Geliehenes Glück in deinen Armen

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Auf der Luxusranch von Oliver Lawrence sucht Renee Zuflucht, als ihr Leben in Trümmern liegt. Aus dem großen Bruder ihrer besten Jugendfreundin ist ein attraktiver Mann geworden. Nie hätte Renee gedacht, dass sie sich ausgerechnet in Oliver verlieben würde - und dass er ihre Gefühle erwidert! Doch das unerwartete Glück kann nicht von Dauer sein. Denn so erregend die Nächte mit Oliver auch sind, als seine Ehefrau würde sie seinem Ruf und seinem Unternehmen schaden. Schweren Herzens muss Renee sich von Oliver trennen …


  • Erscheinungstag 04.09.2018
  • Bandnummer 2044
  • ISBN / Artikelnummer 9783733722104
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich dachte, du hasst das Rodeo.“

Diese Stimme! Oliver Lawrence kannte sie. Nur dass sie jetzt einen volleren Klang hatte. Und etwas tiefer war. Sie weckte Erinnerungen – Erinnerungen an ein Lachen. An Spaß.

Wann hatte er das letzte Mal Spaß gehabt?

Er wusste es nicht.

„Und da sitzt du, umgeben von Fotos vom Rodeo“, fuhr sie fort. Er hörte an ihrer Stimme, dass sie lächelte.

Oliver hob den Kopf. Das war nicht möglich. Das konnte nicht wahr sein!

Aber da stand sie: Renee Preston, in der Tür zu seinem Büro. Sie ließ den Blick über die Fotos der All-Stars gleiten, mit denen sein Assistent Bailey eine ganze Wand bedeckt hatte.

Obwohl sie ihm den Rücken zukehrte, erkannte er sie sofort. Das blonde Haar fiel in Wellen über ihren Rücken. Das dunkelblaue Kleid umschmeichelte ihre weiblichen Konturen.

Wie lange war es her? Fünf Jahre? Sie so unvermittelt zu sehen war ein Schock. Er war wie benommen und konnte nur eines denken: Hoffentlich ist sie echt. In Anbetracht der Kopfschmerzen, die die Leitung von Lawrence Energies ihm bereitete, würde es ihn nicht überraschen, wenn sein Verstand eine kleine Auszeit genommen hätte und er halluzinierte.

Sie rührte sich nicht. Ein schlechtes Zeichen. „Renee?“ Er wartete.

Okay, er hatte einen schrecklichen Morgen. Es stimmte – er hasste das Rodeo. Genauer gesagt: das Team Lawrence Oil All-Stars. Sein Vater hatte es vor dreizehn Jahren beim Pokern gewonnen, und seither hasste Oliver es. Das wussten nur wenige. Es wäre nicht gut für das Geschäft, wenn sich herumspräche, dass der CEO von Lawrence Energies, der Muttergesellschaft von Lawrence Oil – und damit auch der All-Stars –, Teile seines Unternehmens hasste.

Woher wusste Renee davon?

Bailey eilte herein. „Mr. Lawrence … es tut mir leid“, keuchte er und warf der jungen Frau einen vorwurfsvollen Blick zu. „Sie war unglaublich schnell!“

Gott sei Dank! Oliver war erleichtert. Er litt also nicht unter Halluzinationen. Renee Preston stand tatsächlich an diesem Montagvormittag in seinem Büro in Dallas.

„Das ist schon in …“

In diesem Moment drehte Renee sich etwas, sodass Oliver sie im Profil sah. Ihre kleine Stubsnase, das herzförmige Kinn, der sanft gerundete Bauch …

Moment mal! War sie schwanger?

Langsam erhob Oliver sich. „Renee? Was ist los?“

Bailey senkte den Kopf. „Soll ich die Security holen?“

Oliver winkte ab. „Nein, ist schon gut. Ms. Preston und ich sind alte Freunde.“ Das stimmte nicht ganz. Ihr Bruder Clint war ein alter Freund von ihm. Renee war immer die nervige kleine Schwester gewesen, die, besonders wenn sie sich mit seiner Schwester Chloe zusammengetan hatte, eine wahre Plage gewesen war.

Sie schenkte ihm ein schwaches Lächeln, bei dem sich kaum ein Muskel ihres Gesichts bewegte. Es gefiel ihm nicht. Es wirkte irgendwie unnatürlich.

Er ließ den Blick noch einmal über ihr Kleid gleiten. Nein, es war nicht dunkelblau, es war schwarz. Es sah aus, als wäre sie auf dem Weg zu einer Beerdigung und nur kurz in seinem Büro vorbeigekommen, gut fünfzehnhundert Meilen entfernt von New York City.

„Keine Anrufe“, sagte Oliver zu seinem Assistenten. Wenn Renee Preston hier war, schwanger und in einem Kleid wie für eine Beerdigung, dann stimmte etwas nicht.

Plötzlich fiel ihm wieder die E-Mail von Clint Preston ein. Wann hatte er sie bekommen? Vor zwei Monaten? Vor drei? Seit Olivers Vater Milt beschlossen hatte, mit der Familie von der Park Avenue in New York nach Dallas überzusiedeln, war der Kontakt zwischen Oliver und Clint weitgehend eingeschlafen. Aber jetzt erinnerte er sich an die merkwürdige Mail, die um vier Uhr morgens abgeschickt worden war: Bitte kümmere dich um Renee.

Oliver hatte nie geantwortet. Er hatte es vorgehabt, aber … er war einfach verwirrt gewesen. Wieso sollte er sich um Renee kümmern? Sie hatte eine Familie. Sie war eine erwachsene Frau. Er hatte die Dringlichkeit nicht gesehen.

Jetzt tat er es. Eindeutig.

Gerade hatte er noch geglaubt, es könnte nicht schlimmer kommen. Vielleicht war er selbst schuld, weil er so negativ gedacht hatte.

Bailey hatte die Tür hinter sich zugezogen.

„Mein Name hat sich geändert“, erklärte Renee. „Ich heiße jetzt Preston-Willoughby.“

Oliver bemühte sich um ein Lächeln. „Herzlichen Glückwunsch. Das wusste ich nicht.“ Obwohl … hatte Chloe nicht irgendwann einmal erwähnt, dass Renee geheiratet hatte? Das war schon ein paar Jahre her. Er hatte damals gerade die Firma von seinem Vater übernommen.

Aber das erklärte immer noch nicht, wieso sie jetzt in seinem Büro war. Er hatte sie nicht mehr gesehen, seit …

War es vor fünf Jahren gewesen? Bei der Hochzeit seines Bruders? Renee war damals noch auf dem College gewesen. Er war sehr neugierig auf sie gewesen, weil sie nicht mehr das kleine Mädchen mit den Zöpfen war.

Sie hatte einfach atemberaubend ausgesehen, und ihr Lächeln schien den ganzen Raum zum Strahlen zu bringen – trotz des rosafarbenen Kleids, das sie wie alle Brautjungfern trug. Sie hatte einen Freund gehabt, und Oliver wilderte aus Prinzip nicht in den Gefilden anderer Männer. Daher blieb er an der Bar und bewunderte die hübsche Frau, zu der sie sich entwickelt hatte.

Er erinnerte sich vage, dass er höchst frustriert gewesen war, weil niemand ihm glauben wollte, dass er alles dafür geben würde, wieder in New York zu sein. Die anderen Männer an der Bar schienen allen Ernstes überzeugt, dass Texas ein einziger großer Urlaub war: Barbecues, hübsche Frauen und das Rodeo. Als wäre das alles, womit Texaner sich beschäftigten. Alle Cowgirls der Welt konnten ihn nicht darüber hinwegtrösten, dass er sich mit dem Familienunternehmen – und der Familie – herumschlagen musste.

Außerdem interessierten sich die Cowgirls eher für seinen jüngeren Bruder Flash. Oliver war ihnen zu ernst.

Nach dieser Hochzeit wäre er fast nicht wieder nach Dallas zurückgekehrt. Er war mit einem mörderisch schweren Kopf erwacht und dem frischen Entschluss, seinem Vater klipp und klar zu sagen, wohin er sich seine All-Stars, den Stetson und den breiten Texanischen Akzent stecken konnte. Oliver wollte zurück nach New York. Dort gehörte er hin.

Aber er hatte es nicht getan. Er hatte seiner Mutter sein Wort gegeben, und daran fühlte er sich gebunden. Zumindest eines hatte er erreicht: Er hatte seinem Vater die Firmenleitung abgenommen. Milt saß zwar noch im Aufsichtsrat, aber Oliver war CEO des Unternehmens. Und somit auch von dem verdammten Rodeo.

Seine Versuche, den Firmensitz wieder nach New York zu verlegen, waren gescheitert. Manchmal hatte er das bedrückende Gefühl, auf ewig in diesem verdammten Texas festzusitzen.

Hatte er sich auf der Hochzeit eigentlich mit Renee unterhalten? Hatte sie ihn nach dem Rodeo gefragt? War er so betrunken gewesen, dass er ihr die Wahrheit gesagt hatte? Verdammt.

Auch in diesem schwarzen Kleid war sie immer noch die attraktivste Frau, die er je gesehen hatte. Am liebsten hätte er die Hände in ihr seidiges Haar geschoben und sie an sich gezogen, um wirklich zu spüren, dass sie da war. Ihre Haut schien förmlich zu strahlen.

Als er sie genauer betrachtete, fielen ihm auch andere Dinge auf. Das dezente Make-up konnte die dunklen Schatten unter ihren Augen nicht völlig kaschieren. Schlief sie schlecht? Er bemerkte, dass sie mit den Fingern ihrer linken Hand nervös auf ihrem Bein herumtrommelte.

Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er sie anstarrte. Wie lange schon? Sekunden? Minuten? Er räusperte sich. „Dein Besuch kommt überraschend. Was verschlägt dich nach Dallas?“

Ihr unnatürliches Lächeln wurde noch starrer. Sie atmete tief durch. „Eigentlich bin ich auf der Suche nach Chloe.“ Sie wandte sich von ihm ab, aber nicht schnell genug. Er sah, wie sich ihr Gesicht zum Weinen verzog.

Instinktiv trat er einen Schritt auf sie zu. Er verspürte den merkwürdigen Drang, die Arme um sie zu legen, um ihr etwas von der Last zu nehmen, die ihr offensichtlich auf den Schultern lag. Er tat es nicht. Sie war ja nicht zu ihm gekommen. Er war mehr oder weniger ein Fremder für sie. „Es ist Rodeo-Saison“, sagte er, als würde das alles erklären.

Sie nickte. „Und Chloe ist die Rodeo-Prinzessin.“ Ihr Ton klang sehnsüchtig.

Renee war die nervige kleine Schwester gewesen und später die Brautjungfer. Er wusste nichts von ihrem jetzigen Leben, aber sie war eindeutig in Not, und das verunsicherte ihn.

Es war sein Job, Probleme zu lösen. Er hatte seiner Mutter Trixie vor ihrem Tod das Versprechen gegeben, die Familie zusammenzuhalten. Deswegen war er jetzt der CEO von Lawrence Energies. Deswegen kümmerte er sich um seinen Vater und seine Geschwister. Und nur deswegen war er immer noch in Texas statt in New York City.

Renee Preston-Willoughby stellte ein Problem dar, und er hatte keine Ahnung, wie er es lösen sollte.

„Chloe ist im Moment in Lincoln, Nebraska – und anschließend geht es weiter nach Omaha. Danach …“ Er zuckte die Schultern, obwohl Renee es nicht sehen konnte. „So ist das in der Rodeo-Saison. Ich glaube, in einem Monat ist sie hier in der Nähe in Fort Worth.“

Seine Schwester eröffnete und beendete jede Veranstaltung der All-Stars auf dieser Tour. So lief es seit Jahren. Sie lebte monatelang aus dem Koffer, und das nur, weil sie es liebte, als Cowgirl im paillettenbesetzten Outfit in die Arena zu reiten und die Flagge der USA zu schwenken.

Oliver begriff nicht, wie seine Schwester das ertrug. Er hasste das Rodeo: den Gang der Cowboys und den Geruch der Tiere. Überhaupt alles, was damit zu tun hatte. Er verstand nicht, wie Menschen sich freiwillig auf ein wildes Pferd oder einen Bullen setzen und dabei ihr Leben riskieren konnten. Auch seinen Bruder Flash verstand er nicht. Er war Oliver ein Rätsel. Es gab absolut nichts, was Oliver dem ganzen Rodeo-Zirkus hätte abgewinnen können.

Im Moment war es schlimmer denn je, weil Chloe sich als Managerin des Rodeos beweisen wollte, während ihr Vater darauf bestand, dass Oliver diesen Job machte. Für Milt spielte es keine Rolle, dass Oliver den Job überhaupt nicht wollte und dass Chloe ihn wahrscheinlich viel besser machen würde, weil sie das Rodeo liebte.

„Ich hätte daran denken sollen.“ Renees Stimme bebte leicht. Er sah, wie sich ihre Schultern bei einem tiefen Atemzug hoben und senkten. Dann drehte sie sich zu ihm herum. „Es tut mir leid, dass ich dich so überfallen habe.“ Ihre Miene war merkwürdig ausdruckslos. Das gefiel ihm noch weniger als das aufgesetzte Lächeln. „Vielen Dank, dass du nicht die Leute von der Security gerufen hast. Es war nett, dich wiederzusehen, Oliver.“

Sie hatte die Hand auf dem Türgriff, noch bevor er begriff, dass sie ebenso schnell verschwinden wollte, wie sie gekommen war.

Mit wenigen Schritten war er bei ihr und zog die Tür, die sie schon geöffnet hatte, wieder zu. „Warte!“

Er war ihr zu nah. Spürte die Wärme ihres Körpers. Er sollte etwas Distanz zwischen sie bringen. Großer Gott, sie war schwanger! Wer wusste, was da noch alles kam?

Langsam drehte sie sich zu ihm herum. Er hätte sie küssen können. Der Gedanke kam ihm unversehens, als er in ihre blauen Augen sah. Ihr Blick verdunkelte sich, als sie durch dichte Wimpern zu ihm aufsah. Er konnte sich einfach nicht rühren.

„Renee“, sagte er rau. „Wieso bist du hier?“

Er wusste nicht, was er eigentlich erwartete, aber es überraschte ihn nicht, als ihre Augen feucht wurden. Die Trauer passte zu ihrem Beerdigungskleid. Dann öffnete sie den Mund. Er hatte ein Schluchzen erwartet, aber es kam ein Kichern. „Du weißt es nicht.“ Aus dem Kichern wurde ein freudloses Lachen. „Oh Gott, du weißt es wirklich nicht?“

Gut, er war nicht mehr auf dem Laufenden, was die New Yorker Gesellschaft betraf. „Was sollte ich wissen?“ Eine Träne lief ihr die Wange hinunter, und er wischte sie spontan weg. „Was ist passiert?“

„Nichts weiter.“ Sie klang bitter. „Es ist nur …“ Ihr Lachen endete in einem Schluckauf und klang schon fast wie ein Schluchzen. „Es war alles eine große Lüge. Mein ganzes Leben ist eine einzige Lüge.“

Er fing eine weitere Träne auf. „Ich verstehe nicht …“

„Wirklich nicht? Ich kann nicht glauben, dass du nichts davon gehört hast.“ Sie schloss die Augen. „Man nennt es die Preston-Pyramide. Das Investment-Unternehmen meiner Familie war nichts weiter als Betrug, und jetzt ist alles in sich zusammengefallen.“

Wie konnte es sein, dass er nichts davon wusste? Der Zusammenbruch des Preston-Investment-Unternehmens war ein Skandal, der nicht nur New York erschütterte. Renees Vater, ihr Bruder und ihr verlogener Ehemann hatten Hunderttausende von Investoren im ganzen Land um ihr Geld gebracht. Es ging um Millionen von Dollar. Sie hatte erwartet, dass alle davon gehört hatten.

Andererseits: War sie nicht gerade deswegen nach Dallas gekommen, statt in New York zu bleiben? Sie musste einfach weg. Weg von den Reportern, die das Gebäude belagerten, in dem sie wohnte. Weg von dem Klatsch und den Drohungen. Sie wollte irgendwohin, wo die Menschen sie vielleicht nicht als eine Ausgeburt der Hölle betrachteten. Clint hatte ihr gesagt, sie könne der Familie Lawrence vertrauen. Er hatte gesagt, Oliver werde sich um sie kümmern – aber Renee hatte genug von Leuten, die ihr sagten, was sie zu tun und zu lassen habe.

Chloe war einmal ihre beste Freundin gewesen. Sie ließ sich von niemandem etwas bieten. Sie würde ihr helfen.

Aber Chloe war nicht da. Nur Oliver. Und Renee hatte keine andere Wahl.

So weit war sie also schon gesunken. Sie hatte sich an seinem Assistenten vorbeigekämpft. War in dieses Büro eingedrungen und bemühte sich jetzt, halbwegs die Fassung zu wahren.

Das fiel ihr umso schwerer, als er sie fast zärtlich berührte. Aber damit würde er sicherlich aufhören, wenn er erst das volle Ausmaß der Katastrophe begriff. Sie sah ihm in die Augen, während er die Neuigkeiten verarbeitete. Erkannte ihre eigenen Gefühle gespiegelt in seinen Zügen: Schock, Unglauben, vor allem Unglauben. „Dein Vater hat nach dem Pyramidenschema gearbeitet? Wie?“

Sie zuckte die Schultern. Sie sollte sich von ihm lösen. Er hatte sie mehr oder weniger gegen die Tür gedrängt und sah sie mit seinen dunkelbraunen Augen durchdringend an. Er ließ den Daumen über ihre Wange gleiten. Sie brachte es nicht über sich, sich von ihm zurückzuziehen. Im Gegenteil: Es kostete sie all ihre Selbstbeherrschung, sich nicht an ihn zu lehnen.

Es war bei Clints Hochzeit gewesen. Dort hatte sie Oliver Lawrence zuletzt gesehen. Sie erinnerte sich an Crissy Hagan, eine der Brautjungfern, die Renee noch bis vor sechs Wochen für ihre Freundin gehalten hatte. Crissy hatte ihr laut von Clints altem Freund vorgeschwärmt, aber Renee hatte ihr widersprochen. Oliver war nicht sexy, er war langweilig. Er war schon als Kind ernst und abweisend gewesen. Er hatte sie nie gemocht, und er machte es jedem schwer, ihn zu mögen. Wieso ihr Bruder mit ihm befreundet war, war ihr stets ein Rätsel gewesen.

Als sie sich zufällig neben ihm an der Bar wiederfand, hatte sie versucht, ein Gespräch in Gang zu bringen, indem sie sich nach dem Rodeo erkundigte. Er hatte ihr prompt versichert, dass er den ganzen Zirkus einfach nur hasse.

Oliver Lawrence war kein Mann, auf den sie sich verlassen konnte. Zumindest damals nicht.

Sie wusste nicht, ob sich daran etwas geändert hatte.

Aber Crissy hatte recht gehabt. Oliver war damals sexy gewesen – und war es jetzt noch mehr. Er gehörte zu den Männern, die mit den Jahren immer attraktiver wurden. Wie alt war er? Clint hatte im Gefängnis seinen neunundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Oliver musste also auch etwa so alt sein.

Er war nicht mehr der Junge von früher. Er war ein gutes Stück größer als sie, und so … so viel mehr als noch vor fünf Jahren. Größer. Kräftiger. Präsenter.

Diese dummen Hormone! Sie war nicht hier, um Oliver Lawrence anzuschmachten. Ausgerechnet! Sie war hier, um sich zu verstecken.

Ihr fiel wieder ein, dass er ihr eine Frage gestellt hatte. Nach dem Pyramidenschema. „Offensichtlich haben sie es sehr clever angestellt. Jahrelang ist alles gut gegangen. Jahrzehntelang. Mein Vater hat gerade so viel Geld ausgeschüttet, dass die Leute ihm seine Lügen abgenommen haben. Er hat die Anleger dazu gebracht, die Profite, die ihre Investments angeblich abgeworfen hatten, gleich wieder zu investieren. Manchmal haben sie dabei ihr Investment sogar noch erhöht. Natürlich hat es nie reale Profite gegeben“, setzte sie verbittert hinzu. „Nicht für die Investoren. Es ging alles an ihn.“ Sie wandte den Blick ab. „An ihn und an uns. Ich habe nichts von alledem gewusst, aber es lässt sich nicht leugnen, dass ich von dem Geld profitiert habe. Ich kann einfach nicht glauben, dass du nichts von der ganzen Geschichte gehört hast.“

Zorn und Scham wallten in ihr auf. Sie war so wütend auf ihre Familie – und sie schämte sich vor den Menschen, die betrogen worden waren. Ihr Vater hatte das Leben anderer ruiniert, um sich noch ein viertes Ferienhaus bauen zu können. Es war wirklich schlimm, was er getrieben hatte.

Aber noch schlimmer war, dass sie sechsundzwanzig Jahre lang nicht begriffen hatte, dass ihr Vater nichts weiter war als ein Betrüger. Ein Hochstapler.

Als Oliver schwieg, wagte sie es, wieder aufzusehen. Seine Züge hatten sich verhärtet. „Okay“, sagte er. „Dein Vater hat also viele Investoren um sehr viel Geld gebracht. Gehe ich recht in der Annahme, dass dein Bruder auch etwas damit zu tun hatte?“

„Natürlich.“ Sie seufzte. „Clint und mein Mann waren beide mit von der Partie.“

Oliver trat abrupt einen Schritt zurück. „Es tut mir leid, dass ich deine Hochzeit verpasst habe. Seit wann bist du verheiratet?“

„Ich bin es nicht mehr.“ Sie atmete tief durch. Sie wollte keinen Schmerz zulassen. Nie wieder sollte Chet ihr wehtun können. „Chet Willoughby lebt nicht mehr.“

Oliver wirkte, als hätte sie ihm einen Schlag versetzt. Er begann, auf und ab zu gehen. „Ich weiß, es ist unhöflich zu fragen, aber seit wann …?“ Er deutete vage auf ihren Bauch.

Fast hätte sie gelächelt. Nach allem, was ihr in den vergangenen zwei Monaten widerfahren war, war diese Frage noch die am wenigsten unhöfliche. „Ich bin in der achtzehnten Woche.“

Die Presse hatte es hämisch gefeiert. Preston-Pyramiden-Prinzessin schwanger! Es war der reinste Albtraum gewesen.

Oliver fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Um es zusammenzufassen: Das Vermögen deiner Familie ist durch Betrug zusammengekommen und jetzt verloren. Dein Vater war kriminell, ebenso dein Bruder. Dein Mann hat mit beiden zusammengearbeitet und ist tot. Du bist schwanger von ihm. Habe ich etwas ausgelassen?“ Sein Ton enthielt keinerlei Verurteilung, keine Häme.

„Im Grunde ist das alles“, sagte sie bedrückt. „Sieht man davon ab, dass meine Mutter mit dem verbliebenen Geld nach Paris verschwunden ist. Das ist nicht ganz unwichtig.“

Für die Justizbehörden war das sogar sehr wichtig.

„Hmmm.“ Oliver lehnte sich gegen den Schreibtisch und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Hätte sie andere Möglichkeiten gehabt, wäre sie jetzt nicht hier. Er war nicht verantwortlich für ihr Leben, aber sie hatte sonst niemanden, an den sie sich wenden konnte.

„Hast du von der Pyramide gewusst?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich unterstütze die Ermittlungen, so weit ich kann. Die Staatsanwaltschaft weiß, wo ich mich aufhalte. Sie können mich jederzeit nach New York zurückbeordern. Ich darf das Land nicht verlassen.“ Das war der Deal gewesen. Sie konnte nicht viel zur Aufklärung beitragen. Ihr Vater hatte zu Protokoll gegeben, dass Renees einzige Funktion gewesen war, das hübsche Aushängeschild der Familie zu sein. Ihr Kapital war ihr gutes Aussehen. Früher hatte sie das verletzt. Wie konnte ihr eigener Vater in ihr nichts weiter als ein hübsches Gesicht sehen? Wie konnte er sie ignorieren und sie ihrer Mutter überlassen?

Jetzt war sie froh, dass er sie nicht in seine Geschäfte hineingezogen hatte. Das allein ersparte ihr das Gefängnis.

Ihr Wert für die Justizbehörden bestand in erster Linie darin, dass sie ihren Bruder dazu bewegen konnte, gegen ihren Vater auszusagen. Aber damit hatte Clint es nicht eilig. Er wollte einen Deal für sich herausschlagen.

Oliver musterte Renee nachdenklich. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Er schwieg so lange, dass sie schon fürchtete, er würde sie zurück nach New York schicken. Dorthin konnte sie nicht. Falls Oliver ihr nicht half, dann …

Dann musste sie Chloe suchen. Alle ihre sogenannten Freunde in New York hatten sie im Stich gelassen und sich sogar gegen sie gestellt. Sie waren gleich zur Klatschpresse gerannt und hatten alles breitgetreten, was die Prestons noch schlechter aussehen ließ. Niemand hatte zu ihr gestanden. Sie gehörte einfach nicht mehr dazu. Man lachte über sie und übergoss sie mit Häme.

Wenn Oliver jetzt die Security rief, würde sie ihm keinen Vorwurf machen. Sie bedeutete ihm nichts. War nur eine Erinnerung an die Kindheit. Wenn überhaupt.

„Du musst dich verstecken?“, fragte er, gerade, als sie alle Hoffnung aufgegeben hatte.

Sie nickte.

Er murmelte etwas, das sie nicht verstand. Es schien um Clint zu gehen. „Das mit deinem Mann tut mir leid“, sagte er schließlich.

Renee lachte bitter auf. „Mir nicht.“

Oliver schwieg einen Moment. Sah ihren Bauch an. Ihr wurde heiß unter seinem Blick. Diese dummen Hormone! Oliver Lawrence war nicht an ihr interessiert. Niemand, der auch nur halbwegs bei Verstand war, würde ihr einen zweiten Blick schenken.

Es war wirklich ein Fehler gewesen, hierherzukommen. Sie war für alle Menschen in ihrer Nähe einfach nur Gift. Er war ein guter Mann, und sie hatte sich ihm mehr oder weniger mit ihren Problemen vor die Füße geworfen. Wenn er sich auf sie einließ, stand zu befürchten, dass der Makel des Preston-Skandals auf ihn abfärbte.

Bitte, lüg mich nicht an!, flehte sie stumm. Auch wenn die Wahrheit brutal war – wenn er sie zum Beispiel wegschickte –, sie wollte dennoch nichts anderes hören als die Wahrheit. Sie hatte schon zu viele Lügen ertragen, um noch mehr verkraften zu können.

„Gut.“ Er legte ihr die Hände auf die Schultern. „Dann wollen wir mal sehen, wie wir dich aus der Öffentlichkeit bringen.“

2. KAPITEL

Er hatte eigentlich keine Zeit dafür. Er ließ wichtige Meetings ausfallen und riskierte damit, dass sein Vater die Jagdhütte verließ und seine Nase wieder in die Leitung von Lawrence Energies steckte. Und wofür das alles?

Um einer Frau in Nöten beizustehen. Anders ließ sich Renee nicht beschreiben. Sie hatte nur einen Rollkoffer dabei, sonst nichts. Sollte sie länger als eine Woche bleiben – und davon war fast auszugehen –, musste er irgendwie dafür sorgen, dass sie weitere Kleidung bekam.

„Ist es weit?“ Sie klang erschöpft.

„Ich bringe dich nach Red Oak Hill“, erklärte er, während er sich in den laufenden Verkehr einfädelte. „Das ist meine Ranch. Der Verkehr ist um diese Tageszeit erträglich, wir könnten es in anderthalb Stunden schaffen.“ In den Verhältnissen von Dallas war das mehr oder weniger direkt vor der Tür.

„Oh.“ Renee ließ sich in ihren Sitz sinken.

Er versuchte, die Situation pragmatisch anzugehen. „Du hast die Wahl“, sagte er. „Du kannst während der Fahrt schlafen oder mir etwas genauer erklären, was eigentlich los ist.“ Im Moment kannte er nur die Eckdaten: Familie korrupt. Finanzen ruiniert. Ehemann tot. Schwangerschaft im fünften Monat.

Ihm fehlten noch alle möglichen Details. Auf dem Weg aus dem Büro hatte er Bailey gebeten, Informationen über den Preston-Fall herauszusuchen und ihm die Links zu schicken. Er konnte Renee nicht helfen, solange er nicht wirklich wusste, worum es ging.

Sie stöhnte wenig damenhaft. „Ich kann einfach nicht glauben, dass du nichts davon gehört hast.“

Es hatte keinen Sinn, dass er sich Sorgen um sie machte. Unter den Umständen tat er sein Bestes. Er hatte Bailey gebeten, alle anstehenden Termine des Tages zu verschieben, und ihm Anweisungen gegeben für den Fall, dass irgendjemand versuchte herumzuschnüffeln. Das schloss auch Milt Lawrence ein, Olivers Vater. Nichts sollte über Ms. Preston oder Mrs. Willoughby oder Ms. Preston-Willoughby nach draußen dringen.

„Wir sind dabei, einen Pumpen-Hersteller zu übernehmen – ich war also beschäftigt. Außerdem sitzt mir mein Vater ständig im Nacken.“

Davon abgesehen hatte weder die Lawrence-Familie noch das Unternehmen Lawrence Energies Geld in diese verdammte Preston-Pyramide investiert. Er musste es wissen, denn er hatte seinem Vater vor vier Jahren die finanzielle Kontrolle über die Firma abgerungen.

„Ist es so schlimm mit deinem Vater?“

Oliver zuckte die Schultern. „Manchmal ist es wirklich nicht witzig.“ Milt war gerade erst sechzig, also beileibe noch nicht senil. Aber die Midlife-Crisis, die der Tod von Trixie Lawrence bei ihm ausgelöst hatte, hielt an.

Oliver hätte Renee das alles erklären können, aber sie war nicht hier, um sich seine Klagen über die Familie anzuhören. Sie war hier, weil sie Probleme hatte.

Bitte kümmere dich um Renee.

Er hätte damals gleich auf Clints Mail reagieren sollen, dann wüsste er jetzt vielleicht mehr.

Autor

Sarah M. Anderson
Sarah M. Anderson sagt, sie sei 2007 bei einer Autofahrt mit ihrem damals zweijährigen Sohn und ihrer 92-jährigen Großmutter plötzlich von der Muse geküsst worden. Die Geschichte, die ihr damals einfiel, wurde ihr erstes Buch! Inzwischen konnte sie umsetzen, wovon viele Autoren träumen: Das Schreiben ist ihr einziger Job, deshalb...
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