Die stumme Braut des Highlanders

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Seit ihrem Reitunfall ist die schöne Eveline Armstrong verstummt. Obwohl sie damals nur das Gehör verlor, lässt sie alle Welt in dem Glauben, sie sei nicht mehr "richtig" im Kopf - um einer Zwangsehe zu entgehen. Als der König dennoch befiehlt, dass sie in den verfeindeten Montgomery-Clan einheiratet, muss sie gehorchen. Nie hätte sie damit gerechnet, dass ihr Gemahl, der kriegerische Laird Graeme, ihr derart den Atem raubt! Seine tiefe Stimme vibriert so machtvoll, dass sie ihn versteht, und seine Küsse sind so zärtlich ... Aber darf sie wagen, ihm ihr Geheimnis zu offenbaren - das Einzige, was sie vor dem Hass seiner Familie schützt?


  • Erscheinungstag 28.02.2014
  • Bandnummer 72
  • ISBN / Artikelnummer 9783733760991
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Prolog

Friede war in die Highlands eingezogen. Es war, als sei das Land selbst dankbar für die kurze Atempause inmitten von Gewalt, Rebellion und Blutvergießen, als schwebe dieser Dank wie ein leises Flüstern über allem. Der Frühling war gekommen und hatte die Erde zwischen Schieferfelsen und Findlingen, die so bezeichnend waren für diesen Landstrich, mit saftig grünem Gras überzogen.

Der Schnee, den der Winter gebracht hatte, war der Wärme der längeren Tage gewichen. Alles war in bester Ordnung. König Alexander II. hätte sich getrost anderen Dingen widmen können, wäre da nicht eine Sache ge­wesen.

Eine überaus bedeutsame Sache.

Seine beiden mächtigsten Verbündeten, die zugleich die zwei schlagkräftigsten Clans seines Königreichs waren, hassten einander bis aufs Blut.

Zwischen den Montgomerys und den Armstrongs herrschte keine simple Fehde, sondern regelrecht Krieg. Und Alexander hatte weder die Zeit noch den Wunsch zuzusehen, wie sich seine wertvollsten Getreuen gegenseitig aufrieben.

Nun, da der Schnee getaut war und die Tage länger wurden, würde der Hader aufs Neue aufflammen. Clansmänner würden sterben.

Daher sann Alexander auf einen Plan, um Frieden zwischen den beiden erbitterten Feinden zu erzwingen.

Eines Morgens, noch ehe die Sonne ganz über dem Horizont erschienen war, schickte er zwei Boten zu Pferde los, um sowohl Laird Armstrong als auch Laird Montgomery einen königlichen Erlass zu übermitteln.

Er konnte nur hoffen, dass sich die beiden auf der bevorstehenden Hochzeit nicht an die Kehle gehen würden.

1. KAPITEL

Das ist doch Irrsinn!“, entfuhr es Bowen Montgomery. „Er kann dich unmöglich an die kleine geistesschwache Tochter deines Erzfeindes ketten.“

Graeme Montgomery erwiderte den Blick seines Bruders grimmig. Vergebens rang er um eine Antwort; der Zorn, der in ihm aufwallte, machte ihn sprachlos. Der königliche Bote war wieder aufgebrochen und dürfte just in diesem Augenblick die Grenze des Montgomery-Landes überqueren. Dafür hatte Graeme gesorgt. Er fühlte sich zutiefst betrogen vom König und duldete den Gesandten der Krone nicht einen Herzschlag länger als nötig auf seinem Grund und Boden.

„Sie ist doch noch ein Kind“, knurrte Bowen. „Und sie ist … sie ist … Herrje, jeder weiß doch, dass sie nicht ganz richtig im Kopf ist. Was zur Hölle sollst du mit ihr anfangen?“

Graeme hob die Hand, um Bowen zum Schweigen zu bringen. Seine Finger bebten, ein untrügliches Zeichen seiner Wut. Er wandte sich ab und stapfte davon, fort von seinem Bruder. Er brauchte Abstand, musste allein sein, um sich über das Ausmaß dessen klar zu werden, was ihm soeben angetan worden war – ihm und seinem Clan.

Diese Ehe, die sein König verfügt hatte, um den Zwist zwischen den zwei Clans beizulegen, machte jedwede Chance darauf zunichte, dass Graeme den Titel des Laird und damit die Herrschaft über den Montgomery-Clan an seine Erben würde weiterreichen können.

Denn es würde keine Erben geben.

Mit Graeme würde alles enden.

Da er selbst keine Söhne haben würde, die Laird werden konnten, blieb es seinen Brüdern Bowen und Teague überlassen, für männliche Nachkommen zu sorgen, die dem Namen Montgomery eine Zukunft geben würden. Sein Clan mochte gar zu dem Schluss gelangen, dass einer seiner Brüder besser geeignet war, die Rolle des Laird zu übernehmen. Schließlich werde ich eine Frau haben, die ihren Pflichten gegenüber dem Clan nicht nachkommen kann, dachte er. Ich werde keine Kinder zeugen können.

Was für ein verfluchter Schlamassel diese ganze Angelegenheit war!

Wie konnte sein Lehnsherr ihm das antun? Er musste doch wissen, zu was für einer Zukunft er ihn damit verdammte.

Graeme schritt den schmalen Gang entlang, der von der Großen Halle in ein winziges Hinterzimmer führte. Dort war es dunkel, da die Felle vor den Fenstern nicht zurückgeschlagen worden waren. Auch Graeme tat dies nicht und zündete stattdessen an einer der Wandfackeln im Gang eine kleine Kerze an.

Der Schein der Flamme durchdrang die Finsternis kaum, war aber immerhin so hell, dass Graeme den Weg zu dem massiven Tisch fand, an dem sein Vater viele Nächte verbracht und seine Schreibfeder über seine Buchführung hatte kratzen lassen. Der alte Laird war ein knauseriger, pedantischer Mann gewesen, der auf alles ein Auge gehabt hatte, was der Clan an Vermögen besaß.

Doch sein übergroßes Herz hatte den Geiz wieder wettgemacht – stets war er gerecht gewesen gegenüber seinem Clan und hatte alle Menschen gleich behandelt. Er hatte darauf geachtet, dass jeder hatte, was er brauchte – dass ein jeder Kleidung besaß und satt wurde. Notfalls hatte er selbst gedarbt.

Graeme vermisste ihn jeden Tag aufs Neue.

Schwer ließ er sich nun auf den grob gezimmerten Stuhl sinken und strich über das alte Holz des Tisches. Fast war ihm, als spüre er das Wesen seines Vaters in diesem Raum.

Eine Ehe. Mit einer Armstrong. Allein der Gedanke war ihm zuwider.

Und dann Bowens Gerede darüber, dass das Mädchen geisteskrank sei. Graeme hatte den Gerüchten über ihre Umnachtung nie viel Aufmerksamkeit geschenkt. Der Umstand war ihm egal gewesen – bis jetzt. Es war weithin bekannt, dass mit der Kleinen etwas nicht stimmte, wenngleich der Armstrong-Clan nichts Genaues nach außen durchdringen ließ.

Sie war gar schon einmal verlobt gewesen, mit dem Spross der McHughs. Der Laird der McHughs strebte ein Bündnis mit den Armstrongs an, weil ihm das zu beträchtlichem Einfluss verhelfen würde. Die Montgomerys hatten auch für die McHughs nicht viel übrig, denn diese waren mitschuldig am Tod von Graemes Vater. Aber Graeme wusste, wer die Hauptschuld trug. Und so waren es die Armstrongs, denen sein Hass vorrangig galt.

Er war nicht traurig darüber gewesen, dass das Verlöbnis gelöst worden war und Armstrongs und McHughs somit nicht durch eine Ehe verbunden waren. Die Armstrongs verbündeten sich nicht leichtfertig mit benachbarten Clans – das hatten sie nicht nötig. Sie waren eine so mächtige Sippe, dass ihnen ein Sieg sicher war, solange sie sich nicht einer Vielzahl an feindlichen Clans zugleich stellen mussten.

Tavis Armstrong war genau wie sein Vater und handelte, wie dieser es vor ihm getan hatte. Er misstraute Übereinkommen und Versprechen und gab niemandem Gelegenheit, ihn zu hintergehen. Über das Wohl seines Clans wachte er allein.

Wären sie nicht solch erbitterte Feinde gewesen, hätte ­Graeme vielleicht gar Respekt empfunden, was die Unbeirrbarkeit anging, mit der Armstrong herrschte. Auch dem Umstand, dass Armstrong sich auf niemandes Hilfe stützte, hätte er dann womöglich Anerkennung gezollt.

Nachdem das Verlöbnis zwischen der Armstrong-Tochter und dem McHugh-Sprössling aufgehoben worden war, war kaum mehr über die Angelegenheit gesprochen worden. Es wurde lediglich gemunkelt, dass das Mädchen nicht ganz richtig im Kopf sei. Doch da die Armstrongs nicht gerade ein geselliger Clan waren und unter sich blieben, hörte man nicht viel über die einzige Tochter des Laird.

Nay, Graeme bereute keineswegs, dass die Ehe nicht zustande gekommen war. Er wusste, dass McHugh seinen Stand als Schwiegersohn genutzt hätte, um Armstrongs Ingrimm gegen die Montgomerys zu nähren. McHugh strebte nach mehr Land und Macht, und die Besitzungen der Montgomerys waren ihm ein Dorn im Auge, weil sie ihn im Norden einzwängten.

Und nun sollte Graeme eine Frau aufgehalst bekommen, über die er kaum etwas wusste! Schlimm genug, dass sie schwachsinnig war und ihm keine anständige Gemahlin würde sein können. Viel schwerer wog allerdings, dass sie darüber hinaus dem verhassten Armstrong-Clan entstammte, was bedeutete, dass er nichts mit ihr zu tun haben wollte, selbst wenn sie die untadeligste Frau in den gesamten Highlands gewesen wäre.

Wenn er denn hätte heiraten wollen, dann eine Frau aus seinem eigenen Clan. Nie hätte er sich freiwillig ein Weib genommen, das die Montgomerys gefährden sowie Hader und Zwietracht säen würde. Und Eveline Armstrong würde beides tun.

„Graeme?“

Das kaum hörbare Flüstern war aus dem Gang gekommen. Graemes Ärger und Anspannung traten sofort in den Hintergrund, als seine Schwester Rorie den Kopf hereinsteckte und ihn beklommen musterte.

„Was ist, Kobold?“, fragte er und winkte sie herein.

Rorie war fünfzehn Winter alt, wirkte jedoch jünger als die meisten ihrer Altersgenossinnen. Während ein Gutteil Letzterer bereits Rundungen und Brüste aufwies, war Rorie nach wie vor dünn und schmächtig. Wären nicht ihre atemberaubend schönen grünen Augen und die anmutig weiblichen Züge gewesen, hätte sie als Knabe durchgehen können.

Da sie mit drei älteren Brüdern aufgewachsen war, hätte man annehmen sollen, dass sie allem gewachsen sei. Doch sie war äußerst schüchtern und stiller als andere Frauen, die Graeme kannte, außer gegenüber ihm und seinen Brüdern.

„Stimmt es, was Bowen sagt?“

Wenige Schritte von ihm entfernt blieb sie stehen. Er saß noch immer da, die Hände auf der hölzernen Tischplatte zu Fäusten geballt.

„Heiratest du wirklich eine Armstrong?“

Er suchte in ihrer Miene nach Spuren von Angst, denn er hätte alles getan, um ihr diese zu nehmen. Den Vater zu verlieren, hatte Rorie besonders schwer getroffen. Sie war immer der Augenstern des alten Laird gewesen, und wenn einer in der Familie die Armstrongs als Ungeheuer betrachtete, dann Rorie.

Aber alles, was Graeme in ihren ausdrucksvollen Augen sah, war Besorgnis.

„Das ist es jedenfalls, was der König verfügt hat.“

Sie verzog das Gesicht. „Aber warum? Weshalb sollte er so etwas tun?“

„Es steht dir nicht zu, seine Befehle zu hinterfragen“, erwiderte er, jedoch ohne Schärfe. Er konnte sie schlecht für ihren Mangel an Respekt rügen, wenn er selbst die königliche Weisung infrage stellte.

„Sie haben Vater umgebracht.“ Aus ihrer Stimme sprach tiefster Schmerz. „Wie könnte je Frieden zwischen uns herrschen? Wie kann der König nur glauben, dass eine Ehe zwischen dir und einer von denen irgendetwas ändern würde?“

„Schscht“, machte er leise. „Genug jetzt, Rorie. Uns ist befohlen worden, zu den Armstrongs zu reiten, und genau das werden wir tun.“

Entsetzt starrte sie ihn an. „Zu ihnen reiten? Ihren Grund und Boden betreten? Wo sie uns alle töten können? Wieso können nicht sie zu uns kommen? Warum sind wir diejenigen, die alles riskieren sollen? Haben sie sich etwa die Gunst des Königs erschlichen?“

Ihre unbedarften Worte brachten Graeme kurz zum Lächeln. „Es ist unwahrscheinlich, dass sie es als königliche Gunst erachten, mir die Tochter ihres Laird als Eheweib aushändigen zu müssen. Ich bezweifle, dass sie mehr Gefallen an der Sache finden als wir.“

„Es heißt, sie sei umnachtet“, wandte Rorie stirnrunzelnd ein.

Er seufzte. „Ich schätze, das werden wir auf der Hochzeit herausfinden, nicht wahr?“

Just in diesem Moment schallte Teagues Gebrüll durch den Gang. „Graeme! Wo zur Hölle steckst du?“

Wieder seufzte Graeme. Rorie rang sich ein verhaltenes Lächeln ab und drehte sich um, als Teague verschwitzt und blutverkrustet hereinpolterte.

„Sag mir, dass es nicht wahr ist!“, donnerte er.

„Du hast dich von den Waffenübungen abgesetzt, um mich zu fragen, ob wahr ist, was Bowen gesagt hat?“, hakte ­Graeme nach. „Soll das heißen, dass du sein Wort anzweifelst und deine Pflichten vernachlässigst, um mich in dieser Angelegenheit zu verhören?“

Teague blickte finster drein, setzte an, etwas zu sagen, schaute flüchtig zur Seite und erblickte jetzt erst Rorie. Er presste die Lippen zusammen und sah an sich hinab auf seine blutige Kleidung.

Rorie war … Nun, sie war anders. Für die meisten Frauen des Clans waren Blut, Gewalt und Schlachtgetümmel Teil des Lebens, so gewöhnlich wie essen und schlafen. Rorie jedoch war empfindsam in dieser Hinsicht. Sie erbleichte, wann immer sie Blut sah, und sie hasste Laute, die von Schmerz oder Hass kündeten.

„Verflucht, Graeme, hör auf, den Laird zu mimen, und sag mir einfach, ob es stimmt, damit ich wieder gehen kann und Rorie nicht noch mehr ängstige.“

„Sie hat bereits Angst“, entgegnete der Bruder. „Und zwar aus demselben Grund, der dich offenbar dazu bewogen hat, den Gang entlangzutrampeln und nach mir zu brüllen.“

Das ließ Teague verstummen. Er verspannte sich sichtlich und biss die Zähne zusammen. „So ist es also wahr.“

Aye, es ist wahr.“

Teague schluckte einen Fluch hinunter, der ihm gewiss einen unmutigen Blick seiner kleinen Schwester eingebracht hätte, die sich immerzu um ihr aller Seelenheil sorgte. Er machte kehrt und stapfte aus der Kammer. Seine schweren Tritte schallten durch den Gang und verhallten schließlich.

„Na, das lief ja vortrefflich, nicht wahr?“, meinte Rorie leise.

2. KAPITEL

Tavis Armstrongs wütendes Gebrüll tönte durch die ganze Burg bis hinaus in den Hof, wo seine Männer sich im Waffenkampf übten. Viele ließen das Schwert sinken, während andere das ihre wachsam hoben ob der Gefahr, die da über sie hereingebrochen sein mochte.

Eveline hörte ihren Vater nicht, fühlte jedoch den Steinboden unter ihren Füßen erzittern und wusste, dass in der Großen Halle etwas nicht stimmte. Da war zu viel Bewegung, zu viel Ungestüm zu spüren. Es war, als sei eine Schafherde in die Burg eingedrungen und irre kopflos umher.

Mit unbewegter Miene lugte sie um die Ecke zur Treppe. Ihre Neugier war geweckt. Was war es, das die gesamte Burg in Aufruhr versetzt hatte?

An der Treppe stand ihr Vater, der Laird, das Gesicht vor Wut zu einer Grimasse verzerrt, ein zerknülltes Sendschreiben in der geballten Faust. Neben ihm standen ihre beiden Brüder Brodie und Aiden, die Arme vor der Brust verschränkt. Selbst aus dieser Entfernung erkannte sie, dass die zwei ebenso vor Zorn bebten.

Sie ließ den Blick zu dem Mann schweifen, der vor ihrem Vater stand und wirkte, als wäre er jetzt überall lieber als hier. Die wie immer geartete Nachricht, die der Laird in der Hand hielt, hatte auch den offenkundigen Unglücksboten erschüttert.

Eveline legte den Kopf schräg und betrachtete den Fremden. Er war von der Krone entsandt worden, denn er trug das königliche Wappen, und seine rechte Hand zierte ein Rubinring, der ihn als königlichen Boten auswies.

Ihr Vater stand so ungünstig, dass sie seine Lippen nicht lesen konnte, und das fuchste sie. Die des Boten hingegen sah sie klar und deutlich – als dieser just den Mund schloss.

Endlich öffnete er ihn wieder, um etwas zu sagen, und Eveline richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Mann. Auf keinen Fall wollte sie verpassen, was er ihrem Vater zu sagen hatte.

„Ihr werdet der Weisung des Königs Folge leisten. Er hat verfügt, dass die Hochzeit in zwei Wochen stattfindet. Die Zeit bis dahin könnt Ihr nutzen, um Vorbereitungen zu treffen. Die Vermählung wird hier stattfinden und der König wird einen Stellvertreter entsenden, um sicherzustellen, dass alles wie geplant verläuft.“

Hochzeit? Eveline merkte auf. Gewiss war ihr Vater nicht wegen einer Hochzeit derart aufgebracht. Wessen Hochzeit überhaupt? Der König würde einen Stellvertreter entsenden? Das alles klang furchtbar wichtig und aufregend. Bestimmt würde ihr dieses spannende Ereignis Gelegenheit geben, interessante neue Menschen zu beobachten.

Plötzlich stürzte ihre Mutter herein, die offenbar heimlich gelauscht hatte. Eveline zuckte zusammen ob dieses ungehörigen Verhaltens. Ihr Vater tadelte ihre Mutter ständig dafür, dass sie in Gespräche hineinplatzte, die sie nichts angingen. Nicht dass es etwas genützt hätte oder ihr Vater ihrer Mutter lange zürnen konnte, aber dies hier war etwas anderes. Der Gesandte des Königs war zugegen, und kränkte sie ihn, so kränkte sie zugleich den König selbst.

„Tavis, das könnt Ihr nicht zulassen!“

Eveline konnte die Worte kaum lesen, die ihrer Mutter über die Lippen kamen. Deren Gesicht war tränenüberströmt. Und das wegen einer Hochzeit? Eveline runzelte die Stirn. Dies alles ergab keinen Sinn.

Ihr Vater legte ihrer Mutter warnend eine Hand auf den Arm und drehte sich so weit um, dass Eveline erkennen konnte, wie er an ihren Bruder Aiden gerichtet wütend hervorpresste: „Führe deine Mutter hinaus. Sofort!“

Doch seine Gemahlin schüttelte nachdrücklich den Kopf und entwand sich Aidens Griff. „Das ist doch Wahnsinn. Er kann sie unmöglich den Wölfen vorwerfen. Es ist falsch! Sie ist nicht in der Lage, ehelichen Pflichten nachzukommen. Tavis, wir dürfen es nicht hinnehmen!“

Ein unbehaglicher Schauer lief Eveline über den Rücken. Allmählich beschlich sie ein äußerst mulmiges Gefühl, was den Grund für den Aufruhr in ihrer Familie anging. Hochzeit? Ihre Mutter in Tränen aufgelöst? Nicht in der Lage, den ehelichen Pflichten nachzukommen? Den Wölfen vorwerfen? Wer waren die Wölfe?

Der königliche Bote blickte finster drein; offenbar fühlte er sich überaus unwohl angesichts der feindseligen Stimmung, die ihm entgegenschlug. „Der König hat es so angeordnet. ­Graeme Montgomery und Eveline Armstrong werden in vierzehn Tagen vermählt werden.“

Eveline schlug sich eine Hand vor den Mund, ungeachtet der Tatsache, dass sie seit über drei Jahren kein Wort mehr gesprochen hatte. Sie tat es unwillkürlich, wie um den stummen Schrei zu unterdrücken, der aus den Tiefen ihrer Seele aufstieg.

Mehr wollte sie nicht erfahren. Abrupt wirbelte sie herum und floh aus der Burg. In ihrer Hast wäre sie beinahe die steinernen Stufen hinuntergestürzt. Sie raffte ihre Röcke, die Finger fest in den Stoff gegraben, und rannte über das unebene Gelände hinter der Burg bis zu dem Wäldchen, das sich den Fluss entlang bis zum nahen loch zog.

Ohne nachzudenken, lief sie zu dem riesigen Findling, der über den Fluss ragte. An dieser Stelle war die Strömung besonders stark, und das Wasser gluckerte und rauschte um große Steine und Felsen. Eveline stellte sich diese ehemals so vertrauten Geräusche vor und hielt an der verblassenden Erinnerung fest. So viel Zeit war vergangen, seit sie das letzte Mal etwas gehört hatte, und allmählich vergaß sie, wie die Welt klang.

Es war ein Verlust, der sie schmerzte. Früher hatte sie auf diesem Findling gesessen und dem Wasser gelauscht – was sie stets mit innerem Frieden erfüllt hatte. Im Laufe der Zeit waren diese aus der Erinnerung heraufbeschworenen Klänge schwächer und schließlich zu einem leeren Nichts geworden, das Eveline mehr und mehr zu verschlingen drohte.

Sie zog die Knie an, stützte das Kinn darauf und schloss die Augen, nur um sie sogleich wieder aufzureißen. Eine Welt, die sie nicht hören und nicht sehen konnte, war ihr nicht geheuer.

Verheiratet sollte sie werden.

Eine Verlobung war es gewesen, die dazu geführt hatte, dass sie ihrer Sippe seit drei Jahren etwas vorgaukelte. Damals war ihr ein Unglück widerfahren, doch dieses hatte sie immerhin vor einer ungewollten Ehe bewahrt – einer Ehe, auf die ihr Vater beharrt hatte.

Wie hatte es nun zu dieser neuen Entwicklung kommen können? Kalte Angst schnürte ihr die Kehle zu, als ihr durch den Kopf schoss, dass sie ihre sichere Heimstatt würde verlassen müssen. Hier wurde sie geliebt. Geschätzt. Niemand dachte schlecht über sie – oder wenigstens wagte niemand, derartige Gedanken laut auszusprechen. Ihr Vater hätte jeden mit seinem Schwert durchbohrt, der sich in irgendeiner Weise verächtlich über seine Tochter äußerte.

Aber sie wusste, was hinter ihrem Rücken geredet wurde; sie kannte einige der unschöneren Bemerkungen. Denn es wurde nicht einmal hinter ihrem Rücken, sondern unverhohlen vor ihren Augen getuschelt. Geistesschwach. Nicht bei Trost. Umnachtet. Armes Mädchen. Ein Nichtsnutz.

Die Leute lagen falsch, aber Eveline hütete sich, ihnen zu widersprechen. Das war zu gefährlich.

Einst war sie mit Ian McHugh verlobt gewesen. Dessen Vater, der Clansführer, hatte auf diese Verbindung gedrängt und ihr Vater hatte sie gutgeheißen. Tavis Armstrong wählte die Bündnisse, die er einging, mit großer Sorgfalt, und er vertraute Patrick McHugh. Man konnte die beiden gar als Freunde bezeichnen. So schien es nur natürlich, zwischen Armstrongs einziger Tochter und McHughs Erben eine Ehe zu arrangieren.

Allerdings hatte sich herausgestellt, dass Ian in Wahrheit nicht der einnehmende Bursche war, als der er sich gab. Oh, nach außen hin verhielt er sich tadellos und war der Inbegriff eines Ehrenmannes. Er hatte das Herz ihrer Mutter im Sturm erobert, und sogar Evelines überfürsorgliche Brüder hatten ihm ihren Segen erteilt.

Aber hinter der Maske steckte jemand, der sie das Fürchten lehrte. Er hatte sie schikaniert, indem er ihr vor Augen gehalten hatte, was ihr in der Ehe alles blühen werde. Wenn sie damit gedroht hatte, es ihrem Vater zu sagen, hatte er nur gelacht und gesagt, dass niemand ihr derlei Verleumdungen abnehmen werde. Sie hatte ihm nicht geglaubt, bis sie ihre Ankündigung wahr gemacht und ihren Vater ins Vertrauen gezogen hatte.

Ihr Vater war freundlich gewesen, hatte ihre Anschuldigungen jedoch als jungfräuliche Unsicherheit abgetan. Alles würde gut werden, und Ian würde ihr ein anständiger Gemahl sein. Ian McHugh sei ein gerechter, ehrenhafter Mann, hatte er ihr versichert.

Zu allem Übel umwarb Ian sie überschwänglich, wann immer ihre Familie zugegen war. Oft kam er zu Besuch und tat vor aller Augen durch große Gesten seine Ergebenheit kund. Er spielte seine Rolle perfekt, bis der gesamte Clan ihm buchstäblich aus der Hand fraß. Nur wenn sie unter sich gewesen waren, hatte er Eveline in seine tiefschwarze Seele schauen lassen.

Sie schloss die Augen, senkte den Kopf und ließ ihre Röcke über die Beine fallen. Geheimnisse. So viele Geheimnisse. So viele Lügen.

Wie gerne sie früher geritten war. Leider hatte sie nie allein ausreiten dürfen – die Montgomerys stellten eine ständig dräuende Gefahr dar, und Evelines Vater wollte nicht riskieren, dass sie den Todfeinden des Clans in die Hände fiele.

Eines Morgens war sie dennoch zu den Stallungen geschlichen, hatte ihr Pferd gesattelt und war losgeritten. Sie wollte nicht einfach nur ausreiten. Sie wollte davonlaufen. Eine törichte, kopflose Entscheidung, für die sie noch heute büßte.

Eveline vermochte nicht zu sagen, ob sie ihr Vorhaben in die Tat umgesetzt und tatsächlich den Mut aufgebracht hätte, die Grenzen des Armstrong-Landes hinter sich zu lassen. Denn wie sollte ein junges Mädchen allein und ohne den Schutz der Sippe überleben?

Dass diese aus schierer Verzweiflung geborene Tat sie so viel kosten würde, daran hätte sie im Traum nicht gedacht. Sie hatte ihr Pferd auf einen Pfad gelenkt, den sie viele Male schon geritten war. Er führte an einer steilen Schlucht entlang, durch die sich ein Fluss schlängelte. Ihr Pferd war gestolpert, wobei Eveline aus dem Sattel katapultiert worden und den Abhang hinabgestürzt war.

An das, was dann geschehen war, erinnerte sie sich nur vage. Sie hatte Angst gehabt und sich mutterseelenallein gefühlt, und ihr Kopf hatte stark geschmerzt. An die durch Mark und Bein gehende Kälte erinnerte sie sich noch, und ebenso an das unbarmherzige Verrinnen der Zeit.

Schließlich war sie in ihrer Kammer zu sich gekommen, in einer Welt der Lautlosigkeit. Erst hatte sie nicht verstanden, was mit ihr geschehen war; hatte nicht gewusst, wie sie vermitteln sollte, was ihr fehlte. Ihr Hals war geschwollen gewesen, und viele Tage lang hatte sie gefiebert. Selbst wenn sie hätte sprechen wollen, hätte sie es nicht vermocht, denn bereits das bloße Bemühen war zu schmerzhaft gewesen. So hatte sie geschwiegen, verwirrt ob der sie umschließenden Stille.

Später erfuhr sie, dass sie über zwei Wochen lang zwischen Leben und Tod geschwebt hatte. Die Heilerin hatte eine Schwellung an ihrem Kopf bemerkt und befürchtet, dass das Fieber ihren Geist verwirrt habe. Anfangs hatte Eveline ihr sogar geglaubt.

Manchmal dachte sie, dass der Verlust des Hörvermögens die Strafe für ihren verhängnisvollen Entschluss sei, gegen ihren Vater aufzubegehren. Es hatte lange gedauert, sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen. Die Scham hielt sie davon ab, ihren Eltern die Wahrheit zu gestehen, denn diese sahen sie ohnehin schon zutiefst enttäuscht und niedergeschlagen an. Vielleicht hätte sie sogar den Mut aufgebracht, ihnen zu erklären, dass sie nicht mehr hören konnte, wären nicht eines Tages die McHughs zu ihrem Vater gekommen und hätten zu wissen verlangt, wie es um Eveline stehe.

Da die Versicherung, sie sei gesund und munter, ausblieb, löste Ian kurzerhand die Verlobung. Und wer hätte ihm dies zum Vorwurf machen können? Nicht einmal ihr Vater hatte beanstanden können, dass Ian kein Eheweib wollte, dessen geistige Gesundheit höchst fraglich war.

Sie hatte ihr Gebrechen nicht zugeben wollen, weil sie insgeheim gehofft hatte, es werde sich auf wundersame Weise geben. Eines Tages würde sie aufwachen, und alles wäre wieder gut.

Eine lächerliche Hoffnung, aber sie hatte sich mit aller Macht daran geklammert, bis ihr aufgegangen war, dass ihre vermeintliche Umnachtung ihre Rettung bedeutete.

So ward die Lüge geboren. Diese bestand nicht etwa in Worten, sondern im Schweigen. Eveline ließ Familie und Clan vorsätzlich in dem Glauben, der Unfall habe ihren Geist verwirrt, weil dies sie davor schützte, mit einem Mann vermählt zu werden, den sie verachtete und fürchtete.

Es war keine Lüge, die sie im Nachhinein richtigstellen konnte. Solange Ian unverheiratet war, mochte er das Verlöbnis erneuern, wenn bekannt würde, dass Eveline nicht etwa schwachsinnig, sondern lediglich taub war.

Also entwickelte der Betrug ein Eigenleben und trieb Blüten. Je länger er bestand, desto unfähiger fühlte sich Eveline, die Sache aufzuklären.

Jetzt erwies sich der Schwindel als vergebens, denn statt des Teufels Sohn heiraten zu müssen, erwartete sie die Ehe mit dem Teufel höchstselbst. Und dieses Mal würde sie es nicht verhindern können.

Sie erschauerte, legte die Stirn abermals auf die Knie und wiegte sich vor und zurück.

Graeme Montgomery.

Allein der Name erfüllte ihr Herz mit Grauen.

Die Fehde zwischen ihrem Clan und dem seinen schwelte seit fünf Jahrzehnten. Eveline konnte sich nicht daran erinnern, was das blutige Zerwürfnis ausgelöst hatte, aber blutig war es stets gewesen. Graeme Montgomerys Vater war von ihrem Großvater erschlagen worden, ein Umstand, den Montgomery niemals vergeben würde.

Die Existenz der Montgomerys war darauf ausgerichtet, jeden lebenden Armstrong zu drangsalieren, zu bestehlen, zu überfallen oder sein Blut zu vergießen. Doch Evelines Vater und Brüder waren nicht besser. Sie spießten einen Montgomery so leichthin mit dem Schwert auf, wie man ein Schwein schlachtete.

Für Eveline ergab dies alles keinen Sinn, aber sie war ja auch nur eine zarte kleine Blume von Frau, deren Verstand mit derlei Angelegenheiten heillos überfordert war. So jedenfalls hatte es schon damals geheißen, als man sie noch nicht für schwachsinnig hielt.

Geistesabwesend rieb sie sich über die Stirn. Sie fühlte die ihr so vertrauten Kopfschmerzen nahen, die sie immer wieder heimsuchten. Der Druck begann stets zwischen Nacken und Kopf, zog sich hinauf bis hinter die Ohren und wurde schließlich so qualvoll, dass sie hätte schreien mögen.

Dies äußern konnte sie jedoch nicht. Sie hatte keine Möglichkeit festzustellen, wie laut oder leise sie sprach, und da sie nicht wollte, dass jemand von ihrer Taubheit erfuhr, verharrte sie eingeschlossen in ihrer Stille.

Plötzlich spürte sie, dass sich jemand näherte. Seit sie ihr Hörvermögen verloren hatte, waren ihre übrigen Sinne geschärft. Das verblüffte sie, doch es war tatsächlich so, dass sie vor allem über ihr Gespür mehr wahrnahm als früher. Es war fast, als würde sie noch den leisesten Lufthauch fühlen.

Als sie sich umwandte, sah sie Brodie auf sich zukommen. Seine Miene war grimmig, erhellte sich jedoch, als er seine Schwester auf ihrem Felsen erspähte.

Brodie würde sie am meisten vermissen, sollte sie tatsächlich den Clansführer der Montgomerys heiraten müssen. Ihr war so sehr zum Weinen zumute, dass sie kaum Luft bekam. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt.

Im Näherkommen sagte er etwas, doch sie konnte nicht erkennen, was, da sein Gesicht von einem Ast verdeckt wurde. Als sie ihn daher nur stumm anstarrte, seufzte er betont schwer und ließ sich neben ihr auf dem Findling nieder, wie schon so viele Male zuvor.

Brodie wusste immer, wo sie zu finden war. Er kannte all ihre geheimen Verstecke. Es gab keinen Ort, an den sie hätte flüchten können – Brodie wusste um einen jeden.

Er griff nach ihrer Hand, die in seiner Pranke regelrecht verschwand, und drückte sie. Wieder bewegte er die Lippen, und Eveline neigte sich vor, um zu sehen, was er sagte.

„Man verlangt nach dir, Engelchen.“

Sie liebte es, wenn er sie so nannte, ohne recht zu wissen, warum. Es war ein Kosename, den er meist nachsichtig lächelnd aussprach. Heute allerdings lächelte er nicht. In seinem Blick las sie nur Trostlosigkeit, und Sorgenfalten verunzierten seine Stirn.

Da sie seine Traurigkeit nicht steigern wollte, ließ sie sich bereitwillig von ihm auf die Füße ziehen. Besser, sie gab sich unwissend. Womöglich konnte sie die Sache ja doch abwehren, indem sie die Schwachsinnige spielte. Wenn der König erfuhr, wie wenig sie als Gemahlin taugte, würde er die Weisung gewiss zurücknehmen.

Das schoss ihr durch den Kopf, während sie neben ihrem Bruder zur Burg zurückkehrte, und der Gedanke heiterte sie beträchtlich auf. Ihr Vater hatte immer gesagt, dass der König ein gerechter Herrscher sei und den Highlands durch sein Abkommen mit England Frieden beschert habe.

Sollte er wirklich einen Stellvertreter zur Hochzeit entsenden, würde dieser das Ereignis bestimmt absagen, wenn er Eveline sah. Gewiss würde er dem König berichten, dass sie für die ihr zugedachte Rolle ungeeignet war.

3. KAPITEL

Obwohl ihr Herz raste wie wild, mühte Eveline sich, ruhig und gelassen zu wirken, als Brodie sie in die Große Halle führte.

Ihr Vater schritt vor dem Kamin auf und ab, und ihr anderer Bruder Aiden fläzte sich auf einem Stuhl an der ausladenden hölzernen Tafel. Wut loderte in seinen Augen, und mit dem Fuß wippte er einen ungestümen Takt.

Auch ihre Mutter war zugegen, und Eveline richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Eltern, um nichts von dem zu verpassen, was sie sagten. Sie entzog sich Brodies Griff und trat näher, um besser sehen zu können.

„Tavis, Ihr könnt das nicht zulassen!“

Ihr Vater packte ihre Mutter bei den Schultern und hielt sie fest. Aus dem Blick, mit dem er dem ihren begegnete, sprachen sowohl Qual als auch Zorn.

„Der König hat es so verfügt, Robina. Ich kann seinen Beschluss nicht anfechten.“

Ihre Mutter entriss sich ihm und drehte sich in Evelines Richtung. Ihre Augen waren gerötet und verquollen, und die Betrübnis, die von ihr ausging, war fast greifbar. Als sie Eveline bemerkte, wurde ihre Miene noch kummervoller.

Sie eilte zu ihrer Tochter, legte ihr einen Arm um die Schultern, drückte sie fest an sich und führte sie zum Vater. Eveline spürte ihre Mutter beben, und das bewog sie, umso angestrengter um die eigene Fassung zu ringen.

Ihr Vater hob eine sichtlich zitternde Hand und legte sie Eveline zärtlich an die Wange. Eveline ertrug den Gram in seinen Augen nicht, und so schmiegte sie sich an seine Handfläche und richtete den Blick auf seinen Mund.

„Mein kleiner Schatz. Mein kostbarstes Geschenk. Unser König hat sich gegen uns gewandt.“

Er ließ die Hand sinken, rieb sich den Nacken und kehrte sich von Eveline ab. Sie runzelte die Stirn; sie musste wissen, was er sagte.

„Ihr müsst ihn anflehen, Tavis.“ Ihre Mutter berührte seinen Arm, damit er sich ihnen wieder zuwandte. „Vielleicht weiß er ja nicht um Evelines Zustand.“

Er sah sie beide an, die Brauen zusammengezogen. So düster war seine Miene, dass sie Eveline an ein Frühlingsgewitter gemahnte.

„Wie könnte ihm der entgangen sein? Er war nur wenige Monate nach dem Unfall hier und hat gesehen, dass sie … sich verändert hat. Er hat geäußert, wie leid es ihm tue, dass sie keine vorteilhafte Ehe werde eingehen und keine Kinder werde haben können. Und nun schickt er sie als Opferlamm zu unserem ärgsten Feind, um einen Frieden zu erzwingen?“

Eveline spürte, dass ihr das Blut aus den Wangen wich. Sie hoffte inständig, dass ihre Mutter nicht gemerkt hatte, wie sie unter den Worten ihres Vaters zusammengezuckt war.

„Seht sie Euch doch an, Robina“, setzte ihr Vater hinzu. „Sie begreift ja nicht einmal, worum es geht.“ Er fuhr mit der Hand durch die Luft, auf Eveline weisend.

„Wagt es nicht, auch nur ein Wort gegen sie zu sagen“, stieß ihre Mutter hervor, und ihre grimmige Miene ließ vermuten, dass sie den Satz nicht minder grimmig ausgesprochen hatte. „Sie ist ein liebes, warmherziges Mädchen und keineswegs begriffsstutzig. Sie kann hervorragend nähen und verfügt über grundlegende Kenntnisse in allen Bereichen. Sie ist hilfsbereit gegenüber dem Clan und hat stets ein Lächeln für jeden. Dieses Ungeheuer wird sie buchstäblich zermalmen.“

„Ich sage doch gar nichts gegen sie“, entgegnete ihr Vater scharf. Eveline merkte anhand der Luftschwingungen, dass er die Stimme gehoben hatte, aber auch weil es bestimmte Geräusche gab, die sie nach wie vor vernahm – wenngleich das nicht viele waren.

Tiefe Stimmen beispielsweise. Stimmen, die weder hoch noch schrill waren. Keine normalen oder einförmigen Tonlagen. Dann und wann fing sie einen flüchtigen Laut auf.

„Ich liebe sie genauso sehr wie Ihr, Robina. Glaubt Ihr etwa, ich würde meine Tochter bereitwillig meinem Todfeind zur Frau geben?“

Ihre Mutter wich einen Schritt zurück und presste eine zur Faust geballte Hand an den Mund. Evelines Vater stellte sich wieder dicht vor sie, das Gesicht zornesrot.

„Ich habe keine Wahl. Wenn ich gegen meinen König aufbegehrte, würde ich uns alle damit zum Tode verurteilen. Wir würden zu Geächteten, und jeder dahergelaufene Söldner, dem der Sinn nach Gold steht, würde es auf uns absehen.“

„Möge Gott uns beistehen.“ Die Mutter verzog das Gesicht, und ihr Blick war so trübselig, dass es Eveline schmerzte, sie anzusehen.

Ihre Brüder hatten bislang geschwiegen. Vielleicht hatten sie keine Meinung zu der Angelegenheit oder – was wahrscheinlicher war – mochten sich nicht zwischen ihre Eltern werfen, wenn die Gefühle derart hochkochten.

Aber Eveline konnte nicht zulassen, dass sie sich ihretwegen alle zermürbten. Wenn sie geopfert werden sollte, um den Krieg zwischen den beiden Clans beizulegen, so war ihr Schicksal besiegelt, und sie konnte nichts dagegen tun. Sie wollte nicht daran schuld sein, dass ihre Familie so sehr litt.

Daher trat sie vor und legte ihre Hand in die ihres Vaters. Er blinzelte überrascht und gab sich sichtlich Mühe, seine Empfindungen im Zaum zu halten, während er ihren ernsten Blick erwiderte.

Plötzlich lächelte er und neigte den Kopf, um sie auf die Wange zu küssen. Sie tätschelte ihm die Schulter, um ihm zu bedeuten, dass alles in Ordnung sei.

Seine Züge wurden sanfter, doch sein Blick auch noch eine Spur trauriger. Mit einem Mal wirkte er um viele Jahre gealtert, die Haut grau und die Schultern auf eine Weise gebeugt, die sie nie zuvor an ihm, dem Krieger, gesehen hatte.

Er umfasste ihren Hinterkopf, zog sie an sich und küsste sie auf die Stirn. Sie fühlte, wie sich seine Lippen bewegten, wollte sich aber nicht von ihm lösen, um zu ergründen, was er sagte.

Als er schließlich zurücktrat, bewegte er noch immer die Lippen, und Eveline mühte sich, das Gesagte zu erfassen.

„… ein solch gutes Mädchen. Das bist du immer gewesen. Du bist mein Herz, Eveline, und verflucht sei der König dafür, dass er mir mein Herz entreißt.“

Sie wandte sich zu ihrer Mutter um, doch bevor sie dieser auf die Wange küssen konnte, hatte Robina sie schon in die Arme geschlossen und zog sie fest an sich.

Die Mutter war am Boden zerstört, und Eveline wusste nicht, wie sie sie hätte trösten können. Wie sollte sie auch, war sie doch selbst noch schreckensstarr?

Nie hätte sie sich träumen lassen, dass sie trotz allem eines Tages heiraten würde. Dass man von ihr dieselben Dinge erwarten würde, die von gewöhnlichen Frauen erwartet wurden. Bislang hatte sie sich erfolgreich hinter ihrer vermeintlichen Umnachtung verstecken können. Sie hatte diese Lüge, diesen Schwindel wie einen Schutzschild getragen.

Lüge, Schwindel – oh, welch schreckliche Worte, und welch furchtbare Gewissensbisse sie ihr bereiteten. Wie gern hätte Eveline die Augen geschlossen, um nichts mehr erfahren zu müssen.

Sie spürte den Boden unter ihren Füßen leicht erzittern und drehte sich um, ehe die anderen es taten, um zu schauen, wer im Eingang zur Großen Halle erscheinen würde. Es war Niall.

„Eine Botschaft, Laird“, verkündete er, während er raschen Schrittes eintrat.

Seine Miene war verbittert, und schon seine Haltung verriet, dass er gewichtige Kunde brachte. Er trug eine Schriftrolle, aber Eveline konnte das Siegel nicht erkennen und vermochte daher nicht zu sagen, von wem die Botschaft kam. War es ein weiteres Sendschreiben des Königs?

„Sie stammt von Laird Montgomery.“ Angewidert verzog Niall den Mund. „Ich habe seinem Boten den Zutritt verwehrt, um Euch die Nachricht selbst zu überbringen.“

Aiden erhob sich von seinem Stuhl, das Gesicht wutverzerrt, und stellte sich neben den Vater. Brodie rückte näher an Eveline und die Mutter heran, als wolle er die beiden schützen vor dem, was die Botschaft über sie alle bringen mochte.

Ihr Vater brach das Siegel, entrollte das Pergament und überflog das Geschriebene. Je tiefer sein Blick wanderte, desto sturmumwölkter wurde seine Miene.

Endlich hob er den Kopf. Seine Augen funkelten unheilvoll, während er die Nachricht sorgfältig wieder zusammenrollte.

„Graeme Montgomery teilt mit, dass er seine Braut gemäß des Königs Weisung holen wird.“

Diese Neuigkeit riss Evelines Brüder umgehend aus ihrem Schweigen. Brodie schoss vor, und Eveline richtete den Blick auf seine Lippen.

„Das ist die reinste Posse! Das kann der König unmöglich ernst meinen. Er kann doch nicht ein Lamm unter die Löwen schicken.“

„Montgomerys auf unserem Land?“ Aiden war sichtlich fassungslos. „Wir haben geschworen, so etwas niemals geschehen zu lassen, ohne die Erde mit ihrem Blut zu tränken.“

Eveline schmerzte der Nacken, weil sie ständig den Kopf drehen musste, um nicht den Faden zu verlieren. Dennoch verpasste sie vieles, denn alle redeten durcheinander. Sie fing lediglich Gesprächsfetzen auf, und bei den meisten davon handelte es sich um Ausrufe, Flüche und Mutmaßungen darüber, weshalb der König sich zu einer solch niederträchtigen Gemeinheit hinreißen ließ.

Sie hatte Graeme Montgomery nie gesehen. Um die Wahrheit zu sagen, hatte sie nie auch nur irgendeinen Montgomery zu Gesicht bekommen. Unwillkürlich hatte sie das Bild eines alternden, dickbäuchigen Mannes mit Knollennase und fratzenhaften Zügen vor Augen. Sie hatte sich nie an einem Gespräch über die Montgomerys beteiligt, weil diese sie schlichtweg nicht interessierten. Sie wusste, dass sie die Erzfeinde ihres Clans waren und ihr Vater eher sterben würde, als zuzulassen, dass ein Montgomery seinen Grund und Boden betrat.

Ihr Vater und ihre Brüder waren Krieger, die an Kampfgeschick und Stärke alle anderen in den Schatten stellten. Es mochte anmaßend sein, so zu denken, aber bislang hatte nichts sie von dieser festen Überzeugung abbringen können.

Eveline hatte sich stets sicher gewähnt vor äußeren Gefahren, denn die Armstrongs wachten mit Argusaugen über ihre Grenzen und ließen niemanden ohne Erlaubnis auf ihr Land.

Vor langer Zeit hatte es einmal solch einen unerlaubten Grenzübertritt gegeben. Die Montgomerys hatten sie überfallen, und zahlreiche Armstrongs hatten mit ihrem Leben bezahlt. Unter den Opfern war auch Evelines Großmutter gewesen. Ihr Großvater, der damals Laird gewesen war, hatte sehr um seine Frau getrauert und war bei dem Versuch gestorben, ihren Tod zu rächen. Er hatte den Laird der Montgomerys umgebracht, war selbst jedoch von einem der Montgomery-Krieger erstochen worden.

So viele Tode, und Eveline hatte keine Ahnung, was zu all dem Blutvergießen geführt hatte. Nur beiläufig hatte sie im Laufe der Jahre den einen oder anderen Teil der Geschichte aufgeschnappt. Sie hätte besser zuhören sollen, als sie noch konnte, aber für sie waren die Montgomerys nichts als Ungeheuer der Finsternis – ähnlich wie die erdichteten Bestien, von denen die Barden sangen. Nie hatten sie eine konkrete Bedrohung für Eveline dargestellt.

Und nun sollte sie ihnen einverleibt werden, sollte der Sicherheit ihres Clans und ihrer geliebten Familie entrissen werden. Verheiratet. Man erwartete von ihr, dass sie die Gemahlin eines Mannes wurde, der für sie nur ein schrecklicher Mythos war.

Beinahe wäre sie erschauert, beherrschte sich aber noch rechtzeitig. Sie wollte die Besorgnis ihrer Mutter nicht nähren, indem sie ihre Angst offen zeigte.

Also wandte sie sich ab und verließ die Große Halle, ohne sich darum zu scheren, ob sie hätte bleiben sollen. Das tat sie oft – ohne Vorwarnung verschwinden, schlicht weil ihr danach war. Inzwischen schien sich niemand mehr daran zu stören, und mochte es anfangs für Verwunderung gesorgt haben, galt es heute als ihr gewohntes Verhalten.

Ihr Leben würde sich einschneidend ändern, und sie musste ihre Gedanken ordnen. Wie sollte sie mit Menschen umgehen, die nicht ihrem Clan angehörten? Ihre Sippe liebte sie, auch wenn einige ihr aufgrund ihres Gebrechens mit Vorsicht begegneten. Einige hatte sie gar dabei ertappt, dass sie Gebete murmelten, wenn sie ihr über den Weg liefen. Fürchtete man etwa, dass ihre vermeintliche Geistesverwirrung ansteckend sei? Dass man sich diese durch Berührung einfangen könne?

Eine boshafte Ader in ihr brachte sie stets in Versuchung, die Hand auszustrecken und diese Leute zu berühren, nur um zu sehen, ob sie sich dann so aufführen würden, als hätten sie sich verbrannt. Oder würden sie schreiend davonstürmen und nach dem Priester suchen?

Wenn sie so dachte, verspürte sie an diesem Punkt stets ein schlechtes Gewissen. Immerhin handelte es sich um ihren Clan, und diese Menschen waren nicht schuld daran, dass sie anders war. Sie wussten es nicht besser, und Eveline hatte nichts unternommen, sie von ihrer Meinung abzubringen. Die meisten allerdings begegneten ihr äußerst freundlich. Viele scheuten keine Mühen, um ihr eine Freude zu bereiten.

Und sie war glücklich hier. Sie hatte lange gebraucht, bis sie nach dem Unfall und der anschließenden Krankheit wieder zu sich selbst gefunden hatte. Weshalb sie taub geworden war, hatte sie nie ergründen können, aber ihr war beigebracht worden, den Willen Gottes nicht zu hinterfragen.

Nun hatte sie ihren Platz gefunden. Hatte gelernt, Gesagtes zu verstehen, indem sie dem Redenden von den Lippen las. Sie wünschte, sie hätte den Mut zu sprechen. Aber da sie ihre eigene Stimme nicht hören konnte – und nicht wusste, ob sie überhaupt Worte zu formen vermochte –, schwieg sie lieber. So war sie eingeschlossen in ihrer Welt der Stille, in der ihr nur die Erinnerung an bestimmte Geräusche blieb, die leise in ihrem Kopf widerhallten.

Nun sollte sie ihn verlieren, den Platz in ihrem Clan, inmitten ihrer Sippe und der Menschen, die sie liebten und so annahmen, wie sie war.

Stattdessen würde sie einem feindlichen Clan ausgeliefert werden.

Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Was würden diese Menschen über sie denken? Würden sie grausam zu ihr sein? Würden sie sie hassen, nur weil sie eine Armstrong war? Würden sie sie wegen ihres Gebrechens verachten?

Würden sie sie verspotten sowie verrückt und schwachsinnig schimpfen? Würden sie gar noch weitergehen und ihr Schaden zufügen, weil sie glaubten, sie habe böse Geister in sich?

Eveline rang die Hände vor der Brust, während sie zurück zu ihrer Lieblingsstelle auf dem Felsen am Fluss eilte. Es war ihr gleich, dass Brodie genau wissen würde, wo sie zu finden war. Der Stein war der einzige Ort, an dem sie Trost und Frieden fand.

Sie starrte auf das vorbeirauschende Wasser, und dabei ging ihr auf, dass sie auch diesen Zufluchtsort verlieren würde. Sie würde sich nicht länger nach Belieben aus der Burg stehlen und stundenlang hier sitzen können, um den Frieden in sich aufzunehmen, den dieser Ort ausstrahlte.

Nay, sie würde in den Montgomery-Clan einheiraten. Sie würde eine von jenen werden, die man sie zu hassen gelehrt hatte. Ihr Vater hatte sie stets tun lassen, was sie wollte, doch ihr zukünftiger Gemahl mochte nicht so verständnisvoll sein wie er.

4. KAPITEL

Seit Tagen waren alle auf der Burg in heller Aufregung. Acht Tage nachdem ihnen die königliche Botschaft übermittelt worden war, traf der Earl of Dunbar ein. Er sollte als des Königs Stellvertreter die Eheschließung bezeugen, die den Frieden zwischen den beiden verfeindeten Clans erzwingen sollte.

Tavis empfing den Earl im Burghof, und nachdem das Pferd des Gastes fortgeführt worden war, begaben sich die beiden Männer in die Große Halle des Wohnturms und nahmen Platz an der Hohen Tafel, auf der Speisen und Bier bereitstanden.

„Alexander lässt Euch ausrichten, dass er es bedaure, der Vermählung nicht persönlich beiwohnen zu können“, setzte der Earl an, nachdem er einen Schluck aus einem der juwelenbesetzten Kelche genommen hatte.

Doch Dunbars Blick sagte Tavis, dass der König nie vorgehabt hatte, sich auf der von ihm geforderten Hochzeit die Ehre zu geben. Und da er nicht anwesend war, konnte Tavis an niemanden appellieren, das unglückselige Unterfangen abzublasen.

Dunbar stand hoch in Alexanders Gunst und war der einflussreichste Earl der Krone. Der König und er waren einander ergebene Freunde und Verbündete, und der Umstand, dass Alexander seinen mächtigsten Earl zur Hochzeit entsandt hatte, kündete davon, wie wichtig ihm diese war.

„Er weiß nicht, was er tut“, entgegnete Tavis gepresst.

Dunbar hob eine Braue, nahm erneut einen großzügigen Schluck Bier, lehnte sich bequem zurück und musterte Tavis eindringlich. Er wirkte träge und arrogant, und sein unverwandter Blick sollte den Laird wohl einschüchtern. Doch der hatte sich nicht deshalb als Anführer eines mächtigen Clans in einer der größten schottischen Festungen behaupten können, weil er Herausforderungen aus dem Weg ging.

Stur hielt er dem Blick stand.

Schließlich knallte der Earl seufzend den Kelch auf den Tisch. „Falls es Euch tröstet, Armstrong – ich habe Alexander beschieden, dass er von Sinnen sei. Mir ist durchaus klar, was Eurer Tochter widerfahren ist, und ihr wie auch Euch gilt mein Mitgefühl. Sie eignet sich nicht für eine Ehe, doch leider habt Ihr nur diese eine Tochter. Alexander hat sich nun einmal in den Kopf gesetzt, dass der einzige Weg zum Frieden zwischen zweien seiner stärksten Clans darin bestehe, Eure Tochter mit Eurem Feind zu vermählen. Er meint, wenn sie mit dem Laird der Montgomerys verheiratet sei, würdet Ihr niemals wieder das Schwert gegen die Montgomerys erheben.“

„Und was garantiert mir, dass die Montgomerys nicht ihrerseits das Schwert gegen meinen Clan erheben?“, verlangte Tavis zu wissen. „Selbstredend würde ich keine Waffe gegen einen Mann richten, der das Leben meiner Tochter in Händen hält. Aber was halte ich im Gegenzug als Sicherheit in Händen?“

Der Earl rieb sich nachdenklich das Kinn. „Gute Frage. Ich vermag nicht zu sagen, ob Alexander sie berücksichtigt hat. Womöglich hält er die Ehe allein für hinreichend, ein Bündnis zu erzwingen, wie zerbrechlich dieses auch sein mag. Er will Frieden. Nun, da wir ein Abkommen mit England unterzeichnet haben, muss Alexander sich den Widrigkeiten innerhalb seiner Grenzen zuwenden, sprich: aufmüpfigen Clansführern. Er braucht Verbündete, und sowohl die Armstrongs als auch die Montgomerys waren der Krone stets treu ergeben, obgleich sie einander verachten.“

„Ich wäre bereit, ein Friedensabkommen mit den Montgomerys zu unterzeichnen“, sagte Tavis steif. Nie waren ihm Worte schwerer gefallen als diese. Den eigenen Stolz zu schlucken, tat weh, doch für seine Tochter hätte er alles getan. Für sie würde er sich sogar vor seinem Feind erniedrigen. „Sie wollen diese Ehe sicherlich ebenso wenig wie wir. Es ist, wie Ihr sagt – Eveline ist außerstande zu heiraten, gleich welchen Mann. Deshalb ist die Verlobung mit Ian McHugh gelöst worden. Graeme Montgomery würde Eveline … zermalmen, und diesen Gedanken ertrage ich nicht.“

„Ich bin nicht hier, um mit Euch zu verhandeln, Armstrong“, erwiderte der Earl kopfschüttelnd. „Es ist zu spät, um über ein Abkommen und Frieden zu reden. Der Krieg zwischen Euren beiden Clans wütet schon zu lange. Alexander strebt danach, die Highlands zu befrieden, und diese Blutfehde bedroht die Beständigkeit, die er anstrebt. Ich mag mit seinen Methoden nicht einverstanden sein, aber er hat meine volle Unterstützung. Er hat mich hergeschickt, um Zeuge dieser Hochzeit zu sein und ihm bei meiner Rückkehr offiziell Bericht zu erstatten. Mir obliegt es, die Vermählung sowohl durchzusetzen als auch abzusegnen, und ich habe ein Schreiben dabei, welches das königliche Siegel trägt und der Verbindung offiziell Gültigkeit verleiht.“

„Sie ist verloren“, flüsterte Tavis.

„Graeme Montgomery ist meines Wissens ein Mann von Ehre“, wandte der Earl behutsam ein. „Ich glaube nicht, dass er Eure Tochter misshandeln wird, nur um seinen Rachedurst zu stillen.“

Noch nie in seinem Leben hatte Tavis sich so hilflos gefühlt. Als er den Blick hob, entdeckte er seine Gemahlin am anderen Ende der Halle. Ihr Kummer war fast greifbar.

Aber sie verbarg ihn gut, während sie auf die beiden Männer zuschritt. Zu Ehren des Earls hatte sie ihr bestes Gewand angelegt, und allein Tavis’ scharfem Blick entging nicht, wie aufgewühlt sie hinter der Maske der Beherrschung war.

Als Robina sie erreichte, erhoben er und der Earl sich.

„Mylady“, begrüßte Dunbar sie galant und führte ihre Hand an die Lippen. „Viele Jahre sind seit unserem letzten Treffen vergangen, und ich schwöre, Ihr seid mit jedem Tag schöner geworden.“

Sie lächelte liebenswürdig, doch ihre Augen lächelten nicht mit. „Zu gütig, Mylord. Ihr erweist uns eine große Ehre damit, der Hochzeit unserer Tochter beizuwohnen. Ich hoffe, das Gemach, das man Euch zuweisen wird, ist zu Eurer Zufriedenheit. Solltet Ihr irgendetwas benötigen, teilt es mir bitte mit, und es wird Euch umgehend gewährt werden.“

Tavis hatte nicht bemerkt, dass er den Atem angehalten hatte, bis seine Lunge nach Luft begehrte. Er hätte Robina durchaus zugetraut, dem Earl einen Dolch ins Herz zu rammen, sollte sie überzeugt davon sein, dass dies ihre Tochter retten würde.

Robina war direkt und eigensinnig, und er liebte sie mit jeder Faser seines Kriegerherzens. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte sie sicherlich als der wildeste Kämpe Schottlands gegolten.

Ein anderer Gemahl hätte ihre unverblümte Art, mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg zu halten, womöglich ebenso wenig geduldet wie ihre ungeheure Willensstärke. Ein anderer hätte versucht, sie zu unterwerfen, zu brechen und eben das auszulöschen, was sie zu etwas Besonderem machte.

Robina war kein sanftmütiges Lämmchen, und dafür war Tavis jeden Tag aufs Neue dankbar. Sie war sein, und er würde sich ihrer niemals schämen. Er liebte sie so, wie sie war.

Und weil er sie kannte, war er nun argwöhnisch. Robina verhielt sich allzu gefällig und entgegenkommend. Ihr Lächeln beunruhigte ihn. Hatte sie vor, dem Earl Gift in den Kelch zu geben? Oder wollte sie ihm vielleicht einen Langdolch zwischen die Rippen stoßen, wenn sie ihn gleich zu seinem Gemach geleitete? Beides war möglich, denn sobald es um ihre Kinder ging, wurde sie zur Wildkatze.

„Ich werde dem Earl seine Unterkunft zeigen“, sagte er rasch, um seiner Gemahlin zuvorzukommen. „Lasst ihm Speise und Trank hinaufbringen, damit er sich von der Reise erholen kann.“

Doch ehe er den Earl zur Treppe führen konnte, stürmte eine der Turmwachen in die Große Halle. Als der Mann den Gesandten des Königs neben Tavis erblickte, blieb er wie angewurzelt stehen und verbeugte sich ehrerbietig.

„Laird, ein Bote der Montgomerys ist eingetroffen. Ihr Clansführer und seine Mannen werden bei Einbruch der Nacht hier sein.“

Robina presste die Lippen aufeinander, aber Tavis rechnete ihr hoch an, dass sie schwieg, auch wenn sie die Hände an den Seiten zu Fäusten ballte.

Der Earl zog eine Braue hoch und schaute Tavis amüsiert an. „Man könnte meinen, dass Graeme Montgomery es kaum erwarten kann, seine Braut in Empfang zu nehmen.“

Tavis zogen sich die Eingeweide zusammen. Der bloße Gedanke daran, dass seine Tochter den Montgomerys in die Hände fallen würde, widerte ihn an. Er tauschte einen sorgenvollen Blick mit seiner Frau, denn es wurde immer klarer, dass sie nichts tun konnten, außer mit Waffengewalt aufzubegehren und ihren König zu verraten – und damit den gesamten Clan dem Tode zu weihen.

Die geliebte Tochter oder das Leben der Sippe, die auf den Schutz des Laird angewiesen war.

Kein Mann sollte vor eine solche Wahl gestellt werden.

5. KAPITEL

Eveline saß auf der Kuppe der Anhöhe, von der aus man die Vorderseite der Burg überblicken konnte, und beobachtete die imposante Schlange der Montgomery-Krieger, die auf die Zugbrücke zuhielt.

Sie fragte sich, ob ihr Vater ihnen allen das Tor öffnen oder den Großteil der Bewaffneten vor der Feste warten lassen würde. Allerdings war damit zu rechnen, dass Graeme Montgomery sich nicht darauf einlassen würde, mit nur einer Handvoll Leibwachen die Höhle des Löwen zu betreten und sich auf diese Weise angreifbar zu machen.

Eveline spähte angestrengt auf die vorderen Reihen – vielleicht gelang es ihr, den Mann ausmachen, der ihr Gemahl werden würde. Die Krieger wirkten riesenhaft auf sie und sahen mit ihrer Panzerung, den Schilden und den Schwertern alle gleich aus.

Wie ein Hochzeitstross mutete der Zug nicht an – eher wie der Auftakt zu einem Krieg.

Erschauernd schlang sie sich die Arme um den Leib und duckte sich tiefer in der Hoffnung, dass man sie nicht entdeckte. Mutter und Brüder würden nach ihr suchen. Ihren gewohnten Zufluchtsort hatte sie heute absichtlich gemieden, denn vermutlich war Brodie längst geschickt worden, sie zu holen. Stattdessen hatte sie sich für diese Stelle mit Aussicht entschieden – mit Aussicht auf ihre Zukunft.

Vorn lösten sich drei Männer aus der Reihe der Reiter. Einer legte den Kopf in den Nacken, so als rufe er etwas zu der Wache hinauf. Eveline wünschte, sie könne ihn verstehen. Die Lautstärke eines solchen Hünen musste eindrucksvoll sein. Vermutlich erschreckte der Mann jeden in Hörweite zu Tode.

Einige der Pferde hinter ihm scheuten und mussten von ihren Reitern hastig gezügelt werden.

Eveline legte das Kinn auf die Knie und beobachtete, wie die Zugbrücke langsam herabgelassen wurde.

Ihr Gemahl.

Er war gekommen, sie allem zu entreißen, das sie kannte und liebte. Dies hier war der einzige Ort, an dem sie sich sicher und geborgen fühlte – umhegt von ihrer Familie, respektiert von ihrem Clan.

Aber hatte sie sich nicht einst nach einem normalen Leben gesehnt? Nach einem neuen Abenteuer? Danach, die Welt außerhalb der Burgmauern kennenzulernen? In ihrem ganzen Leben hatte sie die Grenzen des Armstrong-Landes nie überschritten.

Es hatte eine Zeit gegeben, da sie die Verlobung mit Ian McHugh begrüßt hatte. Freudig erregt hatte sie von Gemahl, Kindern und einer eigenen Burg geträumt, auf der sie schalten und walten konnte. Oh, wie sie sich im Geiste schon alles zurechtgelegt hatte. Die Besuche bei ihrer Familie beispielsweise. Und zur Geburt ihres ersten Kindes wären sie zurück zur Feste ihres Gatten geritten. Lauten Jubel und große Glückseligkeit hatte sie sich ausgemalt.

Diese Fantasien waren jedoch rasch verflogen, als Ian ihr gegenüber seine wahren Absichten preisgegeben hatte. Der Traum hatte sich in einen Albtraum verwandelt, aus dem sie niemals zu erwachen gefürchtet hatte.

Sie verabscheute es, sich hier hinter Vater, Mutter und Brüdern zu verstecken und anderen den Eindruck zu vermitteln, nicht die zu sein, die sie eigentlich war. Doch am meisten hasste sie, dass sie ihren Traum hatte aufgeben müssen. Sie hatte alles getan, um zu gewährleisten, dass sie sicher verschanzt auf den väterlichen Besitzungen würde bleiben können. Dennoch schien nun der Tag gekommen, da sie gezwungen war, die Grenzen ihres Landes hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen.

Freiwillig hätte sie sich nie diesen Weg auserkoren, um zu neuen Horizonten aufzubrechen, aber sie hatte keine Wahl. Sollte sie also nicht lieber versuchen, das Beste daraus zu machen?

Ihre Mutter war am Boden zerstört. Ihr Vater war verbittert, bekümmert und so düsterer Stimmung, dass niemand ihn zu behelligen wagte, sofern es sich vermeiden ließ. Selbst ihre Brüder waren reizbar. Es war, als habe sich eine schwarze Wolke über die Burg gesenkt, und seit sich die Montgomerys zum Einbruch der Nacht angekündigt hatten, herrschte angespanntes Treiben auf der Burg.

Eveline war dem Aufruhr unbemerkt entkommen, doch gewiss suchte man bereits nach ihr. Vielleicht, um sie zu verstecken – vielleicht, um sie dem Mann vorzuführen, der ihr Gemahl werden sollte.

Sie hatte genügend Leuten von den Lippen gelesen, um in Erfahrung zu bringen, dass nun, da der Earl auf der Feste weilte, ein jeder Verstoß gegen das königliche Dekret als kriegerische Handlung wider den König gewertet würde.

Nachdem sie den Montgomery-Clan einer eingehenden Musterung unterzogen hatte, streckte sie sich auf dem Boden aus und schloss kurz die Augen gegen das Sonnenlicht. Als sie die Lider wieder hob, richtete sie den Blick in die Ferne auf den blauen Himmel und die vorüberschwebenden Wolken.

So daliegend, gelang es ihr einen flüchtigen Moment lang zu entfliehen. Umgeben von Stille zwar, aber aus den Tiefen ihres Geistes konnte sie die Erinnerung an Musik heraufbeschwören. Während sie in das endlose Blau über sich starrte, hätte sie schwören können, dass ihr eine Melodie durch den Kopf tanzte.

„Sieh mal, auf dem Hügel zu deiner Rechten“, rief Teague.

Graeme drehte sich im Sattel und schaute in die gewiesene Richtung, während vor ihm die Zugbrücke langsam herabgelassen wurde, begleitet von einem schleifenden Geräusch.

Fast übersah er die zierliche Gestalt und schaute wieder nach vorn. Doch irgendetwas ließ seinen Blick zu ihr zurückgleiten, ehe er sich stirnrunzelnd zu seinem Bruder umwandte. Wieso um alles in der Welt hatte Teague ihn auf jene Person dort aufmerksam gemacht?

„Ist das ein Mensch?“, wollte Teague wissen. „Was tut er dort allein auf dem Hügel?“

„Hast du etwa Angst, sie könne herunterkommen und dich vom Pferd stoßen?“, fragte Bowen gedehnt.

„Sie?“ Teague klang ungläubig.

„Es ist eine Frau.“ Bowen nickte in Richtung des fernen gelben Flecks.

Angestrengt spähte Graeme abermals zur Anhöhe hinüber. „Wie kannst du dir aus dieser Entfernung sicher sein?“

Bowen sah sie beide spöttisch an und schüttelte gespielt fassungslos den Kopf. „Meint ihr etwa, irgendein Kerl würde in einem gelben Kleid herumlaufen?“

Teague hob eine Braue. „Nun, wir reden hier von den Armstrongs, da halte ich alles für möglich.“

Die Krieger um sie herum lachten, und dann landete die Zugbrücke auch schon mit einem dumpfen Laut auf der Erde und ließ Staub um die Hufe der Pferde wirbeln. Als Graeme erneut zum Hügel blickte, konnte er die Frau nicht mehr entdecken. Wie hatte sie so schnell verschwinden können?

Er trieb sein Pferd vorwärts und richtete seine Gedanken auf die bevorstehende Konfrontation. Wie viel lieber hätte er sich einem zahlenmäßig dreimal überlegenen Feind in der Schlacht gestellt, als fügsam die Burg der Armstrongs zu betreten und sich durch Heirat mit ihnen zu verbinden.

Das ging ihm auf ganzer Linie gegen den Strich. Sein Vater würde sich im Grabe umdrehen. Dies war ein rabenschwarzer Tag für alle Montgomerys und würde als solcher in ihre Geschichte eingehen. Noch lange würde man sich daran erinnern. Wenn es nach Graeme ginge, fände das Ereignis weder in mündlichen noch in schriftlichen Überlieferungen Erwähnung.

Aber natürlich konnte er seine Gemahlin nicht einfach aus der Clansgeschichte löschen, so verlockend der Gedanke auch war.

Er ritt in den Burghof ein und erblickte neben Tavis Armstrong den Earl of Dunbar. Es überraschte ihn nicht, den Gesandten des Königs hier zu sehen, obwohl er den König höchstselbst erwartet hätte. Immerhin war diese Hochzeit doch von immenser Bedeutung für Alexander.

Graeme hielt sein Pferd an und musterte den Anführer des Armstrong-Clans vom Sattel aus. Tavis Armstrong erwiderte den Blick. Neben ihm bauten sich nun seine beiden Söhne auf, wenngleich Graeme nicht wusste, welcher wer war. Das letzte Mal hatte er die männlichen Armstrong-Nachkommen zu Gesicht bekommen, als er sie nach einem kurzen Scharmützel im „Todesgürtel“ zum Teufel gejagt hatte. Der „Todesgürtel“ war der Bereich zwischen den Grenzen des Montgomery- und des Armstrong-Lands. Er gehörte den McAlpins, aber diese hatten ihn vor Langem aufgegeben, weil er so nah an dem Besitz der zerstrittenen Clans lag. Es war ein schmaler Streifen, lediglich ein Fortsatz der McAlpin-Besitzungen. Daher stellte es für die McAlpins keinen großen Verlust dar, sich weiter südlich und somit in gebührendem Abstand zu der Fehde zu halten.

Tavis Armstrong blinzelte als Erster, was Graeme mit Befriedigung erfüllte. Er freute sich über jeden Sieg, ganz gleich wie nichtig. Er mochte gezwungen sein, brav und folgsam herzukommen, aber er wollte verflucht sein, wenn er sich von einem Armstrong einschüchtern ließe.

Der Laird der Armstrongs trat nun einen Schritt vor und räusperte sich. „Willkommen auf unserer Burg, Laird Montgomery. Ich möchte Euch und Eure Brüder einladen hereinzukommen. Für Eure Mannen sind um die Burg herum Zelte errichtet worden, und dort werden sie auch beköstigt werden.“

Kurz schwieg Graeme, ehe er seinen Brüdern einen Blick zuwarf und den Befehl zum Absitzen gab. Er schwang sich vom Pferd.

Mit einem Wink beschied Armstrong einigen seiner Männer, die Rösser der Gäste zu den Stallungen zu bringen.

Hier standen sie also. Montgomery-Kämpen und Arm­strong-Krieger Aug’ in Aug’. Die tiefe Abneigung zwischen ihnen war spürbar. Die Armstrongs wirkten, als hätten sie soeben dem Teufel Einlass in ihr Heiligtum gewährt – nun, vielleicht hatten sie das ja tatsächlich.

Etwas Derartiges war in der Geschichte beider Clans noch nie vorgekommen. Nie waren sie einander so nahe gewesen, ohne die Waffen sprechen zu lassen und kübelweise Blut zu vergießen. Graeme zuckte es in den Fingern, nach seinem Schwert zu greifen, und ihm schmerzte die Kehle, weil er krampfhaft einen Kriegsschrei zurückhielt.

„Die Sache gefällt mir nicht“, sagte Armstrong leise. Seine Stimme hatte etwas Stählernes. „Gott ist mein Zeuge, es gibt keine Faser in mir, die sich nicht gegen diesen Wahnwitz sträubt.“

Graeme nickte. Er schätzte die Aufrichtigkeit des Älteren. „Mir gefällt sie nicht mehr als Euch“, erwiderte er ebenso freimütig.

„Ihr opfert nichts“, presste Armstrong hervor. „Was könnte Euch schon an dem Ganzen widerstreben? Ihr werdet mit meiner Tochter davonreiten und gebt selbst dabei nichts auf.“

Graeme zog eine Braue hoch. Kalte Wut kroch ihm den Nacken hinauf und legte sich wie eine Zange um seinen Hinterkopf. Er rang um Beherrschung, und es kostete ihn alle Mühe, sich nicht auf sein Gegenüber zu stürzen. Er hatte das Bild seines Vaters vor Augen, und dort stand der Mann, dessen Vater den seinen auf dem Gewissen hatte.

„Glaubt Ihr das wirklich? Man drückt mir eine makelbehaftete Braut aufs Auge, die mir nie Erben gebären wird. Ich gebe viel auf. Ich gebe alles auf.“

„Sie ist keineswegs makelbehaftet!“, donnerte einer der beiden Armstrong-Söhne und sprang vor.

Im Nu hatten Teague und Bowen ihre Schwerter gezogen und stellten sich schützend vor Graeme. Ihre Arme bebten, und er wusste, dass sie gegen den Drang ankämpften, die Arm­strongs auf der Stelle niederzumetzeln.

Die Situation stand kurz davor, außer Kontrolle zu geraten. Zu versessen waren beide Seiten darauf, das Blut der jeweils anderen fließen zu sehen. Der geringste Vorwand würde genügen.

„Das reicht!“, sagte der Earl of Dunbar scharf. „Der König wäre wenig erfreut über Handgreiflichkeiten. Er will Frieden, und Frieden soll er haben. Nach der Trauung werden beide Clans einen Eid schwören und diesen mit ihrem Blut besiegeln. Jeder Verstoß gegen das Abkommen wird als Akt des Hochverrats wider die Krone gewertet. Damit würdet Ihr Euer Land einbüßen und als Vogelfreie gejagt werden.“

„Brodie, halte dich zurück“, beschied Armstrong dem Sohn, der seiner Wut brüllend Ausdruck verliehen hatte. „Aiden, steck dein Schwert weg.“

Brodie funkelte Graeme an, um ihn wissen zu lassen, dass er ihn gern hier und jetzt aufgespießt hätte. Graeme verzog den Mund lediglich zu einem humorlosen Grinsen. „Versuch’s doch“, sagte dieses Grinsen.

„Sie ist zehnmal so viel wert wie Ihr“, stieß Brodie hervor, während er zurücktrat.

Armstrong hob eine Hand. Mit einem Mal wirkte er müde. Falten, die von seinem Alter kündeten, furchten seine Stirn. Er sah aus wie ein Mann, der gegen den Teufel selbst gerungen hatte. Doch Graeme brachte kein Mitleid auf. Schließlich hatte Armstrongs Vater den seinen gemeuchelt, und im Laufe der Jahre hatte der Montgomery-Clan zahlreiche Verluste durch die Armstrongs erleiden müssen.

„Kommt herein“, forderte Armstrong die Ankömmlinge in einem Tonfall auf, der keinen Zweifel daran ließ, wie sehr es ihm widerstrebte, die Einladung auszusprechen. „Meine Gemahlin hält Trank und Speisen für Euch bereit. Sicher möchtet Ihr Euch nach Eurer Reise stärken.“

„In der Tat, und meine zukünftige Frau würde ich auch gern kennenlernen“, erwiderte Graeme spöttisch.

Abermals knurrte Brodie wütend, doch Tavis Armstrong brachte ihn rasch mit einem scharfen Blick zum Schweigen. Er winkte Graeme und dessen Brüdern, ihm in den Wohnturm zu folgen. Auf dem Weg in die Große Halle hielt sich der Earl zwischen den beiden Gruppen.

Eine zierliche Dame erhob sich von einem Stuhl vor dem Kamin und legte ihre Näharbeit beiseite. Dies musste Arm­strongs Gemahlin sein, wenngleich sie nicht wie eine Frau fortgeschrittenen Alters wirkte.

Autor

Maya Banks

Maya Banks lebt mit ihrem Mann, drei Kindern und einer ganzen Schar von Katzen in Texas. Wenn sie nicht schreibt, trifft man sie beim Jagen und Fischen oder beim Poker spielen. Als typisches Mädchen aus den Südstaaten beschreibt sie in ihren Geschichten leidenschaftlich gern Charaktere und Landschaften aus ihrer Heimat....

Mehr erfahren