Die Lady und der Wüstenprinz

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Wie ein Prinz aus 1001 Nacht sieht Scheich Kadar aus! Bebend tritt Lady Constance Montgomery dem attraktiven Herrscher in seiner prunkvollen Marmorhalle entgegen. Aufgrund eines Unglücks ist sie an den Gestaden seines Königreichs gestrandet. So schnell wie möglich müsste sie das nächste Schiff nach Indien nehmen, wo ihr unbekannter Verlobter auf sie wartet. Doch unter Kadars sinnlichem Blick spürt Constance ein pikantes Verlangen. Und der betörende, wenn auch skandalöse Vorschlag des stolzen Wüstenprinzen führt die junge Schönheit in nie gekannte Versuchung …


  • Erscheinungstag 27.06.2017
  • Bandnummer 577
  • ISBN / Artikelnummer 9783733768010
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Königreich Murimon, Arabien – Mai 1815

Das Sonnenlicht begann gerade zu verblassen, als Kadar das Ziel seiner Reise erreichte. Er führte seine bescheidene Karawane, die lediglich aus dem Kamel, auf dem er saß, und zwei bepackten Maultieren bestand, durch die breite Talebene, in der Murimons größte Oasen die Felder und Obstgärten tränkten. Die dicht nebeneinander wachsenden Dattelpalmen mit ihren reifenden Früchten schützten sie vor der erbitterten Hitze der Wüstensonne. Hoch über ihnen emporragend, schenkten ihnen die schroffen Felswände der Berge Murimons, die er gerade überquert hatte, weiteren Schutz. Die silbergrauen Felsen glitzerten in der Sonne wie Ocker, Gold und Bernstein.

Die kleine Stadt, die die Oase versorgte, war an den Ausläufern dieser Berge gebaut – ein abschüssiger Wirrwarr von Häusern und Dächern, die sich unsicher an den Hang klammerten, um jedes kostbare Stückchen ebenen Landes für den notwendigen Anbau freizulassen. Das köstliche Aroma von gebratenem Ziegenfleisch wehte auf einer sanften Brise zu ihm herüber, ebenso wie gedämpftes Stimmengemurmel. Es war kaum wahrscheinlich, dass er erkannt werden würde. Dafür würde schon sein erst kürzlich beendetes, selbst auferlegtes, sieben Jahre langes Exil sorgen, ebenso wie der allgemeine Zustand der tiefen Trauer, die im Königreich herrschte. Dennoch wendete er den Blick ab und führte sein Kamel und die Maultiere an der Stadt vorbei und auf den letzten Bergpass zu, den er noch überwinden musste. Dabei hatte er die Kufiya, das traditionelle Kopftuch, weit ins Gesicht gezogen, sodass nur die Augen frei blieben.

Sein Bruder hätte nie auch nur in Betracht gezogen, auf eine solch unauffällige Weise zu reisen. Butrus wäre in königlicher Pracht geritten und am Kopf einer Karawane ebenso prachtvollen Ausmaßes, dazu gedacht, allen seine Erhabenheit kundzutun. Seine Untertanen sollten dazu ermutigt werden, ihrem Führer Ehre zu erweisen, ihn zu bestaunen und zu verehren und sich im üppigen Glanz seiner fürstlichen Persönlichkeit zu sonnen. Butrus jedoch war tot. Er, Kadar, war jetzt Prinz von Murimon. Und ein solcher Pomp verursachte ihm Unbehagen, wenn er auch allmählich erkannte, dass seine persönlichen Ansichten sich recht oft von denen seiner Untertanen unterschieden und von dem, was sie von ihm erwarteten.

Drei kurze Monate regierte Kadar jetzt, und die ganze Bandbreite und Last seiner Verantwortung waren ihm während dieser Zeit immer klarer geworden. Eine Verantwortung, die er niemals gezwungen gewesen wäre anzunehmen, wenn das Schicksal sich nicht so grausam gewendet hätte. Er war aus seinem Exil zurückgekehrt, um als geehrter Gast an der Hochzeit seines Bruders teilzunehmen. Stattdessen hatte er zur Beerdigung seines Bruders gehen müssen. Kadars Bereich war jetzt nicht mehr die Palastbibliothek, in der er mehr oder weniger gelebt hatte, als er hier aufgewachsen war, sondern das gesamte Reich. Menschen, nicht Bücher, waren jetzt sein täglich Brot. Statt zu studieren und sich mit den komplexen Gesetzen sowohl der antiken, als auch der modernen Welt zu beschäftigen, oblag nun ihm als Herrscher Murimons persönlich die Rechtsprechung in seinem Reich.

Nachdem er den schmalen Pass hinter sich gelassen hatte und auf dem Plateau angekommen war, brachte er sein Kamel zum Stehen. Unter ihm lag der Palast, dessen großzügig angelegter Hof bereits beleuchtet wurde. Unzählige Laternen hingen in den vielen Palmen, die in zwei Reihen von fast militärischer Genauigkeit bis zur Eingangspforte des Palastes führten. Der gewundene Weg, der sich die Klippen hinab bis zum Hafen entlangwand, wurde ebenfalls von Lampen erleuchtet, die wie Sterne, die die Abenddämmerung begrüßten, im schwächer werdenden Licht aufblinkten. Dahinter konnte man die zwei Arme des Hafens erblicken, den dunklen Schatten der Schiffe und den weit ausholenden Bogen des Arabischen Meeres.

Die Sonne ging am Horizont unter, eine goldene Kugel, prächtig umgeben von Blutrot, Scharlach und Dunkelrosa. Das rhythmische Rauschen der Wellen gegen die Küste hörte sich an wie ein geflüstertes Wiegenlied. Es war dieses Meer, das ihm in all den Jahren gefehlt hatte. Kein anderes war so strahlend blau und parfümierte die Luft mit dieser einzigartigen Mischung aus Salz und Hitze. Kadar atmete mehrere Male tief ein. Das Ergebnis der kurzen Reise zu einem nachbarlichen Königreich, die er gerade hinter sich hatte, sein erster offizieller Staatsbesuch, hatte ihn ein für alle Mal verändert. Jetzt zwang er sich zu akzeptieren, dass seine eigenen Wünsche und Begierden nicht mehr von Bedeutung waren. Er war zuerst ein Prinz und erst dann ein Mensch und Mann. Sein ungewolltes Erbe hatte jetzt vor allem anderen Vorrang. Kadar konnte sich zwar damit abfinden, das Königreich zu übernehmen, das er schon immer geliebt hatte. Aber was die Fremde anging, die er als Braut sozusagen geerbt hatte …

Nein! Alles in ihm begehrte dagegen auf. Echos aus der Vergangenheit, dunkle, schmerzliche Erinnerungen, denen zu entkommen er versucht hatte, als er um die halbe Welt gereist war, besaßen noch immer die Macht, ihm das Herz zu zerreißen. Er konnte es nicht ertragen. Und doch musste er …

Er durfte keine Vergleiche ziehen zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit. Und auf keinen Fall durfte er bei den Ähnlichkeiten verweilen, sondern musste sich auf die Unterschiede konzentrieren. Außerdem hatte diese bestimmte Frau ihre Gleichgültigkeit ihm gegenüber nur allzu deutlich gemacht – ein Gefühl übrigens, das er trotz ihrer eindrucksvollen Schönheit vollkommen erwiderte. Das sollte eigentlich alles vereinfachen. Und es gab auch keinen Grund, etwa Gefühle vorzutäuschen, die er nun einmal nicht fähig war zu empfinden. Weder jetzt noch sonst irgendwann wieder.

Das sollte es vereinfachen, und dennoch konnte er sich einfach nicht dazu durchringen, sich mit diesem leidenschaftslosen Kontrakt abzufinden. Aber er musste sich wappnen. Er musste daran denken, dass sein Volk diese Hochzeit brauchte. Auf diese Weise würde er das Andenken seines Bruders ehren, indem er Butrus’ Vision einer neuen königlichen Dynastie und eines Erben erfüllte. Noch wichtiger war Kadar jedoch die Aussicht auf eine großzügige Mitgift, mit der er Murimon verwandeln würde, es in das neunzehnte Jahrhundert versetzen und seinem Volk eine goldene Zukunft sichern würde.

Ja, das konnte er tun. Es war ein enormes persönliches Opfer, das sich jedoch auf lange Sicht mehr als lohnen würde.

Arabisches Meer – drei Wochen früher

Das Unwetter braute sich bereits seit einer Weile unheilvoll am Horizont zusammen. Lady Constance Montgomery stand an ihrem gewohnten Platz an Deck des Ostindien-Segelschiffs Kent und beobachtete, wie die grauen Wolken sich sammelten und zu vermehren schienen, als wären sie einer unhörbaren Aufforderung gefolgt.

Sie befanden sich nun bereits seit neun Wochen auf See. Captain Cobb glaubte, sie würden noch weitere drei Wochen brauchen, um Bombay zu erreichen. Nur noch drei Wochen, bis Constance zum ersten Mal dem Ostindien-Händler begegnen würde, der ihr Mann werden sollte. So sehr sie sich auch bemühte, es wollte ihr einfach nicht gelingen, die Übelkeit zu unterdrücken, die sie jedes Mal überkam, wenn sie an die Verpflichtung dachte, die sie um die halbe Welt hatte reisen lassen.

Constance hatte sich gegen diese Heirat gewehrt, die für jeden außer ihr selbst so viele Vorteile zu bringen schien. Sie hatte argumentiert, sie hatte sich in ihrer Verzweiflung jede Menge anderer Alternativen einfallen lassen. Und zu ihrer Schande hatte sie am Ende sogar Zuflucht zu Tränen genommen. Aber nachdem all ihre Kriegslisten versagt hatten, und als ihr klar geworden war, dass ihr Schicksal endgültig besiegelt war, hatte sie sich gefügt. Beim Betreten der Kent hatte sie jedoch eher das Gefühl gehabt, gleich von einer Klippe zu springen, und das Gefühl war so lebendig gewesen, dass sie unwillkürlich die Augen zusammengekniffen hatte, um die Erde nicht auf sich zurasen zu sehen. Doch die Erde, also die arrangierte Ehe mit dem reichen Händler, raste zwar nicht auf sie zu, kam aber dennoch unaufhaltsam näher, während der Ostindienfahrer den Ozean mithilfe der launischen Winde überquerte und Bombay in immer greifbarere Nähe rückte. Constance graute inzwischen vor der Ankunft. Diese Ehe – eigentlich jede Ehe – ging vollkommen gegen ihre Neigungen.

Ach, herrje! Sie hatte sich doch geschworen, nie wieder über alles nachzugrübeln. Der Vertrag war abgeschlossen – denn diese sogenannte Heirat war nicht viel mehr als ein Geschäftsabkommen. Die enorme Summe Geldes, die Papa gebraucht hatte, um die Güter zu retten, war pünktlich von Mr. Gilmour Edgbaston geschickt worden. Die Ware in Form von Constance musste nun also ebenfalls geliefert werden. Es hat keinen Zweck, dass du ständig dein Schicksal beklagst, sagte sich die wohl teuerste „Ware“ auf diesem Schiff. Dir bleibt nur noch, das Beste daraus zu machen.

Ein ausgezeichneter Vorsatz, den sie sich fest vorgenommen hatte, bevor die Reise begann. Aber da war sie auch noch von Mamas glücklichem Lachen und deren zuversichtlicher Behauptung gestärkt worden, dass sie das einzig Richtige tue. Doch jetzt, so weit von daheim entfernt, und mit viel zu viel Zeit zu ihrer Verfügung, in der sie sich die Endgültigkeit ihrer Situation deutlich machen konnte, war Constance sich gar nicht mehr so sicher, dass Mamas schlichte Philosophie, Geld sei die Quelle allen Glücks, auch wirklich stimmte. Nicht, dass sie je so etwas geglaubt hätte. Sie hatte nur ganz einfach nicht die Wahl gehabt, sich anders zu entscheiden. Und Papa hatte Mama gezwungen, von ihrer Tochter dieses höchste Opfer zu verlangen.

Es tat jedoch sehr weh, dass Mama sich auf Papas Seite gestellt hatte. Sehr viel mehr, als Constance sich selbst eingestehen mochte. Also tat sie ihr Bestes, nicht weiter darüber nachzudenken – und meistens schaffte sie es auch. Nur dass sie jetzt schon wieder dabei war, sich den Kopf zu zerbrechen, obwohl sie nichts mehr am Verlauf der Dinge ändern konnte. Ihr blieben noch drei Wochen auf See – die letzten drei Wochen in Freiheit, in denen sie die atemberaubenden Gelegenheiten zur Sternbeobachtung nutzen konnte, die die lange Seereise ihr eröffnet hatte. Denn hier befand sie sich unter einem unvertrauten Himmel und hatte den Äquator zur südlichen Hemisphäre überquert, bevor sie nun im letzten Teil der Reise wieder in die nördliche zurückkehrte.

Zwar war es zweifelhaft, dass sie heute etwas Außergewöhnliches durch ihr Teleskop sehen würde. Die Wolken waren zu einer einzigen trüben zinnfarbenen Masse verschmolzen. Um sie herum kämpfte die Mannschaft mit der Takelage. Das eben noch ruhige Tiefblau des Arabischen Meeres mit den kristallklaren Wellen schien sich ebenso wie die Wolken in eine einzige schäumende Masse zu verwandeln, in eine finstere See, die sich drohend aufbäumte und die Kent hoch über den Horizont emporragen ließ, bevor sie sie wieder abrupt herabzerrte in die tiefsten Tiefen der Woge.

Constance zog sich in den Windschatten des Hauptmasts in der Mitte des Schiffs zurück, doch die Gischt schlug ihr ins Gesicht und durchnässte ihr Reisekleid. Über ihr im Mastkorb gab einer der Matrosen der Mannschaft verzweifelt Zeichen.

„Gehen Sie besser unter Deck, Mylady“, forderte einer der Schiffsoffiziere sie auf. „Wir werden auf den Schutz der Küste zuhalten, aber ich bin nicht sicher, dass wir dem Sturm entkommen können. Es wird ein wenig rau werden hier oben.“

„Ein wenig?“ Constance musste lachen, obwohl die Kent sich gerade gebärdete wie ein wütender Hengst. „Das klingt mir eher nach einer schamlosen Untertreibung.“

„Ja, also gehen Sie besser unverzüglich nach unten. Falls Sie dachten, der Golf von Biskaya sei bereits rau gewesen, versichere ich Ihnen, dass es nichts war im Vergleich zu dem, was jetzt auf uns zukommt. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen.“

Das Schiff neigte sich wieder zur Seite. Der Mast knarrte beunruhigend laut. Barfüßige Matrosen klammerten sich hartnäckig an alles, was ihnen auf dem nassen Deck Halt geben konnte, während sie versuchten, den riesigen Dreimaster in Sicherheit zu steuern. Mehrere Soldaten des 31. Infanterieregiments, auf dem Weg zu einer Stellung in Indien, halfen ihnen dabei und sahen aber im Vergleich zu den erfahrenen Seemännern entschieden unsicherer aus. Constance war der einzige Passagier, der sich noch an Deck aufhielt. Die Frauen und Kinder der Soldaten und die zwanzig übrigen Passagiere befanden sich alle sicher und trocken unter Deck – einschließlich Mrs. Peacock, die Frau, die Papa bezahlt hatte, damit sie den kostbaren Ruf seiner Tochter während der Reise schützen konnte.

Constance sagte sich, dass es gewiss besser wäre, wenn sie sich zu ihnen gesellte. Allmählich wurde es hier heimtückisch, aber es war ebenfalls unglaublich aufregend. Hier bekam sie eine Ahnung von wahrer Freiheit. Constance fand eine sicherere Stelle unter dem Hauptmast, wo die Mannschaft sie nicht sehen konnte. Obwohl ihr Magen bei jedem Schlingern des Schiffes protestierte, hatte sie doch schon zu Beginn der Reise festgestellt, dass sie nicht den Hang dazu hatte, seekrank zu werden. Die Gischt, salzig und stechend, ließ ihre Haut brennen. Constances Haar löste sich aus der eher achtlos hochgesteckten Frisur, wurde ihr gegen die Wangen gepeitscht und wehte wild im Wind, der jetzt stärker geworden war und pfeifend durch das Tauwerk toste, dass die Segel krachten. Auch das Schiff beschwerte sich über den Sturm. Die Schiffsplanken stießen ein fast menschlich anmutendes Stöhnen aus, während sie sich gegen Nägel und Fugenmasse stemmten, die sie zusammenhielten.

Die Gischt war zu einem dichten Nebel geworden, durch den Constance nur undeutlich die Umrisse der hin und her eilenden Seemänner ausmachen konnte. Heftig neigte das Schiff sich wieder nach Backbord und stieß Constance aus ihrem Versteck hinaus, sodass sie hilflos über das Deck rutschte und sich nur retten konnte, als ihre verzweifelt um sich tastenden Hände ein Seil zu fassen bekamen. Erschreckend hohe Wellen schlugen auf Deck auf. Außer sich vor Angst klammerte Constance sich an ihr Seil und war sich nur undeutlich der anderen Gestalten bewusst, die von der Gewalt des Sturms hin und her geschleudert wurden. Wieder schlingerte das Schiff, diesmal nach Steuerbord. Männer schrien voller Angst auf. Unter Deck hörte man kreischende Frauenstimmen.

Als die Kent sich ein weiteres Mal gefährlich tief zur Seite neigte, glaubte Constance nicht, dass sie sich wieder aufrichten würde. Wie durch ein Wunder kam sie dennoch wieder hoch. Doch dann erfüllte ein brüllendes Geräusch die Luft, als der Kreuzmast sich vom Deck löste.

Chaos folgte. Schreie. Zerreißende Segel. Zerberstendes Holz. Die heiseren, verzweifelten Schreie der Seemänner, die versuchten, ihr Schiff, ihre Passagiere und sich selbst zu retten. Das dumpfe Geräusch von hastenden Schritten an Deck. Und über allem das Brüllen und Krachen des Meeres, das um die Vorherrschaft kämpfte.

Es war kein leichter Kampf. Doch die Kent war für solche Stürme gebaut, und der Kapitän ein erfahrener Mann. Taumelnd wie ein Betrunkener, holperte das Schiff vorwärts in die ruhigeren Gewässer der Arabischen Küste. Frauen und Kinder kletterten auf allen vieren von unten herauf und klammerten sich an die Überreste des gefallenen Mastes, an die Takelage, die zerfetzten Segel und aneinander.

Constance war gegen den Vormast geschleudert worden, ihre Röcke hatten sich in das Seil verwickelt, und sie konnte nur hilflos und stumm vor Entsetzen alles mit ansehen, erstarrt vor Furcht und gleichzeitig wild entschlossen zu leben. Diese Entschlossenheit war unbeschreiblich belebend und der Beweis dafür, dass ihr Mut nicht gebrochen und sie alles andere als gezähmt war.

Sie würde sich nicht gestatten zu sterben. Mit erneuter Tatkraft hielt sie sich fest, und mit frischer Wucht hob und senkte sich das Schiff und schlingerte dabei so heftig, dass selbst Constance übel wurde. Doch endlich kam Land in Sicht und damit das Versprechen auf Sicherheit.

Unwillkürlich lockerte Constance ihren schmerzhaften Griff um das Seil, als plötzlich der Hauptmast herabkrachte und den Vormast mit sich riss. Die Kent wälzte sich wieder nach Steuerbord und schleuderte Constance über Bord – zuerst flog sie hoch in die Luft, bevor sie kopfüber in das Arabische Meer stürzte.

Königreich von Murimon, Arabien

Seit etwa drei Wochen hatte sie bereits in diesem entlegenen arabischen Fischerdorf festgesessen, bevor endlich die hiesigen Behörden doch noch zu ihr kamen. Constance sah von der Küste aus zu, als die große Dhau an der Einbuchtung festmachte, die als Hafen diente. Neben ihr erschienen die kleinen Fischerboote des Dorfes zwergenhaft. Der lackierte und kunstvoll goldverzierte, schmale Rumpf glänzte eindrucksvoll. Achtern befand sich eine überdachte Kabine, der Rest des Decks wurde von einer großen Plane gegen die Sonne abgeschirmt. Das Segel war scharlachrot.

Die Dorfbewohner versammelten sich um Constance. Sie wussten ebenso gut, dass die Ankunft dieses Bootes ihre baldige Abreise ankündigte. Constance wollte nicht fort, obwohl ihr klar war, dass es sich nicht verhindern ließ. Es war nicht möglich, dass sie länger hierblieb, in einer ewigen beruhigenden Flaute. Das Meer hatte für eine kurze Weile all ihre Verantwortung fortgespült, aber die Zukunft, die sie so fürchtete, rückte drohend am Horizont näher. Dieses elegante Schiff würde der erste Schritt zu der Reise sein, die sie antreten musste, so sehr es ihr auch widerstrebte.

Bashir, der Dorfälteste, in dessen Haus man sich rührend gut um sie gekümmert hatte, begrüßte den Mann, der vom Boot sprang, noch bevor es richtig angelegt hatte. Es war ein hochgewachsener, drahtiger Mann mit durchdringenden nussbraunen Augen, buschigen Augenbrauen und einem spitz zugeschnittenen Bart. Seine knochigen Hände waren tadellos gepflegt. Das verkniffene Gesicht und die schmerzliche Miene standen im Gegensatz zu der kostbar aussehenden Kleidung. Er verzog leicht das Gesicht, während er eine Pergamentrolle hervorholte und mit Schwung aufrollte. „Lady Constance Montgomery?“

Ihr Name klang seltsam, wenn er mit einem arabischen Akzent ausgesprochen wurde, aber es war eindeutig ihr Name. Mit sinkendem Mut trat Constance vor und knickste unbehaglich. Die Wunde an ihrem Kopf begann zu pochen. Eine der Frauen hatte erst diesen Morgen die winzigen Nähte entfernt. Die Haut fühlte sich an, als ob sie spannen würde, doch der stechende Schmerz hinter ihren Augen hatte lange vorher schon nachgelassen und die Kopfschmerzen waren fast vorbei.

„Willkommen im Königreich Murimon. Sie kommen mit mir.“

Es war ein Befehl, keine Bitte. Constance blieb gerade Zeit, schnell, wenn auch recht tränenreich, Abschied zu nehmen, während der Amtsträger Bashir beiseitenahm. Einige Minuten später ergriff sie die Hände des Ältesten und brachte ihren tiefen Dank, so gut sie konnte, zum Ausdruck. Und schon wurde sie auf die Dhau geführt.

Sie verbrachte die Reise zusammengekauert in der Kabine, zu ihrer eigenen Überraschung von plötzlicher Furcht gepackt. Es war lächerlich von ihr, denn das Meer war völlig still, der Himmel blau und der Wind ein sanfter Zephyr. Doch als sie das Deck mit ihren bloßen Füßen betreten und das kaum merkliche Schwanken des Bootes gespürt hatte, war ihr der Angstschweiß ausgebrochen. Plötzlich füllten wieder das Brausen der Wellen, das Krachen der Masten und die Schreie der Passagiere auf der Kent ihre Ohren. Glücklicherweise schien es dem Mann, der sie während der Reise begleiten sollte, nicht schwerzufallen, sie allein zu lassen, ob jedoch aus Gründen der Schicklichkeit oder weil ihre Anwesenheit ihn verärgerte, konnte Constance nicht sagen.

Die Sonne ging unter, als sie den Hafen erreichten. Constance stolperte von der Dhau herunter und in eine überdachte Sänfte. Nichts kümmerte sie außer der Tatsache, dass sie endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Die Sänftenträger entfernten sich rasch vom Hafen. Während Constance die Augen schloss, um sich zu sammeln, wurde ihr bewusst, dass sie emporstiegen, aber sehr viel mehr als das nicht. In einem riesigen, von einer Mauer umgebenden Hof setzte man sie schließlich ab, und sie blinzelte in das Licht von wohl tausend Kerzen, wie ihr schien. Doch der eifrige Amtsträger winkte sie bereits ungeduldig weiter, ohne ihr eine andere Wahl zu lassen, als ihm schnell zu folgen.

Sie trottete also gehorsam hinter ihm her über glatt polierte Böden endlos langer Gänge, während sie sich vorzustellen versuchte, wie sie aussehen mochte mit ihrer von der Sonne verbrannten Haut, der schmerzenden Wunde auf der Stirn, den nackten Füßen und dem rauen braunen Kaftan, den sie trug und der für zwei Frauen ihrer Größe weit genug gewesen wäre.

Als sie an eine massive Flügeltür kamen, vor der ein massiger Wächter mit einem riesigen Krummsäbel in der Hand stand, begann ihr plötzlich ihre Situation bewusst zu werden. Sie befand sich in einem fremden Land, ganz allein und völlig der Gnade desjenigen ausgeliefert, der auf der anderen Seite dieser Tür auf sie wartete. Captain Cobb? Sie vermutete, dass es auch andere Überlebende des Schiffsuntergangs gegeben hatte. Es wäre fürchterlich gewesen, auch nur daran zu denken, dass sechshundert Seelen verloren sein könnten und nur sie selbst nicht. Oder erwartete sie ein Gefängniswärter? Ein Eunuch? Sie wurde blass.

Constance zupfte den geliehenen Kaftan zurecht, damit er ihre nackten Füße bedeckte, und schob sich das unordentliche Haar aus dem Gesicht. Ihr Herz klopfte schnell, ihre Beine zitterten. Ihr Magen krampfte sich ängstlich zusammen, als im nächsten Moment die Tür aufgerissen wurde.

2. KAPITEL

Constance fand sich in einem enormen Raum mit hoher, gewölbter Decke wieder, der von drei Lüstern und ihren Hunderten von Kerzen so hell erleuchtet wurde, dass sie Constance blendeten. An der Tür neben ihr standen zwei identische Statuen Wache – eine Art mythischer Säbelzahntiger, die aussahen, als wären sie kurz davor, sich auf sie zu stürzen und sie zu verschlingen. Constance erschauderte.

Am anderen Ende des Raums befand sich ein Mann und blickte aus einer Reihe hoher Fenster in die Dunkelheit hinaus. Er war von Kopf bis Fuß in weiße Seidenroben gekleidet und trug darüber einen mit goldenen Fäden durchzogenen Umhang. Hochgewachsen und schlank, vermittelte er dennoch den Eindruck verborgener Kraft, den auch seine breiten Schultern nur unterstrichen.

„Lady Constance Montgomery“, verkündete der Amtsträger und gab ihr einen leichten Schubs. „Seine Königliche Hoheit, Prinz Kadar von Murimon.“

Die schweren Holztüren wurden laut widerhallend hinter ihr geschlossen, der Prinz drehte sich um. Constances Herz setzte einen Schlag aus, ihr Mund wurde trocken und ein heißes Verlangen durchfuhr sie, das sie selbst völlig in Erstaunen versetzte.

Er war jung, nicht älter als dreißig, hatte eine hohe Stirn, ein markantes Gesicht und eine kräftige, gerade Nase. Seine Züge wirkten ernst, und er war nicht wirklich gut aussehend im herkömmlichen Sinne, im Grunde sogar eher ein wenig Furcht einflößend unter seinem Turban. Doch gewiss war er kein Mann, der seine königlichen Gewänder nötig hatte, um seine natürliche Autorität zu unterstreichen. Die drückte sich schon in seiner Haltung aus, in dem stolzen Ausdruck und jenen bemerkenswerten Augen, die mandelförmig waren und eine wirklich seltsame Farbe aufwiesen – weder grau noch grün. Wie alle Männer dieses Landes trug auch er einen Bart, doch seiner war sehr kurz gestutzt, kaum mehr als ein dunkler Schatten, der die Aufmerksamkeit auf die glattrasierten Wangen und den beunruhigend sinnlichen Mund lenkte. Constance spürte, wie ihr unter ihrem bäuerlichen Kaftan ganz heiß wurde. Diese Lippen waren wirklich sündhaft.

„Lady Constance.“

Erschrocken zuckte sie zusammen und versank in einen tiefen Knicks. Sie hatte den Prinz angestarrt wie ein hungriger Wolf. Da sie zu Boden blickte, spürte sie mehr die geschmeidige Anmut, mit der er den Raum durchquerte, als dass sie sie sah. An den Füßen trug er schwarze, mit Gold bestickte Schuhe, und seine Robe umspielte seine langen Beine. Lieber Himmel, sie sollte wirklich nicht seine Beine anstarren! Hastig hob sie den Blick. Schmale Hüften. Die sollte sie auch nicht betrachten. Um die Taille hatte er einen goldziselierten Gürtel geschlungen, in dessen Mitte ein enormer Edelstein rot aufleuchtete – wie ein Diamant, in dem ein Feuer brannte.

„Bitte, erheben Sie sich.“

Seine Stimme klang heiser und ließ Constance abermals erschauern. Liebe Güte, Constance, reiß dich zusammen! Die Hand, die er ihr hinhielt, war schlank, die langen Finger wie die eines Künstlers, die Nägel gepflegt. Seine Haut fühlte sich kühl an. Zutiefst beschämt machte Constance sich klar, dass ihre Hände klamm waren und ihr Gesicht wahrscheinlich von Sonne und Salz ganz rau. Was aber wohl weniger auffallen mochte im Vergleich zu ihrem verfilzten, windzerzausten Haar, das aussehen musste, als würden Vögel darin nisten, und zu ihrem sackartigen Kleid und den schmutzigen nackten Füßen. Sie kam sich vor wie Aschenputtel aus Monsieur Perraults Geschichte. Es war wirklich eine Schande, dass der Prinz ihr keine Schuhe anbieten konnte. Verlegen versteckte sie ihre Zehen, so gut es ging, unter ihrem Kaftan.

„Eure Hoheit, es ist mir eine Ehre“, brachte sie leise hervor.

„Unter diesen Umständen bin ich nicht sicher, dass „willkommen“ der richtige Ausdruck ist, um Ihre recht unkonventionelle Ankunft in Murimon zu beschreiben, aber ich hoffe, Sie werden mir erlauben, Sie dennoch in meinem Königreich zu begrüßen.“

Überrascht wie sie war, platzte sie einfach heraus: „Oh, Sie sprechen ausgezeichnetes Englisch.“

„Ich danke Ihnen. Mein Hauslehrer aus meiner Kindheit wäre äußerst erfreut, das zu hören.“

Heiße Röte überzog ihre Wangen, weil seine Worte durchaus ironisch geklungen hatten. „Ich wollte kein Erstaunen andeuten darüber, dass Sie meine Sprache sprechen, sondern lediglich Freude. Es ist mir ein Vergnügen, Eure Hoheit, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

„Ich fürchte, das könnte sich ändern, wenn Sie hören, was ich zu sagen habe. Bitte, möchten Sie sich nicht setzen?“

Der Raum war sogar größer, als sie zunächst bei ihrem Betreten wahrgenommen hatte. Jetzt, da ihre Augen sich an das strahlende Licht der außergewöhnlichen Kristalllüster gewöhnt hatten, konnte Constance erkennen, dass der Raum in etwa die Größe der Teeräume in den Versammlungssälen in Bath hatte, und außerdem noch einen Balkon mit ähnlicher Säulenbalustrade genau gegenüber der Fenster. Doch hier hörten die Gemeinsamkeiten auf. Jede Wand in diesem Salon war mit gold- und erdfarbenen Fliesen bedeckt, hier und dort unterbrochen von kunstvoll geschnitzten Rokoko-Sockeln. An der Wand, die am weitesten entfernt lag, stand etwas, das ein wenig wie ein Himmelbett aussah und wohl der Königsthron sein musste, wie Constance vermutete. Auf dem Boden genau davor lagen kostbare, dicke Seidenteppiche, doch ansonsten gab es nirgendwo einen Stuhl oder auch nur ein Sitzkissen.

Prinz Kadar schien das im selben Moment aufzufallen. „Es tut mir leid“, sagte er. „Der Thronsaal ist dafür vorgesehen, Besucher einzuschüchtern und nicht, es ihnen behaglich zu machen. Das hatte ich ganz vergessen.“

„Vergessen?“

„Ich habe diesen Raum nur ein einziges Mal benutzt. Als ich mein Gelübde ablegte.“

„Gelübde“, wiederholte Constance und kam sich ein wenig begriffsstutzig vor. „Oh, ich verstehe. Hier wurde die königliche Hochzeit abgehalten?“

„Ich bin nicht verheiratet.“ Der Prinz schnitt eine Grimasse – vor Kummer, Bedauern, Schmerz? Constance konnte es nicht sagen, so schnell war es vorbei. Vielleicht hatte sie es sich auch nur eingebildet. „Der feierliche Schwur, den ich leistete, als ich die Krone annahm.“

„Oh, Sie meinen Ihre Krönung.“

Wieder schüttelte er den Kopf. „Jene Zeremonie wurde verschoben, bis die nationale Trauerzeit um meinen älteren Bruder vorüber ist, der vor drei Monaten plötzlich verstarb.“

„Das tut mir so leid. Wie fürchterlich. Mein aufrichtiges Beileid.“ Ohne zu überlegen hatte sie in einer Geste unwillkürlichen Mitgefühls die Hand ausgestreckt, um ihn zu berühren. Der Prinz sah ihre schmutzige, sonnengebräunte Hand mit den abgebrochenen Fingernägeln an, die sich dunkel von dem blütenweißen Ärmel seines Kaftans abhob, als wäre er von dem Anblick fasziniert. Oder vielmehr angewidert und vielleicht auch schlicht entsetzt über ihren Mangel an Unterwürfigkeit. Constance zog die Hand hastig zurück. „Standen Sie sich sehr nahe, Sie und Ihr Bruder?“

Er brauchte so lange, bis er endlich antwortete, dass sie sich fragte, ob er ihre Frage vielleicht nicht gehört hatte. Als er schließlich doch sprach, klang seine Stimme hohl. „Ich habe die vergangenen sieben Jahre im Ausland gelebt.“

Was keine richtige Antwort war, aber seine eisige Miene machte deutlich, dass dieses Thema für ihn beendet war. Als er ihr den Rücken zukehrte, bekam Constance Angst. Sie hatte ihn verärgert. Die Audienz war vorüber, bevor sie richtig begonnen hatte, und Constance wusste nicht mehr als bei ihrer Ankunft. „Bitte, Eure Hoheit, könnten Sie …“

Er brachte sie zum Schweigen, indem er ruhig die Hand hob. „Einen Moment.“ Der Thron war mit vielen scharlachroten, mit goldenen Quasten versehenen Kissen bedeckt. Prinz Kadar begann, sie alle auf dem Boden zu verteilen. „So“, sagte er, „jetzt können wir es uns beide gemütlich machen.“

Er ließ sich mit einer Geschmeidigkeit nieder, von der Constance nur träumen konnte, und gab ihr ein Zeichen, sich ihm gegenüber hinzusetzen. Beträchtlich von ihrem wallenden Kaftan behindert, folgte sie erleichtert seiner Aufforderung. Der Prinz nahm seine diamantbesetzte Kopfbedeckung ab und warf sie achtlos auf den jetzt leeren Thron. Sein Haar war schwarz und leicht zerzaust, glänzte aber wie Seide. Einige Locken bedeckten den Kragen seines Kaftans und bildeten einen seltsamen Kontrast zu seinem ansonsten so ernsten Aussehen, dass Constance sich noch stärker zu ihm hingezogen fühlte. Er war ein wirklich ausgesprochen attraktiver Mann.

„Sie wollten etwas sagen?“

Constance schreckte zusammen. „Was?“ Sie errötete. „Ich meine, wie bitte?“ Sie strich sich das wild verfilzte Haar aus der Stirn. „Ich meine, ja, das wollte ich. Ich fragte mich … ich meine … die anderen Passagiere auf der Kent, die Mannschaft und Captain Cobb …“

„Selbstverständlich.“

Prinz Kadar stützte das Kinn auf die zusammengelegten Finger. Seine Augen hatten wirklich eine außergewöhnliche Farbe, die sie an graue Sturmwolken erinnerte. Was dachte er wohl? Constance rutschte unbehaglich auf ihren Kissen hin und her. Sie wünschte, er würde etwas sagen. „Eure Hoheit, bitte sagen Sie es mir. Ich kann doch unmöglich die einzige Überlebende sein, oder?“

„Nein. Nein, natürlich nicht.“ Wieder eine Pause. „Sie sind selbstverständlich besorgt. Verzeihen Sie mir, die Situation ist ein wenig heikel. Ich überlege, wie ich es Ihnen am besten erklären soll.“

„Ich ziehe die ungeschminkte Wahrheit vor. Ich finde sie auf lange Sicht weniger schmerzlich.“

Diese Bemerkung brachte ihr wieder einen seiner merkwürdigen Blicke ein. Abwägend, das war das Wort, das sie gesucht hatte. „Sie sprechen wie jemand, der Erfahrung gemacht hat mit … schmerzhaften Wahrheiten.“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Aber Sie haben es angedeutet.“

„Du meine Güte“, rief sie ungeduldig, „stehe ich hier vor Gericht?“

Prinz Kadar starrte sie irritiert an. Dann lächelte er verlegen. „Vergeben Sie mir. Natürlich nicht. Ich finde Sie … interessant.“

Was nicht als Kompliment gemeint war, da war sie sicher, aber sie errötete dennoch. „Ich finde Sie auch interessant.“ Hätte ihr überhaupt eine törichtere Antwort einfallen können? „Ich meine, ich bin noch nie einem Prinzen begegnet.“ Oder eine dümmere? „Sie haben recht.“ Sie lächelte beklommen. „Ich habe mich in letzter Zeit oft schmerzhaften Wahrheiten stellen müssen, aber falls Sie fürchten, ich könnte außer mich geraten, sobald ich höre, was Sie zu sagen haben, lassen Sie mich Ihnen versichern, dass ich für gewöhnlich nicht zu Überspanntheit neige.“

„Nach allem, was Sie durchmachen mussten, erstaunt es mich, dass es Ihnen gelingt, überhaupt die Fassung zu bewahren“, erklärte der Prinz. „Ihre Gemütsruhe ist bewundernswert.“

„Oh, gewiss nicht. Glauben Sie mir, unter diesem eleganten Kleidungsstück – das einzige, das ich besitze – zittere ich wie Espenlaub.“

Leise Röte überzog seine Wangen, sein Blick verweilte kurz auf dem etwas zu tiefen Ausschnitt ihres Kaftans. Constance hatte ihn in Verlegenheit gebracht, und jetzt war sie selbst ebenfalls verlegen. Sie verkniff sich eine Entschuldigung, da sie damit alles nur noch schlimmer gemacht hätte, und beschloss, sich ein Beispiel am Prinzen zu nehmen und den Mund zu halten. Und aufzuhören, ihn so anzustarren.

„Der Untergang der Kent“, sagte er schließlich tonlos, als würde er etwas vorlesen. „Zunächst einmal muss ich mich entschuldigen. Ich war außer Landes, als das Schiff unterging, und seit meiner Rückkehr musste ich mich den Folgen des Unglücks widmen. Ich fürchte, die Nachricht Ihrer Anwesenheit hier wurde bis gestern übersehen. Seien Sie jedoch gewiss, dass ich daraufhin sofort handelte.“

„Der Mann, den Sie schickten, war zweifellos sehr tüchtig“, bestätigte Constance. „Wenn ich auch sagen muss, die Reise war anstrengender, als ich vermutet hatte. Leider kann ich jetzt nicht mehr behaupten, dass ich niemals seekrank werde.“

„Das tut mir leid. Ich hatte nicht bedacht, dass eine weitere Seereise so bald nach dem Unglück, das Ihnen widerfahren ist, eine belastende Erfahrung für Sie sein könnte. Ich wollte nur, dass Sie auf dem schnellsten Weg hergebracht werden.“

„Bitte, vergessen Sie es.“ Constance unterdrückte ein Erschaudern. „Ich bedaure nur, dass ich Bashir, dem Dorfältesten, dessen Familie für mich gesorgt hat, nicht so danken konnte, wie es angemessen gewesen wäre.“

„Sie brauchen sich deswegen keine Gedanken zu machen. Ich habe meinen leitenden Berater angewiesen, das Dorf zu belohnen. Abdul-Majid hat gewiss alles getan und gesagt, was sich gehört. Er ist ein ausgesprochen … gewissenhafter Untertan der Krone.“

Wenn auch wohl kaum ein Untertan, der Prinz Kadar sehr am Herzen lag, wenn Constance die winzige Grimasse richtig deutete, die er sich für einen Augenblick erlaubte. „Ein leitender Berater“, sagte sie, „bedeutet, dass Sie zusätzlich noch über viele andere verfügen, stimmt das?“

„Sehr viele, und jeder von ihnen nur allzu bereit, seine Meinung zum Besten zu geben, welche, da bin ich recht sicher, nicht mit meiner übereinstimmt.“

Er sprach mit Nachdruck, und kaum hatte er es getan, sah er aus, als hätte er seine Worte gern zurückgenommen. So versucht sie auch war, die Angelegenheit weiterzuverfolgen, beschloss Constance doch lieber, es nicht zu riskieren. Unwillkürlich berührte sie ihre Wunde, die wieder zu pochen begann.

„Haben Sie Schmerzen? Soll ich einen Arzt rufen? Hat die Reise Sie zu sehr angestrengt? Oder wäre es Ihnen lieber, wir verschieben dieses Gespräch auf später, damit Sie sich ausruhen können?“

„Nein.“ Sie lächelte beruhigend, da der Prinz ehrlich besorgt zu sein schien. „Nein und nein auch zu den letzten beiden Fragen.“ Sie setzte sich auf und schlang die Arme um die Knie, da ihr plötzlich wieder ganz warm wurde. „Bitte fahren Sie fort.“

„Gut“, antwortete er knapp. „Zunächst einmal muss ich Ihnen mitteilen, dass es leider Opfer gegeben hat. Siebenundzwanzig – sechsundzwanzig, nun da wir wissen, dass Sie nicht dazugehören. Gewiss nur ein kleiner Anteil von den insgesamt sechshundert Passagieren, die sich auf der Kent befunden haben. Dem Captain gelang es, so weit in unsere ruhigeren Gewässer zu gelangen, dass unsere Dhaus die meisten Menschen an Bord aufnehmen konnten, und danach die Leichen jener Unglücklichen, die ertrunken waren. Sie sind die Einzige, die so weit von unserem Haupthafen fortgetrieben wurde, dass wir Sie nicht fanden. Das Stück vom abgebrochenen Mast, an das Sie sich geklammert hatten, rettete Ihnen sehr wahrscheinlich das Leben.“

„Befindet Captain Cobb sich unter den Überlebenden?“

„Ja, von ihm erfuhren wir die Einzelheiten über Sie. Ihren Namen, wo Sie an Bord gingen, wie Ihr Ziel lautete und dass Sie eine Begleiterin auf dieser Reise hatten. Ich fürchte, Lady Constance, jene Dame befindet sich unter den armen Seelen, die starben. Mein Beileid zu Ihrem Verlust.“

„Oh, du meine Güte. Verzeihen Sie.“ Constance tupfte sich die Augen mit dem Ärmel ab. „Mrs. Peacock war auf dem Weg zurück zu ihrem Mann in Indien, nachdem sie ihre Familie in England besucht hatte. Arme Frau.“

„Wir hatten vermutet, sie sei eine Verwandte.“

„Nein. Ich bin ihr das erste Mal am Tag unserer Abreise begegnet, aber es tut mir sehr leid zu hören, dass sie nicht mehr lebt. Mein Vater bezahlte sie, damit sie mich begleitete. Wir teilten uns eine Kabine. Es wäre ungebührlich gewesen, allein zu reisen.“

„Dann ist Ihr Vater in England und nicht in Bombay?“

„Meine Eltern sind beide in England. Warum fragen Sie?“

Prinz Kadar war ernst geworden. „Ein vollständiger Bericht über das Schicksal der Kent, ihre Ladung, Passagiere und Mannschaft und die zahlreichen Schritte, die mein Königreich unternommen hat, um Hilfe zu gewährleisten, ist bereits an Ihren Generalkonsul in Kairo geschickt worden. Ich bin nicht sicher, wie lange es dauert, bevor der Bericht England erreicht, aber ich fürchte, gewiss bevor wir einen Nachtrag hinterherschicken können.“

„Einen Nachtrag?“

„Lady Constance, in meinem Bericht werden Sie als vermisst und mutmaßlich verstorben aufgeführt. Je mehr Zeit verstrich, desto überzeugter waren wir, dass Sie das Unglück nicht überlebt hätten.“

Constance starrte ihn entsetzt an. „Sie meinen, meine Mutter wird erfahren, dass ich tot bin?“

„Ich fürchte, ja. Ebenso wie jeder, der Sie in Bombay erwartet, denn Captain Cobb ist im Begriff, diese Nachricht zu überbringen.“

„Captain Cobb? In Bombay? Aber …“ Ihr schwindelte. „Verzeihen Sie, aber ich verstehe nicht.“

„Wir konnten dem Captain glücklicherweise ein Ersatzschiff zur Verfügung stellen. Er war sehr begierig, schnell sein Ziel zu erreichen, und da wir jede Hoffnung, Sie lebend aufzufinden, inzwischen aufgegeben hatten, gab es keinen Grund für ihn, die Reise nicht fortzusetzen. Also segelten sie vor fast einer Woche ab.“

„Eine Woche! Eine ganze Woche! Also gibt es für mich keine Möglichkeit, sie einzuholen?“

„Nicht die geringste“, antwortete der Prinz entschieden. „Darf ich Sie fragen, Lady Constance, warum Sie an Bord der Kent waren? Diese Ostindienfahrer haben eine sehr hohe Verschleißrate. Waren Ihre Eltern sich der großen Risiken denn nicht bewusst, als sie diese Reise für Sie arrangierten?“

„Ihnen wurde versichert, dass ich in guten Händen sein würde, da Captain Cobb einen ausgezeichneten Ruf als einer der besten Kapitäne der Flotte genießt. Und wie es scheint, hat er ihn auch verdient, da er mit seiner bewundernswerten Seefahrtkunst den größten Teil der Passagiere retten konnte.“

„Von wem versichert?“

„Von dem Mann, der meine Reise vereinbarte. Er ist einer der wichtigsten Aktionäre und deswegen sehr bewandert in solchen Dingen.“

„Ah, Sie meinen, dieser Mann ist ein Händler der Ostindien-Kompanie?“

„Ja. Mr. Gilmour Edgbaston.“

„Ein Verwandter?“

„Nicht direkt. Mr. Edgbaston und ich sind … Tatsache ist, dass ich auf dem Weg nach Indien war, um Mr. Edgbaston zu heiraten“, schloss Constance leise. „Und wenn Captain Cobb jetzt ankommt, wird er die traurige Aufgabe haben, meinem zukünftigen Gatten mitzuteilen, dass seine Braut im Meer ertrunken ist.“ Sie unterdrückte den plötzlichen Wunsch zu lachen. „Sie können sich nicht denken, Eure Hoheit, wie praktisch das gewesen wäre, wenn es wahr wäre.“

Völlig verwirrt über jene letzte Bemerkung, musterte Kadar die Engländerin ein wenig bestürzt. Als er ihren Namen auf der Vermisstenliste entdeckt hatte, hatte er sich eine züchtige Matrone mittleren Alters vorgestellt. Doch nichts hätte weiter von der Wirklichkeit entfernt sein können. Der raue Bauernkaftan, den sie trug, war viel zu groß für ihre schlanke Gestalt. Ihr Haar, ein dunkles schimmerndes Braun, fiel ihr in wilden Wellen über die Schultern. Die runden Wangen und vollen Lippen standen in einem seltsamen Kontrast zu den recht kühn geschwungenen Brauen. Der Blick aus ihren großen braunen Augen mit den auffallend dichten Wimpern war direkt und zeugte von Intelligenz, auch das stand ganz im Gegensatz zu den weicheren Zügen ihres Gesichts, die von einer rührenden Verletzlichkeit zeugten. Doch von allem war Kadar erstaunlicherweise – und vor allem völlig unangemessen – zutiefst betört.

„Sie können nicht meinen, Sie wünschten, Sie wären tot“, sagte er und fragte sich, ob die Verletzung auf ihrer Stirn ihren Verstand verwirrt hatte.

Sie schüttelte langsam den Kopf. „Nein, nein, natürlich meine ich das nicht wörtlich. Es ist nur … ach, Sie werden es nicht verstehen. Als Prinz sind Sie es gewiss gewohnt, sich Ihr Leben genauso einzurichten, wie es Ihnen beliebt, aber …“

„Da irren Sie sich“, entgegnete Kadar heftig. „Ich war sehr viel freier, als ich noch nicht Prinz war.“

„Ach?“

Ihr Blick war neugierig. Seltsamerweise hatte er den Wunsch, sich zu rechtfertigen, was selbstverständlich lächerlich war. Stattdessen ertappte er sich dabei, wie er Lady Constances zierliche, kleine Zehen betrachtete, die unter ihrem Kaftan hervorlugten. Sie waren sehr zart und feingliedrig. Aber er sollte sie nicht ansehen, ob zierlich oder nicht. „Sie wollten mir sagen, warum Sie wünschten, Sie wären tot.“

„Ganz im Gegenteil. Ich sagte Ihnen vielmehr, dass ich das eigentlich nicht wünsche. Was ich mir wünschte … Es klingt jetzt sicher albern, aber ich wünschte, man würde glauben, ich sei verstorben. Und damit frei, sozusagen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Meine Eltern haben diese Heirat arrangiert. Ich bin Mr. Edgbaston niemals begegnet und weiß nur sehr wenig über ihn – lediglich seinen Namen, sein Alter und seine Lebensumstände. Als ich England verließ, dachte ich, ich hätte mich in mein Schicksal gefügt und sei dazu in der Lage, das Beste aus meiner Situation zu machen. Aber inzwischen hatte ich viel Zeit alles zu überdenken.“

„Wenn man sie für tot hielte, müssten Sie diesen Mann nicht heiraten, ist es das?“

Lady Constance nickte. „Wie ich schon sagte, es war albern von mir, aber …“

„Aber verständlich“, unterbrach er sie aufgebracht. „Schlimm genug, dass Sie zu einer Heirat mit einem Mann gezwungen werden sollen, den Sie noch nie gesehen hatten. Dass Sie dann auch noch die halbe Erdkugel umrunden und alles hinter sich lassen mussten – Ihre Freunde und Ihre Familie –, sodass ihre engste Freundin eine Frau war, der Sie das erste Mal bei Ihrer Abreise begegneten, ist ungeheuerlich.“

„Wenn Sie es so ausdrücken, glaube ich, es wäre wirklich besser, ich wäre tot“, sagte sie kläglich.

„Verzeihen Sie, es war nicht meine Absicht, Sie aufzuregen. Es ist nur so, dass ich …“ Kadar brach ab und schüttelte den Kopf. „Meine Worte waren völlig fehl am Platz. Ich habe kein Recht, mich über Ihre persönliche Situation auszulassen.“

Nicht das geringste Recht! Er war ein Prinz, wie oft musste er sich noch daran erinnern? Es war gleichgültig, welche Gründe Lady Constance Montgomery hierherbrachten. Er hatte selbst mehr Probleme, als ihm lieb war, auch ohne sich in die Angelegenheiten einer Fremden einzumischen – selbst wenn er dieser Frau sehr viel Mitgefühl entgegenbrachte und ihren offenen Blick, das trockene Lächeln, die wilden Locken und die nackten, kleinen Zehen faszinierend fand. Jetzt war gewiss nicht der richtige Zeitpunkt, um sich von ihren Reizen ablenken zu lassen oder mehr über ihre Verlobung wissen zu wollen. Die meisten Ehen in den höheren Klassen der Gesellschaft wurden von den Eltern arrangiert, sowohl in England als auch hier. Stattdessen konzentrierte er sich besser darauf, eine Lösung für ihre, offen gestanden, mehr als unpassende Erscheinung zu finden.

„Die Frage ist jetzt“, sagte er, „was am besten getan werden sollte.“

Autor

Marguerite Kaye

Marguerite Kaye ist in Schottland geboren und zur Schule gegangen. Ursprünglich hat sie einen Abschluss in Recht aber sie entschied sich für eine Karriere in der Informationstechnologie. In ihrer Freizeit machte sie nebenbei einen Master – Abschluss in Geschichte. Sie hat schon davon geträumt Autorin zu sein, als sie mit...

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