre Brustwarzen waren hart, die Schenkel einladend gespreizt. Der Anblick erregte ihn noch mehr.

„Du hast keine Ahnung, wie sexy du bist“, sagte er mit rauer Stimme. „Aber ich werde mein Bestes geben, um es dir zu zeigen.“

„Eine weitere Sache, die mir an dir gefällt, ist deine gnadenlose Gründlichkeit bei allem, was du tust.“

Sie weckte auf nie gekannte Weise seinen Ehrgeiz als Liebhaber. Er küsste ihre Brüste und genoss es, Erikas leises Stöhnen zu hören. Langsam glitt er tiefer, hinunter zu ihrem Bauchnabel und weiter, bis er sie mit dem Mund verwöhnen konnte. Sie bog sich ihm entgegen, und der Geschmack ihrer Erregung war das Aufregendste, was er je erlebt hatte.

„Bitte“, hauchte sie. „Bitte komm zu mir.“

Er streifte sich das Kondom über, spreizte ihre Beine ein wenig und drang geschmeidig in sie ein. Ihr lautes Stöhnen vermischte sich mit seinem.

„Sei vorsichtig“, ermahnte sie ihn, als er tief in sie eindrang und ihre Muskeln sich anspannten. „Ich will dich nicht wieder zu sehr lieben.“

Er war ein gieriger Mann und er wollte sie. Ihren Körper, ihre Seele, ihre Liebe. Und er nahm alles, was sie ihm anbot, doch er gab auch mehr, als er eigentlich beabsichtigt hatte.

11. KAPITEL

Das Problem mit einer Frau wie Erika bestand für Gannon einzig darin, dass er sich zu schnell zu sehr daran gewöhnen konnte, mit ihr zusammen zu sein. Diese Erkenntnis traf ihn unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus South Beach. Er war sich nicht sicher, wie sie es anstellte, gleichermaßen tröstlich und erregend zu sein, aber sie machte es verdammt gut.

An diesem Morgen hatte er sie zwar kurz gesehen, doch war sein Terminkalender so voll, dass keine Zeit für ein Gespräch geblieben war. Danach musste er der spontanen Einladung seiner Mutter zu einem Essen nachkommen, an dem auch seine Schwester und seine Brüder teilnahmen.

Entgegen seinem Vorschlag, den Speisesaal der Geschäftsführung zu benutzen, zog Karen Elliott ein Restaurant um die Ecke vor, wo sie sich dem Small Talk hingab.

„Hübsch braun bist du“, bemerkte sie ihm gegenüber und hob fragend die Augenbrauen.

„Ja“, pflichtete seine Schwester Bridget ihr bei. „Es muss schön sein, im Januar Zeit für eine Reise nach Florida zu haben.“

„Du könntest auch dorthin, wenn nicht die weibliche Version von Attila dem Hunnen dein Chef wäre“, scherzte Tag in Anspielung auf ihre hart arbeitende Tante Finola.

„Du wirst anders reden, sobald sie deine neue Chefin ist“, konterte Bridget.

„Vergiss nicht, wer dein Vater ist“, sagte Gannon, der sich sofort wieder im Wettstreit mit den beiden fühlte.

„Und es fängt gerade erst an“, murmelte Liam. „Das haben wir jetzt noch das ganze Jahr vor uns.“

Seine Mutter hob die Hände und schüttelte den Kopf. „Keine Streitereien. Das hier sollte ein Lunch in angenehmer Familienatmosphäre werden.“

„Tut mir leid, Mom“, sagte Tag.

„Zurück zu Gannons Bräune“, meinte Bridget. „Hast du jemanden mitgenommen?“

Gannon trank einen Schluck Kaffee. „Niemanden, über den ich sprechen möchte.“

Seine Mutter sah ihn prüfend an. „Hm, da sie noch nicht in der Presse aufgetaucht ist, bedeutet das, du magst sie.“

Karen Elliott mochte für ihre umgängliche Art bekannt sein, doch wenn es darum ging, ihren Ehemann und ihre Kinder zu durchschauen, war sie sehr scharfsinnig. Gannon hielt ihrem Blick stand. Widerstrebend musste er zugeben, dass er die meiste Zeit während des Essens in Gedanken bei Erika gewesen war. Jetzt, wo er seine Mutter ansah, merkte er, dass sie ein bisschen gereizt wirkte. Sie knetete ihre Hände und musterte ihn, die Brauen zusammengezogen.

„Wie geht es dir so?“

In einer nervösen Geste strich sie sich das Haar hinter die Ohren. „Ganz gut so weit. Ich mache das Übliche. Ehrenamt, mein Lesekreis, Besuche bei Maeve.“ Sie schaute auf die Uhr. „Genau genommen muss ich jetzt los zu einem Meeting, aber ich wollte euch darüber informieren, dass ich für ein paar Tests ins Krankenhaus gehe.“

Gannon war sofort alarmiert. „Was?“

„Tests?“, wiederholte Tag. „Was denn für Tests?“

„Ich will keine große Sache daraus machen. In meinem Alter ist es nicht ungewöhnlich, wenn von Zeit zu Zeit alle möglichen medizinischen Tests mit einem durchgeführt werden.“ Karen war vierundfünfzig.

„Aber es handelt sich nicht um eine Routineuntersuchung, oder?“, wollte Liam wissen.

Die Miene seiner Mutter blieb neutral. „Ich habe euch gesagt, was ich sagen musste.“

„Mom!“ Bridget ließ nicht locker. „Du kannst das nicht einfach verkünden und uns nichts erklären.“

„Wäre es dir lieber, ihr hättet es nicht erfahren?“, entgegnete Karen.

Tag räusperte sich. „Nein, natürlich nicht.“ Er legte eine Hand auf die seiner Mutter. „Du bist uns nun mal sehr wichtig, deshalb wollen wir alles ganz genau wissen.“

Sie tätschelte seine Hand. „Nun, ihr seid mir auch alle sehr wichtig. Jetzt muss ich aber wirklich los. Gannon, würdest du bitte die Rechnung bezahlen, wenn es dir nichts ausmacht?“

„Kein Problem“, sagte er und stand auf, während Tag ihr in den Mantel half. Er umarmte seine Mutter. „Du weißt, dass du mich jederzeit anrufen kannst, egal, um was es geht.“

„Schließt das Enkelkinder mit ein?“

Er stöhnte. „Ich hätte wissen müssen, dass du einen Weg findest, das Thema auch diesmal zur Sprache zu bringen.“

„Lass mich nicht ewig warten. Auf Wiedersehen, meine Lieben.“ Sie gab jedem einen Kuss, ehe sie verschwand.

Einen Moment herrschte Schweigen.

„Das ist wirklich merkwürdig“, sagte Bridget. „Ich mache mir Sorgen.“

„Sie will nicht, dass wir uns Sorgen machen“, meinte Liam.

„Was glaubst du, worum es geht?“, wollte Tag wissen.

„Ich habe keine Ahnung“, gab Gannon zu.

„Hat Dad dir gegenüber etwas erwähnt?“, fragte Tag.

„Kein Wort.“

„Ich habe kein gutes Gefühl bei dieser Sache“, gestand Bridget, und den Mienen der anderen nach zu schließen sprach sie damit für alle.

Erika kämpfte sich durch die Arbeit, die sich auf ihrem Schreibtisch während ihrer Abwesenheit am Freitag aufgetürmt hatte. Erst am frühen Abend konnte sie eine Pause einlegen und sich strecken. Es klopfte leise an der Tür, und Gannon trat ein.

Sofort hob sich ihre Laune, und sie stand auf. „Wie schön, dich zu sehen“, begrüßte sie ihn lächelnd.

„Gleichfalls“, sagte er, kam um den Schreibtisch herum und zog sie an sich. „Bist du dir sicher, dass nicht irgendwer versucht hat, zwei Tage in diesen einen zu packen?“

„Ja, es kommt einem wirklich so vor, nicht? Aber dafür war das Wochenende großartig.“ Sie genoss das Gefühl, in seinen Armen zu sein. „Es ist, als hätte ich mich nur mal kurz umgedreht und als wären in dieser Zeit alle in mein Büro gerannt, um ihre Arbeit auf meinem Schreibtisch abzuladen.“

Er lachte in sich hinein. „Oh, das ist verrückt, aber du hast mir gefehlt.“

Ihr Herz zog sich bei seinem Geständnis zusammen. „Tja, wir sind wohl beide etwas verrückt, denn du hast mir auch gefehlt.“

Er küsste sie so zärtlich, dass ihr schwindelig wurde. Schließlich beendete sie den Kuss und sah Gannon an. „Das fühlte sich an wie zwei Martinis auf nüchternen Magen.“

Ein Lächeln huschte kurz über sein Gesicht. Erika stutzte. Irgendetwas an ihm war anders. Sicher, im Büro herrschte der übliche Arbeitsdruck, doch wirkte er angespannter als sonst.

„Was ist los?“

Er kniff die Augen leicht zusammen und wandte den Blick ab. „Nichts. Nur Kopfschmerzen. Harte Landung in der Realität nach dem Abstecher ins Paradies mit meiner Traumfrau.“

Ihr Herz tat einen kleinen Hüpfer. „Ich weiß deine Schmeichelei zu schätzen.“

„Es ist nicht bloß Schmeichelei“, erwiderte er, und die Art, wie er sie ansah, beschleunigte ihren Puls.

„Danke“, sagte sie und berührte seine Wange. „Traummann.“

Erneut verriet seine Miene Anspannung.

Besorgt fragte Erika: „Gannon, ich möchte ja nicht neugierig sein, aber irgendwas stimmt doch nicht mit dir.“

Er schloss die Augen und atmete tief ein und wieder aus. „Meine Mutter geht ins Krankenhaus für ein paar Tests. Sie will uns nicht sagen, was mit ihr los ist. Dad auch nicht. Ich habe ihn heute Nachmittag ausgefragt, konnte jedoch nichts aus ihm herausbekommen.“

Der Schmerz in seiner Stimme rührte sie. „Ach, Gannon, das tut mir leid. Ihr seid sicher ganz krank vor Sorge.“

Er schüttelte den Kopf. „Mein Vater mag zwar unser Fels in der Brandung sein, aber meine Mutter sorgt für den Zusammenhalt. Wir Kinder haben sie alle mal irgendwann ziemlich auf Trab gehalten, doch sie hat es geschafft, dass aus uns was wird. Ich weiß nicht, was wir tun würden, wenn ihr etwas zustieße …“ Seine Stimme versagte.

„So darfst du nicht denken, bevor ihr nicht genau in Erfahrung gebracht habt, um was es eigentlich geht.“

„Es wäre mir lieber, ich hätte bereits sämtliche Informationen“, meinte er.

„Du hast eben gern die Kontrolle.“

„Ja.“

„Und in dieser Situation klappt das nicht.“

Er seufzte. „Nein, tut es nicht. Ich verstehe nicht, warum sie sich ihren eigenen Kindern nicht anvertraut.“

„Glaubst du nicht, dass sie ihre Gründe dafür hat?“

„Für gewöhnlich ist sie der vernünftigste Mensch der Welt.“

„Dann wirst du ihr einfach etwas Zeit geben müssen, damit sie tun kann, was sie für richtig hält.“

„Niemand von uns mag es, ausgeschlossen zu sein.“

„Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Meinst du, sie wird euch mehr erzählen, sobald sie die Ergebnisse der Untersuchungen kennt?“

„Ja, bestimmt. Ich wünschte nur, ich wüsste, um was es geht.“

„Damit du es wieder in Ordnung bringen kannst“, vermutete Erika. „Wie kann ich dir in dieser Sache helfen?“

Er sah ihr in die Augen. „Das tust du schon.“

Die Art, wie er sie anschaute, machte sie ein wenig benommen. Sein Blick sagte, dass er sie brauchte. War das überhaupt möglich bei einem Mann wie Gannon?

Nach diesem Gespräch verbrachten sie die Nächte zusammen. Es war, als fügten sich die Teile eines Puzzles ineinander, ohne dass einer von beiden das Bedürfnis verspürte, das Ganze infrage zu stellen. Es fühlte sich einfach richtig an.

Gannon begleitete sie während der Besuche bei Tia, und er hielt ihr morgens einen Becher Kaffee unter die Nase, damit sie wach wurde. Jede Nacht liebten sie sich, und Erika schlief anschließend in seinen Armen ein.

Die Tatsache, dass er nach wie vor keinen Vertrag von seinem Anwalt erhalten hatte, beunruhigte sie. Seit er angekündigt hatte, das Papier sei so gut wie unterschriftsreif, hatte sie mehrmals nachgefragt. Sie musste einfach daran glauben, dass er sein Wort hielt. Wer weiß, dachte sie. Vielleicht bekomme ich den Mann und das Baby. Vielleicht würde es diesmal klappen.

Diese Aussicht wühlte sie so sehr auf, dass sie nicht mehr darüber nachdenken konnte. Ihr war durchaus bewusst, dass sie sich immer stärker in Gannon verliebte, aber sie schaffte es nicht, sich in dieser Hinsicht zu bremsen.

Am Montag arbeiteten sie tagsüber zusammen, und abends überraschte er sie mit einer Rose. Erika zehrte von diesem geheimen Vergnügen und seiner Aufmerksamkeit noch den ganzen nächsten Tag.

Am späten Dienstagnachmittag betrat er ihr Büro mit ernster Miene. Er schloss die Tür hinter sich und rückte seine Krawatte gerade.

Sie war alarmiert. „Was ist los? Hat es etwas mit deiner Mutter zu tun?“

Sie eilte zu ihm, doch er bedeutete ihr abzuwarten. „Nein. Mit meiner Mutter hat es nichts zu tun.“

„Was ist es dann?“

Seufzend schob er die Hände in die Hosentaschen. „Die Gerüchteküche brodelt. Eine Redaktionsleiterin erwähnte einem Volontär gegenüber, sie habe uns beide zusammen gesehen. Das muss während unseres Spaziergangs neulich Abend gewesen sein.“

„Du lässt mich nicht schon wieder fallen“, sagte sie.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, das nicht. Wir müssen die Dinge vermutlich nur für eine Weile ruhiger angehen.“

„Was meinst du damit? Und wie lange ist eine Weile?“

„Das bedeutet doch nur, dass wir uns vorerst nicht mehr privat treffen dürfen.“

Ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. „Und wie lange ist eine Weile?“

Er zuckte die Achseln. „Vielleicht sollten wir das mit uns auf Eis legen, bis der Wettbewerb um den Chefposten bei EPH vorbei ist.“

Sie schnappte nach Luft. „Das ist ein ganzes Jahr!“

„Ja, ich weiß, aber vielleicht ist es am besten so.“

Er sah nicht begeistert aus.

„Für wen?“

„Für uns beide natürlich.“ Mittlerweile schlich sich eine gewisse Ungeduld in seinen Ton. „Doch deswegen bin ich nicht hier.“

„Wow, du hast die Entscheidung ja ziemlich schnell getroffen. Ich glaube, heute Morgen habe ich noch in deinem Bett gelegen.“

„Ach komm schon, Erika. Es ist eine schwierige Zeit. Ich muss mich ganz auf ‚Pulse‘ konzentrieren und darauf, meinem Vater zum Chefposten bei EPH zu verhelfen. Ich empfinde etwas für dich, dies ist nur einfach nicht der richtige Zeitpunkt.“

Erika kam sich wie eine Närrin vor und musste gegen einen Mix aus Wut und Tränen ankämpfen. Sie fühlte sich verraten. Sicher, er hatte ihr keinerlei Versprechungen gemacht, doch das spielte keine Rolle. Sie hatte ihm ihr Herz geöffnet und an eine gemeinsame Zukunft geglaubt.

Ihm mochte es tatsächlich um „Pulse“, seinen Vater und sie gehen, aber dabei nahm er keine Rücksicht auf ihre Gefühle.

Es würgte sie so sehr im Hals, dass sie kaum ein Wort herausbrachte. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das habe ich nicht von dir erwartet. Nicht noch einmal.“

„Es ist nicht vergleichbar mit dem letzten Mal“, sagte er.

„Doch, ist es.“ Sie versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Sie musste jetzt in erster Linie an sich denken. „Ich kann nicht bei ‚Pulse‘ bleiben.“

„Du benutzt das hoffentlich nicht als Trumpfkarte, um mich dazu zu zwingen, unsere Beziehung öffentlich zu machen, oder?“

Ebenso gut hätte er sie ohrfeigen können. „Bei dieser Entscheidung geht es nicht um dich“, erklärte sie, „sondern um mein Seelenheil. Aber das verstehst du natürlich nicht. Ich will dich nicht jeden Tag sehen müssen und …“

„Wir können Arrangements treffen, damit wir nicht viel miteinander zu tun haben“, bot er an.

Sie winkte ab. „Nein, ich will nicht auf der gleichen Etage arbeiten. Das werde ich mir nicht antun. Ich kehre umgehend zu ‚HomeStyle‘ zurück.“

„Das geht nicht“, sagte er.

„Und ob das geht. In meinem Vertrag steht, dass ich das jederzeit kann.“

Er starrte sie ungläubig an.

Plötzlich kam ihr ein hässlicher Verdacht. „Du hattest niemals die Absicht, mir dein Sperma zu spenden, nicht wahr?“

Gannon gab verärgert einen Laut von sich. „Das war doch ohnehin eine alberne Idee. Ich hatte gehofft, dass du …“

„… dass ich das einsehe“, beendete sie wütend den Satz für ihn. „Ja, ich kann und werde zu ‚HomeStyle‘ zurückkehren“, wiederholte sie und klammerte sich an ihre wachsende Entschlossenheit. „Ich verlasse deinen Laden endgültig.“

Gannon blieb fast bis zum Morgengrauen wach und lief in seiner einsamen, sich über zwei Etagen erstreckenden Wohnung auf und ab. Noch immer nahm er Erikas Duft wahr, hörte das Echo ihres Lachens. Er mochte nicht auf dem Sofa sitzen, weil sie nicht da war und ihn anlächelte.

Während er von einem Fenster aus die Sonne über der Stadt aufgehen sah, suchte er fieberhaft nach einer Lösung, um mit Erika zusammenbleiben zu können. Sicher, er wollte, dass sie weiterhin für ‚Pulse‘ arbeitete, aber er sehnte sich auch danach, privat mit ihr zusammen zu sein.

Wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass er sie geradezu brauchte. Nicht nur in sexueller Hinsicht, obwohl er im Bett nicht genug von ihr bekommen konnte.

Es musste einen Weg geben, um diese Situation zu meistern. Es gab immer einen Weg.

Wütend, aber entschlossen, sich von ihrem Schmerz nicht unterkriegen zu lassen, fuhr Erika früh in die Redaktion und brachte ihre Sachen zurück in ihr altes Büro bei „HomeStyle“. Ihre Nachfolgerin hatte sich noch gar nicht eingerichtet, deshalb stellte sie deren Kartons einfach an die Wand neben der Tür.

Sie hinterließ eine Nachricht für Michael bei seiner Sekretärin, in der sie ihm schlicht mitteilte, dass sie zu „HomeStyle“ zurückging, weil ihr die Arbeit dort besser gefiel. Dann arrangierte sie, dass ihr vorübergehender Ersatz eine begehrte Stelle bekam. Es wäre nicht fair, die arme Frau ausbaden zu lassen, dass es für sie bei ‚Pulse‘ schiefgegangen war.

Danach brachte sie sich auf den neuesten Stand. Irgendwann am Vormittag kam eine E-Mail von Gannon. Sogar der Anblick seines Namens ließ ihr Herz höherschlagen. Angewidert von ihrer Reaktion, überlegte sie, ob sie die Nachricht ungelesen löschen sollte, doch die Neugier überwog.

Er sei überrascht, dass sie so schnell umgezogen war, schrieb er und schlug vor, noch einmal darüber zu reden. Ein Jahr sei so lang nun auch wieder nicht.

Für dich vielleicht nicht, dachte sie und löschte die Mail.

Es gelang ihr, sich einzureden, dass es ihr gut ging – nicht großartig, aber ganz okay, bis sie ihr Büro verließ und beinah mit Gannon zusammenstieß. Sein Anblick raubte ihr für einen Moment den Atem.

„Hallo“, sagte er. „Wir müssen reden.“

Mit ihm zu reden brächte sie nur in Schwierigkeiten, ihn anzusehen genügte schon.

„Ich habe zu tun.“ Sie war selbst erstaunt, dass es ihr gelang, sich von diesem Gefahrenherd wegzubewegen, an dem sie sich bereits zweimal verbrannt hatte.

Ich habe zu tun wurde von da an ihr Mantra, das sie sich immer dann aufsagte, sobald er ihr in den Sinn kam. Sie sagte es zu Gannon, wenn er in ihrem Büro auftauchte, und sie wiederholte es sogar während der nächsten Nächte im Schlaf.

Am Mittwoch erhielt sie unerwartet eine Einladung für den kommenden Tag zum Tee bei Maeve Elliott, der Ehefrau Patrick Elliotts, des jetzigen Chefmanagers von Elliott Publication Holdings. Kameras und Aufnahmegeräte waren gestattet.

Erika war aufgeregt, denn seit Monaten bat sie um ein Interview mit Maeve im Stadthaus der Familie, doch deren Sekretärin hatte sie immer wieder vertröstet.

Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Was für ein Coup! Sofort begann sie, das Treffen akribisch zu planen. Sie machte sich Notizen und organisierte einen einfühlsamen, höflichen und talentierten Fotografen. Dass Maeve Gannons Großmutter war, hatte keinerlei Einfluss auf ihre Neugier. Ihr Interesse war rein beruflicher Natur. Zumindest redete sie sich das ein.

Zusammen mit dem Fotografen fuhr sie eine halbe Stunde vor dem Termin hin. Gannon hatte ihr gesagt, gemessen an Manhattanstandards sei das Haus riesig, mit drei Stockwerken Wohnraum und dem beispiellosen Luxus einer Tiefgarage. Erika wusste außerdem, dass Maeve und Patrick zwei Enkelinnen, Zwillinge, dort während der Woche beherbergten, da beide bei EPH arbeiteten.

Als der Taxifahrer vor der genannten Adresse hielt, betrachtete sie ehrfürchtig das Heim von Gannons Großeltern. Das schwarze schmiedeeiserne, von Efeu umrankte Tor entmutigte uneingeladene Gäste. Das graue Steingebäude mit dem weißen Dekor und der roten Eingangstür lag etwa drei Meter von der Straße zurück.

Tom, der Fotograf, stieß einen leisen Pfiff aus. „Nettes Haus.“

„Es ist wunderschön. Wir machen keine Außenaufnahmen, um ihre Privatsphäre zu schützen.“

Er nickte. „Mein Blitzlicht ist bereit für die Innenaufnahmen.“

„Ich werde sie um ihr Einverständnis bitten, bevor du fotografierst“, erklärte sie und empfand eine Mischung aus Nervosität und Aufregung. „Bist du so weit?“

Er bejahte und sie stiegen aus und klingelten. Eine Frau öffnete die Tür.

„Mrs Elliott wird ihren Tee in der Bibliothek einnehmen“, verkündete sie und führte Erika und Tom in ein Zimmer links des Foyers. Die Decke des Eingangsbereiches reichte bis zum Dach, in das ein Oberlicht aus farbigem Glas eingelassen war.

Erika entdeckte einen Flügel in der Halle. Sie hörte das leise Klicken von Toms Kamera. Der mit Antiquitäten eingerichtete Raum hatte eine wundervolle anheimelnde Atmosphäre.

Ein Silbertablett mit Tee, winzigen Sandwiches und Gebäckstückchen stand bereit. Auf dem Cocktailtisch stand zartes Porzellan mit Rosenmotiven bereit.

„Ich frage mich …“

„Hallo Erika“, sagte eine vertraute Stimme vom Foyer aus.

Gannon! Überrascht drehte sie sich um. „Was machst du denn hier?“, fragte sie leise.

Er lachte. „Ich bin zum Tee mit meiner Großmutter verabredet.“

Plötzlich dämmerte es ihr. „Du hast das alles arrangiert.“

„Ja, das habe ich. Und du bist froh darüber, stimmt’s?“

Am liebsten hätte sie das Haus auf der Stelle verlassen, aber das wäre grob unhöflich gewesen, und sie konnte die Gelegenheit, Maeve zu treffen, nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Er drehte sich um und streckte eine Hand aus. „Großmutter Maeve, darf ich dir Erika Layven vorstellen, die leitende Redakteurin unseres neuen Magazins ‚HomeStyle‘.“

Eine zierliche Frau mit weißen, zu einer eleganten Hochsteckfrisur aufgetürmten Haaren betrat den Raum. Sie trug ein maßgeschneidertes Kleid und um den Hals eine Kette mit einem Medaillon. Was Erikas Aufmerksamkeit jedoch besonders fesselte, waren ihre strahlenden Augen und ihr freundliches Lächeln.

„Erika, wie reizend Sie kennenzulernen. Gannon hat mir erzählt, Sie seien eine clevere, fleißige Frau mit einem guten Herzen. Er erwähnte Ihr Engagement im Mentorenprogramm.“

Maeve schüttelte ihr die Hand, während sie in beschwingtem Tonfall mit ihr sprach. Erika widerstand dem eigenartigen Impuls, einen Knicks zu machen, und erwiderte stattdessen Maeves Händedruck. „Danke für die Einladung. Ich fühle mich geehrt.“

„Bitte nehmen Sie doch Platz, damit wir unseren Tee genießen können.“ Maeve deutete auf den Sessel gegenüber dem Sofa. „Du auch, Gannon. Es ist schon lange her, seit du zum Nachmittagstee da warst.“

Gannon bedachte seine Großmutter mit einem nachsichtigen Lächeln. „Das kann ich kaum leugnen. Um diese Zeit trinke ich für gewöhnlich Kaffee, um den toten Punkt zu überwinden.“

„Tee ist viel besser für dich“, riet sie ihm und wandte sich an Tom: „Möchten Sie jetzt ein paar Fotos machen?“

„Vielen Dank, Ma’am“, sagte er und begann sofort zu knipsen.

„Dürfen wir Sie auch mit Gannon fotografieren?“, fragte Erika.

Maeve strahlte. „Ich freue mich immer, wenn ich zusammen mit meinem attraktiven Enkel abgelichtet werde.“

Gannon warf ihr einen fragenden Blick zu. „Ich darf sie mir doch hoffentlich ansehen, bevor du sie drucken lässt.“

„Selbstverständlich“, versicherte Erika ihm und verspürte ein Gefühl des Verlustes, während sie Zeugin seines respektvollen Umgangs mit seiner Großmutter wurde. Sie sehnte sich danach, ein Teil von Gannons Leben zu sein, seiner Arbeit, seinem Zuhause und seiner Familie. Nur würde das niemals passieren.

Tom machte ein paar Aufnahmen, bis Maeve die Hand hob. „Das reicht. Ich werde Annie bitten, noch ein Gedeck zu bringen, dann können Sie sich zu uns gesellen.“

Tom sah sie hektisch an und Erika entdeckte einen Anflug von Verzweiflung bei ihm. Offenbar fürchtete er sich davor, mit Mrs Elliott Tee zu trinken. „Tom würde bestimmt gern bleiben, nur leider hat er gleich einen anderen Termin“, erklärte sie.

„Genau“, pflichtete er ihr sofort bei. „Ich hoffe, Sie entschuldigen mich.“

„Natürlich“, erwiderte Maeve. „Lassen Sie sich durch uns nicht aufhalten. Seien Sie vorsichtig bei dem Wind. Der ist ein bisschen heftig heute.“

„Danke, Ma’am“, sagte er und zog sich zurück.

„Was für ein wohlerzogener junger Mann“, bemerkte Maeve. „Das erlebt man nicht mehr oft heutzutage. Lassen wir Annie den Tee servieren, dann können wir plaudern.“

Erika achtete während der gesamten Dauer des Besuchs auf höfliches Benehmen und verzichtete vollkommen darauf, Gannon böse Blicke zuzuwerfen, weil er sich eingemischt hatte und ihr dieses Treffen verdarb.

Sie wollte sich nicht davon ablenken lassen, wie er die langen Beine ausstreckte oder wie er über die Geschichten seiner Großmutter lachte, und sie wollte nicht wahrnehmen, mit wie viel Respekt er die alte Dame behandelte. Er sollte ihr nicht als ein Mann erscheinen, der zu zärtlicher Aufmerksamkeit fähig war. Sie zog das Bild des kalten Geschäftsmannes vor, das sie sich zu ihrem eigenen Schutz von ihm gemacht hatte.

„Erzähl Erika doch, wie du und Großvater euch kennengelernt habt“, forderte Gannon seine Großmutter auf.

Autor

Susan Crosby
Susan Crosby fing mit dem Schreiben zeitgenössischer Liebesromane an, um sich selbst und ihre damals noch kleinen Kinder zu unterhalten. Als die Kinder alt genug für die Schule waren ging sie zurück ans College um ihren Bachelor in Englisch zu machen. Anschließend feilte sie an ihrer Karriere als Autorin, ein...
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Kara Lennox hat mit großem Erfolg mehr als 50 Liebesromanen für Harlequin/Silhouette und andere Verlage geschrieben.
Vor ihrer Karriere als Liebesromanautorin verfasste sie freiberuflich Hunderte Zeitschriftenartikel, Broschüren, Pressemitteilungen und Werbetexte. Sogar Drehbücher hat sie geschrieben, die das Interesse von Produzenten in Hollywood, New York und Europa weckten.
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