Ein traumhafter Flirt in Florenz

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Aubrey kann ihr Glück kaum fassen, als sie ein Ticket für eine Weltreise geschenkt bekommt. Gleich auf ihrer ersten Etappe in Italien lernt sie durch Zufall den berühmten Designer Sean Malone kennen. Er ist nicht nur der aufregendste und bestaussehende Mann, der ihr je begegnet ist, er zieht sie auch magisch an. Als sie mit ihm das Dolce Vita in Florenz genießt, kommt sie ihm immer näher. Doch ihr traumhafter Urlaubsflirt endet so jäh, wie er begann. Nach einer heißen Liebesnacht zieht Sean sich ohne Grund zurück. Was verbirgt er vor ihr?


  • Erscheinungstag 15.06.2021
  • Bandnummer 122021
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718817
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Mein Schreibtisch summte.

Oder, präziser ausgedrückt, die stylische Gegensprechanlage, die ein übermotivierter Interieur-Designer in meinen brandneuen Schreibtisch eingebettet hatte.

Wäre ich nicht in die Betrachtung äußerst entzückender Fotos versunken gewesen, die mir mein Privatdetektiv geschickt hatte, wäre ich vielleicht zusammengezuckt. Was mit meinen sechsundsiebzig Jahren durchaus ein Gesundheitsrisiko hätte darstellen können.

Die Stimme meiner Assistentin ertönte, vielleicht eine Spur nachdrücklicher als sonst, als würde sie nicht zum ersten Mal versuchen, meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Vivian …? Miss Ascot? Ihre Zehn-Uhr-Verabredung ist da.“

Ich wischte mit meinen Gichtfingern über den versteckten Touchscreen, um nach der Taste zu suchen, mit der ich antworten konnte.

„All diese neuen Technologien“, murmelte ich, verdrehte die Augen und suchte Zustimmung bei meinem Dackel Max, der von seiner antiken Chaiselongue neben meinem Bürostuhl zu mir hochschaute. „In den guten alten Zeiten genügte ein einfaches Klopfen an der Tür. Ein weiterer Hinweis, dass die Zukunft mich überholt …“ Und dann zu meiner Assistentin: „Und wer, bitte schön, könnte mein Zehn-Uhr-Termin sein?“

„Der Ghostwriter …“, kam es im Flüsterton und eine Spur hochmütig durch den Lautsprecher.

„Oh, ausgezeichnet! Schicken Sie ihn rauf.“

„Im Laufe meines Lebens war ich mehr als einmal angesprochen worden, doch unbedingt meine Autobiografie zu schreiben.

‚Mein Leben!‘, so sollte nach Vorstellung der Verantwortlichen der Titel lauten. Einzelne Kapitel: Alles über Ihre wohltätige Arbeit – Ihre großzügige Unterstützung der schönen Künste – Ihre Verantwortung als Frau …“, dezentes Aufkeuchen, „… für so ein erfolgreiches Unternehmen.“

Bisher hatte mich der Gedanke nie gereizt, mich in die Liga der Autorinnen zu begeben, aber diesmal war es anders. Denn zum ersten Mal gab es meinem Gefühl nach tatsächlich etwas, das es wert war, mit anderen geteilt zu werden. Ich freute mich schon auf die geschockten Gesichter, sobald klar sein würde, dass es nichts oder nur sehr wenig mit meinem Firmenimperium zu tun hatte.

Da ich wusste, dass mein Ghostwriter einige Minuten brauchen würde, um mit dem Lift in mein Büro im obersten Stockwerk vom Ascot-Tower zu gelangen, genoss ich wieder die Fotos meiner liebenswerten Freundin und jüngsten Empfängerin des Vivian Ascot Scholarship to Life, einer Art Stipendium zur Erfüllung geheimster Lebensträume. In diesem Fall eines von einem reizenden australischen Mädchen namens Aubrey Trusedale, das – wohlbehalten gelandet – in Rom aus dem Flieger steigt: erster Stopp für ihr globales Abenteuer, das ich mit Vergnügen finanzierte.

„Du erinnerst dich doch an Aubrey, Max? Und an Jessica und Daisy? Sie haben dich gerettet, als du mir vor zwei Jahren auf dem Ascot Music Festival in Kopenhagen ausgerissen bist. Sonst hätte man dich sicher totgetrampelt.“

Seine entzückenden kleinen Schlappohren zuckten, möglicherweise als eine Art traumatischer Nachwirkung, aber ich entschied mich zu glauben, dass er sich an den guten Ausgang des Dramas erinnerte und an die Art, wie diese drei Mädchen ihn mit Liebkosungen überhäuft und mich nicht als dumme alte Frau hatten dastehen lassen.

Ich stoppte die Dia-Show bei einem Foto, beugte mich vor, blinzelte und fragte mich, wie viel schwächer meine Augen noch werden müssten, ehe ich bereit war, den längst anstehenden Termin beim Augenarzt wahrzunehmen.

Aubrey … als wir uns das erste Mal trafen, hätte ich sie vom Typ her als wilde Hummel eingestuft, mit dieser Masse kastanienbrauner Locken über den blitzenden Augen und diesem Urvertrauen, dass schon irgendjemand sie auffangen würde, sollte sie einmal straucheln. Meiner Meinung nach das Resultat eines Überbehütetseins durch drei größere Brüder, die sie heiß liebten und nur ungern aus den Augen ließen.

Wenn ich jetzt auf diesem Foto ihr spitzes, blasses Gesicht unter einem viel zu großen Hut sehe und von dem kastanienbraunen Haar nur ein paar Strähnchen, die auf eine Art zotteliger Bob schließen lassen, mache ich mir schon Sorgen. Sie wirkt auch viel schlaksiger, wie sie da mit hocherhobenem Kinn, ein breites Lächeln auf dem zarten Elfengesicht, durch den Flughafen-Terminal stiefelt, die schmalen Hände fest um die Riemen ihres ramponierten Rucksacks geklammert.

Sichtlich aufgeregt, entschlossen und voller Wagemut … aber verändert. Kein Wunder, nach allem, was sie durchgemacht hatte.

Ich konnte nur hoffen, dass die kleine Finanzspritze aus dem … nennen wir es mal Vivian Ascot Traum- oder besser Herzenswunsch-Stipendium dazu beitrug, dass Aubrey wieder auf die Füße kam, innerlich wie äußerlich.

„Max …“ Ich spürte, wie mich eine seltsame Melancholie ergriff. „Wäre es ein Frevel, sie zu beneiden … nicht für ihre Jugend, ihre Lieblichkeit oder ihr ausgezeichnetes Sehvermögen. Allein dafür, dass sie Italien zum ersten Mal erleben wird. Diese unglaublich grünen Hügel der Toskana, die ehrwürdige Architektur Roms …“

Und natürlich I Maschi Innamorati … wie Gianna Nannini es so schön besungen hatte: die italienischen Männer und die Liebe. Aber das sagte ich nicht laut mit Rücksicht auf Max’ sensibles Nervenkostüm.

Schon jetzt zuckte seine kleine, grau gewordene Schnauze, als er aus seinen treuen Dackelaugen, die auch langsam trübe wurden, zu mir hochschaute. Eine Spur mitleidig? Oder bildete ich mir das nur ein? Fast konnte ich ihn sagen hören: Was ist los mit dir, mein Frauchen? So elegisch und nahezu schmalzig kenne ich dich ja gar nicht.

Dabei würde er unter Garantie ähnlich fühlen, wenn er, anstatt ständig auf den nächsten Keks zu lauern, mehr zurückschauen würde.

So wie ich momentan, versunken in die bittersüßen Erinnerungen eines einzigen Sommers unter der heißen Sonne Italiens …

Einzig aus diesem Grund hatte ich den Vivian Ascot Scholarship to Life exklusiv für drei wundervolle junge Frauen gegründet.

Und was hat mich dazu veranlasst, sie bei der Verwirklichung ihrer geheimsten Träume zu unterstützen? Mein untrüglicher Instinkt!

Ich konnte weder die Zukunft sehen, noch die Lottozahlen vorhersagen oder die Polizei zu Leichen führen wie diese Dame im Fernsehen. Aber ich spürte ganz tief in meinem Innern, was Menschen brauchten, sobald dieses Bedürfnis groß und stark genug war und die Zeit reif dafür.

Dieses erste Bild von Aubrey nach ihrer Ankunft in Rom verführte mich dazu, gedanklich zurück in die Vergangenheit zu schweifen … Einundzwanzig oder zweiundzwanzig war ich damals gewesen, als ich mich in einer Trattoria in Florenz dem schönsten Mann gegenübergesehen hatte, den ich jemals getroffen hatte. Groß, dunkel … italienisch. Er hatte mich angelächelt, als wüsste er genau, welche Wirkung er auf mich hatte und …

Ich schüttelte es ab, dieses Gefühl, ohne Reue.

Okay, ich war tatsächlich nie verheiratet gewesen und habe auch keine Kinder in die Welt gesetzt. Aber ich bin gereist, rund um den Globus, habe gelacht, getrunken, atemlos die Wunder dieser Welt in mich aufgenommen und alles genossen. Mein Leben war, heute wie damals, aufregend, wundervoll, erfüllend. Sonst würde man kaum so viel Geld investieren, um es irgendwann nachlesen zu können.

Nicht, dass ich es gebraucht hätte.

Im Laufe meines Lebens habe ich ein Vermögen angehäuft, das ich nie würde ausgeben können. Und nichts davon konnte ich Max überlassen, da ich meinen Liebling voraussichtlich überleben würde … zumindest war das meine Hoffnung.

Und so machte es mir große Freude, meinen drei jungen Freundinnen ihre Herzenswünsche zu erfüllen, zuerst der wunderschönen Jessica, dann dem begabten Freigeist Daisy und jetzt Aubrey.

Ich hatte damit nach unserem ersten Treffen in Kopenhagen allerdings etwas gewartet, um für jede einzelne den richtigen Moment abzupassen, in dem sie …

„Miss Ascot …“, meldete sich meine Assistentin über meinen neuen Schreibtisch-Lautsprecher. „Ihr Zehn-Uhr-Termin ist da.“

„Lassen Sie ihn rein.“

Die Tür öffnete sich mit leisem Klicken und einem anschließenden elektronischen Surren. Nach wie vor fand ich diese Technologie übertrieben und ein bisschen lächerlich. Ein weiteres Zeichen dafür, dass meine Zeit in der Unternehmenswelt möglicherweise ihrem natürlichen Ende entgegenging …

„Hi“, machte sich mein sehr jugendlicher Ghostwriter bemerkbar, nachdem er den Kopf durch den Türspalt gesteckt hatte. Seine goldblonden Barthaare, die den unteren Teil seines Gesichts zierten, sprossen ziemlich spärlich und wirkten eher weich. „Ich wollte sagen … Hallo, Miss Ascot. Ich meine … Entschuldigung.“

Ich schob meinen Stuhl zurück, ging um den Schreibtisch herum und streckte ihm meine Hand entgegen. „Nennen Sie mich Viv.“

„Viv …“, wiederholte er zögernd und nickte dann entschlossen. „Okay, obwohl ich nicht weiß, warum gerade ich … weshalb ich der Auserwählte bin.“

„Der Auserwählte?“, echote ich, durchaus geschmeichelt. Ich warf Max einen Blick zu und stellte fest, dass er vorgab zu schlafen.

„Immerhin sind Sie die Vivian Ascot!“, erinnerte mich mein junger Ghostwriter mit weit ausgebreiteten Armen. „Alleininhaberin von Ascot Industries. Sponsorin des Ascot Music Festivals und des Ascot Music Awards. Ganz zu schweigen von den Stipendien für Galerien und darstellende Künste sowie Verlagsstiftungen und den Wohltaten, die sie uns möglicherweise verschweigen.“

Mein enthusiastischer Besucher musste erst mal Luft holen, bevor er zum letzten Schlag ausholte.

„Sie, Ma’am, sind eine wahre Förderin der schönen Künste.“

„Sie haben Ihre Schularbeiten offenbar gründlich gemacht, junger Mann.“

Er lächelte, doch ungeachtet seines jungenhaften Gesichts war das entschlossene Aufflackern in den wachen Augen nicht zu übersehen. „Warum?“

„Warum ich einen so großen Anteil meines hart erarbeiteten Geldes für künstlerische Aktivitäten ausgebe? Ganz einfach, mein junger Freund: Ohne Kunst, ohne Schönheit, ohne Esprit, ohne Eleganz und Begeisterung … wofür würde es sich dann überhaupt lohnen zu leben?“

„Ich meinte eigentlich, warum wollen Sie ein Buch schreiben.“

Weil ich eine Geschichte zu erzählen hatte. Eine Geschichte von Güte, Hoffnung und Liebe.

„Nun …“, sagte ich gedehnt. „Die Idee kam mir an dem Wochenende, als ich drei reizende junge Frauen anlässlich des Musikfestivals in Kopenhagen traf …“

1. KAPITEL

Aubrey Trusedale hatte sich diesen einen Moment – ihn endlich live zu sehen – öfter ausgemalt, als sie zählen konnte.

Sie hatte sogar gewusst, dass ihre Finger kribbeln und ihr Blut heiß durch ihre Adern strömen würde, wenn sie ihn das erste Mal berührte: seine beeindruckende Größe, seine maskuline Schönheit …

Über fünf Meter groß, aus massivem Marmor – Muskeln und Ausstrahlung in Reinkultur. Michelangelos David hatte sie nicht enttäuscht.

Nach ihrem x-ten elegischen Seufzer warf Aubrey einen verlegenen Blick hinter sich und stellte fest, dass die Reisegruppe, die sich bei ihrer Ankunft hier aufgehalten hatte, inzwischen weitergezogen war und sie mit ihm allein gelassen hatte.

Früher hatten ihre drei älteren Brüder ihre Schlafzimmer mit Fotos von Automobilen jeglicher Couleur bepflastert, während ihre Wände Notizen, Skizzen und Bilderdrucke von Monet und Waterhouse zierten. Dem Plakat des Davide von Michelangelo gebührte natürlich der Ehrenplatz direkt über ihrem Bett.

Ein nackter Mann an ihrer Wand! Zumindest für eine Weile das Gesprächsthema unter ihren Kumpels.

Und endlich war sie ihm so nah, wie sie es sich stets erträumt hatte. Dieser unfassbar genialen Studie männlicher Physiognomie: Schatten, Vertiefungen, Venen, Muskeln, Kraft, Form. Wenn sie hier und jetzt ihre Kräfte verließen … sie würde glücklich sterben.

Nicht, dass sie es wirklich vorhatte! Dafür hatten in den letzten beiden Jahren zu viele kluge und liebenswerte Menschen ihr Bestes getan, um genau das zu verhindern. Also war es geradezu ihre Pflicht zu leben, und zwar so lange und gut wie möglich.

Aubrey trat einen Schritt näher, dann noch einen, bis sie fast über die überraschend niedrige Barriere gestolpert wäre. Sich von hier aus weit vorzubeugen, um ihn vielleicht wirklich erreichen und berühren zu können …

Sie seufzte unhörbar und ballte die ausgestreckte Hand frustriert zur Faust.

Denn Regel Nummer eins an diesem Ort lautete: Nicht berühren!

Von wegen Langlebigkeit und Bewahrung für zukünftige Generationen. Dabei hatte David oder Davide, wie die Italiener sagten, fast vierhundert Jahre im Freien überlebt, bevor er in diesen Raum verfrachtet wurde.

Wie mochte er sich anfühlen? Rau? Trocken? Seidig? Mit einer Fingerspitze konnte sie ihm unmöglich schaden, oder?

Erneut schaute Aubrey über die Schulter und sah Mario, den Wachmann, näher kommen. Sie winkte ihm spontan zu.

Mario beantwortete ihre Geste mit einem Grinsen und versteckte ein Gähnen hinter vorgehaltener Hand. Fast sieben Jahre war er jetzt in der Galleria dell’Accademia. Zu Hause hatte er vier Töchter im Teenageralter, die es ihm oft schwer machten, nachts einzuschlafen.

Aubrey wusste das, weil sie sich bei ihrem ersten Galeriebesuch eine Weile unterhalten hatten. Sie fand schnell Kontakt zu anderen Menschen, die sich ihr gegenüber rasch öffneten und sich geradezu darin überboten, ihr jeden Gefallen zu tun.

Wie damals, vor zwei Jahren, anlässlich des Ascot Music Festivals in Kopenhagen, als sie zum ersten Mal ihre inzwischen besten Freundinnen getroffen hatte, Daisy und Jessica. Nachdem sie einen wagemutigen kleinen Dackel davor bewahrt hatten, von einer Menschenmenge zermalmt zu werden, und sich auch noch um sein betagtes, dafür umso reizenderes Frauchen gekümmert hatten. Viv, die Hundebesitzerin, hatte sich auf der kurzen Jagd nach Max übel den Knöchel verdreht.

Während alle noch diskutierten, was zu tun sei, war Aubrey einfach losmarschiert und hatte einen netten jungen Mann, der VIPS in einem Golfwagen umherkutschieren sollte, davon überzeugt, stattdessen Viv zum Sanitätszelt zu transportieren.

Schon verrückt, dass sie erst in diesem Sommer herausgefunden hatten, dass es sich bei ihrer Freundin Viv tatsächlich um Vivian Ascot handelte, milliardenschwere Besitzerin von Ascot Industries und Sponsorin des namensgleichen Musikfestivals!

Man konnte wirklich nicht voraussagen, wer und was einem im Leben begegnete.

Oder dass sie zwei Jahre später ein juristisches Schreiben erhalten würde, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass ihr eben diese alte Freundin und nebenbei auch Milliardärin eine Weltreise schenkte – sprich: bedingungslos finanzierte – und kein wie auch immer geartetes Nein als Antwort akzeptieren würde.

Eine noble, erwachsene Haltung, von der sich ihre überfürsorglichen und dadurch ziemlich nervigen Brüder getrost eine Scheibe abschneiden könnten: nachfragen, zuhören und Zutrauen haben. Ein Wunder, dass sie alle drei Frauen gefunden hatten, die es bislang sogar mit ihnen aushielten!

Das Einzige, was Aubrey vielleicht noch davon hätte abhalten können, ihre Traumreise tatsächlich anzutreten, war der Gedanke an ihre zauberhaften Nichten und Neffen gewesen, die ihr in der Zeit möglicherweise über den Kopf wuchsen. Gleichzeitig waren sie der Grund gewesen, warum sie gehen musste. Es tat einfach zu weh, andauernd etwas vor Augen zu haben, was ihr nie vergönnt sein würde.

Als Aubrey merkte, dass sie bereits eine geraume Weile auf Zehenspitzen balancierte, um ihrem Traummann so nahe wie möglich zu sein, rief sie sich energisch zur Ordnung und tröstete sich mit dem Gedanken, wenigstens für einen Moment dieselbe Luft wie ihr Davide geatmet zu haben.

Auf keinen Fall wollte sie Gefahr laufen, verhaftet zu werden, weil sie am ersten Tag ihrer Traumreise ein unschätzbares Kunstwerk belästigt hatte.

Ein junges Pärchen betrat den Saal, gönnte Davide einen flüchtigen Blick und schlenderte einfach weiter. Kulturbanausen!

Um die einmalige Chance zu nutzen, mit der Liebe ihres Lebens für einen magischen Moment ganz allein zu sein, ließ Aubrey sich spontan im Schneidersitz auf dem Boden nieder, öffnete ihren Rucksack und nahm einen Skizzenblock und einen Kohlestift heraus, um dann ihren Davide voll ins Visier zu nehmen.

Was wollte sie von ihm festhalten? Sein umwerfend klassisches Profil? Die hinreißende Wölbung seiner Ohrmuschel … oder seinen anbetungswürdigen Fuß, der einen Zeh verloren hatte … weil ein Verrückter ihn mit einem Hammer abgehackt hatte?

Die Hand …

Davide war der Grund, dass Aubrey ein ausgesprochenes Faible für Hände entwickelt hatte. Starke Hände, mit hervortretenden Adern … Narben … Hände voller Kraft und Geschichte.

Aubrey starrte noch eine Weile versunken auf Davides Hand, bevor sie den Kohlestift auf dem jungfräulichen Blatt Papier ansetzte. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Zu zeichnen war schon immer ihr größtes Glück gewesen. Egal, ob mit einem Stock im Staub von Sydneys Innenhöfen oder dem nackten Zeh im Sand bei einem der wenigen Strandausflüge. Es war ihr Weg gewesen, sich eine Auszeit vom Zusammenleben mit ihrer exaltierten sechsköpfigen Familie zu gönnen.

Ihr erstes Geld hatte sie als frühreife Achtjährige eingenommen, als sie sich auf den Bürgersteig vor dem Autoladen ihrer Familie – Prestige Panel and Paint – in Sydney gesetzt und Bilder von den Oldtimern verkauft hatte, die sie abgezeichnet hatte. Das Geld verwahrte sie in einer Dose, auf der ein Flugzeug abgebildet war … schon damals entschlossen, die weite Welt für sich zu erobern.

Ihr lang gehegter Traum scheiterte, als sie vor zwei Jahren, kurz nach dem Kopenhagener Festival und endlich am Start ihrer Wunschreise, an einer mysteriösen Infektion erkrankt war, die laut ihrer Ärzte und zum Entsetzen ihrer Familie leicht ihr Ende hätte bedeuten können.

Als Aubrey sich dabei ertappte, in der Vergangenheit zu versinken, blinzelte sie die aufsteigenden Tränen weg, schob den weichen Filzhut ihres Vaters aus der Stirn und verwischte mit dem Daumen einen Graphitschatten an Davides Handgelenk.

Zum Glück war sie nicht gestorben. Sie hatte sich wieder aufgerappelt, nach zwei Jahren Rekonvaleszenz und hartnäckigem Training. Geblieben war ihr ein leicht geschädigtes Herz.

Sie schaute auf zu Davide und dankte im Stillen, wem auch immer, der vom Himmel aus über sie gewacht hatte, damit sie endlich tun konnte, worauf sie ihr Leben lang hingearbeitet hatte. Und der hoffentlich auch sicherstellte, dass diesmal nichts passierte, was sie früher als geplant nach Hause zwang.

Wirklich glauben konnte sie es nach der schweren Zeit allerdings immer noch nicht.

Dafür erschien ihr alles zu einfach. Besprüht von Vivian Ascots magischem Feenstaub und mit der einzigen Bedingung versehen, sich nichts zu versagen und ihre Traumreise in Florenz in einem Hotel zu beginnen, das ihrer noblen Gönnerin gehörte, hätte das Timing allerdings nicht perfekter sein können. Denn es folgte direkt auf die jüngste Bombe, die ihre Ärzte gezündet hatten.

Welche Wahl hatte sie da gehabt, als dieses generöse Geschenk zu akzeptieren?

Dante … Machiavelli … Da Vinci. Michelangelo, Galileo …

Wenn diese Reise Aubreys Renaissance sein sollte, ihre Chance, sich ein Leben jenseits ihres Zustands vorzustellen, war Florenz der perfekte Ort, genau das zu starten.

„Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht …“, meldete sich eine sonore männliche Stimme hinter ihr. „Aber ich bin jedes Mal aufs Neue von ihm überwältigt.“

Aubrey war zusammengezuckt, weshalb ihr Kohlestift einen breiten Strich auf der noch unfertigen Skizze hinterließ.

„Ach je …“, seufzte sie unwillkürlich.

„Whoa, sorry“, entschuldigte sich die Stimme mit unverkennbar australischem Akzent. Wie ulkig war das denn? Ausgerechnet hier in Florenz?

„Schon gut“, meinte sie schulterzuckend. „Ist schließlich kein Rembrandt.“

„Nein, aber verdammt gut.“ Als der Fremde näher trat, sich offenbar vorbeugte und damit das durch eine riesige Glaskuppel einfallende Licht blockierte, hielt Aubrey ihre Hutkrempe fest, wandte den Kopf und nahm ihn kritisch ins Visier.

Grundgütiger! Als wenn dieser Mensch es nötig hatte, von beeindruckender Größe zu sprechen und sie auch noch zu bewundern!

Er war selbst beeindruckend groß und ausgesprochen gut gebaut. Mit einem schokobraunen Schopf dichter Haare, die eigenwillig in alle Richtungen abstanden. Eine stylische Sonnenbrille im Halsausschnitt seines blassgrauen T-Shirts, das seine muskulöse Brust eher betonte als kaschierte.

„Danke …“, murmelte sie mit einem flüchtigen Lächeln, schob ihre Sachen zurück in den Vintage-Rucksack und zog das ausgefranste Lederband um die Öffnung zusammen. Dann warf sie ihn über eine Schulter und versuchte, so anmutig wie möglich wieder auf die Beine zu kommen, was in kurzen Shorts und Floppy-Sandalen keine leichte Sache war.

„Skizzieren Sie diesen anmutigen Riesen öfter?“

Erst realisierte sie, dass Mr. Tall-Dark-and-Aussie ein Stück zurückgetreten war und sie nicht, wie befürchtet, zu bedrängen versuchte. Er schien nett zu sein, attraktiv, freundlich und mit einer klassischen Nase gesegnet, die Michelangelo zum Weinen gebracht hätte, einer festen Kinnlinie und Lippen, für die jeder Maler getötet hätte.

„Heute das erste Mal“, gestand Aubrey und spürte ihr Herz oben im Hals, als er sich ihr erstaunt zuwandte und ihre Blicke sich trafen. „Aber sicher nicht das letzte Mal. Er … er ist einfach fantastisch“, fügte sie schwärmerisch hinzu. „Geeignet für jede Bucket-List.“

„Hmm …“

Ihre Brauen wanderten nach oben. „Sie stimmen mir nicht zu?“

„Ich? Nein … er ist schon gut.“

„Gut?“ Ihre Stimme überschlug sich fast. „Er ist perfekt!“

Das brachte ihr eine erhobene Braue von seiner Seite ein. „Marmor ist nicht mein Medium“, stellte er mit einem kritischen Blick auf die Statue klar.

„Was denn?“

„Holz.“

„Ah … wahrscheinlich eine zu große Herausforderung.“

Seine Augen verengten sich, dafür hob er das Kinn. „Nah …“, kam es in breitem australischem Akzent zurück.

„Ha!“ Aubrey spürte ihr Blut schneller durch die Adern rauschen. Seine Augen waren tiefblau, dunkel und geheimnisvoll wie ein Fluss bei Nacht. Augen, in denen man ertrinken könnte.

Sie würde auf jeden Fall einen gut angespitzten Bleistift wählen, um ihn zu skizzieren. Oder einen schwarzen Fineliner, um die perfekt definierte Kinnlinie, die fein gemeißelte Kurve der ernsthaften und zugleich sündig wirkenden Lippen und jede einzelne schwarze gebogene Wimper festzuhalten …

Aubrey atmete tief durch, nahm noch einmal ganz bewusst Vivs großzügiges Geschenk in Anspruch und versprach sich selbst, ab dieser Sekunde jede Gelegenheit zu nutzen, um für sich eine neue Normalität zu finden … jetzt, da die Zukunft, die sie immer vor sich gesehen hatte, nicht mehr existierte.

Und so streckte sie dem attraktivsten und interessantesten Mann, der je ihren Weg gekreuzt hatte, ihre Hand entgegen. „Aubrey Trusedale aus Sydney.“

Einen Atemzug später ergriff er sie. „Malone … Sean Malone.“

Keine weiteren Auskünfte, kein Wort darüber, wo er herkam. Angesichts seiner Kleidung tippte sie auf Melbourne … definitiv Melbourne.

Wohlüberlegte Pausen schienen eine Art Markenzeichen von ihm zu sein: Finde ich die Statue eines nackten Mannes grandios oder nur gut? Spreche ich eine etwas irritierende Landsmännin an oder nicht?

Als Aubrey bemerkte, dass er immer noch ihre Hand fest in seiner hielt, errötete sie und lächelte ihn offen an.

„Ich freue mich, Sie kennengelernt zu haben, Malone“, sagte sie und meinte es auch so.

Eine halbe Stunde später fand Sean sich auf der Piazza Della Signora wieder, wo er mit einer Fremden, die er unterwegs aufgelesen hatte, bei einem Espresso saß.

Oder hat sie mich aufgegabelt?

Egal, einer von ihnen hatte erwähnt, dass er für eine Tasse Kaffee sterben könnte. Bei genauerer Überlegung kam Sean zu dem Schluss, dass das nicht unbedingt nach ihm klang. Trotzdem saß er jetzt unter einem leuchtend gelben Sonnenschirm an einem klapprigen schmiedeeisernen Tisch und nippte an einem eisgekühlten Espresso, umgeben von unzähligen Sonnenanbetern, die alle dasselbe tranken.

Während die Fremde, sprich Aubrey Trusedale aus Sydney, seitlich über ihre Stuhllehne gebeugt mit einem südafrikanischen Paar am Nebentisch über ihre Reisen, Jobs, Familien und Lieblingsbücher plauderte und ihn sich selbst überließ.

Wenn er doch nur schon …

„Aubrey …“

Sie hielt einen Finger hoch und brachte ihn zum Schweigen. „Nur eine Sekunde.“

Sean streckte mahnend die Hand aus, doch niemand beachtete ihn. Also griff er kurz entschlossen nach ihrem Rucksack, der unbeachtet und sperrangelweit offen auf dem freien Stuhl neben seiner Besitzerin thronte. Ohne Anstrengung konnte er Papier, Stifte, Brieftasche und Sonnenbrille ausmachen – und etwas, das wie Ersatzkleidung in einer transparenten Reißverschlusstasche aussah … als Topping mit einem Spitzen-G-String garniert.

Autor

Ally Blake
Ally Blake ist eine hoffnungslose Romantikerin. Kein Wunder, waren die Frauen in ihrer Familie doch schon immer begeisterte Leserinnen von Liebesromanen.

Sie erinnert sich an Taschen voller Bücher, die bei Familientreffen von ihrer Mutter, ihren Tanten, ihren Cousinen und sogar ihrer Großmutter weitergereicht wurden. Und daran, wie sie als junges Mädchen...
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