Emmas kleiner Plan vom Glück

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Lieber Daddy …" Die Valentinskarte ihrer kleinen Tochter Emma bricht Cassie fast das Herz. Denn einen Daddy gibt es nicht, und wenn es nach ihr geht, wird es ihn auch nicht geben. Aber Emma hat einen Plan - und der neue Sheriff Alex Santiago auch …"


  • Erscheinungstag 23.05.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746865
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Grace, du hast mir gerade das Leben gerettet! Wie kann ich das je wiedergutmachen?“

Die Frau am Tresen rollte mit den Augen. „Das ist doch bloß Kaffee, Dr. Marshall.“

Cassie umklammerte den Pappbecher wie einen Rettungsanker. „Ich musste heute um drei Uhr nachts bei einem Schnauzer einen Kaiserschnitt machen. Und dann war heute jeder Termin doppelt belegt. Im Augenblick ist Ihr Kaffee meine einzige Chance, die Sitzung lebend zu überstehen, zu der ich jetzt muss.“ Sie bezahlte und nahm einen vorsichtigen Schluck. „Grace, Sie sind und bleiben meine Heldin.“

„Mit dem Kompliment haben Sie sich den letzten Zimt-Scone verdient, wenn Sie wollen.“

„Habe ich so etwas je abgelehnt?“ Cassie nahm die Papiertüte entgegen. „Danke. Das sollte verhindern, dass ich mich vorm Abendessen nicht in einen Teufel verwandle.“

„Wenn man vom Teufel spricht … Da kommt der neue Deputy des Sheriffs. Ich wäre gerne bereit, ein paar Gesetze zu brechen, um ihm aufzufallen.“ Grace verrenkte sich den Hals, um einen besseren Blick durchs Schaufenster zu erhaschen. „Sieht er nicht wie ein Mann aus, der mit meinen rebellischen Anteilen fertigwerden könnte?“

Aufzubegehren machte lange nicht so viel Spaß, wie man sich das vorstellte. Cassie wusste das aus Erfahrung. Sie war drauf und dran, sich Grace gegenüber entsprechend zu äußern, als hinter ihr die Klingel an der Ladentür bimmelte. Bei dem Geräusch drehte sich Cassie um und schnappte nach Luft.

Kein Wunder, dass Grace für den Deputy schwärmte. Der Mann sah aus, als ob er in einen Actionfilm nach Hollywood gehörte – und nicht auf die beschaulichen Straßen von Paradise in Florida. Dichtes, dunkles Haar umgab ein Gesicht mit markanten Zügen und einem Anflug von Bartstoppeln. Seine Augen waren so dunkel wie Espresso, und er hatte den durchdringenden Blick, den nur Gesetzeshüter zu haben schienen. Sogar ohne Uniform hätte sie ihn sofort als Polizist erkannt. Wirkte er sexy? Oh ja! Aber er war ein Cop. Und von denen hatte sie genug.

„Ich möchte eine Bestellung abholen. Für Santiago.“

Grace griff nach einem Karton auf der Vitrine. „Gemischte Cookies, richtig?“

„Das stimmt.“

„Was, keine Donuts?“

Er musterte Cassie. Dann verzog er die Lippen zu einem schiefen Grinsen. „Tut mir leid, wenn ich da jetzt ein Vorurteil zerstört habe.“

Grace warf Cassie einen finsteren Blick zu, bevor sie sich bemühte, die Wogen zu glätten. „Deputy Santiago, ich bin Grace. Wir haben vorhin telefoniert. Und neben mir steht Dr. Cassie Marshall, unsere Tierärztin.“

„Nett, Sie kennenzulernen.“ Er nickte ihnen zu. „Und wenn ich nicht im Dienst bin, dann sagt doch bitte Alex zu mir.“ Dann lächelte er. Ein echtes, ehrliches Lächeln. Auf einmal war Cassie viel zu warm. Ihre Reaktion beunruhigte sie. Cassie wollte schnellstmöglich verschwinden, bevor sie sich noch mehr blamierte.

„Lass mich das machen.“ Alex war vor ihr an der Tür. Mit einer Hand balancierte er die Kekse. Mit der anderen machte er die Tür für Cassie auf. Nach ihrer spitzen Bemerkung bekam sie bei so viel Höflichkeit auch noch ein schlechtes Gewissen.

„Das mit den Donuts tut mir leid.“

„Da ist mir schon Schlimmeres untergekommen.“ Einen Augenblick lang wirkte seine Miene wie versteinert. „Keine Sorge.“

Sie nickte höflich. Dann ging sie schnurstracks zu ihrem Dreitürer. Sie stellte den Kaffee in die Halterung, ließ den Motor an und legte eine CD mit Liebesliedern ein. Sie hatte weniger als zehn Minuten Zeit, um den Kopf frei zu kriegen und in Valentinstagsstimmung zu kommen.

Alex beobachtete, wie der silberne Kleinwagen davonfuhr. Dabei merkte er sehr wohl, dass die Tierärztin auf die Geschwindigkeitsbegrenzung achtete. Nur wenige hatten den Nerv, vor einem Deputy zu schnell zu fahren, und normalerweise machten die Leute auch keine Polizistenwitze in seiner Hörweite. Er hatte die Abneigung in ihren blauen Augen erkannt. Von Gangmitgliedern und Drogenhändlern war er das gewöhnt. Aber von einer niedlichen Tierärztin? Er ahnte, dass mehr dahintersteckte. Doch er wollte sich an seinem neuen Wohnort keine Feinde machen. Davon hatte er in Miami schon genug.

Lautes Bellen riss ihn aus seinen Gedanken.

„Ich komm ja schon, mein Junge!“

Im Augenblick waren er und Rex, sein Partner auf vier Pfoten, sozusagen noch in den Flitterwochen. Der Hund war immer noch ganz aufgeregt, wenn Alex zurückkam. Als er das Auto aufsperrte, musste Alex lächeln. Der Deutsche Schäferhund war ein K-9-Polizeihund und der schlimmste Albtraum von Verbrechern. Für Alex aber bedeutete er das Schönste an seinem neuen Job.

Er hatte nie erwartet, mal in einer Kleinstadt wie Paradise zu leben, weil er nie vorgehabt hatte, Miami zu verlassen. Als er jedoch gegen seinen Partner ausgesagt hatte, da hatte sich die ganze Abteilung gegen ihn gestellt.

Es war ihm klar gewesen, dass er jede Chance auf Beförderung zunichtemachte, als er sich geweigert hatte, eine Falschaussage zu machen. Doch damit konnte er leben.

Sein Leben aufs Spiel zu setzen, gehörte zum Job. Seine Familie mit reinzuziehen, stand auf einem ganz anderen Blatt. Eines Tages war seine Mutter nach Hause gekommen und hatte die Wände mit Drohungen beschmiert und die Einrichtung demoliert vorgefunden. Da war Alex klar geworden, dass sie nicht mehr in Miami bleiben konnten.

Er sah seine Mutter immer noch vor sich, wie sie bleich vor Angst in ihrer zerstörten Küche stand.

Am nächsten Tag hatte er seine Kündigung eingereicht. Als ein Posten im Büro des Sheriffs von Palmetto County frei geworden war, hatte er keine Sekunde gezögert. Für ihn erfüllte sich ein Traum, weil er mit einem Polizeihund der K-9-Staffel arbeiten durfte. In Miami hatte er oft bei der Staffel ausgeholfen. Dank dieser Erfahrung und seiner makellosen Personalakte hatte er den Job bekommen.

Zum Glück war seine Mutter auch bereit gewesen, umzuziehen. Er hatte sich gesorgt, dass sie sich gegen einen Umzug sträuben würde. Aber sie hatte fast sofort zugestimmt. Ihr mangelnder Widerstand hatte verdeutlicht, dass ihr die Sache viel mehr zugesetzt hatte, als sie zugeben wollte.

Und natürlich musste er noch an seine kleine Schwester, Jessica, denken. Sie war zwar inzwischen auf dem College, aber in den Semesterferien kam sie immer noch nach Hause.

Jetzt war Paradise ihr Zuhause, und die Geschehnisse lagen hinter ihnen.

Als er die Hauptstraße entlangfuhr, musterte er die Schaufenster mehr aus Gewohnheit als aus Vorsicht. Das verschlafene Inselstädtchen konnte kaum unterschiedlicher sein zum lebhaften Süden Floridas. Anstelle von Hochhäusern und Einkaufszentren gab es hier Bungalows und kleine Läden. Miami verfügte zwar über eine blühende Kulturlandschaft, aber als Polizist hatte er viel Zeit in den weniger sehenswerten Stadtteilen verbracht. Hier dagegen waren sogar die ärmeren Viertel sauber und ordentlich in Schuss gehalten.

Natürlich war nicht alles perfekt, nicht einmal in Paradise. Darum verzichtete Alex auf wertvollen Schlaf, um an der Share the Love – Sitzung teilzunehmen. Die Polizei und das Jugendamt hatten sich zusammengetan, um eine Wohltätigkeitsveranstaltung zu organisieren – einen Ball am Valentinstag. Die Einnahmen sollten dafür verwendet werden, um ein Förderprogramm für Kinder aus schwierigen Verhältnissen aufzubauen. Alex hatte sich sofort freiwillig gemeldet. Er kannte solche Einrichtungen aus eigener Erfahrung. Jetzt war es an der Zeit, etwas zurückzugeben.

Er brauchte nur ein paar Minuten, um die Insel zu überqueren. Dann hatte er das Sandpiper Inn erreicht, wo das Treffen heute Abend stattfinden würde.

Als er auf den Parkplatz einbog, stellte er überrascht fest, dass die meisten Plätze belegt waren. Entweder hatte das Inn diese Woche viele Gäste, oder die Versammlung war besser besucht als erwartet.

Er schnappte sich den Karton vom Beifahrersitz. Den Motor ließ er laufen. Er war dankbar für die spezielle Klimaanlage, die für die Sicherheit seines Partners auf vier Pfoten sorgte. Ende Januar war das Wetter in Florida zwar normalerweise mild, aber manchmal konnten die Temperaturen trotzdem gefährlich nach oben klettern. „Sorry, Kumpel. Ich glaube, da drin sind nur Menschen erlaubt.“

Rex brummte. Doch als Alex den Wagen abschloss, legte er den großen Kopf auf die Vorderpfoten.

„Verfolgst du mich jetzt, oder was?“, fragte jemand hinter ihm.

Die kratzbürstige Tierärztin aus der Bäckerei.

Sie stand vor dem Fußweg zum Inn. Ihr rotblondes Haar glänzte in der Abendsonne. Die Brise wehte ihr einzelne Strähnen ins Gesicht. Ihre Augen funkelten, während sie auf eine Antwort wartete.

„Ich bin kein Stalker, wenn du das meinst.“ Bei dieser Unterstellung biss er die Zähne zusammen. „Ich bin Polizist, kein Krimineller.“

Ihre Miene entspannte sich. Er bemerkte einen Anflug von Traurigkeit in ihren Augen. „Sorry. Aber hier in der Gegend besteht da manchmal kein Unterschied.“

Also, das wurde allmählich richtig peinlich. Cassie bemühte sich ehrlich, ihren Verstand einzuschalten, bevor sie den Mund aufmachte. An manchen Tagen klappte das eben besser als an anderen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, dem Neuen vorzuwerfen, dass er sie verfolgen würde? Der Unfall lag Monate zurück − sie musste aufhören, so schreckhaft zu sein.

„Mommy, guck mal!“ Cassies Tochter Emma kam die Treppe heruntergerannt. Ihre Lautstärke hätte dabei besser zu einer Blaskapelle als zu einem vierjährigen Mädchen gepasst. „Ich hab Valentinskarten gebastelt!“

Cassies beste Freundin und Angestellte, Jillian Caruso, folgte dem Mädchen langsamer. Mit ihren schwarzen Locken und dem blassen Teint sah sie aus wie eine Märchenprinzessin, obwohl sie lässige Jeans und ein Sweatshirt trug. Im Augenblick wirkte sie außerdem ein bisschen schuldbewusst. „Bevor du irgendwas sagst − das ist nicht meine Schuld. Ich habe nur gesagt, dass ich ihr helfen würde. Der Rest war ihre Idee.“

Cassie zog nur eine Augenbraue hoch. Sie war einfach dankbar, dass Jillian sich bereit erklärt hatte, sich heute um Emma zu kümmern. Normalerweise passte Cassies Mutter nach dem Kindergarten auf Emma auf. Heute hatte das nicht geklappt. Und Emma machte es viel mehr Spaß, im Inn zu spielen, als bei Cassie in der Praxis herumzusitzen.

„Hallo, mein Sonnenschein. Ich hab dich vermisst.“ Cassie umarmte ihre Tochter. Ihretwegen arbeitete sie so hart. Dieses kleine Mädchen war das Wichtigste in ihrem Leben. Die Überstunden und der Schlafmangel der letzten paar Monate waren egal. Emma war ihr das wert. „Hast du Spaß gehabt?“

„Das hoffe ich“, mischte Jillian sich ein. „Wir haben auf dem Spielplatz gespielt, Muscheln gesammelt und Brownies gebacken.“

„Bist du ein Polizist? Hat meine Mommy was angestellt?“

Den Deputy hatte Cassie fast vergessen. Als sie Emma absetzte und sich umdrehte, wurde sie rot. Er lächelte, als ob sie ihm nicht gerade beinahe verbal den Kopf abgerissen hatte.

„Hallo, Süße. Ich bin der Alex. Wie heißt du denn?“

„Ich heiße Emma. Kommen wir jetzt ins Gefängnis?“

„Heute kommt niemand ins Gefängnis. Es sei denn, es gibt hier irgendwelche bösen Buben …“ Wenn er lächelte, wurden seine Grübchen sichtbar. Polizisten sollten keine Grübchen haben.

„Nein. Hier sind nur ich und Miss Jillian und Mr. Nic. Und Murphy. Das ist ihr Hund. Und ein paar Leute für das Treffen. Aber die wollen Kindern helfen. Dann können die doch nicht fies sein, oder?“ Sie runzelte die zarte Stirn.

„Wahrscheinlich nicht. Kindern zu helfen, ist eine gute Sache. Willst du auch mitmachen?“

Emma nickte, dass ihre Locken nur so wippten. „Jawohl. Ich darf beim Schmücken helfen, hat meine Mommy gesagt. Und ich darf zum Ball am Valentinstag mit. Ich werde ein rotes Kleid tragen.“

„Ein rotes Kleid? Das klingt nach einer tollen Party.“ Er schaute auf und sah das dritte Mitglied der kleinen Gruppe an.

„Hi, ich bin Jillian. Willkommen im Sandpiper Inn.“ Sie streckte dem gut aussehenden Deputy die Hand entgegen.

„Wie schön, dich kennenzulernen. Alex Santiago. Vielen Dank, dass wir das Treffen hier abhalten dürfen.“

Jillian lächelte. „Das machen wir doch gerne. Ich bin selbst in einer Pflegefamilie aufgewachsen – ich weiß, wie schwierig das sein kann. Es wäre echt toll, wenn wir ein richtiges Betreuungsprogramm ins Leben rufen könnten.“

Wenn Alex überrascht war, wie beiläufig Jillian über ihre Kindheit sprach, ließ er sich das nicht anmerken. Er nickte nur und hielt den Karton hoch, den er bei der Bäckerei abgeholt hatte. „Ich habe Cookies mitgebracht. Wo soll ich die abstellen? Ich habe gedacht, dass ein paar Leute bestimmt noch keine Zeit zum Abendessen hatten.“

Oh, Himmel. Schamesröte stieg Cassie ins Gesicht. Sie hatte den doofen Scherz über Polizisten und Donuts ausgerechnet gemacht, als er Süßigkeiten für andere Leute gekauft hatte – noch dazu für eine Wohltätigkeitsveranstaltung.

Auch wenn der Anblick der Uniform ihr auf die Nerven ging, war das noch lange kein Grund, derart unhöflich zu sein. Der Unfall, bei dem ihr Vater schwer verletzt worden war, ging auf das Konto eines Deputys, der die Kontrolle verloren hatte − aber sie konnte den Mann, der jetzt vor ihr stand, dafür natürlich nicht verantwortlich machen, nur weil er die gleiche Dienstmarke hatte.

„Ohhh, kann ich einen Cookie haben?“ Emma schaute zu Alex auf und klimperte mit den Wimpern. „Ich war auch ganz brav.“

Er lachte. „Das muss deine Mom entscheiden, Prinzessin.“

Emma bedachte Cassie mit einem flehenden Blick. Natürlich wurde sie sofort weich. „Weil du so brav gewesen bist, darfst du einen Keks haben. Aber nur einen.“ Sie nickte Alex dankbar zu, weil er ihr die Entscheidung überlassen hatte. „Also, dann zeig mir mal die Valentinskarten.“

„Cassie, vielleicht solltest du sie später lesen?“, schlug Jillian vorsichtig vor und nickte Alex zu.

Cassie warf dem Polizisten einen Blick zu. Er zuckte die Achseln, dann ging er an ihnen vorbei. „Wir sehen uns dann drinnen.“

Warum war Jillian so angespannt? Es ging doch nur um Papierherzen und Glitzer. Sie nahm Emma die Karten aus der leicht verschmutzten Hand und ging aufs Inn zu.

Die erste Karte zeigte einen unbeholfen gemalten Blumenstrauß und die Worte MOM und LOVE, umringt von rosa und lila Herzen. „Danke, Süße. Die gefällt mir total gut.“ Sie machte die nächste Karte auf. Diesmal zierten lächelnde Gesichter rosa Papier. In der Mitte stand Jillians Name. „Wunderschön!“ Lächelnd faltete sie die letzte, herzförmige Karte auf und erstarrte.

Für Daddy. Sorgfältig waren die Buchstaben mit roten und goldenen Pailletten aufgeklebt worden.

Sie spürte, wie jemand ihr eine Hand auf die Schulter legte. Mitleid stand in Jillians Augen. „Es tut mir leid. Ich wusste nicht, was ich tun sollte …“

Cassie straffte die Schultern. Sie würde mit Emma darüber reden. Ihr Kopf fing an, schmerzhaft zu pochen.

„Mach dir keine Sorgen. Das ist nicht deine Schuld“, erklärte Cassie.

Es ist meine Schuld.

Alex behielt die Tür im Auge, während er sich unters Volk mischte. Warum waren ein paar Valentinskarten so wichtig? Vielleicht hatte das nichts zu bedeuten. Überdurchschnittliche Neugier gehörte nun einmal zu seinem Beruf.

Er aß gerade ein Sandwich, als Cassie hereinkam. Ihre Tochter und ihre Freundin folgten ihr. Cassie war jedoch diejenige, die seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Die temperamentvolle Rothaarige hatte einfach etwas an sich. Ja, sie war hübsch, auf eine natürliche Art und Weise mit ihrer zierlichen Figur und den Sommersprossen. Und es war mehr als das. Ihr heftiges Temperament hätte unattraktiv wirken sollen. Stattdessen tat ihm ihre Offenheit gut. Jede Regung zeichnete sich deutlich auf ihrem Gesicht ab – sie verbarg nichts. In seinem Beruf verbrachte er die meiste Zeit damit, herauszufinden, was jemand nicht sagte. Doch diese Frau schien ein offenes Buch zu sein.

Und in diesem Augenblick sah sie aus, als ob sie einen Freund brauchte. Sie wirkte angespannt, als ob sie gegen Kopfschmerzen ankämpfte. Ohne weiter darüber nachzudenken, ging er auf sie zu und bot ihr etwas zu trinken an. „Wasser?“

„Hmm?“ Sie starrte die Flasche an, die er in der Hand hielt. „Ja, danke.“ Sie nahm einen vorsichtigen Schluck. „Hör mal, die Sache in der Bäckerei. Es tut mir leid, dass ich unhöflich war. Das war ein dummer Witz. Ich … also, das hatte eigentlich nichts mit dir zu tun.“

„Du bist kein Fan der Polizei, was?“

Sie zuckte zusammen. „Ist das so offensichtlich?“

„Lass mal überlegen. Du machst einen Polizistenwitz in Gegenwart eines Polizisten. Dann vergleichst du Polizisten mit Verbrechern. Das war jetzt keine harte Nuss.“

Bei ihrem Lächeln blieb ihm die Luft weg. Es ließ ihre Augen leuchten. Sein Herz schlug heftig und warnte ihn, den Blick abzuwenden.

Er warf ihrer Tochter einen Blick zu, die sich ans andere Ende des Tischs davongeschlichen hatte, um noch einen Cookie zu ergattern. „Sie ist total hübsch.“

Das Lächeln strahlte noch heller. „Danke.“

„So wunderschön wie ihre Mutter.“

Sofort war das Lächeln verschwunden, und ihr Blick wirkte misstrauisch. „Ich sollte mir einen Sitzplatz suchen, bevor alle Plätze belegt sind.“

Das Kompliment war nicht als Anmache gedacht gewesen. Aber offensichtlich glaubte sie, dass er mit ihr flirtete. Sie trug keinen Ring, aber er hatte gehört, dass Ärzte wegen des dauernden Händewaschens nicht immer Eheringe trugen. Na toll. Wahrscheinlich war sie verheiratet. Jetzt hatte sie einen Grund, nicht nur Polizisten im Allgemeinen, sondern ihn im Besonderen nicht zu mögen.

Weil ihm kein Grund einfiel, ihr zu folgen, blieb er im Hintergrund und beobachtete das Geschehen von hinten. Eine kleine Menschenmenge füllte die Sitze vor ihm. Das waren jetzt alle seine Nachbarn. Sie kennenzulernen, musste an erster Stelle stehen, wenn er seinen Job gut machen wollte. Hoffentlich war ehrenamtliches Engagement ein Schritt in die richtige Richtung. Er hatte auch noch persönlichere Gründe dafür, was jedoch niemand wissen musste.

Vorne stand die Frau auf, mit der er vorhin gesprochen hatte. Jillian bat alle Anwesenden um ihre Aufmerksamkeit. „Herzlich willkommen im Sandpiper Inn und vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt. Wie die meisten von euch wissen, war ich selber ein Pflegekind. Daher weiß ich aus eigener Erfahrung, wie hart dieses Leben sein kann. Und was für einen Unterschied es macht, wenn jemand sich um einen kümmert. Ich bin wirklich dankbar dafür, dass so viele Leute Interesse haben, mitzuhelfen. Und dafür, dass wir nicht nur mit dem Jugendamt, sondern auch mit dem Sheriffdepartment von Palmetto County zusammenarbeiten werden. Deputy Santiago ist heute hier, um das Department zu vertreten, und wird höchstpersönlich seine Zeit für dieses wichtige Projekt opfern.“ Sie lächelte ihm zu, und er hob als Antwort die Hand. Einige Einwohner drehten sich um und musterten ihn. Viele lächelten freundlich; ein paar nickten wohlwollend.

Dann stellte Jillian die Organisatorin vor. Mrs. Rosenberg war eine winzige ältere Dame, die einen Jogginganzug mit Leopardenmuster anhatte. Als sie die verschiedenen Aufgaben aufzählte, nahm er sich vor, sich für den Aufbau zu melden. Ein starker Rücken war bestimmt willkommen, wenn es daran ging, Tische zu tragen und Dekorationen aufzuhängen.

Schließlich war die Sitzung vorbei. Die Leute machten die Runde, um Neuigkeiten auszutauschen, während sie darauf warteten, sich in die Helferlisten eintragen zu können. Er schob sich durch die Menge. Das war gar nicht so einfach, da ihn anscheinend alle Anwesenden persönlich begrüßen wollten. Er hatte sich schon mit einem halben Dutzend Leute unterhalten, als jemand ihn am Ärmel zupfte.

„Deputy?“

Es handelte sich um die Vorsitzende, die jetzt eine mit Strass besetzte Brille aufhatte und ein Klemmbrett in der Hand hielt.

„Jawohl, Ma’am?“

„Sie sind neu in der Stadt, nicht wahr?“ Sie musterte ihn durch ihre Brillengläser hindurch mit einem Blick, der so scharf war wie der eines abgebrühten Detectives.

„Das bin ich.“ Er streckte die Hand aus. „Alex Santiago. Nett, Sie kennenzulernen.“

Sie packte seine Hand und schüttelte sie heftig. „Keine Sorge, ich trage Sie höchstpersönlich in die Liste ein.“

Dankbar, dass er sich nicht weiter durch die Menge kämpfen musste, machte Alex sich wieder auf den Weg zur Eingangstür. Er war beinahe angekommen, als ihm etwas einfiel. „Mrs. Rosenberg?“

Auf der anderen Seite des Raumes drehte sie sich um. „Ja?“

„Für welches Komitee tragen Sie mich denn ein?“

„Na, für alle natürlich.“

Natürlich.

Cassie verbrachte den Rückweg damit, sich zu überlegen, was sie zu Emma zum Thema Valentinskarten sagen sollte. Sie war sich nicht sicher, wie sie alles so erklären konnte, dass eine Vierjährige es verstehen würde.

Zu Hause stellte sie erst einmal den altertümlichen Teekessel auf den Herd. „Emma, mach dich bitte fürs Bad fertig. Ich bin gleich bei dir.“ Es war so spät, dass sie versucht war, das Baden auszulassen. Nach einem Nachmittag am Strand hatte ihre Tochter jedoch eine gründliche Körperwäsche dringend nötig.

Cassie genoss den kurzen Augenblick der Stille und machte die Terrassentür auf. Das war ihr Lieblingsplatz, vor allem um diese Jahreszeit. Die Luft war kühl für Floridas Verhältnisse, aber immer noch angenehm. Liebend gerne hätte sie sich jetzt mit ihrem Tee und einem Krimi auf der alten Liege zusammengeringelt. An diesem Abend blieb dafür wie meistens jedoch keine Zeit.

Emma wartete im Badezimmer auf ihre Mutter. Sie hielt ihre Lieblingsgummiente in der Hand. „Mit Schaum?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Mit Schaum. Aber nur ein kurzes Bad heute Abend. Es ist schon spät.“

Das kleine Mädchen nickte ernst. „Okay, Mommy.“

„Hast du heute Spaß gehabt?“ Sie beobachtete, wie das Wasser um ihre Tochter herum anstieg und der Schaum duftende Berge formte.

„Jawohl. Ich habe mit Murphy gespielt und Brownies gegessen. Und wir haben einen Schmetterling gesehen. Und Mr. Nic hat mich auf der Schaukel ganz arg angeschubst.“

Nic war Jillians Ehemann. Er hatte das Sandpiper Inn vor ein paar Monaten gekauft. Der Spielplatz war eine der ersten Baumaßnahmen gewesen. Nic und Jillian hofften, bald ein eigenes Kind zu haben. In der Zwischenzeit nutzten die Gäste und Emma den Spielplatz nach Herzenslust. „Das kling wie ein richtiges Abenteuer.“

Autor

Katie Meyer

Katie Meyer kommt aus Florida und glaubt felsenfest an Happy Ends. Sie hat Englisch und Religion studiert und einen Abschluss in Veterinärmedizin gemacht. Ihre Karriere als Veterinärtechnikerin und Hundetrainerin hat sie zugunsten ihrer Kinder und des Homeschoolings aufgegeben. Sie genießt ihre Tage gerne mit der Familie, ihren vielen Haustieren,...

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