Gefährliche Sehnsucht nach dem spanischen Milliardär

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Nie hat die junge Studentin Elsa verschmerzt, dass der attraktive Selfmade-Milliardär Santi Rodriguez sie einst zurückwies. Auf keinen Fall will sie ihn wiedersehen! Doch sie hat keine Wahl: Nur Santi kann sie vor einer Entführung schützen und sicher zu ihrer Familie nach Spanien bringen. Aber kaum ist sie allein mit ihm auf seiner Luxusjacht im Mittelmeer, scheint seine Nähe plötzlich gefährlicher als alles andere. Denn gegen jede Vernunft knistert es zwischen ihnen immer heißer, immer erregender …


  • Erscheinungstag 30.11.2021
  • Bandnummer 2520
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507134
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Elsa Lopez ging unruhig im Zimmer auf und ab. Seit einer Woche versteckte sie sich in der Wohnung in Wien. Damit leistete sie dem Geheiß ihrer Mutter Folge, ihre Bleibe bis zum Eintreffen des Mannes, der sie in ihr Elternhaus nach Valencia bringen sollte, nicht zu verlassen. Es war nervenaufreibend.

Ohne Vorwarnung hatte sich ihr normalerweise unauffälliges Sicherheitsteam letzte Woche vervierfacht. Jetzt stand ein Bodyguard vor Elsas Wohnungstür, einer vor der Haustür und noch einer vor dem Hintereingang ihres Hauses. Im obersten Stockwerk jenseits des Innenhofs waren weitere Sicherheitsleute postiert, die beobachteten, wer sich dem Gebäude näherte.

Die Reise zur Verlobungsfeier ihrer Schwester Marisa war vorgezogen worden. Ihre Mutter wollte Elsa so schnell wie möglich auf dem Anwesen der Lopez’ und in Sicherheit wissen. Daher hatte Elsa das mulmige Gefühl, dass eine Bedrohung gegen sie selbst vorlag.

Wieder las sie die kryptische E-Mail ihrer Mutter. Angeblich war ihre Kommunikation zwar abgesichert, doch die Familie verhielt sich stets so, als werde jedes Telefonat abgehört und jede schriftliche Nachricht mitgelesen. Nach dem, was ihr zugestoßen war, war Paranoia nicht weiter verwunderlich. Für Elsa war es normal, beim kleinsten Anlass zu erschrecken.

Sei an Samsons Geburtstag aufbruchbereit. Dein Begleiter kümmert sich um alles Übrige. Vertrau ihm. Und sonst niemandem.

Samson war Elsas und Marisas erstes Haustier gewesen. Zwölf Jahre lang hatten sie jedes Mal am neunten Juli seinen Geburtstag gefeiert.

Heute war der neunte Juli.

Als es an ihrer Wohnungstür klopfte, warf Elsa zur Sicherheit einen Blick auf den Monitor der Überwachungsanlage. Seitdem ihr Vater vor einem Jahr ermordet worden war, bestimmte dieses „zur Sicherheit“ ihr Handeln.

„Ihr Geleitschutz ist da“, sagte der Wachmann.

„Ist er einer von Ihnen?“

Der Wachmann schüttelte den Kopf.

„Wer ist er?“

Ihre Frage blieb unbeantwortet. Der Wachmann deutete auf die überdimensionierte Handtasche, die neben der Tür stand. „Mehr nehmen Sie nicht mit?“

Elsa nahm die Tasche. „Nein.“ Wenn sie nach Valencia fuhr, nahm sie nie viel mit. Sie lebte seit fünf Jahren in Wien, aber sie hatte noch ihr altes Zimmer im Haus ihrer Eltern, und die Schränke dort quollen über. Also hatte sie nur Kosmetik, ihr Portemonnaie und ihren Pass eingepackt.

Ihre Wohnung lag über einer Pizzeria und einer Buchhandlung in einem schönen Gebäude mit weißer Fassade und grünen Fensterrahmen. Sie folgte dem Wachmann die schmale Treppe hinunter ins Erdgeschoss und trat auf den Innenhof. Das Kaffeehaus gegenüber war bereits brechend voll, obwohl noch Vormittag war. Der Sommer nahm Fahrt auf, und die Studenten und Hipster bevölkerten wieder die Straßen dieses Viertels.

Ein großer, gut gebauter Mann, der an einer Straßenlaterne lehnte, fiel Elsa ins Auge. Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Mit einer Hand schirmte sie die Augen gegen die Sonne ab und blieb wie angewurzelt stehen.

Das konnte doch wohl nicht …

Sie ließ die Hand sinken und starrte ungläubig in die Richtung. Der Mann bewegte sich auf sie zu. Seine dunkelgraue Hose, das dunkelblauen Hemd und der anthrazitfarbene Mantel passten weder zu der Jahreszeit noch zu dem Viertel mit dem künstlerischen Flair. Das lockige Haar hatte er zurückfrisiert. Sonnenbrille und Vollbart verbargen den größten Teil des Gesichtes, das zu vergessen Elsa sich alle Mühe gegeben hatte.

Santi.

Ihre Mutter hatte Santi geschickt.

Noch bevor sie sich aus der Schockstarre lösen konnte, stand er vor ihr, bleckte lächelnd die weißen, perfekten Zähne und fasste sie mit seinen großen Händen an den Schultern. Er beugte sich herunter, legte seine Wange an ihre, als sei dies eine Verabredung unter guten Freunden, und flüsterte: „Lächele und tu so, als seiest du erfreut, mich zu sehen.“

Doch der Schreck war zu groß. Sein Duft, den sie in all den Jahren nie ganz hatte vergessen können, hüllte sie ein. Sein Bart kitzelte an ihrer Wange. Elsa wich zurück. Mehr als ein Wort brachte sie nicht heraus.

„Du.“ Es klang wie ein Vorwurf.

Er verfestigte seinen Griff und lächelte noch ein wenig strahlender. „Ja, ich. Und sosehr ich mich freue, dich wiederzusehen – wir müssen los.“

Um Elsa herum begann alles zu verschwimmen. Santiago Rodriguez war der Letzte, von dem sie nach Hause begleitet werden wollte.

Fünf Jahre war es jetzt her, dass sie am Boden zerstört, beschämt und zutiefst gedemütigt sein Bett verlassen hatte. Doch jetzt kam es ihr vor, als sei es gestern gewesen. Ihre Wangen glühten, sie schämte sich unendlich.

Verzweifelt drehte sie sich nach dem Wachmann um, der sie hergebracht hatte, doch er war verschwunden.

Santi ließ sich seine Ungeduld nicht anmerken und lächelte weiter, als er Elsas Schultern losließ, um ihre Hand zu nehmen. Sie wollte ihm ihre Hand entziehen, doch er ließ sich nicht beirren. „Für so etwas haben wir keine Zeit, Chiquita. Wir müssen los. Jetzt lächele und komm“, sagte er und setzte sich in Bewegung. „Warum wohnst du ausgerechnet in einer Fußgängerzone? Ich dachte schon, ich müsste jemanden töten, um einen Parkplatz zu bekommen“, witzelte er in dem Versuch, die Stimmung aufzulockern, als sie sich einen Weg durch die Menschenmassen Richtung Mariahilfer Straße bahnten.

Sie antwortete nicht. Ihr hübsches Gesicht war komplett verschlossen.

Dank seines ausgezeichneten Orientierungssinns fand sich Santi problemlos zurecht. Sie überquerten die breite Einkaufsstraße und bogen in eine schmale Seitenstraße. Obwohl Elsa brav neben ihm hertrottete, ließ er ihre Hand nicht los. Sein Instinkt sagte ihm, dass sie ausbüxen würde, sobald er sie losließ.

Da sie ihn bei der Beerdigung ihres Vaters keines Blickes gewürdigt hatte, war ihm klar, dass sie ihn nicht gerade mit Freudensprüngen begrüßen würde. Aber musste sie ihre Abneigung so deutlich zeigen, während er sein Leben für sie aufs Spiel setzte? Die Frau, die ihm früher überallhin gefolgt war, verhielt sich nun derart abweisend. Als sie nach fünf Jahren Funkstille eben das erste Mal das Wort an ihn gerichtet hatte, war ihr Ton unverhohlen verächtlich.

Das letzte Mal hatten sie miteinander gesprochen, nachdem er sie in seinem Bett vorgefunden hatte. Sie war damals so betrunken gewesen, dass er bezweifelte, dass sie sich daran erinnerte, was sie getan und gesagt hatte. Und für ihn wäre es wohl auch das Beste, das ein für alle Mal zu vergessen.

Sie erreichten den Naschmarkt, der vor Einheimischen und Touristen bereits aus allen Nähten platzte. In dem Gewimmel zwischen den Ständen konnten sie etwaige Verfolger abschütteln. Elsas Hand hielt er weiterhin fest. Sie querten Essensbuden und Restaurants, fielen ein paar Mal zurück und verließen den Markt schließlich über ein Café, bevor er in die Straße bog, in der sein Wagen stand.

Elsa betrachtete stirnrunzelnd das verbeulte weiße Auto. Es war etwa so alt wie sie. „Damit willst du mich vor … ich nehme an … Entführern retten?“

Santi schloss lächelnd die Beifahrertür auf. „Die Entführer rechnen genauso wenig mit so einer Karre wie du.“

Seine Bestätigung ging ihr durch Mark und Bein, obwohl sie vermutet hatte, dass eine Drohung gegen sie vorlag.

Offenbar sah Santi ihr den Schreck an, denn sein Lächeln erstarb. „Du wusstest es nicht?“

„Ich wusste, dass es irgendeine Drohung gibt, mehr nicht“, antwortete sie. „Mama sagte, mein Geleitschutz – also du, nehme ich an – würde es mir schon erklären.“

„Ich erkläre es dir unterwegs“, versprach er.

Im Wagen ließ sie den Kopf auf die Knie sinken und atmete tief durch.

Vor der Fahrertür beugte sich Santi ins Wageninnere: „Ich brauche dein Handy.“

„Warum?“, fragte Elsa benommen.

„Wahrscheinlich orten sie es.“

Sie zog das Handy hervor und reichte es ihm. Er warf es auf den Boden und zertrat es. „Ich habe Ersatz dabei.“

„Okay“, murmelte sie.

„Alles in Ordnung?“

Sie hob den Kopf und atmete tief ein. „Ja, danke.“

„Dann schnall dich an, damit ich uns in dieser Schrottkiste zum Flughafen fahren kann.“

Erst nachdem er den Wagen gestartet hatte, wagte sie es, ihn von der Seite anzusehen. Das flaue Gefühl wich dem plötzlichen Bedürfnis, laut zu lachen. Santiago Rodriguez, dieses ein Meter neunzig große Muskelpaket, passte kaum hinter das Steuer. Sein Kopf stieß an die Decke und seine Knie klemmten am Lenkrad, sodass er freihändig hätte fahren können.

Er lächelte das Lächeln, von dem sie früher immer weiche Knie bekommen hatte, und trat aufs Gas. Der Wagen setzte sich mit quietschenden Reifen in Bewegung.

Elsa sah aus dem Fenster, während sie die Stadt durchquerten, die ihr neues Zuhause geworden war. Ihr stieg ein Kloß in den Hals. Wann würde sie wieder in ihre Wohnung können? An ihrem Schreibtisch in dem ruhigen Großraumbüro sitzen? Würde sie sich je wieder sicher fühlen? Würde sie je wieder sicher sein?

Als sie auf der Ost-Autobahn waren, räusperte sie sich. „Du wolltest mir doch alles erklären.“

Santi wartete ab, bis der Sattelschlepper, der sie gerade überholte, an ihnen vorbeigezogen war, bevor er antwortete. „Was weißt du über die Bemühungen, die Verbrecher, die deinen Vater getötet haben, dingfest zu machen?“

Das flaue Gefühl kam wieder. Die bloße Erwähnung der Gangster löste Ohrenrauschen bei ihr aus.

Elsas Familie besaß eine Reederei, die weltweit Fracht transportierte. Vor fünfzehn Monaten war ein Angehöriger eines Kartells auf ihre Eltern zugekommen und hatte ihnen einen aberwitzigen Betrag für Drogentransporte geboten. Ihre Eltern hatten Nein gesagt. Auch ein weiteres, höheres Angebot hatten sie ausgeschlagen. Am Tag darauf fanden sie ihren Hund Buddy tot im Swimmingpool. Doch ihre Eltern hatten sich nicht einschüchtern lassen, sondern die Polizei gerufen und weitere Sicherheitsvorkehrungen getroffen.

Etwa drei Monate nach der ersten Kontaktaufnahme durch das Drogenkartell war ihr Vater zum Golfplatz gefahren. Während der 18-Loch-Runde mit seinen Golffreunden hatte sich jemand an den Bremsen seines Wagens zu schaffen gemacht. Ob man seinen Tod beabsichtigt hatte oder ihm nur einen Schreck hatte einjagen wollen, spielte keine Rolle: Marco Lopez war auf dem Rückweg vom Golfplatz an einer Ampel in einen Lieferwagen gerauscht und sofort tot.

„Ich weiß, dass Mamas neuer Sicherheitschef, dieser Felipe Lorenzi, ein Team auf sie angesetzt hat“, antwortete Elsa.

„In den letzten vier Wochen sind die Dinge schnell vorangegangen. Internationale Behörden wurden eingeschaltet. Die letzten Vorkehrungen für eine koordinierte Aktion wurden getroffen. Einer von Felipes Männern hat einen Hinweis erhalten, dass das Kartell Wind von den Ermittlungen bekommen hat und sich ein Druckmittel verschaffen will.“

Elsa schluckte. „Mich.“

„Ja. Sie wollen deine Mutter dazu bringen, ihre Aussage zurückzuziehen. Sie ist die Einzige, die das Kartell belasten kann.“

Am Tag nach dem Tod ihres Mannes hatte ein Vertreter des Kartells Rosaria Lopez angerufen. Er hatte sein Beileid bekundet und sich dann beiläufig nach der Gesundheit ihrer hochschwangerer Tochter Marisa erkundigt – eine unmissverständliche Drohung. Rosaria hatte eingewilligt, sich mit dem Mann zu treffen, und bei der Zusammenkunft präparierte Ohrhänger mit Mikrofon getragen. Bei dem Treffen hatte der Mann nicht nur neue Forderungen gestellt und mehr Drohungen ausgesprochen, sondern auch die Verantwortung für Marcos Tod eingeräumt.

Rosaria hatte mehrere Kopien der Tonaufnahme angefertigt, ihr altes Sicherheitsteam gefeuert und auf Santis Rat hin Felipe Lorenzi angeheuert. Dessen Team hatte die Sicherheitsmaßnahmen massiv hochgefahren und eine regelrechte Festung um die Familie errichtet. Danach waren die Kontaktaufnahmen durch das Kartell ausgeblieben, doch allen war klar, dass die Lopez-Frauen weiterhin in Gefahr schwebten.

Elsa versuchte, die Tatsache zu verarbeiten, dass nun eine konkrete Drohung gegen sie vorlag, aber in ihr herrschte ein solches Gefühlschaos, dass es ihr schwerfiel, ihre Gedanken zu ordnen. „Warum bin ich nicht in Felipes Obhut, sondern in deiner?“

„Weil mich deine Mutter darum gebeten hat“, antwortete Santi. Er war sich relativ sicher, dass es ihnen gelungen war, die Stadt ohne Verfolger zu verlassen.

Er dachte an die Unterhaltung, die er vor fünf Tagen mit Rosaria und deren älterer Tochter Marisa geführt hatte. Sie hatten ihm von den neuesten Entwicklungen in der Sache erzählt und ihm unter anderem über die gegen Elsa vorliegende Drohung informiert.

„Bring du sie her, Santi“, hatte Rosaria gesagt.

Obwohl er geahnt hatte, dass sie ihn darum bitten würde, hatte er schlucken müssen. „Wäre es nicht besser, wenn das Felipe und seine Leute übernehmen? Sie sind die Experten.“

„Sie werden dich unterstützen. In dich habe ich größeres Vertrauen“, hatte Rosaria mit Tränen in den Augen gesagt.

„Für Felipe und seine Leute ist Elsa irgendwer“, hatte Marisa ergänzt.

Das konnte er natürlich nachvollziehen.

Santi gehörte quasi zur Familie. Seine Mutter hatte eine Stelle als Haushälterin bei den Lopez’ angenommen, als er zehn Jahre alt und Rosaria mit Elsa schwanger war.

Alles, was er war, verdankte er dieser Familie. Es gab nichts, was er nicht für sie getan hätte.

Elsa lehnte den Kopf ans Fenster und schloss die Augen. Ihre Eltern hatten immer große Stücke auf Santi gehalten. Früher hatte sie das auch getan.

Plötzlich kam ihr eine Erinnerung. Die erste Party ohne Aufsicht von Erwachsenen. Wie alt war sie gewesen? Fünfzehn? Sechzehn? Ihre Eltern waren selbstverständlich davon ausgegangen, dass Erwachsene dabei sein würden. Nie wären sie auf die Idee gekommen, dass ihr kleiner Schatz sie anlog. Sie hatte eine Zigarette geraucht, von der sie so sehr husten musste, dass sie nie wieder einen Glimmstängel angerührt hatte. Eine ihrer Freundinnen hatte Gras geraucht, aber Elsa hatte dankend abgelehnt. Aber sie hatte Bier getrunken. Es hatte ihr zwar nicht geschmeckt, aber es gab sonst nichts Alkoholisches.

Auf der Party war es ziemlich wild zugegangen. Nachdem bei einem Trinkspiel ein Flachbildfernseher zu Bruch gegangen war, hatte Elsa – noch nüchtern genug, um zu wissen, dass es Zeit war, die Party zu verlassen – ihren Vater per SMS gebeten, sie abzuholen.

Als sie mit ihren Freundinnen Lola und Carmen vor der Tür gewartet hatte, waren ein paar ältere Jungs dazugekommen und hatten ihnen Bier angeboten, das sie kichernd annahmen – zu naiv, um zu ahnen, dass die Jungs eine Gegenleistung dafür erwarteten.

Diese Gegenleistung hatte darin bestanden, dass die Jungs ihren die Zunge in den Mund steckten und die Hände unter die Tops und Röcke schoben. Elsa wäre nie auf die Idee gekommen, dass ihr erster Kuss eine betrunkene, unfreiwillige Angelegenheit sein würde, aber genau das war er. Der Typ hatte sie nicht einmal gefragt. Es war ekelhaft gewesen. Sie hatte den Typen weggeschubst, doch er hatte sie gepackt und ihre Hände hinter dem Rücken festgehalten, damit sie sich nicht wehren konnte.

Doch plötzlich hatte der Junge sie losgelassen, weil Santi, der sich ihnen unbemerkt genähert hatte, ihn am Schlafittchen packte.

Santi hatte mit der freien Hand seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche gezogen und ihn Elsa zugeworfen. „Wartete im Auto auf mich.“ Dann war er mit dem Typen um eine Hausecke gegangen.

Als Santi wieder in dem Wagen saß, hatte er Elsa und ihre Freundinnen gebeten, sich anzuschnallen, das Radio eingeschaltet, den gerade laufenden Song mitgesungen und war losgefahren.

Dass er sie anstelle ihres Vaters abgeholt hatte, war nicht weiter erstaunlich. Santi hatte immer gern alle möglichen Dinge für Marco erledigt und ab und zu den Fahrer für die Lopez-Mädchen gespielt. „Was hast du mit dem Typen gemacht?“, hatte Elsa ihn gefragt, nachdem er ihre Freundinnen nach Hause gebracht hatte. „Hast du ihm wehgetan?“

„Wie fändest du es denn, wenn ich es getan hätte?“

Sie hatte überlegt. „Gut. Und gleichzeitig schlecht.“

Er hatte gelacht. „Ich habe weder ihm noch seinen widerlichen Freunden wehgetan, aber ich versichere dir, dass diese Typen sich nie wieder an euch oder anderen Frauen vergreifen werden.“ Und dann hatte er mit ernster Stimme hinzugefügt: „Versprich mir, dass ihr aufeinander aufpasst, wenn ihr abends ausgeht. Ich weiß, dass man in deinem Alter alles ausprobieren will, aber ihr müsst vorsichtig sein. In der Gruppe seid ihr, du und deine Freundinnen, am sichersten. Verstanden?“

In dieser Nacht hatte sich Elsa unsterblich in Santiago Rodriguez verliebt. Von einem Moment auf den anderen war das vertraute markante Gesicht mit den schwarzen Augen, den Lachfältchen in den Augenwinkeln, der kräftigen Nase und dem sinnlichen Mund zum schönsten Gesicht der Welt geworden.

Am Tag darauf hatte Santi ihr Pfefferspray, eine Notfallsirene für den Schlüsselbund und einen Selbstverteidigungskurs geschenkt.

So wütend sie jetzt darüber sein wollte, dass ihre Mutter ihre Sicherheit in dieser gefährlichen Situation in Santis Hände legte, so gut verstand sie Rosarias Entscheidung.

Santi würde niemals zulassen, dass ihr irgendetwas zustieß. Auch wenn er im Laufe der letzten zehn Jahre ein Vermögen gemacht hatte, das ihre Familie daneben arm aussehen ließ, war er noch immer bereit, sein Leben für jeden einzelnen der Lopez’ aufs Spiel zu setzen. Seine Loyalität war unerschütterlich.

Obwohl seine Gegenwart bei ihr den Wunsch auslöste, sich zu verkriechen und ihr Gesicht zu verbergen, und obwohl sie ihn für die Kaltherzigkeit in jener Nacht vor fünf Jahren hasste, hatte sich die nagende Angst der vergangenen Woche gelegt. Das altbekannte Gefühl, in Sicherheit zu sein, wenn er bei ihr war, vertrieb ihre Furcht.

Elsa wurde aus ihrer Erinnerung gerissen, als Santi auf den Parkplatz eines Flughafenhotels fuhr und nah am Eingang parkte. Sie wollte die Tür öffnen, doch er legte ihr eine Hand auf den Arm.

„Warte.“

Sie wartete.

Als er sicher war, dass ihnen niemand gefolgt war, sagte er: „Folg mir jetzt einfach und stell mir keine Fragen, bis wir alleine sind.“

Sie betraten das Hotel und gingen zur Rezeption. Santi zog zwei Pässe hervor und reichte sie mit einer Kreditkarte über den Tresen. Er nahm den Schlüssel entgegen und führte sie zum Aufzug.

Elsa nahm an, dass sie sich bis zu ihrem Abflug in einem Hotelzimmer verstecken würden, und sah verwirrt, wie er den Knopf zum Keller drückte. „Wo gehen wir hin?“

Bevor er antworten konnte, öffnete sich die Tür und gab den Blick auf eine Verladezone für Lieferfahrzeuge frei. Zwischen Wäschewägen und leeren Kisten stand ein glänzender Aston Martin mit getönten Scheiben.

Santi machte eine einladende Geste. „Ihre Kutsche wartet.“

„Der andere Wagen ist zwar eine Schrottkiste, aber ist das hier nicht ein bisschen zu viel des Guten für die kurze Fahrt zum Terminal? Wir können doch den Shuttle nehmen.“

„Hat deine Mama dir nichts gesagt? Wir fliegen nicht nach Valencia.“

„Sondern?“

Er grinste. „Wir fahren nach Valencia, Chiquita.“

2. KAPITEL

„Wir fahren?“, wiederholte Elsa verdattert. „Die ganze Strecke? Aber das dauert ja ewig!“

„Einen Teil der Strecke werden wir mit der Jacht zurücklegen. Und nun sollten wir los. Ich will den Flughafen weit hinter mir haben, bevor sie merken, dass sie dich aus den Augen verloren haben.“

Sie stieg in den Wagen, stellte ihre Tasche zwischen ihre Füße und schnallte sich an, während Santi ebenfalls einstieg. Als er die Tür schloss, nahm sie den Duft seines Aftershaves wahr, moschusartiger Duft, von dem ihr ganz schwindelig wurde.

„Könnten wir nicht von einem anderen Flughafen aus fliegen?“, fragte sie verzweifelt. „Oder einen von deinen Fliegern nehmen? Wir wären zum Abendessen zu Hause.“

Seufzend startete Santi den Wagen und steuerte ihn aus der Tiefgarage. „Die Maßnahmen zur Ergreifung der Verbrecherbande beginnen jetzt. Wir wollen dich währenddessen aus der Schusslinie halten. Wenn alles gut geht, gibt es das Kartell nicht mehr, wenn wir in Valencia ankommen.“

„Was ist mit meiner Familie? Wo sind sie alle untergebracht?“

„Wir haben die Villa in eine Festung verwandelt.“

Wut und ohnmächtige Angst packten sie. „Warum habt ihr meine Familie nicht an einen sicheren Ort gebracht?“

„Weil die Gangster dann gewarnt gewesen wären“, antwortete er ruhig.

„Und dass ihr die Villa in eine Festung verwandelt, warnt sie nicht?“

„Das Anwesen wird seit dem Tod deines Vaters streng bewacht, wie du weißt. Die zusätzlichen Maßnahmen sind sehr diskret.“

Elsa warf ihm einen finsteren Seitenblick zu. Ganz gleich, wie gut das Anwesen bewacht war und wie gut der Schutzraum der Villa mit Vorräten bestückt war, sodass sich ihre Familie mehrere Monate dort verschanzen konnte, in einem geheimen Unterschlupf wäre sie sicherer.

„Vertrau mir. Deine Familie ist in Sicherheit. Ihnen wird nichts zustoßen. Das schwöre ich dir.“

Elsas Augen schwammen vor Tränen, sie wagte nicht, ihn anzusehen.

„Habe ich je ein Versprechen, das ich dir gegeben habe, gebrochen?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf.

Versprich, Mama nichts zu sagen.

Versprich, Papa nichts zu erzählen.

Versprich mir, mich hinzubringen.

Versprich mir, dass du da sein wirst.

Ihr gingen die zahllosen Versprechen durch den Kopf, die sie ihm als Jugendliche abgenommen hatte. Er hatte jedes einzelne gehalten. Er hatte ihr so oft aus der Patsche geholfen.

Und dann hatte er ihr das Herz gebrochen.

Santi hielt Ausschau nach möglichen Verfolgern. Wie erhofft schien ihnen niemand auf den Fersen zu sein. Er merkte, wie seine Haltung sich entspannte.

Innerlich war er weiterhin angespannt, aber lange nicht so sehr wie Elsa. Er schaltete das Radio ein, suchte einen Sender, der Musik nach seinem Geschmack spielte, drehte die Lautstärke auf und fiel in den Gesang ein.

„Wie kannst du jetzt singen?“, fragte Elsa vorwurfsvoll.

„Warum singst du nicht einfach mit?“, fragte er zurück.

„Weil …“

„Weil du dich von deiner Angst beherrschen lassen willst?“

Wenn Santi angespannt war, hörte er Musik. Das half. Wie an jenem Abend, an dem er sich mit jeder Faser seines Leibes danach gesehnt hatte, den Typen umzubringen, der Elsa begrapscht hatte. Doch die Anspannung, die er jetzt empfand, war eine ganz andere als damals.

„Du hast gut reden. Deine Familie ist ja nicht in Gefahr.“

„Ach nein?“

Eine Weile lang schwiegen sie beide.

Ein paar Kilometer weiter sah er die Leuchtreklame eines Fast-Food-Restaurants. „Hast du Hunger?“

„Nein.“

„Aber ich.“ Das Restaurant hatte einen Drive-in-Schalter. Er fuhr vor und öffnete das Fenster, um zu bestellen.

Ein paar Minuten später nahm er eine große Tüte und die Getränke entgegen und reichte es Elsa, bevor er in einer Parkbucht hielt.

Er nahm ihr die Papiertüte ab und stellte sie auf seinen Schoß. Dann stellte er die Kaffeebecher in die Getränkehalter des Wagens. Schließlich reichte er Elsa Zucker, einen Burger und Pommes.

„Ich habe doch gesagt, dass ich keinen Hunger habe“, sagte sie.

Santi zuckte mit den Schultern, packte seinen Burger aus und biss genüsslich hinein. „Ich esse deine Sachen gern mit auf.“

Trotz ihres festen Entschlusses, Santi keine weitere Beachtung zu schenken, blieb ihr nichts anderes übrig, als zuzusehen, wie er sein Essen so genüsslich verschlang wie eh und je. Und wieder kamen die Erinnerungen hoch. Wie oft hatte Santi sie von Partys abgeholt und ihr Fast Food und schwarzen Kaffee mit viel Zucker besorgt, damit sie zu Hause ihren Eltern nüchterner gegenübertrat?

Rückblickend musste sie sich eingestehen, dass sie damals absichtlich zu viel getrunken hatte, um von ihm umsorgt zu werden.

Autor

Michelle Smart
Michelle Smart ist ihrer eigenen Aussage zufolge ein kaffeesüchtiger Bücherwurm! Sie hat einen ganz abwechslungsreichen Büchergeschmack, sie liest zum Beispiel Stephen King und Karin Slaughters Werke ebenso gerne wie die von Marian Keyes und Jilly Cooper. Im ländlichen Northamptonshire, mitten in England, leben ihr Mann, ihre beiden Kinder und sie...
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