Ein sündiger Plan

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Punkt eins auf Addies Liste für mehr Spaß im Leben ist, ihren Ex zu verführen. Doch als sie Kevin nackt am Strand überraschen will, funkt plötzlich der sexy Jachtkapitän Derek dazwischen und beginnt wild mit ihr zu flirten. Wie kann Addie da an ihrem Plan festhalten?


  • Erscheinungstag 04.05.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733752316
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Das Rauschen des Ozeans erklang in Addie Sewells Schlafzimmer. Sie bewegte sich leicht unter der angenehm weichen Bettdecke und stellte sich vor, wie die Wellen sich überschlugen und Schaum zarte Spitzenmuster auf den Strand malte, der sich dann wieder über den weißen Sand zurückzog. In der Ferne kreischte eine Möwe.

Addie stöhnte und warf die Bettdecke zurück. „Alarm ausschalten.“

Der Ozean hörte auf. Oder besser gesagt, das Rauschen des Ozeans hatte aufgehört, weil sie ihrem sprechenden Wecker, den sie liebevoll „Tick“ nannte, den Befehl dazu gegeben hatte. Der echte Ozean würde warten müssen, bis sie nächste Woche Richtung Norden flog, um an der Hochzeit ihres Freundes Paul Bosson teilzunehmen. Die Feier würde auf der Familieninsel in Maine stattfinden.

Eigentlich sollte sie sich viel mehr auf diesen Urlaub freuen. Abgesehen vom Besuch im neuen Haus ihrer Eltern war sie schon lange nicht verreist. Außerdem würde es nett sein, einmal wieder ihre Highschool-Freunde zu treffen. Aber wenn sie ehrlich war, könnte sie die Zeit besser nutzen, indem sie zu Hause blieb und die vielen Schachteln mit alten Familienfotos und Papieren durchsah, die ihre Großtante Grace ihr hinterlassen hatte. Außerdem war es an der Zeit, sich ernsthaft nach einer Eigentumswohnung umzusehen.

Da sie bereits zwei Jahre vor dem Tod ihrer alten Tante Grace mit ihr zusammengewohnt hatte, hatte sie das mietpreisgebundene Apartment eine Querstraße vom Central Park in Manhattans East 97th Street übernehmen können. Sie verdiente als Versicherungsmathematikerin genug, um sich eine Anzahlung für eine Eigentumswohnung angespart zu haben. Sie konnte nur einfach nicht die Zeit oder genügend Enthusiasmus für die Suche aufbringen.

Um ehrlich zu sein, war sie kein großer Fan von Veränderungen, und das Apartment, in dem sie wohnte, war nicht nur gut gelegen, sondern besaß auch noch viele liebe Erinnerungen an ihre Großtante Grace.

Sie streckte sich gähnend und blinzelte verschlafen zur frisch gestrichenen Zimmerdecke. Verzweifelte Bitten an den Vermieter waren endlich erhört worden.

„Wie viel Uhr ist es?“

„Sieben Uhr“, erwiderte Tick.

Sieben Uhr. Sie schloss die Augen, öffnete sie … schloss sie wieder. Normalerweise hatte sie kein Problem, morgens aus dem Bett zu springen, besonders nicht im Sommer, wenn es draußen bereits hell war. Vielleicht sollte sie einmal ihren Eisenwert kontrollieren lassen. Oder ihren Vitamin D–Spiegel. Oder sich mehr bewegen.

Der Klingelton, der eine eingehende SMS ankündigte, zwang sie dazu, ihre Augen wieder zu öffnen. Es war ziemlich früh für eine Nachricht. Mom und Dad befanden sich auf einer Kreuzfahrt im Mittelmeer und ihr Bruder Gabe wanderte irgendwo in Nepal herum.

Die Neugierde trieb sie schließlich aus dem Bett. Sie nahm ihr Handy vom Ladegerät und las die Nachricht.

Ach, du meine Güte. Jetzt war sie wach. Hellwach.

Die SMS, die nur aus sieben Worten bestand, war nicht von einem ihrer reiselustigen Familienmitglieder, sondern von Sarah Bosson, ihrer besten Freundin aus Kindertagen und Zwillingsschwester von Paul, der nächste Woche der Bräutigam sein würde.

Kevin Ames wird auf der Hochzeit sein.

Addie lachte kurz auf und schüttelte den Kopf. Schau an, wie aufgeregt sie wegen etwas so Dummem war. Kevin war zwei Jahre älter als Addie, Paul und Sarah und war seit der Mittelstufe in der John Witherspoon Highschool in Princeton, New Jersey, im Cross Country Team gewesen. Er hatte sich oft bei Paul und Sarah zu Hause aufgehalten. Als Letztes hatte sie gehört, dass er nächste Woche nicht nach Maine kommen konnte, weil er in Philadelphia, wo er lebte, an einer wichtigen Konferenz teilnehmen musste.

Addie ignorierte ihre verantwortungsbewusste Seite, die sie daran erinnerte, dass sie jetzt schon in der Dusche sein sollte, und schrieb zurück.

Seit wann weißt du das?

Wow. Sie lief mit dem Handy in der Hand ins Badezimmer. Kevin Ames war der Mann, mit dem es nicht hatte sein sollen. Jeder kannte so einen Menschen. Der Mensch, mit dem man so gerne mal ausgegangen wäre, was jedoch nie geklappt hatte. Irgendetwas lief immer schief. Das Timing stimmte nie oder, wie in Addies Fall, die im Abschlussjahr der Highschool die Möglichkeit gehabt hatte, etwas mit ihm anzufangen, man vermasselte es selbst.

Sarah schrieb zurück:

Kevin hat Paul gerade mitgeteilt, dass er jemanden gefunden hat, der für ihn zu dieser Konferenz geht.

Addie presste die Lippen zusammen, um nicht albern zu grinsen. Sie hatte diesen Mann elf Jahre lang nicht gesehen. Zweifellos war er verheiratet. Sie hatte sogar vor einigen Jahren mal nach Informationen über ihn im Internet gesucht – und ja, er war verheiratet.

Und weißt du was … er ist jetzt Single.

Addie verlor den Kampf gegen das Lächeln. Okay, er war nicht mehr verheiratet. Aber das bedeutete noch gar nichts. Er könnte mittlerweile vierhundert Pfund wiegen, eine Glatze bekommen haben und …

Er läuft Marathon.

Oh. Ein Körpergewicht von vierhundert Pfund waren da eher unwahrscheinlich.

Nun ja.

Addie schüttelte den Kopf. „Wie viel Uhr ist es?“

„Zwanzig nach sieben.“

O je. Siewar bereits im Verzug bei ihrem morgendlichen Zeitplan, den sie bewusst ausgearbeitet hatte, um Hektik zu vermeiden. Bereits in ganz jungen Jahren hatten ihre Eltern ihr beigebracht, wie wichtig es war, eine gewisse Routine einzuhalten. Addie hatte sie in ihren rebellischen – nun ja, leicht rebellisch angehauchten – Teenagerjahren dafür verachtet, und ihr Bruder hatte nie etwas davon angenommen, aber ihr war mit der Zeit klar geworden, dass eine klare Routine einem viel Zeit, Anstrengungen und Ärger ersparen konnte. Durch Routine wusste man, was man zu erwarten hatte. Man brauchte nicht dauernd nachzudenken und Entscheidungen zu treffen, sondern alles lief wie erwartet. Alles, was man zu tun hatte, war, die festgelegte Struktur einzuhalten.

Sarah meldete sich wieder.

Habe ich dir erzählt, dass dieser Playboy Derek Bates auch da sein wird? Ich wünschte mir, er würde nicht kommen.

Addie verdrehte die Augen. Sarah war oft ziemlich voreingenommen, aber ihre Ablehnung diesem Derek gegenüber war schon fast übertrieben. Da musste es etwas geben, das ihre Freundin ihr nicht berichtet hatte.

Ja, hast du. Schon tausendmal. Muss jetzt arbeiten gehen. Bis später.

In ihrem kleinen Badezimmer drehte Addie das Wasser der Dusche auf, zählte bis siebzehn, um sicher zu sein, dass das Wasser auch warm genug war, und stieg dann in die Badewanne, um zu duschen, und dachte dabei an …

Kevin Ames.

Wen wunderte es. Dabei war er gar nicht so umwerfend gutaussehend. Klar, er war attraktiv, aber nicht auffallend. Er besaß dieses typisch sympathische Aussehen – braune Haare und Augen, makellose Zähne und einen schlanken, athletischen Körper. Aber er hatte eine so magnetische Wirkung auf Frauen, als wäre er ein echter Hingucker. Beide, Sarah und Addie, hatten sich Hals über Kopf in ihn verknallt.

Wenn Kevin Ames einen anlächelte, hatte man das Gefühl, niemand sonst würde für ihn auf der Welt existieren.

Da Kevin ein unterhaltsamer, freundlicher und beliebter Junge gewesen war, hatte er eine Menge Leute angelächelt, eingeschlossen vieler Mädchen, die schöner waren oder mehr Busen besaßen oder was sonst für Jungen in diesem Alter wichtig war. Er hatte sich Sarah und Addie gegenüber immer als großer Bruder verhalten und sie waren damit zufrieden gewesen, ihn von Weitem anzuhimmeln.

Zumindest bis zu jener Augustnacht vor genau elf Jahren, als Kevin gerade sein zweites Studienjahr in Brown begonnen hatte und jemand ihr erzählte, dass Kevin auf sie stehen würde. Addie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wer ihr das gesagt hatte, aber dafür umso genauer an das Gefühl, als er sie fragte, ob sie mit ihm ausgehen wollte. Zuerst war sie geschockt, dann total euphorisch und schließlich von Angst geplagt gewesen. Sarah und sie hatten sofort mit den Vorbereitungen begonnen: was sie anziehen sollte, welches Make-up infrage kam, ihr Verhalten. Es wurde jede Eventualität berücksichtigt, an alles gedacht, was er sagen und was sie darauf antworten könnte …

Beeile dich, Addie!

Sie drehte das Wasser ab und trocknete sich rasch mit dem Badetuch. Zurück in ihrem Schlafzimmer zog sie die Kleidungsstücke an, die sie am Abend zuvor gebügelt und zurechtgelegt hatte, und stöhnte verzweifelt, als sie beim ersten Versuch, ihre Strumpfhose anzuziehen, eine Laufmasche bekam. Und das gerade jetzt, wo sie keinen Zeitpuffer mehr für solche Zwischenfälle hatte …

Das war genau der Grund, warum sie immer zu einer festgelegten Zeit aufstand und alles vorbereitet hatte. Sie hasste es, so verschwitzt und gehetzt zu sein, jedes Mal, wenn sie von ihrem Plan abwich.

Großtante Grace, die Tante ihrer Mutter, war sogar noch schlimmer gewesen – beziehungsweise, je nachdem aus welcher Perspektive man es betrachtete. Seit sie gestorben war, aß Addie manchmal sogar am Donnerstag Cornflakes, obwohl Tante Graces Cornflakes-Tag am Freitag gewesen war.

Sie kicherte und schlüpfte in einen ihrer schwarzen Pumps. Wie wild und wagemutig sie war.

Doch ihr Lächeln verschwand sofort wieder. Sie hatte sich seit Langem nicht mehr wild und wagemutig gefühlt. Vielleicht sogar noch nie.

Kevin Ames.

Sie erinnerte sich an den Abend ihres Dates, an dem er sie in seinem goldfarbenen Nissan Sportwagen abgeholt hatte. Er hatte zuerst gelassen mit ihren Eltern geplaudert und dann waren sie in der Nassau Street eine Pizza essen gegangen. Hinterher waren sie dann in den Marquand Park gefahren, in dem sie schon als Kinder gespielt hatten. Dort hatte Kevin den Motor ausgeschaltet und eine Flasche Wodka herausgeholt. Addie war zu schüchtern gewesen, um den Alkohol abzulehnen, und hatte die innere Stimme ignoriert, die sie gewarnt hatte.

Als der Wodka bei ihr Wirkung zeigte, hatte er ihr Gesicht in die Hände genommen, ihr tief in die Augen geschaut und sie geküsst.

Oh, dieser Kuss …

Sie durchlebte noch einmal diese Szene, bis sie ihr klar wurde, dass sie auf einem Bein stand und den anderen Schuh in ihrer Hand hielt. Die Zeit lief ihr davon.

„Wie viel Uhr ist es?“

„Sieben Uhr fünfundvierzig!“, antwortete der Wecker brav.

Ups!

Addie zog sich den zweiten Schuh an, rannte ins Wohnzimmer und griff nach ihrer Aktentasche. Ihr Magen knurrte, doch sie würde im Büro frühstücken müssen. Sie verließ ihr Apartment, nahm die New York Times, die sie sonst immer zum Frühstück las, lief zum Fahrstuhl und drückte zweimal energisch auf den Knopf. Als ob er dadurch schneller kommen würde. Es war und blieb wahrscheinlich der langsamste Fahrstuhl in ganz Manhattan. Während sie wartete, ging sie in ihrem Smartphone rasch ihre Termine im Büro durch.

Hey. Sie lächelte. Heute war ihr Halb-Geburtstag. Addie Sewell war jetzt offiziell neunundzwanzigeinhalb.

In sechs Monaten würde sie dreißig sein. Sie würde immer noch im gleichen Job arbeiten und wäre immer noch allein …

Nein, nein! Sie liebte es, allein zu leben, liebte die Unabhängigkeit und Freiheit, die damit einherging. Obwohl sie sich manchmal fragte, ob sie nicht ins Tierheim fahren und sich eine Katze holen sollte. Katzen sollten gute Gesellschaft sein. Für ein kleines Apartment oder Reihenhaus auf jeden Fall passender als ein Hund. Hunde machten viel Arbeit.

Die Fahrstuhltür öffnete sich und ein bereits guter Tag wurde sogar noch besser. Er war drin, Mr Umwerfend, der Mann aus dem zehnten Stock. Er war der attraktivste Mann, den Addie je gesehen hatte, und in den drei Jahren, in denen sie hier lebte, hatte sie ihn nie etwas anderes als Hi sagen hören.

So … dann von Neuem. „Hi“, grüßte sie.

Mr Universum nickte. „Hey.“

Oh, eine Variante!

Die Fahrstuhltür schloss sich und erneut entstand dieses angespannte Schweigen, das Addie bei diesem Mann jedoch aushielt, weil etwas zu sagen und dann wieder ins Schweigen zurückzufallen noch peinlicher gewesen wäre. Aber was würde passieren, wenn sie tatsächlich einmal eine Unterhaltung begännen, die bis zum Erdgeschoss andauerte? Würden sie dann zusammen hinaus auf die Straße laufen? Und was wäre, wenn er nur aus Höflichkeit mit ihr redete? Es war besser, wenn man erst gar nichts sagte. Also blieb sie stumm wie ein Fisch, während sie die beleuchteten Ziffern der Stockwerkanzeige betrachtete, die runterzählten.

Kevin Ames.

Er hatte sie immer und immer wieder geküsst. Mit den Händen war er unter ihr Top geglitten und hatte ihre Brüste gestreichelt, was sie unglaublich erregte. Doch dann begann Addie an Kevins letzte Freundin, Jessica Menendez, zu denken und die Größe ihrer Na-ihr-wisst-schon-was und an die Freundin davor, Isabella Tramontina, die so sexy war, dass die Männer wie Dominosteine umgefallen waren, wenn sie den Flur entlangging.

Addie hatte die Attribute der beiden mit ihren eigenen kleinen Brüsten, ihrem Hinterteil und ihrem Jungfrauenstatus verglichen, und plötzlich war Panik in ihr aufgestiegen. Was wollte Kevin eigentlich von ihr? Wollte er sie nur in einem öffentlichen Park betrunken machen, um sie flachzulegen?

Dann kam der Teil des Abends, der immer noch ein ekliges Gefühl der Demütigung in ihr hervorrief. Beschwipst und leicht lallend erklärte sie Kevin, dass sie ihn liebte und dass sie sich wünschte, das erste Mal in einem Bett zu erleben. Aber nicht in irgendeinem Bett, sondern in einem Bett mit edler weißer Bettwäsche, die mit Rosen übersät war.

Oh Gott, bei der Erinnerung errötete sie sogar jetzt noch.

Addie würde nie den bestürzten Ausdruck auf Kevins Gesicht vergessen. Er murmelte eine Entschuldigung, sagte etwas über ein Missverständnis und fuhr sie dann nach Hause. Das Schweigen im Wagen war noch peinlicher als in dem langsamen … langsamen Fahrstuhl. Kevin war wieder nach Brown aufs College zurückgekehrt und Addie zurück in die Highschool. Sie hatte hin und wieder etwas über Sarah und Paul von ihm gehört, war ihm aber nie mehr begegnet.

Okay, vor ein paar Jahren war sie einmal vor ihm davongelaufen, um nicht noch einmal diese Demütigung durchleben zu müssen.

Aber sie besaß jetzt genug Selbstvertrauen, um nächste Woche mit ihm über diesen Vorfall zu lachen. Sie war keine Jungfrau mehr und verwechselte Sex nicht mehr mit Liebe. Oder zumindest hatte sie begriffen, dass das für die meisten Männer zwei verschiedene Dinge waren.

Die Fahrstuhltür öffnete sich und sie beeilte sich, vor Mr Umwerfend hinauszukommen, um erzwungenen Kontakt zu vermeiden.

Als sie die Hawthorn Brantley Insurance Company erreicht hatte, lief sie zuerst in die Cafeteria, um sich einen Vollkorn-Muffin und einen Kaffee zu holen. Dann traf sie sich mit dem Entwicklungsteam, um an einer Idee für eine Lebensversicherung zu arbeiten und um ein neues Sturmschaden-Modell zu kreieren.

Beim Mittagessen in der Cafeteria, den Kreuzworträtsel-Teil der New York Times unter den Arm geklemmt, wählte sie das übliche Sandwich, Karotten-Sticks und einen Apfel. Dann warf sie alle Vorsicht in den Wind und nahm noch einen Cookie dazu. Schließlich war heute ein besonderer Anlass! Immerhin war heute ihr Halb-Geburtstag.

Indem sie jeden Tag das Gleiche aß, wusste sie genau, wie viel Kalorien sie zu sich nahm und dass sie bis zu ihrem Fitnesstraining durchhalten und dann zum Abendessen einen gesunden Hunger haben würde.

Da sie leider ein wenig zu spät war, war der kleine Tisch, an dem sie normalerweise saß, bereits belegt. Also steuerte sie auf ihren Ausweichtisch zu und bemerkte, dass Linda Persson, stellvertretende Leiterin der Personalabteilung, bereits an diesem Tisch, an dem vier Personen Platz hatten, saß. Linda war eine wirklich nette Frau, aber ein wenig … nun, sie war keine sonderlich attraktive oder unterhaltsame oder talentierte oder irgendwie interessante Frau und im Alter von sechzig Jahren würde sie es auch kaum noch werden.

Addie konnte es nicht ertragen, sie so allein in ihrem beigen Kostüm und ihrer elfenbeinfarbenen Seidenbluse zu sehen, während sie einen Chefsalat aß und versuchte so zu wirken, als ob sie es aus freien Stücken gewählt hätte, ohne einen Freund in der Welt zu sein, weil sie diese Erfahrung so sehr genoss.

Seufz.

Addie stellte ihr Tablett auf den Tisch. „Hallo, Linda.“

„Hey, Addie!“ Linda lächelte mit offensichtlicher Erleichterung.

„Darf ich mich zu dir setzen?“

„Natürlich.“ Linda zog ihr Tablett noch ein wenig näher an sich heran, als ob es nicht genügend Platz auf diesem Vierer-Tisch geben würde. „Ich war nur in Gedanken, weil ich an meine Pläne fürs Wochenende gedacht habe.“

„Oh, erzähl mir doch, was du vorhast!“ Addie hoffte, das Linda etwas Interessantes zu erzählen hatte, damit sie von den Gedanken an Kevin abgelenkt würde.

„Ich bekomme am Samstag eine neue Matratze geliefert und danach werde ich mir einen Film ansehen.“ Sie lächelte leicht. „Ich gehe gerne allein ins Kino. Du auch?“

Das tat sie tatsächlich, also nickte Addie widerwillig und schämte sich gleichzeitig, dass sie sich wünschte, weniger mit Linda gemeinsam zu haben. „Mir macht es auch nichts aus.“

„Ich gehe gern schon früher hin, damit ich mir einen guten Platz aussuchen und während der Vorschau schon Popcorn essen kann. Und da ich niemand neben mir habe, der mit mir reden will, kann ich mich ganz in den Film vertiefen.“

„Bei mir ist es ähnlich.“ Tatsache war, dass es bei ihr ganz genauso ablief.

„Und nach dem Film werde ich wahrscheinlich nach Hause gehen und meine Küche ein wenig umräumen. Es macht mich verrückt, dass sich die Mehl- und Zuckerbehälter auf der gegenüberliegenden Seite der Messbecher und Löffel befinden. Ich habe das lange genug ausgehalten. Jetzt wird es geändert.“ Sie hob entschlossen das Kinn und strahlte triumphierend.

Addie nahm einen großen Schluck von ihrer fettarmen Milch, um ihr plötzlich zu trocken gewordenes Sandwich herunterzuspülen. Sie hatte ähnliche Veränderungen vorgenommen, nachdem Großtante Grace gestorben war.

„Am Sonntag ist dann der wöchentliche Brunch mit meiner Freundin Marcy.“ Linda hatte eine Banane geschält und nahm jetzt den ersten Bissen. „Wir essen dann normalerweise Sesam-Bagels mit Thunfischsalat und lesen dabei den New York Times Reiseteil, um uns Fantasiereisen auszudenken.“

„Hast du auch schon eine von ihnen gemacht?“

„Nein, wir planen nur so aus Spaß.“

„Warum fährst du denn nicht weg?“ Addie war genau wie Linda über den scharfen Tonfall in ihrer Stimme erstaunt. Sie hatte auch jede Menge Reiseartikel gelesen, besaß das Geld, könnte sich die Zeit nehmen, aber war ebenfalls noch nie in Urlaub gefahren. „Warum lässt du eine deiner Urlaubsplanungen nicht einmal Wirklichkeit werden? Oder zwei oder sogar mehrere?“

Linda zuckte die Schultern. „Ich reise lieber in Gedanken, während ich bequem in einem Sessel sitze. Das erspart mir Ärger, Sonnenbrände, Stürme und verspätete Flüge.“

Ach, du lieber Himmel, genauso dachte sie auch. Sie hatte nur das verlorene Gepäck vergessen.

„Ich nehme an, dass ich ein Gewohnheitstier bin.“ Linda aß ihre Banane zu Ende und ging zu einem Brownie über. „Ich esse sogar jeden Mittag das Gleiche.“

Addie, die gerade von ihrem Apfel abgebissen hatte, hielt abrupt inne.

„Ich fühle mich wohl mit dieser Routine. Ich mag es, wenn ich weiß, was mich erwartet.“

Addie ermahnte sich, weiterzukauen, aber sie fühlte sich wie erstarrt.

„Ich habe darüber nachgedacht, heute nach der Arbeit zum Tierheim zu fahren und mir mal die Katzen anzuschauen.“

Beruhige dich, Addie. Sie könnte jetzt in Panik geraten oder dies hier als ein Zeichen sehen, dass sie in ihrem Leben ein wenig festgefahren war.

„Sie sollen eine gute Gesellschaft sein. Perfekt, wenn man in einem Apartment lebt. Und sie machen nicht so viel Arbeit wie Hunde.“

Ein wenig festgefahren? Sie hing total fest.

Hilfe!

Sei vernünftig. Vernunft war eine von Addies besten Qualitäten. Und genau die würde sie jetzt benutzen. Es war gut, dass sie mit einer Frau konfrontiert war, zu der sie auch werden konnte. Besonders heute an ihrem Halb-Geburtstag. Jetzt hatte sie noch Zeit, sich zu ändern, bevor sie dreißig wurde.

Und sie würde sich ändern. Jawohl! Noch heute würde sie damit beginnen. Gleich nach der Arbeit. Statt wie immer ins Fitnesscenter zu gehen, zu duschen und danach in ihrem Apartment zu essen und sich die Teile der New York Times vorzunehmen, die sie beim Frühstück und Mittagessen noch nicht gelesen hatte, so wie sie es bisher jeden Abend getan hatte – außer, wenn sie ihren Literaturkreis hatte oder mit einer Freundin zum Essen ging –, würde sie heute etwas … etwas anderes machen, wie zum Beispiel …

Nun, ihr würde schon noch was einfallen.

Sie verabschiedete sich dankbar von Linda und ging davon, um diesen Tag, der einen Wendepunkt in ihrem Leben darstellen sollte, zu beenden. Um sechzehn Uhr dreißig hatte sie sich einen Plan ausgedacht. Nach der Arbeit würde sie ins Blackstone in der 55. gehen. Sie würde zwei Drinks zu sich nehmen und so wirken, als ob sie jemanden kennenlernen wollte. Wenn nichts passierte, erhielt sie wenigstens einen Punkt für den Mut, überhaupt gegangen zu sein. Es war zumindest ein Start. Falls sie mindestens mit einem Mann reden würde, gab es zwei Punkte und ein anerkennendes Schulterklopfen. Wenn jemand sogar nach ihrer Telefonnummer fragen würde, gab es drei Punkte und eine High Five.

Da heute ein heißer, sonniger Spät-Augusttag war und die Menschen sich bereits auf das Wochenende freuten, standen die Chancen gut, dass sie zwei oder vielleicht sogar drei Punkte schaffte.

So einfach war das.

Das Blackstone war überfüllt und laut. Umstände, die sie normalerweise mied, die aber für ihr Vorhaben genau das Richtige waren. Sie ergatterte einen freien Platz an der Bar und bestellte beim Barkeeper ein Glas Chardonnay. Sie glaubte, dass das femininer wirkte als das Bier, auf das sie eigentlich Lust hatte. Allerdings fragte sie sich, ob der marineblaue Rock und die cremefarbene Bluse das richtige Outfit zum Flirten waren. Sie war zwar hübsch, aber ihre Kleidung nicht gerade sexy. Aber hey, Addie war lebendig und weiblich. Das war für viele Männer genug.

Sie erhob sich, nippte an ihrem Wein und sah sich um. Lächelnd.

Und nippte.

Und sah sich um.

Und lächelte.

„Entschuldigen Sie.“

Addie wandte sich der Stimme zu und schaute direkt in tiefblaue Augen.

Oh!

„Ich frage mich nur …“ Er zog eine Augenbraue hoch. Selbst seine dunklen Augenbrauen waren sexy. „… ob der Barhocker neben Ihnen besetzt ist.“

„Nein.“ Sie lächelte verführerisch. Zwei Punkte! „Er steht zu Ihrer Verfügung.“

„Danke.“ Doch er setzte sich nicht, dafür aber seine … Freundin. Beinahe im selben Augenblick kletterte dieser Typ der jungen Frau fast auf ihren Schoß und küsste sie, als ob er sie auffressen wollte.

Okay, es war Zeit zu gehen.

Sie beeilte sich, die Bar zu verlassen, stolperte dabei leicht und taumelte gegen einen Mann. Fing er sie auf und Engel begannen zu singen, als sie sich in die Augen schauten?

Nein. „Hey, passen Sie auf, Kleine“, war alles, was er sagte.

Okay. Gut. Was auch immer. Sie würde wieder in ihre Sackgasse zurückkehren und dort bleiben.

Auf dem Weg nach Hause ging sie noch in den Supermarkt in der Lexington Avenue und kaufte sich ein Deluxe Sandwich und einen Schokoladen-Cupcake.

Jetzt war eh schon alles egal, da konnte sie auch ruhig über die Stränge schlagen.

Hungrig und schlechtgelaunt machte sie sich auf den Weg nach Hause. Es gelang ihr, dem Portier den Anflug eines Lächelns zu schenken, und lief rasch in den Fahrstuhl. Als sie sich umdrehte, sah sie Mr Umwerfend in die Eingangshalle kommen. Na großartig! Sie beeilte sich, den Knopf ihrer Etage zu drücken. Noch mehr Ignoranz von Männern konnte sie heute nicht mehr ertragen, aber sie erwischte den falschen Knopf. Ausgerechnet den, der die Tür offenhielt.

Er kam herein. „Danke.“

„Gerne geschehen.“

Die Tür schloss sich und wieder standen sie in dem gewohnten Schweigen nebeneinander. Addie atmete tief durch. Sie hatte nichts zu verlieren.

„Ich bin Addie. Ich wohne im Achten“ Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er hätte nicht freundlicher wirken können und drückte sofort ihre Hand mit einem festen, warmen Druck. „Ich bin Mike, aus dem Zehnten.“

Sie lächelte. Vielleicht gab es ja doch noch einen Ausweg aus der Sackgasse.

„Ich freue mich, Sie kennenzulernen.“

Autor

Isabel Sharpe
Im Gegensatz zu ihren Autorenkollegen wurde Isabel Sharpe nicht mit einem Stift in der Hand geboren. Lange Zeit vor ihrer Karriere als Schriftstellerin erwarb sie ihren Abschluss in Musik auf der Yale Universität und einen Master in Gesangsdarbietung auf der Universität von Boston. Im Jahre 1994 rettet sie die Mutterschaft...
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