Eine Ehe nur zum Schein? - Zwischen Kalkül, Verlangen und wahrer Liebe (2 Miniserien)

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EROBERT VON DEM GRIECHISCHEN TYCOON von CAITLIN CREWS
"Heirate mich!” Der griechische Millionär Nicodemus Stathis hat längst aufgehört zu zählen, wie oft er Mattie Whitaker einen Antrag gemacht hat. Und wie oft die Antwort des verwöhnten Glamour-Girls ein kühles Nein war. Und das, obwohl es zwischen ihnen heiß knistert. Aber jetzt hat er sie in der Hand! Denn nur er kann den Ruin ihrer Familie verhindern. Es ist der Moment des süßen Triumphs, als Nic ihr auf seiner Privatinsel den Ring ansteckt. Aber dass Mattie vor dem Gesetz seine Ehefrau ist, reicht ihm noch lange nicht. Noch fehlt ihre lustvolle Kapitulation im Ehebett …

HEIRATE NIEMALS EINEN PLAYBOY! von CAITLIN CREWS
Die Braut, die sich nicht traut? Am liebsten würde Zara vor dem Altar umkehren! Wie konnte sie sich nur von ihrem Vater zu einer arrangierten Ehe mit dem Playboymilliardär Chase Whitaker überreden lassen? Doch dann senkt ihr umwerfend attraktiver Bräutigam zum ersten Mal seine Lippen auf ihre – und alle Zweifel sind wie weggezaubert. Nie zuvor hat Zara solch überwältigende Leidenschaft verspürt. Nichts scheint plötzlich mehr wichtig, als sinnliche Erfüllung in Chases Armen zu finden. Ein Fehler? Noch ahnt Zara nicht, dass er ein dunkles Geheimnis vor ihr verbirgt …

UND IMMER WIEDER DU! von DAPHNE CLAIR
Das Gefühl seiner Lippen auf ihrer Haut, als er sie auf der Hochzeit ihres besten Freundes unvermittelt küsst … Irgendetwas Wildes, Verzehrendes ist da zwischen Samantha und Jase Moore. Etwas, das sie besser vergessen sollte! Doch schneller als gedacht trifft sie Jase wieder …

DIE BRAUT DES ITALIENISCHEN MILLIONÄRS von KATHRYN ROSS
Schnell muss der Millionär Antonio eine Familie gründen! Sonst verliert er seine Firma! Doch dann trifft er die alleinerziehende Victoria und alles scheint ganz einfach: Denn auch sie braucht ihn! Ohne seine finanzielle Hilfe ist ihr Restaurant am Ende. Also: Heirat ja! Liebe nein?


  • Erscheinungstag 17.11.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520683
  • Seitenanzahl 640
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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Redaktionsleitung: Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)
Produktion: Jennifer Galka
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2014 by Caitlin Crews
Originaltitel: „His for a Price“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2202 - 2015 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: SAS

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783733702137

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Wenn sie sich ganz still verhielt, sich nicht rührte, weder atmete noch blinzelte … Mattie Whitaker war sicher, dass sie dann die Worte ihres älteren Bruders ungeschehen machen konnte. Einfach zurückspulen und löschen.

Draußen an den Fenstern der riesigen alten Villa am Hudson River, knapp zwei Stunden Fahrt nördlich von Manhattan, lief der Regen in Sturzbächen herab. Der kalte Oktoberwind zerrte die Blätter von den alten Bäumen des Anwesens und scheuchte sie wirbelnd durch den Park von Greenleigh. Hinter Mattie an dem Schreibtisch, der für sie immer der Schreibtisch ihres Vaters bleiben würde, ganz gleich, wie lange er tot war, saß Chase und schwieg.

Nein, zurückspulen und löschen würde nicht möglich sein. Es gab keinen Ausweg. Wenn sie ehrlich war … sie hatte immer gewusst, dass dieser Tag früher oder später kommen würde.

„Ich habe dich nicht richtig verstanden“, sagte sie dennoch.

„Du hast mich genau gehört, das wissen wir beide.“

Es hätte es ihr erleichtern sollen, dass Chase sich so bedrückt anhörte, wie sie sich fühlte, statt des höflichen Gleichmuts, den er ihr üblicherweise entgegenbrachte. Viel leichter. Tat es aber nicht.

„Wiederhole es trotzdem.“ Sie legte die Finger an die Glasscheibe und ließ die Kälte in ihre Hand kriechen. Über verschüttete Milch zu weinen ist unsinnig, hätte ihr Vater mit tonloser Sachlichkeit gesagt. Ein Spruch, den er nach dem Tod seiner Frau häufig genutzt hatte.

Spare dir deine Energie für Dinge auf, die du ändern kannst, Mattie.

Hinter sich hörte sie Chase seufzen. Sie wusste, wenn sie sich jetzt umdrehte, würde sie nur einen Schatten des begehrten Junggesellen mit dem sonnigen Gemüt, der die Titelseiten der britischen Regenbogenpresse geschmückt hatte, vor sich sehen. Jahrelang hatte er in England gelebt, ein Tribut an ihre früh verstorbene englische Mutter. Und jetzt … Es waren harte vier Monate gewesen, seit ihr Vater völlig unerwartet gestorben war. Härter für Chase, vermutete Mattie, da er sich jetzt am Unternehmergeist des Vaters messen lassen musste. Aber im Moment war ihr nicht danach, nachsichtig zu sein.

Noch immer drehte sie sich nicht um. Denn wenn sie sich umdrehte, dann würde es wahr werden.

Den Kopf in den Sand zu stecken hat noch nie etwas eingebracht, flüsterte ihr eine kleine Stimme in ihrem Kopf zu. Diese Stimme rief ihr ständig all das in Erinnerung, was sie vergessen wollte – den Geruch der Ledersitze in dem todbringenden Wagen, das schrille Kreischen der Bremsen, die eigene gellende Stimme … und der falsche Gesang, immer wieder der Gesang …

Mattie ließ die Schotten zuschlagen. Nicht schnell genug. Ihre Hände zitterten.

„Du hast zugesagt, dass wir das zusammen durchstehen“, sagte Chase, statt sich zu wiederholen. Und er hatte recht. Genau diese Worte hatte sie auf der Beerdigung des Vaters genutzt. Ohnmächtig vor Trauer, ohne an die Konsequenzen zu denken. „Jetzt sind nur noch wir beide übrig, Mats.“

So hatte er sie schon lange nicht mehr genannt. Seit sie zusammen in dem Auto gefangen gewesen waren. Sie nahm es ihm übel, dass er den Spitznamen jetzt nutzte, und sie stählte sich dagegen. Gegen ihn.

„Du und ich und der neue Ehemann, an den du mich verkaufst wie eine Zuchtstute, meintest du wohl“, korrigierte sie ihn. Die Stimme hielt sie absichtlich kühl. Kälte war wirkungsvoller als Verbitterung. Oder Panik. Oder Hysterie. „Mir war nicht bewusst, dass wir noch immer im Mittelalter leben.“

„Dad war extrem clever. Sorgfältig ausgewählte Heiraten gehören auch heute noch zu den üblichen Geschäftspraktiken“, erwiderte er mokant. Oder war es doch bitter? Mit vor der Brust verschränkten Armen sah er zu seiner Schwester, die sich nun umdrehte. „Ich sitze im selben Boot, Mattie. Amos Elliott hat mir zu verstehen gegeben, dass, wenn ich ihm eine seiner Töchter abnehme, es bei den Aufsichtsratsversammlungen sehr viel glatter für mich ablaufen wird. Willkommen im Mittelalter, Mattie.“

Sie lachte hohl. „Soll ich mich jetzt besser fühlen? Das heißt doch nur, dass das Elend größer ist als gedacht.“

„Wir brauchen dringend eine Geldspritze, und zwar eine ernsthafte, sonst verlieren wir die Firma“, sagte Chase tonlos. Er hörte sich überhaupt nicht wie er selbst an. „Die Aktionäre murren, der Aufsichtsrat überlegt, wie sie mich zu Fall bringen können. Die Firma ist unser Erbe, und wir sind dabei, es zu verlieren.“

Und damit alles, was von ihnen geblieben war. Er sagte es nicht, aber das war auch nicht nötig. Die Worte hallten in Matties Ohren, als hätte er sie durch ein Megafon geschrien. Sie hörte auch den Rest, den Teil, in dem er sie daran erinnerte, wer die Schuld am Tod der Mutter trug. Dabei tat er das nie. In ihrem Leben dagegen gab es kaum einen Moment, in dem sie nicht daran dachte.

„Trotzdem ist es viel verlangt, um es milde auszudrücken.“ Das war es, was das gedankenlose und selbstverliebte Wesen sagen würde, als das die Medien sie porträtierten. „Vielleicht nehme ich das ja als Gelegenheit, um alles hinter mir zu lassen und ein neues Leben anzufangen. Ohne mich um elterliche Missbilligung oder die des verstaubten Aufsichtsrats von Whitaker Industries kümmern zu müssen.“ Sie musterte die harte Miene ihres Bruders. Er betrachtete sie, als wäre sie eine Fremde. „Das könntest du auch tun.“

„Ich weiß“, stimmte er kühl zu. „Aber dann wären wir beide tatsächlich die nutzlosen Kreaturen, für die Dad uns immer hielt. Ich kann damit nicht leben, und ich glaube, du auch nicht. Du wusstest, bevor du heute herkamst, dass es keine andere Option gibt.“

„Du meinst, bevor du mich herbeordert hast?“ Mattie ballte die Fäuste an den Seiten. Besser als Tränen. Denn Chase hatte recht. Sie konnte nicht mit dem leben, was vor zwanzig Jahren passiert war, und sie würde nicht damit leben können, wenn alles, was von ihrer Familie übrig war, zusammenfallen sollte. Letztendlich war es ihre Schuld, sie musste ihren Teil leisten, um es zu retten. „Wann bist du aus London zurückgekommen?“

Er wandte das Gesicht ab. „Vor einer Woche.“

„Und da hast du mich erst angerufen, als es nötig wurde, mich zu verkaufen. Nett.“

„Schön, mach mich zum Feind.“ Chase fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Das ändert dennoch nichts.“

„Stimmt“, sie schämte sich, dass sie es an ihm ausließ, konnte sich aber nicht zurückhalten, „ich wusste es vorher. Das heißt nicht, dass ich Freudensprünge mache, wenn ich mich mit Nicodemus Stathis einlassen soll.“

Chases Mundwinkel verzogen sich. Zu besseren Zeiten hätte man es wohl als Lächeln bezeichnen können. Aber keiner von ihnen beiden hatte eine große Wahl. „Sag ihm das selbst. Wahrscheinlich wird ihn das amüsieren.“

„Nicodemus hat mich immer enorm amüsant gefunden.“ Wenn sie schon log, so reckte sie doch die Schultern, und es war auch besser, wenn sie diese Lüge mit klarer Stimme vortrug. Sie strich sich das schwarze Kleid glatt. „Ich bin sicher, dass er das als Hauptgrund anführt, weshalb er mich heiraten will. Und natürlich den Zusammenschluss unserer beiden Unternehmen, damit übernimmt er dann die Rolle des obersten Machhabers mit dem größten und dicksten …“ Zu spät fiel ihr ein, dass sie hier mit ihrem älteren Bruder redete. Sie standen sich vielleicht nicht so nahe, wie sie sich wünschte, aber er war dennoch ihr Bruder. „… Aktienpaket, meinte ich“, endete sie lahm.

„Natürlich meintest du das“, erwiderte Chase trocken. Und doch hörte Mattie so etwas wie Bedauern in seiner Stimme, eine Entschuldigung unter dem leisen Lachen.

Denn ihm waren die Hände gebunden. Big Bart Whitaker war so etwas wie eine Institution gewesen. Niemand hatte damit gerechnet, dass der Mann einfach tot umfallen würde, am wenigsten er selbst. Für eine Übergabe war keine Zeit mehr geblieben. Keine Zeit für Chase, um sich als Vizepräsident eines Londoner Unternehmens auf die neue Rolle als Präsident und CEO von Whitaker Industries vorzubereiten, auch wenn das immer Barts Absicht gewesen war. Keine Zeit, um die Ängste von Vorstand und Aktionären zu zerstreuen, die Chase nur aus den Artikeln kannten, die in den britischen Klatschblättern zu lesen gewesen waren. Keine Zeit für Trauer, wenn zu viel auf dem Spiel stand, wenn die Risiken zu groß waren, wenn es zu viele Feinde gab.

Ihr Vater hatte die Firma vom Großvater übernommen, welcher sie allein mit Sturheit und Durchhaltevermögen aus dem Nichts aufgebaut hatte, mit dem Ehrgeiz, Andrew Carnegie nachzueifern. Bart hatte die Firma geliebt, und Mattie hatte nie daran gezweifelt, dass Chase und sie Bart liebten, beide auf ihre eigene komplizierte Art. Bart war alles gewesen, was ihnen nach dem Tod der Mutter geblieben war.

Und das bedeutete, dass sie beide tun würden, was nötig war. Das war immer so sicher gewesen wie die Tatsache, dass der harsche New Yorker Winter jedes Jahr unweigerlich kam.

Mattie würde das Beste daraus machen. Diese Stelle tief in ihr, die so sehr schmerzte, würde sie einfach ignorieren. Die Stelle, wo die Angst wohnte. Angst vor den Gefühlen, die Nicodemus Stathis in ihr erweckte. Es wäre so einfach, sich in ihm zu verlieren, bis nichts mehr von ihr übrig war.

Aber du schuldest ihnen etwas, dachte sie. Ihnen allen.

„Er ist bereits hier, oder?“, fragte sie nach einem Moment. Es war unsinnig, das Unvermeidliche noch länger aufzuschieben, das würde das Grausen in ihr nur anwachsen lassen.

Chase sah ihr direkt ins Gesicht. „Er wartet in der Bibliothek.“

Sie senkte den Blick auf den Schreibtisch aus poliertem Kirschholz. Eine Welle der Trauer überrollte sie, sie vermisste ihren Vater so sehr, dass ihr schwindelte. Sie hätte alles gegeben, um sein zerfurchtes Gesicht noch einmal zu sehen, seine tiefe Stimme noch einmal zu hören. Selbst wenn er ihr nur befohlen hätte, in die Bibliothek zu gehen. In den letzten zehn Jahren hatte er ihr oft genug angedroht, sie zu verheiraten.

Aber Bart lebte nicht mehr, sie waren als die einzigen beiden Whitakers übrig geblieben. Chase und Mattie gegen den Rest der Welt, selbst wenn Bruder und Schwester seit dem Tod der aristokratischen Mutter nicht viel Zeit miteinander verbracht hatten. Verschiedene Internate in England, Universitäten in verschiedenen Ländern, jetzt als Erwachsene das Leben auf gegenüberliegenden Seiten des Atlantiks. Aber auch daran war Mattie schuld, wie sie wusste.

Und deshalb würde sie ihre Strafe akzeptieren, wenn auch sicher nicht mit der würdevollen Haltung, die angebracht wäre.

„Tja“, sagte sie auf dem Weg zur Tür gespielt munter, „ich hoffe doch, dass wir uns dann auf der Hochzeit sehen. Solltest du mich nicht erkennen … ich bin diejenige, die in Ketten zum Altar geschleift wird. Die Jungfrau, die dem Drachen geopfert wird. Ich werde versuchen, nicht zu laut zu schreien, wenn ich bei lebendigem Leibe verbrannt werde.“

Chase seufzte schwer. „Könnte ich es verhindern, würde ich es. Das weißt du.“

Sie hob den Kopf. Sie konnte mit Nicodemus Stathis fertig werden. Schon seit Jahren wurde sie mit ihm fertig. Sie würde ihre Pflicht tun. Mit stocksteifem Rücken ging sie ihrem Schicksal entgegen.

Das Schlimmste an Nicodemus Stathis war, dass er so sündhaft gut aussah. So lange Mattie ihn kannte, erweckte er eine Mischung aus unerwünschter Sehnsucht und purer Panik in ihr.

Es war einfach nicht fair.

Er stand bei der Terrassentür und starrte hinaus in das Grau. Und er stand absolut reglos, aber das konnte die Tatsache nicht kaschieren, dass er der skrupelloseste und unnachgiebigste Mann war, den sie je getroffen hatte. Das dichte schwarze Haar, die breiten Schultern und seine beeindruckende Größe ließen seine Härte erahnen. Er drehte sich nicht um, als sie den Raum betrat, aber natürlich wusste er, dass sie hier war.

„Ich kann nur hoffen, dass du nicht zu sehr triumphierst, Nicodemus.“

„Die Grube, die du dir selbst gegraben hast, ist schon jetzt so groß wie ein Swimmingpool, aber grabe nur weiter“, konterte er mit dieser gefährlich tiefen Stimme, die ihr schon immer durch und durch gegangen war. Noch immer konnte man seine griechische Abstammung daran erkennen.

„Hier bin ich also, wie befohlen“, sagte sie übertrieben heiter. „Das Opferlamm. Es muss doch ein guter Tag für dich sein.“

Jetzt erst drehte er sich zu ihr um, unendlich langsam. Dennoch raubte es ihr den Atem, als Mattie ihm nun von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.

Die Muskeln, die er schon mit zwanzig gehabt hatte, waren durch körperliche Arbeit auf dem Bau zur Perfektion gestählt. Eine Arbeit, die er bis zum Alter von sechsundzwanzig irgendwie in ein Multi-Millionen-Dollar-Unternehmen umgewandelt hatte. Sein Gesicht wirkte wie von einem Künstler gemeißelt, seine Züge waren fast elegant. Das zweifelsohne extrem teure schwarze T-Shirt verbarg seine muskulösen Arme nicht, im Gegenteil. Die Kälte schien ihm nichts auszumachen, aber dafür war er auch zu elementar. Und wie immer richteten sich bei seinem Anblick nicht nur ihre Nackenhärchen auf, sondern ihre Brüste begannen auch schmerzhaft zu spannen. Heute war es nicht anders als sonst.

Heute war es sogar noch schlimmer, denn er lächelte.

Ich bin schon jetzt verloren, dachte sie. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, sah ihm in die glühenden dunklen Augen. „Du triumphierst. Aber das sollte mich wohl nicht wundern.“

„Ich weiß nicht, ob ‚triumphieren‘ der Ausdruck ist, den ich wählen würde. Wie alt warst du, als ich dir den ersten Heiratsantrag gemacht habe? Zwanzig?“ Fast klang er, als würde er sich gern an ihre lange, qualvolle gemeinsame Geschichte erinnern.

„Achtzehn.“ Mattie rührte sich nicht, als er auf sie zukam, obwohl sie am liebsten nach oben in ihr Kinderzimmer gerannt wäre und sich darin eingeschlossen hätte. Stattdessen hielt sie den Blick fest auf ihn gerichtet. „Damit hast du mir meinen Debütantinnenball ruiniert.“

Nicodemus’ Lächeln wurde breiter, und Mattie kämpfte gegen die hilflose Reaktion an, die er jedes Mal in ihr hervorrief. Noch immer erinnerte sie sich an den einen Walzer mit ihm, zu dem ihr Vater sie gezwungen hatte. So eng an seinen muskulösen Körper gepresst, seinem intensiven Blick ausgesetzt und diesen schönen Mund direkt vor sich … sie war schrecklich nervös gewesen. Und voller Sehnsucht.

Er übte noch immer diese Wirkung auf sie aus. Verflucht sollte er sein!

„Heirate mich“, hatte er statt eines Grußes gesagt, und er hatte es ausgestoßen wie einen Fluch.

„Tut mir leid“, hatte sie erwidert und dem intensiven Blick standgehalten, der sich bis in ihr Innerstes bohrte. Damals war sie ein keckes Ding gewesen, hatte so unbedingt die Aufmerksamkeit des Vaters erregen wollen. Trotzdem hatte ihre Stimme eher kleinlaut geklungen. Dieser Mann hatte ihr Angst eingejagt. Oder vielleicht war dieses überwältigende Gefühl gar keine Angst gewesen, ihr war vielleicht einfach nur keine andere Beschreibung eingefallen. „Ich will weder Sie noch irgendeinen anderen heiraten. Niemals“, hatte sie noch nachgesetzt. Schließlich war sie achtzehn gewesen. Aber Nicodemus war keiner von den halbwüchsigen jungen Männern, mit denen sie damals ausgegangen war. Er war erwachsen … und sehr männlich.

Er hatte nur amüsiert gelacht, so als wäre er sich ihrer völlig sicher, und sie hatte sein Lachen in ihrer Kehle gespürt, in ihrer Brust, ihrem Bauch … und auch noch tiefer. „Du wirst mich heiraten, Prinzessin, ganz sicher.“

Noch heute schien er sich darüber zu amüsieren.

„Haben wir eigentlich je den Grund bestimmt, wieso du unbedingt einen Teenager heiraten wolltest?“, fragte sie ihn herausfordernd. „Konntest du keine Frau im passenden Alter finden?“

Er stand jetzt vor ihr. Ohne auf ihre Bemerkung einzugehen, fasste er in ihr langes dunkles Haar und wickelte sich eine Strähne um die Hand, zog, nicht sacht, sondern mit einem Ruck, den sie wie dunkle Lust bis in ihren Unterleib spürte. Sofort beschloss sie, sich eine Kurzhaarfrisur zuzulegen.

Sie wollte seine Hand wegschlagen, doch seine funkelnden Augen warnten sie, und sie gönnte ihm die Genugtuung nicht, zu sehen, dass geheime Sehnsüchte in ihr erwacht waren.

„Aua. Das tut weh.“ Sie war entsetzt, wie belegt ihre Stimme klang. „Mir ist klar, dass ich wie Inventar verhökert werden soll“, stieß sie aus, „aber das ist noch immer mein Haar, und ich merke es, wenn jemand daran zieht.“

Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. „Du lügst, sobald du den Mund aufmachst, Mattie“, murmelte er. „Und du brichst dein Wort, wie andere Frauen sich einen Fingernagel brechen.“

„Oh, die brechen mir auch ab.“ Sie schien sich nicht zurückhalten zu können. „Wenn du die perfekte Vorzeigefrau suchst, werde ich dich wohl bitter enttäuschen.“ Sein Lachen war keineswegs beruhigend. „Ich habe dir schon vor langer Zeit versichert, dass der Tag kommen wird.“

„Und ich habe dir immer wieder gesagt, dass ich meine Meinung nicht ändern werde.“ Er stand so nahe vor ihr, alles in ihr zog sich zusammen. Trotzdem hob sie das Kinn an. „Und das habe ich auch nicht. Bilde dir nicht ein, es wäre meine freie Entscheidung. Das ist eine groteske Form der Erpressung wie im Mittelalter.“

„Was stört es mich, wie ich dich bekomme, Mattie?“ Seine tiefe Stimme ließ ihre Knie weich werden. „Du verwechselt mich mit einem netten Mann. Ich bin lediglich ein entschlossener Mann.“

Mattie erinnerte sich wieder an das endlose formelle Dinner im Museum of Natural History in Manhattan, irgendeine Wohltätigkeitsveranstaltung. Ihr Vater hatte ihr befohlen, sich neben Nicodemus zu setzen, der, wie er behauptete, wie ein Sohn für ihn sei – einer, der sich wesentlich besser zu benehmen wisse als seine leiblichen Kinder, hatte er noch hinzugefügt. Damals war Mattie zweiundzwanzig gewesen – und maßlos zornig.

„Ich versuche gar nicht, deine Meinung zu ändern, Prinzessin“, hatte Nicodemus ihr damals ins Ohr geflüstert. Mit seinem dunklen Blick hatte er sie auf ihrem Stuhl gefesselt. „Wir wissen doch beide, wie es ausgehen wird. Dein Vater wird dir nachgeben und dir freie Hand lassen, doch irgendwann setzt die Realität ein. Je länger du mich warten lässt, desto härter werde ich dir deinen süßen rebellischen Hintern versohlen müssen, wenn du dann erst da bist, wo du hingehörst – in mein Bett, unter meinem …“ Seine schwarzen Augen hatten zu glühen begonnen, und Mattie hatte es gefühlt, als wäre er mit den Lippen über ihre Haut gefahren. „… Dach.“

Nein, Dach hatte er nicht sagen wollen, das war ihr klar gewesen. „Eine anregende Fantasie. Ich weiß nicht, wieso ich nicht freudig auf das nette Angebot eingehe.“

Er hatte nur mit den Schultern gezuckt. „Wie du willst.“ Diese Aura von Macht und Kraft, die ihn umgab, hatte sich wie eine Hand um ihre Kehle gelegt. Schlimmer noch … sie war sich bewusst gewesen, dass ein Teil von ihr sich tatsächlich nach ihm sehnte und mehr von ihm haben wollte. „Ich vergesse nie, Mattie“, fuhr er lässig fort, „und wenn es darum geht, mir Strafen auszudenken, bin ich sehr einfallsreich.“

„Uh, ich habe schon jetzt Angst“, hatte sie schnippisch gekontert und dann ihr Bestes getan, um ihn zu ignorieren.

Es hatte damals nicht funktioniert … und heute auch nicht.

„Werden wir den ganzen Tag in Erinnerungen schwelgen?“, fragte sie mit geheuchelter Langeweile, von der sie wünschte, sie würde sie auch verspüren. „Da ich mich mit Erpressung nicht auskenne, wirst du mir deinen Plan genauer darlegen müssen.“

„Dir steht es frei, mich erneut abzuweisen.“

„Und dabei die Firma meines Vaters in den Ruin zu stürzen.“

„Entscheidungen haben immer Konsequenzen, Prinzessin.“ Er zuckte die Schultern. „Ich bin sicher, dein Vater hat dir das bereits erklärt.“

Dass er recht hatte, machte sie nur noch wütender. „Mein Vater war der irrigen Ansicht, dich für so etwas wie einen Sohn zu halten.“ Es gelang ihr nicht, die Emotionen zu kontrollieren. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, heiße Tränen wollten aufsteigen. Doch diese Art von Emotion konnte er ruhig sehen, die würde sie nicht zerstören. „Manchmal schien es, als hätte er eine höhere Meinung von dir als von seinem eigenen Sohn.“ Sie holte Luft, sammelte sich. „Und sieh nur, wie du es ihm dankst.“

Sie hatte erwartet, ihn damit zu treffen, doch er lachte nur und löste seine Hand aus ihrem Haar. Mattie musste an sich halten, um sich nicht über den Kopf zu reiben. Das Schlimmste war, sie wusste nicht, ob sie das Gefühl seiner Berührung wegwischen oder länger dort erhalten wollte.

„Dein Vater war der Meinung, ich hätte dich schon vor Jahren bei den Haaren mitschleifen sollen.“ So lässig und sicher, wie er es sagte, wurde ihr unangenehm bewusst, dass er und ihr Vater tatsächlich so über sie gesprochen hatten. „Vor allem in der Zeit, die er immer nur deine ‚beklagenswerte Phase‘ nannte.“

Sie lief rot an, hasste, wie weh es tat. Ja, sie konnte sich ohne Probleme vorstellen, wie ihr Vater sich bei Nicodemus über ihr Benehmen in der mutter- und ziellosen Zeit beklagte, als sie um die zwanzig gewesen war. Es fühlte sich wie Verrat an.

„Ich habe eben mein Bestes gegeben“, stieß sie aus und verstummte, denn es kam der unangenehmen Wahrheit, an die sie nicht denken wollte, viel zu nahe. Sie machte einen Schritt zurück, wäre noch weiter zurückgewichen, doch Nicodemus packte sie beim Oberarm, verhinderte so ihren Rückzug.

Sie weigerte sich, an die Kraft dieser Hände zu denken, verbot sich, die Hitze zu bemerken, die sich von seiner Haut durch das elegante Kleid aus Kaschmir brannte. Nein, sie würde sich keine Reaktion erlauben.

„Du weißt genau, dass das, was du dir da geleistet hast, falsch war.“ Seine Stimme klang sachlich, ruhig, nur die leiseste Andeutung des Temperaments von damals, der harschen Worte. „Du hattest es darauf angelegt, deinen Vater in Verlegenheit zu bringen. Ich würde sagen, du hast den Namen deiner Familie beschmutzt, aber wir wissen beide, dass das deinem Bruder vorbehalten war. Mir wird es immer ein Rätsel bleiben, weshalb ein so großartiger Mann wie dein Vater mit solch undankbaren, egoistischen Kindern gestraft worden ist.“

„Die meisten Zwanzigjährigen sind undankbar und egoistisch.“ Sie musste sich zwingen, seinem verächtlichen Blick standzuhalten und nicht zu versuchen, sich von ihm loszureißen. Höchstwahrscheinlich würde es ihr so oder so nicht gelingen.

„Manche von uns hatten keine Zeit, sich so zu benehmen. Sie waren zu beschäftigt damit, ums nackte Überleben zu kämpfen.“

Immer hundertprozentig und völlig von sich eingenommen. Aber das war auf jeden Fall besser, als wenn er die Wahrheit über sie herausfinden würde. Nur so hatte sie überhaupt die Chance, das hier durchzustehen.

„Ja, ich weiß, Nic“, flötete sie übertrieben freundlich, „du bist ein Selfmademan. Das betonst du ja auch bei jeder Gelegenheit. Aber leider können wir nicht alle so perfekt sein wie du.“

Seine Finger packten härter zu, schickten damit einen Flammenspeer direkt in ihren Unterleib. Mattie hasste ihren verräterischen Körper dafür, dass er entgegen aller Vernunft so auf diesen gefährlichen Mann reagierte.

Als sie vierundzwanzig gewesen war, hatte Nicodemus ihr den nächsten Antrag gemacht.

Mattie hatte in einem Londoner Club die Nacht durchgetanzt, in einem Kleid, das wenig verhüllte, dafür der Fantasie genügend Anreiz lieferte. Als sie den Hinterausgang nutzte, um eine Zigarette zu rauchen, hatte er dort gewartet, lässig angelehnt an einen schnittigen Sportwagen, die Arme vor der Brust verschränkt.

Der glühend-grimmige Blick, mit dem er sie musterte, verhieß nichts Gutes, doch Mattie war kein Teenager mehr. Sie hatte sich die Zigarette angesteckt und ihn ignoriert.

„Warum überhaupt noch Zeit mit Anziehen verschwenden? Warum gehst du nicht gleich nackt?“

Seine Stimme hatte rau in der Nacht geklungen, hatte alles in ihr vibrieren lassen.

„Süß, dass du dir Gedanken um meine Garderobe machst. Als würde dich das etwas angehen“, hatte sie gelangweilt erwidert. Und sich gewünscht, er würde sie tatsächlich nur langweilen.

Sein durchdringender Blick ließ sie sich berauscht und schwindlig fühlen, machte sie trunken und raubte ihr die Kontrolle, ähnlich dem Zustand, wie sie sich in diesen vergeudeten Jahren nach dem College fühlte.

„Oh, aber es geht mich etwas an, Mattie“, behauptete er gefährlich leise. „All diese Männer, von denen du dich anfassen lässt, all die Nächte, in denen du der Welt deinen Körper präsentierst. Dann das Tattoo, vor dem ich dich ausdrücklich gewarnt hatte, deine Haut damit zeichnen zu lassen. Und diese Zigaretten, mit denen du dir selbst Schaden zufügst.“

Während seiner Rede hatte er sich von dem sündhaft schicken Auto aufgerichtet, war auf sie zugekommen, um direkt vor ihr stehen zu bleiben. Trotz ihrer Größe und der hohen Absätze, die sie trug, überragte er sie noch immer. Sie redete sich ein, dass sie es hasste, was er in ihr erweckte … dieses lodernde Feuer, das er in ihr entfachte, sobald seine dunklen Augen auf ihr lagen.

Er könnte alles von ihr haben, könnte sie nehmen, bis nichts mehr von ihr übrig war. Doch was würde passieren, wenn er erfuhr, was sie so mühsam verheimlichte? Wenn das Feuer ausgebrannt war und es nichts mehr zwischen ihnen gab als die schreckliche Wahrheit darüber, was sie getan hatte?

„Wenn du wirklich so clever wärst, wie du immer vorgibst, dann müsste dir inzwischen aufgefallen sein, dass mir völlig egal ist, was du denkst.“ Ihr Herz hatte einen Schlag ausgesetzt, um jetzt umso heftiger zu pochen. „Du solltest dir jemanden suchen, dem es nicht egal ist. Es gibt doch sicher genügend gehorsame kleine Mädchen, die im Internet einen großen bösen Milliardär suchen. Ich wette, in spätestens einer Woche könnest du Herr und Meister im eigenen Schloss spielen.“

Es zuckte um seine Lippen. Bei jedem anderen hätte sie das für ein Lächeln gehalten, doch das hier war Nicodemus. Sein dunkler Blick raubte ihr immer wieder den Atem.

„Heirate mich, Mattie. Mach es nicht noch schwerer für dich, als es schon ist.“

„Warum?“, fragte sie hilflos.

„Weil ich dich will“, gestand er grimmig, als wäre dieses Bedürfnis eine Zumutung, eine Qual für ihn. „Ich bekomme immer, was ich will.“

„Eher springe ich von der Brücke“, behauptete sie verzweifelt. Interessierte es etwa jemanden, was sie wollte? Nichts von den Dingen, die sie sich wünschte, konnte sie haben.

„Du bist ein albernes kleines Mädchen.“ Kopfschüttelnd murmelte er etwas in Griechisch. „Aber du bist mein.“

Und damit riss er sie an sich, nahm ihr die Zigarette aus den Fingern und schnippte sie weit weg, bevor er seinen Mund auf ihre Lippen presste.

Und in diesem Moment war der dunkle Zauber in ihr explodiert. Nicht nur hatte dieser Kuss sie zutiefst erschüttert, Nicodemus hatte sie damit auch für sich markiert. In seinen Armen war sie nachgiebig und anschmiegsam geworden, als hätte sie ihr ganzes Leben darauf gewartet, ihm so nahe zu sein, als hätte sie ihr ganzes Leben auf diesen einen Kuss gewartet. Als hätte sie immer gewusst, dass es so sein würde.

Und ja, irgendwie hatte sie es tatsächlich gewusst. Feuer. Panik. Sofortige Sucht …

„Ich habe es dir doch gesagt“, meinte er träge, als er endlich den Kopf hob und sie matt in seinen Armen wankte. „Du bist mein, warst schon immer mein und wirst immer mein sein. Wie lange willst du dich noch dagegen wehren?“

Mattie hatte ihn nur anstarren können, unfähig, ein Wort herauszubringen. Und er hatte gelächelt, regelrecht zärtlich. Dieses Lächeln hatte sein Gesicht verändert, hatte ihn noch gefährlicher gemacht.

So hatte sie sich auf dem Absatz umgedreht und war geflohen.

„Spiel ruhig deine Spielchen, Prinzessin“, hatte er ihr amüsiert nachgerufen. „Du wirst auf Knien zu mir zurückkommen.“

Und schon da hatte sie ihm geglaubt …

„Stimmt, nicht alle können sein wie ich“, riss seine dunkle Stimme sie in die Gegenwart zurück. „Aber du kannst lernen, mir zu gefallen, Mattie. Wäre ich an deiner Stelle, würde ich es schnell lernen.“

Noch eine Drohung. Oder eher ein Versprechen, denn ganz gleich, wie lange und wie weit sie vor diesem Mann wegrannte, er hatte gewonnen. Und sie wollte nicht darüber nachdenken, was genau er mit „ihm gefallen“ meinte.

„Ich lerne sehr langsam. Tja, das wäre also die nächste Enttäuschung für dich.“

2. KAPITEL

Er hatte gewonnen. Mehr war nicht wichtig.

Das war es, was Nicodemus sich sagte, als er in das schöne trotzige Gesicht der Frau blickte, die ihn seit Jahren aufrieb und immer wieder abgewiesen hatte. Irgendwie schaffte er es, sich so weit zu beherrschen, dass er sie sich nicht übers Knie legte … oder gleich hier auf dem Boden der Bücherei in Besitz nahm.

Er versuchte, das Ganze als Geschäft zu betrachten. Doch sie blickte ihn an, als wäre er ein räudiges Tier, als befürchte sie, sich Flöhe einzufangen, wenn sie ihm zu nahe kam. Und so wunderte es ihn nicht wirklich, dass er kein Triumphgefühl verspürte, sondern nur denselben schwelenden Zorn, den er immer fühlte, wenn sie ihn mit diesem Blick bedachte. Schließlich hatte er seinen Sieg nie in Zweifel gezogen.

Er zwang sich, sie loszulassen, auch wenn es ihm schwerfiel, wollte er doch nichts anderes, als sich endlich in ihr zu verlieren. Er wollte seinen Sieg mit ihr feiern, bis sie seinen Namen vor Lust herausschrie, wollte sie schmecken und jeden Zentimeter an ihr erkunden, wollte sie in Besitz nehmen, wieder und immer wieder, bis sein brennender Hunger endlich gestillt war.

Denn der würde sich legen, wenn er sie erst gehabt hatte. Da war er sicher.

„Setz dich“, er deutete auf die beiden schweren Ledersessel vor dem Kamin, „und ich erkläre dir, wie es ablaufen wird.“

„Das klingt nicht nach einem verheißungsvollen Start für die Ehe, die du mir seit Jahren androhst“, sagte sie in ihrem gewohnt schnippischen Ton. „Das ist eher der Grundstock für eine medienträchtige Scheidung in höchstens anderthalb Jahren. Oder eher, wenn ich die Scheidung früher einreichen kann.“

„Gewöhne dich an den Gedanken, dass du mir nicht entkommst. Natürlich kannst du es versuchen, wenn du möchtest. Aber ich werde dich wieder einfangen.“

Seine Drohung brachte ihm einen vernichtenden Blick aus den schönen dunkelblauen Augen ein, die ihn seit Jahren verfolgten und dieses schmerzhafte Verlangen in ihm auslösten, seit dem ersten Tag, an dem sie sich getroffen hatten. Er lächelte, als er den kleinen Schauer bemerkte, der sie durchlief, sosehr sie sich auch bemühte, es zu verheimlichen.

Sie setzte sich in einen der Sessel mit der ihr eigenen Grazie, die er so an ihr bewunderte. Soweit Nicodemus wusste, hatte Mattie Whitaker kein einziges Problem in ihrem Leben lösen müssen. Mit sechzehn war ihr strahlender Stern aufgegangen, halb amerikanisch, halb britisch mit ihrem gepflegten Akzent. Mit achtzehn war sie einfach hinreißend gewesen mit dem schimmernden schwarzen Haar, den dunkelblauen Augen und dem sündhaft vollen Mund. Sie hatte eine Haltung und Eleganz ausgestrahlt, die weit jenseits ihres Alters lagen und sich daraus ergeben haben mussten, dass sie nach dem Tod der Mutter die Rolle der Gastgeberin für ihren Vater erfüllt hatte. Ihre Mutter war ums Leben gekommen, als Mattie acht Jahre alt gewesen war.

Er war damals auf diesen Debütantinnenball gekommen, und es hatte ihn wie ein Schlag getroffen. Als wäre sie eine goldene Erscheinung und nicht das, was sie wirklich war – nur ein weiteres verwöhntes reiches Mädchen in einem hübschen Kleid.

Aber, der Himmel möge ihm helfen … sie hatte alles überstrahlt …

Unbeschwert, sorglos und verwöhnt, wie nur reiche Erbinnen sein konnten. Das hatte er schon einmal durchlebt, damals in Griechenland, mit der selbstverliebten, unaufrichtigen Arista, die ihn fast zerstört hätte, als er noch ein naiver zweiundzwanzigjähriger Tölpel gewesen war. Und er hatte sich geschworen, nie wieder so leichtgläubig zu sein oder sich noch einmal so narren zu lassen. Und trotzdem hatte etwas an Mattie ihn magisch angezogen.

Nicodemus musterte sie, während ihr Blick abschätzend auf ihm lag. Sie konnte flatterhaft und extrovertiert sein, aber sie war auch intelligent. Sie musste ihre eigenen Gründe haben, weshalb sie vorgab, nachlässig und leichtfertig zu sein. Was immer es sein mochte, er würde das Rätsel lösen.

„Es wird Zeit, dass du mir endlich sagst, worum es geht.“ Mit ihrem nüchternen Ton erinnerte sie ihn an ihren Vater, und Nicodemus holte unwillkürlich Luft. „Ich glaube nämlich keine Sekunde lang, dass es da nicht eine ganze Reihe von interessierten Erbinnen gibt, hübschere und reichere, erfahrenere oder auch solche, die bisher wie in einem Kloster gelebt haben. Ich persönlich halte dich zwar für extrem unangenehm“, und da war es, das kleine Grübchen an ihrem Mundwinkel, das er ausgiebig zu erkunden gedachte, „aber es kann kein Zweifel bestehen, dass du ein guter Fang bist. Du bist geradezu unverschämt reich, hast Einfluss und Macht, und Quasimodo bist du auch nicht gerade.“

„Mit einer solchen Empfehlung … wer würde mich da nicht heiraten wollen, nicht wahr?“ Er konnte nicht fassen, dass er tatsächlich lachte, dass er ihr gestattete, so mit ihm zu reden. Nur Mattie wagte das. Vielleicht verfolgte sie ihn deshalb schon seit Jahren.

Ihr Blick wurde durchdringend. „Wieso ich?“

Was sollte er jetzt sagen? Dass er etwas für sie empfand, das er sich selbst nicht erklären konnte? Das glaubte er selbst nicht. Wie auch immer, er hatte, was er wollte. So wie er sich dahin gearbeitet hatte, wo er heute war, ungeachtet Aristas mit ihren scharfen Krallen, ungeachtet seines moralinsauren Vaters, über den er die Wahrheit aufgedeckt hatte, ungeachtet dessen, was diese Wahrheit seiner Mutter angetan hatte. Er hatte überleben gelernt, hatte gelernt, sich zu nehmen, was er wollte. Wieso sollte es bei dieser Frau anders sein?

Er setzte ein gezwungenes Lächeln auf. „Du gefällst mir. Deshalb.“

„Tatsächlich? Vielleicht solltest du dich untersuchen lassen, ob du zurechnungsfähig bist“, erwiderte sie trocken.

„Möglich, dass ich das nicht bin. Macht mich das jetzt zu einem weniger guten Fang? Doch mehr Quasimodo als erwartet?“

„Es erhöht die Chancen, dass du dich eines Tages in einer psychiatrischen Anstalt wiederfindest, eingewiesen von deiner sich sorgenden Ehefrau.“ Sie lächelte dieses falsche Lächeln, das sie perfektioniert hatte. „Das hängt natürlich vom Kleingedruckten im Ehevertrag ab.“

Sie musterte ihn mit milder Arroganz, so als wäre sie diejenige, die hier die Zügel in der Hand hielt. Doch das Pochen an ihrem Hals, der Hauch Rot auf ihren Wangen verrieten sie. Sie wusste, sie bewegte sich auf dünnem Eis.

Aber so vieles an dieser Frau war nur Show. Schall und Rauch. Nicodemus hatte sich fest vorgenommen, den Schleier zu zerreißen und die Wahrheit dahinter freizulegen, ganz gleich, wie viel Zeit es in Anspruch nehmen würde. Er würde sie Stück für Stück auseinandernehmen und wieder zusammensetzen, genau so, wie er sie haben wollte.

Aber jetzt würde er ihr nur knapp seine Pläne erklären. „Wir heiraten in zwei Wochen.“ Während er es sagte, beobachtete er ihre Miene genau. Etwas blitzte in ihren Augen auf, doch dann war nur noch die höfliche Maske zu erkennen, eine Ungerührtheit, die er ihr keine Sekunde abkaufte. „Eine kleine Zeremonie in Griechenland – du, ich, ein Priester, ein Fotograf. Die Flitterwochen werden wir in meiner Villa dort verbringen. Nach zwei Wochen kehren wir wieder nach Manhattan zurück, wo dein Bruder und ich alles für die Firmenfusion regeln, wie dein Vater und ich es immer geplant hatten.“ Er lächelte schmal. „Siehst du, so simpel ist das. Die Aufregung all die Jahre war eigentlich völlig umsonst.“

„Und welche Rolle spiele ich dabei?“, fragte sie, als würde es sie überhaupt nicht interessieren.

„Ich setze voraus, dass du bei der Zeremonie ehrerbietig dein Gelübde ablegst, möglichst mit ein wenig Enthusiasmus“, antwortete er nüchtern. „Was dann die Flitterwochen betrifft … Ich hätte da schon ein paar Ideen. Da warten zehn Jahre einer lebhaften Fantasie darauf, endlich ausgelebt zu werden.“

Dass sie rot anlief, konnte sie nicht verhindern, aber das Aufblitzen von Panik in ihrem Blick drängte sie sofort zurück. Es war wie ein körperlicher Schmerz, sie jetzt nicht berühren zu dürfen, aber nach zehn Jahren würde er die kurze Zeit auch noch durchhalten.

Er vermutete, dass seine vorgetäuschte Lässigkeit sie aufrieb, aber er konnte jede Waffe gebrauchen, um sie gegen die Frau einzusetzen, die er nicht durchschaute. Nicht so, wie er sie durchschauen wollte.

„Ich meinte, wenn wir nach all dem ehelichen Glück wieder in New York zurück sind?“

Er fragte sich, ob ihr scheinbar gelangweilter Tonfall eine angeborene Fähigkeit war oder ob sie sich jedes Mal konzentrieren musste.

„Schließlich habe ich meine eigene Wohnung dort“, fuhr sie fort, „ich habe einen Job und ein Leben. Ich hätte überhaupt nichts dagegen, wenn wir getrennt lebten …“

„Ich schon.“

Sie blinzelte, dann lächelte sie. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dir meine bescheidene Dreizimmerwohnung gefallen würde. Und dann das viele Pink … das passt einfach nicht zu dir.“ Sie griff in die Tasche ihres Kleides und zog Zigaretten und Feuerzeug hervor.

„Genieße die Zigarette, Mattie“, sagte Nic in diesem Moment betont freundlich, „denn es wird deine letzte sein.“

Sie blies den Rauch in die Luft. „So?“

„Ich habe sehr genaue Vorstellungen, wie meine Ehefrau sich zu verhalten hat.“ Er lächelte, als ihre kühle Haltung kurz wankte. „Sie wird in meinem Haus wohnen und keiner Arbeit nachgehen, falls sich diese lachhafte Anstellung bei einer PR-Agentur überhaupt als Arbeit bezeichnen lässt. Ich erwarte einen gewissen Stil, und vor allem will ich keinen Aschenbecher küssen.“

„Ich verstehe. Es soll also auch eine mittelalterliche Ehe sein, passend zu der vorsintflutlichen Balz. Wie aufregend.“ Sie schien völlig ungerührt, doch das leichte Zittern der Finger, mit denen sie die Zigarette hielt, erzählte eine andere Geschichte. „Mir ist klar, dass du das Ganze als großes Schachspiel ansiehst, Nicodemus, in dem mir die Position des Bauernopfers zukommt, aber …“

„Eher die der Königin – launenhaft und unberechenbar, aber wenn sie erst geschlagen ist, ist das Spiel so gut wie entschieden.“ Er lächelte, als sie die Stirn runzelte.

„Ich bin ein Mensch“, sagte sie schneidend. Ihre Augen blitzten auf, und kurz erkannte er das aufschäumende Temperament in ihr. Doch da war auch Furcht. Dennoch blieb ihre Stimme gefasst, und plötzlich wollte er sie mit einer Verzweiflung, die ihn fast dazu brachte, sich selbst zu verachten. Gegen das Begehren war nichts einzuwenden, es war die Verzweiflung, die er nicht hinnehmen konnte. Er hatte geglaubt, dass er das zusammen mit Arista abgeschüttelt hätte. „Und entgegen deiner Auffassung leben wir nicht mehr im zwölften Jahrhundert.“

„Warum heiratest du mich dann? Niemand hält dir eine Pistole auf die Brust.“

„Die Fusion wird sich positiv auf unsere beiden Unternehmen auswirken und zudem Chases Position als CEO stärken.“ Der Ausdruck in ihren Augen war eine Mischung aus Trauer und Gerissenheit. „Natürlich wirst du COO – Chief Operating Officer. Du hast bewiesen, dass du Firmen leiten und Unmassen von Geld scheffeln kannst. Dafür brauchst du mich aber nicht zu heiraten.“

„Stimmt.“ Er zuckte die Achseln. „Aber ich beschwere mich auch nicht oder suche nach Ausflüchten, sondern du tust das.“

„Nur wirst du deinen Teil der Vereinbarung mit Chase erst dann einhalten, wenn ich der Heirat zustimme.“ Ihre Augen verdunkelten sich. „Ich will nur klarstellen, dass jeder genau weiß, wer hier wen unter Druck setzt.“

„Mir ist das völlig klar.“ Und es schien ihn auch noch zu freuen, so, wie er grinste. „Wir beide wissen doch, dass du mich heiraten wirst. Praktisch seit unserer ersten Begegnung.“

Es gefiel ihr nicht, das konnte er sehen, aber es änderte nichts daran, dass es stimmte.

„Noch habe ich nicht zugesagt“, meinte sie leise. „Man sollte nie den Tag vor dem Abend loben.“

Er lachte nur. „Es wird mir großen Spaß machen, dir anständiges Benehmen gegenüber deinem Ehemann beizubringen, Mattie. Ich freue mich schon jetzt darauf.“ Er lehnte sich vor, nahm ihr die Zigarette aus den Fingern und warf sie in den Kamin. „Ich heirate dich, weil ich dich will. Schon lange. Und ich will die Firmenfusion. Die Bindung soll stark sein und halten. Ich will zur Familie gehören, damit nie die Frage aufkommt, wer mit wem am Tisch sitzen darf. Das heißt Kinder und ein ganzes Leben zusammen, denn ich halte nichts von Scheidung. Genauso wenig wie von Geheimnissen.“

Vor allem Geheimnisse, setzte er in Gedanken nach und schob die alten Erinnerungen rigoros beiseite. Die Lügen, den Schaden, den sie angerichtet hatten.

Nur der Sturm vor den Fenstern und das Knistern der Holzscheite im Kamin waren zu hören. In dieses Schweigen hinein sagte Mattie leise: „Damit willst du doch nur sagen, dass ich eine Schachfigur bin, du brauchst es nicht schönzureden. Das war mir längst klar.“

„Spielst du gern die Märtyrerin?“ Seine Lippen verzogen sich. „Oder hast du schon immer den heimlichen Wunsch verspürt, dich für die Ambitionen anderer zu verkaufen?“

„Pflichtgefühl gegenüber der Familie“, erwiderte sie still. „Ich erwarte nicht, dass du das verstehst.“

„Nein, wie auch?“ Das Lachen war ihm vergangen. „Alles, was ich besitze, habe ich mir mit eigenen Händen erarbeitet. Mein Vater war überzeugt, dass aus mir nichts werden würde.“ Und der Mann hat sich alle Mühe gegeben, damit seine Prophezeiung wahr wird, dachte Nicodemus grimmig. „Nur das Leben haben meine Eltern mir geschenkt, alles andere habe ich mir erstreiten müssen.“ Und es festgehalten, trotz geldgierigen Betrügerinnen wie Arista.

„Niemand hat bestritten, dass du ein beeindruckender Mann bist“, versicherte sie ihm. „Aber was hat das hiermit zu tun? Du stellst mir schon ewig nach, wahrscheinlich weißt du gar nicht mehr, warum du damit angefangen hast.“

„Oh doch, Mattie“, sagte er milde. Zu milde wahrscheinlich. Das könnte von Anfang an das Problem gewesen sein. Er hatte sie immer behandelt, als wäre sie zerbrechlich wie Glas, dabei hatte er vergessen, welche tiefen Schnitte Glas zufügen konnte. Es war höchste Zeit, dass er sich das immer vor Augen hielt.

Zeit, dass er die Kontrolle übernahm.

Ihre Wangen waren erhitzt, sie presste die Lippen zusammen, und er … er wartete schon so lange. Er konnte die Angst in ihren Augen erkennen, bemerkte das rhythmische Heben und Senken ihres perfekten Busens, der sich unter dem weichen Wollkleid abzeichnete. Und konnte sich nicht länger zurückhalten, legte die Hand an ihre Wange und rieb mit dem Daumen über ihre Lippen.

Er verfolgte mit, wie heißes Rot in ihr Gesicht schoss, fühlte das Ziehen in seinem Schritt, und wieder war es wie ein Blitzschlag. Heiß, jäh, gleißend. Er meinte innerlich zu verbrennen.

Es war diese Reaktion, die sie beide vom ersten Augenblick an verdammt hatte, die alles unvermeidlich gemacht hatte.

Und die ganze Mühe wert machte, dessen war er sich absolut sicher.

„Ich habe es immer gewusst“, antwortete er endlich. Eine Antwort, die der Wahrheit so nahe kam, wie es ihm möglich war. Der Rest hing unausgesprochen zwischen ihnen in der Luft, hüllte sie beide ein in den gleichen ungestümen Hunger. Er sah es in ihren Augen, fühlte es in seinem eigenen Fleisch. „Nur du hast es immer verneint. Aber nicht mehr lange.“

Sie flogen hoch über dem Atlantik, eingeschlossen von der Dunkelheit. Mattie gab es auf, die Zeitschrift lesen zu wollen. An kein Wort konnte sie sich erinnern, ganz gleich, wie oft ihre Augen auch über die Artikel gewandert waren. Sie sah den Gang des Privatflugzeugs entlang, bis zu dem Platz, wo Nicodemus über Dokumente und Akten gebeugt saß und arbeitete, ganz der Selfmade-Milliardär und Herrscher seines Reiches.

Entweder hatte er ihren Blick gespürt, oder aber er hatte den erstickten Seufzer gehört, der ihr bei seinem Anblick über die Lippen geschlüpft war … er hob den Kopf und sah zu ihr.

„Hast du mich jetzt lange genug mit Schweigen gestraft?“ Er klang amüsiert und schrecklich gönnerhaft. „Ich hatte mich gerade an die Stille gewöhnt.“

Bis jetzt war es Mattie wirklich gut gelungen, ihn zu ignorieren. An jenem Tag hatte er sich von ihr mit einem stillen Lächeln verabschiedet und das Haus ihres Vaters verlassen – und dann keinen Ton mehr von sich hören lassen.

Natürlich hatte sie an Flucht gedacht. Sie hatte sogar einen Plan ausgearbeitet und ein Ticket nach Dunedin, Neuseeland, gebucht, die entlegenste Ecke, die sie im Weltatlas hatte finden können. Doch trotz aller Pläne und der Suche nach fernen Gebirgsketten und menschenleeren Wüsten … als Nicodemus heute vor ihrer Schwelle aufgetaucht war, um sie abzuholen, waren ihre Koffer gepackt gewesen. Ein kurzer Wink, und Personal hatte die Koffer fortgetragen, während er in ihrem Apartment in Manhattans Upper East Side gestanden hatte, als würde es ihm gehören.

So wie sie.

Mattie hatte sich geweigert, den Schauer, der ihr über den Rücken lief, genauer zu analysieren. Alles wäre viel leichter, wenn Nicodemus nicht so verboten attraktiv wäre. Sie hasste es, dass es ihr nicht gelang, diese Tatsache zu ignorieren. Ihre Kehle fühlte sich an, als wäre sie zu eng, wenn sie daran dachte, dass sie in wenigen Tagen mit ihm verheiratet sein würde. Absolut lächerlich. Und jedes Mal, wenn er sie mit diesem wissenden Blick ansah, meinte sie zu vergehen.

„Weder gibt es hier Pink, noch ist es übertrieben feminin eingerichtet“, hatte er gesagt, nachdem er sich umgesehen hatte. „Musst du wirklich bei allem lügen?“

Kaum hatte sie fünf Minuten in seiner Gesellschaft verbracht, waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt, sie schwankte zwischen Hunger und erdrückender Panik. „Gleich zu Beginn unserer zweiwöchigen Liebesreise nennst du mich eine Lügnerin? Na, das wird dann ja sicher angenehm“, erwiderte sie kühl.

„Dann muss es wohl an mir liegen.“ Er musterte sie auf eine Art, dass es ihr heiß und kalt über den Rücken lief. „Ständen wir in strömendem Regen, würdest du mir wahrscheinlich weismachen wollen, dass die Sonne von einem strahlend blauen Himmel herabscheint. Scheinbar löse ich diese Reaktion bei Frauen aus. Aber du solltest dir besser Gedanken darüber machen, was passiert, wenn ich hinter die Wahrheit komme, ganz gleich, wie viele Lügen du mir erzählst.“

„Seit du das Haus meines Vaters verlassen hast, denke ich an wenig anderes.“

„Noch eine Lüge.“

„Erstaunlicherweise war das die Wahrheit.“

Und er streckte die Hand aus und berührte ihr Kinn, als hätte er ein Recht dazu. Ihr Körper schien zumindest der Auffassung zu sein, denn sofort schossen Flammen der Leidenschaft in ihr auf, so jäh, dass sie fast zurückgetaumelt wäre.

„Nein, das ist es nicht, worüber du dich sorgst“, hatte er gesagt, absolut sicher, so als könnte er das lodernde Verlangen, das sie so unbedingt unterdrücken wollte, in ihr fühlen.

In diesem Moment hatte Mattie beschlossen, dass sie nicht mehr mit ihm reden würde. Das war zu gefährlich, vor allem wenn er ihr dann dabei auch noch gefährlich nahe kam.

Und Mattie war starrsinnig. Eisern hatte sie von da an geschwiegen, auf der Fahrt zum Privatflughafen jenseits des Stadtrands von Manhattan, auch als sie an Bord des schlanken Jets gegangen waren und jetzt schon seit Stunden auf dem Flug zu der kleinen Insel in der Ägäis, die Nicodemus gehörte.

Natürlich brachte er sie auf seine Privatinsel. Damit sie auch auf jeden Fall mit ihm festsaß und wirklich gezwungen war, ihn zu heiraten, falls sie jemals wieder von dem Eiland herunterkommen wollte. Oder sie würde ans Festland schwimmen müssen. Im Oktober.

„Das hat mit Bestrafen nichts zu tun“, behauptete sie und streckte die Beine aus, als wäre sie ebenso entspannt und locker wie er.

Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß wirklich nicht, weshalb du mich noch immer anlügen musst, wenn dir inzwischen klar sein müsste, dass ich in dir lesen kann wie in einem Buch.“

„Mir fällt nichts ein, was ich zu dir sagen könnte. So ist das eben in einer erzwungenen Ehe. Traurig, aber wahr. Ein Leben in Langeweile und Schweigen, in unserer eigenen kleinen Hölle.“

Seine Lippen zuckten. „Es ist nicht dein Schweigen, das ich höllisch finde.“

Sie nickte weise. „Beleidigungen, Drohungen … darauf läuft es hinaus, wenn man jemanden zu einer Heirat zwingt. Und dabei sind wir noch nicht einmal verheiratet, Nic. Ich hatte dich ja gewarnt.“

„Es besteht kein Grund, sich am Unangenehmen festzuhalten.“ Er lehnte sich in den Sitz zurück und studierte sie. Bei der Hitze in seinem Blick hatte sie das Gefühl, als würden die Wände des Flugzeugs zusammenrücken und sie erdrücken. „Ich bin sicher, wir werden etwas zu tun finden, bei dem Worte unnötig sind.“

Mattie verdrehte die Augen. „Verschleierte sexuelle Androhungen sind nicht weniger bedrohlich, nur weil sie sich auf Sex beziehen. Eher sogar das Gegenteil.“

„Wirst du deshalb rot?“, hakte er süffisant nach. „Weil du dich bedroht fühlst?“

„Ja.“

Er schüttelte den Kopf. „Lügnerin.“

Sie ermahnte sich, dass es nichts bedeutete, wenn er recht hatte. Er konnte nicht wissen, welche Wirkung er auf sie hatte. Hoffte sie zumindest.

„Ich nehme an, du hast dir bereits überlegt, wie das funktionieren soll.“ Jetzt, da sie einmal zu reden begonnen hatte, würde sie das erdrückende Schweigen nicht mehr ertragen. „Immerhin isolierst du mich von allem Vertrauten, so wie Männer das gern mit ihren Frauen tun.“

„Männer wie ich, meinst du wohl.“ Etwas Humorvolles schwang in seiner Stimme mit. „Und da hatte ich mich immer als einzigartig angesehen.“

„Nein, das ist viel eher der Normalfall.“ Sie lächelte provozierend.

„Solltest du jetzt an mein Gewissen appellieren wollen, hast du dein Ziel verfehlt“, erwiderte er trocken.

„Keiner ist völlig ohne Gewissen.“ Dieses Mal fehlte der kühle Spott in ihrem Tonfall. „Ganz gleich, was sie auch vorgeben.“

„Mag sein“, stimmte er ihr zu. „Aber du hast keine Ahnung, welche Kreaturen in meinem Kopf leben und in meinen dunkelsten Stunden nach mir greifen.“ Er setzte sich wieder vor, stützte das Kinn die Hand und sah sie einfach nur an. „Du würdest sie nicht einmal erkennen.“

Es gab keinen einzigen Grund, weshalb ihr der Atem stocken und sich ihr der Magen drehen sollte, also sagte sie sich, dass es Turbulenzen sein mussten.

„Du scheinst entschlossen zu sein, eine geschäftliche Transaktion daraus machen zu wollen“, fuhr er fort, als sie nichts weiter sagte. Sein Blick ging ihr durch und durch, als könnte er bis in ihr Innerstes sehen. „So erbärmlich und kalt wie nur möglich.“

„Weil es das ist“, behauptete sie. „Ich habe keine Erfahrung mit diesen barbarischen Gepflogenheiten. Willst du jetzt mein Gebiss überprüfen, so wie bei einer Stute?“

Etwas blitzte in seinen Augen auf, sein Mund wurde schmal. „Wenn du darauf bestehst.“

Mattie erstarrte. Herrgott! Der hysterische Teil von ihr – der Teil, der im Moment den größten Platz in ihr beanspruchte und so ziemlich alles befehligte, außer ihrem losen Mundwerk! – schrie auf. Was ist los mit dir? Fordere ihn doch nicht noch heraus!

„Oh, war das etwa nur ein weiteres Beispiel, wie dein Mundwerk dich in Schwierigkeiten bringt?“, raunte er zufrieden, als könnte er ihre Gedanken lesen. „Also, entweder du lügst oder provozierst. Da drängt sich mir die Frage auf, ob sich dein Mund nicht für etwas Besseres einsetzen lässt.“

Sie musste eingestehen, dass er recht hatte. Wäre er wirklich die Art Mann, als den sie ihn zeichnete, wäre sie ihm gegenüber sehr viel vorsichtiger, schließlich befanden sie sich hier in einem begrenzten Raum hoch in der Luft. Zugegeben, er spielte die Rolle des herrischen Barbaren sehr überzeugend, aber erstens kannte sie den Mann schon seit Jahren, und zweitens hatte ihr Vater ihn ehrlich gemocht. Hatte ihn als passenden Partner für seine Tochter angesehen. Sie konnte einfach nicht glauben, dass Nicodemus sie wirklich zu einer Heirat zwingen würde. Ganz zu schweigen von den anderen Dingen, die er ihr immer wieder – wenn auch nur andeutungsweise – androhte.

„Das sollte kein Scherz sein.“ Sie stand auf und stellte sich vor ihn, streckte die Arme an den Seiten aus, drehte sich um die eigene Achse. „Ich kann mir nicht denken, dass der reichste Mann Griechenlands …“

„Meinst du das jetzt als Beleidigung oder Kompliment?“, warf er trocken ein.

„… sich eines von seinen vielen Rennmotorrädern zulegen würde, wenn sie nicht seinen höchsten Ansprüchen genügen“, fuhr sie fort, als hätte er nichts gesagt.

In Frankreich hatte sie ihn einmal auf einer Ducati gesehen, wie er über die gewundene Landstraße auf das Château eines gemeinsamen Bekannten zugebraust war. Hätte sie geahnt, dass er auch eingeladen war, wäre sie gar nicht erst zu der Party gekommen. Überstürzt war sie abgefahren, aber das Bild hatte sie nie vergessen können – ein großer, beeindruckender Mann auf einer machtvollen Maschine, im Hintergrund die Weinberge, die die untergehende Sonne golden färbte, so als würden sie sich allein für ihn schmücken.

Mattie blieb in dieser Pose stehen, die Arme noch immer weit von sich gestreckt. „Nun? Was denkst du?“

Er zuckte lässig mit einer Schulter, sagte dann fast gelangweilt: „Zieh dich aus. Lass mich begutachten, was ich in all den Jahren nachgejagt bin und endlich erstanden habe.“

3. KAPITEL

Matties Courage verpuffte augenblicklich. Sie starrte Nicodemus entsetzt an, aber er grinste nur.

Weil er nicht glaubte, dass sie es tun würde, wurde ihr klar. Weil er sicher war, dass sie genau wie damals vor dem Club in London einen Rückzieher machen würde.

Nun, dieses Mal nicht, dachte sie kühn. Wenn er sich benahm wie ein Mann, der sich eine Ehefrau kaufte, dann würde sie sich verhalten wie eine Frau, die zu kaufen war.

Sie begann mit ihrem Striptease, nüchtern und sachlich, als handle es sich um eine dieser Sicherheitseinweisungen auf einem Charterflug. Zog die Stiefel aus und den Rollkragenpullover über den Kopf. Sie meinte, Nicodemus etwas murmeln zu hören, doch als sie wieder sehen konnte, saß er noch immer völlig gelassen auf seinem Sitz und zeigte genauso viel Interesse wie die Passagiere bei besagter Einweisung.

Sie zog das enge T-Shirt über den Kopf und verbot sich jegliche Reaktion, als sein Blick zu ihren Brüsten und dem weinroten BH glitt. Äußerlich gab sie sich ungerührt, aber ihr Magen zog sich zu einem harten Stein zusammen, sie hatte Mühe, überhaupt zu atmen. Sie stand völlig reglos, überzeugt, dass ihre Haut die gleiche Farbe wie ihr BH angenommen hatte, aber noch immer ließ Nicodemus sich Zeit, bevor er ihr wieder in die Augen sah.

„Entspricht die Ware deinen Vorstellungen?“, fragte sie kühl.

„Wie soll ich das beurteilen?“, erwiderte er im gleichen Tonfall. „Der Großteil ist noch immer verdeckt. Doch bestimmt kein Anflug von Schüchternheit, Mattie? Nicht nach dem Oben-ohne-Foto, mit dem du vor zwei Sommern die ganze Welt bezaubert hast, oder?“

„Es ist nichts verkehrt daran, sich ohne Top auf einer Yacht mitten auf dem Meer zu sonnen.“ Ihr fiel auf, dass sie sich rechtfertigte. „Ich dachte, ich wäre allein. Soll ich mein Leben lang verhüllt herumlaufen, nur für den Fall, dass vielleicht ein Helikopter über mir schwebt?“

„Vielleicht solltest du einfach ein wenig mehr darauf achten, wie viel von deinem Körper du zeigst.“ Ein Hauch von Stahl lag in seiner Stimme. „Vor allem jetzt, da er mir gehört.“

Er musterte sie, und sie fühlte sich entblößt. Was albern war. Sie hatte Kleider auf Dinnerempfängen getragen, die weniger bedeckten als das, was sie jetzt noch anhatte. Wieso also sollte sie jetzt verlegen sein?

Über diese Frage wollte sie lieber nicht genauer nachdenken. Aber sie hatte das hier angefangen, und sie würde es zu Ende bringen. Würde ihn bis an die Grenzen treiben. „Hast du noch andere pathetisch besitzergreifende Kommentare abzugeben? Möchtest du mir vielleicht dein Firmenlogo auf die Haut brennen?“

Dieses Zucken um den harten Mund. Das Funkeln in den dunklen Augen. Diese lässige Haltung, als wäre er nicht der atemberaubendste Mann, den sie je in ihre Nähe gelassen hatte … Sie schluckte und verriet sich damit, wie ihr sein Lächeln bewies.

„Ich sage dir rechtzeitig Bescheid“, meinte er nur und forderte sie mit einem kleinen Nicken, extrem ärgerlich und attraktiv zugleich, auf weiterzumachen.

Mattie hätte sich verfluchen können, aber sie zog ihre Show durch. Zog die Strümpfe aus, schob die Jeans an den Beinen herab, bis sie nur noch in BH und Slip vor ihm stand. Sie sagte sich, dass es nicht viel anders als ein Bikini sei, also kein Grund, sich Gedanken zu machen.

Nicodemus’ Blick verbrannte sie, aber er rührte sich nicht. „Ist das jetzt eine Pause für die dramatische Wirkung? Irgendwie finde ich es langweilig.“

Zum ersten Mal verspürte Mattie einen Anflug von Angst. Wer trieb hier wen bis an die Grenzen? Doch sie griff nur an den Verschluss ihres BHs, löste ihn und strich sich die Träger von den Schultern, entblößte erst eine Brust, dann die andere und ließ den BH zu Boden gleiten. Nicodemus sah ihr gebannt zu, und noch immer regte sich kein Muskel bei ihm. So hakte sie die Daumen in den Bund ihres Slips und zog ihn an ihren Beinen hinunter, kickte ihn mit einem Fuß zur Seite.

Und so stand sie also nackt vor Nicodemus Stathis, dem Mann, den sie zutiefst verachtete, der nun ihr Verlobter war und bald ihr Ehemann sein würde, wenn es nach ihm ging. Ihr Verstand weigerte sich noch immer, diese Realität zu akzeptieren.

Außerdem war sie splitterfasernackt. Also nicht unbedingt die beste Ausgangsposition, um sich zu fragen, welcher Teufel sie geritten hatte. So hob sie nur trotzig das Kinn und wartete ab.

Nicodemus gab einen kehligen Laut von sich, stand dann auf. Matties Mund wurde staubtrocken, ihr schwindelte. Er war zu groß für das Flugzeug, zu groß für die Welt. Definitiv wirkte er viel größer, jetzt, da sie keine Kleider mehr am Leib trug. Er trat einen Schritt auf sie zu, stützte sich mit dem ausgestreckten Arm an der Kabinendecke ab, überragte sie drohend und sah mit gerunzelter Stirn auf sie herunter. Sie hätte ihm vorhin genauer zuhören sollen, hätte sich zu Herzen nehmen sollen, wie wenig sie über ihn wusste. Er dagegen hatte während der letzten zehn Jahre praktisch jeden ihrer Schritte mitverfolgt – damit befand sie sich jetzt nicht nur wegen ihrer Blöße eindeutig im Nachteil.

„Wieso stehst du so steif da? Dreh dich, bitte.“ Mit dem Zeigefinger beschrieb er einen Kreis.

Er tat das nur, um sie zu erniedrigen. Und noch immer hielt Mattie sich an der Hoffnung fest, dass er es nicht zu weit treiben würde. Dass das hier eine Art Streich war, den er ihr spielen wollte. Oder besser ausgedrückt, eine Lektion, die er ihr erteilen wollte, weil sie ihn all die Jahre über immer wieder abgewiesen hatte. Nein, er würde nicht weitergehen. Er würde sich wieder zurückziehen. Er musste sich einfach zurückziehen …

Was bedeutete, dass sie jetzt keinen Rückzieher machen konnte. Also drehte sie sich um die eigene Achse. Langsam, schwang dabei sogar ein wenig die Hüften …

Und erstarrte, als sie seine Hände an ihrer Taille spürte. Es dauerte einen Moment, bevor ihr bewusst wurde, was er da tat – er zeichnete die Konturen der kleinen Tätowierung oberhalb ihres Hüftknochens nach.

„Das ist ein Phönix“, stieß sie aus und hasste sich, weil sie so atemlos klang.

„Ich weiß, was das ist“, erwiderte er knapp. Sie hatte ihre Drehung vollendet und stand ihm jetzt wieder von Angesicht zu Angesicht gegenüber. „Mir ist jedoch der Zusammenhang unklar, in dem ein Phönix mit deinem goldenen Leben stehen sollte.“

Mattie hatte nicht vor, es ihm oder irgendjemandem zu erklären. „Nicodemus“, setzte sie an, doch er schüttelte den Kopf, und sie hätte nicht sagen können, weshalb sie tatsächlich schwieg.

„Und dann dieses lächerliche Bauchnabelpiercing“, murmelte er düster. Sie wappnete sich, als er die Hand ausstreckte und an dem kleinen silbernen Ring zog. Sacht. So sacht, dass es sich wie eine Feuersbrunst von ihrem Bauchnabel bis in ihr tiefstes Innere brannte.

Sie hielt sich eisern zurück, unterdrückte den Laut, der aus ihrer Kehle steigen wollte. Doch seine Lippen zuckten, und sie hatte das Gefühl, dass er genau wusste, was in ihr vorging.

Er kam noch einen Schritt näher, und ihr Herz hämmerte wild gegen ihre Rippen. Ihr war zu kalt, zu heiß, ihre Brüste schmerzten vor Sehnsucht, als er seine Hände hoch an ihre Seiten legte, sie einkesselte …

„Nicodemus“, begann sie erneut und verstummte, weil sie weder die Angst noch die Sehnsucht aus ihrer Stimme heraushalten konnte. Sie erkannte sich selbst kaum wieder.

„Ist es das, was du wolltest?“ Seine Stimme klang rau und dunkel, schockierte sie mit unerwarteter Intensität. „Das nächste Mal ist dieser unsinnige Tanz nicht nötig, du kannst einfach fragen.“

Damit beugte er sich vor, als hätte sie ihn angefleht, und presste seine Lippen auf ihren Mund.

Es war noch besser, als er es in Erinnerung hatte.

Viel besser.

Mattie schmeckte nach Hitze und Rauch, wie guter Whiskey. Und nach Frau, so wie nur sie schmeckte. Nicodemus kam sich vor, als wäre er betrunken, zum ersten Mal seit Jahren.

Er nahm seine Hände von ihrer Taille und schob die Finger in ihr Haar, zog sie näher an sich heran. Dieses Mal waren sie allein, nicht in der Öffentlichkeit wie damals in London.

Endlich konnte er sich Zeit lassen.

Er konnte alle möglichen verschiedenen Winkel ausprobieren, wie sich ihr Mund am besten in Besitz nehmen ließ. Konnte sie immer und immer wieder küssen, mit einer Gier und einem Verlangen, die ihn überwältigten, ihn trunken machten und berauschten und weiter auf den Wahnsinn zutrieben, mit jeder Bewegung, die seine Zunge vollführte.

Mein, jubelte etwas Primitives in ihm auf. Es war dieselbe Stimme, die sich schon damals auf dem schicksalhaften Ball Verhör geschafft hatte und seither nie verstummt war.

Mattie war perfekt. Das lange Haar fiel ihr über die Schultern, es fühlte sich wie Seide an seinen Fingern an. Sie war groß und schlank. Volle Brüste mit rosigen Spitzen, schmale Taille, runde Hüften. Selbst dieses Tattoo, vor dem er sie gewarnt hatte, passte genau zu ihr, war ebenso mysteriös und filigran wie sie. Und das Bauchnabelpiercing ließ Szenen von heißen, hemmungslosen Nächten in seinem Kopf aufsteigen. Keine andere Frau hatte er so begehrt wie sie, nicht einmal Arista.

Er hatte nie so begehrt.

Der Gedanke brach sich durch den sinnlichen Nebel, der ihn eingehüllt hatte, und jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Er löste seinen Mund von ihrem, strich über ihre Arme, die sie um seinen Hals geschlungen hatte, weiter über ihren Rücken bis hinunter zu ihrem Po, den er jetzt mit beiden Händen packte. Sie hielt die Augen geschlossen, ihre dichten Wimpern warfen Schatten auf ihre Wangen. Die vollen Lippen glänzten feucht von seinem Kuss, und ihre Brüste pressten sich gegen seinen Oberkörper. Erneut registrierte er verwundert, wie gut sie in seine Arme passte. Nicht zu klein, nicht zu groß, schlank, aber nicht so zart, dass er Angst haben musste, sie zu zerbrechen. Perfekt eben.

Er befahl sich, sie loszulassen, bevor er komplett die Beherrschung verlor, doch in diesem Augenblick ließ sie einen sehnsüchtigen Seufzer hören …

Er war auch nur ein Mann, er hielt nur so viel aus …

Er schwang sie auf die Arme und trug sie zu der Ledercouch an der Kabinenwand, setzte sie darauf ab und kniete sich zwischen ihre Beine, sodass er freien Blick auf sie hatte.

„Nicodemus …“ Ihr Protest kam viel zu schwach, zu mehr war sie nicht fähig. Nicht wenn er ihr so nah war, wenn sie so offen seinem Blick preisgegeben war.

Und dann erwies er ihr geradezu ehrfürchtige Bewunderung. Legte ihre Beine über seine Schultern, umfasste ihre Hüften und barg das Gesicht in ihrer Hitze.

Sie gab die faszinierendsten Laute von sich, die er je vernommen hatte. Unter seinen Händen konnte er sie zittern und beben spüren, und im höchsten Moment bäumte sie sich seinem Mund entgegen und schrie laut seinen Namen heraus, auch wenn sie den Arm über ihr Gesicht gelegt hatte, um ihre Lust zu verbergen.

Ganz mein, dachte Nicodemus mit tiefer Befriedigung, in die sich allerdings noch etwas anderes mischte. Eine Wahrheit, die er nicht benennen konnte. Deshalb versuchte er es auch gar nicht erst.

Nicht hier. Noch nicht.

Mattie verachtete sich.

Es dauerte lange, bevor sie die Augen wieder öffnete. Nicodemus saß neben ihr, die langen Beine vor sich ausgestreckt, und betrachtete sie mit einem zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht, wie sie zusammengerollt auf dem Sofa lag, ihre lange Strickjacke hatte er wie eine Decke über sie gebreitet. Als sie jetzt einen Blick auf ihn riskierte, sah er sie mit diesen durchdringenden Augen an, die sich scheinbar zu all den Stellen in ihrem Innern brennen konnten, die sie so unbedingt verbergen wollte.

Sie atmete mehrere Male tief durch, aber sie verstand noch immer nicht, wieso sie es zugelassen hatte. Es war gerade so, als hätte Nicodemus ihren eigenen Körper als Waffe gegen sie eingesetzt. In diesem Moment gab es nichts, was Mattie mehr Angst einjagte.

Mit einer Hand schob sie sich das Haar aus dem Gesicht, die andere nutzte sie, um die Strickjacke festzuhalten. Was eigentlich völlig absurd war.

Zerstört, so fühlte sie sich. Von innen heraus. Fremd in der eigenen Haut.

Neben ihr strahlte Nicodemos die Hitze und Skrupellosigkeit aus, die ihn zu dem machten, was er war: der gefährlichste Mann, den sie kannte. Sie hatte es immer geahnt, und soeben hatte er es bewiesen.

„Das ist also nötig“, fragte er leise und erschütterte sie damit bis in die Grundfesten, „damit ich einen Blick hinter all deine verschiedenen Masken werfen kann?“

Sie hatte panische Angst, dass es ihm tatsächlich gelingen könnte. Panische Angst vor dem, was soeben hier passiert war. Vor dem unglaublichen Vergnügen, das sie empfunden hatte, vor der Ekstase, die sie zerrissen hatte.

Sie senkte den Blick und schüttelte den Kopf. „Ich bezweifle, dass sich dieser bedauerliche Vorfall wiederholen wird. Ein Mal reicht.“

Im Gegensatz zu ihrer Stimme klang seine energisch. „Ein Mal ist auf keinen Fall genug. Das war nur der Anfang, Mattie.“

„Ich habe zugesagt, dich zu heiraten.“ Es war, als spräche eine Fremde aus ihr. So leise, so nachgiebig, als hätte die Erfahrung mit ihm sie zu einer anderen Person gemacht. Und genau davor hatte sie solche Angst. „Das bedeutet jedoch nicht, dass du auf ein eheliches Recht pochen kannst, das ist ein Überbleibsel aus dem achtzehnten Jahrhundert. Ich bin nicht einmal sicher, ob du mich überhaupt deine Ehefrau nennen solltest, im Grunde genommen hast du nur die Bezeichnung gekauft.“

„Sieh mich an.“

Sie wollte es nicht tun – und hatte nicht die geringste Ahnung, weshalb sie es dennoch tat. Es kostete sie alle Mühe, das Schluchzen zurückzuhalten, als er ihr mit verstörender Zärtlichkeit das Haar aus dem Gesicht strich.

„Hast du etwa Angst vor mir?“, fragte er sanft. Mattie durfte sich nicht davon beeinflussen lassen und nachgiebig werden, so wie ihr Körper es wollte. Eine solche Zärtlichkeit durfte sie nicht riskieren.

Denn sie wusste, was folgen würde. Erst die Nachgiebigkeit, die Wärme, die Zärtlichkeit, die Liebe … und dann Verlust und ewige Dunkelheit.

„Warum sollte ich Angst vor dir haben?“ Sie wappnete sich gegen den goldenen Schimmer in seinen Augen. „Ich liebe es, wenn Männer, mit denen ich nichts zu tun haben will, mich in Privatflugzeugen ganz nach Belieben verführen. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.“

„Ach Mattie.“ Er sagte es so leise und milde, dass sie glauben könnte, ihm läge an ihr, wäre er ein anderer. Als wäre sie mehr als eine Trophäe für ihn, der er lange nachgejagt war. „Ob du dir nichts Schöneres vorstellen kannst, weiß ich nicht. Ich auf jeden Fall kann es nicht.“

Etwas in ihr schwoll an, lief heiß über ihre bloße Haut. Viel schlimmer jedoch war das Brennen hinter ihren Lidern. Sie wusste nicht, was sie tun würde, sollte sie vor ihm in Tränen ausbrechen, wusste nicht, ob sie es überleben würde.

„Ich will das nicht“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen aus. Angestrengt hielt sie die Tränen zurück, krallte die Fingernägel in die Handballen. „Habe es nie gewollt. Das weißt du auch.“

Sie hätte nicht sagen können, was sie erwartet hatte. Auf jeden Fall nicht diesen langen, nachdenklichen Blick, den sie, säße sie mit einem anderen, weniger gefährlichen Mann zusammen, als traurig und verletzt bezeichnet hätte. Und nie hätte sie von ihm dieses sanfte Streicheln über ihre Wange erwartet, das eine ganz anders geartete Wärme in ihrem Innern entfachte.

„Ja, das behauptest du immer wieder.“ Er sagte es, als wisse er es besser als sie.

Mattie stand auf. Sie sammelte ihre Sachen ein und zog sich wieder an. Sofort fühlte sie sich sicherer. Als hätte sie eine Rüstung angelegt, die sie vor diesem Mann schützen konnte.

„Das hatte ich so nicht geplant“, sagte sie, als sie sich wieder mehr wie sie selbst fühlte.

„Ich weiß genau, was du geplant hattest.“ Noch immer betrachtete er sie mit diesem verletzten, nachdenklichen Blick. „Aber du solltest besser zuhören. Ich meinte es ernst, als ich sagte, dass du dein Ziel verfehlst, wenn du glaubst, an mein Gewissen appellieren zu können.“

„Dann bist du noch skrupelloser, als ich dachte“, konterte sie. „Ein hoffnungsloser Fall.“

„Wenn du es sagst.“ Er rieb sich übers Gesicht. „Dein Fehler ist es, dass du davon ausgehst, deine Bemerkungen würden mich verletzen. Aber dafür kommst du eine ganze Dekade zu spät. Ich habe dich zu lange beobachtet, ich weiß, dass du alles versuchen wirst, um dem Unvermeidlichen zu entkommen.“

„Vielleicht solltest du dich fragen, weshalb du unbedingt jemanden heiraten willst, der nichts mit dir zu tun haben will“, hielt sie dagegen. „Weshalb ein Mann, der alle Frauen haben kann, sich stattdessen eine kaufen muss? Und das nur, um COO einer Firma zu werden, die ihm nicht einmal gehört. Findest du das nicht traurig?“

„Versuchst du jetzt, an meine Vernunft zu appellieren?“ Sein Mund wurde hart. Tödlich. Und noch immer konnte sie seinen Geschmack auf ihrer Zunge schmecken. „An meine verborgene gute Seite?“

„An den Teil von dir, der nicht mehr in der Steinzeit lebt.“

„Nun, soweit du betroffen bist, tue ich das.“ Selbst seine Stimme klang jetzt hart wie Stein, seine Augen glühten grausam und bedrohlich. „Mach nur weiter, Mattie. Spielchen stören mich nicht. Verrenke dich, so viel wie du willst, um deine Haut noch zu retten. Und dann sieh, was passiert.“

„Ich kann nicht glauben, dass du mich wirklich zu einer Heirat zwingen willst.“ Verzweiflung und Vorwurf vermischten sich in ihrem Ausbruch.

„Das werde ich auch nicht.“ Seine Mundwinkel zuckten, aber ein Lächeln konnte man es nicht nennen. „Ich habe dich nicht in Handschellen aus deiner Wohnung abgeführt, genauso wenig wie ich dich entführt habe. Niemand hat dich gezwungen, mit mir zu kommen. Und niemand wird dich zwingen, das Gelübde abzulegen.“

Mattie bebte jetzt wie Espenlaub. Warum konnte sie es nicht unterdrücken? Wie hatte sie derart die Selbstbeherrschung verlieren können? Sie verschränkte die Arme vor der Brust, doch dadurch wurde sie sich nur noch mehr bewusst, wie empfindlich ihre Brüste waren, die sich nach seinen Berührungen sehnten. Immer nur nach ihm.

„Haarspaltereien“, behauptete sie.

„Nein, durchaus nicht“, widersprach er entschieden, auch wenn er sie wieder zärtlich anblickte. „Ich bin ein simpler Mann. Ich halte mein Wort, wenn ich es einmal gegeben habe, und ich werde dich auch zu nichts zwingen. Ich habe es dir schon einmal versichert – du kannst tun, was du möchtest. Es war nie anders.“

„Frei, damit du mir all die Jahre nachstellen kannst? Frei, sodass du deine hinterlistigen Absprachen mit meinem Bruder treffen kannst? Frei, als selbstsüchtige Furie abgestempelt zu werden, wenn ich eure Abmachung nicht erfülle?“

Nicodemus’ einzige Reaktion war ein minimales Schulterzucken. „Freiheit hat ihren Preis.“

„Und was war das da?“ Mit dem Kinn deutete sie auf die Couch, hoffte, damit alles einzuschließen, was hier im Flugzeug mit ihr geschehen war. Es aussprechen würde sie ganz bestimmt nicht, sie wollte nicht einmal daran denken, verabscheute es, dass sie noch immer die Nachwirkungen spürte, dass die Erinnerung daran noch immer wie berauschender Wein durch ihre Adern floss.

Sie würde niemals zugeben, wie leicht es ihm gelungen war, die Schutzmauern einzureißen, für deren Aufbau sie ihr ganzes Leben gebraucht hatte. Und sie hatte ihm auch noch dabei geholfen.

„Ich dachte, du hättest mich zu einer Probefahrt eingeladen.“ Er lachte harsch, als sie angewidert das Gesicht verzog. „War es nicht genug? Sollen wir in einen höheren Gang schalten?“

„Eher springe ich gleich hier aus dem Flugzeug“, sagte sie beißend.

„Das wäre wirklich schade.“ Er blieb völlig ungerührt.

„Ich will keinen Sex mit dir haben.“ Ihre Stimme klang viel zu schrill.

Und wie üblich tat Nicodemus nicht das, was sie erwartet hatte. Er schüttelte nur milde den Kopf, als wäre sie ein trotziges Kind. „Das ist eine Lüge. Dir muss doch klar sein, dass ich das weiß. Auf dem Sofa dort konnte ich genau spüren, was du willst.“

„Willst du mich auch dazu manipulieren?“, fragte sie herausfordernd. „Drohst du mir weitere Konsequenzen an, wenn ich deinen Befehl nicht befolge und mich bereitwillig für dich hinlege?“

Er blinzelte. „Der Tag wird nie kommen, an dem ich es dir befehle, das kann ich dir versichern. Obwohl die Vorstellung durchaus ihren Reiz besitzt.“

„Du weichst meiner Frage aus.“

Er musterte sie lange, und wieder hatte Mattie das Gefühl, dass er all die Dinge in ihr erkennen konnte, die sie tief in sich verborgen hielt. „Nein“, sagte er, ohne den Blick von ihr zu wenden. „Ich werde dich weder manipulieren noch zwingen.“

„Ich wünschte, ich könnte dir trauen“, murmelte sie.

„Ich habe dich nie angelogen“, konterte er überzeugt. „Was du von dir nicht behaupten kannst. Ich nehme an, dass du eher dir selbst nicht vertraust.“

Sie rieb sich über die Arme, ging zu einem der bequemen Sitze und ließ sich darauf nieder. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“

„Mattie.“ Fast klang es wie ein Lachen. „Ich habe es gar nicht nötig, dich zu irgendetwas zu zwingen, oder?“ Sein Lächeln war wunderschön, und es traf sie wie ein Laserstrahl, ging ihr durch und durch. „Ich brauche dich nur zu berühren, und sofort gehörst du mir. Du hast immer mir gehört. Es ist an der Zeit, dass du es dir endlich eingestehst.“

Kurz nach Mittag landeten sie mit dem Helikopter, der sie auf dem Privatflughafen außerhalb Athens erwartet hatte, auf der Insel. Als sie die Villa betraten, kostete es Nicodemus jede Unze seiner berüchtigten Selbstbeherrschung, um Mattie nicht an sich zu reißen und sie in Besitz zu nehmen. Er hatte ihr versichert, dass er es nicht tun würde.

Das Spiel dauert schon so lange, aber das Ende ist in Sicht, erinnerte er sich still. Opfere deinen Vorteil nicht der Ungeduld.

Sie musste zu ihm kommen, so oder so. Wenn sie nicht von allein kam, würde sie nie wirklich ihm gehören, und sein Triumph würde nie vollständig sein. Instinktiv wusste er das. Hatte es schon immer gewusst.

Diese Insel hier hatte er kurz nach dem schicksalsträchtigen Ball gekauft. Hier hatte er seine eigene kleine Welt errichten wollen, und zum Großteil war ihm das auch gelungen. Nach dem Kauf hatte er die weiträumige Luxusvilla gebaut, ein Symbol von stetig wachsendem Vermögen und Einfluss. Es war das Haus, von dem er als Kind in der kleinen dunklen Wohnung am Hafen von Piräus immer geträumt hatte, als er erst in einem Sumpf aus den strengen Regeln seines Vaters festgesteckt hatte, dann in dem Netz aus Lügen. Dieses Haus hier wurde geflutet von Licht, war hell und luftig, stand voller Kunstwerke und bot eine fantastische Aussicht auf das Meer. Nichts erinnerte an die beengten Verhältnisse des Arbeiterviertels, in dem er seine Kindheit verbracht hatte. Diskrete Eleganz und Reichtum waren in jedem Detail zu erkennen. Das Einzige, was hier noch fehlte, war die liebevolle Hand einer Frau, die dieses Haus in ein Heim verwandelte, eine Frau, die ebenso strahlend und hell war und in diese Umgebung passte.

Aber nicht jede Frau. Er hatte bereits „strahlend“ versucht, zudem mit einem noblen Stammbaum, und das hatte ihm Arista beschert. Arista hatte sein Geld, seinen Einfluss und sein Talent im Schlafzimmer gewollt, aber weder seinen Ring noch seinen Namen. Er hatte zu lange gebraucht, um die Bedeutung zu erkennen, wenn ihre Familie nur abfällige Äußerungen für ihn und seine niedere Herkunft übrighatte. Bei Mattie war das anders, er hatte ihr wahres Ich von Anfang an erkannt. Gleich zu Beginn hatte er gewusst, dass ihre angebliche Abneigung gegen ihn eine Lüge war. Dort auf der Tanzfläche hatte er sie in den Armen gehalten und ihr Beben gespürt. Und durch die Heirat sicherte er sich einen Platz im Zentrum ihrer Familie. Er wusste, wie hoch Bart Whitakers Meinung über ihn gewesen war. Auch Bart war ein Selfmademan gewesen, der weit über seinem Stand geheiratet hatte.

Es war gerade so, als wäre Mattie für ihn geschaffen worden. Und jetzt war sie hier. Wo er sie schon seit zehn Jahren haben wollte. In dem Haus, das er geplant und mit seinen eigenen Händen gebaut hatte.

Nur wenig im Leben war tatsächlich so gut, wie die Theorie es einem vorgaukelte, das wusste Nicodemus aus Erfahrung. Aber das hier … sie gehörte zu den seltenen Ausnahmen. Etwas Wildes wallte in ihm auf, eine Mischung aus Lust und Freude und „Endlich!“, und so blieb er einfach stehen und kostete das Gefühl aus.

Er beobachtete Mattie, wie sie sich in dem großen Wohnraum umsah. Von ihrer Miene war nichts abzulesen. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und hielt das Gesicht in die Sonne, die durch die hohen Fenster einfiel. Aber dann ertappte sie ihn bei seiner Musterung, und sofort richtete sie sich auf. Versteckte sich wieder hinter ihrer Maske.

Denn Mattie Whitaker trug immer eine Maske. Bei ihr gab es immer Täuschung und Lügen. Er würde gut daran tun, das nicht zu vergessen, bevor er etwas Dummes tat. Wie zum Beispiel, sie in die Arme zu reißen und sich übermütig mit ihr im Kreis zu drehen. So als wäre sie freiwillig mit hergekommen. Als wäre das hier eine romantische Liebesgeschichte.

Nun, es war nicht verwunderlich, dass er sentimental wurde. Schließlich war das hier die Erfüllung eines lang gehegten Traums. Alles, was er sich vorgenommen hatte, hatte er auch erreicht. Mattie war sein letztes Ziel gewesen. Es war sein Problem, dass er sich so unbedingt wünschte, es wäre real.

„Ich würde dich ja fragen, ob dir das Haus gefällt …“ Er war sich bewusst, wie kühl seine Stimme klang, aber er bemühte sich nicht, es zu ändern. Distanz war besser als das, was in ihm schwelte. Es würde ihn dazu bringen, Verrat an sich selbst zu begehen. „… aber es wäre wohl so oder so gleich, oder?“

„Wenn du es sagst.“ Ihre Blicke trafen sich kurz, dann senkte sie hastig die Augen. „So möchtest du mich also haben?“ Bitter verzog sie den Mund. „Anspruchslos und unterwürfig? Soll ich auch noch knicksen, bevor ich dich anspreche?“

„An dir ist nichts Unterwürfiges, Mattie.“ Seine offensichtliche Geduld mit ihr wurde nur durch seine steife Haltung ein wenig getrübt. „Vor allem da deutlich zu hören ist, wie angestrengt du dich bemühst, dein Temperament zu zügeln.“

„Unter den Umständen ist das wohl eine normale Reaktion.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Automatisch ging sein Blick dorthin, und es half ihm nur wenig, dass er jetzt wusste, wie perfekt ihre Brüste wirklich waren. Dieses Wissen könnte noch sein Ruin werden. „Und da hatte ich gedacht, Kriegsbräute wären heutzutage längst ausgestorben.“

„Das ist die Geschichte der Welt.“ Er wunderte sich über seine Geduld. „So etwas haben Menschen durch die Jahrhunderte hinweg und immer aus den gleichen Gründen getan.“ Während er sprach, ging er auf sie zu, hielt aber vorsichtigerweise seine Hände in den Hosentaschen.

„Du meinst, durch die Jahrhunderte wurden Frauen gezwungen, so etwas zu tun“, korrigierte sie ihn. Doch er war jetzt näher gekommen, und sie klang lange nicht mehr so entschieden, wie sie es wollte. Nicodemus sah den Rest Hitze in ihren schönen Augen funkeln, und der Wunsch, sie erneut zu küssen, schoss in ihm auf. „Frauen müssen nachgeben, sonst gehen Königreiche unter. Von Frauen wird verlangt, sich zu opfern, sonst zerbrechen Nationen, Firmen, Männer.“

„Sieh es als Geschichtsstunde an, wenn es das einfacher für dich macht.“

Sie funkelte ihn an. „Und was ist mit dem, was ich will, Nicodemus?“

„Was ist damit?“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Wir beide wissen doch, dass du diesem Arrangement keineswegs so feindselig gegenüberstehst, wie du vorgibst. Haben wir das nicht bereits in zehntausend Metern Höhe bewiesen?“

„Schon wieder falsch“, behauptete sie.

„Habe ich dich etwa gezwungen? Habe ich mich dir aufgedrängt?“ Er fuhr ohne Unterbrechung fort, auch wenn sie aussah, als würde sie etwas sagen wollen. „Eine Menge Männer hätten deinen kleinen Striptease als Einladung verstanden.“

„Aber du nicht?“, warf sie ihm vor.

Lachend schüttelte er den Kopf. „Wenn du dich das nächste Mal ausziehst, werde ich daran denken, dass ich mich bei dir nicht zurückhalten muss.“

„Ich wollte das alles nicht!“, zischelte sie so wild, dass sie es auch lautstark hätte schreien können. Sie schäumte vor Wut, hielt die Fäuste an den Seiten geballt, und Nicodemus konnte nur denken, welch Fluch es war, dass er sie in diesem Augenblick hinreißend schön fand. „Nichts von dem, was du mir angetan hast.“

„Oh ja, das habe ich auch gleich daran erkannt, wie du meinen Namen vor Ekstase laut herausgeschrien hast“, konterte er spöttisch.

Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. „Ich hatte erwartet, dass du das Ganze abbrechen würdest.“

„Weil ich bisher immer rechtzeitig abgebrochen habe?“ Seinem Lachen fehlte jeglicher Humor. „Lerne etwas daraus, und provoziere mich nicht wieder.“ Er sah den verzweifelten Trotz in ihrer Miene. Das war unnötig an diesem Punkt, wenn sie doch schon so weit gekommen waren. „Dein Körper ist sehr viel ehrlicher als du, Mattie.“

„Nur weil mein Körper auf irgendeine verrückte Chemie reagiert“, fauchte sie zurück, „heißt das nicht, dass ich dem nachgeben muss. So funktioniert die Welt nicht.“

„Deine schon“, erwiderte er tonlos, „und je eher du das akzeptierst, desto zufriedener wirst du leben.“ Mit einer ausholenden Geste schloss er das ganze Haus mit ein. „Das hier ist doch wie dein höchst eigenes Märchen. Blauer Himmel, Sonne und Meer, ein kleines Schloss auf einer Anhöhe … und damit das alles dir gehört, brauchst du nicht mehr zu tun, als den Mann, zwischen dem und dir diese lästige Chemie besteht, zu heiraten.“

Eine tiefe Falte stand auf ihrer Stirn, als sie ihn wütend ansah, und er wollte sie nur noch mehr.

„Und da wir gerade beim Thema sind, werde ich dir jetzt unser Zimmer zeigen, damit du dich einrichten kannst“, schloss er an.

Sie blinzelte entsetzt, versteifte sich. „Unser Zimmer?“

Und Nicodemus lächelte milde und nickte.

4. KAPITEL

Drei Tage später wiederholte Mattie auf der Terrasse der Villa hoch auf den Klippen über dem Meer tonlos die Worte des Gelübdes, während sie den Blick auf die Nachbarinsel gerichtet hielt, auf der knapp tausend Seelen lebten und von der aus es eine Fähre nach Athen gab.

„Bevor du dir überlegst, dort hinüberzuschwimmen, solltest du dir klarmachen, dass es mehrere Meilen sind. Außerdem musst du wissen, dass die Strömung sehr stark ist. Könnte durchaus sein, dass du am Morgen in Tripolis anschwemmst“, hatte er ihr am ersten Abend, nachdem sie sich in dem riesigen Schlafzimmer eingerichtet hatte, mitgeteilt.

„Und wäre das nicht ein tragischer Verlust“, hatte sie zurückgefaucht. Sie schaffte es einfach nicht, ihre Zunge im Zaum zu halten. Schon gar nicht, wenn er sie von der gegenüberliegenden Seite des großen Bettes, das er mit ihr zu teilen gedachte, wie er sie ebenfalls hatte wissen lassen, frech angrinste. „So kurz vor der Hochzeit des Jahrhunderts, nicht wahr?“

Er hatte nur gelacht und war wieder gegangen, hatte sie dort mit ihrer Wut und ihrer Verzweiflung stehen lassen.

Und jetzt konnte Mattie noch immer nicht fassen, dass das hier wirklich passierte. Sie sagte sich, dass nichts hiervon real war, dass es unwichtig war. Obwohl Nicodemus ihre Hände hielt und sein Gelübde ablegte, mit dieser tiefen sonoren Stimme, die ihr bis ins Mark fuhr. Obwohl der Priester sie in Englisch und Griechisch zu Mann und Frau erklärte, in beiden Sprachen, damit es auch wirklich einsank. Und obwohl Nicodemus sie dann an sich zog und seine Braut küsste, während einer seiner Angestellten Fotos schoss, die Mattie gar nicht sehen wollte.

Sie hasste es, dass ihr Körper prompt auf den Kuss reagierte. Ihr Puls raste, Hitze schoss durch sie hindurch und eröffnete ihr Wahrheiten, die sie nie akzeptieren wollte.

Nur ein Albtraum, sagte sie sich, als sie allein auf der Terrasse zurückblieb, während Nicodemus den Priester und die beiden Trauzeugen ins Haus führte. So als würde er sich überhaupt keine Gedanken darum machen, ob sie nicht doch ins Meer springen und versuchen würde, zur Nachbarinsel zu kommen. Als wäre es ihm egal, ob sie ertrinken und von den Gezeiten bis nach Tripolis getragen werden würde.

Sie sah auf die Ringe an ihrer Hand. Ein großer Solitär, eingefasst von zwei Saphiren, davor ein Ewigkeitsring, Diamanten in einem Platinband. Protzig, dachte sie aufrührerisch, auch wenn sie wusste, dass das nicht fair war. Auf jeden Fall nicht das schlichte goldene Band, das ihre Mutter getragen hatte. Sie hatte sich vorgestellt, dass sie selbst einmal ein solches Band tragen würde.

Doch Nicodemus hatte nicht nach ihren Wünschen gefragt. Und die Ringe passten perfekt an ihren Finger, ganz gleich, wie böse sie sie anstarrte.

Der Oktobernachmittag war kühl. Aber vielleicht war es nur sie, die fror. Mattie hatte nie von einer großen Hochzeit als dem „glücklichsten Tag“ ihres Lebens geträumt wie so viele ihrer Freundinnen, aber sie hatte sich immer gewünscht, ihre Eltern würden dabei sein. Dass keiner von den beiden das mehr hatte erleben können, saß wie ein tiefer stechender Schmerz in ihr. Auch wenn Mattie wusste, dass diese Heirat nur dazu gedacht war, das Risiko vom Familienunternehmen abzuwenden, hatte sie doch insgeheim darauf gehofft, Chase würde sich freimachen und herkommen, wenn sie sich schon wie ein Lamm zur Schlachtbank führen ließ, und nicht nur einen knappen Glückwunschtext senden.

Andererseits … Chase und sie hatten sich nie sehr nahegestanden. Und sie wusste natürlich auch, wessen Schuld das war.

Nur gut, dass ihr so eisig kalt war, sonst hätte sich das verzweifelte Schluchzen, das ihr in der Kehle steckte, vielleicht doch noch gelöst. Und das hätte dann das Wenige, was von ihr übrig war, endgültig zerstört.

„Denkst du gerade darüber nach, wie gut du es getroffen hast?“, fragte Nicodemus an ihrem Rücken, und sie war stolz auf sich, dass sie nicht zusammenzuckte.

„So etwas in der Art, ja.“ Mit gerunzelter Stirn sah sie hinunter zu dem kleinen Motorboot, das aufs offene Meer hinausbrauste. Drei Gestalten waren zu erkennen – der Priester und die beide Trauzeugen. Das bedeutete also, dass sie allein mit Nicodemus auf der Insel war.

Allein – und verheiratet mit ihm.

Wie in Zeitlupe drehte sie sich zu dem Mann um, der hinter ihr stand. Die Hände hatte er in die Taschen seiner Leinenhose geschoben, sein blütenweißes Hemd betonte seine gebräunte Haut und stand in krassem Kontrast zu seinen dunklen Augen und dem windzerzausten Haar. Er hätte alles andere als elegant aussehen müssen, doch … bei ihm wirkte dieser Aufzug, betonte seine Kraft und Entschlossenheit.

Etwas war anders an ihm, fiel ihr auf. Etwas noch Gefährlicheres. Ein Prickeln lief ihr über den Rücken. Und dann verstand sie. Er hatte gewonnen. So wie er es immer vorausgesagt hatte.

Ihr Mund wurde staubtrocken. Nicodemus Stathis war ihr Ehemann.

„Komm ins Haus.“ Sein Blick war so dunkel, wie er geduldig war, und etwas tief in ihr erschauerte.

„Hier draußen geht es mir bestens.“

So etwas Dummes zu sagen! Sie hörte sich an wie ein Kind, und Nicodemus’ Miene wurde weicher, sodass sie sich noch dümmer vorkam.

„Du befürchtest, dass du die Ehe mit mir vollziehen musst, sobald du einen Fuß ins Haus setzt, nicht wahr?“ Abwägend neigte er den Kopf leicht zur Seite, als würde er es sich ausmalen, und Verlangen schlug ihr wie eine Faust in den Magen. „Wenn du es dir mit deiner eigenen Fantasie vorstellst … passiert es dann gleich hier auf dem Marmorboden? Gegen die Wand gedrückt, neben einem der kostbaren Gemälde? Oder auf dem Sofa, bequem ausgestreckt, sodass wir uns Zeit lassen können?“

Autor

Caitlin Crews
<p>Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
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