Dr. Daniels – Arzt mit Leib und Seele

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Zunächst ist die OP-Schwester Leila nur voller Bewunderung für Dr. Rupert Daniels, den neuen Arzt auf der Entbindungsstation, der sich aufopferungsvoll um seine kleinen Patienten kümmert. Doch dann fühlt sie sich immer mehr zu ihm hingezogen. Warum nur geht er ihr so offensichtlich aus dem Weg?


  • Erscheinungstag 22.11.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754204
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„In OP sechs wird gerade ein Kaiserschnitt durchgeführt. Es sind Zwillinge. Und es warten auch schon zwei Mitarbeiter vom Amt für soziale Dienste, die die Säuglinge abholen wollen. Sie sind dir vielleicht schon aufgefallen.“

Leila Hardwick nickte. Sie arbeitete als OP-Schwester im Gresham General Hospital in Ontario. Donna Parsons, die Oberschwester, hatte ihr die Neuigkeiten mitgeteilt.

„Ja, ich habe zwei Frauen bemerkt, die sehr offiziell gekleidet waren“, erklärte Leila und warf einen kurzen Blick zu Anne Mackey, ihrer Kollegin. Anne hob kurz die Augenbrauen, gab aber keinen Kommentar ab. Beide waren gerade erst zum Spätdienst gekommen. Es war viertel nach drei, und erst nachts um halb zwölf würden sie von der Nachtschicht abgelöst werden.

„Und warum werden sie abgeholt?“, fragte Leila.

Die Oberschwester verdrehte die Augen. „Wir sollten nicht zu viele Fragen stellen“, sagte sie und wirkte ein wenig betroffen. „Die Mutter kann sich nicht um die Babys kümmern und der Vater scheinbar auch nicht. Sie sind obdachlos, leben in keiner festen Beziehung und sind noch sehr jung. Das ist alles, was ich weiß.“

„Das klingt, als hätte das Jugendamt einen triftigen Grund, um hier einzuschreiten“, erwiderte Anne.

„Ich bin mir sicher, dass Dr. Daniels sehr genau wusste, warum er das Jugendamt eingeschaltet hat. Ich habe eine hohe Meinung von ihm und seinem Urteilsvermögen“, fuhr die Oberschwester fort. „Überhaupt hat er frischen Wind in diese Abteilung gebracht. Er zögert nicht so lange wie manch anderer.“

„Dr. Daniels?“, fragte Leila. „Seit wann ist er bei uns?“

„Ach, du hast ihn noch gar nicht getroffen, Leila?“

„Nein.“ Sie hatte vierzehn Tage Urlaub gehabt. In dieser Zeit hatte der neue Arzt für den Bereich Frauenheilkunde und Geburtshilfe seine Arbeit aufgenommen. Sein Name weckte ein seltsames Gefühl in Leila, aber sie konnte ihn nicht einordnen.

„Wie war denn dein Urlaub?“, erkundigte sich Donna und riss sie damit aus ihren Gedanken.

„Schön“, sagte Leila und lächelte bei dieser Erinnerung. „Sehr ruhig und erholsam. Ich war in Windberry Island und habe dort meine Mutter in ihrer Hütte am Portage Lake besucht.“ Sie hatte auf der kleinen idyllischen Insel zwei wundervolle zwei Wochen mit ihrer Mutter, die sich gern dorthin zum Malen zurückzog, und ihrer Schwester Stacey verbracht. „Es kommt nicht mehr häufig vor, dass wir ein Familientreffen haben.“

„Das klingt richtig gut“, sagte Donna. „Ich bräuchte jetzt auch ein paar Wochen Urlaub. Ein kleiner Tapetenwechsel bewirkt Wunder. War dein Vater auch dabei?“

„Nein. Er hat kaum jemals Zeit, obwohl er schon im Ruhestand ist.“ Sie merkte, dass sie ihren Vater schon wieder in Schutz nahm, obwohl sie seine Lebensweise nicht als nachahmenswert empfand. Aber Donna Parsons kannte ihren Vater sehr gut. Sie hatte viele Jahre mit ihm zusammengearbeitet.

„Ich wette, deine Mutter ist nicht sehr glücklich darüber“, bemerkte sie und stand von ihrem Schreibtischstuhl auf.

Leila musste unwillkürlich seufzen. „Nein, meine Mutter hat schon vor langer Zeit die Hoffnung aufgegeben, dass mein Vater sich eines Tages ändern wird. Das hat wohl mit seinem Beruf zu tun.“

„Nun“, sagte Donna, „sie ist nicht die einzige Frau, die mit einem Workaholic verheiratet ist, und sie wird auch nicht die letzte sein.“ Sie nahm einen Schlüsselbund aus ihrer Kitteltasche. „Los, Mädels, wir müssen die Medikamente überprüfen.“

Die drei Frauen verließen das Büro der Oberschwester und liefen den Flur entlang.

„Dr. Daniels ist in OP sechs und macht den Kaiserschnitt“, berichtete Donna. „Die Mutter war wohl drogenabhängig“, fuhr sie fort, „scheint jetzt aber clean zu sein. Trotzdem ist Vorsicht angesagt, und deswegen werden die Kinder ins Children‘s Hospital gebracht.“ Dabei handelte es sich um ein großes Kinderkrankenhaus, nicht weit vom Gresham General entfernt. „Abgesehen davon haben wir noch zwei Fälle. Einen Nabelbruch in OP vier und eine Darmresektion in OP zwei. Hoffentlich ist das alles für heute!“

„Das klingt ja nicht so schlimm“, sagte Leila. Sie überlegte immer noch, wo sie den Namen Daniels schon einmal gehört hatte. Es war zwar kein seltener Name, aber häufig kam er auch nicht vor …

„Hoffentlich“, stimmte Anne zu. „Ich könnte einen ruhigen Abend gebrauchen.“

Leila warf ihr einen Blick zu und lächelte. Bald würden die anderen Schwestern vom Frühdienst nach Hause gehen, und sie würden zu zweit bleiben, bis sie von den beiden Nachtschwestern abgelöst wurden. Sie wussten beide sehr genau, dass bis dahin noch sehr viel passieren konnte.

Während der Frühschicht arbeiteten Anne und Leila überwiegend in der Geburtshilfe und der Gynäkologie. Sie mussten sich dann nur um OP fünf und sechs kümmern. Insgesamt gab es fünfzehn OPs, und während der Spätschicht mussten die Schwestern überall aushelfen. Die Operationen, die tagsüber nicht mehr geschafft wurden, mussten nachgeholt werden, und Notfälle jeder Art standen täglich auf dem Programm. Die Spätschicht war überhaupt nicht beliebt, weil sie überaus anstrengend war und viel mehr Konzentration erforderte. Deshalb wechselte sich das Personal mit dieser unbeliebten Schicht wochenweise ab.

Nachdem sie die Medikamente, die in einem verschlossenen Schrank aufbewahrt wurden, überprüft hatten und die Oberschwester Feierabend gemacht hatte, überlegten Leila und Anne, wie sie die anstehenden Arbeiten am besten aufteilten.

„Ich übernehme OP sechs, wenn es dir recht ist“, sagte Anne. „Ich bin ganz neugierig, weil das Jugendamt die Zwillinge abholt. Das kommt schließlich nicht alle Tage vor.“

„In Ordnung“, stimmte Leila zu. „Dann kümmere ich mich um die anderen Räume. Ich mache jetzt meine Runde und löse die Frühschicht ab. Sobald ich fertig bin, helfe ich dir mit den Zwillingen.“

„Gut.“ Anne nickte. „Vielleicht ergibt sich ja eine Gelegenheit, dass ich dich mit Dr. Daniels bekannt mache. Er ist ziemlich süß.“ Sie kicherte und sah sich um.

„Das ist ja eine ungewöhnliche Beschreibung für einen Chirurgen“, sagte Leila unberührt. „Oder überhaupt für einen Arzt.“

„Ich weiß.“ Anne strahlte. „Aber er ist kein typischer Chirurg. Er hat auch eine Fachausbildung in Kinderheilkunde gemacht, bevor er sich für die Chirurgie in der Frauenheilkunde entschieden hat. Das hat er mir selbst erzählt. Als Student hat er einige Praktika in ärmeren Ländern Mittelamerikas absolviert. Es fiel ihm auf, wie dringend diese verarmten Frauen medizinische Hilfe bei der Entbindung brauchten. Die Kindersterblichkeitsrate ist dort schockierend hoch. Und die Sterblichkeitsrate der Mütter sieht wohl kaum besser aus.“

„In Gresham Downtown geht es ähnlich zu“, sagte Leila ernst. „Es ist sehr schwierig, die Frauen dazu zu bekommen, regelmäßig zu den Schwangerschaftsuntersuchungen zu gehen, oder die Kinder später regelmäßig zu den Vorsorgeuntersuchungen zu bringen. Und es ist fast unmöglich, sie dazu zu bringen, während der Schwangerschaft keine Drogen zu nehmen.“

„In Gresham Downtown hat er auch gearbeitet“, erwiderte Anne. „Das hat ihn sicherlich sehr beeinflusst.“

„Vielleicht ist das der Grund, warum er sich für Geburtshilfe entschieden hat?“, überlegte Leila laut. „Ich wundere mich immer wieder über Männer, die sich für dieses Gebiet entscheiden.“

„Ja“, stimmte Anne zu. „Bei einigen spielt sicherlich Macht eine Rolle.“

Leila lächelte. „Da könntest du Recht haben. Aber dieser Dr. Daniels scheint in Ordnung zu sein. Es gibt nicht viele Ärzte, die einem sicheren Einkommen den Rücken kehren würden, um ärmeren Menschen in anderen Ländern oder in Gresham Downtown zu helfen.“

„Nun, er hat auch keine Familie, die er ernähren muss, obwohl ich gehört habe, dass er mindestens eine feste Freundin hat“, informierte Anne ihre Kollegin.

„Du hast in den letzten zwei Wochen sehr viel über unseren neuen Arzt erfahren“, bemerkte Leila und lächelte über ihre Freundin. „Ich bin sehr beeindruckt, obwohl ich nicht genau verstehe, wie man mehr als eine feste Beziehung haben kann.“

„Er hat sich wohl noch nicht entschieden. Und noch etwas“, fiel Anne plötzlich ein. „Er heißt Rupert. Seine Freunde nennen ihn scheinbar Rue oder Rupe.“

„Du machst Witze.“

„Nein, das stimmt.“ Nachdem Anne alles erzählt hatte, was sie über den neuen Arzt wusste, verabschiedete sie sich und ging an die Arbeit. Leila blieb vor dem Medikamentenschrank stehen und starrte ihrer Freundin nach.

„O mein Gott“, flüsterte Leila fassungslos. „Rupert Daniels… Dr. Rupert Daniels! Ich wusste, dass ich diesen Namen kannte. Er ist hier… und ich muss mit ihm zusammenarbeiten!“

Und plötzlich fiel ihr die ganze Geschichte von Stacey, ihrer acht Jahre älteren Schwester, und Dr. Daniels ein. Ihre Schwester hatte sich dabei zum Narren gemacht. Leila konnte sich nicht vorstellen, dass es in Gresham zwei Ärzte gab, die diesen Namen trugen.

Stacey war Physiotherapeutin und hatte damals im University Hospital gearbeitet. Dr. Daniels war auch dort angestellt. Das musste vor ungefähr drei Jahren gewesen sein? Ja, das kam hin, denn Leila erinnerte sich, dass Stacey gerade ihren einunddreißigsten Geburtstag gefeiert und darüber gewitzelt hatte, dass sie nun auf die Vierzig zuginge.

„Da ist dieser wunderbare Arzt im Krankenhaus“, hatte Stacey ihrer Schwester damals anvertraut. „Es würde mir nichts ausmachen, ihn zu fragen, ob er der Vater meines Kindes werden möchte.“

„Welches Kind?“, hatte Leila damals gefragt und erinnerte sich nun an ihre damalige Verwirrung.

„Ich habe mich entschieden, noch vor meinem fünfunddreißigsten Geburtstag ein Kind zu bekommen“, hatte Stacey erklärt, als könnte man Kinder einfach so bestellen. „Zumindest eins.“

Einige Jahre davor hatten sie schon einige Diskussionen darüber geführt, ob man ein Kind haben sollte, ohne verheiratet zu sein. Sie waren sich nicht darüber einig gewesen, wie gut oder schlecht es für ein Kind wäre und wie schwierig es sein würde, ein Kind alleine groß zu ziehen. Mit den Jahren hatte Leila allerdings erfahren, dass die Theorie häufig nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun hatte.

„Was du wirklich brauchst, ist Geld und den festen Willen“, hatte Stacey erklärt. „Sieh dir Mum an. Sie war doch praktisch allein erziehend. Sie hat ganz alleine vier Kinder großgezogen, während Dad Tag und Nacht gearbeitet hat, als würde sein Leben davon abhängen.“

„Immerhin hatte Mum die Möglichkeit, uns ihre ganze Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken. Und waren wir glücklich darüber, dass wir ihn so selten zu Gesicht bekommen haben? War sie glücklich?“, hatte sie etwas rau erwidert. Insgeheim stimmte sie mit ihrer Schwester überein, dass man als selbstständige und willensstarke Frau nicht verheiratet sein musste, um ein Kind zu erziehen, wenn man genug Geld verdiente. „Immerhin hatten wir sehr viel Geld, zumindest darum musste sich Mum nicht sorgen. Würdest du finanziell denn zurechtkommen?“

„Ich würde die Dinge anders organisieren“, erklärte Stacey, ohne auf die Einzelheiten einzugehen.

„Wie denn?“

„Ich würde halbtags arbeiten.“

„Und dieser wundervolle Dr. Daniels passt genau in deinen Plan?“, hatte Leila skeptisch gefragt, ohne ihre Schwester wirklich ernst zu nehmen. Stacey konnte sehr impulsiv sein, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, aber im Grunde ihres Wesens war sie eine vernünftige Frau.

„Ja“, hatte Stacey verträumt geantwortet. „Ich muss nur den richtigen Zeitpunkt abpassen, um ihm diesen Vorschlag zu unterbreiten.“

„Es gibt sicherlich nicht viele Männer, die Vater eines Kindes werden möchten, das nicht bei und mit ihnen aufwächst“, hatte Leila eingewendet. „Schon gar nicht, wenn sie die Frau kaum kennen und nicht wissen, ob sie eine gute Mutter sein wird.“

„Machst du Scherze?“, hatte Stacey verblüfft gefragt. „Was ist denn mit all diesen Spermaspendern, die nicht wissen, welche Frau das Kind austragen wird, geschweige denn das Kind jemals zu Gesicht bekommen?“

„Diese Frauen sind größtenteils verheiratet. Ihre Männer sind meistens unfruchtbar, und das ist etwas ganz anderes.“

„Manche sind nicht verheiratet“, hatte Stacey etwas ungeduldig erwidert. „Es gibt sogar schon Frauen, die Eizellen spenden.“

„Tu nichts Unüberlegtes“, hatte ihr Leila damals geraten, denn sie wusste, dass ihre Schwester fast immer ihren Kopf durchsetzte, wenn sie sich einmal etwas fest vorgenommen hatte.

Und dennoch hatte Leila nicht erwartet, dass Stacey diesem Dr. Rupert Daniels, dem sie selbst noch nie begegnet war, auf einer Krankenhausparty diesen Vorschlag unterbreiten würde. Sie hatte scheinbar so lange auf ihn eingeredet, dass es peinlich wurde.

Als Entschuldigung konnte für Staceys Verhalten lediglich gelten, dass sie auf dieser Party sehr viel getrunken hatte. Aber sie hatte erst aufgegeben, als Dr. Daniels ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass er weder beruflich noch privat etwas mit ihr zu tun haben wollte.

Leila versuchte, diese unangenehme Erinnerung zu verdrängen. Nach einer Weile hatte Stacey ihre Stelle in Gresham aufgegeben und war in die Vereinigten Staaten gezogen.

„Zum Teufel“, murmelte Leila. „Verdammt.“

Nun musste sie, Leila, mit Dr. Daniels zusammenarbeiten und womöglich ausbaden, was ihre Schwester angerichtet hatte. Denn Dr. Daniels würde schon bald herausfinden, dass Stacey ihre Schwester war.

Leila machte ihre Stationsrunde und informierte die Belegschaft, dass die Spätschicht schon da war. Danach bereitete sie einen leeren OP für einen möglichen Notfall vor.

Nach einer halben Stunde wurden die Patienten mit dem Nabelbruch und dem Darmriss in den Überwachungsraum gebracht. Die Schwestern der Tagschicht, die von zehn bis achtzehn Uhr Dienst hatten, übernahmen die Reinigung.

Leila ging in den OP sechs, um zu sehen, ob ihre Hilfe dort benötigt wurde. Der Raum war voller Mitarbeiter. Das chirurgische Team bestand aus Dr. Daniels und zwei Assistenten, dann waren da noch zwei Kinderärzte, die sich um die beiden Neugeborenen kümmerten, die jetzt in ihren Brutkästen lagen. Hinzu kamen die OP-Schwestern, die den Chirurgen Instrumente und andere Utensilien reichten, und schließlich Anne, die von einem zum anderen ging und dort aushalf, wo sie gerade benötigt wurde. Die Babys schrien lauthals. Sie machten einen gesunden Eindruck.

„Ist hier alles in Ordnung?“, erkundigte sich Leila bei Anne, die damit beschäftigt war, den Ablauf des Kaiserschnitts schriftlich festzuhalten.

„Ja.“ Anne nickte und sah sie lächelnd an. „Den Kindern geht es, Gott sei Dank, gut. Sie haben sofort geschrien. Die Kinderärzte werden sie jetzt den beiden Frauen vom Jugendamt übergeben, aber Dr. Daniels möchte vorher noch mit ihnen sprechen. Ich bin froh, dass ich das nicht tun muss.“

„Sie werden mit einem Krankenwagen in die Kinderklinik gebracht, nicht wahr?“, erkundigte sich Leila.

„Ja. Und dort werden sie eingehend untersucht“, erklärte Anne. „Danach kommen sie in ein Pflegeheim, bis sie adoptiert werden. Sie werden auf jeden Fall zusammenbleiben.“

„Wenigstens ein kleiner Lichtblick für die beiden“, sagte Leila traurig und sah die Kinder mitfühlend an. Danach warf sie einen Blick auf Dr. Daniels, der mit dem Rücken zu ihr über seine Patientin gebeugt war. Er war groß, schlank und hatte breite Schultern. Trotz seiner Kopfbedeckung erkannte Leila, dass er dunkle Haare hatte. Leila hatte keinen Zweifel, dass er für die Kinder die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Er drehte sich plötzlich um und sah sie an. Seine Augen waren von einem intensiven Blau, und sie hatte das Gefühl, dass er ihren Blick gespürt hatte. Leila war augenblicklich von ihm gebannt. Das war also der Mann, den Stacey so wunderbar gefunden hatte, dass sie sich vor ihm zum Narren gemacht hatte.

„Könnten Sie den Sozialarbeiterinnen bitte sagen, dass wir hier gleich fertig sind? Die Kinder sind in ein paar Minuten auch so weit“, sagte er zu ihr. „Und richten Sie ihnen aus, dass ich noch mit ihnen sprechen möchte, bevor sie gehen.“

Leila nickte. Sie war ganz angetan von seiner tiefen, sehr angenehmen Stimme. „In Ordnung“, sagte sie.

Er hatte ein schmales, kantiges Gesicht, die Wangenknochen traten deutlich hervor. Das Gesicht eines Intellektuellen, dachte sie. Er wirkte sehr aufmerksam und gleichzeitig völlig entspannt. Wegen seiner Gesichtsmaske konnte sie seinen Mund nicht sehen.

Er machte nicht den Eindruck, als würde sie ihn an Stacey erinnern, obwohl sich die beiden Schwestern sehr ähnlich sahen.

„Können Sie sich bitte auch informieren, ob der Krankenwagen bereits unterwegs ist? Er sollte in ungefähr zehn Minuten hier sein“, fügte er hinzu.

„Ja“, sagte Leila und bemerkte, dass er sie prüfend ansah. Männer, das hatten ihr die Kolleginnen verraten, fühlten sich manchmal etwas eingeschüchtert von ihr. Sie war einen Meter vierundsiebzig groß, hatte eine außergewöhnlich helle Gesichtsfarbe, blaue Augen und blondes Haar. Sie wirkte sehr stilvoll und erhaben. Dazu kam, dass sie einen sehr kompetenten Eindruck machte, was dazu führte, dass man sie für die Verkörperung von Effizienz in ihrem Job hielt.

Allerdings merkte kaum jemand, was für einen weichen Kern sie hatte. Keiner erriet, wie sehr sie sich so manches Mal danach sehnte, die Babys in die Arme zu nehmen und sie zu knuddeln. Allein ihr Anblick ließ es ihr warm ums Herz werden. „Ich gehe gleich“, sagte sie.

„Danke schön.“ Er wandte sich wieder an seine Patientin.

Leila verließ den Raum und ging zum nächsten Telefon, um nach dem Krankenwagen zu fragen.

„Puh!“ Leila atmete tief durch. Das war also dieser wunderbare Dr. Daniels. Das erste Zusammentreffen hatte sie überstanden und somit ein wenig Zeit gewonnen, um sich eine Verteidigungsstrategie auszudenken. Er würde schon bald ihren Namen hören und die Zusammenhänge begreifen. Vielleicht hatte er die unerfreuliche Episode mit Stacey in den vergangenen drei Jahren ja schon verdrängt. Wie auch immer, sie würde es bald wissen.

2. KAPITEL

Die beiden Sozialarbeiterinnen hielten sich im Wartebereich vor den Operationssälen auf.

Leila ging auf die Frauen zu und informierte sie, dass die Babys bald so weit seien und dass Dr. Daniels noch mit ihnen sprechen wolle. Sie nickten und erkundigten sich nach den Kindern.

„Was geschieht jetzt mit den beiden?“, fragte Leila. „Sie sind so süß. Werden sie zusammen adoptiert werden?“

„Ja. Wir haben schon eine Familie, die sie haben möchte. Aber zuerst werden sie im Kinderkrankenhaus eingehend untersucht. Falls alles in Ordnung ist, kommen sie dann für eine Weile in ein Pflegeheim, und in dieser Zeit können die Adoptiveltern den Kontakt aufbauen. Sobald sie einen Zugang zueinander gefunden haben, können sie langsam in die Familie hineinwachsen. Wir werden diesen Vorgang natürlich genau beobachten.“

„Wird die leibliche Mutter ihre Kinder noch sehen?“

„Nein, das wollte sie nicht. Sie dachte, dass sei das Beste, und unter diesen Umständen waren wir ihrer Meinung“, erklärte die jüngere Frau. „Es ist ja nicht so, dass es ihr egal wäre“, fuhr sie nachdenklich fort. „Aber sie ahnt, dass es noch schwieriger ist, die Kinder gehen zu lassen, wenn sie sie vorher gesehen hat. Allerdings möchte sie einen gewissen Kontakt schon aufrechterhalten. Vielleicht wird sie die Kinder sehen, wenn sie älter sind.“

„Ja, vielleicht.“ Leila konnte nicht viel dazu sagen, denn die ganze Situation stimmte sie sehr traurig.

Als sie in den OP zurück kam, wurde die junge Mutter gerade genäht. Dr. Daniels zog die Handschuhe aus und warf sie in den Eimer. Seine Assistenten hatten die abschließende Versorgung übernommen.

„Und wer sind Sie?“, fragte er und kam auf Leila zu. „Ich glaube, wir haben uns noch nicht getroffen.“ Er sah sie von oben bis unten an. Allerdings trug sie den weiten OP-Kittel sowie Haube und Mundschutz, so dass er wirklich nicht viel von ihr sehen konnte.

Sie räusperte sich. „Ich bin Leila Hardwick, OP-Schwester“, stellte sie sich vor.

Er streckte eine Hand aus. „Rupert Daniels“, erwiderte er und schüttelte ihre Hand. „Wie kommt es, dass wir uns noch nicht begegnet sind?“

„Ich hatte zwei Wochen Urlaub“, gab sie Auskunft, und ihre Stimme klang ein wenig unsicher. Ängstlich suchte sie in seinem Blick nach Anzeichen des Wiedererkennens. Aber da war nichts. „Heute ist mein erster Arbeitstag.“

„Das ist natürlich eine einleuchtende Erklärung.“ Er lächelte sie freundlich an, ein Lächeln, das sie nur an seinen Augen erkennen konnte, denn er trug immer noch die Gesichtsmaske.

Sie hatte es bisher immer vorgezogen, mit den Chirurgen einen freundlichen, dabei aber auf das Berufliche beschränkten Umgang zu pflegen, denn sie mussten sehr eng zusammenarbeiten. Bei diesem Mann spürte sie etwas anderes. Sie war ungewöhnlich neugierig auf ihn, und gleichzeitig hatte sie fast Angst vor seiner Reaktion, wenn er sie erst mal in Zusammenhang mit Stacey gebracht hatte.

Leila stellte fest, dass Rupert Daniels zwar sehr zwanglos war, dabei aber keineswegs plump-vertraulich wirkte. Hinzu kamen sein entwaffnender Charme und sein unverschämt gutes Aussehen. Langsam begann sie zu verstehen, was Stacey gemeint hatte. Es war nicht nur sein Äußeres. Sie hatte das Gefühl, dass er ein sehr guter Arzt war, dass er sehr professionell und gleichzeitig sehr mitfühlend, ruhig und auf natürliche Weise sehr freundlich war.

„In diesem Fall freue ich mich auf unsere Zusammenarbeit“, sagte er.

Leila lächelte kurz zurück und überlegte, ob sie dieses Kompliment erwidern sollte. Sie entschied sich dagegen, aus Angst, zu vertraut zu klingen. „Ja“, sagte sie leichthin und klang dabei etwas frech. „Ich warte mit dem Urteil, das ich mir über einen Menschen bilde, bis ich sein Wesen kennen gelernt habe.“

Zu ihrer Überraschung lachte er. „Die Schwestern, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe, waren sehr nett“, sagte er. „Ich war im University Hospital tätig und hoffe jetzt, dass die Schwestern hier genauso gut sind wie dort.“

„Davon können Sie ausgehen“, erwiderte sie. „Den Sozialarbeiterinnen habe ich ausgerichtet, dass Sie gleich zu ihnen gehen, und der Krankenwagen ist wahrscheinlich gerade angekommen.“

„Klasse. Danke schön“, sagte er. „Könnten Sie bitte behilflich sein, die Babys fortzubringen? Ich möchte nicht, dass sie noch im Raum sind, wenn die Mutter aufwacht.“

„Wollte sie die beiden wirklich nicht sehen?“, entfuhr es Leila.

„Nein. Sie hatte ihre Gründe.“

„Es ist so… traurig“, sagte sie und fühlte, dass das Wort nicht ganz angemessen war.

„Ja, das ist es. Aber es hat auch seine gute Seite, denn sie werden ein liebevolles Zuhause bekommen.“

„Ja, wahrscheinlich werden sie ein gutes Leben haben“, stimmte sie zu und richtete ihre Gedanken auf das Paar, das sehnsüchtig auf die Zwillinge wartete.

„Wenn Sie in dieser Lage wären, wie würden Sie sich entscheiden, Leila Hardwick? Ich interessiere mich sehr für die Meinung anderer Menschen, um mir ein besseres Bild machen zu können.“ Er sah sie abwartend an. Der Blick aus den tiefblauen Augen war unergründlich. Es war wohl sehr schwer, diesen Mann anzulügen.

„Ach, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich sie weggeben würde“, erklärte sie und warf einen Blick auf die Neugeborenen. „Ich glaube nicht, dass ich das übers Herz brächte.“

„Nicht einmal, wenn Sie erst zwanzig und obdachlos wären?“, hakte er nach und warf ihr einen scharfen Blick zu. Leila erschrak angesichts seines plötzlich zynischen Gesichtsausdrucks.

Autor

Rebecca Lang
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