Die Kurtisane und der Gentleman

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Junggesellendasein ade! Christopher Lattimar will heiraten. Doch wie umwirbt man eine Dame der feinen Gesellschaft? Die schöne Kurtisane Ellie will ihm Nachhilfe geben. Aber statt sich auf die Suche nach einer standesgemäßen Gattin zu konzentrieren, entbrennt Christopher in wildem Verlangen für seine verruchte Lehrerin …


  • Erscheinungstag 11.04.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733739799
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

London, 26. März 1832

Fröhlich lachend führte Christopher Lattimar, Parlamentsabgeordneter für den Bezirk Wiltshire, seine Freunde in den kleinen privaten Raum im Quill and Gavel, einer Taverne in einer ruhigen Nebenstraße unweit des Parlaments. „Es ist an der Zeit zu feiern, was wir erreicht haben. Ich würde sagen, es ist der richtige Abend für Wein, Weib und Gesang!“

„Oder wenigstens Wein und Weib“, stimmte Ben Tawny ihm breit lächelnd zu.

„Was beides zu meinen liebsten Interessen gehört“, sagte Christopher.

„… wie jeder hier weiß“, erwiderte Ben.

„Das solltet ihr wohl“, gab Christopher zurück. „Bis vor Kurzem habt ihr mich noch in beidem übertroffen.“

„Genug, ihr zwei“, sagte Giles Hadley, Viscount Lyndlington, in gespieltem Ernst. „Da kommt schon Ransen mit dem Ale. Obwohl der bedeutsame Anlass eigentlich eines Glases Champagner würdig wäre, Ben.“

„Zu französisch!“, meinte Ben. „Um die erste Veränderung des Wahlrechts seit vierhundert Jahren zu feiern, brauchen wir gutes englisches Ale.“

„So weit sind wir noch nicht“, mahnte David Tanner Smith und platzierte seinen hochgewachsenen Körper auf einen Stuhl. „Das Dritte Reformgesetz hat gerade einmal unser Haus passiert. Wir müssen es immer noch durch das Oberhaus bringen.“

„Nach den Zwistigkeiten und Aufständen im letzten Herbst, als das Zweite Reformgesetz scheiterte, wagen die Lords sicher keine Ablehnung mehr“, sagte Giles. „Das Land wird keinen weiteren Aufschub hinnehmen!“

„Wir werden sehen“, antwortete Davie. „Aber trotzdem war es ein bedeutender Erfolg, dass wir es im Unterhaus durchgesetzt haben.“ Er nahm einen der Krüge, die der Wirt ihnen hingestellt hatte, und hob ihn hoch. „Auf die Führung von Lord Grey!“

„Und auf deine“, sagte Ben und schwenkte seinen Krug Richtung Davie. „Wir haben zwar alles gemeinsam in Bewegung gesetzt, aber du hast die Bestimmungen verbessert und angepasst.“

„Ich finde, wir sollten auf uns alle trinken“, meinte Christopher. „Wer hätte sich vor zehn Jahren vorstellen können, dass vier Außenseiter aus Oxford sich zusammentun, Parlamentssitze erobern und die größte Veränderung in der britischen Regierung anstoßen würden, die es seit dem Mittelalter gegeben hat?“ Er erhob seinen Krug. „Auf meine lieben Kollegen und besten Freunde. Auf die Teufelsbrut!“

„Auf die Teufelsbrut“, wiederholten die anderen und tranken einen großen Schluck Ale.

„Sollen wir jetzt unsere weitere Vorgehensweise planen?“, fragte Davie. „Wir könnten eine Liste der uns wohlgesinnten Peers erstellen und uns schon einmal die besten Argumente zurechtlegen, um sie zu überzeugen.“

„Das werden wir – aber nicht mehr heute Abend“, sagte Giles. „Jetzt sollten wir unseren ersten Sieg feiern. Allerdings …“ Er zögerte und trank einen Schluck, bevor er den Krug abstellte. „… muss ich leider gleich gehen. Wie ihr wisst, ist Maggie guter Hoffnung, und sie fühlt sich im Moment nicht wohl. Ich muss zu ihr zurück. Aber lasst euch von mir nicht die Feier verderben! Die nächsten Runden gehen auf mich.“

„Danke für das Angebot, aber ich muss auch gehen“, meinte David. „Ich möchte unbedingt mit Faith über die gute Nachricht sprechen.“

„Sie wird so stolz auf dich sein“, rief Christopher. Er bewunderte seinen ruhigen, zielstrebigen und brillanten Freund. „Durch dein Geschick hast du die widerspenstige Aristokratie für uns gewonnen, obwohl du der bürgerliche Gatte der Witwe eines Dukes bist.“

Davie machte eine abwehrende Handbewegung. „Es war unsere gemeinsame Anstrengung, die den Erfolg gebracht hat.“ Er stellte seinen Krug auf den Tisch und verabschiedete sich. „Gute Nacht, Gentlemen, und vielen Dank! Für eure harte Arbeit und ganz besonders für eure Freundschaft über all die Jahre.“

„Das gilt für uns alle“, sagte Ben. Er erhob seinen Bierkrug und sagte: „Auf die Teufelsbrut.“

Giles und Davie klopften Ben im Vorbeigehen auf die Schulter. Der leerte seinen Krug und setzte ihn ab. „Ich muss aber auch gehen.“

„Ist Alyssa nicht gerade unterwegs auf einer ihrer Mal-Exkursionen?“, fragte Christopher. „Komm doch mit mir. Nur auf ein paar Gläser Ale. Wie in alten Zeiten.“

Ben zog die Brauen hoch. „Nur ein paar Gläser? Und was ist mit den Frauen? Ich habe erfahren, dass du dich kürzlich von der ‚Göttlichen Clarissa‘ getrennt hast. Gibt es schon eine Neue?“

„Bis jetzt noch nicht. Einige Frauen mit viel Appetit und wenig Moral haben aber bereits ihr Interesse bekundet.“

„Und Mrs. Anderson hat neulich die Protektion des Duke of Portland aufgegeben. Ich glaube mich zu erinnern, dass sie ihre Netze schon nach dir ausgeworfen hat, als sie noch mit Portland zusammen war.“

„Ich bin nun einmal unwiderstehlich“, entgegnete Christopher und wich geschickt der Faust seines Freundes aus. „Ich finde alle schön, aber irgendwie reizt mich momentan keine so richtig.“

Nur eine Kurtisane kam ihm in den Sinn, die ihn stets mehr als nur in Versuchung geführt hatte. Wenn Ellie Parmenter auch nur einen Finger nach ihm ausstrecken würde, käme er sofort gelaufen.

Er schüttelte diese Gedanken ab und sagte: „Sollen wir für den Rest des Abends zu Madame Aurélie gehen? Guter Wein, der von schönen Frauen ausgeschenkt wird, und ein paar Spielchen am Kartentisch. Fast so respektabel wie ein Gentlemen’s Club. Ich glaube nicht, dass Alyssa etwas dagegen hätte.“

Ben lächelte ironisch. „Wahrscheinlich nicht. Aber ich habe keine Lust auf die Spielhölle einer ehemaligen Kurtisane, wo ausgewählte Kunden sich diskret eine der Damen aussuchen können.“

Bevor Christopher seinen Freund an seine früheren Gewohnheiten erinnern konnte, fügte der eilig hinzu: „Ich weiß, dass ich dich getrost begleiten könnte. Nur auf eine Flasche Wein und eine Runde am Spieltisch. Aber … es interessiert mich nun mal nicht mehr. Tut mir leid. Doch ich will dir nicht dein Vergnügen verderben. Im Gedenken an unsere früheren gemeinsamen Feiern – trinke doppelt so viel Wein und bezirze doppelt so viele Frauen für mich.“

Er tätschelte Christopher die Hand. „Viel Vergnügen – als ob ich dir das sagen müsste!“ Er zwinkerte Christopher zu und ging zur Tür.

Trotz der verlockenden Aussicht auf Madame Aurélie und ihre charmanten Damen konnte Christopher ein seltsames Gefühl im Magen nicht unterdrücken, als er seinem Freund nachschaute. War das etwa ein Gefühl der … Einsamkeit?

1. KAPITEL

Zwei Wochen später

Die Nachmittagssonne warf ihr warmes, schmeichelndes Licht auf Gesicht und Figur einer üppigen Blondine. Christopher schritt durch den Salon zu dem Sofa, auf dem sie lag. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, in der sie ein Diamantenarmband hielt. „Christopher, Darling, könntest du mir das wohl festmachen, bitte? Der lästige Verschluss geht nicht zu.“

Christopher lächelte nachsichtig und legte ihr das Armband um. Dann strich er ihr eine blonde Haarsträhne aus der Stirn. „Ist er so lästig wie du?“, fragte er neckend.

Sie riss ärgerlich die leuchtend blauen Augen weit auf und presste die vollen Lippen schmollend zusammen. „So redet man nicht mit seiner Mama.“

„Mag sein. Doch die üblichen Benimmregeln für einen Sohn gelten nicht, wenn die Mama eine Schönheit ist, die immer noch jeden Mann um den Finger wickeln kann, und mehr wie seine Schwester aussieht als wie seine Mutter.“

Je nach Stimmungslage erfüllte ihn diese Tatsache abwechselnd mit Stolz, Erheiterung oder Verlegenheit.

„Wo hast du denn die neuen Klunker her? Von Henderson?“, erkundigte er sich nach dem hartnäckigsten ihrer derzeitigen Verehrer.

Sie wedelte mit der Hand. „Ja. Henderson hat mich wahrhaft angefleht, ein kleines Zeichen seiner Wertschätzung zu akzeptieren, darum habe ich am Ende nachgegeben. Das Armband ist sehr schön“, stellte sie fest und hob den Arm ein wenig, um den Glanz des Schmucks zu bewundern. „Aber ich fürchte, ich muss den Mann in seine Schranken weisen. In der letzten Zeit ist er für meinen Geschmack zu besitzergreifend geworden, und das kann ich nicht dulden, wie du weißt.“

Wenn sie jemanden abblitzen ließ, geschah es nicht aus Rücksicht auf Christophers Vater – beziehungsweise den Mann, der diese Stellung einnahm. Lord Vraux und seine Gattin gingen seit Jahren getrennte Wege, wie jeder wusste. Man munkelte auch über die Identität des leiblichen Vaters von Christopher und seinen Schwestern. Nur von seinem älteren Bruder Gregory nahm man an, dass er der legitime Erbe Seiner Lordschaft war.

„Hast du schon einen anderen im Sinn?“, fragte er und setzte sich neben sie. „Chernworth würde nur zu gern Hendersons Stelle einnehmen. Dann gibt es doch noch diesen neuen Schnösel – Lord Rogers? –, der dir ständig nachläuft und schlechte Gedichte über dich schreibt.“

„Er ist doch noch ein Kind“, sagte seine Mutter und schüttelte den Kopf. „Chernworth ist ganz amüsant, aber in letzter Zeit ist Kennington ziemlich hinter mir her. Im Moment überlege ich, ob ich nicht alle aufgeben soll, wirklich. Vielleicht ziehe ich mich aufs Land zurück.“

„Das ist doch wohl nicht dein Ernst! Ohne die Geschäfte, das Theater und alle anderen Unterhaltungsmöglichkeiten von London würdest du doch nach einer Woche vor Langeweile vergehen. Und die Gesellschaft würde dich vermissen, wenn du nicht mehr ihr leuchtender Stern wärst.“

„Wenn ich nicht mehr da wäre, um über mich zu klatschen, meinst du wohl“, erwiderte sie gutmütig. „Doch ich denke, es ist besser, die Bühne zu verlassen, solange ich noch gefragt bin. Bevor meine Schönheit vergeht und die Verehrer sich abwenden.“

Seine charmante, lebenssprühende Mutter sah beinahe … traurig aus. Überrascht fragte Christopher: „Warum bist du heute so melancholisch?“

Sie nahm einen Spiegel vom Tisch und inspizierte ihr Gesicht. „Siehst du diese Falte hier?“ Sie zeigte auf eine Stelle. „Kennington hat mich gestern damit aufgezogen.“

Christopher beugte sich näher heran. „Die sieht man doch kaum. Kennington ist ein Esel. Du hast noch viele gute Jahre vor dir, bevor du alt wirst. Außerdem müssen die Mädchen noch unter die Haube gebracht werden.“

„Du willst doch wohl nicht, dass ich zu diesen grauenvollen Partys gehe, wo nur fade Jungfern und ihre kupplerischen Mütter sind?“ Sie schauderte. „Ich wäre bestimmt keine große Hilfe dabei, deine Schwestern passend zu verheiraten. Du weißt doch, wie sehr diese alten Schachteln mich verabscheuen.“

Er konnte es nicht abstreiten. Lady Vraux wurde allgemein sehr bewundert – von den männlichen Mitgliedern des ton. Die Frauen hingegen waren neidisch auf ihre Schönheit, ihren Charme und den faszinierenden Eindruck, den sie auf die Männer machte. Wegen ihrer guten Abstammung und ihres hohen Ranges wurde seine Mutter zwar zu den meisten wichtigen gesellschaftlichen Ereignissen eingeladen – und auch zu den weniger respektablen –, aber ihre Art der Selbstdarstellung hatte ihr nur wenige Freundinnen eingebracht.

Sie zog eine ihrer eleganten Schultern hoch. „Wenn diese Frauen nur einen Bruchteil der Zeit, die sie damit verbringen, mich zu kritisieren, darauf verwenden würden, ihren Männern zu gefallen, müssten sie sich meinetwegen keine Sorgen machen. Jedenfalls werde ich, wenn es so weit ist, wahrscheinlich deine Tante Augusta bitten, die Mädchen einzuführen.“

„Gussie wird es sicher sehr gut machen“, pflichtete Christopher ihr bei. „Sie weiß doch immer, wer gerade hinter wem her ist, und wer eine besonders gute Partie abgibt.“ Er machte eine kurze Pause. „Vielleicht sollte ich mir auch von ihr helfen lassen. Ich denke darüber nach … Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich mir eine Gemahlin suche.“

Einen Augenblick lang herrschte verblüfftes Schweigen, dann begann seine Mutter laut zu lachen. „Du … willst heiraten?“, rief sie, als sie sich halbwegs beruhigt hatte. „Was für ein Unsinn!“

„Nein, Mama, ich meine es ernst“, protestierte er.

Sie schaute ihn durchdringend an. „Du fühlst dich wohl ein bisschen einsam, weil deine engsten Freunde jetzt alle verheiratet sind. Das ist aber kein Grund, dir selbst die Fesseln anlegen zu lassen. Du kennst ja meine Meinung über die Ehe.“

„Ich vermisse meine Freunde, das stimmt“, gab Christopher zu. Besonders Ben Tawny, der so oft sein Zechkumpan gewesen war – bis er seine Herzensdame kennengelernt und geheiratet hatte. „Alle Mitglieder der Teufelsbrut außer mir haben passende Ehefrauen gefunden und sind glücklich mit ihnen.“

Seine Mutter machte eine wegwerfende Geste mit der Hand. „Aber sie sind alle noch ziemlich frisch verheiratet, nicht wahr? Wenn sie so glücklich bleiben, ergeht es ihnen besser als den meisten.“

Jedenfalls besser als ihr. Seine schöne Mutter war von ihrem Vater aus finanziellen Gründen an den Höchstbietenden verheiratet worden, Lord Vraux. Der Baron war sehr viel älter als sie und galt als Connaisseur schöner Dinge. Zur Vervollständigung seiner Sammlung hatte er unbedingt noch das schönste Mädchen der Saison haben wollen. Doch er war kalt und verschlossen und hatte seiner leidenschaftlichen, außergewöhnlichen und aufgeschlossenen Frau nie die Zuneigung oder Freundschaft zuteilwerden lassen, die sie gebraucht hätte.

Doch gleichgültig, was die Damen der Gesellschaft von ihrer Moral hielten, konnte niemand bestreiten, dass sie eine hingebungsvolle Mutter war. Besonders für Christopher, den Sohn des Mannes, der nach der allgemeinen Meinung die Liebe ihres Lebens gewesen war.

„Du meinst es also ernst?“, hakte seine Mutter nach, als er schweigend und gedankenverloren vor ihr saß. „Hast du schon eine Kandidatin ins Auge gefasst?“

„Nein. Dafür brauche ich ja Tante Augusta. Ich bin nicht romantisch veranlagt, und ich suche keine Frau, die mich zum Schreiben schlechter Verse inspiriert.“

Selbst meine Freunde scheinen in der Ehe wahrhaft glücklich zu sein, dachte er. Das Gefühl der Einsamkeit, das ihn seit einiger Zeit bedrückte, wurde durch Sehnsucht und Neid verstärkt.

„Ich erwarte nicht mehr als eine ehrbare junge Lady aus gutem Hause, die meinen Haushalt führen kann und mir Erben schenkt. Natürlich kein naives Dummchen, das gerade das Schulzimmer verlassen hat – eher vielleicht eine junge Witwe. Und es wäre von Vorteil, wenn sie sich für Politik interessieren würde. Ich habe immer die Partys gemieden, zu denen achtbare Jungfern eingeladen waren, daher kenne ich keine. Dafür brauche ich ja Tante Gussie.“

„Das ist aber eine verteufelt kalte Einstellung.“

„Komm schon, Mama, willst du behaupten, bei jedem deiner … Verehrer bis über die Ohren verliebt gewesen zu sein?“

„Zu Beginn einer Liaison war ich es jedes Mal“, erklärte sie.

„Eine Vernunftehe muss nicht kalt sein“, hielt er dagegen. Es erstaunte ihn nicht, dass sie Einwände erhob, nachdem sie selbst in eine gefühlskalte Ehe gedrängt worden war. „Ich werde mich hüten, eine Frau zu heiraten, die mir völlig gleichgültig ist oder die gar nichts für mich empfindet. Aber es gibt keinen Grund, warum ich nicht gegenseitigen Respekt und Zuneigung bei einer eher … traditionell eingestellten Frau finden sollte.“

Sie schüttelte den Kopf. „Christopher, Darling, du bist mir viel zu ähnlich. So eine Verbindung würde nicht funktionieren! Nachdem du zehn Jahre lang Beziehungen mit den schönsten, geistreichsten und verführerischsten Frauen hattest, würde eine tugendsame Jungfrau dich zu Tode langweilen. Und was ist mit der Leidenschaft?“

„Nur, weil eine Frau achtbar ist, muss sie nicht leidenschaftslos sein.“

„Wenn es so wäre, hätte ich nicht so viele verheiratete Verehrer.“

Christopher änderte seine Argumentation. „Ich bin jetzt in einem Alter, da es mir verlockender erscheint, in ein ruhiges friedliches Heim zurückzukehren, als eine weitere Nacht mit Trinken und Spielen zu verbringen und im Bett einer Kurtisane aufzuwachen.“

Er wollte ihr gegenüber nicht eingestehen – ja nicht einmal sich selbst gegenüber –, dass der Gedanke an so eine tugendhafte Gemahlin tatsächlich ein wenig fade klang. Oder dass der plötzliche Wunsch nach einer Ehefrau vielleicht damit zu tun hatte, dass sich die enge Verbundenheit mit den drei verheirateten Freunden gelockert hatte, die für ihn zehn Jahre lang wie seine Familie gewesen waren. Wenn er erst selbst verheiratet wäre, würde ihr Kreis hoffentlich wieder so vertraut sein wie früher.

Aber vor allem wollte er ihr nicht den Hauptgrund preisgeben, warum er unbedingt eine ehrbare Frau heiraten wollte – seine Kinder sollten sich nie fragen müssen, wer ihr Vater war. Sie sollten nicht das Getuschel und Gekicher anderer Kinder über ihre Mutter oder das schneidende Desinteresse des Mannes ertragen müssen, der ihr gesetzlicher Vater war.

So ein Geständnis hätte sich wie eine Anklage gegen seine chaotische und flatterhafte Mutter angehört, obwohl er sie trotz allem innig liebte.

Ihr missbilligender Gesichtsausdruck zeigte ihm, dass er sie nicht überzeugt hatte. Doch bevor er ein weiteres Argument vorbringen konnte, klopfte es, und eine große dunkelhaarige Frau trat ein.

Als sie ihn neben seiner Mutter erblickte, blieb die Lady stehen und hörte auf zu lächeln. „Entschuldigung, Felicia! Ich möchte nicht stören. Billings sagte mir, du seist zu sprechen.“

„Ellie!“, rief Lady Vraux und sprang auf, um die Besucherin zu begrüßen. „Natürlich störst du nicht. Ich habe deine Nachricht erhalten und dich schon erwartet. Wie geht es dir, meine Liebe? Wir haben uns ja ewig nicht gesehen!“

Christopher erhob sich ebenfalls. Er genoss den Anblick der unaufdringlichen Eleganz von Ellie Parmenter. Es musste wohl zehn Jahre her sein, seit sie sich zuletzt begegnet waren. Wie damals, als er sie im Salon seiner Mutter kennengelernt hatte, empfand er Bewunderung für sie – und starke sinnliche Anziehungskraft. Sie hatte eine prächtige, wohlgeformte Figur und bewegte sich mit natürlicher Grazie. Ihr helles Gesicht unter den üppigen dunklen Locken war von ebenmäßiger Schönheit, und ihre großen veilchenblauen Augen strahlten etwas Geheimnisvolles aus, das ihn stets in den Bann zog. Der junge Student war damals völlig hingerissen von ihr gewesen. Doch das hatte sich geändert, als er herausfand, dass diese Schönheit von einem zügellosen, weit älteren Peer ausgehalten wurde, obwohl sie einige Jahre jünger war als er selbst. Er war bestürzt und enttäuscht gewesen.

Obwohl weder sie noch seine Mutter ihm die Details jemals verraten hatten, wusste er, dass sie unter zweifelhaften Umständen Lord Summervilles Mätresse geworden war. Er hatte sich für sie gefreut, als er im vergangenen Herbst vom Tod des Mannes erfuhr, weil sie damit aus der Beziehung freikam.

Wäre er nicht ausgerechnet zu dieser Zeit mit der „Göttlichen Clarissa“ zusammen gewesen, hätte er vermutlich selbst versucht, sich ihr zu nähern.

„Es geht mir gut“, sagte Ellie und erwiderte die Umarmung seiner Mutter. „Ich kann gern im kleinen Salon warten, bis du deine Unterhaltung mit Christopher beendet hast.“

„Unsinn! Er möchte bestimmt auch deine Neuigkeiten erfahren. Nicht wahr, mein Lieber?“

„Sehr gern! Andererseits bin ich derjenige, der unangekündigt hier aufgetaucht ist. Wenn die Damen gern ungestört plaudern möchten, könnte ich gehen.“

„Nein, bitte bleibe hier, Christopher“, sagte Ellie.

Da das nun geregelt war, läutete seine Mutter und bestellte Tee. Dann ging sie Arm in Arm mit ihrer Besucherin zum Sofa. Christopher bot Ellie den Platz an, den er eben noch selbst eingenommen hatte, und sie setzte sich. Ihre dunkle Schönheit war der perfekte Kontrast zur blonden Anmut seiner Mutter.

„Also – was hast du eigentlich getan seit Summervilles Ableben? Du hast dich seitdem völlig aus der Gesellschaft zurückgezogen“, sagte seine Mutter. „Getrauert hast du vermutlich nicht. Wohl eher gefeiert, oder?“

„Ich war … bereit weiterzuziehen“, räumte Ellie ein, aber ihre Miene war undurchdringlich.

„Summerville hat dir doch das hübsche kleine Haus hinterlassen und auch ein festes Jahreseinkommen, nicht wahr?“, fragte seine Mutter. „Warum eröffnest du nicht ein nettes Etablissement, so wie Madame Aurélie? Ich weiß, du hast viele Freundinnen, die nur zu gern für dich arbeiten würden. Die Gentlemen würden in Scharen kommen, nicht wahr, Christopher?“

„Absolut. Es wäre bestimmt ein riesiger Erfolg.“

„Du müsstest dir nie wieder Gedanken über Geld machen“, fuhr seine Mutter fort. „Als unabhängige Frau hättest du die alleinige Kontrolle über deine Finanzen und mehr Freiheit und Sicherheit als jede verheiratete Frau.“

„Aber die Gesellschaft würde mich ablehnen“, wandte Ellie leise ein.

„Das wäre kein großer Verlust“, meinte Lady Vraux achselzuckend. „Ich würde Unabhängigkeit und Kontrolle über mein Geld jederzeit vorziehen. Doch ich nehme an, dass dir diese Option nicht zusagt. Also, was hast du vor? Du willst doch hoffentlich nicht diese Schule für gestrauchelte Frauen eröffnen, die du bei unserer letzten Begegnung erwähntest?“

„Das habe ich bereits getan“, entgegnete Ellie und lächelte seine Mutter entschuldigend an. „Ich hatte bereits lange mit dem Gedanken gespielt. Eine Schule, besonders für Mädchen, die in Freudenhäusern geboren werden, aber ihren Müttern nicht in das Gewerbe nachfolgen wollen. Es ist richtig, dass Kurtisanen auf höchstem Niveau die Freiheiten haben, die du so erstrebenswert findest, aber dieses Ziel erreichen nur wenige. Die meisten der Frauen sind in ihren Kreisen gefangen und schaffen es nie darüber hinaus. Entweder, weil sie keine andere Möglichkeit zum Überleben haben, oder weil ihre Kupplerin oder ihr Zuhälter sie nicht freigibt. Aus diesem Grund war ich so dankbar für Lord Witlows Hilfe, als es um die junge Frau ging, die Ben Tawny im Quill and Gavel die Falle gestellt hatte“, sagte sie und blickte zu Christopher.

„Ben und wir übrigen der Teufelsbrut schulden dir Dank“, erwiderte Christopher. „Ohne deine Detektivarbeit und deine Kenntnis der Halbwelt hätten wir sie nie gefunden. Das wäre das Ende von Bens politischer Karriere gewesen. Wir haben so hart gearbeitet und können es nicht riskieren, eines unserer wichtigsten Mitglieder zu verlieren. Die Reformen stehen kurz davor, endlich durchgeführt zu werden.“

„Ja, ich habe gelesen, dass euer Drittes Reformgesetz das Unterhaus passiert hat. Gratulation!“

Christopher neigte dankend den Kopf. „Jetzt müssen wir es noch durch das Oberhaus bringen. Obwohl einige Peers aufgeschlossen sind, wie zum Beispiel Lady Maggies Vater, gibt es zu viele Querköpfe, die gern alles verzögern würden. Noch ein Grund für uns, dir dankbar zu sein, denn dank dir haben wir Ben immer noch bei uns, der besonders überzeugend wirkt.“

„Ich bin deiner Mama dankbar für ihre Hilfe all die Jahre, darum habe ich gern getan, was ich konnte.“ Sie warf ihm das gewisse süße Lächeln zu, bei dem ihm das Herz aufging. „Die meisten Frauen ihrer Klasse meiden mich wie einen unangenehmen Geruch. Außer Felicia hat sich noch nie eine herabgelassen, mich zu grüßen, geschweige denn, mir ihre Freundschaft anzubieten. Es war wichtig, dass Lord Witlow sich für die Sicherheit dieser Frau verbürgt hat, denn sonst hätte ich sie nicht zur Aussage überreden können. Als Seine Lordschaft sich der Situation bewusst wurde, stellte er Jane unter seinen Schutz. Außerdem hat er in mein Projekt investiert, sodass ich die Schule bereits eröffnen konnte. Ich stehe für immer in seiner Schuld.“

Wir stehen bei euch beiden in der Schuld, denn dank euch konnten wir Bens Namen von dem Makel befreien“, meinte Christopher.

Das Gespräch wurde kurz unterbrochen, als der Butler den Tee brachte. Als alle ihre Tassen in der Hand hielten, wandte sich Christopher wieder an Ellie und fragte: „Wo findet ihr eure Schülerinnen?“

„Eine Prostituierte, deren Kind ein besseres Leben haben soll als sie selbst, kann ihre Tochter zu mir bringen. Manchmal gehe ich auch zu einer Poststation, wo ich Mädchen abfange, die zum Arbeiten in die Stadt kommen, bevor die Kupplerinnen sie mitnehmen.“

Lady Vraux runzelte die Stirn. „Ist das nicht gefährlich? Es gefällt den Kupplerinnen doch sicher nicht, wenn man sie ihrer ‚Schwalben‘ beraubt!“

„Ganz sicher nicht“, bestätigte Ellie. „Als Lord Witlow erfuhr, was ich vorhatte, gab er mir einen kräftigen Mann zur Begleitung mit. Wie sich herausstellte, war es ausgerechnet ein Raufbold aus dem Haus, in dem die wegen Ben gesuchte Frau wohnte. Er war vernarrt in sie. Nachdem Witlow ihr zur Flucht verholfen hatte, verdingte sich der Mann bei mir für eine ehrliche Arbeit, um sie weiterhin sehen zu können.“

„Es ehrt dich, meine Liebe, dass du diese Schule eröffnet hast, aber Edelmut kann auf Dauer ziemlich langweilig werden. Du nimmst dir doch hoffentlich gelegentlich Zeit, dich zu amüsieren … Konzerte … Theater?“

Ellie lächelte matt und schüttelte den Kopf. „Ich gehe nicht mehr oft aus.“

„Damit du nicht von den Gentlemen belästigt wirst, die dich überreden wollen, sie anstelle von Summerville zu nehmen?“, fragte seine Mutter. „Du bist so schön, dass du sicher viele Angebote bekommen hast. Wenn du kein Etablissement eröffnen willst, das dir ein regelmäßiges Einkommen bringt, musst du allerdings einen anderen Weg finden, deine Zukunft zu sichern. Hast du vor, dir einen neuen Protektor zu suchen?“

„Nein“, sagte Ellie kategorisch. Der freudlose Ausdruck, der kurz über ihre Züge huschte, erinnerte Christopher an eine seiner ersten Begegnungen mit ihr. Ein paar Wochen, nachdem er sie kennengelernt hatte, ließ seine Mutter ihn nachts rufen, um sie von einem vulgären Maskenball abzuholen. Ihre eigentliche Eskorte war sinnlos betrunken. Dort traf er Ellie weinend in einem der Nebenräume an. Als sie ihn sah, wischte sie hastig ihre Tränen fort, bestand darauf, alles sei in Ordnung und führte ihn zu seiner Mutter. Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, und ließ es auf sich beruhen. Aber der trostlose Ausdruck in ihrem Gesicht hatte ihn tief berührt.

Er schwieg, da er nicht wusste, was er sagen sollte, doch seine Mutter sprach schon weiter: „Wovon willst du leben, wenn du keinem Gentleman erlaubst, für dich zu sorgen? Du hast das Haus, und Summerville hat dir sicher großzügige Geschenke gemacht, aber selbst, wenn du einen Teil deines Schmucks verkaufst, kannst du damit deine Ausgaben nicht für alle Zeiten decken. Du brauchst Dienstboten, Kerzen, Kohle und Lebensmittel, abgesehen von Kleidern. Es wäre erniedrigend, deine Einsamkeit unter altmodischen Kleidern verstecken zu müssen!“

Ellie lachte. „Ich glaube, ich könnte es aushalten, die Kleider vom letzten Jahr weiter zu tragen. Außerdem war Summerville tatsächlich ziemlich großzügig. Ich habe die jährliche Geldzuweisung und ein paar andere Vermögenswerte. Damit kann ich für längere Zeit unabhängig bleiben, bevor ich mir Gedanken darüber machen muss, wo meine nächste Mahlzeit herkommt.“

„Ich kann auch nicht glauben, dass eine Frau, die so jung und schön ist wie du, ohne … männliche Aufmerksamkeit leben kann.“

Wieder glaubte Christopher einen Schatten von Kummer in Ellies Gesicht zu erkennen, bevor sie sich wieder im Griff hatte. „Ich hatte in den vergangenen Jahren mehr als genug ‚männliche Aufmerksamkeit‘. Und mein schlechter Ruf stört mich nicht. Die Vergangenheit kann ich nicht ungeschehen machen, selbst wenn ich für den Rest meines Lebens so keusch wie eine Nonne lebe. Immer wird mir der Ruf anhaften, eine Mätresse gewesen zu sein.“

„Das geht anderen auch so, meine Liebe“, sagte seine Mutter. „Viele von uns sind in ihrer Ehe gefangen. Du hast wenigstens die Wahl, welchen Weg du in Zukunft einschlagen willst. Diese Freiheit solltest du nicht einfach abtun.“ Ihre Miene hellte sich auf. „Doch genug von diesem ernsten Thema. Ich will dir etwas erzählen, das dich sicher amüsieren wird. Gerade hat Christopher mir angekündigt, dass er sich vermählen will! Ist das nicht das Albernste, was du je gehört hast?“

„Wie schön, dass meine ehrbaren Absichten dich so erheitern“, meinte Christopher trocken, als seine Mutter wieder in vergnügtes Gelächter ausbrach.

„Rede ihm diese törichte Idee aus, Ellie! Du bist ihm schon an genügend anrüchigen Orten begegnet, um zu wissen, dass er nicht geeignet ist, einen anständigen Ehemann abzugeben.“ Sie schüttelte den Kopf. „Er sollte lieber einer ehrbaren Jungfer ein Leben voller Sorgen ersparen und diese Pläne in den Wind schießen.“

Ellie gab der Heiterkeit zwar nicht so ungehemmt nach wie seine Mutter, aber ihre Augen funkelten, als sie ihn anschaute. „Ist es nicht so, Christopher, dass du bisher eher eine Vorliebe für Frauen hattest, die nicht gerade für ihre Tugendhaftigkeit bekannt waren? Und davon ziemlich viele?“

Seine Mutter nickte eifrig. „Ich denke da an diese Sopranistin vom Theatre Royal – hat sie nicht eine Vase nach dir geworfen, Christopher? Du hast die Narbe immer noch am Kinn! Oder die Dirne, die du Harrington direkt unter der Nase weggeschnappt hast. Er drohte dir deswegen mit einem Duell! Und dann noch diese …“

„Oh, bitte, müsst ihr denn alle meine Fehltritte aufzählen?“, protestierte Christopher halb amüsiert, halb beschämt. „Ich gebe zu, dass ich nicht gerade für mein vorbildliches Benehmen bekannt bin, aber jeder kann sich ändern. Nicht wahr, Ellie?“

Statt irgendetwas Schlagfertiges zu erwidern, schaute sie ihn mit ihren wunderschönen großen Augen ernsthaft an. Ihm stockte der Atem, wie immer bei den seltenen Gelegenheiten, da sie ihm ihre volle Aufmerksamkeit schenkte. „Ich weiß es nicht, Christopher. Ich glaube, dass ein Mann sich ändern kann, wenn er es wirklich will.“ Sie lächelte ein wenig. „Anders als eine Frau, kann sogar ein wirklich berüchtigter Mann immer noch den Pfad der Tugend beschreiten.“

War das der Grund für die unbestimmte Traurigkeit, die er in ihrem Gesicht wahrnahm? Sie sah wie eine Lady aus, und so hatte er sie auch immer behandelt, auch als sie Summervilles Mätresse gewesen war. War sie früher ehrbar gewesen und nur durch grausame Umstände ihres guten Rufs beraubt worden? Er nahm sich vor, seine Mutter über Ellies Vergangenheit auszuhorchen.

„Du bist jung genug, um deinen Weg noch zu ändern“, sagte seine Mutter zu ihr. „Wenn du einem unwiderstehlich charmanten Mann begegnest – oder spätestens, wenn dir die Mittel ausgehen.“

Ellie verzog das Gesicht. „Ich hoffe, beides zu vermeiden. Doch jetzt muss ich mich verabschieden. Ich möchte noch zu der Schule fahren und einige Dinge erledigen, bevor Lady Lyndlington mir morgen einen Besuch dort abstattet.“

„Giles’ Gattin Maggie interessiert sich für deine Arbeit?“, fragte Christopher erstaunt.

„Ja. Ich habe zwar nur Lord Witlow erwähnt, aber eigentlich glaube ich, dass es eher seine Tochter Maggie war, die ihn dazu ermunterte. Sie haben gemeinsam der Frau Schutz geboten, die Mr. Tawny beschuldigt hatte. Außerdem unterstützen sie die Schule finanziell. Ein Mann in Lord Witlows Stellung hätte sonst sicher gar nicht gewusst, dass diese Dinge nötig sind.“

Ellie schüttelte lächelnd den Kopf. „Als Lady Lyndlington zum ersten Mal die Schule besuchte, konnte ich kaum glauben, dass ihr Vater ihr erlaubt hatte, mich zu treffen. Oder ihr Gatte, obwohl sie doch in anderen Umständen ist. Sie lachte nur, als ich ihr das sagte, und meinte, da sie einen Radikalen geheiratet habe, werde so eine Kleinigkeit wie gesellschaftliche Ablehnung sie nicht davon abhalten, sich für eine gute und lohnenswerte Sache einzusetzen. Ihre Entschlossenheit und Liebenswürdigkeit erinnern mich an dich, Felicia. Obwohl ich damit nicht andeuten will, dass sie mich als Freundin betrachtet“, fügte Ellie rasch hinzu.

„Du hast einem der engsten Freunde ihres Gatten einen großen Dienst erwiesen. Warum sollte sie nicht deine Freundin sein wollen?“, fragte Christopher.

Eine leichte Röte überzog Ellies schönes Gesicht. „Die Tochter eines Earls und Gemahlin eines Viscounts und Parlamentsmitglieds … Du weißt selbst, dass es unmöglich wäre, Christopher“, fügte sie in ungewöhnlich scharfem Ton hinzu.

„Vielleicht für Lady Maggie“, warf seine Mutter ein. „Sie ist natürlich viel angesehener als ich!“

„Nun, für mich ist es gut, dass du lieber ein bisschen skandalös sein willst!“, sagte Ellie und beugte sich zu Lady Vraux, um sie zu umarmen. „Jetzt muss ich aber gehen.“

„Nochmals vielen Dank für deinen Besuch. Bitte, komm bald wieder! Selbst, wenn du nur um Geld für den guten Zweck bitten willst.“

Ellie lächelte. „Bedenke, was du dir wünschst. Vielleicht komme ich beim nächsten Mal wirklich, um zu betteln!“ Sie wandte sich zu Christopher. „Es war wunderbar, dich wiederzusehen, Christopher. Viel Glück für das Reformgesetz und dein anderes Projekt. Auch wenn deine Mutter anderer Meinung ist, glaube ich, dass du dein Leben erfolgreich ändern kannst, wenn du es wirklich willst. Aber wähle deine Gemahlin sorgfältig aus.“

Sie knickste vor ihm, er verneigte sich. Auf ihrem Weg zur Tür konnte Christopher den Blick nicht von ihr losreißen.

Er schaute wieder zu seiner Mutter und stellte fest, dass sie ihn nachdenklich anschaute. Er goss sich eine weitere Tasse Tee ein, damit sie nicht sah, dass er errötete.

Doch sie neckte ihn nicht wegen seiner offensichtlichen Bewunderung für Ellie, sondern machte ein ernstes Gesicht. „Ich mache mir Sorgen um Ellie, Christopher“, sagte sie unerwartet. „Sie kann nicht mehr genug Schmuck und Geld aus dem Leben mit Summerville haben, um damit für immer versorgt zu sein. Und obwohl ich eigentlich eine Abneigung gegen die Ehe habe, bietet ein Ehemann – selbst ein häufig abwesender – doch einen gewissen Schutz. Skrupellose Männer nutzen eine Frau nicht so schamlos aus, wenn sie sich vor einem Mann für ihr Benehmen rechtfertigen müssen. Da Summerville nicht mehr da ist, hat Ellie niemanden mehr. Und sie ist viel zu schön, um keinen Verteidiger zu brauchen.“

Sofort wurde der Beschützer in Christopher geweckt. Er wusste, viele Männer sahen eine Frau in Ellies Lage als Freiwild an. „Hast du etwas Bestimmtes im Sinn, wenn du von ‚Ausnutzen‘ sprichst?“

„Nach Summervilles Tod ist sie sofort aus der Öffentlichkeit verschwunden, darum weiß ich es nicht sicher. Doch Viscount Mountgarcy und Sir Ralph Simonton sind seit Jahren hinter ihr her, und sie sind genauso zügellos, wie Summerville es war. Die beiden haben nichts anderes im Kopf als Frauen und Wetten, seit sie die Universität verließen. Beide haben viel Geld und einen hohen Rang. Ich könnte mir vorstellen, dass keiner von ihnen Ellies Ablehnung für bare Münze nimmt.“

Christopher runzelte die Stirn. Seine Mutter hatte recht. Die beiden Männer würden sicher nicht glauben, dass die ehemalige Mätresse eines Lord Summerville so ein Angebot ernsthaft ablehnen könnte. Es wäre für sie eher der Ansporn, untereinander um die besseren Bedingungen zu konkurrieren. „Ich behalte sie im Auge. Möchte nicht, dass einer der Wüstlinge sie in die Finger kriegt.“

Wieder schaute seine Mutter ihn nachdenklich an. „Vielleicht könntest du sogar noch mehr tun. Du bist ihr nicht gleichgültig, Christopher, und du findest sie doch auch anziehend. Noch besser – du magst sie sogar gern. Wenn du ihr genug Spielraum bieten würdest, bin ich fast sicher, dass sie dich akzeptieren würde. Das wäre doch auch für dich ein viel besseres Arrangement als eine Ehe mit einer verkniffenen Jungfer.“

Er – Ellies Beschützer? Bei diesem Gedanken verspürte er sofort heißes Verlangen. In all seinen vielen Liebesbeziehungen hatte er noch nie eine andere Frau kennengelernt, die ihn körperlich so sehr angezogen hätte wie sie. Er konnte sich sehr gut vorstellen, dass sie ein außergewöhnliches Liebesverhältnis haben würden. Und wie seine Mutter gesagt hatte – sie waren bereits Freunde. Er war gern in ihrer Nähe und genoss ihren gesunden Menschenverstand, aber auch ihre intelligenten Bemerkungen und ihre ruhige Art, die so oft der genaue Gegensatz zu der seiner emotionalen und flatterhaften Mutter war.

Sie zu beschützen, wäre sicher ein Privileg.

Doch würde eine Mätresse seiner Karriere nicht förderlich sein und ihm auch nicht bei seinen verheirateten Freunden weiterhelfen. Es würde ihn eher noch mehr von ihnen entfernen.

Um diese beiden Ziele zu erreichen, brauchte er tatsächlich eine Ehefrau. Er unterdrückte einen Seufzer. Er musste sich nur selbst gut zureden, bis ihm die Idee besser gefiel. Das würde ihm irgendwann gelingen, wenn er es nur lange genug versuchte.

„Ich bewundere Ellie und finde sie wirklich sehr begehrenswert. Aber ich glaube, es ist Zeit für mich, die kurzzeitigen Beziehungen hinter mir zu lassen und mir eine bleibende Gefährtin zu suchen.“

Konnte er Ellie als Geliebte nehmen – und sie dann verlassen? Wenn sie seine Geliebte wurde und sie sich später trennten, konnte er sie dann als Freundin behalten?

„Also willst du, dass Ellie sich allein durchschlägt?“ Die Stimme seiner Mutter rüttelte ihn aus seinen Träumen auf. „Weil eine Frau, die nicht keusch und sittsam ist, alles verdient, was ihr zustößt?“

„Natürlich nicht.“ Er fühlte sich getroffen. „Wie kannst du mir so etwas vorwerfen? Jede Frau, mit der ich je zusammen war, habe ich höflich und respektvoll behandelt. Das weißt du genau! Nur, weil ich Ellie kein Angebot machen will, heißt es nicht, dass ich nicht um ihr Wohlergehen besorgt bin. Ich bin nicht so eng mit ihr befreundet wie du, aber ich betrachte sie dennoch als meine Freundin. Ich sorge dafür, dass ihr nichts geschieht.“

„Und wie willst du das tun, ohne sie unter deine Protektion zu stellen?“

„Wir sind Freunde. Ich kann bei ihrer Schule vorbeischauen und sie zu Hause besuchen.“ Er lächelte seine Mutter an. „Es ist möglich für Mann und Frau, nur befreundet zu sein.“

„Vielleicht, wenn der Mann ein Eunuch und die Frau eine sauertöpfische Jungfer ist.“ Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. „Aber ich höre jetzt auf, bevor du mich wirklich verärgerst. Versprich mir nur, dass du über Ellie wachst, dann bedränge ich dich nicht länger. Obwohl ich immer noch finde, dass dein Wunsch nach einer Heirat ein Fehler ist.“

„Das verspreche ich dir gern.“ Er erhob sich. „Ich muss auch gehen. Aber um dir zu beweisen, wie ernst ich es meine, werde ich schon heute Nachmittag bei Ellies Schule vorbeischauen. Ich sehe mir an, wie alles läuft, und vergewissere mich, dass der ehemalige Raufbold sie gut bewacht. Ich halte auch meine Augen und Ohren offen, wenn ich in den Klubs bin. Wenn jemand üble Absichten mit ihr hat, schreite ich sofort ein.“

Seine Mutter machte den Mund auf und klappte ihn wieder zu. „Ich werde nicht noch einmal fragen, wie du das bewerkstelligen willst, ohne offiziell mit ihr zusammen zu sein. Aber ich mache dich verantwortlich, wenn ihr irgendetwas passiert.“

„Nicht mehr als ich selbst“, erwiderte er. „Ich bemühe mich um meine Freunde, Mama, auch um die weiblichen.“

„Dann sieh zu, dass es von Erfolg gekrönt ist. Nun fort mit dir. Sicher wartet irgendeine unendlich langweilige Komiteesitzung auf dich.“

Christopher lachte leise, küsste seine Mutter auf die Stirn und ging.

Autor

Julia Justiss
Julia Justiss wuchs in der Nähe der in der Kolonialzeit gegründeten Stadt Annapolis im US-Bundesstaat Maryland auf. Das geschichtliche Flair und die Nähe des Meeres waren verantwortlich für zwei ihrer lebenslangen Leidenschaften: Seeleute und Geschichte! Bereits im Alter von zwölf Jahren zeigte sie interessierten Touristen das historische Annapolis, das für...
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